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Hier ging Wilfried Gruber vor sechs Jahrzehnten zur Schule: O-Ton 1: ( D 1 / 8 - 2'10) "Da war's im Sommer so: Nach der Schule konnte man schnell ins Wasser springen. Und wir saßen dann beim Französisch Unterricht. Wir waren ja französische Besatzungszone und fingen mit Französisch an. Und unsere Aussprache-Übungen wurde gestört vom Tuten der Schiffe, die im Nebel da ihr Kommen ankündigten." Atmo 2: Straßenmusik Zupfinstrument (D 4 - 14- 0'11) Sprecher 2: Zwei junge Mädchen haben ihre Instrumente ausgepackt; dezente Straßenmusik erklingt auf der Überlinger Uferpromenade. Wilfried Grubers Schulzeit liegt schon lange zurück, über sechs Jahrzehnte. Heute ist er Rentner und nach einem langen Berufsleben als Diplomat wieder zuhause am See. Schön ist es hier. Allerdings findet das nicht nur Wilfried Gruber. Überlingen, die ehemals Freie Reichsstadt, besticht durch pittoreske Fachwerkhäuser in der Innenstadt, durch die gut erhaltenen Befestigungsmauern mit ihren mächtigen Türmen aus dem Mittelalter. Heute zählt sie rund 22 000 Einwohner; mehr als die Hälfte sind über 45 Jahre alt. Damit ist Überlingen, nach Baden-Baden, die Stadt mit dem zweithöchsten Altersdurchschnitt in Deutschland. Deshalb trifft Wilfried Gruber auf seinen Spaziergängen meistens auf Gleichaltrige, so ab 65 Jahre aufwärts - gut betuchte Rentner, die beschlossen haben, ihren Lebensabend am Bodensee zu verbringen. Atmo 2 hochziehen Wilfried Gruber war deutscher Botschafter in Belgrad, dann in Budapest und in Bukarest. Nach der Pensionierung kehrt er zusammen mit seiner französischen Frau Monique an seinen Geburtsort zurück. Und kauft hier eine Wohnung mit Blick auf den See. O-Ton 2: Atmo Konversation Wilfried Gruber mit seiner Frau ( D 1 - 3 - 0'10 ) "Also meine Frau Monique ist schuldig, dass wir hier sind. Also was heißt schuldig? Da hört sich ziemlich negativ an. Eigentlich, damals in Budapest, nachdem wir unser ganzes Leben im Ausland verbracht haben, haben wir uns überlegt, wo wir uns niederlassen. Und letztlich hatte ich die Idee, nach Überlingen zurückzukommen. Also in der Fremde fremd zu sein, ist ja nicht so schlimm. Aber fremd zuhause zu sein - das ist doch viel schlimmer" Atmo 3: Terrasse Eigenheim Familie Gruber, leichtes Vogelgezwitscher ( D 1 - 13'012) Sprecher 3: Monique Gruber serviert auf der Terrasse Tee und Gebäck. Sie macht dabei, noch ganz Diplomaten-Gattin, einen sehr eleganten Eindruck. Und sie zögert keine Sekunde mit ihrer ganz persönlichen Liebeserklärung - an den Bodensee. O-Ton 3: D 1 - 1'19 "Also erst einmal die Lage: Wir sind, irgendwie der Nabel von Europa, wir sind geographisch so zentral. Wir können segeln. Wir können Skifahren. Wir können langlaufen, in die Alpen gehen. Es ist eine kleine Stadt, wo man gut leben kann. Es hat mediterranes Flair. Und ja, es ist rundum schön." Atmo 4: Terrasse Eigenheim Familie Gruber, leichtes Vogelgezwitscher b ( D 1 - 13 , 0'30) Sprecher 4: Versonnen blicken die Grubers von ihrem Balkon aus auf den westlichen Arm des Bodensees, den so genannten Überlinger See. Und darüber freuen sie sich jeden Tag aufs Neue. O-Ton 4: D 1 - 3'4'43 "Ja also die Seesicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, in Überlingen zu sein, dort zu wohnen und keine Seesicht zu haben.-Dann könnten wir ja gerade woanders sein: Den See genießen im Alter, auch im höheren Alter." Atmo 5: Terasse Eigenheim Familie Gruber (D 1 - 13'045)t Sprecher 6: Das Kulturangebot ist auch ganz nach ihrem Geschmack: in Bregenz am Bodensee wird gerade auf der riesigen Freiluftbühne Umberto Giordanos Oper "André Chénnier" gespielt. Das lassen sich Monique und Wilfried Gruber ebenso wenig entgehen wie die regelmäßigen Aufführungen am Schauspielhaus Zürich. Beide Städte sind nur eine Stunde entfernt. Freizeit, Kultur, Ruhe mit Blick auf den See - das alles bietet Überlingen. Und das genau ist der Grund, weshalb immer mehr Ruheständler mit ausreichend dickem Geldbeutel den Bodensee als Altersruhesitz auswählen. Die eher negativen Auswirkungen sieht Wilfried Gruber allerdings bereits vor der eigenen Haustür: O-Ton 5: D1 8 - 0'11 "Hier in unserer Straße gibt es kaum Kinder. Kinderlärm, der eigentlich auch das Leben erheitert, gibt es bei uns nicht, leider. Die Stadt hat natürlich keine gute Altersstruktur. Wir sind nicht die einzigen Pensionäre hier. Und wenn Sie gerade die Ecke nehmen, wo wir wohnen hier...das sind doch Häuser und Wohnungen, die relativ teuer sind. Und für Familien mit Kindern sind die natürlich nicht unbedingt erschwinglich." Atmo 6: Spazieratmo Stadtgarten Überlingen D 4 - 24'015 Sprecher 7: Wer weder Haus noch Eigentumswohnung kaufen will, hat als Pensionär auch die Möglichkeit in einer gepflegten Altersresidenz unterzukommen. Das Wohnstift Augustinum liegt im Westen Überlingens, nur fünf Gehminuten vom Seeufer entfernt - ein Hochaus mit gelb-weisser Fassade und vielen Terrassen, das sich fast vollständig in den steil abfallenden Hang einpasst. Atmo 7: Atmo Appartment Kaiser Wohnstift Augustinum D 2 21--0'10 / 26 - 0'05 "Klingeln, kommen Sie rein? + Blende Kurt Kaiser öffnet im beigen Anzug die Tür zu seiner 70 Quadratmeter großen Wohnung; Nancy Kaiser, eine gebürtige US-Amerikanerin, trägt ein elegantes Kleid. Beide, Anfang 70, sind aus Berlin an den Bodensee gekommen. Das Wohnstift Augustinum hat sie überzeugt. Wie die übrigen Mitbewohner sind sie in ihrem Appartement zwar unabhängig, können aber jederzeit auf die Infrastruktur des Wohnstiftes zurückgreifen - wie zum Beispiel auf das Mittagessen im Gemeinschaftsrestaurant. O-Ton 6: D 2 6-2'44 "Als mein Mann mir vom Augustinum erzählt hatte vor einigen Jahren, habe ich gesagt: Das ist ja wunderbar. Dann brauche ich nicht mehr zu kochen. Und für mich ist das jeden Tag eine Freude, an einen schön gedeckten Tisch zu sitzen und eine Auswahl an Speisen zu haben." Atmo 8: D 2 - 26 0'30 Wohnungsgeräusche Sprecher 8: Kurt Kaiser führt durch die kleine Wohnung: Dunkle Massivmöbel, die Regal vollgepackt mit Büchern:: Dantes "Göttliche Komödie" liegt halb aufgeschlagen auf einem Tisch, daneben Homers "Odyssee." In der Ferne sehen die Kaisers, wie sich die Sonnenstrahlen auf der glatten Oberfläche des Bodensees spiegeln. Bewusst haben sie sich für das Wohnstift-Konzept entschieden: O-Ton 7: D 2 6 - 6'26/5'08 "Im Moment, würde ich sagen, sind wir noch zu 100 Prozent selbständig. Wir nutzen Dienstleistungen wie das Restaurant, was sehr angenehm ist. Wenn wir weg sind, kümmert man sich dann um unsere Blumen. Man kümmert sich auch ..naja, dass mal jemand nach der Wohnung schaut oder notwendigerweise die Wohnung auch reinigt. Also wir brauchen uns darum überhaupt nicht zu kümmern. Im Moment haben wir nur im Hinterkopf, dass wir den weiteren Service, den das Haus anbietet, Betreuung und Pflege später, dass wir also die Sicherheit haben, das existiert." Atmo 9: Essensatmo im Restaurant Augustinum D 3 - 10'04 - bitte auch unter den folgenden O-Ton legen! Sprecher 9: Mittagessen im Panorama-Restaurant des Wohnstifts Augustinum. Die Bewohner können unter verschiedenen Menüs wählen. Und so servieren die Bedienungen Bodensee-Felchen mit Salzkartoffeln ebenso wie Cordon-Bleu mit Salat. Hier nehmen Nancy und Kurt Kaiser regelmäßig mit den übrigen Mitbewohnern am Tisch Platz, oft mit ihrer Bekannten Heidi Heilmann. Die ehemalige Wirtschaftsinformatikerin ist Witwe und lebt in ihrem Appartement alleine. Sie schätzt vor allem das vielfältige Freizeitangebot, das das Wohnstift Augustinum im Rahmen des ,betreuten Wohnens auf gehobenem Niveau' anbietet. O-Ton 8: D 2 - 9-158 "Ich benutze die Einrichtungen des Hauses. Zum Beispiel wenn Sie sich jetzt nicht heute angesagt hätten, wäre ich in der Gymnastik gewesen. Ich habe vor, heute Abend schwimmen zu gehen in unserem schönen Hallenbad, vielleicht auch in den Bodensee. Es gibt sehr viele Angebote, zu denen mit zunehmendem Alter auch die so genannten ,subsidiären' gehöre. Also wenn man zwischendurch krank ist, kann man jemand von der Pflege kommen lassen. Und wenn man dauerhaft pflegebedürftig werden sollte, dann werden wir auch vom ambulanten Pflegedienst im Haus quasi rund um die Uhr versorgt." Atmo 10: Essensatmo Restaurant Augustinum D 3 - 10 - 0'30 Sprecher 10: Dies war für Heidi Heilmann Grund genug, ihren letzten Lebensabschnitt im Wohnstift Augustinum zu verbringen. Ein weiteres Kriterium ist für die alte, elegante Dame nicht minder wichtig: Die Nähe des Bodensees. O-Ton 9: D 2 - 4'39 " Ich sehe, wie sich die Farbe des Sees verändert. Ich sehe, wie sich die Wellenstruktur verändert. Ich sehe, wie die Schiffe ihre Bahnen ziehen und wie die sich im See verteilen. Ich sehe die Boote, wenn Regatta ist in Überlingen. Dann sehe ich auch die Regatta-Segelboote. Der See hat eine sehr hohe Bedeutung. Meine Hauptbedingung, bevor ich hier einzog, war eigentlich: Ich möchte hoch oben wohnen und den See sehen." Atmo 11: D 3 - 18'05 "So, jetzt genießen Sie die wunderbare Aussicht aus unserem Glasaufzug. Die haben Sie hier in der 8. Etage, die ja eigentlich Eingangsetage ist.. Da wir in den Hang hinein gebaut haben, haben Sie in der 8. Etage diesen tollen Blick. Nicht nur in der 15." Sprecher 11: Sylvia Kruse-Baiker fährt mit dem gläsernen Aufzug hinauf zum nächsten Termin. Mit ihrer zupackenden, forschen Art gibt die Mittfünzigerin die agile Managerin, die anstehende Probleme gerne auf der Stelle löst. Sie ist verantwortlich fürs Gebäudemanagement, aber auch für das Wohlergehen alle 230 Bewohnerinnen und Bewohner im Augustinum. Die wiederum lassen sich das monatlich ein hübsches Sümmchen kosten. O-Ton 10: D 2 3'46 "Was koscht's? Also wir haben eine kleine Wohnung von 33 Quadratmeter, ein Zimmer, Küche, Bad, die kostet mit Rund-Um-Versorgung, darin ist das Mittagessen enthalten, die wöchentliche Putz-Zeit...Die kostet 1730 Euro, die günstigste Wohnung. Ich kriege leichte Unterstützung, Bett wird gemacht, Tee wird gemacht, alles ohne Berechnung. Anders sieht das aus, wenn ich entsprechend eingestuft bin und pflegebedürftig werde. Die große, die 74 Quadratmeter Wohnung, kostet 3 134 Euro." Atmo 12:D 2 - 17 - o'11 "Atmo Besprechung" Sprecher 12: Trotz der vergleichsweise hohen Monatsmieten: Im Überlinger Wohnstift Augustinum ist kein Platz mehr frei. Täglich bekommt Sylvia Kruse-Baiker Anfragen von Neuinteressenten. O-Ton 11: D 2 -8'013 "Ich denke, der Bodensee - das ist ein Magnet. Da ist einmal das Wasser. Aber das ist auch das Hinterland. Das ist die liebliche Landschaft. Sie haben viele Obstplantagen. Das ist eine Landschaft, die einfach gut für die Seele ist" Atmo 13: D 3 8 - 0'09 "Hallo Herr Steinmüller, Hallo Rau Steinmüller..." / Laufgeräusche/Blende Sprecher 13: Im Wohnstift Augustinum kennt jeder jeden: Die Mitarbeiter bilden mit den Bewohnern so etwas wie eine ,große Familie'; alle scheinen die vertraute Atmosphäre im Haus zu genießen. Dennoch sind es nicht nur die ganz Reichen, die hier wohnen. Managerin Sylvia Kruse-Baiker kennt die die meisten Bewohner persönlich. O-Ton 12: D 20 - 7'14 "Also ich würde sagen, es ist schon ein Haus für den Mittelstand, für den gehobenen Mittelstand. Es ist eine hohe Akademiker-Dichte. Das ist schon so. Aber sie haben auch den Handwerksmeister, der viele Jahre selbständig war und gut vorgesorgt hat. Sie haben sehr wohl auch die Lehrerin oder auch gezielt auch eine Bibliothekarin, die schlicht und einfach zu den Angeboten der Fürsorge auch Kultur dabei haben will." Atmo 14: D 2 - 1'23 "Orgelatmo St. Nikolaus-Münster" Sprecher 14: Das mächtige Überlinger St.-Nikolaus-Münster: Ein Orgelkonzert lockt über 100 Zuhörer in das Kirchenschiff; davor ein aus Holz geschnitzter Hochaltar mit vielen kleinen Engelsfiguren. Viele Rentner und Pensionäre kommen in die Kirche, häufig auch die Bewohner des Wohnstiftes. Manchmal sitzt auch Reinhard Ebersbach auf der Kirchenbank - ein kleinerer, schlanker Mann, silbergraues Haar. Heute ist Ebersbach selbst Rentner. Doch von 1969 bis 1993 war er Oberbürgermeister der Stadt Überlingen. Deshalb kennt er jene Weichenstellungen noch ganz genau, die dazu geführt haben, dass sich die ehemals freie Reichsstadt am nordwestlichen Bodenseeufer zur größten Residenz für betuchte Ruheständler weit und breit entwickelt hat. Das war eine direkte Folge der Öl- und Wirtschaftskrise 1973. Damals kauft eine Frankfurter Projektgesellschaft riesige Grundstücke am Rande Überlingens, um darauf Wohnblöcke zu bauen. Dann kommt die Krise - und die potentiellen Käufer bleiben weg. O-Ton 13: D 1 - 17 - o'10 "Und dann fand diese Frankfurter Projektgesellschaft einen Käufer, der sich bereit erklärte, Wohnungen für pensionierte Bundesbeamte zu bauen. Das war die Überlegung, dass Beamte, die damals in Bonn und an diversen Militärstandorten wohnten, während ihres Ruhestandes hier nach Überlingen ziehen. Und diese Gesellschaft baute hier in Überlingen auf dem Schatzberg, so hieß das Gewann, so 150, 160 Wohnungen." Sprecher 15: Ebersbach selbst lebt mit seiner Frau in einem kleinen, einfachen Einfamilien-Häuschen nicht weit vom Schatzberg entfernt. Als die ersten Pensionäre ankommen, entwickelt sich eine Art ,Domino-Effekt'. Sie erzählen ihren Freunden und Bekannten vom schönen Bodensee- und immer mehr ältere Menschen ziehen nach. Wenige Jahre später kommt es zur Ansiedlung des Wohnstiftes Augustinum - die zweite Säule der ,Rentner-Stadt' Überlingen. Ein Rechtsanwalt hat die Alters-Residenz errichten lassen, gerät aber in finanzielle Schwierigkeiten. O-Ton 14: D 1 - 17 - 3'23/ 17 - 5'04 "Er machte pleite. Das Haus war aber fertiggestellt. Aber es war eben nicht richtig bezugsfertig. Und da gelang es dann, Kontakt aufzunehmen mit dem Kollegium Augustinum. Und dieses Kollegium Augustinum hat das Haus dann übernommen in der Zwangsversteigerung und führt es bis zum heutigern Tage mit bestem Erfolg." Atmo 16: D 4 - 10 - 0'4 Straßencafé Sprecher 16: Für die Stadt entwickelt sich der Zuzug der gut betuchten Ruheständler zur Erfolgs-Story: Viele von ihnen sitzen an sonnigen Sommertagen in den Cafés und Restaurants in Seenähe. Die Stadt lebt von den Ruheständlern und den Feriengästen. Atmo 17: D 4 - 17 - 0'18 "Atmo Galgenhölzle" Sprecher 16: Abends ist im "Galgenhölzle", einem beliebten Jugendlokal, mächtig was los. Die Einrichtung ist rustikal: Die Gäste sitzen auf Holzstühlen. An der Wand hängt eine alte Schreibmaschine; neben dem Tresen steht eine Ur-Alt-Nähmaschine aus Großmutters Zeiten. "Galgenhölzle"-Wirt Michael Jäckel, ein stämmiger Mitt-Fünziger mit langen Haaren, verwaschenem Hemd und Schnurbart, sitzt für die CDU im Überlinger Gemeinderat. ,Überlingen, die Rentnerstadt' - wenn er diesen Slogan hört, erhebt der mahnend seinen Zeigefinger: O-Ton 15: D 4 - 16 - 1'37 "Die Jungen vertreibt das dadurch, dass die Stadt in den letzten Jahren zusehens zu wenig für Arbeitsplätze gemacht hat, was wiederum junge Menschen, junge Familien generiert. Es nutzt nichts, einfach nur Wohnungen und Baugebiete für junge Familien auszuweisen. Das ist nicht das Thema. Sondern ich muss auch Arbeitsplätze schaffen. Und da hat Überlingen gute 25, 30 Jahre geschlafen. Andere Kommunen in der Gegend sind an uns vorbeigezogen. Gleichzeitig kamen die ganzen Alten, Zugezogenen, die sich hier unten ihren Altersruhesitz kaufen. Das treibt die Preise nach oben. " Atmo 18 D 4: D 4 - 17'20 "Atmo 2 Galgenhölzle" Sprecher 17: Michael Jäckel legt eine Pause ein, blickt von seinem Barhocker ins Lokal: Weil das Wetter draußen sonnig ist, haben sich nur weniger Gäste ins Innere verirrt, die meisten im Alter zwischen 16 und 30. Michael Jäckel weiß, dass das Zusammenleben zwischen Jung und Alt nicht frei von Konflikten ist. Die werden manchmal sogar vor Gericht ausgetragen. O-Ton 16: D 4 -16 - 3'53 / 16 - 5'09 " zuletzt in Bonndorf, wo eine Klage war gegen einen Spielplatz. Und da gibt es seit 70 Jahre das Cafe Walker. Das ist ein Café und eine Disko, abends für Junge, schon immer. Und da zieht eine nebenan ein und kauft dort eine Eigentumswohnung. Und am ersten Abend, an dem es ihr zu laut ist, macht sie eine Anzeige. Das Ganze geht vor Gericht. Und der Richter hat gottseidank die richtigen Worte dafür gehabt, nämlich: Das hätten sie sich vorher überlegen können. Sie wussten ja, wo sie da hinziehen." Atmo 19: D 4 - 6'05 Akkordeon Straßenmusik Sprecher 18: Vor dem Galgenhölzle, in der Münsterstraße mitten in der Überlinger Innenstadt, spielt ein älterer Mann, Mitte 60, Akkordeon. Daneben ein Hut, in dem Passanten immer mal wieder ein 10-Cent-Stück werfen. Verflecktes Hemd, an dem einige Knöpfe fehlen, löchrige Schuhe, abgetragene Jeans, ungepflegter Drei-Tage-Bart - ,Altersarmut' gibt es auch in Überlingen. Aber nicht die armen, sondern die reichen Rentner haben Einfluss darauf, wie sich die Stadt entwickelt. Atmo 20: D 4 - 38 - 0'4 "Straßenatmo Immobilienbüro Sparkasse" Sprecher 19: Alexander Messmer arbeitet bei der sommerlichen Hitze gerne bei geöffnetem Fenster. Mitte 40, dunkler Anzug, Krawatte - der Manager der Sparkasse Bodensee hat sein Büro direkt an der Münsterstraße, nicht weit vom verarmten Akkordeonspieler entfernt. Er ist dort für die Immobilien-Vermittlung zuständig. O-Ton 17: D 4 -40 - 0'17 / 44 - 0'8 "Da schließen wir jetzt mal das Fenster, damit wir zu einem normalen Gespräch kommen können. Ja, also da war auch ein Kunde, der sich hier niederlassen wollte. Und da gab es ein fast kaufentscheidendes Kriterium, da hat er fast vier Jahre danach gesucht, nämlich dass die Immobilie einen ordentlichen Weinkeller hat. Und siehe da: Da konnten wir ihm doch weiterhelfen, indem wir ganz akribisch auch gesucht haben. Und er hat dann auch in schöner Lage sein Wunschobjekt gefunden. Das entscheidende Kriterium war, dass der Weinkeller auch 2000 Flaschen fassen konnte. Das war auch ein Kunde, der sein Lebensabend hier verbringt, ja." Atmo 21: D 4 - 43'010 Raumatmo Sparkasse Sprecher 20: Seine Kunden müssen nicht mit jedem Euro rechnen. Daraus macht Alexander Messmer keinen Hehl. Denn so ist es nun mal: Das Haus oder die Wohnung in Seenähe ist in den seltensten Fällen ein Schnäppchen. O-Ton 18: D 4 - 34 - 3'43 "Die Dimensionen bewegen sich hier natürlich schon im Einfamilienhaus, wenn Sie eine einigermaßen gute Lage und Ausstattung wünschen, deutlich so um die 600 000 bis 700 000 Euro. Und bei einer Eigentumswohnung bekommen sie beim aktuellen Preissegment so um die 350 000 für eine ordentliche Drei-Zimmer-Wohnung. Da unterscheiden wir uns nicht von den einschlägigen Großstädten in München, Hamburg, Stuttgart. Also insofern ist es entscheidend, dass das Preisniveau geprägt ist von einem knappen Angebot und einer starken Nachfrage." Atmo 22: Starkregen Sprecher 21: Wieder mal heftiger Regen am Bodensee, wie so häufig in diesem Sommer. Ein kleines Einfamilienhäuschen in einem ruhigen Wohngebiet am Rande des Örtchens Ludwigshafen, ganz im Westen des Bodensees, etwa 15 Kilometer von Überlingen entfernt. Hier findet man statt schicker Cafés und eleganter Restaurants eher rustikale Dorfwirtschaften und Biergärten am See. Michael Elsässer und seine Frau Jutta, beide Mitte 60, wohnen erst seit kurzem in dem kleinen Häuschen. Er arbeitete bis zu seinem Ruhestand jahrzehntelang als freier Handelsvertreter in Pforzheim. Mit dem Häuschen in Ludwigshafen haben sich die Elsässers einen Lebenstraum erfüllt. Doch für den Auftakt ihres Ruhestandes hätten sie sich eigentlich besseres Wetter gewünscht. O-Ton 19: 45 - 0'58 "Also ich will eigentlich schon schönes Wetter haben, wenn ich segeln will. Jetzt regnet es aber in Strömen. Und der Wind dürfte sich auch in Grenzen halten." Atmo 23: Atmo Haus Elssässer/Ludwigshafen Sprecher 22: Knapp über sechs Meter lang ist das Segelboot der Elsässers - weit entfernt von der Größe jener Yachten, die die gut Betuchten in den Häfen rund um den Bodensee liegen haben. Trotz des Dauerregens an manchen Tagen geben sich Jutta und Michael gut gelaunt. Denn sie haben den Beweis dafür erbracht, dass ein Altersruhesitz am Bodensee auch für Normalverdiener aus der Mittelschicht kein Wunschtraum bleiben muss. O-Ton 19: D 4 - 45-0'17/45 - 6'07 "Es ist auf jeden Fall günstiger, wenn wir auf die direkte Seesicht verzichten, was wir hier ja auch bewusst gemacht haben. Wir haben es zwar zu Fuß nur zehn Minuten bis zum Ufer und können damit die Seesicht genießen. Zum Wohnen brauchen wir sie aber nicht unbedingt und haben damit ein Fleckchen Erde eingekauft, wo wir schön leben können und ruhig leben können. Die ursprüngliche Dorfbewohner, also die Ureinwohner sag ich mal, sind eigentlich ganz normale Erdenbürger. Also überkandidelt oder besonders Reiche finden Sie hier in Ludwigshafen nicht." Atmo 24: Atmo Haus Elssäser/2 Sprecher 23: Seit sie im Ruhestand sind, leben die Elsässers deutlich sparsamer als zuvor, während der vielen Jahrzehnte als Berufstätige in Pforzheim. Ihren Zweitwagen haben sie verkauft. Und das hat Jutta Elsässer noch keine Sekunde bedauert: O-Ton 20: D 4 - 45 - 12'03 "Unser Zweitwagen sind unsere Fahrräder. Da fallen einfach manche Dinge weg. Man braucht nicht mehr so viele edle Klamotten. Man kann sich freizeitmäßig die Woche hindurch bewegen. Und ich denke, da kommt man auch mit weniger Geld zurecht." Atmo 24: D 4 - 11'03 Wellenatmo Bodensee Der See, das Plätschern des Wassers - das lässt sich genießen, auch ohne Geld, meint das Ehepaar. Zeit und Muße muss man dafür haben. Daran fehlt es den Rentnern am Bodensee nicht - ganz unabhängig von der Größe ihres Geldbeutels. Atmo 24 b: (siehe oben): Wellen-Wasseratmo Bodensee aufblenden 1