COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel am 18.August 2013 Aus dem Schaufenster in den Schatten? Der Behindertensport nach den Paralympics in London Von Hendrik Maaßen .:. Musik mit Textauszug von Stephen Hawking: "01- Entry of the Flame" (London Symphony Orchestra & David Charles Abell) "The Paralympic Games are also about transforming our perception of the world. We are all different, there is no such thing as a standard or run-of-the-mill human being, but we share the same human spirit. "What is important is that we have the ability to create. This creativity can take many forms, forms, from physical achievement to theoretical physics. However difficult life may seem there is always something you can do, and succeed at. ( ... ) Good luck to you all." Take 1 Hawking "Die Paralympischen Spiele sind auch dazu da, die Wahrnehmung in unserer Welt zu verändern. Wir sind alle verschieden, es gibt nicht so etwas wie einen Standard, den 08/15 Menschen, aber wir teilen alle den gleichen menschlichen Geist. Was wichtig ist, dass wir die Möglichkeit haben, etwas zu schaffen. Diese Kreativität kann sich in vielen Formen, Formen von körperlicher Leistung bis hin zur theoretischen Physik zeigen. So schwierig das Leben scheinen mag, es gibt immer etwas, was du tun kannst, das du erreichen kannst. ( ... )Viel Glück an euch alle!" Autor: Stephen Hawking bei der Eröffnungsfeier der Paralympics in London. Hawking sitzt im Rollstuhl, bedient nur mit seinen Augenbewegungen einen Sprachcomputer. Wegen einer Nervenerkrankung kann sich der berühmte Physiker schon lange nicht mehr bewegen. Auch das Sprechen ist unmöglich. "Entry of the Flame" stehenlassen. Und dann beginnen sie, die größten Paralympischen Spiele in der Geschichte: Mehr als 4200 Athleten ziehen ins Olympiastadion ein. Sie werden in 20 Sportarten um die Medaillen kämpfen. Elf Tage später werden das Spektakel 2,7 Millionen Menschen in den Stadien gesehen haben, Mehrere Milliarden in aller Welt. Es war ein Jahr, wie keines zuvor, wird Sir Philip Craven, Präsident des IPC heute, ein Jahr später, sagen. Und er hat in vielerlei Hinsicht recht. Denn seit den Paralympics von London ist der Behindertensport ein anderer. Schneller, weiter und glamouröser. Ein Rückblick auf die Paralympischen Spiele von London 2012. "Entry of the Flame" ausblenden. Take 2 Best Games Ever, Ü ARD 12 unvergessliche Spätsommertage waren das in London, perfektes Wetter, gut besuchet Wettkampfstätten und ein Olympiastadion, das Abend für Abend zur großen Partyzone wurde. "Die Engländer sind echt verrückt, man versteht sein eigenes Wort unten im Innenraum nicht mehr, die fangen so an zu schreien!" Das hatte Kugelstoßerin Michaela Floeth noch nie erlebt. Und das, was sich rund um den 100 Meter Lauf der Prothesensprinter abspielte, auch nicht ("Peacock!" Rufe) 80.000 feuerten vor dem Duell mit Oscar Pistorius ihren neuen Sprinthelden an: Jonnie Peacock. Und trugen ihn zu Sieg: "Jonnie Peacock läuft weg, Pistorius ist schon geschlagen, Peacock zieht durch, Gold für Jonnie Peacock! Pistorius geschlagen!" Und selbst in der Stunde seiner Niederlage wusste der Südafrikaner: Das war ein besonderer paralympischer Augenblick. "Gut gemacht, Jonnie! Das war das schnellste paralympische 100 Meter Finale, das es je gegeben hat. Das zeigt, wie unser Sport gewachsen ist, und er ist von so einem unglaublichen Publikum getragen worden. Das war ohne Zweifel der größte Abend in der paralympischen Geschichte! Jonnie hat eine große Zukunft vor sich! (1'10'') Autor: Oscar Pistorius war schon drei Wochen vorher auf derselben Laufbahn gesprintet, bei den Olympischen Spielen. Dort sorgte sein Prothesenlauf für Gesprächsstoff. Take 3 Best Games Ever 2 Magische Erfolgsmomente erlebten auch die deutsche Athleten, als der unterschenkelamputierte Markus Rehm im Weitsprung mit Weltrekord zum Sieg flog, oder als der Diskuswerfer Sebastian Diez sich mit seinem Gold einen großen Traum erfüllte: "Es ist das Größte und es ist einfach wunderschön und ich danke allen, die mir geholfen haben, die mich unterstützt haben." Am Ziel war auch endlich Prothesensprinter Heinrich Popow, er machte die Londoner 100 Meter Bahn zu seiner goldenen Bühne "Zieh! Zieh! Zieh, Junge! Im Ziel und Gold! Heinrich Popow gewinnt die Goldmedaille!" Nur ein paar Kilometer weiter südlich jubelten zeitgleich die Rollstuhlbasketballerinnen, über den ersten deutschen Sieg seit 1984. Einen großartigen Abschied von der paralympischen Bühne bereitet sich die querschnittsgelähmte Schwimmerin Kirsten Bruhn. Sie holte bei ihren dritten und letzten Spielen wieder Gold und blickte etwas wehmütig auf ihre lange Karriere zurück: "Von der Hölle ins Paradies! Ich habe im Moment das Gefühl ich könnte fliegen, ich bin auf Wolken, und das ist einfach nur schön."(01'04) Autor: Ähnlich muss sich auch manch Londoner gefühlt haben. War dieser Festsommer mit den Spielen wahr oder doch nur ein Traum? Die rezessionsgeplagten Briten bescherten der Welt außergewöhnliche Olympische Spiele und überraschten sich selbst mit nie da gewesenen Paralympics. Hier wurden Athleten wie die Schwimmerin Ellie Simmonds oder Rollstuhl-Leichtathlet David Weir zu Volkshelden. Auch noch ein Jahr später fällt Sir Philipp Craven, dem Präsidenten des Internationalen Paralympischen Komitees, kein passender Superlativ ein: Take 4 Craven1 mit Take 5 OV_Craven1 "Sie waren so viel mehr als gute oder exzellente, technisch perfekte Spiele. Und der Grund war, dass der wahre Geist des Sports, des paralympischen Sports wie ein Funke übergesprungen ist. Wegen der Leistung der Athleten, weil die Stadien so oft voll waren. Wegen der Haltung der Ausrichter, es war von Grund auf positiv. Beide Veranstaltungen, Olympische Spiele und Paralympics gehörten für sie immer zusammen, sie waren wirklich gleich wichtig." Autor: Doch was machte diese Spiele so besonders? Warum rissen sich die Menschen heute um Tickets, wo doch noch vor wenigen Jahren Busse mit Schulkindern für halbwegs gefüllte Stadien sorgten? Warum tauschten sich mehr Menschen über den Kurznachrichtendienst Twitter über die Paralympics aus als über die Olympischen Spiele? Zum einen ist es die wachsende Professionalität vieler Athleten, die begeistert und zu immer neuen Höchstleistungen führt. Für viele Sportler scheint nicht mehr nur das Motto "dabei sein ist alles" zu gelten. Sie wollen siegen, trainieren genauso professionell wie ihre Kollegen ohne Handicap und brechen so die Weltrekorde. Zum anderen haben auch die Medien die Athleten bei den Paralympics 2012 zuerst als Sportler und dann als Menschen mit einer Behinderung gesehen. Atmo Channel 4 Spot Wochenlang lief der Werbespot in eigener Sache auf Channel 4, einem großen britischen Privatsender. Er zeigt die bekanntesten Mitglieder vom "Team GB", der britischen Nationalmannschaft. Beim Training, beim Duschen oder einfach beiläufig. Kurz dazwischen geschnitten, die Explosion einer Bombe, ein schwerer Autounfall. Szenen, die deutlich machen, welche Geschichte diese Menschenhaben. Am Ende stehen sie alle zusammen in den Katakomben des Olympiastadions. Das Motiv war auch im ganzen Land plakatiert. Die Athleten stehen geschlossen da, als Team im Wettkampfdress. Ihre Behinderungen sind nicht zu übersehen: Drei sitzen im Rollstuhl, der eine hat eine Prothese anstelle eines Beines, einer fehlt der Unterarm, ganz rechts steht die minderwüchsige Ellie Simmonds. Sie wirken, als ob sie gleich rausgehen würden, in die Arena, um zu kämpfen. Über ihnen prangt der Schriftzug: "Meet the Superhumans". Der Vergleich zu Gladiatoren liegt nahe. Abblenden Atmo Channel 4 Spot Wie diese Kampagne wirkte, versucht Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbands zu erklären. Take 6 Beucher_Super Humans "Diese Überzeichnung als "Superhumans" habe ich als unwahrscheinlich mutigen Werbebeitrag empfunden, der für Menschen mit Behinderung völlig neu war. Denn sie waren ja immer die "No-Humans", sie waren ja immer in den Ecke, am Rande der Gesellschaft und jetzt mit diesem Sprung zu den Superhumans, hat man mit dieser Überzeichnung Bewusstsein geschaffen und verändert." (00'30) Autor: Und so erschließt sich auch eine ganz eigene Ästhetik, wenn man diesen Athleten im Wettkampf zuschaut. Ein trainierter Körper im Einklang mit einer Prothese oder mit dem Fehlen eines Körperteils. Elegante Bewegungen mit Handicap. Im Stadion kam sicher keiner auf die Idee, mitleidig auf die Laufbahn zu schauen, während Jonnie Peacock, angefeuert von 80.000 Menschen, über die Tartanbahn flog: Take 7 Live_Peacock_Final100m (Ü IPC) Startschuss, englischer Kommentar, nach 00'30 etwas abblenden, aber stehen lassen. Autor: Der damals 19-Jährige gewinnt das Top-Duell mit seinem großen Vorbild Oscar Pistorius. Das Stadion tobt, Blitzlichtgewitter, die Kameraleute stürmen auf ihn zu, vermutlich haben mehr als zehn Millionen Briten diese Entscheidung vor dem Fernseher gesehen, ein Leichtathletik-Star mit nur einem Bein!" englischen Kommentar kurz wieder aufblenden, dann ausblenden. Autor: Doch das war nicht immer so: Take 8 Davies1 mit Take 9 OV_Davies1 "Es war sehr unbeliebt, ziemlich unbeliebt: 'Ach, du bist der Typ, der vom Behindertensport berichtet? Oh, naja.'"(00'08) Autor: berichtet Gareth Davies, Sportjournalist beim "Daily Telegraph". Er schreibt seit 20 Jahren über den Behindertensport. Auch sein Leben hat sich durch die Paralymics verändert. Ein Jahr vor den Spielen bekam Davies mehr Platz in seinem Blatt, sollte mehr berichten. Radiosender fragten an, Channel 4, der sich in dem ersten Bieter- Wettbewerb überhaupt die Fernsehrechte an den Paralympics gesichert hatte, wollte seine Expertise. Davies half überall, wo er konnte. Take 10 Davies2 mit Take11 OV_Davies2 "Viele Journalisten die ich kenne, die sich nie dafür interessiert haben, haben sich nach den Spielen bei mir gemeldet und sich entschuldigt. 'Ich habe einen Fehler gemacht, du hattest wirklich recht, die Paralympics haben etwas ganz besonderes!'( ... )Die Wahrnehmung hat sich verändert! Es ist kein Fest für Menschen mit Behinderung, es war ein Fest für den Main-Stream, damit sie sehen konnten, zu was wir Menschen fähig sind. Und das kam unglaublich gut rüber."(00'26) Autor: Es kommt also auf die Perspektive der Medien an. Das deutsche Fitness und Lifestyle Magazin "Men's Health" berichtete zum Beispiel über den unterschenkelamputierten Weitspringer Markus Rehm genauso wie über andere Spitzensportler. "Große Sprünge mit Markus Rehm" heißt es da. Oder "Das Workout der Paralympics Stars - die zehn besten Kraftübungen". In Videos präsentieren fünf Top-Athleten ihre Übungen auf der Website des Männermagazins. Darunter auch Übungen, wie Rollstuhlfahrer ihren Oberkörper trainieren können, demonstriert vom Rollstuhlbasketballer Thomas Böhmes.Die Behinderung ist kein Thema, nüchtern heißt es, Zitat: "Auf Grund der Sitzposition ist in Thomas Böhmes Sport besonders der Oberkörper gefordert. Diese Übungen bringen Wurfkraft - und definierte Schultern." In vielen Medien ist in der Berichterstattung über Menschen mit Behinderung das Mitleid verschwunden. Ohne jedoch leidvolle Teile einer Athleten-Biographie unerwähnt zu lassen. Der Journalist Gareth Davies: Take 12 Davies3 mit Take 13 OV_Davies3 "Mich haben Menschen, mich haben Journalisten gefragt: 'Soll ich die Geschichten dahinter erklären?' Natürlich! Manche der Athleten haben 20 Jahre gebraucht um an diese Startlinie im Olympiastadion zu kommen. Es sind die außergewöhnlichsten Geschichte, die du hier hörst, sie erzählen von dem Triumpf der Willensstärke. Einen Mann zu sehen, durch dessen Körper tausenden von Volts flossen, der seine Arme und Beine nicht nutzen kann, dem sie künstliche Körperteile gebaut habe, zu sehen, wie er durch das Velodrom fliegt ist unglaublich! Und die Menschen kennen seine Geschichte!"(00'33) Autor: Die Lebensläufe der Paralympics-Stars sind in der Tat außergewöhnlich. Es sind bewegende Schicksale: Da ist Martine Wright, die bei den Terror Anschlägen 2005 in London beide Beine verliert und bei den Paralympics mit der Sitzvolleyballnationalmannschaft für das "Team GB" an den Start geht. Da ist der US- Amerikaner Bradley Snyder der als Soldat in Afghanistan sein Augenlicht eingebüßt und nur ein Jahr später in London Gold über 100 und 400 Meter Freistil gewinnt. Und die bekannteste Geschichte ist wohl die des ehemaligen Formel 1 Piloten Alessandro Zanardi, dessen Beine 2001 nach einem Unfall auf dem Eurospeedway in der Lausitz die Beine amputiert werden mussten und der in London Doppel-Paralympicssieger im Handbike wird. Den Zuschauern in den Stadien gefällt der unverkrampfte Blick auf Menschen mit Behinderung. Einige fühlen sich regelrecht befreit. Take 14 Voxpop Ü ARD: Mann: "Die Bezeichnung "disabeled", behindert, unfähig, passt nicht mehr. Es macht keinen Unterschied mehr! Das gefällt mir sehr!" Frau: "Einige Barrieren sind gefallen, ich kann jetzt jemanden fragen, wie es zu seiner Behinderung gekommen ist, das war mir früher peinlich. Ich finde das jetzt gut." Frau: "Die Paralympics machen den Leuten bewusst, was die Sportler können. Die ganze Aufmerksamkeit durch die Medien, das sollte keinen Unterschied machen, behindert oder nicht. Und das wird hier sehr gut vermittelt." Mann:"Das macht Spaß! Die Atmosphäre ist wunderbar. Ich bin stolz darauf, wirklich stolz darauf!"(00:50) Autor: Auch für den deutschen Sprinter Heinrich Popow, Goldmedaillengewinner über 100 Meter, ist eine Ziel erreicht: Take 15 Popow 1: "Ich fühle mich jetzt auch endlich angekommen, ich muss nicht immer erklären, dass ich auch leistungsfähig bin. Dass ich mich nicht behindert fühle! Das ich Dinge machen kann, die ich mir vornehme. Und das haben die Paralympics in London gezeigt. Auch dadurch, dass das mediale Interesse so groß war, ist das doch ziemlich breit angekommen in der Bevölkerung. Ich glaube, dass jetzt diese Berührungsängste zwischen einer behinderten und nicht-behinderten Person geringer geworden sind. Ich merke das auch selber, wenn ich unterwegs bin, wir waren jetzt ein paar Mal mit Jungs feiern: Der ein oder andere ist mir auch um den Hals gesprungen. Und es war ihm egal, ob ich da auf einem Bein sicher stehe oder nicht, ich glaube, früher wäre das nicht passiert, da hätten die Leute Angst gehabt, dass ich umfalle."(00'44) Autor: Nicht mehr der Behinderte sein, der auch Sport macht, sondern der Sportler, der einfach eine Behinderung hat. Viele Medien haben diese Sichtweise aus in London in die Welt getragen. Doch dann kommt es zum Eklat der Spiele: Take 16 Hupe " ... und Pistorius schießt raus aus seinem Startblock wie von einem Katapult nach vorne getragen und da fliegt er in die Kurve hinein, und wer kann ihm folgen? Niemand! So scheint es, auch der Brasilianer nicht. Pistorius ist schon sechs Meter voraus. Und jetzt muss er doch noch ein bisschen kämpfen, Pisorius auf den letzten Metern - wird er abgefangen und verliert! Die Sensation! Die Sensation! Pistorius verliert dieses Rennen auf den aller letzten Metern, auf der Bahn sieben geht der Brasilianer Allan Oliveira als erster über die Ziellinie, fängt Oscar Pistoris im Finish ab ... " Überblenden Take 17 Hupe_Oliveira_vs_Pistorius Ü NDR Doch die Sensation hatte einen Beigeschmack, Allan Oliveira war wortwörtlich über sich hinaus gewachsen. Das hatte auch David Behre registriert, der als Siebter in Ziel kam: "Man muss das hinterfragen, warum er geschlagen wurde, zwei doppelt amputierte Unterschenkel sind extrem groß geworden. Die sind einfach 10cm gewachsen." Der Brasilianer war auf deutlich längeren Prothesen unterwegs, als Pistorius, der seinem Ärger erstmal Luft machen musste. "Der Weltverband will das nicht hören, aber die Beine von Allen sind unglaublich lang. Er ist ein großartiger Athlet, aber wenn man seine Stelzen abmisst, dann sind sie um einiges länger, als vor einem Jahr. Jeder hat gesehen, von wie weit hinten er nach vorne lief, wir sind kein faires Rennen gelaufen."(00:41) Autor: Allan Oliveira war auf die Kritik eingestellt und rechtfertigte sich: Take 18 Rechtfertigung_Oliveira Ü ARD "Die Höhe meiner Stelzen ist okay, weil ich alle Kontrollen bestanden habe, als ich ins Stadion gekommen bin, haben die Kampfrichter noch mal alles kontrolliert und Pistorius weiß das auch."(00'15) Autor: Doch der lief schon wütend durch die Reporterreihen und beschwerte sich weiter. Die Paralympics hatten ihren Eklat, ihre Prothesendiskussion. Ist alles, was erlaubt ist, auch fair? Der deutsche Weitspringer Markus Rehm auf die Frage, was es bedeutet mit längeren Prothesen zu laufen: Take 19 Rehm 1 "Mit längeren Beinen, mit längeren Prothesen kann man auch längere Schritte machen. Das kommt einem natürlich auf längeren Strecken zugute. Die Beschleunigung ist deutlich schwieriger, mit langen Prothesen, das muss man auch klar sagen, aber auf längeren Strecken kann man einfach größere Schritte machen, und dadurch auch schneller laufen letztendlich."(00:17) Autor: Im Verband wird auch heute noch nach einer Lösung des Problems gesucht. Take 20 Rehm 2 "Man muss natürlich herausfinden, wie groß wäre diese Person geworden, wenn sie noch beide Beine hätte, das kann man einfach schwer feststellen und deswegen muss man einfach anhand von Körperproportionen das Ganze errechnen. Diese Rechnungstabelle hat meiner Meinung nach, wie unser Punktesystem im Weitsprung in London einfach einen kleinen Fehler. Und alles, was der Allan bisher gemacht hat, ist im Reglement offiziell erlaubt. Er ist nicht größer, als er sein dürfte. Aber ich denke, man sieht es auch auf vielen Bildern, dass die Unterschenkel doch schon überproportional lang sind."(00'31) Autor: Bei der Leichtathletik Weltmeisterschaft der Behindertensportler Ende Juli diesen Jahres in Lyon hatte das Internationale Paralympische Komitte eine zweite, neue Tabelle. Vielleicht werden den Athleten bald die Prothesen gestutzt. Doch nach der neuen Berechnung dürfte zum Beispiel die deutsche Weitspringerin Vanessa Low auf einmal nicht mehr so groß sein, wie sie einmal nachweislich war, vor ihrer Oberschenkelamputation. Aber auch Markus Rehm sorgte mit einem Weltrekordunfreiwillig für ein Problem in London: Take 21 Rehm_Wieder_Weltrekord, Ü NDR "Markus Rehm, er ist der große Favorit gewesen vor diesem Finale im Weitsprung, der 23-jährige Leverkusener. Er hat das Feld bislang deklassiert. Ich glaube, er will noch mal einen raushauen, die Arme nach oben, die Hände rhythmisch zusammen und jetzt rennt er los, gleich kommt er zum Absprung, springt ab, mit der Prothese, und wieder weit über die sechs Meter. Wieder Weltrekord! 7,35 Meter! Ja gibt's das denn!? Das ist ja unfassbar! Damit kann er ja schon fast, ... damit kann er ja fast bei den Nicht-Behinderten mit springen!"(00'42) Autor: Ja, damit wäre Markus Rehm nur ein paar Wochen zuvor Achter bei der Deutschen Leichtathletik Meisterschaft geworden. Sein Riesensatz auf siebenmeterfünfunddreißig war ein Quantensprung und: Zu viel für den Weltverband. Mit so einer Weite hatte schlicht niemand beim Internationalen Paralympischen Komitee gerechnet. Doch das wäre noch kein Problem, wenn es nicht eine Formel geben würde, die die Weite in Punkte umrechnet. So sollte der Wettkampf, bei dem unterschenkel- und oberschenkelamputierten Athleten gemeinsam sprangen, fair werden. Doch Markus Rehm sprengt mit seinem Sprung diese Formel. Sie war für Weiten unter sieben Metern berechnet. Nach seinem Weltrekord hätten die anderen weiter springen müssen, als die Sandgrube lang ist, um zu gewinnen. Markus Rehm meint trotzdem, dass der Wettkampf fair war: Take 22 Rehm 3 "Ich glaube, ein fairer Wettkampf war es insofern, also zwischen mir und den Oberschenkelamputierten, weil ich einfach gezeigt habe, ich springe über einen Meter weiter als ihr. Ich denke auch das hat schon ausgereicht um zu gewinnen. Die Weltrekorde lagen damals 60cm auseinander. Ich bin ein Meter weiter gesprungen und somit denke ich schon, dass es gerecht war." (00'17) Autor: Schon in London - ein Jahr zuvor- spürt Markus Rehm, dass er noch weiter kann. Den Winter über trainiert er hart und schon in der Vorbereitung in diesem Jahr springt er wieder so weit wie in London. Bei der Weltmeisterschaft der paralympischen Athleten im Juli fehlt Oscar Pistorius, Allan Oliveira rennt auf seinen Stelzen Weltrekord, und Markus Rehm gelingt ein Jahr nach seinem sagenhaften Sprung von London noch einmal die große Überraschung: Er springt einfach noch einmal 60 Zentimeter weiter, 7,95 Meter. Konkurrenz hat der 24-Jährige spätestens jetzt keine mehr. Neue Herausforderungen könnte Rehm nur noch außerhalb des Behindertensports finden: Take 23 Rehm Ziel "In Zukunft wär's natürlich auch ein Ziel, bei den nicht Gehandicapten zu starten. Und das wär auch schon mein Ziel für nächstes Jahr"(00'08) Autor: Mit seinem neuen Weltrekord ist er bereits die Nummer drei in Deutschland, bei Olympia wäre er Achter geworden. Doch der Deutsche Leichtathletik Verband schiebt ihm einen Riegel vor und beruft sich auf das Regelwerk, nach dem keine Hilfsmittel verwendet werden dürfen. Rehm würde aber auch außer Konkurrenz antreten. Autor: Die Paralympics-Begeisterung schwappte nicht so richtig nach Deutschland hinüber. Am Abend, als die deutschen Rollstuhlbasketballerinnen Gold holten, war das Testspiel der Fußball Nationalmannschaft gegen die Färöer das große Thema. Aber dennoch ändert sich etwas und Sportler wie Markus Rehm gelangen zu einer gewissen Bekanntheit. Atmo Kindersportfest Der Kölner Kindersport fest Anfang Juni ist einer von diesen neuen Terminen, auf die Rehm jetzt eingeladen wird. Direkt neben dem Stadion des 1. FC Kölns, im Leichtathletikstadion der Deutschen Sporthochschule, toben mehr als 3000 Kinder bei bestem Wetter über die Laufbahnen und Plätze. Die Siegerehrung nimmt der Paralympics Gewinner Rehm vor. Rehm Kindersport "Das ganze Fest war einfach ein riesen Erfolg und ich fand es schön, dass man da Kinder mit und Handicap da einfach zusammen gebracht hat. Dass vor allem die Kinder ohne Handicape einfach so ein bisschen die Hemmungen dazu verlieren, und das finde ich ganz schön und glaube auch ganz wichtig für die Zukunft." Autor: Den Kindern scheint es egal zu sein, ob der Star zwei gesunde Beine hat, oder nicht. Entscheidend ist eher, dass er für sie unfassbar weit springen kann. Auf einem der Basketballfelder spielen einige Kinder Rollstuhlbasketball. Hoch konzentriert versuchen sie sich möglichst geschickt in den ungewohnten Gefährten fortzubewegen. Es erinnert ein wenig an Autosccoter, wenn alle auf den Ball zu fahren. Sascha Leutkens, von der Aktion "Körbe für Köln" hat das Fest mit organisiert. "Also erstmal sind sie begeistert, sie sind begeistert, dass sie recht schnell Erfolgserlebnisse haben, auch große Erfolgserlebnisse haben. Und erzählen dann auch, dass ist ja gar nicht so schlimm im Rollstuhl zu sitzen. Sie werden hier auch von Rollstuhlfahrern, also von Profis angeleitet und ich glaube, sie begegnen Behinderten auf einer ganz anderen Ebene und gehen hier vielleicht raus und, ja, und werden erst gar nicht Vorbehalte gegen Behinderung entwickeln." Autor: Nichts anders ist eigentlich in London passiert. Nur lauter, größer und teurer. Die Prothesen-Diskussion um Oliveira und die Weitsprung Formel stehen für die Herausforderungen, die das Internationale Paralympische Komitee hat. Oscar Pistorius hatte als erster die Grenzen zwischen den Sportlern mit und ohne Handicap verschwimmen lassen. Doch seine Rolle in der Paralympischen Bewegung ist unklar, seitdem im vergangenen Februar eine Nachricht in die Welt platzte: Take 24 Newscollage: Verschiedensprachige Nachrichtensprecher mit der Schlagzeile "Pistorius unter Mordverdacht" Autor: Der Weltstar des Behindertensports, Oscar Pistorius, soll seine Freundin vorsätzlich erschossen haben. Das sagt zumindest die Staatsanwaltschaft. Er sagt, es sei ein schrecklicher Unfall gewesen, er habe sie für einen Einbrecher gehalten. Die Weltöffentlichkeit nimmt großen Anteil an der Geschichte, der Wunderläufer, der das Model tötete. Auch der Paralympische Welt hält den Atem an. IPC-Präsident Craven: Take 25 Craven2 mit Take 26 OV_Craven2 "Ich war zwei Tage lang geschockt, weil ich Oscar gut kenne. Aber es ist nun mal eine Angelegenheit der Polizei und keine des Sports. Wir haben großes Mitgefühl für die Familie der verstorbenen jungen Frau, aber wir haben auch schon vor London gesagt, und das hat nichts mit dieser schreckliche Tragödie zu tun, aber die paralympische Bewegung ist nicht nur Oscar Pistorius, auch wenn er einer der größten Athleten ist und das auch nicht verkannt werden sollte. Aber in London sind so viele neue Stars geboren worden und sie werden auch weitermachen, mit oder ohne Oscar. In der paralympischen Bewegung geht es um den Fortschritt jedes einzelnen Athleten, egal wer er ist. Und das macht eine Bewegung auch aus."(00'40) Atmo Wettkampf Autor: London 2012, Eine selbstbewusste Demonstration der Behindertensportbewegung, die zeigt, dass sie alles hat um ein packendes Sportereignis zu präsentieren. Oder hatten wir es vorher einfach noch nicht wahrgenommen? Und warum gab es nun diesen Hype, der vor allem die Menschen in Großbritannien elektrisierte? Auch der Journalist Gerath Davies kann es nach 20 Jahren Behindertensportberichterstattung nicht erklären. Er kann nur feststellen: Take 27 Davies 4 mit Take 28 OV Davies4 "Es war der richtige Zeitpunkt, das richtige Land und der richtige Ort, mit der richtigen Unterstützung, damit die paralympischen Spiele kommerzieller werden konnten, und 2,7 Millionen Tickets verkauft werden konnten."(00'12) Und was bleibt als Erbe von den Paralympics? Ist jetzt auf einen Schlag alles gut für Menschen mit Behinderung? Davies schüttelt den Kopf. Er sieht bei aller Euphorie noch genug Handlungsbedarf: Take 29 Davies 5 mit Take 30 OV Davies 5 "Es ist immer noch eine Menge zu tun, die Tube ist uralt, da muss etwas geschehen, sie haben die Stufen gelassen, die alten Züge. Ein Beispiel: Wenn man vor den Spielen in Heathrow landete und mit der Bahn nach London hereinfuhr und keiner dabei war, der einem mit dem Rollstuhl aus der Bahn half, endete man wieder in Heathrow. Das sind Dinge, die sich ändern müssen. Aber das passiert ja, wenn sich die Wahrnehmung dafür verändert. Und tatsächlich, die Priorität steigt!(00'28) Autor: Zum ersten Mal waren Olympia und Paralympics eine Einheit. Sie wurden von denselben Menschen geplant und durchgeführt. Auch deshalb waren sie solch ein Fest. Doch auch das musste der IPC-Präsident Craven irgendwann einmal beenden Take 31 Craven Abschluss mit Take 32 OV Craven Abschluss " ... doch bevor ich die Paralympischen Spiele beende, möchte ich Stephen Hawkings Worte aus der Eröffnungsfeier aufgreifen, über die Veränderung der Wahrnehmung, die vielen Dimensionen, und sie mit den Worten des fünfjährigen George Glen verknüpfen. Vor ein paar Tagen las George mit seiner Mutter Emma, die beste Freundin meiner Tochter, ein Buch mit dem Titel "Schatzsuche". Auf der ersten Seite war ein Mann mit Augenklappe zu sehen, einen Haken statt einer Hand, ein Papagei auf der Schulter und mit einem Holzbein. Emma fragte George, wer der Mann denn wohl sei. Der Kleine sagte: 'Hm, er hat nur ein Bein, das wird wohl ein Athlet sein.'"(01'16, Applaus stehen lassen) Autor: Am Morgen nach der Abschlussfeier überschlägt sich die britische Presse bei dem Versuch, die Paralympics zu bilanzieren. Selbst die "Times" resümiert: "Großbritanniens Ode an die Freude". Bemerkenswert auch das Boulevardblatt Daily Mirow: Take 33 Kommentar "Früher hätten wir behinderte Athleten betrachtet und dabei Tragisches gesehen, jetzt schauen wir und sehen Triumphe. Vor gar nicht so kurzer Zeit waren die Paralympics ein Ereignis, das nicht alleine stehen konnten, es war ein Zusatz für die Olympiade selbst, eine Verpflichtung. Einige sagen, es sei der Preis, den man für die Durchführung des größten Sportfestes der Welt bezahlen musste. Andere murmelten sogar, dass die Veranstaltung eine Geste sei, ein Beispiel für politische Korrektheit, ein deformiertes Gliedmaß: überflüssig und peinlich. Heute scheint das ziemlich seltsam, eine prähistorische Meinung. Denn was sich in den letzen 11 Tagen in London abgespielte, hat die Welt für viele verändert: Zum Besseren! Die Entwicklung hin zur Inklusion und weg von der Diskriminierung von Behinderten hat sich beschleunigt."(00'53) Autor: Kritische Stimmen zu den Paralympics finden sich keine, nur der "Guardian" entschuldigt sich am Ende eines Leitartikels selbstironisch: Nun sei leider die Jahresquote an Sentimentalität, an "Redaktionsschmalz", aufgebraucht. Es sei schlicht ihr "Sommer der Liebe". Aufblenden Musik "Entry of the Flame" Autor: Rio de Janeiro 2016 wird es schwer haben, in diese Dimensionen vorzustoßen. In Brasilien leben fast 28 Millionen Menschen mit einer Behinderung. Die meisten davon in Armut. In dem aufstrebenden Schwellenland werden Menschen mit Behinderung immer noch ausgegrenzt. Doch die brasilianische Bevölkerung hat im vergangenen Jahr mehr von den Paralympics aus London als von Olympia gesehen: Der größte brasilianische TV-Sender hatte die Übertragungsrechte für die Olympischen Spiele nicht bekommen und dann ausschließlich Paralympics gezeigt. Die Siege der eigenen Athleten, vor allem der Sprinter elektrisierte auch dort die Öffentlichkeit. Vielleicht der Grundstein für eine ganz neue Bewegung. "Entry of the Flame" stehen lassen Abmonderation auf Musik .:.Ende 1