KULTUR UND GESELLSCHAFT Organisationseinheit : 46 Reihe : LITERATUR 0.05 Uhr Kostenträger : P.6.2.30.0 Titel der Sendung: Sturm in Whitehall Zum 450. Geburtstag von William Shakespeare Autor : : Holger Teschke Redaktion: : Sigried Wesener Sendetermin : 02.03..2014 Besetzung : Richard Burbage, Schauspieler : Will Shakespeare : Giles Fletcher, Beamter : Catherine Kendall Regie : Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Holger Teschke Sturm in Whitehall Ein Funk-Essay über William Shakespeares " Der Sturm" Personen Richard Burbage,Schauspieler und Theaterbesitzer Will Shakespeare, Dramatiker und Theaterbesitzer Giles Fletcher, Beamter beim Master of the Revels am Hofe James I. Catherine Kendall,Tochter eines Sekretärs beim Lord Mayor von London London, im Oktober 1611 1. Szene Musik : "When that I was and a tiny little boy" aus "Was Ihr wollt" Programmsprecher : Bühne des Blackfriars Theatre in London. Vormittag. William Shakespeare probiert mit Richard Burbage den Schlussakt des "Sturm". Ab und zu ein Hämmern im Hintergrund. Burbage ( hastig ) : Ihr Elfen aller Berge, Bäche, Seen und ihr, die ihr am Strand spurlosen Schrittes den ebbenden Neptun verfolgt und flieht sobald zurück er brandet, Gnome die ihr bei Vollmond giftig grüne Kreise zaubert die nie ein Schaf frisst und zum Zeitvertreib Mitternachtspilze wachsen lasst und kreischt wenn ihr das Abendläuten hört von fern- mit eurer Hilfe schwärzte ich die Sonne und rief herbei den wilden Wind zum Sturm und zwischen grünem Meer und blauem Himmel entfesselte ich Blitz und Donnergrollen, entfachte Feuer, spaltete ich Eichen, erschütterte selbst Felsen. Auf mein Wort öffneten Gräber sich und gaben frei all ihre Toten. Und durch meine Kunst... Ruhe! Will (unterbricht): Ja, Kunst! Schön wärs. Was ist los, Richard? Burbage : Was soll los sein? Wie soll man probieren bei dem Krach? Will : Ach was. Du leierst das runter wie ein zu langes Gebet vor dem Abendessen. Findest du die Verse so schlecht? Burbage : Nein, zu gut. Dieser Prospero spricht wie ein poetischer Hexenmeister. Will : Hexenmeister? Burbage : Gräber öffnen und Tote auferstehen lassen, was ist das anderes als Hexerei? Das ist sogar eine Todsünde. Darauf stehen Rad und Galgen. Will: Im Leben, nicht auf dem Theater. Burbage : Diese Verse sind höchst lebendig, Will. Und wenn ich sie so langsam und beschwörerisch spreche, wie Du wünscht, dann werden weder das Publikum noch die Spitzel der Puritaner einen Unterschied zwischen mir und diesem Prospero machen. Will : Guter Gott, Richard. Jeder weiß, dass Du ein Schauspieler bist. Der berühmteste Schauspieler Londons. Du willst das doch nicht vor dem Hof herunterhaspeln wie eine Wirtshausbestellung. Burbage : Auf Deine Verantwortung. Etwas langsamer, aber noch immer sehr hastig und die Versenden verschleifend. Ihr Elfen aller Berge,Bäche, Seen und ihr, die ihr am Strand spurlosen Schrittes den ebbenden Neptun verfolgt und flieht... Will : Ich fliehe auch gleich. Mann, Richard, Prospero war mal der Herzog von Mailand! Der ist es gewohnt, dass man ihm zuhört. Der spricht langsam und würdig und nicht wie ein Marktschreier. Burbage: Desto schlimmer. Vom Herzog zum König ist es nicht allzu weit.Dann haben wir auch noch Majestätsbeleidigung auf dem Hals. Wir sollen das Stück schliesslich am Hof spielen, falls Du das vergessen hast. Kannst du nicht wenigstens diesen Monolog streichen? Will : Kann ich nicht ! Prospero verabschiedet sich von den Geistern der Insel, die ihm zwölf Jahre lang gedient haben. Da wird er ja wohl kaum sagen: Machts gut, Jungs, das wars. Burbage: Warum nicht ? Die Zeit drängt, er muss seinen Plan vollenden und dem König samt Gefolge den geretteten Prinzen zeigen. Will: Und mit dieser Bande muss er zurück nach Mailand. In eine Schlangengrube voller Kriecher, die ihn schon einmal verraten und verkauft haben. Burbage : Immer noch besser als weiter auf diesem öden Eiland mit einem rebellischen Monster und ohne Gesellschaft für sich und seine Tochter. Will : Denkst Du. Aber vielleicht denkt Prospero anders: Besser ein einsamer Magier auf einem öden Eiland als ein Herzog in dem vergifteten Morast namens Mailand. Burbage : Wozu dann der ganze Aufwand ? Will : Was soll aus Miranda werden? Die Braut vom Monster Caliban? Prospero sieht vielleicht keinen Ausweg, aber er sieht die Realität. Burbage : Warum kann sie nicht Ariels Braut werden ? Will : Ariel ist ein Luftgeist, Richard. Willst Du jetzt das Stück umschreiben statt zu probieren? Oder soll das nur davon ablenken, dass Du deinen Text nicht kannst? Burbage : Ich kann meinen Text ! Will : Reg Dich nicht auf. Lass uns eine Pause machen. Burbage kommt von der Bühne herunter. Sie setzen sich, zünden ihre Pfeifen an und rauchen. Das Hämmern geht weiter. Burbage : Es ist nicht nur die Vorstellung am Hof. Der König wird schon seine Hand über uns halten. Es sind diese verdammten Puritaner die wegen jedem angeblich gotteslästerlichen Vers zum Lord Mayor laufen und nach der Schliessung der Theater schreien. Uns gehören jetzt zwei Häuser, Will. Dir auch. All mein Geld steckt im Globe und im Blackfriars. Weißt Du überhaupt wie viele Männer samt ihren Familien davon leben? Will : Dreissig,als ich zum letzten Mal gezählt habe. Burbage : Ja, viel zu viele. Weil du in deinen Stücken halb Rom und Ägypten auftreten lässt. Und sämtliche Geister und Elfen Arkadiens. Ein Feuer kann das alles zerstören. Will : ( lacht) Oder ein gotteslästerlicher Vers. Burbage : Lach nur. Du hast ja noch ein Haus in Stratford. Deine Familie lebt nicht in London. Will : Wenn die Theater geschlossen werden oder das Stück verboten wird, dann verliere ich soviel wie Du. Vielleicht noch mehr. Du kannst dich immer herausreden und sagen, dass Du nur ein Schauspieler bist und gesagt hast, was ich Dir aufge- schrieben habe. Aber ich kann mein Leben verlieren. Burbage : Ja, dann streich doch diese verdammten Verse! Will : Aber sie gehören ins Stück ! Ich kann da nicht schreiben: Ihr Elfen und ihr Geister, gute Nacht. Burbage : Dann lass wenigstens die Toten aus dem Spiel! Will : Wenn die Toten keinen Platz mehr auf dem Theater haben, wo dann ? Burbage : Im Himmel, Will. Oder in der Hölle. Will : In welchem Himmel ? Hast du mal nachgezählt, wie oft der Himmel in den letzten fünfzig Jahren einen neuen Anstrich bekommen hat ? Burbage : Religion gehört nicht aufs Theater. Darüber sollen sich die Geistlichen streiten. Wir sind Schauspieler. Will : Und unser Publikum ? Gibt das seinen Glauben am Eingang ab? Hast du vergessen, womit wir den meisten Erfolg hatten? Burbage : Mit Will Kemps Zoten. Das war unser bester Komödiant. Aber den hast du ja rausgeschmissen. Will : Mit Hamlet und Macbeth. Was wären die ohne die Geister der Toten gewesen? Burbage : Der Sommernachtstraum ist auch gut gelaufen. Will : Gab´s da etwa keine Geister ? Burbage : Ja,aber nur harmlose. Wegen Elfen und Trollen konnte uns keiner anschwärzen. Aber Hexen ? Der König hat sogar ein Buch gegen Hexerei geschrieben. Will : Eben. Seine Majestät kennt den Unterschied zwischen weisser und schwarzer Magie besser als du. Burbage : Es ist sinnlos, mit einem Dichter zu streiten. Will : Eben. Lass uns was essen gehen. Ich muss heute nachmittag nach Whitehall. Burbage : Zu Sir George, wegen des Stücks? Ich hab`s geahnt. Will : In der Mermaid Tavern gibt es Ochsenlende in Rotweinsauce. Burbage : Hoffentlich nicht als Henkersmahlzeit. Will : Nichts wird so heiss gegessen, wie es gekocht wird, Richard. Und ich bezahle den Wein. 2.Szene Musik "Fear no more he heat of the sun" Programmsprecher : Ein Amtszimmer in Whitehall Palace. Giles Fletcher, Sekretär von Sir George Buck, dem Meister der königlichen Feste, empfängt den Dramatiker der King`s Men, William Shakespeare. Fletcher : Master Shakespeare ! Wie geht es voran mit Eurem "Sturm"? Will : Gut, Sir. Bis zu unserem Auftritt vor Seiner Majestät an Allerheiligen wird alles fertig sein. Fletcher : Eben deswegen habe ich Euch rufen lassen. Sir George hat mit diesem Fest alle Hände voll zu tun und mich beauftragt, alle Theaterangelegenheiten zu regeln. Deswegen habe ich Euer Stück noch einmal gelesen. Will : Ich hoffe, es gibt keine Beanstandungen ? Wir haben das Stück rechtzeitig eingereicht und ... Fletcher : Kein Grund zur Aufregung. Setzt Euch. Will : Danke, Sir. Fletcher : Ich habe eine Leidenschaft für das Theater. Daher weiß ich, dass die Leidenschaften mitunter mit den Theaterleuten durchgehen. Mein Neffe ist selber Stückeschreiber. Vielleicht habt Ihr schon von ihm gehört? Will : John Fletcher ist Euer Neffe, Sir ? Fletcher : Derselbe. Die Familie hätte es zwar lieber gesehen, wenn er seinem Vater gefolgt und die geistliche Laufbahn eingeschlagen hätte. Aber heute verdient man auf der Bühne ja besser als auf der Kanzel, nicht wahr? Will : Das ist sehr übertrieben, Sir. Fletcher : So? Ihr selber habt doch gutes Geld mit Euren Stücken gemacht, oder? Das größte Haus in Stratford, Ländereien... Will : Ich habe durch die Gnade Seiner Majestät und durch die Gunst Eures Amtes viele Stücke zeigen können, die dem Publikum und dem Hof gefallen haben. Fletcher : Und das müßt Ihr auch nicht verbergen. Ich bin kein Spürhund der Steuerbehörde. Will : Die ich nicht zu fürchten habe. Alles ist rechtmäßig erworben und versteuert, Sir. Fletcher : Sicher. Schliesslich gehört Ihr zu den Männern des Königs und könnt Euch schon deshalb keine Unregelmäßigkeiten leisten. Aber ich habe Euch auch nicht Eurer Besitztümer wegen rufen lassen. Mir geht es um das neue Stück, in dem es ein paar Stellen gibt, die mir Sorgen bereiten. Ich hoffe, Ihr könnt mir helfen, sie zu zerstreuen. Will : Nach bestem Wissen, Sir. Fletcher : Sehr gut. Wir leben in unsicheren Zeiten, Master Shakespeare. In Zeiten, in denen jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird. Vor allem von den Puritanern, die glauben, sie wüssten den einzig wahren Weg zu Gott und seinem Sohn. Deswegen spielen sie sich so gern als Hüter der heiligen Worte auf. Meine Aufgabe besteht darin, zu ergründen, ob solchen Worten auch Taten folgen könnten. So wie seinerzeit der Aufstand des Earl of Essex nach der Vorstellung Eures "Richard II." Will : Wir sind damals von allen Verdächtigungen freigesprochen worden, Sir. Die Männer des Earl of Essex haben uns bedroht. Fletcher : Und bestochen, nicht wahr ? Ja,das liebe Geld. Aber Ihr habt seit dem Verbot historischer Stücke ja nur noch über das alte Rom geschrieben. Allerdings werden auch da immer wieder Kaiser gestürzt und Könige ermordet. Das scheint Euch auf besondere Weise zu faszinieren. Will : Ich würde nicht wagen, die Geschichte des Altertums umzuschreiben, die an unseren Universitäten gelehrt wird. Fletcher: Die Geschichte König Macbeths habt Ihr umgeschrieben. Will : Das geschah auf ausdrücklichen Wunsch von Master Tilney, der uns bedeutete, dass Seine Majestät seine königliche Herkunft vom Hause Banquo herleitet. Er wollte König Macbeth nicht von der Bühne herab gepriesen sehen. Fletcher : Gewiss. Seine Majestät war damit zufrieden. Und wir wollen doch beide, dass er auch in Zukunft zufrieden ist. Will : Das wäre unser höchster Lohn, Sir. Fletcher : Nun, das Geld habt Ihr bisher auch immer genommen. Ihr braucht es ja. Vor allem, nachdem Ihr nun noch ein Theater zu unterhalten habt. Ich höre, Ihr wollt das alte Pförtnerhaus des Blackfriar´s kaufen? Will : Ich habe es mir angesehen,seit es zum Verkauf steht. Fletcher : (scherzend) Und,habt Ihr die geheimen Gänge gefunden,die bis zur Themse führen sollen ? Dieses Kloster der Schwarzen Brüder war schon immer ein Nest von katholischen Verschwörern. Will : Das ist lange her, Sir. Seit die Dominikaner das Kloster verlassen mussten, gibt es dort keine Verschwörer mehr. Es war doch eine Zeit lang sogar der Sitz Eurer Behörde. Fletcher: Gut gebrüllt, Löwe ! Aber nur für kurze Zeit. Als die Kinder der Königlichen Kapelle dort Theater spielten, sollen sehr verdächtige Gestalten ein und ausgegangen sein. Habt Ihr nie etwas davon gehört? Will : Gerüchte, Sir. London ist so voll von Gerüchten wie eine Hundehütte voll Flöhe. Fletcher : Diese Flöhe haben weder Euch noch Master Burbage davon abgehalten, das Blackfriar`s zu kaufen und in ein Theater umzubauen. Für eine beachtliche Summe, wie ich höre. Will : Für sechshundert Pfund, Sir. Fletcher : Beachtlich. Da werdet Ihr viel spielen müssen, um soviel Geld wieder hereinzubekommen. Will : Wir bauen auf die Gnade Gottes und die Seiner Majestät, Sir. Fletcher: So, baut Ihr? Warum riskiert Ihr sie dann mit einem so zweideutigen Stück? Will : Zweideutig, Sir? Fletcher: Master Shakespeare ! Behandelt mich nicht wie einen Idioten, der keine Theaterstücke zu lesen versteht. Zum ersten, dieser Prospero ist ein gestürzter Herzog, der sich mehr für seine Bücher als für sein Herzogtum interessiert. Fletcher : Man könnte auf die Idee kommen, eine Verbindung zu Seiner Majestät herzustellen, der bekanntlich die Bücher liebt und sogar selber welche geschrieben hat. Will : Nur böser Wille könnte das. Fletcher : London ist voll von bösem Willen wie eine Hundehütte voll Flöhe. Habt Ihr schon die Pulververschwörung vergessen? Will : Wie könnte ich. Fletcher : Vielleicht sind die Verschwörer aus dem Blackfriar`s verschwunden, aber sicher nicht aus London. Lord Walsingham hat uns zwar ein sehr dicht geknüpftes Netz von Agenten hinterlassen, aber selbst die können ihre Ohren nicht überall haben. Manch einer, der uns seinerzeit entkommen ist, sitzt noch in irgendeinem Winkel dieser Stadt und wartet auf die nächste Gelegenheit. Und wo kommen mehr Leute zusammen als im Theater? Will : In Londons Kirchen, Sir. Fletcher : Ja, und bei den Hinrichtungen. Aber die Geschichten, die dort erzählt werden, sind eindeutig. Will : Meine Geschichten sind es auch. Fletcher : Keineswegs. Es könnte doch Prosperos eigene Schuld sein, dass er sein Herzogtum verloren hat. Warum hat er sich so sehr in seine Bücher vergraben? Noch dazu in Bücher über Hexerei ? Hat nicht auch unser König ein Buch über Hexererei verfasst, könnten die Leute sich fragen. Hat er nicht Hexen verfolgt und töten lassen, so wie Prospero die Hexe Sycorax? Will das Stück uns vielleicht sagen, dass unser König verbotene Magie betreibt, statt etwas gegen die Feinde Englands zu unternehmen? Will : Seine Majestät ist der König von England und Schottland, nicht der Herrscher über eine wüste Insel, irgendwo mitten im Ozean. Fletcher : Ach was. In Zeiten der Unsicherheit lesen die Leute in alles und jedes die seltsamsten Dinge hinein. Könnte die Pest nicht die Strafe für die Beschäftigung des Königs mit so sündhaften Dingen sein? Für seine Duldung sündhafter Bücher und sündhafter Theaterstücke, wie die Puritaner behaupten? Will : Nichts liegt mir ferner, als so ungeheuerliche Ideen auf die Bühne zu bringen. Warum sollten wir uns das eigene Haus überm Kopf anzünden, Sir? Fletcher : Ja, warum solltet Ihr ? Das habe ich mich auch gefragt. Mein Neffe sagte einmal, dass sich Theaterstücke wie von selber schreiben, wenn man den Figuren ihren Lauf lässt. Vielleicht habt Ihr ihnen ein wenig zu viel Lauf gelassen? Will : Das hoffe ich nicht, Sir. Fletcher : So ? Und was ist mit dem alten Gonzalo, diesem ehrbaren Rat des Königs? (zitiert) " Im meinem Staat würd ich die Dinge alle / von Grund auf anders regeln. Keinerlei Geschäfte / würd ich erlauben, keinen Ämterschacher / kein Reichtum mehr und keine Armut / kein Diener mehr, kein Herr und kein Gesetz. / Auch keine Arbeit: alle Männer müßig / und alle Frauen unschuldig und frei / Keine Regierung." Ist das etwa kein Aufruf zum Staatsstreich? Will : Das ist der Traum eines alten Mannes, der auf einer Insel gestrandet ist. Ein Gedankenspiel. Fletcher : So, ein Gedankenspiel. Aber hätte es nicht so in London ausgesehen, wenn die Verschwörer ihr Ziel erreicht hätten? Kein König und keine Regierung mehr, kein Oben und Unten? Will : Lord Sebastian entgegnet ihm sofort, dass so ein Staat nicht einen Tag bestehen würde. Fletcher : Ja, Lord Sebastian ! Der ausgemachte Schurke des Stücks, der ein paar Augenblicke später sogar den König umbringen will. Das ist Widerspruch von zweifelhafter Seite. Will : Ihr habt das Stück sehr genau gelesen, Sir. Viel genauer, als ich es beim Schreiben durchdenken konnte. Wir hatten nur wenig Zeit, dem Ruf an den Hof mit einer neuen Aufführung nachzukommen. Fletcher : (jovial) Ich schreibe selber gelegentlich und weiss, dass einem im Schaffensrausch die Feder durchgehen kann. Meine Aufgabe ist es, die Folgen der Worte zu bedenken, die auf dem Theater gesprochen werden. Ich will Euch nicht unterstellen dass Ihr mit diesem Stück zum Königsmord aufruft. Ich will Euch helfen, dass dieses Stück, das ich mit Wohlwollen gelesen habe, einem Verbot entgeht. Will : Wir sind Euch zu unendlichem Dank verpflichtet, Sir. Fletcher : Schon gut. Ihr wisst so gut wie ich, wie viele Feinde die Theater in London haben. Die Puritaner liegen Seiner Majestät und dem Lordkanzler jede Woche in den Ohren, diese Schaubuden des Satans endlich zu schließen. Fletcher : Aber der König liebt das Theater und will nicht wegen solcher Frömmler darauf verzichten. Ausserdem kann es sehr nützlich sein, um die Ansichten der Krone unters Volk zu bringen. Deshalb versuchen Sir George und ich seit einiger Zeit, das Verbot der historischen Stücke wieder aufzuheben. Will : Das wäre wunderbar, Sir. Diese Stücke waren beim Publikum immer sehr beliebt. Fletcher : Nur die Königin war nicht mehr amüsiert nach "Richard II." Wie auch immer, Ihr müsst alle Anstrengungen darauf richten, diesen Leuten keine Vorwände zu liefern. Will : Ich werde tun, was ich kann, Sir. Fletcher : Ich wusste, dass wir uns verstehen würden. Der König hat seinerzeit an den Hexen im "Macbeth" keinen Anstoss genommen, weil Ihr gezeigt habt, wohin es führt, wenn man ihren Einflüsterungen folgt. Seine Majestät hat Sir George gegenüber geäußert, er habe nichts gegen einen Magier auf der Bühne, sofern der zur Einsicht kommt, dass Magie in Staatsgeschäften nichts zu suchen hat. Will : Ich verstehe. Fletcher : Gut. Ihr wisst, wie es dem Marlowe ergangen ist. Ein Stückeschreiber, der sich in die Politik einmischt, endet in London schnell mit einem Messer im Kopf. Aber Euren Kopf brauchen wir noch, Master Shakespare. Will : Ich bin Euch sehr verbunden. Fletcher : Insofern ist es ratsam, wenn Ihr bei Liebe und Leidenschaft, Verrat und Versöhnung bleibt und die Politik den Herren vom Kronrat und Seiner Majestät überlasst. Vergesst nicht, dass Ihr die Männer des Königs seid und dank seines Patronats in ganz England auftreten dürft. Will : Wir sind uns dieser Gnade vollkommen bewusst, Sir. Fletcher : Denn wenn Ihr dieser Gnade verlustig gehen würdet, müsstet Ihr wieder über die Landstrassen ziehen und bei jedem Dorfvorsteher bitten, Eure Possen auf dem Markt und unter freiem Himmel reissen zu dürfen. Will : Ich bete, dass es dazu nie kommen wird, Sir. Fletcher : Beten ist gut. Gut zuhören ist besser. Seine Majestät wünscht weiter, dass das Sück einen versöhnlichen Schluss haben soll.Denn wenn auch die Rachegedanken des Prospero verständlich seien, so zeigt doch ein wahrer Herrscher Souveränität dadurch, dass er seinen Feinden vergeben kann. Will : Aber Prospero hat dieser Feinde wegen Thron und Reich verloren und beinahe sein Leben. Fletcher : Wäre es Seiner Majestät nicht beinahe auch so ergangen ? Dennoch hat er sich für die Gnade entschieden. Wenn Gott zur Gnade bereit ist, so muss es auch Gottes Gesalbter sein, hat der König gesagt. Ihm ist nicht an einer neuerlichen Verfolgungswelle gelegen und hofft, dass man diese Rücksicht in Spanien und Frankreich zu würdigen weiss. Will : Wir hoffen mit ihm , Sir. Fletcher : Dann ändert das entsprechend . Ausserdem, warum soll bei Prosperos Heimkehr (zitiert) " jeder dritte Gedanken sein Grab" sein? Will : Weil er ein alter Mann ist, Sir. Er kehrt zum Sterben nach Mailand zurück. Fletcher : So wie Doktor Dee nach England ? Ich habe oft an den Magier von Mortlake denken müssen, der unter Königin Elizabeth als Hofastronom so sehr in Gnade und Ansehen war. Ihr wohl auch ? Will : Nur entfernt, Sir. Fletcher : Gut. Ihr wisst, wie es ihm ergangen ist, nachdem er sein Heil bei fremden Königen suchte. Sein Haus verwüstet, seine Bibliothek geplündert, sein Ruf ruiniert. Eine Tragödie. Ich weiss, dass einige Eurer Theaterkollegen mit den Höfen von Krakau und Prag liebäugeln, wo es angeblich freizügiger zugehen soll. So wie es Doktor Dee auch gehofft hatte. Und dieser Giodarno, der uns die Mysterien des Universums erklären wollte. Die Mysterien der Inquisition waren ihm offenbar unbekannt. Will : Bedauerlicherweise. Fletcher : So. Gonzalos Ideen erinnern mich an die Reden dieses Aufrüherers Jack Cade, der das Geld abschaffen und die Herrschaft des Pöbels einführen wollte. Der Pöbel in Eurem Theater hat ihm damals frenetisch zugejubelt. Will : Ganz gegen meine Absicht, Sir. Ich wollte zeigen, dass sich solche Versprechungen nichts als gefährlicher Bauernfang sind. Fletcher : Der Pöbel sah das offenbar anders. Als ich noch für Walsingham arbeitete, kam uns das Gerede eines Kerls aus Kent zu Ohren. Der faselte angesichts der Bedrohung durch die Armada, der wahre Krieg fände nicht zwischen Spanien und England statt, sondern zwischen Arm und Reich. Er hatte beträchtlichen Zulauf. Will : Auf unserem Theater werden keine politischen Reden gehalten. Fletcher : So ? Und was ist mit der Rede aus dem "Julius Cäsar", die man in ganz London hört? (zitiert) "Mitbürger, Freunde, Römer, hört mich an!" Mit einer Handvoll Verse dreht Euer Mark Anton die Stimmung auf dem Forum und macht aus den Anhängern des Brutus seine wütendsten Feinde. Wenn das nicht politisch ist! Will : Es handelt sich um ein Zitat aus dem Plutarch, Sir. Fletcher : Master Shakespeare ! Unter Euren römischen Togen stecken sehr englische Gedanken. Wir haben seinerzeit darüber hinweggesehen. Der König meinte, das Stück zeige schließlich, wie Königsmord auf die Mörder zurückfällt. Aber unter den gegebenen Umständen sind wir nicht an der Propagierung von Rache interessiert. Also findet einen Weg, den Verzicht des Prospero glaubhaft zu machen. Will : Sehr wohl. Fletcher : Noch etwas. Warum zeigt Ihr soviel Sympathie für diesen Wilden Caliban, diesen Hexenbastard? Will : Sympathie, Sir ? Fletcher : Was sonst ? Er muss einem nachgerade Leid tun. Wenn man sich seine Klagen über das an ihm begangene Unrecht anhört, könnte man meinen, dass er Recht hat. Will : Aber ich zeige ihn doch ebenso heimtückisch wie mordlüstern. Fletcher : Schon, aber verführt von zwei christlichen Schurken. Am Ende ist er klüger als die. Das Publikum könnte auf die Idee kommen, dass wir den Wilden in Afrika und Amerika ihre Freiheit nehmen und unsere Companies sich Reichtümer aneignen, die ihnen nicht gehören. Will : Caliban bekommt die Insel ja zurück. Fletcher : Eben. Und zwar ohne bekehrt worden zu sein. Statt seinen Zorn gegen König Alonso und Herzog Antonio zu kehren, sollte Prospero sich besser darum kümmern, diesem Kannibalen eine Lektion zu erteilen. Will : Ich verstehe, Sir. Fletcher : Gut. Wie ich höre, habt Ihr vor kurzem ein Stück meines Neffen aufgeführt. Vielleicht bittet Ihr ihn, mit Euch zusammen zuarbeiten? Er soll begabt sein. Ich komme kaum dazu, ins Theater zu gehen, weil ich mich zuviel um das Theater kümmern muss, wie Ihr seht. Will : Ich hoffe doch, dass Ihr Zeit für den "Sturm" finden werdet, wenn wir das Stück in Whitehall zeigen dürfen. Fletcher : Das werde ich. Aber vorher schickt mir die neue Fassung. Will : Sobald sie fertig ist, Sir. Darf ich nun gehen? Fletcher : Da ist noch etwas. (wirft ein Buch auf den Tisch) Kennt Ihr diese Gedichte? Will : (zögernd) Ja, Sir. Fletcher : Es war sehr unvorsichtig, sie drucken zu lassen. Will : Das ist ganz gegen meinen Willen und ohne mein Wissen geschehen, Sir. Fletcher : So ? Und die Widmung ? (liest) "Dem Empfänger wünscht der Poet alles Glück und die Ewigkeit"? Will : Die hat der Verleger verfasst und vorangestellt. Ebenfalls ohne meine Billigung. Fletcher : Aber die Sonette hat nicht der Verleger verfasst. Will : Nein, Sir. Sie waren nicht für den Druck bestimmt. Ich weiss bis heute nicht... Fletcher : (unterbricht ihn) Einhundertundsechsundzwanzig Liebesgedichte an einen Mann ! Und wisst Ihr, wie ich zu diesem Buch gekommen bin? Der Lord Mayor persönlich hat es bei Sir George abgegeben. Versehen mit Anstreichungen und Kommentaren, die Euch der Knabenliebe überführen sollen. Will : Die Sonette waren als Privatdruck gedacht, für einen Gönner meiner Kunst. Fletcher : Was gedruckt ist, bleibt nicht privat. Das solltet Ihr am besten wissen. Und dass auf Sodomie noch immer die Todesstrafe steht. Ihr könnt von Glück reden, dass Seiner Majestät diese fanatischen Sittenwächter ein Gräuel sind. Andernfalls würde diese unsere Unterhaltung im Tower stattfinden. Und Ihr habt doppeltes Glück, dass der Lord Mayor noch nicht hinter Euer anderes privates Geheimnis gekommen ist. Das dürfte seinen Hass noch mehr anstacheln als ein paar schwule Sonette. Will : Sir... Fletcher : (unterbricht ihn) Ihr seid im wirklichen Leben noch kühner als auf Bühne. Doch die Tochter des Sekretärs Eures größten Feindes zur Geliebten zu nehmen, ist nicht kühn, sondern idiotisch. Aber irgendwoher muss die Inspiration ja kommen, wie? (zitiert) " Ich liebe wie im Fieber. Wilder Appetit / der meine Leiden in die Länge zieht. / Rasender Wahnsinn reisst mich mit sich fort / Ich red nur krauses Zeug, kein wahres Wort." Ich hoffe, Ihr lasst es nicht so weit kommen. Eure Famlie in Stratford braucht Euch noch. In diesem Sinne, Master Shakespeare. Und schickt mir bald das neue Stück. 3 Musik " And will he not come again" Programmsprecher : Shakespeares Arbeitszimmer, nachts. Er geht im Zimmer herum prüft die neuen Verse und korrigiert. Eine Wache marschiert scheppernd unter dem Fenster vobei. Von fern die Glocke eines Nachtwächters. Will : "Doch diesem rauen Zauber schwör ich jetzt ab und habe nun verlangt nach himmlischer Musik, die leicht erklingt dass ich ans Ziel gelang mit ihrer Hilfe und ihrem Ton... Ton ? ... und ihrem Klang...ihrem Klang. Zerbreche meinen Stab, vergrab ihn in die Erde, und tiefer als ein Lot jemals ins Meer fiel versenke ich mein Buch. (es klopft) Wer da ? Cate : ( hinter der Tür) Ein Schauspieler ohne Theater. Die Tür wird vorsichtig geöffnet, Cate tritt schnell ein und Will schließt sofort die Tür. Will Bist du lebensmüde? Cate : "All dessen müd hielt ich den Tod für Glück Blieb mein Geliebter nicht allein zurück." Will : In Männerkleidern ! Wenn Dich die Wache anhält, wanderst du in den Tower, und wenn du zehnmal die Tochter des ... Cate : Pst ! In Jungenskleidern. Ich gehöre der heimatlosen Knabentruppe der Chapel Players an, die ein gewisser Shakespeare aus dem Blackfriar´s hinausgeworfen hat, weil er unsere Konkurrenz fürchtete. Will : Die Knabentruppe der Kapelle ist seit einem Jahr aufgelöst ! Cate : Ja, aber ich bin auf dem Weg zum Vorsprechen bei diesem Shakespeare, weil er Schauspieler für das Maskenspiel in seinem neuen Stück sucht. (zitiert) Cate : "Liebe ist jung und weiss nichts von Gewissen Das ja, wie jeder weiss, nach Liebe drängt. Drum wirst du, alter Schurke, sorgen müssen, dass man dir nicht noch größre Schuld anhängt." Will : Das ist nicht aus dem "Sturm". Woher hast Du das? Cate : Ja, woher wohl ? Aus einem Buch auf dem Pult meines Vaters, das ich aus reinem Zufall dort liegen sah. "Shakespeares Sonette, niemals zuvor gedruckt. Dem einzigen Master Dabbeljuh Ehtsch." Wer ist W.H., du Schuft ? Will : Nicht so laut ! Wie oft muss ich Dir noch sagen, dass die Wände hier Ohren haben? Diese Sonette waren ein Auftragswerk, um einen reichen jungen Mann, der keine Lust zum Heiraten hatte, vor den Altar zu schleifen. Cate : Mit Sonetten ? Wer hatte denn die geniale Idee? Will : Das darf ich nicht sagen. Sonst bekomme ich noch mehr Ärger. Cate : Dein Ärger hat noch nicht mal angefangen. Will : Dein Vater hat das Buch für den Lord Mayor durchgearbeitet und der hat es mit Anmerkungen an den König geschickt. Cate : Da tut mir mein Vater ausnahmsweise mal leid. 156 Liebesgedichte! Will : Glücklicherweise hat der König nichts auf diese Denunziation gegeben. Cate : Weil er selber mit Knaben herumpimpert, wie ganz London weiss. Will : Willst du uns an den Galgen bringen? Cate : Dich zuerst, damit ich dich zappeln sehen kann. Will : Dann keife weiter. Aber wenn sie Dich in Männerkleidern erwischen... Cate : Dann sage ich, Du hast mich dazu gezwungen, weil Du es lieber mit Jungens treibst. Wie Deine Sonette beweisen. Will : Meinetwegen. Bring mich aufs Schafott. Mir ist schon alles egal. Cate : Seit wann das ? Hat die schwarze Lady dich rausgeschmissen? Will : Es gibt keine schwarze Lady. Aber es gibt jede Menge Leute, die meinen Kopf auf einem Pfahl über der London Bridge sehen wollen. Du offenbar auch. Cate : Armer Will ! Versuchst Du es jetzt auf die mitleidige Tour? Ich weiß, dass du ein Schauspieler bist. Leider kein besonders guter. Will : Bist du gekommen, um mir vor meiner Hinrichtung Komplimente zu machen? Cate : Ich bin gekommen, weil Du niemals kommst. Will : Zu dir? Da würde sich Dein Vater aber freuen. Cate : Wo Dir dein Leben doch jetzt egal ist? Will : Das wäre die Gelegenheit, nicht nur Will Shakespeare loszuwerden, sondern auch alle Theater Londons zu schliessen. Cate : Wieso denn das? Im Gegensatz zu Dir schlafe ich nicht mit ganz London. Außerdem seid Ihr die Truppe des Königs. Der hat da wohl auch noch ein Wort mitzureden. Will : Vielleicht. Aber der Lord Mayor und Dein Vater würden einen Rattenschwanz von Paragraphen hervorziehen, den selbst der König nicht einfach übersehen kann: Einbruch, Ehebruch, Gesetzesbruch... Cate : Was für ein Drama! Will : Das ich nicht mehr schreiben werde. Cate : Was für ein Verlust. Und was verursacht Dir sonst noch Todessehnsucht? Hat Burbage wieder mal wieder Deine Verse verhunzt? Will : Er will Änderungen. Cate : Die will er ja immer. Hat der Hof wieder nicht pünktlich gezahlt? Will : Der will auch Änderungen. Cate : Und jetzt rate, weswegen ich komme. Will : Wahrscheinlich willst Du auch Änderungen. Hast Du das Stück endlich gelesen? Cate : Endlich? Du hast es mir vor zwei Tagen gegeben! Will : Ja, und? Cate : Was, und? Früher gab es ein Gedicht und ein Glas Wein zur Begrüßung. Und Kerzen ums Bett, bis zum Morgengrauen. Will : Meinetwegen. Ich komme heute Nacht sowieso zu keiner Zeile mehr. Cate : Das brauchst Du auch nicht. Will : (zündet mehr Kerzen an ) Und warum nicht? Cate : Weil es ganz lustig ist. Will : Ganz lustig? Das ist alles? Cate : Leider wieder nur eine Frauenrolle. Will : Das Stück spielt auf einer einsamen Insel, unter Ausgesetzten und Schiffbrüchigen. Cate : Unter lauter Kerlen, ja. Warum gibt es keine Insulanerinnen? Afrikanische Schönheiten oder karibische Prinzessinnen? Du hast doch sonst so eine blühende Phantasie, wenn es ums Vögeln geht. Die Leute würden euch die Bude einrennen. Will : Die Leute des Lord Mayor, gefolgt von der Stadtwache mit dem Schliessungsbefehl. Karibische Prinzessinnen ! Hast Du sonst noch Wünsche? Cate : Was ist mit Calibans Mutter ? Das wäre auch eine tolle Rolle. Früher hättest du so eine phantastische Hexe nicht schon vor Stückbeginn umgebracht. Will : Früher hatten wir auch noch Will Kemp, dem man eine Hexe abgekauft hat. Cate : Stimmt, mit dem hast du es dir ja auch verdorben. Mach nur so weiter. Will : Das Stück gefällt dir also nicht. Cate : Ariel gefällt mir. Den würde ich gern spielen. Will : Frag deinen Vater. Cate : Oh ja ! Das würde einen schönen Auftritt geben. "Meine Tochter in Satans Bordell ! Jetzt ist sie endgültig der Hölle verfallen. Mylord Mayor, lasst uns diesen Shakespeare zur Strecke bringen! Hängen, vierteilen und dann langsam auf kleiner Flamme rösten, bis sein sündiger Leib zu Asche zerfällt!" Will : Das kommt dir aus tiefstem Herzen. Cate : Das kommt, weil ich eine Schauspielerin bin, die nicht spielen darf. Weil wir immer tun müssen, was ihr Kerle verfügt. Nach dem Willen meines Vaters soll ich jetzt seinen Freund Henry Wilburn heiraten. Ein frommes Stück Langeweile in schwarzem Samt, wohlhabend und so anziehend wie ein Beichtstuhl. Will : Heute ist mein Tag. (schenkt ein) Zum Wohl, My Lady! Cate : Trinkst du darauf, dass du mich loswirst? Welche Muse wird dich dann küssen? Will : Seilers Tochter oder die eiserne Jungfrau. Cate : Mir kommen die Tränen. Nun sag schon, was Sir George geändert haben will. Will : Der alte Gonzalo soll nicht von einer Welt ohne Könige träumen. Cate : Schade. Gerade die Stelle hat mir gefallen. Will : Und Prospero soll nicht Rache, sondern Versöhnung predigen. Cate : Mit seinen Feinden? Ist der König Puritaner geworden? Will : Er will es sich scheinbar mit niemandem verderben. Cate : Versöhnung für die Königsmörder? Will : Ich weiss nicht, wie ich das schreiben soll. Meinst Du, das ist eine Falle von Sir George? Cate : Vielleicht hat ihn der Lord Mayor bestochen? Will : Aber warum empfiehlt mir Giles Fletcher dann seinen Neffen? Cate : Vielleicht soll er Dich überwachen und euer Globe übernehmen. Wenn Du mit den Ratten im Tower Theater spielst. Stille. Die Wache geht wieder vorbei. Will : Dann kannst du ja John Fletchers Muse werden. Cate : Wird er Dein Nachfolger? Ist er jung und hübsch? Will : Ich dachte, Du kennst dich aus in Londons Theaterwelt. Cate : Bisher hatte ich dummerweise nur Augen für Dich. Das war wohl ein Fehler. Na, noch ist ja nicht aller Tage Abend. Zum Dank für diesen interessanten Vorschlag werde ich Dir verraten, wie Du Deinen Kopf aus der Schlinge ziehen kannst. Will : Da bin ich gespannt. Cate : Miranda muss dahinterkommen. Will : Miranda? Wohinter? Cate : Hinter das ganze abgekartete Spiel. Will : Miranda, die von Hofintrigen keinen Schimmer hat? Cate : Warum nicht ? Prospero hat ihr doch die ganze Geschichte erzählt. Will : Aber sie ist fast noch ein Kind und geblendet von der Pracht des Hofstaats. Sie hält die Hofbagage für gute Menschen aus der schönen neuen Welt. Cate : Ja, zu Anfang. Aber nachdem sie mit Ferdinand Schach gespielt hat, weiss sie es besser. Will : Und woher ? Cate : Weil Ferdinand versucht hat, sie beim Schach zu betrügen.Weil er nicht verlieren kann, genau wie Du. Will : Und wo steht das bitte? Cate : Nirgends. Du musst es schreiben. Will : Aber wenn sie mitbekommt, dass die Versöhnungsidee nur aus dem Kalkül Prosperos kommt, warum soll sie dann nach Mailand gehen und Ferdinand heiraten? Cate : Vielleicht liebt sie ihn ja trotzdem. Und was bleibt ihr weiter übrig? Auf der Insel mit Ariel und Caliban alt zu werden? Stille. Eine Kirchenglocke schlägt Mitternacht. Will : Warte mal. Ich könnte es so schreiben, als wäre es von Anfang an Prosperos Plan gewesen, dass Ferdinand auf Miranda trifft und so zur Königin von Neapel wird. Denn das würde ihr sein Schicksal ersparen und er könnte als Herzog nach Mailand zurückkehren. Cate : Na bitte. Und dann musst Du Prospero am Ende sagen lassen, dass alles nur Theater war. Will : Warum denn das? Cate : Das beruhigt den Hof und ärgert die Puritaner. Und so behältst Du Deinen Kopf und dein Theater. Und mich auch, vielleicht. Will : Was würde ich ohne Dich anfangen, Cate of Hearts ? Cate : Du würdest im Tower verrotten.Oder mit abgeschnittenen Ohren herumlaufen. Was nur eine gerechte Strafe wäre für so einen lausigen Lügner wie Dich. Will : Mylady, nehmt Euch ein Beispiel an Miranda und vergebt mir. Cate : Verdient hast Du´s nicht. Ich vergebe Dir, um des Theaters willen. Ich habe vorhin mit zwei Frauen im Boot gesessen, einer feisten Matrone und einer hageren Spalierstange. Die haben mich für einen Jungen und nicht ernst genommen. Da wusste ich, dass mein Kostüm mich auch auf dieser Seite der Themse schützen würde. Die Matrone sagte: "Seit es in den Kirchen keine Heiligenlegenden und Gnaden- spektakel mehr gibt, gehe ich ins Theater. In der Kirche muss ich ja auch einen Pence in den Opferstock geben. Im Theater kriege ich dafür Musik und blumige Reden und alles, was ich in der Kirche nicht mehr kriege. Wenn es im Himmel nur noch furztrockene Predigten gibt, was soll ich da?" Worauf die Bohnenstange sich bekreuzigte und sagte: "Ich weiß, dass das Theater Sünde ist. Aber wo sonst sieht man, dass Könige und Königinnen auch nur Menschen aus Fleisch und Blut sind wie unsereins?" Will : Wenn das Dein Vater gehört hätte. Cate : Ich wünsche, er hätte es gehört. Aber es würde nichts ändern. Er begreift nicht, dass die Menschen das Theater brauchen wie Wasser und Brot. Will : Aus deinem Mund in Gottes Ohr. Cate : Gott liebt das Theater. Will : Woher weißt Du das? Cate : Ich lese jeden Morgen in der Bibel. Es gibt kein grösseres Drama als das der Heiligen Schrift. Will : Amen. Leider darf ich sie nicht auf die Bühne bringen. Cate : Schreib erst mal deinen "Sturm" zu Ende. Will : Jetzt weiss ich ja, wie. Aber Du sollst Dich nicht umsonst in Gefahr gebracht haben. Cate : Hab ich auch nicht. (Sie bläst die Kerzen aus). " Zu Bett, zu Bett, ihr Elfen und ihr Trolle." Will : Ich liebe Dich, Cate. Für Dich lohnt es sich zu sterben. Cate : Lüge. "Männer sind gestorben von Zeit zu Zeit und Würmer haben sie gegessen, aber nicht aus Liebe." Will : Dann müssen wir uns beeilen. (Bläst die letzte Kerze aus.) Das Bettstroh raschelt und die Kirchenglock schlägt noch einmal von fern. 4 Musik Come away,death Programmsprecher : Blackfriar´s Theater, am Vormittag. Shakespeare probiert mit Burbage die neue Fassung des "Sturm". Burbage ist nun deutlich entspannter und spricht seinen Text akzentuiert und ruhig. Burbage : Der Zauber ist vorbei. All unsre Spieler Wie ich euch sagte, waren Geister nur Und sind jetzt aufgelöst in Luft, flüchtige Luft. Doch wie dies körperlose Traumgespinst, die wolkenhohen Türme und Paläste, die stillen Tempel, unser Erdball selber, und alles auf ihm, wird verschwinden, wie dieses flüchtge Schauspiel schwindet und ohne Spur vergeht. Wir sind aus solchem Stoff wie Träume sind und unser kurzes Leben umfängt ein langer Schlaf. Will : Na bitte, das wird doch. Burbage : Meinst Du ? Wir haben nur noch zwei Tage, und die Kostüme sind noch immer nicht fertig. Dabei sind die Kostüme das Wichtigste. Will : Danke, Richard. Burbage : Du weisst schon, was ich meine. Das Wichtigste für diese Höflinge. Für die sind Samt und Seide und ein buntes Maskenspiel mit Musik doch die Hauptsache. Will : Für den König und Sir George nicht. Burbage : (schnell) Nein, natürlich nicht. Die wissen Deine Poesie zu schätzen. Und ich auch. Gottseidank bist Du noch auf diesen genialen Dreh gekommen. Wenn Prospero sie daran erinnert, dass das alles nur Theater war, kann uns auch der Lord Mayor nichts mehr. Will : Hoffen wir das Beste. Aber Du erinnerst mich auch an etwas. Lass uns eine Pause machen. Burbage : In der Mermaid Tavern? Heute bezahle ich den Wein! Will : Nein, ich muss noch ein Geschenk besorgen. Burbage : Für wen ? Will : Für Ariel. Burbage : Für den neuen Schauspieler? Du bist doch sonst nicht so freigiebig. Will : Ich finde, er macht seine Sache sehr gut. Schade, dass er nicht vor dem Hof spielen kann. Burbage : So gut ist er nun auch wieder nicht. Na, meinetwegen. Du weißt ja, wo Du mich findest. 5 Musik "Farewell, dear heart" Programmsprecher : Am Hof von Whitehall. Der Abend vor Allerheiligen. Wenn die Musik verklungen ist, beginnt Burbage mit Prosperos Schlussmonolog. Burbage : All mein Zauber ist vorbei. Was mir bleibt von Zauberei Ist meine Kraft, und die ist schwach. Seht mir meine Schwäche nach. Lasst mich nach Neapel reisen, dort wird ich mich glücklich preisen. Hab mein Herzogtum zurück, brauche Rache nicht zum Glück und kann diese Insel fliehn, weiter dann nach Mailand ziehn. Setz die Segel wie es geht - wenn ihr sie mit Beifall bläht, weil mir fehlt die Zauberkunst, sonst war alles blauer Dunst, wenn ich nicht Erlösung fände durch die Gnade eurer Hände. Ihr hofft auf Nachsicht mit der Zeit: Ich hoff, dass eure mich befreit. Musik und Applaus. Fletcher : Glückwunsch, Master Shakespeare. Der König lächelt. Will : Danke, Sir. Fletcher : Sir George sagte mir, Seine Majestät habe dem Lord Mayor mitteilen lassen, Euch nicht weiter wegen dieser Sonette zu behelligen. Er sieht sie für ein Werk Eurer dichterischen Phantasie an. Will : Es ist mir eine Ehre, einem so kunstsinnigen Herren dienen zu dürfen. Fletcher : So? Es heisst, Ihr wollt Euch von der Bühne zurückziehen? Will : Nicht für immer. Aber die Geschäfte und meine Familie in Stratford erfordern eine längere Anwesenheit. Fletcher : Ihr dürft um die Erlaubnis einkommen. Ich denke, sie wird gewährt werden. Schliesslich wollen wir keinen neuen Ärger mit dem Lord Mayor, nicht wahr? Will : Durchaus nicht. Fletcher : Mein Neffe sagte mir, Ihr habt ihm vorgeschlagen, gemeinsam ein neues Stück zu verfassen ? Über Heinrich VIII.? Will : Das kann ich auch in Stratford beginnen. Und da das Verbot historischer Stück nun dank Eurer Fürsprache wieder aufgehoben ist... Fletcher : Schon gut. Ich bin gespannt, was Ihr Euch für die Hinrichtungen einfallen lasst. Will : Sie werden selbstverständlich hinter der Bühne stattfinden. Fletcher : Schade. Unsere Londoner lieben Hinrichtungen. Aber genug davon, der König winkt Euch. Gute Reise nach Stratford, Master Shakespeare. Will : Danke, Sir. Fletcher : Und vergesst nicht, mir das Stück rechtzeitig zu schicken. Ich kann es kaum erwarten. Musik. Das Ende. 1