COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 08. Dezember 2008, 19.30 Uhr Ausgezeichnet? Kulturförderung durch Kulturpreise von Ulrike Köppchen Atmo: Für seine unvergleichlich schöne, poetisch beseelte und von wachem, kritischem Geist erfüllte Theaterarbeit erhält.... den von der Akademie der Künste ausgerichteten Konrad-Wolf-Preis 2008 (Applaus und Jubel) Über Applaus: Sprecher vom Dienst: Ausgezeichnet? Kulturförderung durch Kulturpreise Eine Sendung von Ulrike Köppchen Sprecherin: Berlin, 19. Oktober 2008. Auf der Bühne im großen Saal der Akademie der Künste steht ein kleiner Mann mit zerbeulter Hose, zerknittertem Hemd und Turnschuhen, der angesichts der lobenden Worte den Kopf schüttelt und sich immer wieder an die Stirn schlägt. Dann nimmt der britische Schauspieler, Regisseur und Autor, Simon McBurney einen der wichtigsten Kulturpreise entgegen, die in Deutschland für Darstellende Kunst vergeben werden: den Konrad-Wolf-Preis. Atmo hoch (bei ca. 0:45): Thank you, thank you very much Sprecherin: Eine Szene, wie sie sich statistisch gesehen jeden Tag mehrere Male irgendwo in Deutschland abspielt: ein Autor, Maler, Bildhauer, Regisseur oder auf sonstige Weise um die Kultur verdienter Bürger erhält einen Preis für sein jüngstes oder sein Lebenswerk, für sein Engagement für kranke Kinder oder die Demokratie. Das Spektrum der Preise reicht dabei vom Büchner-Preis für Literatur über den Preis für Fußball-Kultur bis hin zu Auszeichnungen wie etwa dem Koblenzer Altstadtpreis. Für den jeweils Geehrten bedeutet das Anerkennung, öffentliche Aufmerksamkeit und in der Regel auch ein mehr oder weniger stattliches Preisgeld. Seit 1978 wird über die Zahl der Preise Buch geführt. 1. O-Ton: Wiesand Damals waren es etwa 780. Wenn Sie fragen, wie ist es denn heute, dann kann ich Ihnen sagen, dass es nach dem aktuellen Stand der Handbuch für Kulturpreise - Datenbank wir etwa 3000 Namenspreise haben heute und etwa 5.500 Maßnahmenpreise. Es ist also eine ganze Menge mehr geworden. Sprecherin: Andreas Johannes Wiesand, Leiter des Zentrums für Kulturforschung in Bonn. Die einzelnen Bereiche werden bei der Preisvergabe nicht gleichmäßig berücksichtigt. Am häufigsten werden spartenübergreifende, allgemeine Kulturpreise vergeben, direkt danach folgt bereits die Literatur als derjenige kulturelle Sektor, der bei Preisen die größte Aufmerksamkeit und einen beträchtlichen Teil der finanziellen Mittel beansprucht. 2. O-Ton: Wiesand In anderen Ländern muss man sagen, ist die Zahl der Preise in aller Regel geringer. Zwar gibt's auch in Spanien viele 100, aber Spanien ist ja auch ähnlich wie wir ein föderalistisches Land, das spielt also mit hier herein, dass bei uns ja nicht nur der zentrale Staat und der vielleicht noch am wenigsten, sondern auch die Bundesländer, die Kommunen, die Landkreise und so weiter alle irgendwo daran mitwirken, abgesehen jetzt von den Privaten, die da auch noch dabei sind. Das ist also etwas, was unsere Preislandschaft wesentlich vielfältiger macht als die in anderen großen Staaten. Also vergleichsweise etwa Frankreich, wo man meistens sich wirklich nur um ganz wenige Preisnamen kümmert wie Prix Goncourt oder dergleichen. Sprecherin: Nun ist die Fixierung auf Preisstiftungen nichts Ungewöhnliches für eine Gesellschaft, die sowohl Rankings als auch Events liebt. Als Mittel der Künstlerförderung sind Kulturpreise - jedenfalls im hierzulande betriebenen Ausmaß - dennoch eher ein Sonderweg. Andere Länder gehen da etwas anders heran: Zum Beispiel werden in den Niederlanden "Starthilfen" für frisch ausgebildete Künstler vergeben, Finnland zahlt so genannte "Künstlerpensionen", und die Stipendienprogramme andernorts sind breiter angelegt und zentraler geplant. Allerdings hat Kulturförderung über Preisstiftungen durchaus auch ihr Gutes, weil sie die öffentliche Hand in höherem Maß verpflichtet: 3. O-Ton: Wiesand Das ist das Besondere am Preis. Eigentlich muss man sagen, die herkömmliche Förderung ist in der Regel zwar als Etatposten vorgesehen, da kann aber auch Null drinstehen, wenn mal große Sparzeiten kommen. Beim Preis ist das schwieriger, weil da hat man sich in aller Öffentlichkeit ja festgelegt, mit einer Satzung meistens und dann auch entsprechenden Positionen im Haushalt, dass der alle soundso viel Jahre in der und der Höhe verliehen wird. Also, den kann man weniger leicht einstellen als die Kulturförderung rauf- oder runterfahren Musikakzent 4. O-Ton: Heinrich Ich hab eigentlich überhaupt nie freiwillig gelesen und fand Bücher eigentlich auch relativ langweilig, bis ich irgendwann eines langweiligen Nachmittags mal ein Buch aus dem Schrank genommen habe, weil ich dachte, das machen andere ja auch, wenn ihnen langweilig ist. Und das war Stiller von Max Frisch. Das hab ich gelesen und danach dachte ich, ich will selber schreiben. Da war ich 17 oder so und hab dann einfach angefangen zu schreiben. Sprecherin: Das war vor neun Jahren. Heute ist Finn-Ole Heinrich 26 und kann auf zwei eigenständige Veröffentlichungen, einen Erzählband und den Roman "Räuberhände", zurückblicken. Finn-Ole Heinrich hat außerdem zahlreiche Poetry Slams gewonnen und in der Zwischenzeit noch ein Filmstudium absolviert. Und schließlich hat er trotz seiner jungen Jahre und seiner relativ kurzen Schriftstellerkarriere bereits einen ganzen Haufen Preise und Stipendien eingeheimst. Allein seine Preis-Liste 2008 kann sich sehen lassen: Da war Finn-Ole Heinrich nominiert für den Kranichsteiner Literaturpreis des Deutschen Literaturfonds, er gewann die Ausschreibung zum Erfurter Stadtschreiber, die Bremer Netzresidenz, den niedersächsischen Förderpreis für Literatur und den Publikumspreis beim MDR-Literaturpreis, kürzlich kam noch das Märkische Stipendium für Literatur hinzu. 5. O-Ton: Finn-Ole Heinrich Ich hab mich öfter schon als Kind der Literaturförderung bezeichnet, weil ich dann wirklich alle möglichen Nachwuchsförderungen so durchlaufen hab und ich weiß nicht, ob ich jetzt schreiben würde, wenn es das nicht gegeben hätte. Sprecherin: Bereits den ersten Text, den Finn-Ole Heinrich mit 17 geschrieben hat, schickte er an die Niedersächsische Stiftung für Literatur - und gewann prompt ein Stipendium. Vom Schreiben allein jedenfalls, sagt der junge Autor, könne man nicht leben: 6. O-Ton: Finn-Ole Heinrich Ich nicht. Daniel Kehlmann kann das bestimmt. Und noch ein paar andere, aber ich kann's nicht. Ohne Förderung müsste ich auf jeden Fall drei Tage die Woche kellnern oder so. Sprecherin: Preise zu gewinnen, ist da sehr hilfreich - allerdings noch nicht einmal in erster Linie wegen des damit verbundenen Preisgeldes, zumal die wenigsten Förderpreise wirklich gut dotiert sind: 7. O-Ton: Finn-Ole Heinrich Preise bedeuten halt immer ein bisschen Aufmerksamkeit. Erfurt zum Beispiel war ein klasse Beispiel dafür. Da war ich einfach in den Medien sehr präsent und das ist natürlich wichtig. Dadurch kriege ich bessere Lesungsangebote oder überhaupt mehr Lesungsangebote und die Verkaufszahlen steigen - minimal (lacht) Also, eigentlich ist das Buch wirklich in dem Rahmen, in dem ich das mit diesem tollen Verlag machen kann, nur eine Eintrittskarte in eine Welt von bezahlten Lesungen und Literaturpreisen und Stipendien, die dann in der Gesamtkalkulation einen Beruf ergibt, der mein Leben finanzieren kann. Musikakzent Sprecherin: Kulturpreise werden nicht nur verliehen, um einzelne Künstler zu fördern oder die Produktion von Kulturgütern, von Büchern, Musik- oder Theaterstücken oder Gemälden voranzutreiben. Kulturpreise sagen auch viel über die jeweilige gesellschaftliche Verfasstheit aus. Wer oder was zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgezeichnet und geehrt wird, ist mehr als Zufall oder reine Geschmacksache der Juroren, sondern auch ein Gradmesser der kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung insgesamt. Andreas Johannes Wiesand vom Zentrum für Kulturforschung: 8. O-Ton: Wiesand Als zum Beispiel in den 80er Jahren plötzlich in weitaus stärkerem Maße als vorher Politiker wesentliche Kulturpreise bekommen haben, fanden wir das doch einen ganz interessant. Die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts, das war ja die Zeit nach der Wende in Westdeutschland und da spielte natürlich ein bestimmtes Staatsverständnis, ein bestimmtes Traditionsverständnis offensichtlich eine ziemlich wichtige Rolle. Die Preisvergeber haben sich da wohl kräftig auch um Gutwetter in der Politik bemüht, während die Zeit der großen Namen in der Literatur zum Beispiel ein bisschen so im Abebben waren. Früher standen da halt Heinrich Böll und Günter Grass immer an der Spitze unserer Preisträgerpyramide und das war dann so der Moment, wo die Ablösung der großen Namen dieser Nachkriegsgeneration passiert ist. Sprecherin: Schließlich lässt sich mit Kulturpreisen auch in hohem Maße symbolische Politik betreiben - und das seit alters her: 9. O-Ton: Leitgeb Preiswesen gibt es seitdem wir Olympia kennen. Leute wollten die Besten sein, die Schnellsten sein, sie wollten sich auszeichnen lassen, sie wollten den Besten unter sich küren. Sprecherin: Hanna Leitgeb hat ihre Doktorarbeit über die Geschichte von Kulturpolitik und städtischen Literaturpreisen geschrieben. Heute leitet sie das Berliner Büro der Verlage DVA und Siedler. Bereits in der Antike, sagt Hanna Leitgeb, hätten Cäsaren, Adlige und reiche Bürger Künstlerwettbewerbe veranstaltet, bei denen dann der Beste gekrönt wurde. Eine frühe Form der Kulturförderung... 10. O-Ton: Leitgeb Nicht in dem Sinne, wie wir heute sagen würden, dass man eingreifen muss, um Leute vor dem Hartz IV-Schicksal zu retten, sondern das ging eigentlich schon darum, Ruhm zu verteilen, Unsterblichkeit zu schaffen. Sprecherin: Die materielle Förderung von Künstlern unter sozialen Gesichtspunkten spielte dagegen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein keine Rolle. Der Staat fühlte sich dafür nicht zuständig. 11. O-Ton: Leitgeb Büchner ist elendig verreckt. Der hat kein Geld für Medizin bekommen. Das hat niemanden groß interessiert. Heute ersterben wir in Ehrfurcht vor den Worten, die ein 23-Jähriger setzen konnte, aber damals gab's offensichtlich keinen Talentscout und kein open mike oder sonst was da, wo er hätte Unterstützung erfahren können. Sprecherin: Fast hätte Georg Büchner aber doch einmal einen Preis gewonnen. Seine Komödie "Leonce und Lena" verfasste er, um damit an einem Preisausschreiben der Cottaschen Verlagsbuchhandlung teilzunehmen. Doch Büchner verpasste den Einsendeschluss und erhielt das Manuskript ungelesen zurück. Solche Preisaufgaben stellten damals vor allem Verleger und Theaterleiter, um die Produktion von Literatur und Bühnenwerken voranzutreiben. Der erste moderne staatliche Literaturpreis, der Schillerpreis, der 1859 vom späteren Kaiser Wilhelm I. gestiftet wurde, hatte dagegen vor allem die Funktion eines kulturpolitischen Lenkungsinstruments, mit dem - den nach der gescheiterten Revolution von 1848 potenziell rebellischen, national-demokratischen Kräften - der Wind aus den Segeln genommen werden sollte. Hanna Leitgeb: 12. O-Ton: Leitgeb Der Kaiser oder seine Berater haben dann gedacht, wir nehmen den Schiller als unseren Helden und stiften den Schillerpreis und hat ihn dann Dichtern gegeben, die ganz und gar nicht schillerisch-rebellisch waren, sondern sehr brav waren und damit eigentlich das ganze Unterfangen konterkariert haben. Sprecherin: Doch so leicht machte es das selbstbewusste Bürgertum, machten es die Künstler der Obrigkeit nicht mehr. 13. O-Ton: Leitgeb Die Dynamik, die dann in Gang gesetzt wurde, war dass der Volksschillerpreis gegründet wurde, weil man gesagt hat, wir lassen uns vom Kaiser nicht den preiswürdigen Dichter vorschreiben, sondern das können wir selber, und die Schillerverbände haben dann einen eigenen Preis gestiftet und dann ging das plötzlich los, dass da auch Schriftstellerverbände, die Intellektuellen sich selbst überlegten, dass sie Preise an Dichter vergeben können und ein Zeichen setzen damit. Das war damals sehr wichtig, sehr umkämpft: wer hat eigentlich die Legitimation, eine Auszeichnung zu vergeben? Sprecherin: Nach dem Ende des Kaiserreichs reihten sich dann auch die Städte und Kommunen in diese Reihe der "legitimen Preisstifter" ein. In der Zeit des Nationalsozialismus kamen politische Verbände als Preisstifter hinzu, und in der Wirtschaftswunderzeit schließlich wurden Preise der Wirtschaft und der Wirtschaftsverbände gegründet, so dass heute eine unüberschaubare Vielfalt von Preisstiftern existiert und neben der symbolischen Bedeutung und der Künstlerförderung vor allem der PR-Aspekt bei Kulturpreisen immer mehr in den Mittelpunkt rückt. So wie in der Antike die preisgekrönten Dichter dazu benutzt wurden, um das Hohelied des Herrschers zu singen, dienen Kulturpreise heute ihren Stiftern auch und manchmal sogar vorrangig zur Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache. Nicht zu jedermanns Gefallen: 14 a O-Ton: Als mich Wulf Kirsten anrief, um mir die Juryentscheidung mitzuteilen, löste er große Freude bei mir aus. Der Preis, sagte er dann, sei mit 6000 Euro dotiert, das Geld käme von EON Thüringer Energie. Er fragte, ob ich den Preis annehmen würde. Ich freute mich über die Anerkennung, nahm den Preis an und empfand zugleich einen Zwiespalt, in dem ich mich immer noch befinde. Sprecherin: Der Schriftsteller Ingo Schulze anlässlich der Verleihung des Thüringer Literaturpreises 2007. 14b O-Ton: Schulze Mich stört, dass wir dabei sind, das aufzugeben, was in einem langen Prozess erkämpft worden ist, nämlich dass der demokratische Staat seine Verantwortung wahrnimmt, nicht nur für die Künste. Mich stört, dass es kaum noch einen Ausstellungskatalog gibt ohne das Logo oder den Namen einer Firma, beinahe jedes Festival oder Gastspiel gibt zu Beginn die Liste seiner Sponsoren bekannt. Sprecherin: Schulzes Klage über diese, wie er sagt, "Refeudalisierung" des Kulturbetriebs bezieht sich auf einen Trend, der angesichts leerer öffentlicher Kassen auf absehbare Zeit wohl kaum umkehrbar sein wird. Andreas Johannes Wiesand: 14. O-Ton: Wiesand Man kann natürlich schon sehen, dass es ganz eindeutig einen Trend zu Public- Private-Partnership-Preisen gibt. Das heißt also, dass sich Öffentliche und Private bei der Vergabe eines solchen Preises bestimmte Aufgaben teilen. Speziell auch auf der städtischen Ebene ist das auch in einigen Fällen geschehen. Sprecherin: Jüngstes und prominentestes Beispiel für einen PR-Preis ist der Deutsche Buchpreis, mit dem der Börsenverein des Deutschen Buchhandels jährlich den "besten deutschsprachigen Roman" auszeichnet. 15. O-Ton: Löffler Der Deutsche Buchpreis ist ein Verkaufspreis. Hinter dem stehen ja unglaubliche Marktkräfte, da steht einerseits dahinter der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, die Stadt Frankfurt, die Frankfurter Buchmesse und da gibt's ein Riesen-Netzwerk, die haben ja alle möglichen Institute und Instanzen ins Boot geholt, alle Medien, die Sendeanstalten, die Radioanstalten, das Fernsehen, alle die helfen natürlich mit, diesen Preis auszutrompeten und ihm eine große Publizität zu verschaffen. Aber das gibt ihm noch lang keine große Dignität. Sprecherin: Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler. Ein Preis, der allein dazu dient, ein Buch zu verkaufen und dafür eine gigantische Medienmaschine in Gang setzt. Eine Inszenierung, die in mancherlei Hinsicht an "Deutschland sucht den Superstar" erinnert, mit Longlist, Shortlist und dem großen Finale in Anwesenheit aller Endrundenteilnehmer. Das Konzept geht auf: das ausgezeichnete Werk findet sich schon wenige Tage später auf der Bestsellerliste. Aber natürlich bleibt es nicht unwidersprochen. So schrieb der Schriftsteller Daniel Kehlmann vor wenigen Monaten in der FAZ von einem für die Nominierten "entwürdigenden Spektakel" und sprach sich für die Abschaffung dieses Preises aus. Seine Autorenkollegin Monika Maron äußerte ähnliches: Zitatorin: Es geht nicht um Literatur, sondern um die Verkäuflichkeit von Literatur ohne großen Aufwand, vom Stapel weg wie die neueste Single vom neuesten Superstar. Diese krawallige Castingshow dient weder den Verlagen noch weniger den Autoren, sondern vor allem den bestsellersüchtigen Buchhandelsketten, deren vielgeschmähtes Geschäft wir mit diesem Preis nun aber selbst auf die Spitze treiben. Sprecherin: Gelegentlich treibt das Bedürfnis der Sponsoren, mit Kulturpreisen Werbung in eigener Sache zu machen, seltsame Blüten. So sponsert beispielsweise ausgerechnet der Automobilkonzern BMW den so genannten Clean Energy Award, mit dem ein dem Umweltschutz verpflichteter Film ausgezeichnet werden soll. Die Pressemitteilung 2008 zur Preisverleihung erwähnte zwar pflichtschuldig den Preisträger - den Dokumentarfilm "Unsere Erde" -, dominiert wurde sie jedoch von einem Foto, auf dem die Star-Sopranistin Anna Netrebko aus einem wasserstoffbetriebenen BMW herauslächelt. Musikakzent Sprecherin: Seit es Kulturpreise gibt, wird über sie gestritten. Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler beispielsweise stört sich vor allem an den gemischten Jurys aus Politikern und Fachleuten, die bei Preisen, die von der öffentlichen Hand gestiftet werden, die Regel sind: 16. O-Ton Löffler: Da lädt sich dann eine Stadt, eine Kommune so zwei, drei Fachjuroren ein und dann sitzen da aber sämtliche Fraktionen der Stadtverwaltung, der Stadtpolitik, der Stadtregierung mit drin und das können dann auch bis zu einem Dutzend Leute sein Dann stellt sich heraus, dass natürlich die politischen Vertreter oft ja sehr wenig literarisch beschlagen sind, aber von keinerlei Selbstkritik getrübt, das heißt sie quatschen überall mit, obwohl sie keine Ahnung haben, besonders mühsam wird's, wenn dann die Grünen mit drin sind, denn die verfahren dann basisdemokratisch und wollen dann jeden Autor, der da genannt wird und den sie natürlich nicht kennen, dann in der ganzen Fraktion auch gelesen haben. Sprecherin: Das Schlimmste, was sie in dieser Hinsicht jemals erlebt habe, sagt Sigrid Löffler, sei die Jury des Heinrich-Heine-Preises der Stadt Düsseldorf 2006 gewesen, deren Mitglied sie war. Eigentlich ist der Heinrich-Heine-Preis ein allgemeiner Kulturpreis, der laut Statut an Personen verliehen wird, die "den sozialen und politischen Fortschritt fördern, der Völkerverständigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehörigkeit aller Menschen verbreiten" - de facto werden allerdings fast ausschließlich Literaten damit bedacht. 2006 entschied sich die Jury für den Schriftsteller Peter Handke, durch sein Engagement für Serbien in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit persona non grata. Politiker aller Parteien sprachen sich gegen eine Preisvergabe an Handke aus. 17. O-Ton: Löffler Der Skandal war natürlich nicht, dass Handke den Preis kriegen sollte, der Skandal war, dass alle Politiker mit ihrer Unterschrift einstimmig zugestimmt hatten und sich es nachher anders überlegt hatten. Und da sah man natürlich erstens die Ignoranz, zweitens die Banausie, drittens die Kämpfe innerhalb dieser Stadt, auch die Kämpfe gegen den damaligen Bürgermeister und es war eine viel zu große Jury und ich war ja vorher schon zwei- oder dreimal in dem Heine-Preis, das Problem dort ist, dass der Heine-Preis keine guten Statuten hat. Die Statuten sind viel zu unklar und zu unscharf und zu vage formuliert, ich hab da schon Sitzungen erlebt, wo die Leute mit Vorschlägen gekommen sind, Namen vorgeschlagen haben, die einfach lächerlich waren, da schlägt der eine Katja Ebstein vor und der andere Michail Gorbatschow, also da fragt man sich ja wirklich, wie man da auf einen grünen Zweig kommen soll. Sprecherin: Auf der anderen Seite wird Jurys, die nur aus Fachleuten oder Insidern der jeweiligen Branche bestehen, gern der Vorwurf gemacht, sie betrieben Mauschelei und Cliquenwirtschaft. 18. O-Ton Löffler: Ich erinnere mich, in den 80er Jahren, da ist es vorgekommen, dass drei Jahre hintereinander der Büchner-Preis an einen Autor des Hanser-Verlags ging, an Albert Drach, an Botho Strauss, an Tankred Dorst, 1988-90, da haben sich schon bestimmte Leute nachher gefragt, ob es nicht damit zusammenhängt, dass der Verleger des Hanser-Verlags, Michael Krüger, da in der Jury saß, man fand das vielleicht nicht so gut, dass der Hanser-Verleger da seine eigenen Autoren mit rein reklamiert. Sprecherin: Hanna Leitgeb von der Deutschen Verlagsanstalt kann mit dem Vorwurf der Cliquenwirtschaft wenig anfangen. 19. O-Ton: Leitgeb Das interesselose Wohlgefallen, das gibt es natürlich in der Theorie, aber das ist immer so, dass in einem öffentlichen Raum Politik gemacht wird und auch Leute Meinungen haben und die Meinungen befördert werden. Das kann man dann mit Cliquenwirtschaft bezeichnen, das kann man auch mit Interessenspolitik bezeichnen, aber das hat es bestimmt vor 100 Jahren gegeben, das gibt es heute und das hat es bestimmt auch vor 2000 Jahren gegeben, also ich finde, das ist das natürlichste menschliche Bestreben, dass man seine Interessen durchsetzen will. Man muss halt nur aufpassen, dass das transparent ist, finde ich. Sprecherin: ... unter anderem, um diese Transparenz herzustellen, wurde in den 70er Jahren das Handbuch der Kulturpreise ins Leben gerufen. Dort ist verzeichnet, wer welchen Preis bekommen hat und wer jeweils in der Jury saß. Eine so genannte "Preisträgerpyramide" identifiziert die, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums mit den meisten Kulturpreisen bedacht wurden. Für die Jahre 1994 bis 2000 steht dort ganz oben mit 11 Preisen der Schriftsteller Arnold Stadler. An der Spitze aber auch eher unbekannte Personen, unter anderen: der Musikwissenschaftler Rüdiger Pfeiffer. 20. O-Ton: Wiesand Die da an der Spitze standen, waren solche, wenn ich das mal so mit Verlaub sagen darf, die das zum Teil sogar selber inszeniert und organisiert haben, dass sie möglichst viele Preise bekommen haben, weil die sich die gegenseitig wie soll ich das nennen, die zugeschanzt Jedenfalls sie haben dafür gesorgt, dass sie in genügend wichtigen, von ihnen selbst dann jeweils geleiteten Akademien und Preisträgergremien drin waren, um sich dann gegenseitig auch bedienen zu können. Sprecherin: Das Prinzip ist einfach: Man gründet eine Reihe von Vereinen oder Akademien mit einem möglichst klangvollen Namen und stiftet Preise, deren Namen fast identisch sind mit denen renommierter und etablierter Preises: Diese bedeutend klingenden, aber nicht bedeutenden Preise kann man dann "im kleinen Kreis" vergeben. So existiert beispielsweise neben dem Händel-Preis der Stadt Halle ein so genannter "Deutscher Händel-Preis" einer "Europäischen Barock-Akademie". Preisträger im Jahr 2000: Rüdiger Pfeiffer. Als Kanzlerin dieser "Europäischen Barock-Akademie" verzeichnet das Handbuch der Kulturpreise von 2001 eine Brunhilde Herms, die gleichzeitig als Geschäftsführerin einer von Pfeiffer geleiteten "Deutschen Fasch- Gesellschaft" auftaucht. Auch in der Liste der "Deutschen Fasch-Preisträger" steht der Name Pfeiffer: diesen Preis bekam er 1996. Musikakzent Sprecherin: Das System, Kultur über Kulturpreise zu fördern, hat also offensichtlich Schwächen und lädt auch zum Missbrauch ein. Um die Produktion von Kulturgütern anzuregen und Künstlern ihren Lebensunterhalt zu sichern, ist es dennoch notwendig. Oder nicht? Längst regt sich Widerstand gegen die vermeintlich "inflationären" Tendenzen bei der Preisvergabe - wiederum den Bereich Literatur betreffend. Bereits 1979 spottete die FAZ: Zitator: Eine Arbeitsgemeinschaft unausgezeichneter Autoren ist in Bingerbrück gegründet worden. In einem der Öffentlichkeit übergebenen Manifest heißt es, die Tatsche, dass es immer noch Autoren ohne Literaturpreise gebe, schreie zum Himmel und verstoße in eklatanter Weise gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes. Zu den Hauptforderungen der AUA gehört, dass zukünftig jeder Autor einen Literaturpreis erhalten soll. Der AUA gehören bisher drei Schriftsteller an, die Zahl der unausgezeichneten Autoren wird auf über 20 geschätzt. Sprecherin: Scharfe Geschütze gegen den ausufernden Förderbetrieb fuhren in jüngster Zeit die Kritiker Thomas Steinfeld von Süddeutschen Zeitung und der FAZ-Redakteur Oliver Jungen auf. Jungen beklagt, einen solchen Subventionsschub wie die "maßlose Literaturförderung" habe bislang allenfalls die Steinkohle erfahren, und diese Subventionierung hätte dazu geführt, dass Literaten einem Wanderzirkus gleich wie Lorbeersammler durch die Republik tingelten. Jungens Forderung ist drastisch: "Autorenförderung? Hungert sie aus!" Thomas Steinfeld kritisiert die Auswirkungen, die das Förderwesen seiner Auffassung nach auf die Qualität der produzierten Literatur hat: Sie bringe einen "ästhetischen Mittelstand" hervor in Gestalt von "mittleren Angestellten des originellen Einfalls, der treffenden Formulierung, des künstlerisch vermittelten Dabeigewesenseins." Hat der vielfach geförderte und ausgezeichnete Jung-Literat Finn-Ole Heinrich keine Angst, Teil des "ästhetischen Mittelstandes" zu werden? 21. O-Ton: Finn-Ole Heinrich Doch. Aber was wäre jetzt die Alternative? Ich glaube nicht, dass es so viel mit der Förderung zu tun hat. Ich halte das für ne relativ romantische und überholte Vorstellung, dass Existenznot tiefer greifende Kunst produziert. Oder dass man seichte Kunst fördert, indem man Kunst fördert, so. Sprecherin: Dennoch sieht auch er gewisse Gefahren und mögliche Auswirkungen auf die Qualität des Geschriebenen durch ein allzu ausuferndes Preiswesen: 22. O-Ton: Finn-Ole Heinrich Man muss da sehr aufpassen. Ich meine, auch dieses Gehätschelt-Werden und auf die Schulter geklopft bekommen für irgendwas, das ist ja immer die Gefahr, dass man einfach nur das repetiert, was irgendwie schon mal Anklang gefunden hat. Sprecherin: Der Kulturforscher Andreas Johannes Wiesand widerspricht der These von einer inflationären Preisentwicklung. Das möge vielleicht bei allgemeinen Kulturpreisen und unspezifischen Literaturpreisen zutreffen, in anderen Bereichen jedoch nicht: 23. O-Ton: Wiesand Wenn ich nicht einfach über Literaturpreise spreche, sondern über bestimmte Genres, beispielsweise über Lyrik oder was weiß ich, auch neuere Formen von Internet-Lyrik oder Internet-Literatur überhaupt, dann würde ich gar nicht sehr viele Preise finden in Deutschland. Also, je spezifischer ich werde, desto weniger gibt's. Suchen Sie mal die Zahl der wirklich qualifizierten Jazzpreise, da kommen Sie keineswegs auf mehr als auf zwei Hände voll solcher Preise in Deutschland und das ist schon hoch gegriffen. Also, man kann jetzt nicht sagen, dass in allen diesen Sparten der Kunst zu viele Preise herrschen, keineswegs. Sprecherin: Und selbst wenn - wo liegt dabei eigentlich das Problem, fragt Hanna Leitgeb. Der Markt wolle nun einmal gefüttert werden. Dass man mit mehr Literaturförderung tatsächlich auch mehr Spitzenliteratur hervorbringen könne, glaubt jedoch auch sie nicht: 24. O-Ton: Leitgeb Ich glaube, dass die Anzahl von Talenten in einer Gesellschaft mehr oder weniger gleich bleibt, und wie viele dann jetzt noch mit durchgefüttert werden, das ist natürlich über Literaturpreise oder über eine Förderung steuerbar. Aber wieso soll's die nicht geben? Mein Gott. Wenn ein Land so reich ist, sich das leisten zu können, den Menschen über diese Art und Weise der Subvention zu ermöglichen, das zu leben, ist doch schön! Deswegen wird das Gute ja nicht unterdrückt Sprecherin: Vielleicht wird es aber angesichts der ständig steigenden Masse an mehr oder weniger unsinnigen und überflüssigen Preisen, die die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen, irgendwann auch einfach nicht mehr wahrgenommen. Musikakzent Sprecher vom Dienst: Ausgezeichnet? Kulturförderung durch Kulturpreise Eine Sendung von Ulrike Köppchen Es sprachen: Viola Sauer, Birgit Dölling und Joachim Schönfeld Technik: Regine Kraus Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2008 1