DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 14.10.2008 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 - 20.00 Uhr Grüß Gott, DDR Renate Bronnen - Das Leben einer Dichterwitwe Von Tita Gaehme URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - O-Ton Renate Bronnen Leben Sie in einer Diktatur und fragen Sie: Was hat mir nicht gefallen? Musik: Kremserfahrt in Alt-Berlin O-Ton Renate Bronnen Da kam mir natürlich meine österreichische Art sehr zu Hilfe, drum sprech ich heute noch nach so vielen Jahren in Preußen mit meinem Hoimatslang, wie ich sag, mit meinem österreichischen Jargon, weil damit hatte ich nie Schwierigkeiten. Ich hab immer Grüß Gott oder Gut'n Abend, ich hab mich immer bemüht, liebenswürdig zu sein und bin dadurch wenig angeeckt. Ein einziges Mal hat ein Staatssekretär des Innenministeriums zu mir gesagt: "Frau Bronnen, noch immer Österreicherin?" Da hab ich gesagt, "Herr Staatssekretär, würden Sie ihre Staatsbürgerschaft ändern?" Musik: Kremserfahrt in Alt-Berlin Ansage Grüß Gott, DDR Renate Bronnen - Das Leben einer Dichter-Witwe Ein Feature von Tita Gaehme Musik: Hanns Eisler Kleine Sinfonie op. 29 , Invention Erzählerin Renate Bronnen: Geboren 1922 in Linz. Verheiratet zunächst mit dem Dichter Karl Kleinschmidt, dann mit dem Dramatiker Arnolt Bronnen, dem sie 1956 in die DDR folgt, wo er im Oktober 1959 stirbt. Gelernte Schauspielerin. Ausgeübter Beruf: Dichter Witwe. O-Ton Renate Bronnen Die DDR hat mir angeboten, "Frau Bronnen, wenn sie hier bleiben, bekommen sie von uns eine Ehrenpension, wir werden schauen, dass sie Tantiemen bekommen. Und sie können in diesem Haus bleiben", in dem ich heute noch wohne, "diese Bevorzugungen können sie haben. Da hab ich gesagt, "Ich nehm das dankend an. Ich würde gerne hier bleiben." Musik: Hanns Eisler Kleine Sinfonie op. 29 , Invention Sprecherin Das Häuschen aus den 50er Jahren in Niederschönhausen, im Norden Berlins, kauft sie nach der Wende zu einem Spottpreis. Das letzte Privileg für die Privilegierten der DDR. Erzählerin Sie hat das Haus gelb anstreichen lassen. Ein fröhliches Signal. Auch ihr Rasen leuchtet grüner als der in der Nachbarschaft, wo spitzgieblige Einfamilienhäuser und kleine Villen stehen, manche immer noch grau und zerschlissen. O-Ton Renate Bronnen Diese ganze Siedlung, diese Gegend war Bauerngrund da sind nur die fürchterlichen Föhren drauf gewachsen und das wurde dann brach gemacht und da haben sie für die sogenannte bevorzugte Intelligenz Siedlungen gebaut. Sprecherin Zu Ulbrichts Zeiten hat die DDR-Regierung in der Nachbarschaft gewohnt. Außerdem zogen viele Künstler und Schriftsteller dorthin, Heinrich Mann, Arnold Zweig, Ernst Busch. Musik: Reiner Bredemeyer Schlagstück 1 Erzählerin Renate Bronnen brüht Tee auf und spricht von der Lage, die immer wertvoller wird. Auch das renovierte Haus steige im Wert. Nein, der Carport im Garten sei ihr gar kein Ärgernis. Das ganze Erdgeschoss ein offener Wohnraum mit angrenzender Küche und Terrassentür hinaus in den Garten; groß, sehr aufgeräumt, blitzsauber, mit Antiquitäten möbliert, Kirsch und Nussbaum; die Messingbeschläge glänzen wie Gold. O-Ton Renate Bronnen Ich hab hier gelebt wie alle andern DDR-Bürger auch. Musik: Eisler, Busch Einkäufe O-Ton Renate Bronnen Ich hatte relativ genug Geld zur Verfügung. Es gab in der Friedrichstraße einen wunderbaren Modesalon. Die hat sehr, sehr schicke Kleider gemacht. Man hat indischen Sari gekauft. Ich hab mir in Westberlin Stoffe gekauft. Ich hab mir aus Österreich Stoffe mitgebracht. Ich war immer bemüht gut auszusehen, und ich hatte immer Freude an Schmuck und Tand - bin eben eine Frau. Ich hatte ein Mädchen vom Lande aus der DDR. Wie ich den kleinen Jungen dann hatte, die hat Windeln gewaschen, es hat ja noch keine Waschmaschine gegeben, die hab ich dann aus Österreich mitgebracht. Und der Bronnen war ja Vegetarier, da musste drauf geachtet werden. Was ich hier nicht hatte, hab ich mir aus Westberlin mitgebracht. Gemüse oder Obst oder solche Sachen. Musik: Ernst Busch O-Ton Renate Bronnen Ich wollt doch dann hier die erste Boutique machen, in Ost-Berlin, was ja dann schief gegangen ist, es ist dann an der HO gescheitert. Sprecherin Sie hatte mit Bronnen dessen Verleger Rowohlt in Hamburg besucht und beim Stadtbummel eine Boutique entdeckt. Das schrieb sich französisch und hieß "Gloria". O-Ton Renate Bronnen Dort gab`s ganz tolle Sachen, nur exquisit Mode, nicht en masse, sondern nur im Kleinen und das hat mich ungeheuer fasziniert. Und der Bronnen hat mir da auch was gekauft. Das hab ich hier dem Becher erzählt im Kulturministerium. Der hat gesagt, "Frau Bronnen, das ist eine großartige Idee, so was machen Sie bei uns auch." Vielleicht wollte er für seine Frau oder sonst jemanden ne hübsche Handtasche kaufen oder ich weiß nicht was. Ja, hab ich versucht es zu machen, bin aber an der HO gescheitert, am Bürokratismus. O-Ton Renate Bronnen Da gabs ganz tolle Matineen am Deutschen Theater, der Ernst Busch, der Barrikadentauber. Ein hinreißender Künstler, einer der größten die ich je gehört und gesehen hab, und da ging man, das war in der ersten Zeit, wo ich in der DDR war, in Newa. Das war nicht zerbombt, das war stehen geblieben von den Russen war es nicht besetzt - das war das sozusagen das Hotel, wo man sich trefffen konnte, zum Essen nach dem Theater, nach einer Matinee, gabs russischen Kaviar, wo ich zu Busch sagte, so hab ich mir das alles nicht vorgestellt mit dem Kaviar und mit dem Champagner und so fort, wo er dann gesagt hat: "Mädchen, wir wollen doch nicht den Reichtum abschaffen, sondern die Armut." Musik: Eisler/ Busch Lied vom Kompromiß Sprecherin Mit Ernst Busch sei sie fast täglich in der Heide spazieren gegangen. Und dann habe er ihr, von der Klampfe begleitet, die tollsten Balladen vorgesungen. Musik: Ernst Busch Lied vom Kompromiß Erzählerin Über seine menschlichen Schwächen sah sie hinweg. So nah hätte sie ihn auch nicht an sich rankommen lassen, dass er mit ihr so umgesprungen wäre wie zum Beispiel mit seiner Ehefrau oder mit den Leuten, die seinen Klassenstandpunkt nicht teilten. O-Ton Renate Bronnen Na, wenn ich überhaupt einem den Kommunismus glauben konnte, dann war es der Ernst Busch. Der war wirklich überzeugter Kommunist. Hundertprozentig. Er hat natürlich die Annehmlichkeiten eines Wohllebens - was heißt Wohllebens - eines angenehmen Lebens für sich beansprucht. Aber zu Recht. Das beansprucht ja jeder zu Recht. Der eine kann`s eben haben, der andere kanns nicht haben. Und er hat natürlich auch genug durchgemacht. Spanienkämpfer. Und dann ist er irgendwo verschüttet worden. Daher war seine halbe Gesichtshälfte gelähmt. Da war er in Moskau in irgendwelchen Spitälern. Einen Schauspieler, wie der Ernst Busch, einen Sänger, und hat eine Gesichtshälfte gelähmt, was da für Willenskraft dazu gehört hat, sich durchzusetzen. Musik: Reiner Bredemeyer Schlagstück 1 O-Ton Renate Bronnen Je öfter man ein Testament schreibt, um so mehr wird es zu einem Liebesbrief an den Tod, an ein Jenseits, an die Hinterbliebenen. "Frei ist nur, wer weder hofft noch flüchtet". Das ist ein Ausspruch aus einem Gedicht meines ersten Mannes, der ein Lyriker war, ein sehr kluger, intelligenter Mann, der einzige Mensch auf dieser Erde von dem ich nie einen dummen Satz gehört habe. Sprecherin Im österreichischen Linz an der Donau ist 1938 fast jeder Nazi. Alle hätten Hitler beim Einmarsch als Befreier gefeiert, auch sie. Ihr Mann, der Dichter Karl Kleinschmidt, sei Parteimitglied gewesen, allerdings ohne politische Ambitionen, mit einer Anstellung im Kulturamt, den Kopf voll mit altpersischen Weisheiten und dem West-östlichen Diwan. O-Ton Renate Bronnen Ein reiner Lyriker, nicht von dieser Welt. Arnolt Bronnen war anders. Aber Arnolt Bronnen hat gesagt zu mir: ich hätte dich nie geheiratet, wenn du nicht vorher mit dem Kleinschmidt verheiratet gewesen wärst. Der hat dich literarisch gebildet. Erzählerin "Unterbrechen Sie mich, wenn ich mich wiederhole", sagt sie immer wieder zwischendurch. Sie will auf ihre Vergesslichkeiten aufmerksam gemacht werden und wünscht keine falsche Rücksichtnahme auf ihr Alter. Musik: Schlagstück 1 Erzählerin Im letzten Kriegsjahr 1944, sei sie, Renate, damals verheiratete Kleinschmidt, Anfang 20, dem Tode nahe gewesen; eine offene Tuberkulose habe beide Lungenflügel befallen. O- Ton Renate Bronnen Diese grässliche Last, auch das Kriegsende mit all den Besetzungen, Besatzungen. Erst waren die Amis da, dann sind die Amis weg und die Russen gekommen. Da gibt es ja endlose Geschichten. (lachend) Jetzt muss ich furchtbar lachen ... ein Russe ein betrunkener Russe, und da kam unsere Hausmeisterin heraus und sagt im oberösterr. Dialekt: "So ein Lackel, den hab ich hinten eine drauf gehaun während der Vergewaltigung." Das Leben war sehr abwechslungsreich. Aber um jetzt nicht den Faden zu verlieren: Ein betrunkener Russe, alte Frau, das war gang und gäbe, Kriegsende, 45, was denken sie, was sich da alles abgespielt hat. In Österreich war das. Der war volltrunken und hat einfach nur irgendein weibliches Wesen, vielleicht hätt er sich an einer Kuh auch vergangen, wenn die in seiner Näh gewesen wär, aber da war nichts. Ist ja nichts passiert, war ja keine Jungfrau oder ein Mädchen, das er beschädigt hat. Sprecherin Die Krankheit dauert mehrere Jahre, in denen Renate Bronnen sich abgekapselt habe; wegen der Ansteckungsgefahr habe sie sich auch von ihrem kleinen Sohn und dem Ehemann ferngehalten. Als sie das Krankenbett verlässt, ist der Krieg vorbei, aber auch ihre Ehe am Ende. O-Ton Renate Bronnen Denn der zartbesaitete Lyriker, mein 1. Mann, brauchte jemanden, die absolut auf ihn eingestellt war, die für ihn da war, die seine Gedichte aufgesaugt hat wie Blüten nach einer Trockenheit das Wasser. Und das konnte ich nicht mehr, weil ich nur damit beschäftigt war, ich, Renate, zu überleben. Musik: Eisler Intro "Feldfrüchte" Sprecherin 1947 habe sie, wie jeder nach dem Krieg, einen Anfang gesucht. Jeder habe damals irgendetwas Neues unternehmen wollen. Und Renate, die wegen der Lungenkrankheit ihre Gesangsausbildung abgebrochen hatte, will mit jungen Leuten Theater spielen. O-Ton Renate Bronnen Hast du schon mal was gehört von Arnolt Bronnen? - Naa, nichts gehört, keine Ahnung. - Ja, ein Stück "Vatermord", das wär doch sehr interessant und das müss`n wir spielen, würdest du mitmachen? Und der Stückmüller, der Intendant am Linzer Landestheater war, der hat gesagt, du musst natürlich den Bronnen kennen lernen und er vor allem dich. Und da hat er dem Bronnen auf den Schreibtisch einen Zettel gelegt: Morgen elf Uhr Vorführung des Raubtiers. (lacht) Das Raubtier war dann ich. Und so habe ich den Bronnen kennengelernt. Und das war dann wohl auf Anhieb Sympathie auf beiden Seiten, und das ist dann, man kann nicht sagen über Nacht, aber von mal zu Mal eine große Liebe und große Leidenschaft geworden. Und der hat mich, lungenkrank wie ich war, lungenkrank genommen. Wie es mir ganz ganz schlecht ging und wie ich gedacht hab, ich hab keine Überlebenschance mehr, hab ich gesagt, du ich muss sterben und dann hat er gesagt: Dann sterb ich mit dir. Und im Laufe der Jahre bin ich wieder gesund geworden und heute bin ich 86 Jahre alt. Erzählerin Die dezent blonden vollen Haare hat sie nach hinten gebunden. Ihre braunen Augen sind so groß und ausdrucksstark wie auf dem Foto von 1950, die Lippen immer noch voll geschwungen. Damals war sie eine dunkle Schönheit, Arnolt Bronnen verließ ihretwegen seine Frau mit zwei Töchtern. Auch Bronnens Biograf Friedbert Aspetsberger muss ein bisschen in sie verknallt gewesen sein. Das einzige ganzseitige Foto in seinem dicken Buch zeigt ihr Porträt. Musik: Schlagstück 1 Sprecherin Arnolt Bronnen hat eine extreme Jugend hinter sich: Zitator Bronnen "Geist und Intellekt zogen mich nach links, Gefühl und Leidenschaft rissen mich nach rechts." Sprecherin Ein verirrter Bürgersohn unterwegs auf Heimatsuche ersehnt den ersten Weltkrieg und das gewaltsame Ende einer Gesellschaftsform, die sich aufgebraucht habe. Zitator Bronnen "Deine Gedanken hab ich nicht / Deine Taten tu ich nicht. Und was du fühlst, das hass ich." Sprecherin Die machtvolle Welt der Väter müsse revolutionär gesprengt werden. Zitator Bronnen "Auf / Du Vater Teufel Henker Herr Erzeuger Hund du bist mein du fällst / Auf - koitiert ohne viel Worte mit der Mutter - Ah a ahh /Du / Duuuu/ Du / Lieber / Lieber Duuu / Gib acht zu viel hhh zu viel hhh." Der Vater bricht in diese Szene ein, vor dem nackt aufgerichteten Sohn fallen ihm Revolver und Fleischschlegel aus der Hand. Als ihn der Sohn erblickt, stürzt der Vater nieder, der Sohn bleibt erigiert. "Er lebt le le lebt noch" - Er ersticht den "Alten" - der Sohn ist nun frei von allem Väterlichen, damit auch von der Mutter - "Geh deinen Mann begraben, du bist alt / Ich bin jung aber / ich kenne dich nicht / ich bin frei." Sprecherin Bronnens "Vatermord" bringt den Explosivstoff der Zeit auf die Bühne: Lebensreformerische Jugendträume, Grenzen sprengende Sexualität, familiäre Gewalt, Inzest und schließlich Befreiung durch Mord. Der Schreibprozess als Geschlechtsakt gibt demjenigen Dichter, der an seiner labilen Selbsteinschätzung und sexuellen Unentschiedenheit leidet, lebensnotwendigen Halt. Der schriftstellerische Erfolg und die intime Freundschaft mit Bertolt Brecht helfen ihm vorübergehend bei seiner exzessiven Ich-Suche. "Vatermord" erlebt seine Uraufführung 1922, im Jahr der Ermordung Walter Rathenaus. Der 27-jährige Arnolt Bronnen wird berühmt. In diesem Jahr wird Renate Bronnen geboren. Erzählerin Linz im Juni 1945: Es sollte ein Tag werden, der alles ändert. Schon früh am Morgen begann sie mit dem Aufräumen. Sie hatte schlimme Geschichten gehört. O-Ton Renate Bronnen Wir hatten ein Felsenschlössel, in Oberösterreich, ganz an der Donau gelegen. Jetzt hatten wir sehr viel Naziliteratur. Wie wir wussten, der Krieg ist verloren, da sind wir zur Donau und haben diese Literatur im Wasser versenkt. Denkste. Die Bücher sind ja geschwommen und sind bei der nächsten Kurve wieder an Land gekommen. Einen Tag später haben meine Schwiegermutter und ich gesehen, dass die ganze Literatur, die wir der Donau opfern wollten, wieder an Land kam. Musik: Reiner Bredemeyer Schlagstück 1 Sprecherin Januar 1956. Die Meteorologen haben Glatteis vorhergesagt. Arnolt Bronnens kleiner Austin fährt auf freier breiter Straße 70 bis 80 Stundenkilometer. Sein Ziel ist die Deutsche Demokratische Republik. Für die knapp 700 Kilometer von Wien bis Berlin braucht er zwei Tage. Deutschland - ein Wintermärchen? Ein Wiener Freund habe ihm, ironisch lächelnd, ein schmales Buch zum Abschied in die Hand gedrückt ... Zitator Bronnen mit Heinrich Heines 28 glitzernd scharfen, spöttisch-mutigen Versen. Sollte das eine Anspielung sein? Würde ich das gleiche Deutschland wie Heine finden, in Winterstarre, Frost und Mystik, Unfreiheit und Zersplitterung? Zitator Bronnen (Brief) Liebste Renate, [...] Was in Wien nur vage Absicht: ich bin hierher gekommen, um hier zu bleiben. Das wirst du mir antworten: Ottensheim. Unser "Felsenschlössel" zwischen Berg und Au. Die mächtige Donau dicht vor uns. [ ... ] Wie oft sind wir Hand in Hand den Hang unseres Anwesens hinaufgekraxelt bis zu der lieben alten Birnbaumallee. Du hast die mürben Mostbirnen aufgesammelt und ich habe zu der schimmernden Kette der Alpen hinübergeblickt, die da bewacht ist vom schattig drohenden Klotz des Gmundener Traunsteins und überragt von der dreizackigen Gletscherkrone des Dachsteins. [ ... ] Das alles bin ich bereit aufzugeben, und ich schreibe dir, damit auch du es aufgibst. O-Ton Renate Bronnen Das war die Idee von Becher. Der wollte in der DDR, weg von den Amerikanern, eine Kultur aufbauen, und hat die ganzen Emigranten von überall, alle in die DDR geholt. Drum sind ja auch diese Häuser hier gebaut worden, für die bevorzugte Intelligenz, damit die alle unterkommen konnten. Denn es war ja alles kaputt und lag in Schutt und Asche. Zitator Bronnen Liebste Renate! In Wien war alles schließlich nur Hoffnung gewesen, in Berlin ist Wirklichkeit. Das Visum für die Deutsche Demokratische Republik. [...] Ich spürte manchmal deinen ebenso liebevollen wie skeptischen Blick: [ ... ] Wird mein Mann, an der Schwelle seines siebten Jahrzehnts, wirklich hier aufhören und dort neu beginnen? Renate, nicht allein und nicht ohne dich. Sprecherin Bittend und lockend schreibt Arnolt Bronnen seiner jungen Ehefrau Reisebriefe aus dem Sozialismus ins österreichische Linz. Später werden die Briefe Teil eines Buches: " Deutschland Kein Wintermärchen". Das K auf dem Buch-Cover ist rot. Als er im Januar 1956 über die Grenze der Deutschen Demokratischen Republik fährt, Zitator Bronnen war da eine milde, zarte Luft Sprecherin und als er das Fenster seines Zimmers im Elbhotel in Bad Schandau öffnet, Zitator Bronnen Da strahlte mir hell der Frühlingsstern vom lichtübersäten Himmel. Musik: Reiner Bredemeyer Winterreise "Mut" Zitator Bronnen Das schöne, große Hotel war ein HO-Betrieb, also verstaatlicht. Der frühere Besitzer leitete das Haus weiter als Geschäftsführer, doch konnte er sich bei dem geringen winterlichen Besuch natürlich kein Personal halten; so spielte er Hausdiener, Empfangschef, und Zimmermädchen in einem. Das Gesicht mit tragischer Würde, die Hände mit Handschuhen bezogen, heizte er meinen Ofen ein. Im Übrigen hatte niemand seine Stellung, seine Funktion, seinen Lebensstil und seinen persönlichen Besitz angetastet. Wenn dies die Art war, in welcher der sozialistische Staat mit seinen ehemaligen Gegnern verfuhr, so konnte man diese Methode kaum anders als großzügig nennen. Musik: Reiner Bredemeyer Winterreise "Mut" Sprecherin Wien war für Arnolt Bronnen eine demütigende Erfahrung. In den frühen 50er Jahren hatte er gehofft, am Wiener Scala-Theater eine berufliche Heimat zu finden. Das Scala-Theater war ein sozialistisches Theaterexperiment von Künstlern wie Wolfgang Heinz, Wolfgang Langhoff, Karl Paryla und anderen, die am Zürcher Schauspielhaus die Nazizeit überlebt hatten. Hier scheiterte Bronnen an der unversöhnlichen Feindschaft der antifaschistischen Exilanten. Hier war seine Sympathie für die Nationalsozialisten nicht vergessen. Alte Freunde in der Not blieben nur Johannes R. Becher, inzwischen Kulturminister in der DDR, und Bertolt Brecht, der am Schiffbauerdamm in Berlin mit Helene Weigel und anderen Künstlern das Berliner Ensemble gegründet hatte. O-Ton Renate Bronnen Brecht hab ich getroffen, einige Male, mit Bronnen zusammen im Berliner Ensemble. Da hat er geprobt den Galilei, mit'm Busch und dann alle Adlaten um ihn herum und alle haben den Bronnen geschnitten, Brecht nicht, mich natürlich mit. Ich wusste das ja alles nicht, ich war überrascht. Der Bunge hat mir das dann mal bestätigt. Der hat gesagt: Wir haben den Bronnen gehasst, wie er gekommen ist ins Berliner Ensemble. Und ich hab gesagt: Dich konnt man auch nicht ausstehen. Erzählerin Seine junge Frau ahnt nichts von den ideologischen Debatten, den politischen Kämpfen, den Feindschaften nach den wilden Jahren der Inflation in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre. Sie sagt es lässig: "unanfechtbare Wahrheiten gibt es gar nicht, und wenn es sie gäbe, so wären sie langweilig." O-Ton Renate Bronnen Der Bronnen, er war ein kluger Mann und er war auch nicht mehr ganz jung. Er war ja dann in U-Haft bei den Nazis, er hat sich davon völlig getrennt und war der Überzeugung, dass der Kommunismus in weitestem und besten Sinne die Zukunft ist, und die Bestätigung dafür hat er hier in der DDR bei Becher und bei Brecht gefunden. O-Ton Arnolt Bronnen, Lesung Verehrte Hörer, ich lese hier aus meinem neuen Roman "Aisopos - 7 Berichte aus Hellas". Das ist der antike Aisopos-Roman, neu übersetzt, und nach den dokumentarischen Quellen ergänzt. Doch ging das, wie der Aisopos mein Sklave wurde, gar nicht so rasch. Die Zollbeamten hatten nämlich das Geschrei des Auktionators gehört. "Wer ist der Verkäufer?", schrien sie und "Wer ist der Käufer?" O-Ton "Exzesse" Inszenierung 2007 Mozarteum, Salzburg Ich liebe dich. Wie du riechst. Stoß meinen Leib, stoß meine Schenkel, zerr meine Brust, du Bock, du ekliger, hässlicher Bock. Sprecherin Die Uraufführung von Bronnens Jugendstück "Exzesse" 1925 durch Berthold Viertel in Berlin gilt als der größte Theaterskandal seit Hauptmanns "Vor Sonnenaufgang", weil die junge liebestolle Heldin sich auf offener Bühne einen Ziegenbock als Sexualpartner wählt. Zitator Bronnen (damals) Nur ein Auto konnte meine Minderwertigkeits-Komplexe beheben, O-Ton "Exzesse" Ein Auto! Ein Auto! Zitator Bronnen (damals) ... nur ein Auto konnte mich, der ich doch auch nur zu den Gauklern gehörte, zum anerkannten Angehörigen der Herren-Kaste machen. Das wurde meine fixe Idee. Sprecherin Das biografische Bekenntnis eines Erfolgs-Schriftstellers. Sein künstlerisches Programm ist Radikalität, gleichgültig ob links- oder rechtsradikal. Als Politiker macht er sich lächerlich. Für seine gesellschaftliche Repräsentation schmückt sich Arnolt Bronnen mit Schauspielerinnen, einem Monokel und einem Auto. Damals inspirieren ihn antibürgerliche Attitüden und homoerotische Affinitäten. Er lässt sich zuerst von Bertolt Brecht, dann durch Josef Goebbels und Ernst Jünger verführen. Mit Dostojewskis Phantasie, ohne Eifersucht, beobachtet er die sexuelle und ideologische Leidenschaft, die seine Ehefrau Olga mit Josef Goebbels verbindet. 1927 bekennt er sich zum Nationalsozialismus. Zitator Bronnen Uns, denen seit Jahren Wort und Wille von Joseph Goebbels tiefstes Erlebnis geworden ist, uns ist nunmehr zu der Sache, der wir dienen, der Führer gegeben worden, dem die Sache dienen soll. Sprecherin Es könne nur Angst gewesen sein, die 1933 diese totale Mobilmachung von Bronnens Herzen bewirkt habe, kommentiert Friedbert Aspetsberger. Mit der Nazi-Herrschaft kommt er dann aber nicht zurecht. Als Dramaturg des Berliner Fernsehens wird er 1940 endgültig, "wegen Verlust der erforderlichen Zuverlässigkeit" abgesetzt, bekommt Schreib- und Publikationsverbot. 1943 schließt er sich in Österreich einer Widerstandsgruppe an, sucht einen neuen Weltentwurf, neue Zusammenhänge. Er tritt der Katholischen Kirche bei, und nach dem Krieg der Kommunistischen Partei Österreichs. Nun endlich fühle er sich aufgehoben, als "Teil der Menschenbrüderschaft." Für kurze Zeit übernimmt er das Bürgermeisteramt in Bad Goisern und Ende 1945 die Kulturredaktion der "Neuen Zeit", das Organ der Kommunistischen Partei in Linz. Musik: Schlagstück 1 O-Ton Renate Bronnen Der Bronnen war für mich eine neue Welt und durch die Literatur, die ich immer sehr geliebt hab, ich war wie ein Schwamm, der alles aufgesaugt hat. Ich hab alles angenommen. Und so hab ich keine Enttäuschungen erlebt. Vielleicht bin ich auch nur ein großer Feigling. Ich hab immer große Enttäuschungen vermieden. Ob mit Menschen, in der Familie, ob in der Politik. Zitator Bronnen Ich weiß, mein Liebes, wie schwer es ist für dich, und gerade für dich. Deine Vorfahren waren aus Mailand gekommen. Die Bertalotti hatten fast 200 Jahre lang dem Kaiser von Österreich als Offiziere gedient. Für dich, dunkel glühende Langobardin, war Österreich schon der rauhe Norden. O-Ton Renate Bronnen Mein Mädchenname war Renate Bertalotti, auf diesen Namen war ich sehr stolz. Ich kam nach einem Jahr Ehe zur Welt: Renate, die Wiedergeborene. (lacht) Ich war 2 Jahre alt, da haben sich meine Eltern scheiden lassen. Meine Mutter wollte dies enge kleinbürgerliche Leben nicht und hat gesagt, sie verzichtet auf alles, auf das Kind, auf alles, wenn mein Vater sich scheiden lässt. Darauf hat er gesagt: "Ja, das kannst du haben, aber du darfst dieses Kind nie mehr sehen." Weg war sie. Ich kann mich überhaupt nicht an die Mutter erinnern. Ich hab sie dann ein einziges Mal in meinem Leben gesehen, aber Gefühle des Blutes gibt es nicht. Eine fremde Frau. Nichts. Gar nichts. Sie hat unter der Sehnsucht nach mir sehr gelitten. Erzählerin In Europa gab es zwischen den beiden Weltkriegen viel Not. Auch in Linz, wo Hitlers Eltern begraben liegen. Renate war ein gut gekleidetes Kind, doch auf ihrem Schulweg sah sie die Armee der Armen, die langen Schlangen der Arbeitslosen, der "Ausgesteuerten", die vor einem Amt standen, um sich ein warmes Essen oder ein paar Schillinge abzuholen. O-Ton Renate Bronnen Und diese grauen Gestalten, diese hageren, die seh ich heute noch vor mir. Und das war ein Grund, wie dann der Hitler gekommen ist, 38, und ist mit Hurra und allem empfangen, alle waren wir begeistert. Da war das über Nacht weg. Es ist doch ein Blödsinn zu glauben, dass die Menschen wegen dem Hitler Nazionalsozialisten geworden sind. Es hat sich nur alles, wie die Deutschen gekommen sind, zum Guten gewendet; es gab keine Arbeitslosen mehr, es gab zu essen, in Linz wurden die Hermann Göring-Werke gebaut. Heute gibt's die noch, Stickstoffwerke. Sprecherin Eine sehr liebevolle Großmutter habe sie zuerst aufgenommen. Dann sei sie zu ihrem Vater gezogen, der als Offizier in Linz, in der Kaserne lebte. Den Vater habe sie geliebt und bewundert. Ein gut aussehender Mann, fesch und schneidig, mit einer Fülle abenteuerlicher Geschichten von Schlachten aus dem Ersten Weltkrieg. Überhaupt sei ihr von allen Seiten nur Sympathie, Zuneigung und Liebe entgegen gebracht worden, denn überall habe es geheißen: das arme, von der Mutter verlassene Kind. - Sie genießt die Außenseiterrolle. O-Ton Renate Bronnen Dann ist mein Vater gestorben, da war ich 10 Jahre alt, und das war für mich der schwerste Schlag überhaupt. Das hab ich bis heute nicht verkraftet, den Tod des Vaters. Nur hatte mein Vater als ehemaliger Offizier ein ganz prächtiges Militärbegräbnis. Mit Tschi, bumm und trara, mit "Ich hatt einen Kameraden", mit Uniformen, wahrscheinlich hab ich so ein theatralisches Gefühl überhaupt in mir, weil es hat mich ungeheur begeistert und hab mir gedacht, mein Vater muss ein ganz besonderer Mann gewesen sein. Als 10-jähriges Mädchen. Ja, die Beerdigung war ein Fest. Musik: Reiner Bredemeyer, Duell Duett Erzählerin Sie brüht neuen Tee auf, ohne ihre Plaudereien zu unterbrechen. - Vom Bäcker hat sie zwei Stück Obstkuchen mitgebracht; isst selbst aber nichts davon. Sie achtet auf die Linie und beschreibt mir ihr striktes Gesundheitsprogramm. Seit dem Siebzigsten hat sie sich vorgenommen, den Erscheinungen des Alters Widerstand zu leisten. Sie berate sich mit einem alten österreichischen Landarzt, der auf dem neuesten Stand der Forschung sei. Im Mai fährt sie, wie jeden Sommer, zu ihren Freunden nach Linz. O-Ton Renate Bronnen Granit ist ja Urgestein. Wir sind ja alle, wenn sie da aufwachsen, aufs Urgestein versessen. Da fühlen sie sich wie im Boden verwachsen. Das ist der Grund, warum ich so lange lebe und warum es mir so geht, weil ich jedes Jahr dort bin und weil ich die Luft einatme und dieses Gefühl der Stärke dort bekomme. Zitator Bronnen Du hast recht zu schreiben, dass Du dich nicht gleich entscheiden kannst. Du hast recht zu sagen, dass nicht nur das neue Land ein Wagnis ist, sondern auch der neue Mensch. Nun bin ich freilich für dich kein neuer Mensch, sondern der, den Du seit bald zehn Jahren kennst. Doch schon, während ich dir erzähle und du mir zuhörst, merke ich eine Wandlung in mir, macht das neue, das ich sehe, auch meine Augen neu. O-Ton Renate Bronnen Ich bin mit Bronnen hierher gegangen, weil mich die kulturellen Möglichkeiten, die es hier gab, auch gewisse kulturelle Freiheit, Kultur muss immer mit Freiheit zu tun haben, das hat mich schon fasziniert. Sie müssen sich vorstellen, Kriegsjahre, Nachkriegsjahre, alles in Schutt und Asche. Da hatte ich hier in der DDR den Eindruck: Es geschieht was. Sprecherin Bronnens Freunde, denen er zwar nicht schwankend, aber ideologisch schwach erschienen sei, hätten ihm geraten: "Reise durch die Deutsche Demokratische Republik! Erforsche unsere sozialistische Wirklichkeit nicht nur in dieser gespaltenen Stadt Berlin, sondern überall zwischen Ostsee und Thüringer Wald." Der Schriftsteller Peter Huchel habe ihm hingegen empfohlen: "Kommen Sie zum Schriftstellerkongress ins Deutsche Theater. Das ist das beste Vorwort zur Deutschen Demokratischen Republik." Zitator Bronnen Der Kongress bot zeitweise das Bild eines echten Parlaments, einer gescheiten und gläubigen Auseinandersetzung zwischen Männern, die ihren Beruf und die Menschheit gleichermaßen liebten, ja die ihren Beruf liebten, weil sie die Menschheit liebten. O-Ton Stefan Heym, IV. Schriftstellerkongress Und außerdem hat der Ministerpräsident recht, wenn er sagt, es gehört kein Mut dazu, aufzustehen und zu kritisieren. Ich glaube nicht, dass er mir ans Bein fahren wird, wenn ich hier mit ihm argumentiere. Am 1. Mai vorigen Jahres, beim Bücherbasar, kam er zu mir und sagte: "Heym, wir müssen mal über diese Literaturdiskussion reden." Und jetzt reden wir darüber und das ist richtig. O-Ton Walter Ulbricht IV. Schriftstellerkongress Es gehört doch kein Mut dazu zum Beispiel kritische Äußerungen bei uns zu machen. Was wird bei uns alles, ich möchte sagen auch an Dummheiten geschrieben und gesagt. Das ist doch nicht das Problem, um das es geht. Dazu gehört kein Mut. Zu unserem Mut gehört dazu, wirklich konsequent die großen Ideen, die wir vertreten, durch die durch die Schriftsteller ver-, gekündet werden; dass wirklich das Volk erzogen wird und die Jugend erzogen wird, um erfüllt zu sein vom Willen zur Verteidigung des Vaterlands der Deutschen Demokratischen Republik. Musik Mit Walter Ulbricht kämpft sich`s gut O-Ton Renate Bronnen Nach dem Tod von Bronnen, es muss Oktober gewesen sein, und am späten Abend hats geläutet an der Tür, ein Mann draußen, bitte was möchten Sie - kann ich hereinkommen - ja, bitte schön - jaa, wir möchten fragen, ob sie nicht bereit wären, für uns einige Dinge zu machen - da muss ich erst mal wissen, wer sie sind. - Darauf sagte der, ich komme morgen wieder - Weg war er, wies Würschtel vom Kraut. Aus der Tür. Am nächsten Tag, halb elf, stand er wieder vor der Tür. Da hat er gesagt: "Frau Bronnen, würden Sie sich vielleicht bereit finden, für uns etwas zu machen? Na ja, sie haben dadurch die Möglichkeit, sie können ins Ausland fahren, Österreich." - "Nein", hab ich gesagt, "dafür bin ich nicht die Richtige." Nach 8 oder 14 Tagen sind 2 Herren gekommen. "Wir sind von der Staatssicherheit, haben sie sich das überlegt?" - "Ja sicher, ich komm überhaupt nicht in Frage, aber ich kann ihnen sagen, für kein Land auf dieser Erde würde ich das machen. Ich hab 2 Kinder ohne Vater und für die fühl ich mich verantwortlich. Bitte akzeptieren Sie das." Musik: Bredemeyer Duell Duett O-Ton Renate Bronnen Der Bronnen hat zu mir am Totenbett gesagt: "Für dich würde ich gerne noch leben, aber ich kann nicht mehr." Diese schwere Herzkrankheit, dahinter stand der Wille, nicht mehr leben zu wollen. Wir hatten ja nen 2-jährigen Sohn, aber das hat er gar nicht mehr relativiert. Daher war meine Trauer sehr groß um den Mann, den ich sehr geliebt, sehr bewundert hab, aber es war auch ein Verständnis dafür da, dass er nicht mehr wollte, nicht mehr konnte. Und ich glaub, so ist es vielen gegangen. Die waren doch alle alt, die waren doch alle 60. Er war 64, damals war er ein alter Mann. Nachdem er mir gesagt hat, ich kann nicht mehr, hab ich das akzeptiert. Diese Bronnen Generation, Brecht, Becher, die haben ja alle sehr viel erlitten, den Krieg erlebt, ungeheure Zusammenbrüche erlebt. Die hatten ein so reiches Leben, dass sie einfach am Ende ihrer Zeit waren. Erzählerin Man spürt im Gespräch, dass Renate Bronnen ihre impulsiven Erinnerungen als Lebensfülle, als Gegenwart und Daseinsdichte erlebt. Mit 37 Jahren plötzlich Witwe, allein mit zwei Söhnen von zwei Männern, steht sie vor einer neuen Verantwortung, aber auch vor neuen Freiheiten. Sie ist offen, andere Wirklichkeiten wahrzunehmen. Musik: Bredemeyer Alle Neune - Schützenfestmusik O-Ton Renate Bronnen Ich war am Checkpoint Charlie, bin wieder mal nach Westberlin gefahren und neben mir stand ein großer Schwarzer. Und der stand neben mir und war sehr nett und freundlich, nur gebrochen deutsch gesprochen: "Entschuldigen sie Madam, könnten sie mir behilflich sein, diesen Schein auszufüllen?" Sprecherin Sie habe bereitwillig seine Passnummer in das Formular eingetragen und ihn im Auto bis zum Bahnhof Zoo mitnehmen wollen, dort, wo sie für gewöhnlich parke, zur Bank ginge und ihre Einkäufe mache. O-Ton Renate Bronnen "Wollen sie nicht mitkommen?" - "Wohin Madam?" Darauf hab ich gesagt: "Zum Zoo." Darauf kriegte er eine steinerne Miene und sagte: "Meinen sie zu meinen Verwandten? Den Affen?" Nu, ich hab gedacht, ich werd wahnsinnig. Ich bin mein ganzes Leben keine Rassistin gewesen. "Um Gottes Willen, was haben sie eine Vorstellung von mir?" - "Ja, was soll ich im Zoo?" - "Nicht im Zoo. Am Zoo!" Sprecherin Sie gibt ihm ihre Telefonnummer. Schon am nächsten Tag ruft er an, sie verabreden sich im Hotel Adria in der Friedrichstraße. O-Ton Renate Bronnen Ja, das ist eine Liebesgeschichte geworden, mit Fidèle. Aber das war nicht der Einzige. Der Freund von Fidèle, ein ganz wunderbarer Mann, nicht nur äußerlich, mit einer wunderbaren Seele, mit dem Namen Amilcar Abillo Duarte. Ein Portugiese von den Capverden. Abillo Duarte! Und so schön wie der Name ist, so war er auch. Wunderbare Stimme, sehr an Literatur interessiert. Alle diese Intelligenz in Afrika, die sind ja alle Freedomfighter geworden, weil sie gar keine andere Chance hatten, und weil sie ihr Volk endlich aus der Kolonisation befreien wollten. Und die wurden dann in China bei Mao Tsetung ausgebildet als Freedomfighter mi Waffen und mit allem. Der Fidèle war Rechtsanwalt in Sao Paulo, Brasilien, hat alles hinter sich gelassen. Die haben aber gesagt, wir sind keine Idealisten wir sind Realisten, weil wir für unser Land kämpfen. Sprecherin Für sie, die weiße Frau, die bisher mit Dichtern in höheren Sphären verbunden gewesen sei, habe sich mit dem bewaffneten antikolonialen Kampf ihrer neuen Freunde eine neue Welt eröffnet. Die Stasi habe die Afrikaner überwacht und die häufigen Besuche im Wohnviertel der "bevorzugten Intelligenz" protokolliert. Aber sie hätten nur gesehen, wie die Friedenskämpfer im Garten mit ihren Söhnen Pingpong gespielt hätten. O-Ton Renate Bronnen Mit wem ich im Bett gelegen bin, das hat ja niemand gesehen, das weiß ja niemand. Dann kannte ich noch den Manuel. Das waren lauter schöne Männer, das Aussehen hat mich nicht so interessiert - obwohl braune Farbe schön ist - im Bett. (lacht) Aber das war nicht das, was mich an ihnen am meisten fasziniert hat. Fasziniert hat mich eben dieser Drang nach Freiheit. Erzählerin "Sie können`s mir glauben, an die Afrikaner denke ich gern zurück." Ihre Stimme klingt wehmütig. Leider " starben sie alle im Bett, an irgend einer Krankheit." Schade, dass keiner ihrer Helden im Freiheitskampf fiel. Das trübt ihr Bild der afrikanischen Helden, das sie so leuchtend in Erinnerung bewahrt. Das war Freiheit und Wirklichkeit, die sie als eigene Freiheit hat annehmen können. Musik Bredemeyer, Einmischung in unsere Angelegenheiten Zitator Bronnen Kunst will Wirklichkeit, das scheint mir klar; und Wirklichkeit kann sie nur aus der Wirklichkeit nehmen. Jedoch ist Wirklichkeit etwas höchst Komplexes; wäre sie jederzeit sichtbar, fassbar, begreifbar, so gäbe es weder Tod noch Krankheit, noch Leid und Konflikte. Erzählerin Arnolt Bronnen, da lässt seine Witwe, kaum einen Zweifel, stand doch oft einen Schritt neben der Wirklichkeit: O-Ton Renate Bronnen Der Bronnen hat mich auch gelehrt, wenn dir im Leben was daneben geht, dann suche bitte immer den Fehler immer zuerst bei dir. - Er hat's bestimmt nicht getan. (Lacht.) Musik: Kremserfahrt in Alt-Berlin Absage Grüß Gott DDR Renate Bronnen - das Leben einer Dichter-Witwe Ein Feature von Tita Gaehme Es sprachen: Corinna Kirchhoff, Kerstin Thielemann und Harald Schwaiger Ton und Technik: Meinhard Schwarzer, Petra Pelloth Regie: die Autorin Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2008 Redaktion: Hermann Theißen 22