DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Bitte berühren! Ein Wochenende auf dem Lande Ein Feature von Thomas Klug und Tim Lang Sprecherin: Camilla Renschke Sprecher Autor: Philipp Schepmann Ton und Technik: Karl-Heinz Stevens und Jana Brandt Regie: Ulrike Bajohr Los Angeles Guitar Quartett: Track 12: Habanera, 1´40 Arch. 6076370, LC 05307 Wolf Hoffmann: Classical , Take 7; 2` Blues for Elise. Arch. 6056642, LC 00539, Wolf Hoffmann: Classical , Take 6; 2`30 Bolereo Arch. 6056642, LC 00539, Musik: Wolf Hoffmann: Classical , Take 3; 2` Habanera Arch. 6056642, LC 00539, URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? DeutschlandRadio Sendung: 22. Mai 2009 /DLF Take 01 Christiane Ich denke, ich werde von meiner Umwelt und vor allem von meiner Verwandtschaft und Familie als geschlechtsneutrales Wesen wahrgenommen, denke ich, so ein Neutrum. Take 02 Andreas Ich habe mir das schon anders vorgestellt irgendwie, dass mehr Frauen da sind. Take 03 Erich Ja es ist für mich tatsächlich eine Berufung. Ja es ist auch etwas Eigennutz dabei für mich. Wenn ich nach Trebel fahre, das ist für mich wie eine Oase hier. Take 04 Kiana Hemmschwellen, Küssen sag ich jetzt mal. Ich sag jetzt mal einfach Küssen. Take 05 Lothar Die Regeln sind: wir verkaufen keine Illusionen, wir sind ehrlich. Autor: Bitte berühren. Ein Wochenende auf dem Lande. Ein Feature von Thomas Klug und Tim Lang Take 06 Christiane Ich würde sagen, Trebel ist nicht die Wundertüte, es gibt keine Wundertüte für kein Problem auf der Welt. Die Arbeit, die zu tun ist an einem selbst, die muss man doch selbst machen. Aber ich glaube, dass Trebel für jemanden wie mich ...Es gibt, was man ja auch hier in Trebel sieht, es gibt ja noch mehr Leute mit den gleichen Problemen, wie ich, dass Trebel für die Problematik der geeignetste Ort ist, auch die geeignetste Herangehensweise, die Probleme zu lösen. Sprecherin Christiane wirkt streng, ihr Gesicht angespannt. Sie ist 46 Jahre alt, aufgewachsen in einem kleinen Kuhdorf im Mittelgebirge, wie sie sagt. Take 07 Christiane Der seelische Weg hierher ist weitaus länger und weiter und beschwerlicher, als dann der Weg mit einem Verkehrsmittel.... Die seelische Reise, die man hinter sich hat, eh man hier angelangt ist, die war viel länger, dauerte viel länger und war viel beschwerlicher, als jetzt die sechs, sieben Stunden Zugfahrt. Sprecherin Christiane hat sich ins Fernsehzimmer gesetzt, die Tür hinter sich geschlossen. Sie will erst einmal ankommen in der Fremde. Ein paar Minuten durchatmen. Take 08 Christiane Ich empfinde es im Moment als eine Parallelwelt. Es ist irgendwie ganz komisch. Sprecherin Und dann geht doch die Tür auf: Autor : Andreas. Er lächelt, fragt, ob er stört. Christiane schüttelt den Kopf. Andreas steuert auf den Tisch zu. Unsicher blickt er sich um. Er ist gespannt, auf das, was kommt. Take 09 Andreas Dass man hier mehr mit Menschen in Kontakt kommt. Man hat ja hier auch andere Teilnehmer, das hat man zu Hause nicht so. Ich bin jetzt das erste Mal seit langer Zeit wieder alleine von zu Hause weg. Autor : Sonst kommt er nur raus, wenn er auf Arbeit geht. Über seine Arbeit will er nicht reden. Da soll sich eh was ändern. Andreas winkt ab. Seit er vier ist kann er sich nicht mehr ohne Rollstuhl fortbewegen und hat Mühe beim Sprechen. Jetzt ist er 32 und wohnt immer noch bei seiner Mutter. Take 10 Andreas Erst mal habe ich ihr gesagt, dass ich nach Uelzen fahre. Dann hat meine Schwester doch rausgefunden, dass ich nach Salzwedel fahre. Aber wo ich genau bin, dass wissen die nicht. Manchmal kapiert sie nicht, dass ich erwachsen bin. Autor : Er dreht seinen Oberkörper zur Seite, rutscht nach links, stützt mit der rechten Hand seinen Kopf ab: Sprecherin Christiane ist aufgestanden. Sie braucht keine Ruhe mehr. Davon hat sie zu Hause genug. Jetzt ist sie hier. Take 12 Christiane Das ist so eine Abwägung: Will ich, dass es so weitergeht wie bisher. Oder lasse ich mich auf eine seltsame Situation ein, in der Hoffnung, dass sich das Leben mal zum Besseren wendet. Sprecherin Christiane schiebt sich ganz nah an die Tür heran, beugt sich nach vorn, umklammert die Klinke und geht ein paar Schritte zurück, damit der Türspalt groß genug wird. Sie braucht den ganzen Körper dafür. So kurz sind ihre Arme. Andreas fährt mit seinem Rollstuhl hinaus. Take 13 Andreas Schön, lange Beine, groß, schlank, blond. Haarfarbe ist ja egal. Oder rothaarig. 90 - 60 - 90. Autor : Schön, groß, schlank. Andreas lächelt und fährt davon. Sprecherin Christiane schüttelt den Kopf. Es geht doch nicht um Traummaße. Take 14 Christiane Wenn meine Leidensgenossinnen dann auf den Vereinssitzungen des Conterganverbandes mit ersten Freunden, Freundinnen kamen, dann haben meine Eltern das immer so dargestellt: Ach, die Freunde von Contergan- Geschädigten, das sind keine wirklich netten Menschen, das sind keine wirklichen Beziehungen, ach, das geht sowieso bald in die Brüche alles. Das kann man nicht als normale Beziehung werten. auf Musik: Sprecherin Trebel. Ein Dorf im Wendland. Ein Haus am Waldrand. Inzwischen ist es dunkel. In einer halben Stunde treffen alle zum ersten Mal zusammen. (Musik hoch und weg) Take 15 Lothar Sandfort Ich heiße Lothar Sandfort, bin Leiter des ISSB. Habe eine Ausbildung als Psychologe, bin Diplompsychologe. Sprecherin: ISBB. Institut zur Selbst-Bestimmung Behinderter. Jeder Raum behindertengerecht. Psychosoziale Seminare finden hier statt: Behinderung - Sexualität - Partnerschaft. Elternschaft. Wochenendkurse vermitteln tantrische Berührungs- /Atem/Massagetechniken. Autor Das Programm Lothar Sandfort aufgestellt. Es ist sein Institut. Seine Lebensaufgabe. Take 16 Lothar Sandfort Ich war ja schon gleich nach meinem Unfall auf der Suche nach anderen Menschen in ähnlicher Situation. Ich in dann erst in Clubs gegangen. Damals gab es Freizeitclubs. Da haben dann Behinderte und Nicht-Behinderte ihre Freizeit organisiert. Das war damals noch neu. Da bin ich hingegangen. Dann sehr schnell in die Beratung. Dann kam die Behindertenbewegung, dann kamen die Krüppelinitiativen. Wir waren ja nicht so weit von 68 entfernt. Da kamen noch die Inspirationen sich zu emanzipieren. Und da kamen wir auch als Behinderte auf die Idee. Das könnten wir doch auch machen. Jetzt nicht im Sinne, dass wir uns von den Nicht-Behinderten emanzipieren mussten. Das haben wir auch gemacht, in den Krüppelgruppen, aber das war nur so eine Phase, sondern mehr wie wir uns heute emanzipieren, von bestimmten Rollenfestlegungen. Autor : Er war 19 Jahre alt, ist in sein Auto gestiegen .... Am 17. Juli 1971 hat sich das Leben von Lothar Sandfort geändert. Vollkommen und ohne Vorwarnung. Take 17/18 Sandfort Zu jung... Dann ist der Reifen geplatzt. Ich war einfach noch nicht souverän genug, so eine Lappalie in den Griff zu bekommen und dann bin aus der Spur gekommen und so ging das dann weiter. Ich bin dann ja auch ins Koma gekommen. Manchmal sehe ich noch die Lichter des entgegenkommenden Autos. Autor : Das ist lange her. Er erzählt die Geschichte seines Unfalls, als wäre es die Geschichte eines anderen. Danach glaubte er, durch ein Psychologiestudium könne er sich selbst helfen. Beim Studium in Köln hat er gemerkt, dass es nichts wird, mit diesem "sich selbst heilen". Er hat das Diplom gemacht. Das Leben, sagt er, geht schließlich weiter. Er hat immer nach seiner Chance gesucht. 1985 hat er Ina kennengelernt. Take 20 Lothar Sandford 89 haben wir dann geheiratet und 90 kamen die Kinder, also die Zwillinge, 93 kam unser drittes Kind, das ist alles erkämpft. Beim Querschnittsgelähmten ist ja die Zeugung nicht so einfach. Und auch da haben ich dann mit Inas Hilfe zusammen die wunderbare Einrichtung der Insimination kennen gelernt und so haben wir unsere Kinder gekriegt. ... Das ist die medizinische Hilfe Samen zu gewinnen über einen speziellen Vibrator, nicht zu vergleichen mit dem Vibrator in der Erotik, ist schon ein medizinisches Gerät mit einer sehr hohen Frequenz, die dann auf die Eichel gesetzt wird. So werden die Hoden angeregt sich den Samen tatsächlich ergießen zu lassen und wenn er dann gut genug ist, dann wird er bei der Frau eingeführt. Er wird gewonnen und wird dann eingeführt. Also der biologische Akt ist unterbrochen dadurch, dass es dann die Zeit gibt im Joghurtbecher, wo das Sperma dann reift und dann eingeführt wird. Das nennt sich Insimination. Samen rein, heißt das Wort. Musik: Wolf Hoffmann: Classical , Take 6; 1´30 Bolereo Arch. 6056642, LC 00539, Take 21 Lothar Sandfort Das Nichtlaufenkönnen als Rollstuhlfahrer ist ein Problem, das relativ schnell in mein Leben integriert war. Dann kommt die Inkontinenz, das ist schon schwieriger. Am allerschwierigsten ist das Thema Sexualität, Potenz. Und das hat gebraucht. Und auch da war die Frage, wo ist die Chance. Und das Institut ist aus dieser Frage entstanden. Musik/Atmo 01 Autor : Freitag Abend. Das kühle Licht lässt den großen Raum karg erscheinen. Im Grunde zu karg für den ersten Punkt im Wochenendprogramm: die erotische Tafel. Sprecherin Christiane hört sich Dinge sagen, die sie bisher nur gedacht hat. Die Worte kommen ihr über die Lippen, erst zögernd, dann schneller. Sie spricht und guckt dabei nur manchmal zu den Menschen, die um sie herum sitzen, an den zusammen geschobenen Tischen. Sie sagt, dass sie schon lange Single sei. Sie spricht das "g" dabei ganz deutlich mit. Christiane hat keinen dieser Menschen je zuvor gesehen. Single. Sie mag das Wort nicht, sie mag den Zustand nicht. Am Ende sagt sie: Sie möchte hier gern jemand kennen lernen. Sie hält kurz inne, als wäre sie zu schnell zu weit vorgeprescht. Hugh, sagt sie noch. Das gehört hier zum Ritual. Keiner nimmt sie danach in die Arme, keiner sagt, das wird schon. ATMO 01: erotische Tafel/ Musik /01d hugh Autor : Andreas lächelt wieder. Sein Oberkörper windet sich zwischen den Armlehnen des Rollstuhls , die Finger spielen an der Unterlippe, als wollten sie die Worte aus dem Mund ziehen, jedes einzeln. Er sagt, er sei neugierig. Hugh. Die anderen antworten Hugh. Wie ein Kopfnicken. Hugh. Dann ist der nächste dran. ATMO 01: kurz hoch Autor : Uwe sitzt in seinem Elektrorollstuhl. Er schildert seine komplizierten Anfahrt. Pia sagt, dass sie sich freut, wieder hier zu sein. Und Erich erzählt, dass er aus der Schweiz kommt. Aber das hört man auch so. Arno, ein Mann mit großem Hörgerät und einem Mikrofon in der Hand, träumt davon, andere Menschen zu treffen. Dabei geht er einem ganz normalen Beruf in einer Behörde nach. Aber das sei etwas anderes. Das sei nur Arbeit. Da sei er der Kollege, da sei er der Behinderte. Was ihm fehlt, sucht er hier in Trebel. Hugh. Dann wird die Suppe serviert. ATMO 01: erotische Tafel Take 22 Kiana (auf Gemurmel) Ich bin Kiana, 30 Jahre alt und alleinerziehende Mutter von zwei kleinen Kindern, fünf und sieben, und jetzt in Trebel und mache die zweite Ausbildungswoche zur Sexualberaterin. Sexualberaterin heißt in dem Sinne, dass ich eine gewisse Praxis lerne, wie ich Beratungsmethoden mache mit Behinderten, die gewisse Problematiken mit ihrer Sexualität haben. Und dann gibt es halt noch die Sexualbegleitung. Und was der Unterschied ist von der Sexualberatung ist, dass die nur berät und die Sexualbegleitung legt Hand an sozusagen, also sag ich jetzt mal, geht in den Körperkontakt. Zeigt den Behinderten auf, wie es ist, ihre sexuellen Bedürfnisse auszuleben. Sprecherin Kiana ist in ein schwarzes Gewand gehüllt. Sie hat sich das Gesicht mit Metall verziert. Ihre knallroten Haaren sind zu Schnüren zusammen gebunden. Autor : Uwe steuert seinen Elektrorollstuhl an die Tafel, genau neben Pia. Sie rückt zur Seite. Arno dreht sein Mikrofon immer in Richtung desjenigen, der gerade spricht. In großen Räumen kann er sonst nichts verstehen. Erich holt noch einen Teller. Kiana schenkt Wein ein. Lothar, der Gastgeber, klopft mit der Gabel gegen sein Glas. Er begrüßt die Gäste zur erotischen Tafel. Er versucht geheimnisvoll zu klingen. Take 22a Alle, die das noch nicht gehört haben, wir machen jetzt ein kleines Spiel, ein Gesellschaftsspiel. Einer fängt an mit einer Geschichte, und wenn er dann plötzlich aufhört, beginnt jemand anderes, die Geschichte fortzusetzen... Ich weiß bloß nicht, ob ich aufhören kann....Lachen.., Autor : Eine erotische Geschichte soll es sein, eine "wahre" Geschichte. Arno beginnt von einem Urlaubserlebnis auf einer Insel, von einer Frau, die ihn in einer Karaoke-Bar ansprach. .... Fortsetzung Take 22b .......Lange blonde Mähne.... tiefer Ausschnitt.... was wollte die ... von mir... ihr Haar flog mir um die Nase.... Autor :: Andreas schiebt sich näher an den Tisch. Er versucht seine Hände still zu halten. Seine Stirn ist rot. Er schwitzt. Der Kopf neigt sich zur Seite und ein Lachen bricht aus ihm heraus. Die Geschichte gefällt ihm. Er will auch etwas sagen, aber seine Finger suchen wieder die Lippen, wie um sie zu verschließen. Fortsetzung Take 22b ... sie trank und sie sah mich an... sie stand plötzlich auf ....nahm das Mikrofon und sang los... sie war der Star des Abends, ich saß neben ihr..., Sprecherin: Christiane zieht mit ihren am Oberarm angewachsenen Händen das Weinglas an die Tischkante und nippt zweimal. Sie weiß nicht, was sie davon halten soll. Von der erotischen Geschichte und von den anderen. Aber sie hat sich etwas vorgenommen. (Beginn Take 22c) Sie will, dass etwas passiert. Take 22c unter vor. Text beginnen .... sie schmiegten sich eng aneinender ....küssten sich immer wieder und schauten aufs Meer hinaus stopp..... (Lachen). Musik: Wolf Hoffmann: Classical , Take 7; 1` Blues for Elise. Arch. 6056642, LC 00539, Sprecherin: Manchmal werde auf dem Tisch getanzt, erzählt Lothar. Alles sei möglich. Heute wird nicht getanzt. Musik Autor : Erich hat Musik angestellt. In der Ecke brummt ein Schokoladenbrunnen. Die Schokolade tropft nach unten. Es interessiert sich keiner dafür. Die ersten gehen zu Bett. Die neuen Eindrücke. Die anderen sind am unteren Ende der Tafel zusammengerückt. Die umfangreiche Frau, die sich Pia nennt, geht zu Uwe , der in seinem Elektrorollstuhl angegurtet ist. Sie beugt sich zu ihm hinunter und flüstert ihm etwas ins Ohr. Uwe blinzelt hinter seiner dicken Brille. Den Kopf hat er dabei verdreht, sein Mund steht offen. Er nickt, so gut er kann. Dann fährt er aus dem Raum. Pia nimmt einen Schluck Wein und geht auch. Musik Autor : Die anderen bleiben. Fragen in den Gesichtern. Menschen kennenlernen, auf Knopfdruck, an zwei Abenden. Ein Wochenende kann sehr kurz sein. Vor allem, wenn man sich lange darauf gefreut hat. Wenn man etwas sucht, was man häufiger erleben möchte. Zwei Abende für die Träume von Jahren. Vielleicht geht hier deshalb alles schneller. Offenheit im Zeitraffer. Sprecherin Der Abend scheint noch nicht vorbei. Da ist die Sehnsucht. Sie liegt im Raum, groß und mächtig. Als Christiane schließlich aufsteht, ist es fast Mitternacht. Sie hat mit Erich gesprochen. Sie sind einander heute zum ersten Mal begegnet. Er wusste, das eine Frau, sie, dass ein Mann da sein würde. Das war alles. Morgen werden sie sich weiter unterhalten. Musik Autor Und dann kommt Pia zurück und trinkt ihren Wein aus. Sie sagt nicht, wo sie war, alle scheinen es zu wissen. Uwe ist oben geblieben, in seinem Zimmer. Es war das erste Date an diesem Wochenende. Sprecherin: Samstagmorgen. Take 23 Kiana (auf Atmo) Also, ich bin jetzt erst mal hier als Sexualbegleiterin zum Beobachten und zum Schauen. Ich soll jetzt erst mal schauen. Also mit mir sind keine Dates buchbar. Also es ist so, dass die Behinderten die Möglichkeit haben auf die Sexualbegleiterinnen zuzugehen und dann Dates auszumachen. Sprecherin Kiana setzt sich in die Frühstücksrunde neben Uwe. Uwe gluckst und drückt auf die Knöpfe seines Elektrorollstuhls. Er will sich verständlich machen, er weiß, was er will. Sein Körper wehrt sich. Kiana schneidet ihm ein Brötchen auf. Take 24 Kiana (auf atmo) Als Sexualbegleiterin, bin ich der Meinung, muss man wahnsinnig viel Einfühlungsvermögen mitbringen, Herz, Wärme und ein gewisses Feeling mit solchen Menschen in Kontakt kommen zu können. Oh je, der kann sich nicht bewegen. Also nicht auf irgendwelche ästhetischen Schönheiten zu achten. So wie es in unserer Gesellschaft zum Beispiel ist. Sprecherin Sexualbegleitung ISBB - ein beim Deutschen Patentamt eingetragener Begriff. Ein "Qualifikationszeugnis", das an eine Ausbildung in Trebel gebunden ist: Sechs Wochenenden Supervision, Teilnahme an den Gruppentreffen und regelmäßige Reflexion. Als "Ziel der Sexualbegleitung" nennt die Instituts-Website "die reflektierte Persönlichkeitsentwicklung der Klienten, insbesondere durch Stärkung der erotischen und sexuellen Kompetenzen". Sexualbegleitung ist auch Körperkontakt. Viele Behinderte brauchen ganz praktische Hilfe, um ihren Körper zu erkunden. Weil sie nicht beweglich genug sind, sich selbst zu befriedigen. So einfach ist das. Autor: Erich sucht den Schlüssel. Take 25 Erich Ich bin 59 Jahre alt, zum zweiten Mal verheiratet und ich habe zwei erwachsene Kinder. Hauptberuflich bin ich in einem technischen Beruf tätig, ich bin Sanitäringenieur, also in der Baubranche tätig. Autor : Erich will den Raum für den Nachmittag vorbereiten. Er muss heute alles allein machen, seine Frau ist diesmal zu Hause geblieben. Sie war es, die ihn auf die Sexualbegleitung aufmerksam gemacht hat. Eine Behindertenorganisation hatte in einer Zeitung inseriert. Take 26 Erich Das klingt vielleicht etwas überheblich, aber sie hat wortwörtlich gesagt: Also, wenn die dich nicht nehmen, wen wollen sie denn dann nehmen, weil sie gewusst hat, 1. ist Sexualität ein Thema seit langer Zeit für mich, seit meiner Trennung von der ersten Frau habe ich mich mit meiner Sexualität, mit meiner sexuellen Biographie auseinandergesetzt, weil ich bin der Meinung, unsere Ehe ist gescheitert, wegen meiner Sexualität, wegen meiner Vorstellung der Sexualität. Und das wollte ich so nicht einfach weiterführen, wollte etwas tiefer gehen damit, habe mich wirklich sehr offen damit auseinander gesetzt. Ob ich sehr viel weiter bin, weiß ich im Moment nicht, ich hoffe es. Sprecherin Sexualbegleitung, so ist auf der Webseite des Instituts zu lesen, sei eine Dienstleistung, 75 Euro pro Stunde. Bezahlt werde die zwischenmenschliche Begegnung - und dann passiere nur, was beide wollen. Dass die Grenze zur Prostitution verschwimmt, ist allen Beteiligten klar. Prostitution, steht auf der Website, sei in Deutschland ja nicht verboten Autor : Erich hat Frau und Kinder und bietet Sexualbegleitung an. Das "Warum?" kann er genau in den Augen derer lesen, mit denen er darüber spricht. Muss er sich erklären? Reicht es nicht, wenn er etwas macht, was Behinderten hilft. Und was ihm selbst gut tut? Sexualbegleitung macht man nicht einfach so - Erich hat eine Ausbildung in der Schweiz absolviert. Take 27 Erich Aber mit dieser Tätigkeit, mit dieser Ausbildung habe ich gelernt, auch das Schöne im Menschen zu sehen. Und das hat jeder Mensch, egal wie er aussieht, egal ob er behindert ist oder nicht. Ich kann das wegstecken, das ist für mich keine Grenze da, jemanden nicht berühren zu ... Sprecherin Uwe hat sich an seinem Brötchen verschluckt und über den Tisch gehustet. Kiana muss lachen, ja so ist das eben. Uwe entschuldigt sich und sie schüttelt ihre rote Mähne. Take 28 Kiana (auf Frühstücksatmo) Man will dem Behinderten begreiflich machen, nicht dass er sich jetzt eine Frau kauft, und die muss da jetzt machen, weil er sie gekauft hat, (das wollen sie nicht vermitteln. Sie wollen vermitteln,) dass man eine Begegnung haben kann mit einer Frau und dass man schon dafür bezahlt und das die Grenzen und die Gefühle genauso wichtig sind und das ist ja das was der Behinderte lernen soll, weil er das meistens nicht kann und nicht kennt. Das so zu respektieren, weil er noch nie ein Übungsfeld dafür hatte. ... Es kann auch ein Entwicklungsprozess geben, das man im ersten Date nur die Hände massiert, in den Arm nimmt und miteinander redet und sich vielleicht der Behinderte einfach mal aussprechen kann. Autor : Erich sucht noch immer den Schlüssel. Er zieht seinen blauen Pullover straff. Bald wird er 60. Es gibt wenige männliche Sexualbegleiter. Aber auch wenige Frauen, die den Mut haben, Sexualbegleitung zu suchen. Erich ahnt, was andere über ihn denken. Seine Frau versteht es. Das ist ihm wichtig. Take 29 Erich Es ist so, ich habe Tantraerfahrungen, ich habe Erfahrungen mit behinderten Leuten. Das war der Ausgangspunkt. Also, nicht dass ihr denkt, er kommt zu Hause zu kurz, er muss sich irgendetwas da holen. Sie hat auch eine positive Einstellung zu der Sexualbegleitung. Es ist wirklich nicht so, dass sie das nur toleriert, sondern sie unterstützt mich auch dabei. Es ist ja auch so, dass wir gemeinsam nach Trebel kommen und ein Tantra-Wochenende anbieten. Wir machen auch gemeinsam tantrische Work-Shops. Sie ist auch ganz offen und für sie ist auch ganz klar ...wo meine Grenzen sind. Da hat sie ein absolutes Vertrauen... Grenzen sind Übergänge für etwas Neues, auch für sie. Sie sagt, so lange ich nach Trebel fahre für Sexualassistenz und Sexualbegleitung und das ist wie ein Beruf für dich, dann ist das absolut okay... Autor: Erich stellt Stühle in einen Halbkreis und verteilt Kerzen im Raum. Aus seiner Tasche holt er ein orangefarbenes Tuch. "Für heute Nachmittag". Sprecherin Kiana hat ihr Brötchen gegessen. Uwe versucht, auf sich aufmerksam zu machen. Kiana reicht ihm seinen Becher. Take 30 Kiana (Frühstücksatmo) Bin ich jetzt Sexualberater oder Sexualbegleiter, da muss ich mich entscheiden. Ich kann immer nur in einer Rolle tätig sein. Ich kann einen Menschen nicht auf einer theoretischen Ebene beraten und ihn danach erotisch massieren. Das wäre einfach nicht seriös, ich habe nicht die Distanz. Und deswegen ist es so, das ich mich immer entscheiden muss, wenn ich die zwei Grade mache. Und dann ist es so, dass es ja ein Netzwerk ist hier in Trebel, dass ich einfach sagen kann ok ich bin deine Sexualberaterin zu mir kommst du in die Beratung, aber ich wüsste da auch jemanden, eine Frau, die ist da und da und die macht Sexualbegleitung für dich. Und die macht Sexualbegleitung für dich. Und dann ist es so, dass eine Zusammenarbeit ist das finde ich auch eine tolle Sache eine Sexualberaterin sollte immer wissen was ein Sexualbegleiterin macht und sich da auch einfühlen können. Take 31 Erich Wenn ich eine Begegnung eingehe, ein Date habe, zumindest so ist das in der Schweiz, dann gehe ich immer zuerst vorbei für ein Gespräch. Wir sprechen darüber, die Kundin sagt mir, was sie sich wünscht. Und ich sage meine Möglichkeiten. Da sage ich immer wieder auch, dass ich für eine Beziehung unerreichbar bin, dass ich in einer stabilen Beziehung drin bin, dass mir selbstverständlich auch der Geschlechtsverkehr wichtig ist, das ist so, aber dass ich das mit meiner Partnerin leben möchte. Und da stoße ich immer wieder auf sehr großes Verständnis. Das ist vielleicht immer wieder der Vorteil vom Mann gegenüber der Frau. Musik: Wolf Hoffmann: Classical , Take 6; Bolereo Arch. 6056642, LC 00539, Autor : Das Frühstücksgeschirr ist abgeräumt. Andreas, Arno, Christiane und Uwe treffen sich zur morgendlichen Gesprächsrunde. Lothar Sandfort, der Psychologe, moderiert. Der Anfang ist zäh. Wie es gestern Abend war? ... ungewohnt eben... wenn man so selten allein weg fährt. Aufgeregt war Andreas. Schlecht geschlafen hat er. Take 33 Du warst ja das erste Mal da gestern, wie war das für dich? - Ja, ist schon ungewohnt. Vor allem ich war zwei Jahre nicht mehr alleine weg. Vor zwei Wochen war ich 6 Wochen in Kur. Und seitdem war ich nicht mehr alleine weg. Ja ist schon was anderes, alleine mit dem Zug fahren. Neue Leute und na ja, ich war ziemlich aufgeregt. - Hat das mal aufgehört mit dem Aufgeregtsein? - Ja gestern Abend bevor ich ins Bett gegangen bin. (Gelächter) Autor : Andreas ist irritiert. Warum soll es ungewöhnlich sein, dass er noch nicht "locker geworden ist", wie Lothar erwartet? Dass er sich " die Kombination von Sex und Gesprächen" anders vorgestellt hat? Take 34 - Das ist schade und ungewöhnlich. Meistens im Laufe des Abends, wenn es so ganz gewohnt und locker geworden ist, dass keiner einem was tut. Werden die Gäste eigentlich ruhiger. - Tja, ich bin halt anders. - Hast du dir das so vorgestellt, die Kombination zwischen Sex und Gesprächen? - Wie Sex? - Naja um Sex geht's ja auch. Und das kann man hier auch kriegen und es sind allerdings auch Gespräche angesagt. So wie jetzt. - Also mit dem Sex, dazu bin ich ja noch nicht so gekommen. - Da ist ja noch nicht die Zeit so. Autor : Ja klar, Sex wäre gut. Ist noch nicht dazu gekommen. Ja ich bin da schon interessiert, aber es kam noch nicht dazu. - Ich frage ja soviel nach, damit du, wenn du wieder fährst, auch zu dem gekommen bist, was du dir gewünscht hast. Und wenn wir da in einer Weise behilflich sein können, dann wäre das schon schön, wir hier in der Runde. - Ja mal gucken, was sich so ergibt. - Na gut. Autor: Andreas` Finger greifen wieder nach den Lippen. Eine solche Gelegenheit zum Reden kommt so schnell nicht wieder. Zu Hause kann er mit niemandem darüber sprechen, nicht mit seiner Schwester. Schon gar nicht mit seiner Mutter. ....Also.... hier sind zu wenige Sexualbegleiterinnen. Take 35 - Ich wollte noch mal ein Thema ansprechen, ich bin ja neu hier, ja klar es ging um Sex. Also die Auswahl ist sehr gering hier an Sexualbegleiterinnen. Es gibt ja nur zwei, wie ich gehört habe... Die anderen sind Sexualberater. Und die beraten mich nur theoretisch. - Die beraten dich gar nicht, wenn du ihnen nicht sagst, dass du von ihnen eine Beratung haben willst, machen sie das überhaupt gar nicht. Autor : Hier beim Erotik-Workshop kann er es ja sagen: Er geht ab und zu ins Bordell, da hat er mehr Auswahl. ... Dass er enttäuscht ist... nein, das.... will er nicht sagen. - Wir sind ja beim Erotik-Workshop und da kann ich ja auch sagen, was ich so denke. Ich gehe in unregelmäßigen Abständen ins Bordell. Und da habe ich halt mehr Auswahl. - Das stimmt. - Da ist es günstiger für mich. Ich kann nicht sagen, ich bin enttäuscht, aber irgendwie habe ich hier mehr erwartet. ....- Das ist ein wichtiger Punkt. Du lernst uns kennen. Du hast etwas anders erwartet, als was wir leisten wollen. - Wie was ihr leisten wollt. - Naja wir sind kein Bordell. - Das war mir schon klar. Autor 2: Arno mischt sich ein. Er hat sein Hörgerät eingeschaltet, das Mikrofon auf den Tisch gelegt. Er habe ein Problem mit Bordellen. Reingehen, bezahlen, rausgehen. Das ist nichts für ihn. Arno will reden, Gemeinschaft. Take 36 Arno & Lothar - Das ist der große Unterschied. Ins Bordell kann man jeder Zeit gehen oder sonst was. Da gehst du rein bezahlst dein Geld und gehst wieder raus. Ich habe damit ein großes Problem. Hier ist was anderes hier lernt man sich kennen, man kann zusammen reden und Gefühle austauschen und das ist eben das. Der Sex oder das Date ist im Grunde für mich nur Nebensache. Gehört dazu, oder mag sein aber hier ist die Gemeinschaft einfach. Ich kann mal sagen, was mir da im oben rumschwirrt, was ich nicht rauslassen kann sonst. Take 37 Also nehmen wir mal an, du würdest sagen oh ... die gefällt mir und die möchte ich jetzt immer haben. Und du sagst ich komme nur wenn, die kommt, dann sagen wir dir tja das tut uns leid. Hier bestimmen wir, wer kommt. - Ja, Moment, das ist ja im Bordell ja genauso. Da kann auch nicht jeder ... ich könnte theoretisch vorher anrufen, ob die da ist. Autor: Andreas gibt zu, dass er auch im Bordell nicht unbedingt die Wahl hat ... oder? . Lothar sitzt mit stoischer Ruhe in seinem Rollstuhl, die Hände auf den Oberschenkeln. Er sieht Andreas nicht an. Sehnsucht nach Sexualität? Ja, aber... es geht nicht um die schnelle Befriedigung. Das soll Andreas selbst erkennen. Was meint Lothar ... zwei Frauen... stehen für alle? Take 38 - Du musst einfach gucken, ob das, was wir dir bieten können, das richtige ist. Ich sage immer, sind zwar nur zwei Frauen da aber im Grunde bieten wir tausend Millionen ... - Frauen? - Ja. Wir bieten dir die Erfahrung, dass du so interessant bist, dass du tausend Frauen kriegen könntest. - Das musst du mir genauer erklären. (Gelächter) - Worüber wir gesprochen haben ist über Beziehungen. Wir haben über unsere Beziehungen zu Freunden ... - Ja gut, Beziehung .... werde ich mir nie vorstellen können, so richtig. Also zumindest jetzt nicht. Autor: Eine Beziehung... mit einer Frau? .... Manchmal will Andreas schon.... Aber, nee... Keine Zeit... kein Nerv. - Das kannst du nicht oder das willst du nicht? - Beides. Das will ich schon... manchmal, aber ich habe keine Zeit, ich stehe ständig unter Druck, ich hätte keinen Nerv für eine Frau ... - Das lässt sich verändern. - Und ich glaube, es ist besser, wenn ich alleine bleibe.. - Das lässt sich ändern. Autor : "Das lässt sich ändern" - der Satz, den hier alle hören wollen. Andreas hat den Kopf gesenkt. Was soll er dazu sagen. Musik: Thema Sprecherin Christiane holt tief Luft, die Gesprächsrunde hat sie angestrengt. Sie wollte nicht über alles reden, schon gar nicht in der Gruppe, vielleicht später, mit Lothar und Erich allein. Sie ist nun mal die einzige Frau hier - mit Verstecken hat das nichts zu tun. Verstecken. Sie hebt ihre verkrüppelten Arme - wie soll sie sich damit verstecken? Die Blicke - sie muss sich jeden Tag neu daran gewöhnen. Das ist so seit ihrer Geburt. Christiane kam mit einen Herzfehler zur Welt und Schädigungen an den inneren Organen, manches davon konnte operiert werden. Die Arme nicht. Take 40 Christiane Wir berühmten Contergan-Kinder, wie Contergan-Geschädigten, wir waren die erste Generation von Behinderten, die ein so genanntes normales Leben geführt haben, das heißt, die nicht grundsätzlich daheim oder im Heim gelebt haben und die erste Generation von Behinderten, die in die so genannten normalen Schulen ging, in die Regelschule, was in den 60er Jahren gar nicht gern gesehen wurde, auch sehr viel Widerstand ausgelöst hat, den unsere Eltern bekämpfen mussten mit sehr viel Mühe. Wir Contergan-Geschädigten sind die ersten Behinderten, die mal in der Lage waren, Abitur zu machen, Hochschulstudien erfolgreich abzuschließen. Und man hat mir auch schon in der Schwerbehindertenvermittlung von Arbeitsamt gesagt, dass der Anteil der schwerbehinderten Akademiker sehr gering ist am ganzen Arbeitsmarkt. Es gibt wenige Schwerbehinderte, die ein abgeschlossenes Hochschulstudium haben. Sprecherin Und Christiane gehört dazu. Als sie geboren wurde, wurde ihren Eltern noch geraten lassen, sie in ein Heim zu geben. Wegsperren - etwas anderes können man mit "so etwas" doch nicht machen. Take 41 Christiane Mein Problem ist ja, dass ich im beruflichen Leben, in der Bewältigung des Alltags gar nicht so erfolglos bin. Das schaffe ich ganz gut. Das war auch nicht immer so, ich hatte viel mit depressiven Verstimmungen zu tun. Aber da habe ich es geschafft, die Probleme zu überwinden. Und jetzt kann man sagen, lebe ich einen normalen Alltag, was dass Berufliche und Organisatorische anbelangt. Was aber geblieben ist - die emotionalen Defizite, die ich noch habe. Ja, wie drückt man es aus. Es gelingt mir nicht, eine Beziehung einzugehen. Da würde ich gern noch dran arbeiten. Sprecherin Eine Beziehung. Das ist mehr, als die anderen wollen. Zumindest mehr, als sie zugeben. Christiane hatte noch nie eine Beziehung. Sie leidet darunter. Sie ist 46. Christiane spricht ohne Zorn. Sie verzieht nur kurz den Mund. So ist das. So war das eben. Take 42 Christiane Ich kenne es aus meiner Jugend, Teenager, die Zeit, in der man halt erste Freundschaften, Beziehungen hat. ....Das kann man nicht als normale Beziehung werten. Wer weiß, vielleicht sind die hinter den Geld der Contergan-Geschädigten her. So wurde es dann von meinen Eltern dargestellt. Oder auch dann die Aussage, ja der junge Mann muss ja ein schlechtes Selbstwertgefühl haben, sonst würde er sich die contergangeschädigte Frau ja nicht nehmen. Musik/Atmo: Didgeridoo Sprecherin : Samstagnachmittag. Autor : Erich hat sich umgezogen: ein rotes Baumwollhemd, eine weiße weite Hose. Er hat das orangefarbene Tuch an die Wand gehängt, die Matratzen zurechtgelegt, die Kerzen angezündet und sein Didgeridoo ausgepackt. Didgeridoo.... übergehen inTantra-Musik Sprecherin So beginnt der tantrische Nachmittag. Andreas, Christiane, Arno und Uwe, Pia und Kiana sitzen im Kreis.. Take 43 Erich Tantra Es geht darum, seine Bedürfnisse zu spüren im ersten Teil und im zweiten Teil, seine Bedürfnisse mitzuteilen. Autor : Erich redet wie in Zeitlupe. Andreas bricht der Schweiß aus. Ein kleiner Raum voller Menschen, die sich berühren sollen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Was möchte ich jetzt, was steht für mich an. Ich sage mal etwas zur ersten Struktur. Die Struktur machen wir zu zweit. Und eine ist die bekommende und die gebende. und ihre werdet berührt. Von dem Gebenden. Autor: Geben und Nehmen. Den eigenen Körper beobachten und den fremden. Die Fingerspitzen, sagt Erich, sollen wie Augen sein. Minutenlang fremde Körper ertasten und berühren, fremde Haut spüren. Take 44 Erich Und zwar sind drei verschiedene Haltungen von dem Gebenden gefragt. Den ersten Teil berührst du mit deinen Fingerspitzen den ganzen Körper. Und in deinen Fingerspitzen sind deine Augen. Du beobachtest diesen Körper mit deinen Fingerspitzen mit deinen Augen. Und der oder die bekommende achtet einfach mal auf sich, wie fühlt sich das an für mich, wenn ich beobachtet werde, wenn ich wahrgenommen werde. Wie ist das für mich. Das dauert etwa fünf bis sechs Minuten und dann kannst du deine Haltung ändern, indem du mit deinen Händen berührst, mit der ganzen Hand den Körper berührst. Sprecherin: Vielleicht ist jetzt der Augenblick, in dem die Sehnsüchte erfüllt werden. Vielleicht wird es einfach nur schön. Take 45 Erich Tantra Und im dritten Durchgang ist deine Haltung als Berührender, dass du die Person mit deinem Geschlecht berühren musst. Deine Hände sind quasi dein Geschlechtsteil, in Gedanken nimmst du dein Geschlecht in die Hände.. Ich werde das auch wieder anleiten und was sagen. Und du als Bekommende spüre gut in dich hinein. Welche Berührung ist gut, welche ist nicht so angenehm, wo sind eventuell sogar Blockaden wo ich nicht berührt werden möchte. Das geht so 20 Minuten das ganze und dann wechseln wir. Und in der zweiten Struktur ist es so, dass die gleichen beiden zusammen sind und die bekommende Person gibt ganz genauer Anweisungen wie sie berührt werden möchte. Wie, wo, wie lange. Atmo Tantra Autor: Andreas hat sich auf den Rücken gelegt. Kiana lässt ihre Hände sanft über seinen Bauch gleiten. Ihre feuerroten Dreadlocks fallen auf seine Brust. Richard, der auch mal Sexualbegleiter werden möchte, hat seine Hände auf Andreas` Unterschenkel gelegt. Dem ist das unheimlich. ATMO 11: Tantra Autor : Männerhände auf seinem Körper. Andreas schwitzt, er lächelt. Sanftheit. Ruhe. Sinnlichkeit. Anders als im Bordell. Er lacht. Immer wieder. Kiana freut sich. ATMO 12: Tantra Kiana Autor : Ganz langsam entspannt sich Andreas` Körper. Das Zucken in seinem Gesicht verschwindet. Vielleicht liegt es an Kianas roten Haaren. Tantra (leichte Musik) Autor : Kiana führt Andreas verkrampfte Hand über ihren Körper. . Musik: Didgeridoo Sprecherin: Samstag, Abendessen. Das Holz knistert im Kamin. Autor Andreas ist mit seinem Rollstuhl direkt an den Tisch gefahren. Er will nicht reden. Er sitzt vor seinem leeren Teller und starrt in den Brotkorb. Tantra. Das fremde Wort ist ein Gefühl geworden. ATMO 19: Abendessen Sprecherin Das hätte sie nicht gedacht, sagt Christiane..... Take 47 Christiane ...dass ich das so zulassen kann, berührt zu werden. Von relativ fremden Menschen....Man liefert sich ja auch ein bisschen aus, man legt sich dahin, entspannt sich, man weiß nicht, wie die anderen beiden mit einem umgehen. Extrem entspannend und befreiend. Auch seelisch befreiend. Bin ich nicht gewohnt. Es war aber angenehm. Take 48 Sandfort Behinderte stehen außer Konkurrenz und das macht uns unattraktiv, und wir wollen hier in unserem Institut attraktiv werden. jeder muss um seinen Parkplatz kämpfen, nur Behinderte nicht. Die haben einen eigenen, der ist immer frei und da kommen Politessen. Jeder muss in der U-Bahn bezahlen, nur Behinderte nicht......Alle tun das aus bester Absicht. Niemand sagt, jetzt sind wir mal böse, wir wollen die Behinderten aussondern. Auch die schlafenden Hunde, die uns immer wieder begegnen, Behinderte am besten gar nicht mit Sex in Verbindung zu bringen oder sie dorthin zu erziehen. Das machen Eltern nicht, weil sie grausam sind, sondern weil sie wirklich glauben sie tun das Beste. ... Aufklärung zum Beispiel und Widerstand. Auch ein bisschen Undank darf sein. Take 49 Ich kämpfe dafür, dass wir wieder in die Konkurrenz kommen. Dass wir um einen Parkplatz genauso kämpfen müssen wir jeder. Das macht uns attraktiv. Viele Menschen suchen einen Partner, der ihnen hilft durch Krisen. Viele Menschen suchen eine Partner, weil er schön sein soll und die gemeinsamen Kinder niedlich sein sollen. Das ist oftmals eine Welt, in der wir nicht attraktiv sind. Aber in einem ganz großen Bereich der Lebenspartnerschaft als gemeinsamer Versuch, die Krisen des Lebens besser zu überstehen, das ist ein Grund warum sich Menschen Partner suchen.. ..und das nennt man dann Liebe. Mit Recht, mit recht man soll es auch Liebe nennen. Autor : Nein, nicht der Rollstuhl, nicht die körperliche Deformation soll zuerst wahrgenommen werden, sondern der Mensch. Für Lothar Sandfort ist eines klar: Behinderte brauchen zur Erfüllung ihrer Sehnsüchte ein starkes Selbstwertgefühl. Take 50 Wenn ich selbst glaube, dass ich nicht interessant bin und eine andere Person mich als Kummerkasten missbraucht, weil sie denkt, der wird auf keinen Fall auf die Idee kommen sich in mich zu verlieben oder mit mir Sex haben wollen, dann ist es unsere Aufgabe zu sagen ja ich will was anderes, ich will Sex mit dir. Oder, dass wir uns zutrauen, auch jemanden anzumachen, zu verführen. Das machen wir hier. Musik Habanera Autor Es irritiert die "Normalmenschheit", wenn Menschen mit Behinderung sexuelle Bedürfnisse formulieren und wenn ihnen ein Weg geboten wird, sexuelle Erfahrungen zu sammeln. Lothar Sandfort will Behinderten nicht auf die Rolle von Freiern reduziert wissen, sondern ihnen vermitteln, wie sie sich im "richtigen Leben" mit ihren Ansprüchen durchsetzen, ihre eigene Attraktivität entdecken können. Eine Erfahrung übrigens, die auch vielen Nichtbehinderten fehlt. Sprecherin Vielleicht ist es das, was die Nachbarn im Dorf stört. Die Gemeinde Trebel vermeidet auf ihrer Website einen Hinweis aus das Institut. Der Ruch der Prostitution ist eben doch da. Take 51 Sandfort Dem kann man nicht entgegnen, es wird Geld bezahlt und natürlich kann man kommen und kann sagen, ihr habt eine finanzielle Absicht, haben wir ja auch. Aber jemanden zu binden, das funktioniert nicht lange. Wenn der dann spürt, da kommt nichts, ich habe nichts davon, dann wird er unzufrieden und dann beschwert er sich, und es gibt keinen der hier war und unzufrieden ist. Und wegen des Geldes schon mal gar nicht. Sprecherin Lothar wird sich jetzt mit Christiane und Erich treffen. Christiane, sagt, sie spüre, dass sie hier richtig ist. Erich ist nicht das Ziel, Erich ist die Chance, ihr Ziel erreichen zu können. Take 52 Christiane Mit einer Behinderung wird einem der Körper ja immer als defizitär dargestellt. Es erzählt einem ja jeder, was man nicht kann und nicht hat und welchen Schönheitsidealen man nicht entspricht. Ich denke mal, die Sexualbegleitung hier soll mal den gegenteiligen Effekt erzielen, dass man den eigenen Körper auch mal positiver und lustvoller erlebt. Dass das wiederum Auswirkungen auf die Seele, auf die psychische Befindlichkeit hat, dass man sich selbst als Person mehr wertschätzt, selbstbewusster wird und damit auch wieder anders auf andere Menschen wirken kann. Musik: Thema Sprecherin Sonntag Mittag. Abreise. Christiane und Erich. Beim Frühstück hat man nichts gemerkt. Sie saßen an verschiedenen Tischen. Nur einmal haben sie kurz miteinander gesprochen, als er aus der Küche ging und Christiane gerade kam. Ein paar Worte nur, aus Höflichkeit. Christiane hat lange darüber nachgedacht. Take 53 Christiane Es geht einem ein bisschen durch den Kopf, was würden deine ganzen Bekannten, Verwandten sagen, wenn die dich hier sehen, beim Erotikworkshop. Es gehen einem die ganzen Sprüche durch den Kopf, die einem von Eltern und Verwandten erzählt wurden hinsichtlich Partnerschaft, die Normen, die einem vermittelt wurden. Take 54 Christiane Es ist ja eine Therapie, die den Leuten ermöglichen soll, an sich selbst zu arbeiten. Das ist ja kein Heiratsinstitut hier. Es ist eher wie ein Medikament, was man ein halbes Jahr nimmt, um eine Krankheit zu bekämpfen. Von vornherein wird das so festgelegt, dass die Begleitung für maximal ein halbes Jahr festgelegt wird. Sprecherin Erich ist der einzige männliche Sexualbegleiter hier. Christiane hat sich für Erich entschieden. Sie hatten kein Date an diesem Wochenende. Christiane wird sich zu Hause in Hessen mit Erich treffen. Christiane wird dafür bezahlen. Take 55 Erich Also zuerst wird jetzt mal ein Arbeitsvertrag ausgearbeitet, wo es darum geht wie oft treffen wir uns, über welche Zeit treffen wir uns, sind die Finanzen geregelt, wie ein anderer Arbeitsvertrag auch. Und es wird so sein, dass ich zu ihrem Wohnort fahre, immer bevor ein Erotik-Workshop ist hier in Trebel, fahre ich einen Tag vorher zu ihr und wir verbringen den Abend gemeinsam Sprecherin Christiane wird einsilbig. Sie ahnt, was sie erwartet. Aber sie weiß es nicht. Das ist schwer für jemanden, der immer alles wissen will. Ist Erich für sie attraktiv? Take 57 Christiane Ja. Wenn das nicht der Fall wäre, könnte ich nicht diese Arbeit mit ihm eingehen. Sprecherin Es geht um Gefühle. Aber das eine, das große Gefühl darf nicht dabei sein. Es wird einen Widerspruch in Christianes Lebens geben. Noch einen Widerspruch. - Einen, der den Leuten da draußen vertraut ist. Take 58/59 Christiane Wenn ich mich morgen in den Zug setze, komme ich wieder in das Paralleluniversum. Das ist dann wieder ungeschützt. Und da beginnt dann ab Montag wieder der Alltag. Darüber muss man sich im klaren sein, dass das hier ein künstlicher und geschützter Rahmen ist. Autor Es ist Sonntag Mittag. Taschen und Koffer stehen draußen. Sprecherin Christiane läuft noch einmal durch die Gänge. Von Erich keine Spur. Autor Im Hof steht ein Krankenwagen. Uwe wird hinausgerollt und von einen mürrischen Malteser im Wagen angegurtet. Sprecherin Kiana hat sich eine Tasse Kaffee genommen. Sie will noch mit Lothar Sandfort sprechen. Sie hat sich entschieden, sie möchte Sexualbegleiterin werden. Musik weg Autor Andreas rollt aus dem Aufzug, eine Reisetasche auf dem Schoß. Er fährt zurück nach Hause, zurück zu seiner Mutter. Sie wird nichts Genaues über sein Wochenende erfahren: Er hat schon ein zweites gebucht. Atmo Andreas: Ja, es hat mir gut gefallen. Ich komme auch bald wieder. Hugh. Alle: Hugh. Sprecherin Bitte berühren! Ein Wochenende auf dem Lande Sie hörten ein Feature von Thomas Klug und Tim Lang Es sprachen: Camilla Renschke und Philipp Schepmann Ton und Technik: Karl-Heinz Stevens und Jana Brandt Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr Auto fährt weg Autor : Andreas heißt nicht Andreas. Auch Christiane, Arno, Kiana und Pia heißen anders. Sprecherin: Eine Produktion des Deutschlandfunks 2009 25 Thomas Klug / Tim Lang Bitte berühren! 25