KULTUR UND GESELLSCHAFT Organisationseinheit : 46 Reihe : LITERATUR Kostenträger : P 62 300 Titel der Sendung : Immer wieder Nazis. Französische Bestseller mit einer kräftigen Prise deutscher Vergangenheit AutorIn : Jochen Stöckmann Redakteurin : Barbara Wahlster Sendetermin : 20.11.2011 Regie : Stefanie Lazai Besetzung : Sprecher A, Sprecher B/VO junge Stimme, Zitator, Sprecher D/VO, Sprecherin C O-Töne Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Immer wieder Nazis Französische Bestseller mit einer kräftigen Prise deutscher Vergangenheit Von Jochen Stöckmann Deutschlandradio Kultur: 20.11.2011 Zitator: 21. Juli 1945 - Einige junge Schriftsteller haben den Plan gefaßt, über die Massengräber Gedichte zu schreiben. Dazu sagt einer meiner Freunde (ebenfalls Dichter): "Wie können sie sich nur an ein solches Thema wagen!" Ein Kritiker bespricht einige neu erschienene Romane und erklärt, die Widerstandsbewegung gehe gewissermaßen über die Literatur und die Phantasietatbestände hinaus. Gewiß, angesichts des Entsetzens über die Vernichtungslager, angesichts des außerordentlichen Lebens der Widerstandskämpfer kann man der Meinung sein, daß die Literatur in der Geschichte einen ernsthaften Konkurrenten gefunden hat. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß Dichter und Prosaschriftsteller im Augenblick ein wenig "sprachlos" sind über das, was sie erleben - oder sehen - mußten oder was sie gehört haben. Aber man lasse sich nicht täuschen: die Literatur wird wieder Mut fassen und es "wagen", ein Thema anzugehen, das uns jetzt ein wenig heilig erscheint. Homer zögerte nicht, den Ersten Weltkrieg in Verse zu bringen. Die griechischen Tragödien schreckten vor keinem Grauen zurück. Und Tacitus machte einen spannenden Roman aus den mehr oder weniger blutrünstigen Exzessen der römischen Hitler. (Raymond Queneau, Striche, Zeichen und Buchstaben, Mnch 1990, text + kritik, übers. Eugen Helmlé) Sprecher A: Was der Schriftsteller Raymond Queneau 1945 nach Kriegsende in seinem Tagebuch prophezeit, tritt schneller als erwartet ein: Bereits Anfang 1946 kommt in Frankreich der erste Roman über Krieg, Nazi-Besatzung und Judenmord in die Buchhandlungen - allerdings ohne Rückgriff auf die dramatischen Muster griechischer Tragödien oder Vergleiche einer totalitären Diktatur mit dem Regime römischer Cäsaren. Die Überlebenden der Nazi-Mordmaschine finden ihre eigene Sprache, erproben neue Formen der Erzählung, des Berichts. Sprecherin C: Den Anfang macht der Widerstandskämpfer Jean Bruller, er veröffentlicht "Waffen der Nacht" unter seinem Résistance-Decknamen "Vercors". Der Roman ist als Erinnerung an seine in Buchenwald, Neuengamme oder Bergen-Belsen ermordeten Kameraden geschrieben, der Text geprägt von Schuldgefühlen des Überlebenden. 1947 erscheint "Je vivrai l'amour des autres" von Jean Cayrol. Sein Anti-Held ist ein KZ- Überlebender, der mit traumatischen Erlebnissen alleingelassen an den Rand der Nachkriegsgesellschaft gedrückt wird, in dieser Romanfigur spiegelt sich das Schicksal des Autors. Der Schriftsteller Cayrol erhält immerhin den Prix Renaudot, ebenso wie David Rousset für seinen dokumentarischen Essay über "L'univers concentrationnaire", das "Universum der Konzentrationslager". Im selben Jahr 1947 bringt der Pariser Verlag Gallimard "L'espéce humaine" heraus, "Das Menschengeschlecht" von Robert Antelme. Auch Antelme ist ein Rückkehrer, dem Tod im deutschen KZ mit knapper Not entronnen. In seinem Roman gelingt ihm die detaillierte Beschreibung jenes Grauens, für das Außenstehenden die Worte fehlen. Mit präzisen Formulierungen analysiert Antelme das Verhalten der SS- Folterknechte, deren Versuche, die Häftlinge ihrer Identität zu berauben, sie zu enthumanisieren, aus dem "Menschengeschlecht" auszustoßen. Sprecher A: Ein SS-Obersturmführer reklamiert ganz selbstverständlich seine Zugehörigkeit zu eben diesem "Menschengeschlecht" gut 60 Jahre später, also mehr als zwei Generationen nach Antelme, in dem Roman "Les Bienveillantes - Die Wohlgesinnten": "Ihr Menschenbrüder, laßt mich euch erzählen, wie es gewesen ist," lautet der erste Satz, den Jonathan Littell seinem Helden in den Mund legt, einem SS-Offizier. Als belesener und kultivierter Deutschfranzose steht dieser Dr. Max Aue sofort im Rampenlicht der Pariser Kulturszene - und beschert seinem in Paris lebenden, aus New York stammenden Schöpfer den literarischen Durchbruch. Im Herbst 2006, kurz vor seinem vierzigsten Geburtstag, erhält Jonathan Littell den Prix Goncourt, der Absatz seines mehr als 1000 Seiten starken, von Gallimard verlegten Buchs schnellt rekordverdächtig in die Höhe. Das Leserecho ist einhellig: Hier wird man in allen Details informiert über die Greuel der sogenannten "Endlösung", hier lernt man endlich einen der Täter hautnah kennen - das ist die Meinung vieler Franzosen. Sprecherin C: Im literarischen Leben sorgt der von Littell erfundene Nazi allerdings für handfesten Streit: Publizisten, Intellektuelle und Politiker, Historiker wie auch Schriftsteller geraten heftig aneinander über Fragen nach den Konsequenzen einer literarischen Konstruktion, die perfekt zugeschnitten ist auf einen zynischen, sich keiner Schuld bewußten Massenmörder. Auf eine Romanfigur, die der Sprachwissenschaftler Francois Rastier in der Zeitschrift "littérature" mit einem Wort kurz und knapp charakterisiert: "circoncis-SS- scatophage-hypocondre-homosexuelincestueux-matricide-exterminateur-sauveur-ubiquiste- ommiscient", was auf deutsch in etwa heißt "beschnittener SS-Mann, hypochondrischer Exkrementefresser, homosexuell inzestuöser Muttermörder, Vernichtungsengel und Erlöser, allwissend, allgegenwärtig". Eigentlich nichts weiter als eine Phantasiegestalt aus dem Groschenheft - zugleich aber auch eine skandalöse Verhöhnung des literarischen Erbes, der existentiellen Zeugenschaft von Nazi-Opfern wie Vercors und Cayrol, Rousset oder Antelme. Sprecher A: Dem Markt, den Verlagen sind diese moralischen Bedenken fremd: Im Januar 2010 bringt Grasset das nächste bestsellerverdächtige Nazi-Buch heraus. Im Titel steht viermal der Buchstabe "H", das ist die Abkürzung für "Himmlers Hirn heißt Heydrich". Der Autor Laurent Binet, er ist 1972 geboren, erhält den "Prix Goncourt für den ersten Roman". Binet beschreibt die SS-Karriere einer realen historischen Figur: Reinhard Heydrich war als Leiter des Reichssicherheitshauptamtes in einer Schlüsselfunktion. Zugleich amtierte dieser mächtigste Diener Hitlers als Stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren in Prag, wo mit dem Fallschirm aus England abgesetzte Agenten des tschechischen Widerstands am 27. Mai 1942 ein Attentat auf die Symbolfigur der verhaßten deutschen Besatzer verübten. Darum hauptsächlich geht es Binet in seinem Bericht, auch wenn das im Titel seines Buches nicht mehr zum Ausdruck kommt: "Operation Anthropoid" war der Deckname der Kommando-Aktion und auch Wunschtitel des Autors - aber das hört sich für Verleger Olivier Nora zu sehr nach "science-fiction" an. Also entscheidet der Grasset-Chef: "HHhH" heißt das Buch - damit werden Himmler und Heydrich zu Cover-Figuren. Statt eines fiktiven gleich zwei ganz reale Nazis, mehr "hautnahe" Verkörperung des absoluten Bösen kann sich das französische Lese-Publikum kaum wünschen. 01 Laurent Binet (0:40) Contrairement à un nombre des mes compatriotes ... Sprecher B: Im Gegensatz zu vielen meiner Landsleute, die sich auf Littells Buch gestürzt haben, bin ich nicht vom Bösen fasziniert. Ausgangspunkt für mein Buch war die Résistance, der Akt des Widerstands, das Heldentum der Fallschirmagenten. Erst darüber bin ich auf den Mann gekommen, gegen den sich das Attentat gerichtet hatte. So ist Reinhard Heydrich zum Protagonisten geworden, zumindest im ersten Teil. Ich hatte keine Hypothese über ihn, wollte ihn weder anklagen noch verteidigen, mußte diese Figur also nicht in die eine oder andere Richtung zurechtrücken. ... dans un sens ou dans un autre. Sprecher A: Nicht nur in Interviews gibt Laurent Binet bereitwillig Auskunft über seine literarischen Motive und Beweggründe. Auch in dem Text selber spielt das Zustandekommen dieses Buches, der Prozeß des Erzählens, eine ebenso große Rolle wie das Erzählte, der Inhalt. Außerdem ist der Autor geprägt durch populäre, journalistische Darstellungen der Epoche der Nazi-Herrschaft, etwa durch Jacques Delarues "Geschichte der Gestapo". 02 Laurent Binet (0:36) Le livre le plus important ... Sprecher B: Das wichtigste Buch war für mich "Das Dritte Reich" von William Shirer. Ich habe es verschlungen wie ein Heldenepos: Egal auf welcher Seite ich es aufschlug, Nordafrika, El Alamein, Hitlers Aufstieg in den dreißiger Jahren - das war wie ein totaler Roman, aber eben nicht erfunden. Und ich merkte, daß die Romanciers keineswegs den historischen Bericht, die Erzählung für sich gepachtet haben. ... des récits extraordinaires qui ne sont pas la fiction. Sprecher A: Mit diesem doch eher leichten Lektüre-Vorrat im Marschgepäck hat sich Binet auf den Weg zurück in die jüngste Vergangenheit gemacht. Die Tagebücher des US- Journalisten und Deutschlandkorrespondenten William Shirer aus den Jahren 1934 bis 1941 etwa enthalten allerlei Beobachtungen, gestatten aber kaum einen tieferen Einblick in die Struktur der Machtverhältnisse im NS-Staat. So ist es kein Wunder, daß Binet zu Beginn seiner Recherchen einer Art Personenkult verfällt und sich scheinbar verwundert die Augen reibt: Zitator: "Kaum zu glauben, wie oft man in Bezug auf die Politik des Dritten Reiches - und das gilt besonders für ihre tiefsten Abgründe - feststellt, daß Heydrich deren Mittelpunkt bildet." (Laurent Binet, HHhH, Berlin 2010, Rowohlt, übersetzt von Mayela Gerhardt) Sprecher A: Derart wird die Geschichte vom Zustandekommen dieses Buches immer mitgeschrieben. Das wirkt manchmal selbstverliebt, kann aber auch zur überzeugenden Verbindung zwischen Einst und jetzt, zwischen Ereignissen und Autor, Faktizität der Historie und Fiktion der erzählten Geschichte führen. Weil er selbst als Erzähler im Text auftaucht und seinen eigenen Standpunkt reflektiert, also mit der beim tschechischen Schriftsteller Milan Kundera entliehenen literarischen Technik der "Metalepse" operiert, befreit sich der französische Jungautor von einigen Skrupeln: Auf einer zweiten Erzählebene kann Binet immer wieder darauf hinweisen, daß es ihm nicht in erster Linie auf Heydrich ankommt, daß sein Interesse weniger der möglichst spektakulären Darstellung einer Nazi-Größe gilt als vielmehr den beiden Attentätern Jozef Gabcik und Jan Kubis: 03 Laurent Binet (0:33) Je n'ai pas choisi d'écrire un roman ... Sprecher B: Ich wollte keinen Roman schreiben, sondern diese Geschichte erzählen. Damit stellte sich die grundlegende Frage: Wie errege ich das Interesse der Leser, wie halte ich die Spannung, ohne meine Protagonisten zu verraten? Die einfachste Lösung wäre, direkt auf den Leser zuzugehen. Das ist nicht immer die Lösung, aber oft reicht es aus, das jeweilige Problem offen darzulegen - und dafür bietet sich meine Art des Gesprächs mit dem Leser an. ... de conversation avec le lecteur, si vous voulez. Sprecher A: Wenn dagegen Jonathan Littell seinem Nazi allerlei Perversionen unterschiebt, ihn mit exquisiten Lesefrüchten füttert von Marquis de Sade bis hin zur psychoanalytischen Fachlektüre für den unweigerlich folgenden, schrill ausgemalten Inzest mit der Schwester, dann zappelt nicht nur der SS-Führer Dr. Max Aue wie eine Marionette an den Fäden des Autors. Auch der Leser muß im reißenden Fluß der Schilderung mitschwimmen, sich der monumentalen Wucht der Darstellung beugen. Laurent Binet dagegen kokettiert nicht einfach nur mit jedem Detail, das er recherchiert hat, er dreht und wendet es, fragt sich, ob etwa Beschreibungen der Kleidung der Attentäter oder die Farbe von Heydrichs Dienstwagen eine Rolle spielen sollten - und überläßt die Entscheidung dann lieber dem Leser. Das ist durchaus kein Indiz für Desinteresse, denn wenn der Autor fündig wird beim Besuch der Prager Kirche, in deren Krypta Gabcik und Kubis nach dem erfolgreichen Attentat von der Gestapo aufgespürt und in die Enge getrieben worden waren, dann läßt er alle teilhaben an seiner Passion für Zeitgeschichte, für die materiellen Spuren der Erinnerung: 04 Laurent Binet (0:29) Moi, je n'ai pas forcement ... Sprecher B: Ich dachte nicht unbedingt daran, ein Buch darüber zu schreiben. Aber dann war der Besuch dieser Krypta der Auslöser. Fotos und Bücher, schön und gut, aber diese Mauern zu berühren und die Einschüsse der Kugeln zu sehen, das ist eine ergreifende Verkörperung der Geschichte. Diese physische Präsenz hat mich wirklich erschüttert. ... c'était très bouleversant en fait. Sprecher A: Diese Leidenschaft für die Historie teilte kaum jemand seiner Klassen- oder Spielkameraden mit dem in Paris aufgewachsenen Laurent Binet. Zum verschrobenen Außenseiter hat ihn die Lektüre der Geschichtsbücher allerdings auch nicht gemacht, immerhin spielte er sogar in einer Rockband mit. Gefragt nach deren Namen reagiert der schwarzhaarige Lockenkopf dann allerdings mit einem breiten, nicht allzu verlegenen Grinsen: 05 Laurent Binet (0:18) Oui, oui, il y a longtemps, il s'appelle Stalingrad ... Sprecher B: Na ja, das ist lange her, die Band nannte sich "Stalingrad". Aber weil sich kaum jemand für den Zweiten Weltkrieg interessierte, so wie ich, dachten alle anderen dabei an die gleichnamige Pariser Metro-Station, nicht an die Schlacht. ... à la station Métro et non à la bataille. Sprecher A: Wie Littells "Bienveillantes", die "Wohlgesinnten", ist auch Binets Buch auf deutsch erschienen. Und hierzulande haben bestimmte Namen und Begriffe, etwa "Stalingrad", einen ganz anderen Klang, eine ganz andere Geschichte als in Frankreich. Dafür haben Nazis gesorgt wie Hitler, Himmler, Heydrich oder - stimmgewaltig - Hermann Göring: 06 Hermann Göring (0:17) Und jeder Deutsche, noch in tausend Jahren, wird mit heiligen Schauern das Wort Stalingrad aussprechen. Und sich erinnern, daß dort Deutschland letzten Endes doch den Stempel zum Endsieg gesetzt hat. Sprecher A: Mit Nazi-Größen, deren Parolen und Propaganda, kennt Stefan Martens sich aus. Vor allem aber hat der stellvertretende Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Paris die Jahre der Besatzungszeit, also Frankreich von 1940-1944, in allen Facetten erforscht. 07 Stefan Martens (0:27) Es gibt hier verschiedene Ausgaben von "Mein Kampf". Ein sehr eklatantes Beispiel in der französischen Übersetzung, da hat man damals "Weltanschauung" übersetzt mit "Philosophie". Das ist natürlich absolut falsch. Und da fürchte ich, werden wir bei solchen Texten auch in der Zukunft immer das Problem haben, daß man die Vielschichtigkeit und die Tragweite eines Begriffs nur sehr, sehr schwer mit gängigen heutigen Worten umschreiben kann. Sprecher A: Manch einer macht sich diese Mühe erst gar nicht. Jonathan Littell zum Beispiel streute sensationsheischende Schlagworte wie "Führervernichtungsbefehl" oder "Internazional Finanzjudung" auf Deutsch in seinen französischen Romantext ein. Es waren groteske Phantasiebezeichnungen. Die deutschsprachige Ausgabe von Laurent Binets Buch wiederum leidet unter Geschichtsvergessenheit, beziehungsweise einer großen Ahnungslosigkeit der Übersetzerin. Sprecherin C: So wird en passant "drôle de guerre", der sogenannte Sitzkrieg, in dem französische Truppen ihrem deutschen Gegner Ende 1939 passiv gegenüber lagen, zu einem "ungeheuerlichen Krieg" aufbauscht. Die folgenschwere Parole vom "Kriegs-Einsatz", bei Binet "effort de guerre", der nach dem Willen der Nazipropaganda zuerst "bedingungslos", später dann "total" sein sollte, gerät zur belanglosen "Beteiligung am Kriegsgeschehen". Jeder Roman transportiert subkutan immer auch historisches Wissen, hier aber sorgt die deutsche Übersetzung für ein völlig verzerrtes Bild der Zeit zwischen 1933 und 1945. Sprecher A: Das alles wäre vielleicht noch als Flüchtigkeitsfehler zu verbuchen, gäbe es nicht dieses abgegriffene Sprachbild von Heydrich, dem "teuflischen Bürokraten". Als Laurent Binet das hört, fährt er regelrecht aus seinem Sessel hoch. Solche Klischees hat er nun wirklich peinlich zu vermeiden gesucht. Sprecherin C: Und tatsächlich, sein französischer Heydrich stellt sich bei näherem Hinsehen als "glacial", "féroce" oder "tueur" heraus, ist also eiskalt, unbarmherzig - nicht etwa "eisern" - oder aber ein Mörder, ein gedungener Killer, doch niemals "diabolique". Und wie steht es mit "Hitler, dem Wüterich" oder gar verallgemeinert mit dem "deutschen Wüterich"? Dahinter verbirgt sich ein Wesen, das sich auf der Weltkarte ein Land nach dem anderen einverleibt und bei Binet "ogre" heißt - übrigens auch der Titel von Volker Schloendorffs Verfilmung des "Erlkönig", Michel Tourniers Roman von 1970 über die faszinierende Wirkung nationalsozialistischer Mythen und Kultrituale auf die Kinder der Hitler-Jugend. 08 Laurent Binet (0:44) En France l'ogre a une connotation ... Sprecher B: In Frankreich hat das Wort "ogre" historische, politische Bedeutung. Oger, korsisches Ungeheuer, wurde Napoleon auch in Deutschland von seinen Feinden genannt. Seither ist es der Beiname für Diktatoren. Mit Auftauchen der Nazis galt dann Hitler als solch eine Menschenfresser-Gestalt, die kleine Kinder umbringt und verspeist, als schreckerregendes Monstrum. Napoleon aber, wie Sie wissen, ist Nationalheld geblieben. Das Bild des "Ogre" kommt uns Franzosen in den Sinn, wenn es um Geopolitik geht: ein Staat, der sich fleckenartig über die Landkarte ausbreitet, aggressiv und gefräßig. ... on a image de l'ogre. Sprecher A: Die besetzten Gebieten erkannte man daran, daß fast alles auf deutsch war, von den amtlichen Bekanntmachungen über die Lebensmittelmarken bis hin zu den Todesurteilen. Über diese Zeit hat auch Harry Mulisch 1972 einen Roman geschrieben, "Die Zukunft von gestern". Im Vorwort zur deutschen Ausgabe erklärt der niederländische Schriftsteller: Zitator: "Es ist, als ob das Buch im Deutschen sein eigentliches Element gefunden hätte. Paradoxerweise ist gerade dieser Gewinn gleichzeitig auch ein Verlust. Zahlreiche deutsche Zitate und Redewendungen stehen im niederländischen Text in Deutsch; ein Terminus wie Endlösung jedoch, der für jeden anständigen Deutschen natürlich genauso unerträglich ist wie für jeden anständigen Niederländer, hat für den einen Niederländer noch die zusätzliche Eigenschaft, daß es ein deutscher Terminus ist. ... In einem niederländischen Text wird das Deutsche des Zitats betont. Darin liegt ein Problem, dessen man sich in Deutschland vielleicht nicht immer bewußt ist. Deutsch ist die Sprache, in der Hitler, Himmler und Konsorten ihre mörderischen Pläne entwickelten, mit Hilfe der deutschen Sprache wurden sie ausgeführt." (Harry Mulisch, Die Zukunft von gestern, Berlin 1995, Edition Tiamat, übers. von Marlene Müller-Haas) Sprecher A: Mit seinem Protagonisten Dr. Max Aue, aufgewachsen in Frankreich und bestens bewandert in Kunst und Kultur des deutschen "Erbfeindes" begibt sich Littell in sprachliche Verwicklungen. Der deutsch-französische Historiker Peter Schöttler, Professor in Paris und Berlin, erkennt als deren Grund: 09 Peter Schöttler (0:34) Daß er diese an sich ja ganz originelle Idee entwickelt hat, einen Deutschen auf Französisch schreiben zu lassen. Meines Erachtens war das aber deshalb ein Denkfehler, weil er eben selber kein Deutsch kann, Insofern hätte er dann eben lieber einen französischen Nazi nehmen sollen, denn die hat es ja auch gegeben. Das wäre dann unter Umständen sehr viel glaubwürdiger gewesen. Aber Max Aue ist eben nicht zweisprachig im echten Sinne, sondern schreibt nicht nur französisch, er denkt eben auch französisch. Und im Zweifelsfall verwendet er Anglizismen und keine Germanizismen. Sprecher A: Jonathan Littell - der sich so einfühlsam in Sachen Täterforschung gibt - beherrscht die Sprache der Henker nicht, er konnte deutsche Bücher allenfalls in Übersetzungen lesen - und steht damit in Frankreich weder als Literat noch als historisch interessierter Laie allein da. 10 Stefan Martens (0:27) Das ist das Manko hier in Frankreich: Es gibt keine regulären und regelmäßigen Übersetzungen von wichtigen deutschen Standardwerken zur Geschichte des Dritten Reiches ins Französische. Das ist leider der Buchmarkt: Der diktiert hier im Grunde genommen über die Verkaufszahlen letztendlich den Transfer der wissenschaftlichen Information. Ein großes Problem für uns ist eben, daß wir einem Verleger nicht garantieren können, daß er 4000 Stück Auflage hat um die Übersetzungskosten auf die Art und Weise wieder hereinzubekommen die nötig sind. Sprecher A: Was sich für Stefan Martens vom Deutschen Historischen Institut als finanzielles Problem darstellt, erkennt der französische Publizist und Übersetzer Pierre-Emmanuel Dauzat als verhängnisvollen Zug der Zeit: Nirgends sonst als in Frankreich wird so viel über die Täter geredet, verdrängen die Namen prominenter Nazis wie Barbie und Eichmann, Höß oder Stangl die Erinnerung an die Opfer der Shoah. 11 Pierre-Emmanuel Dauzat (0:54) En France on n'a pas ... Sprecher D: In Frankreich hatten wir bis vor wenigen Jahren keine professionellen Holocaust-Forscher. Es gab keine Historiker, die imstande waren, Jiddisch zu verstehen, Polnisch oder Russisch zu lesen. Und wer heute über die Nazi-Zeit arbeitet, beschäftigt sich - welch ein Zufall - mit der Waffen-SS, mit den Mördern. Aber wer hat denn damals deutsch gesprochen? In den Lagern wurde jiddisch geredet, polnisch und so weiter - diese Menschen hat kaum ein Historiker gefragt. Das hätte ein Minimum an Arbeit erfordert, auch Sprachkenntnisse. Die Intellektuellen haben es sich leicht gemacht - und jetzt ist die Zeit der Trauer vorbei, man tauscht das Leiden des Opfers gegen den Sex eines Henkers. ... on change la souffrance de la victime pour le sexe du bourreau. Sprecher A: Allerdings bekam Littell, dessen Buch den von Dauzat kritisierten Umschwung herbeigeführt hat, einigermaßen unerwartetes Lob von seiten prominenter Opfer. Als sei seine Art der Erinnerungsliteratur nun an ein Ende gekommen, sprach der ehemalige KZ-Häftling Jorge Semprun von den "Wohlgesinnten" als einem "Meisterwerk", nicht nur des Jahres 2006, sondern gleich des ganzen 21. Jahrhunderts. Selbst Claude Lanzmann, der als Filmregisseur in seiner Dokumentation "Shoah" die KZ-Überlebenden eindrücklich hatte zu Wort kommen lassen, feierte Littells Buch bei allen Bedenken als großen Wurf und vorzüglich recherchierte Darstellung des Holocaust. Und so war es an Laurent Binet, dem Newcomer, einem zustimmenden Raunen und Staunen der Pariser Intellektuellenzirkel seine vielleicht unbedeutende, aber treffsichere Kritik entgegenzustellen: 12 Laurent Binet (0:38) Oui, c'est très bien documenté ... Sprecher B: Gewiß, er hat alles bestens dokumentiert. Dummerweise hat er sich aber beim Datum des Attentats auf Heydrich geirrt. Dabei höre ich noch die Kritiker: tadellos. Selbst Claude Lanzmann sagte, alles hieb- und stichfest. Das mag wie eine Anekdote klingen und da spielt vielleicht auch Neid mit, weil er vor mir mit einem ähnlichen Sujet soviel mehr Erfolg hatte. Ich bin also nicht objektiv - und trotzdem behaupte ich: Das Buch hat seine Qualitäten, aber es wirft vor allem viele Probleme auf. ... mais il pose des problèmes. Sprecher A: Auf die Probleme der Littell-Lektüre war Laurent Binet in seinem Text detailliert eingegangen, aber dann wurde diese auf zwanzig Seiten formulierte Abrechnung mit den bei Gallimard erschienenen "Wohlgesinnten" komplett gestrichen - auf Geheiß von Olivier Nora, dem Chef von Binets Verlag Grasset. Der gehört neben Littells Verlag Gallimard und Le Seuil zu einem Dreierbund, in Fachkreisen "Galligrasseuil" genannt, der angeblich bei der Auswahl der Goncourt-Preisträger seit jeher die Fäden in der Hand hält - und wo vermutlich keine Krähe der anderen ein Auge aushackt. Tatsache bleibt, daß in Binets Heydrich-Buch jetzt nur noch ein kurzer Absatz über Littells wundersame Nazi-Erfindung auftaucht: Zitator: "Max Aue wirkt authentisch (zumindest für die Leser, die sich leicht reinlegen lassen), weil er unsere Epoche widerspiegelt: nihilistisch-postmodern. An keiner Stelle wird angedeutet, daß die Figur Anhänger des Nationalsozialismus ist. Ganz im Gegenteil - häufig genug legt Aue eine beunruhigende Gleichgültigkeit gegenüber der nationalsozialistischen Doktrin an den Tag. Dagegen sprechen weiterhin seine generelle Gleichgültigkeit, sein blasiertes Gehabe, seine Abgestumpftheit, sein permanentes Unbehagen, sein Gefallen an philosophischen Überlegungen, seine aufgesetzte Amoralität, sein verdrossener Sadismus und diese entsetzliche sexuelle Frustration, die ihn ohne Unterlaß bis ins Innerste aufwühlen ... aber natürlich! Warum bin ich nicht früher draufgekommen? Auf einen Schlag sehe ich klar: Die Wohlgesinnten sind nichts anderes als ,Houellebecq bei den Nazis'." (Laurent Binet, HHhH, Berlin 2010, Rowohlt, übersetzt von Mayela Gerhardt) Sprecher A: Was sich in der publizierten Fassung wie ein oberflächlicher Austausch von Schlagworten liest, bekommt im Gespräch mit dem Autor Hand und Fuß. Binets Kritik richtet sich gegen die zynischen, einzig und allein auf sich selbst fixierten Figuren in den Bestsellerromanen von Michel Houellebecq, weil er in solch einem postmodernen Schnittmuster auch den entscheidenden Webfehler bei Littells Buch angelegt sieht: 13 Laurent Binet (0:48) Qui m'a enervé ... Sprecher B: Aufgeregt haben mich diese geradezu berauschten Kritiken: Da wurde tatsächlich behauptet, daß die Nazi-Epoche mit Littells "Wohlgesinnten" besser zu verstehen sei als mit jedem Geschichtsbuch. Das ist eine Riesendummheit, ein dramatischer Irrtum, historisch und auch erkenntnistheoretisch völlig unhaltbar. Das Bestürzende an diesen Rezensionen war die einhellige Meinung, Naziverbrechen ließen sich durch das Prisma des antiken Mythos, mit der Orestie als Gleichnis analysieren. Aber nein! Bei den Furien, den Rachegöttinnen oder Eumeniden - und das sind ja die "Bienveillantes" - ging es um Schuldgefühle. Doch übermäßige Gewissensbisse sind für Nazis ganz bestimmt nicht charakteristisch. ... caracterisé par beaucoup des remords. Sprecher A: Littell, der als Freiwilliger in humanitären Hilfseinsätzen in Afrika und Osteuropa Zeuge mörderischer Verfolgungen geworden war, folgte mit seiner literarischen Konstruktion einem ganz anderen, durchaus moralisch begründeten Kalkül. Das zeigt sich in der Entstehungsgeschichte seines Romankonzepts: Lange hatte der vormalige Autor eines science-fiction-Krimis über eine Form, einen adäquaten Rahmen für die Schilderung jener Epoche des 20. Jahrhunderts nachgedacht, in der es nach Ansicht vieler Historiker mit dem Holocaust zum absoluten Zivilisationsbruch kam. Littells Wahl fiel schließlich auf die griechische Tragödien-Struktur. Das Muster der "Eumeniden" lieferte ihm den roten Faden für Max Aues Kreuz- und Querzüge durch den Zweiten Weltkrieg. Über das klassische Handlungsgerüst stülpt Littell mächtige Textflächen. Diese Montage von Trash und Theorie wird zu seiner Masche, zum Markenzeichen. Anderen, sozusagen "höheren" Zielen hat der ganze Aufwand nicht gedient, denn am Ende täuscht all das intellektuelle Brimborium nur über altbekannte Muster hinweg. Der Historiker Stefan Martens erinnert daran: 14 Stefan Martens (0:55) (Die klassischen Bücher wie Shirer und andere, die Binet initiiert haben, das sind populäre Darstellungen des Dritten Reiches gewesen, die einfach diese Neugier, die da ist, relativ leicht befriedigen. Und er hat ja auch selber beschrieben, daß er das Buch wie einen Steinbruch gelesen hat. Also nicht von vorne bis hinten, sondern die Kapitel mal hier, mal da.) Ich glaube, es gibt eine Neugier, es gibt nach wie vor einen Bedarf, zu wissen wie dieses Dritte Reich zustande kam, wie es möglich war, wie es funktioniert hat. Littell hat eben mit dem Roman, mit dem persönlichen Schicksal einen ähnlichen Effekt wie damals in Deutschland die Holocaust-Serie: Man hat es an einer Person festmachen können, und man hat im Grunde die verschiedenen Stadien des Krieges oder eben der Ereignisse, die man kennt auf die Art und Weise auf einmal mit einem persönlichen Bezug nachvollziehen können. Ich glaube, das erklärt, warum ein Buch, was manchmal über hundert Seiten über Theoriediskussionen sich auch noch verbreitet, trotz allem hier am Markt - fast eine Million Exemplare - sich durchsetzen konnte. Sprecher A: Lieber pralle Romane als wissenschaftliche Studien. Dabei hat etwa Fabrice d'Almeida kürzlich bei Fayard eine spannende Analyse über das Freizeitverhalten der Wachmannschaften in den Konzentrationslagern herausgebracht: Da würde Littell erfahren, was höhere SS-Offiziere tatsächlich gelesen oder im Lagerkino angeschaut haben. Vor allem aber deckt Almeida auf, wie Hitlers Elite auch in ihrer Freizeit darauf vorbereitet wurde, alle Grenzen von Moral und Menschlichkeit zu überschreiten: mit der Einübung fast rituell anmutender Gesten und Prozeduren, die jede "Roheit" bei der Gewaltausübung verdecken, alle "Exzesse" vermeiden sollten. Almeidas Buch "Ressources inhumaines" ist aufschlußreich - und fordert zu Gedankenspielen heraus: Vielleicht sollte man doch noch einmal gründlich nachschauen, was die Großeltern gelesen haben - und welchen Gebrauch sie von dieser Lektüre machten? Von derartigen Ansätzen versprich sich der Historiker Stefan Martens einiges: 15 Stefan Martens (0:40) Diese Grauzonen des menschlichen Verhaltens, ich glaube das sind heute auch in der Forschung die eigentlichen Themen. Wann welcher Vertrag unterschrieben wurde, wann welcher Angriff gemacht wurde, auch wie die Hintergründe bei der Münchner Konferenz gelaufen sind, das ist im Wesentlichen heute alles bekannt. Im Grunde erschließen wir uns heute eine neue Welt und damit auch ein neues Thema. Und damit kommt man vielleicht auch irgendwann auf eine andere Ebene, um diese Welt so zu verstehen, wie sie damals funktioniert hat. "Echolot" von Kempowski war im Grunde genommen auch ein Versuch, dem Alltag näher zu kommen und ihn in seiner ganzen Tragweite und seiner ganzen Brutalität, aber auch Banalität zu verstehen. Sprecher A: Mit Walter Kempowskis fast buchhalterischer, eben deshalb so aufschlußreicher Montage aus Dokumenten, privaten Briefen und ähnlichen Zeugnissen hat Littells prätentiöse Kolportage allerdings überhaupt nichts gemein. Der französische Star-Autor hat sich so einiges ausgedacht hat über Leben, Denken und Treiben eines Nazi-Henkers, der sein monotones Mordgeschäft durch die Lektüre von Plato, Nietzsche und Georges Bataille auflockert oder gar - im Jahre 1942! - Bücher von Maurice Blanchot liest. Ausgerechnet diese mit angelesenem Wissen aus dritter Hand ausstaffierte Kunstfigur aber wird als hyperauthentischer, als verläßlicher Zeitzeuge, als témoin historique fiable, auf Historikertagungen herumgereicht: Es grenzt an einen Skandal, wenn die Harvard-Professorin Susan Rubin Suleiman, zuständig für das Fachgebiet "Civilization of France", Littells Protagonisten Max Aue als einen "zum Zeugen gewandelten Schlächter" präsentiert. Zwar konterte Francois Rastier vom Pariser Forschungszentrum CNRS postwendend, daß hier jemand ohne Rücksicht auf wissenschaftliche Standards reale Person und literarische Figur verwechsle, den gewollten Anachronismus des Romans zur Grundlage der Geschichtschreibung mache. Doch solche Einwände in wissenschaftlichen Fachzeitschriften nützen wenig, wenn in den Medien die Wortführer der Pariser Intellektuellen-Zirkel ihren Auftritt haben, etwa Pierre Nora: 16 Pierre Nora (0:46) Tout ca était invraisemblable ... Sprecher D: All das war unglaublich. Dieser enorm kultivierte Mann, Proust-Liebhaber und Kenner der französischen Literatur, der Nazi ist. Alles war unwahrscheinlich, selbst Littells Handlungsverlauf: Sein Nazi ist auf allen wichtigen Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs zugleich, er kennt Eichmann und all die Verantwortlichen der Shoah. Aber das sind kleinliche Einwände angesichts eines erzählerischen Orkans, der alles zusammenhält und in seiner Monstrosität die Ungeheuerlichkeiten nicht nur einfach widergibt, sondern auch einen starken, einen authentischen Eindruck davon vermittelt. Daraus ergibt sich ein historischer Wahrheitsgehalt, das ist ganz außerordentlich. ... c'est extraordinaire. Sprecher A: Nora, der als einflußreicher Berater des Verlags Gallimard dort auch die Zeitschrift "le débat" herausgibt, versuchte laut und heftig einzuläuten, was Wissenschaftler einen "Paradigmenwechsel" nennen. Im Titel der Frühjahrsausgabe von "le débat" hieß es "L'histoire saisie par la fiction", ohne allzu reißerisch zu formulieren könnte man das übersetzen mit "Die Geschichtsschreibung in den Fängen der Fiktion". Die Literatur bemächtigt sich also der Historie, und dieser völlig neue Abschnitt in den Beziehungen zwischen Autoritäten der historischen Wissenschaft und erfolgreichen Romanciers habe, so behauptet Nora, im Jahr 2006 nach Christi begonnen. Ganz genau datiert er die Zäsur mit dem Tag des Erscheinens der "Bienveillantes". Folgt man allerdings der nicht minder einflußreichen Historikerin Mona Ozouf, dann ist der von Nora ausgerufene Trend nicht gar so neu - und er wird sich auch nicht ohne weiteres durchsetzen. In öffentlichen Debatten stärkt Mona Ozouf die eher skeptische Position Laurent Binets: 17 Mona Ozouf (0:52) Laurent Binet n'est pas ni ennemi ... Sprecherin C: Laurent Binet ist weder Feind des Romans noch der Geschichtsschreibung, was er verabscheut ist die Vermengung der Genres. Deshalb lehnt er Pathos und Übertreibung ab. Daher verstehe ich, daß ihm das Buch von Littell Unbehagen bereitet. Andererseits hat Littell sehr deutlich erklärt, daß er einen Roman geschrieben hat, kein Geschichtsbuch. Und es ist ja auch nicht das Buch, was vielen meiner Kollegen Probleme bereitet - es ist die Rezeption: Mit dem Publikumserfolg wird deutlich, wie sehr sich historische Erzählung und Romanerzählung, die bis Ende des 19. Jahrhunderts deutlich geschieden waren, angenähert haben. Übrigens mit dem nachvollziehbaren Argument, daß sowohl der Historiker als auch der Schriftsteller erzählen. Es bleibt der einzige Unterschied, daß der Historiker irgendwann einmal Beweise präsentieren muß. ... à présenter à certain moment ses preuves. Sprecher A: Doch auch wenn Schriftsteller nicht beweispflichtig sein sollten - für die Darstellung heikler Themen wie Nationalsozialismus und Holocaust sind bestimmte literarische Techniken einfach nicht geeignet, findet Laurent Binet: 18 Laurent Binet (0:40) Oui, on est dans la croyance à ce niveau là ... Sprecher B: Da landet man bei der Glaubensfrage, ob Schriftsteller als Auserwählte hellseherisch erkennen können, was anderen verborgen bleibt. Bei Littell oder seinerzeit, 1952, in "Der Tod ist mein Beruf", Robert Merles Romanbiografie über Rudolf Höß, endet so was mit einem Mißverständnis: Merle, der Schriftsteller, tut so, als sei er der KZ- Kommandant von Auschwitz. Aber als Autor in die Rolle des Täters zu schlüpfen, mich in ihn hineinzuversetzen, das habe ich bewußt vermieden. Es galt einer Versuchung zu widerstehen, die sehr stark ist und deshalb auch gefährlich, manchmal geradezu pervers: das ist der innere Monolog. ... qui est le monologue interieur, si vous voulez. Sprecher A: Mehr als nur literarische Technik, eine Neudefinition dessen, was "kollektive Erinnerung" genant wird: an die Stelle der authentischen Opfererfahrung tritt die fiktive Innenschau der Täter - was Jonathan Littell in einem Interview ausdrücklich bestätigt hat. Zitator: "Man kann sagen, daß Aue für mich ein 'mögliches Ich' darstellt. Was wäre geschehen, wenn ich nicht 1967 in Amerika, sondern 1913 in Deutschland auf die Welt gekommen wäre? Mit dieser Frage habe ich mich Max Aue genähert. Er betreibt seinen Nationalsozialismus mit der gleichen Aufrichtigkeit, mit der ich mein humanitäres Engagement betrieben habe. Darum geht es in meinem Buch." (http://lesesaal.faz.net/littell/article.php?txtid=maxaue) Sprecher A: Und bei diesem Versuch der Einfühlung in den Massenmörder, der literarischen Rekonstruktion von Tätererfahrungen zieht Littell alle Register. Das ist zumindest auf den ersten Blick überhaupt nicht verwerflich: Schließlich ist der zeitliche Abstand zur Epoche der Shoah und der Menschheitsverbrechen des Zweiten Weltkriegs so groß geworden, daß es kaum noch direkte Zeugen gibt. Um also möglichst hautnah dabei zu sein, braucht es einen Romanhelden, einen Zeitreisenden für die Erkundungstour durchs Dritte Reich. Das entspricht durchaus dem Geschmack des Geschichtswissenschaftlers Stefan Martens: 19 Stefan Martens (0:45) Wie kann ich einer Person von der ich schriftlich keine Überlieferung habe, von der ich keine andere Information habe, wie kann ich ihr gerecht werden in ihrem Denken und ihrem Handeln? Und da ist unter Umständen der Weg über die Literatur, über eine "docufiction", wie das hier in Frankreich im Fernsehen heißt, durchaus eine Möglichkeit. Es soll ja zum Nachdenken über die Person anregen, es ist noch nicht in dem Sinne tatsächlich das endgültige, letzte Wort. Aber wenn ich nur die Hälfte weiß und Ideen habe, wie es unter Umständen in diesem Mann oder in dieser Frau zu diesen Ideen gekommen sein kann, dann muß ich eine Form finden, wie ich das dem Publikum mitteile. Wenn ich es als Historiker tue und keine Belege dafür habe, dann werde ich bei meinen Kollegen und in der Wissenschaft unglaubwürdig. Also ist eine literarische Form vielleicht ein Kompromiß. Sprecher A: Allerdings sollte dabei kein fauler Kompromiß zuungunsten der Geschichtsschreibung herauskommen, wie ihn Laurent Binet bei Jonathan Littell ausmacht: Für dessen Roman durften Historiker an Kenntnissen über den Zweiten Weltkrieg zuliefern, was der Autor dann groß- und eigenmächtig verwendete: 20 Laurent Binet (0:32) Que c'était une espèce de décor ... Sprecher B: Er macht daraus eine Art Bühnenbild für die Abenteuer des Max Aue. Das nenne ich Instrumentalisierung der Geschichte: Man fügt einiges hinzu, bläst die Dinge auf, für einen Hollywood-Effekt. Ich selbst war auch mit dem Problem konfrontiert bei Szenen, die spektakulärer hätten ausfallen können: Wenn der tschechische Agent bei seiner Flucht fünfzig Schüsse abgibt und keinen einzigen Deutschen verletzt, dann wäre es für den Mythos günstiger, wenn er wenigstens 45 getroffen hätte. ... si on a abattu quarante-cinque. Sprecher A: Da blitzen bei Binet, dem jungen Schriftsteller, die eigenen Erfahrungen mit Actionfilmen und Computerspielen auf. Und diese Einflüsse, diesen zeitgenössischen Typus des "ego-shooter" muß in Rechnung stellen, wer der immer wieder aufkommenden Nazi- Faszination auf den Grund gehen will. Binet sieht überhaupt keine Probleme bei literarischen Anleihen in der virtuellen Welt oder der Fernsehkultur. Und außerdem sind das ja auch für Historiker beachtenswerte Quellen - oder könnten es zumindest sein. 21 Laurent Binet (0:30) Pour la couche de pensée imaginaire ... Sprecher B: Angesichts der Vorstellungswelt meiner Generation, die mit einer Unmenge von Bildern des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen ist, finde ich es amüsant, wenn ich gefragt werde, woher mein Interesse für diese Epoche rührt. Diese Zeit ist und bleibt nun einmal ein Reservoir für vielerlei Bilder und Geschichten, mit wirklich schrecklichen, aber auch burlesken Episoden. Die beiden größten Kinoerfolge in Frankreich waren Komödien über den Zweiten Weltkrieg: "Die große Sause" und "Papy fait de la résistance". ... "Papy fait de la résistance". Sprecher A: Eine operettenhafte Burleske, gegen die Heydrichs Wochenschau-Inszenierung bei seinem Besuch in Paris im Mai 1942 trotz unterlegter Musik nie und nimmer wird mithalten können - auch wenn sich der kurze Streifen der "actualités" via Internet beim französischen INA-Archiv, dem Institut national de l'audiovisuel kostenlos abrufen läßt. 22 Actualités - Heydrich à Paris (0:40) (evtl unterlegen) Sprecher A: Schwarzuniformierte SS-Männer stecken auf Landkarten Aktionsräume ab, Heydrich begrüßt per Handschlag René Bousquet, den französischen Generalsekretär der Polizei, dann werden die akkurat aufmarschierten Sturmtruppen inspiziert und anschließend sitzen die Herren mit Kognak und Zigarre beisammen. Das einzige, was dem Schriftsteller Binet dazu einfällt: Zitator: "Dieses Treffen zwischen Heydrich und Bousquet hat mich schon immer stutzig gemacht, zu gern besäße ich die Gesprächsprotokolle." (Laurent Binet, HHhH, Berlin 2010, Rowohlt, übersetzt von Mayela Gerhardt) Sprecher A: Das ist enttäuschend, denn lesen lassen sich auch Bilder und Filme. Das hätte der junge Laurent Binet vor dem Fernsehapparat lernen können, bei dem Historiker Marc Ferro und seiner Sendung "Histoire parallèle", die zwischen 1989 und 2001 wöchentlich auch von ARTE ausgestrahlt wurde. 23 Marc Ferro (0:52) Dans le films traditionnelles de l'histoire ... Sprecher D: In den traditionellen Geschichtsfilmen gab es einen Kommentator, der Sie an die Hand nahm. Er gab die Richtung vor, den Sinn der Geschichte. Da wurde nicht diskutiert. "Histoire parallèle" war umgekehrt: Wir zeigten jeweils die deutsche und die französische Wochenschau, natürlich komplett, nicht nur das Kriegsgeschehen. Und ich lud einen Gast ein, das Gesehene mit mir zu diskutieren. So konnte sich jeder Zuschauer sein eigenes Bild davon machen, wie die deutsche und die französische Propaganda vorgingen. Das interessierte nicht wenige: sie hatten früher einmal hingeschaut, daran geglaubt oder nicht, aber nie darüber nachgedacht. Und diese Methode war damals doch recht erfolgreich. ... a eut un certain succès à l'époque. Sprecher A: Vorbei die aufgeklärten Fernseh-Zeiten. Heute gilt: "Immer wieder Nazis". Wo Hitler, Himmler, Göring oder zumindest Eichmann drin sind, wo Hakenkreuz oder SS-Runen auf dem Cover prangen, sehen Verleger und Produzenten Chancen auf steigende Umsätze und höhere Quoten. Stefan Martens vom Deutschen Historischen Institut hat das oft genug erlebt: 24 Stefan Martens (0:37) Die Ereignisse bis 1945 sind so sprechend, so schlagend, daß man dafür auch ein Fernsehpublikum findet. Mit dem Zweiten Weltkrieg schaffen Sie die Prime Time! Und deswegen auch in den letzten Jahren dieses verzweifelte Bemühen: nach dem fünfzigsten Jahrestag war es der sechzigste, jetzt ist es der siebzigste. Ich habe mit mehreren Fernsehsendern zu tun gehabt und mit mehreren Kollegen, die in dem Bereich arbeiten, die mir immer wieder sagen, ich muß mir Themen überlegen, wo ich als erstes an dieser Hürde gemessen werde: wie hoch ist die Einschaltquote? Und das ist leider heutzutage mit Themen der fünfziger und sechziger Jahre schwierig zu erreichen. Sprecher A: Also geht es immer wieder und überall um "la Seconde Guerre Mondiale", den Zweiten Weltkrieg. Auch wenn Norman Mailer, hartgesottener Kenner der Materie, schon sehr früh davor warnte: Zitator: Der Zweite Weltkrieg hatte die Wirkung eines Spiegels für die menschliche Situation, und jeder, der hineinschaute, erblindete. 25 Dominique Sigaud (0:31) Je ne supporte pas cette expression .... Sprecherin C: Ich mag diesen Begriff "Zweiter Weltkrieg" nicht hinnehmen, seit langem schon. Denn er ist falsch, ist Teil dieser Ausdrucksweise, die die Dinge nicht bei ihrem Namen nennt. Ich bin damit aufgewachsen, ich weiß, wovon ich rede. Schlimm genug, daß wir die Dinge nicht beim Namen nennen. Aber man bringt es auch den Kindern in der Schule bei. Denn nur vom Zweiten Weltkrieg zu reden, nur die militärischen Fakten zu erwähnen, das erlaubt am Ende, die Shoah aus dem Gedächtnis zu streichen. ... ca permet ensuite l'effacement de Shoah. Sprecher A: Die Journalistin Dominique Sigaud wendet sich gegen Bestrebungen, in den französischen Schulbüchern den Begriff "Shoah" durch das neutrale, auf jede Art von Vernichtung oder Zerstörung zutreffende "anéantissement" zu ersetzen. In ihrem Buchessay "Franz Stangl et moi" reflektiert sie ihr eigenes und damit auch das Verhältnis der gesamten Gesellschaft zum KZ-Kommandanten Franz Stangl, einem von den ganz wenigen Massenmördern, die immerhin ansatzweise eine gewisse Schuld anerkennen wollten, sich aber letztendlich doch der Verantwortung entzogen mit der Behauptung, nur auf Befehl gehandelt zu haben. Ein weitverbreitetes Verhaltensmuster, das nach Ansicht von Sigaud durch unklare Begriffe gedeckt wird: Massentötungen von Zivilisten, Vergewaltigungen oder ähnliche Gewalttaten fallen etwa aus dem Rahmen, der durch einen Begriff wie "Krieg" abgesteckt wird. Das Vertrauen in die Sprache stellt Alexis Jenni, der Träger des Prix Goncourt 2011, mit seinem Debütroman "L'art francais de la guerre" in Frage. Seine Geschichte eines französischen Fallschirmjägers, der in den vielen Kriegen des 20. Jahrhunderts kämpfte, brachte den 1963 geborenen Autor am Ende zu der Erkenntnis: 26 Alexis Jenni (0:35) Le problème de ces guerres interminables ... Sprecher D: Das Problem dieser endlosen Kriege ist, dass wir nicht darüber erzählen können. Es ist doch eigenartig: Ich kenne diese Kriege nicht, denn ich bin erst danach geboren. Ich erzähle etwas, bei dem ich nicht dabei war. Aber, so scheint mir, es gibt Phantome, die umherschweben, in den Beziehungen, in der Sprache, die wir gebrauchen. Diese Geister verlangen, daß von ihnen erzählt wird. Und sie drängen sich weiter zwischen uns. ... continuent à flotter entre nous. Sprecher A: Jonathan Littell hatte mit seiner fiktiven Figur nicht Geistern, sondern einer sehr realen Gestalt, dem Typus des Massenmörders eine Stimme geben wollen - und ließ sich dabei bedingungslos auf dessen vermeintliche Tonlage ein: gespreiztes Bildungsvokabular, Kasinowitzchen und gemeines Landserdeutsch, verrührt zu einer Melange, einer Kunstsprache, die den Tätern als bloßes Dekorum anhaftet wie die Litzen und Kragenspiegel ihrer schwarzen Uniformen. Alexis Jenni dagegen, Biologe von Beruf, seziert nach jedem Kapitel Vorgänge und Verhaltensmuster seines Romans in einem anschließenden Kommentar. Und kommt zu dem Befund: Zitator: "Gewaltsame Abschnitte der Geschichte haben eine ganz banale Folge. Bislang verbreitete Begriffe werden von einer Art Thrombose heimgesucht: der Sinn dieser Worte kann nicht mehr zirkulieren, das geronnene Blut verstopft alles. Diese abgestorbenen Worte kann man nicht mehr verwenden ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Sie sind immer noch da, man vermeidet sie, macht einen großen Bogen - und markiert genau dadurch ihre sorgsam verleugnete Existenz. Oder man verwendet Umschreibungen und stolpert eines Tages, weil man vergessen hat, daß man sie nicht sagen darf. Man benutzt aus Versehen ein totes Wort, das mitgeschleift wurde. Man hätte es nicht verwenden sollen, aber nun ist es einmal gesagt. Man würde es weiter gebrauchen, aber das geht nicht, denn es ist beladen mit Geschichte, mit Blut. Es bleibt also da, dieses moribunde Wort. Verdorben durch die Blockade dessen, was eigentlich zirkulieren sollte, bleibt es da, als drohender Infarkt, als Gefahr für jedes Gespräch." (Alexis Jenni, L'art français de la guerre, Paris 2011, Gallimard, übersetzt vom Autor) Sprecher A: Das sind Sprachbilder, die die jüngste Geschichte ebenso spiegeln wie den Zustand der Nachkriegsgesellschaft. Und welche Gesellschaft befände sich nicht in einem Zustand nach einem Krieg? 27 Alexis Jenni (0:44) Ca correspond à une angoisse intime ... Sprecher D: Es gibt da eine sehr vertraute Angst, die Angst vor einem Aussetzen der Sprache. Das wäre, glaube ich, mein größter Schrecken. Ich habe zwar den Willen, daß es weiter geht, daß die Sprache funktioniert. Aber in dieser Sache, wenn es sich um Krieg, Geschichte und so fort dreht, gibt es Wortfallen, Worte, die man nicht sagen, Dinge, die man nicht benennen kann. Und ein Ziel der Arbeit an meinem Buch "L'art francais de la guerre" war, diese Worte zu identifizieren, zu fragen, warum schaffe ich es nicht, so etwas zu sagen? Um am Ende die Sprache wieder in Bewegung zu versetzen. ... pour continuer à faire tourner le langage. Sprecher A: Nur von dieser Seite her - durch bewußten Umgang mit der Sprache - kann Literatur kompensieren, was dem Menschen nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts schmerzlich fehlt: die magische Kraft des Erzählens. Voraussetzung dafür war einst das direkte Erlebnis, die ungebrochene Erfahrung. Deren Wert aber geriet bereits nach dem Ersten Weltkrieg rapide in Verfall, niemand hat das besser erkannt als der Kulturphilosoph Walter Benjamin: Zitator: Nie sind Erfahrungen gründlicher Lügen gestraft worden als die strategischen durch den Stellungskrieg, die wirtschaftlichen durch die Inflation, die körperlichen durch die Materialschlacht, die sittlichen durch die Machthaber. (Walter Benjamin, Der Erzähler; in: Gesammelte Schriften, Bd II, Ffm 1977, Suhrkamp) Sprecher A: Vor diesem Hintergrund, mit Blick auf Jonathan Littells SS-Offizier Max Aue und ähnlich skandalträchtig aufgebauschte literarische Erfindungen angeblich authentischer Nazi-Verbrecher läßt sich aus Alexis Jennis nüchternem Roman eine Art literarischer, ästhetischer oder auch gesellschaftlicher Imperativ ableiten, eine Moral von der Geschichte, der jüngsten französischen Literaturgeschichte: Sprecherin C: Aufs Erzählen kommt es an, viel mehr noch als auf das Erzählte. Empört euch nicht nur darüber, was jemand zeigt, worüber jemand schreibt. Sondern achtet vor allem darauf, wie er es tut. 2 25