DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 11.08.2015 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 – 20.00 Uhr Ortserkundungen Staub, Wind und Angst – Im Flüchtlingslager der Muslime in Myanmar Von Dominik Müller URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Erzähler Keine Wolke am Himmel, die Sonne brennt. Ein staubiger Platz, umgeben von Langhäusern aus Bambus. Eines reiht sich an das andere. Neben uns sitzen junge Männer im Schatten und spielen Karrom, ein Brettspiel. Eine alte Frau hat sich in eine windgeschützte Ecke zurückgezogen und kaut Betelnüsse. Den roten Saft spuckt sie im Minutentakt neben sich auf den Boden. Sie alle sind Rohingya, eine muslimische Volksgruppe in Myanmar. Etwas mehr als eine Million Menschen, die die UNO als derzeit am meisten verfolgte Minderheit der Welt ansieht. Ich stehe im Flüchtlingslager Dar Paing. Seit 2012 leben die aus ihren Häusern Vertriebenen in einem der vielen Camps rund um Sittwe, der Hauptstadt des Rakhaing-Staates im Nordwesten Myanmars. Auch mein Begleiter und Übersetzer Aung Win ist ein Rohingya. Die buddhistische Bevölkerungsmehrheit in Myanmar bezeichnet die Rohingya als „Bengali“ und versucht sie damit zu Einwanderern aus Bangladesch zu machen, zu Fremden, die in Myanmar nichts zu suchen haben. 800.000 Rohingya verweigert die Regierung die Anerkennung als Staatsbürger. Aung Win ist 60 Jahre alt und hier im Bundesstaat Rakhaing aufgewachsen. Er deutet mit dem Finger Richtung Horizont. OT Aung Win Sprecher 1 Hinter den Kokospalmen liegt die Bucht von Bengalen. Von dort aus kann man mit dem Boot nach Malaysia. Aber der Seeweg ist sehr gefährlich. Die Boote sind wackelig, klein und überfüllt. Atmo BBC Erzähler: Die Bilder von den überfüllten Booten, den Menschen ohne Wasser und Nahrung, die zwei Monate lang niemand in der Region aufnehmen wollte, gingen im Frühjahr 2015 um die Welt. Ansage Staub, Wind und Angst Im Flüchtlingslager der Muslime in Myanmar Ein Feature von Dominik Müller OT Abdul Salam Sprecher 2 Am Morgen des 10 Juni 2012, einem Sonntag, sind sie in unseren Stadtteil gekommen: die Polizei und die Rakhain. Bevor sie ankamen, sind wir aus unseren Häusern geflüchtet und haben uns in der Moschee versteckt. Die Polizei hat dann Gasgranaten auf Bambushäuser in unserem Stadtteil geschossen und sie zusammen mit den Rakhain angezündet. Erzähler Durch Abdul Salams grauweiße Haare fährt der Wind. Der 56-Jährige trägt ein verblichenes Hemd, um den Bauch hat er ein fast bodenlanges Tuch geknotet. Wir sitzen auf den einzigen drei Plastikstühlen, die unser Gastgeber auftreiben konnte. Ein verkrüppelter Salbaum, der während der Trockenzeit seine Blätter verliert, spendet nur noch wenig Schatten. Um uns herum stehen etwa 30-40 weitere Männer unterschiedlichen Alters und hören uns zu. Der Boden ist staubig, die meisten Männer sind barfuß, nur wenige haben Plastiksandalen an. Einige zeigen mir die Narben von Kugeln und Macheten. Abdul Salam war bis 2012 als Handlungsreisender unterwegs. OT Abdul Salam Sprecher 2 Ich habe getrockneten Fisch nach Bangladesch exportiert und kam – je nach Saison – entweder mit Aluminumtöpfen oder Kartoffeln zurück. Jetzt habe ich keine Arbeit mehr und bin abhängig von der Nahrungsmittelhilfe. Erzähler Abdul Salam ist Sprecher von Dar Paing, Geld bekommt er dafür nicht. Mit 10.000 Bewohnern ist das Lager eines der größten Flüchtlingscamps im Bundesstaat Rakhain. Der Staat grenzt an Bangladesch und hat eine lange Küste zum Indischen Ozean. Um Sittwe herum gibt es mehr als ein Dutzend Flüchtlings- Camps. Fast alle Bewohner sind Rohingya und Opfer des blutigen Konflikts, der im Sommer und Herbst 2012 zwischen buddhistischen Rakhaing und muslimischen Rohingya ausbrach. 167 Tote waren zu beklagen - mit deutlich mehr Opfern auf Seiten der Rohingya: 15.000 Rakhain sind offiziell als Flüchtlinge registriert, bei den Rohingya sind es 125.000. Abdul Salam erzählt mir von der Vertreibung. Zwei Tage hatten sie in der Moschee ihres Stadtteils ausgeharrt, ohne Nahrung, während draußen die Rakhain ihre Häuser erst plünderten und dann zerstörten. OT Abdul Salam Sprecher 2 Am Montagabend kam dann ein Regierungsbeamter und meinte, wir könnten ruhig da bleiben, das sei gar kein Problem, unser Leben sei nicht bedroht. Aber sie brachten uns nicht einmal Essen und draußen wüteten die Rakhain weiter. Später erfuhren wir, dass viele muslimische Stadtteile in Sittwe komplett zerstört und niedergebrannt worden waren. Und dass es Tote gab. Am Dienstag kam ein Kommandant mit acht Militärlastern. Sie nahmen uns mit. Erzähler Vor den Pogromen, berichtet Abdul Salam, seien radikale buddhistische Mönche in der Gegend gewesen. In den Tempeln hätten sie gepredigt, dass der Islam im Allgemeinen und die muslimischen Rohingya im Speziellen die buddhistische Religion und die Nation Myanmars unterwandern würden, um hier das Gesetz der Scharia einzuführen. Der so geschürte Hass habe sich schließlich im Frühsommer 2012 erstmals entladen. Der Auslöser: Drei Rohingya, so hieß es in mehreren Zeitungen, hätten eine junge Buddhistin vergewaltigt, sie sei danach gestorben. Wenige Tage später übten buddhistische Rakhain Rache und lynchten zehn Muslime. OT Abdul Salam Sprecher 2 Als wir hier ankamen hat es furchtbar geregnet. Sie haben uns einfach vom Militärlaster gestoßen, ohne irgendetwas: Keine Zeltplanen, keine Lebensmittel. Nichts. Aber Bewohner des benachbarten Rohingya-Dorfes sind gekommen und haben uns erst mal in ihre Häuser mitgenommen. Sie haben uns dann mit allem versorgt, was wir brauchten. Ohne sie wären wir heute nicht mehr am Leben. Erzähler Seither ist Abdul Salam nicht mehr in den Stadtteil von Sittwe zurückgekehrt, in dem er geboren und aufgewachsen ist. In der Nähe der großen Lokananda Pagode mit ihren goldenen Zwiebeltürmen. Nur etwa 15 Kilometer entfernt vom Dar Paing Camp. Die Behörden unterstützen die brutale Politik der buddhistischen Nationalisten: Ohne Genehmigung darf Abdul Salam das Camp nicht verlassen, ebenso wie die anderen, knapp 80.000 Rohingya-Flüchtlinge in den Camps rund um die Hauptstadt. Anders als die Rakhain, die Opfer muslimischer Gewalt wurden und nun auch als Flüchtlinge in Camps leben: sie dürfen sich frei bewegen. Erzähler Für einen ausländischen weißen Journalisten ist es schwierig, in ein Flüchtlingslager der Rohingya hinein zu kommen. Zuerst werde ich zu einem Treffpunkt außerhalb der Stadt gelotst, vorbei an einem halben Dutzend Polizei- und Militärposten, über enge Schleichwege, staubige Pisten und Felder. An einer Weggabelung treffe ich wie verabredet Aung Win. Hinter grünen Sträuchern, und von der Straße aus nicht sichtbar, wartet ein Jeep auf uns. OT07 Aung Win No, there is no other way, the last option. Erzähler Aung Win hat Erfahrung, hat schon einige Kollegen in die Camps begleitet. Damit er unerkannt bleibt, hat er sich einen tief sitzenden Hut mit einer breiten Krempe aufgesetzt. Erzähler Wir fahren über die einzige Asphaltstraße. Sie ist voller Schlaglöcher und verbindet die verschiedenen Siedlungen der Flüchtlingslager miteinander. Am Horizont erscheinen die Behausungen der Rohingya: Langhäuser und Latrinenhäuschen, aufgereiht wie auf einer Perlenschnur. In und rund um diese Retortensiedlungen hat sich seit 2012 eine eigene Infrastruktur herausgebildet: Gebetshäuser, Märkte und Grundschulen, Minitaxis und Fahrradrikschas, von denen viele während der Regenzeit im Matsch der unasphaltierten Wege stecken bleiben, Arbeit für wenige. Im ganzen Camp gibt es nur eine einzige weiterführende Schule, keine Universität; nur ambulante Gesundheitsversorgung, kein Krankenhaus. Erzähler Wir haben Maw Son Nyaw erreicht. In dieser Siedlung leben etwa 2000 Flüchtlinge aus Sittwe. Männliche Jugendliche und Kinder beten in einer Koranschule. In den Langhäusern aus Bambus wohnen jeweils acht Familien in kleinen Wohneinheiten von 10 qm pro Familie. In einigem Abstand steht eine Reihe von viereckigen Verschlägen mit Wellblechdächern, über zwanzig Latrinen. Dahinter liegt ein ehemaliger Fischteich, dessen Dämme 2012 von Rakhain zerstört worden sind und der nun außerhalb der Regenzeit austrocknet. AT My name is Aung Son. And where are you from? I lived in Aung Mingalar. Erzähler Er und sein jüngerer Bruder lebten bei der Großmutter in einem muslimischen Stadtteil Sittwes, erzählt Aung Son Hlaing. Ihr Haus wurde im Juni 2012 überfallen und anschließend niedergebrannt. OT Aung Son Hlaing Sprecher 3 Mein Bruder war acht Jahre alt. Er hieß Ledu. Als sie unser Haus angriffen haben, sind wir weggelaufen, in einen schmalen Weg. Dann hat die Polizei auf uns geschossen. Ledu lief vor mir. Er fiel hin. Eine Kugel hatte meinen kleinen Bruder getroffen. Zwei Stunden später kamen Soldaten. Die Rakhain und die Polizei zogen sich zurück. Zusammen mit einigen Nachbarn sind wir zurückgegangen, haben den Leichnam von Ledu mitgenommen und ihn dann beerdigt. Erzähler Aung Son Hlaing kann nur mit Mühe seine Tränen unterdrücken. Er selbst war damals erst 13 Jahre alt. Atmo Erzähler 2012 hat für die Rohingya eine neue Zeitrechnung begonnen. Auch Aung Win, der mich überall hin begleitet, spricht von der Zeit „Vor der Gewalt“ und der Zeit „Nach der Gewalt“. OT Aung Win Sprecher 1 Nach der Gewalt waren viele von uns unter Schock. Möglicherweise sind immer noch einige traumatisiert. Erzähler Manche Bewohner vertreiben sich die Zeit mit Fußball und Brettspielen. Andere trinken einen Tee nach dem anderen und kauen Betelnüsse, die auch den Hunger betäuben. Manche laufen ruhelos umher oder sitzen apathisch im Schatten. Oder flüchten sich wie Aung Son Hlaing in Traumwelten. AT Aung Son Hlaing Erzähler Nach Amerika auswandern? Aung Son Hlaing ist in den vergangenen Jahren noch nicht einmal aus dem Lager herausgekommen. OT Aung Son Hlaing Sprecher 3 Wir dürfen gar nicht raus, und ich habe auch Angst. Denn draußen werden wir von den Rakhain geschlagen und von der Polizei festgenommen. Erzähler Wer unerlaubt das Lager verlässt, muss mit einem Jahr Gefängnis rechnen, erzählt mir Aung Win. Erzähler Viele Rohingya-Familien haben Opfer zu beklagen. Auch die von Aung Win. Zwei Brüder seiner Frau sind bei den Angriffen der buddhistischen Fanatiker im Juni 2012 ums Leben gekommen. Auf offener Straße haben sie seine Schwäger totgeprügelt und niemand hat gewagt, dem Mob Einhalt zu bieten. Erzähler Rohingya werden schon seit vielen Jahren in Myanmar diskriminiert. Neu ist die Vehemenz und Brutalität. Die politischen Veränderungen spielen dabei sicher eine wichtige Rolle: Im März 2012 erzielte die größte Oppositionspartei bei Nachwahlen einen beeindruckenden Erfolg, angeführt von der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Su Kyi. 45 Sitze waren zu vergeben, die Partei gewann 43. Insgesamt verfügt das Parlament von Myanmar über 664 Sitze. Seitdem nimmt die unmittelbare physische Gewalt gegen die muslimische Minderheit der Rohingya und ihr Eigentum zu. Die alten Militärs, die de facto immer noch die Geschicke des Landes leiten, sehen ihre Macht gefährdet, denn weitere Wahlen werden folgen. Sie suchen Sündenböcke für ihre verfehlte Politik, wollen soziale Spannungen in ethnische Konflikte umwandeln. Politische Analysten der Verhältnisse in Myanmar weisen auf die personellen und finanziellen Verbindungen zwischen Militärs und radikalen Mönchen hin. Die Miltärs wollten mit einer Politik des „Teile und Herrsche“ ihre Macht absichern. Doch kaum jemand will sich mit solchen Positionen zitieren lassen, schon gar nicht Angehörige der verfolgten Minderheit der Rohingya. Erzähler Arbeit gibt es kaum im Lager. Einige bauen Bambushütten, andere verkaufen Gemüse, das sie auf dem Dach oder an den Wänden ihrer Hütten angebaut haben. Wiederum andere verkaufen Feuerholz, das sie gesammelt haben. Doch die Bäume auf dem Terrain der Camps, eine der wenigen Energiequellen für die Essenzubereitung, verschwinden nach und nach. Zwischen den Hütten laufen einige Hühner herum, wenige Ziegen. Kühe sind gar nicht zu sehen. Die meisten der Rohingya würden ohne die Essensrationen des Welternährungsprogramms verhungern. Die monatliche Ration pro Person: 13,5 kg Reis; 1,8 kg Hülsenfrüchte, 0,9 l Speiseöl, 150 gr Salz. 3,8 kg Zusatznahrung für Schwangere, Stillende und Kinder unter 5 Jahren. Erzähler: Verteilt werden die Lebensmittel an 1100 Stellen, verstreut über die knapp 60 Flüchtlingslager im Rakhain-Staat. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen bezahlt dafür Rohingya, die diese Arbeit übernehmen. Wer das Recht hat, Rationen zu erhalten, bestimmt die Regierung des Rakhain-Staates. Sie bestimmt auch, welche Hilfsorganisationen in den Lagern arbeiten dürfen. Deshalb wollen Vertreter von Nichtregierungsorganisationen auch keine Interviews geben: Ein falsches Wort kann große Probleme verursachen, die Organisation kommt möglicherweise ins Fadenkreuz radikaler Nationalisten, ihre einheimischen Mitarbeiter werden unter Druck gesetzt, und sie kann die Zugangsberechtigung in die Lager verlieren. Erzähler Wir sind wieder unterwegs auf der Asphaltstraße, die an einigen Abschnitten von vielen Marktständen gesäumt ist, meist Bretter und Bambusverschläge, in denen alle möglichen Waren feil geboten werden: Motorteile, Fahrräder, Hygieneartikel, Plastikbehälter, aber vor allem Lebensmittel. OT Aung Win Sprecher 1 Diese Straße ist die wichtigste Verbindung zu den Rakhain. Sie kommen hierhin, um uns ihre Waren zu verkaufen. Aber weiter rein in die Camps gehen die Rakhain nicht, denn sie haben wohl schon ein bisschen Angst. Erzähler Vor allem die teuren Waren können sich die meisten Rohingya nicht leisten. Einige versuchen selbst etwas zu verkaufen. Eine Frau veräußert Lebensmittel, die sie auf einer bunten Decke ausgebreitet hat. Reis und Bohnen. OT Aung Win Sprecher 1 Ich habe sie gefragt, ob sie mit uns sprechen will. Nein, nein, hat sie gesagt. Denn sie verkauft die Nahrungsmittel des Welternährungsprogramms – das ist illegal. Erzähler Wenn sie von Staatsbediensteten erwischt würde, bekäme sie keine Hilfe mehr. Aber manchmal bleibt kein anderer Weg, zum Beispiel wenn Beamte Geld verlangen, damit Schwerkranke ins Krankenhaus nach Sittwe transportiert werden können. OT Aung Win Sprecher 1 Weil viele Binnenflüchtlinge keinen Job haben und kein Geld verdienen, müssen sie manchmal einen Teil ihrer Lebensmittelhilfe verkaufen. Erzähler Besonders schlecht ist es um die Zukunft der jüngeren Generation bestellt. Da die meisten Eltern Analphabeten sind, können sie ihren Kindern weder Lesen noch Schreiben beibringen. OT Aung Win Sprecher 1 Etwa 95 Prozent der Leute hier sind Analphabeten. Erzähler Nur ein Teil der Kinder besucht eine Grundschule wie hier in Dar Paing. Das Klassenzimmer hat Wände aus Bambus und ein Wellblechdach. Der Raum bietet Schatten und schützt vor dem scharfen Wind. Die siebzig Schülerinnen und Schüler der vierten und fünften Klasse sitzen auf dem Boden – nur die Lehrerin verfügt über Stuhl und Holztisch. Sie ist eine junge Rohingya und erhält für ihre Arbeit etwas Geld von einer US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation. O Ton Kay Kay Minh Sprecherin 1 Früher haben wir in Sittwe gewohnt, aber unser Haus ist niedergebrannt worden. Danach habe ich angefangen, als Lehrerin im Camp zu arbeiten. Erzähler Die 19-Jährige Kay Kay Minh hat selbst nur bis zur 10ten Klasse die Schule besucht. Ihr Sprachunterricht besteht aus Vorlesen und Nachsprechen, aus Fragen und Antworten. OT Kay Kay Minh Sprecherin 1 Von welchem Raum aus kann man den Spielplatz sehen? Erzähler Die Kinder wiederholen die Frage, dann liest Kay Kay Minh die Antwort aus dem Schulbuch vor. Sprecherin 1 Aus dem Fenster im Büro des Schuldirektors und der Bibliothek. Erzähler Brav sprechen die Kinder die Antwort nach. Das Lehrbuch, aus dem sie stammt, ist eigentlich für den Gebrauch in staatlichen Grundschulen vorgesehen. Es spiegelt eine Welt, die es für die Kinder in Dar Paing nicht gibt: Sie kennen weder ein Direktorenbüro noch eine Bibliothek. Und im Camp gibt es auch keinen Spielplatz. Erzähler Für meisten Jugendlichen wie den 15-jährigen Aung Son Hlaing, dessen Bruder 2012 von der Polizei erschossen wurde, sind Schule und Berufsausbildung nur noch auf niedrigem Niveau möglich. Eine einzige Mittelschule im Camp unterrichtet bis zur achten Klasse. Einige Jugendliche über 14 Jahre, meistens junge Frauen, müssen mit einfachen Tätigkeiten wie Feuerholz sammeln zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. OT Aung Win Sprecher 1 Eigentlich müssten sie die weiterführende Schule besuchen, aber dafür braucht man Schulhefte, eine Tasche und Schulgebühren von umgerechnet 12 Euro im Jahr. Die werden für alle weiterführenden Schulen in Myanmar erhoben – und das gilt auch für die einzige Mittelschule in den Camps. Und dann muss man ja auch noch dahin kommen: Entweder mit der Rikscha oder mit einem eigenen Fahrrad. Erzähler Aber ein Fahrrad, erklärt mir Aung Win, kostet 50 Euro, die tägliche Fahrt mit der Rikscha würde für Aung Son Hlaing umgerechnet 1 Euro 50 kosten. Für die meisten Familien unerschwinglich – es sei denn, sie haben Verwandte, die in Malaysia, Thailand oder den Golfstaaten arbeiten und Geld schicken. Doch nur wenige Familien werden so unterstützt. Erzähler Auf unserem Fußweg durch das Darpaing Camp kommen wir an einigen Langhäusern vorbei, die nach den letzten Stürmen in Mitleidenschaft gezogen worden sind: Der untere Rand ist an den Ecken nach der Regenzeit einfach weggefault, die Dächer haben Löcher. Wir werden aufmerksam beobachtet, denn Besucher der Camps mit weißer Hautfarbe sind selten geworden, seitdem radikale Buddhisten im März 2014 auch die Büros Internationaler Hilfsorganisationen in Sittwe verwüstet haben. Aufgeregt spricht uns ein junger Mann an, der optisch aus dem Rahmen fällt: er trägt eine schwarze Lederjacke, hat seine dunklen Haare mit Öl zurückgekämmt. OT Maung Kya La Sprecher 3 Ich heiße Maung Kya La. Zwei Jahre habe ich Biotechnologie an der Universität in Sittwe studiert. Ich würde so gerne weitermachen, aber wir Rohingya dürfen die Universität nicht mehr besuchen. Erzähler Vor den Pogromen 2012 gab es an der Universität Sittwe noch 700 muslimische Studenten. Jetzt dürfen sie den Campus nicht mehr betreten. Maung Kya La unterrichtet seitdem ohne Bezahlung Mathematik an einer der Grundschulen im Camp. Das ist besser als nichts zu tun, sagt er. OT Maung Kya La Sprecher 3 Jetzt leben wir alle im Elend, werden ärmer und ärmer. Vorher, als wir noch in Sittwe lebten, war unser Leben schon nicht einfach. Aber jetzt, in diesen Camps, wie sollen wir hier leben, was können wir schon besser machen? Erzähler Viele männliche Jugendliche spielen zum Zeitvertreib Fußball. Beliebt ist auch das in Asien populäre Carrom – Fingerbillard. Auf einem mit Kanthölzern umrandeten Holzbrett von knapp einem Meter im Quadrat schnippen die Jungen ihre flachen Steine in die Ecken des Spielbretts. Wer die neun Steine seiner Farbe und die rote „Queen“ dort als erstes versenkt hat, hat gewonnen. Erzähler Knapp zwanzig Jugendliche und Kinder sitzen am Boden eines schattigen Platzes und spielen an vier Brettern, immer zwei gegeneinander. Als das Spiel zu Ende ist, mischt sich ein Erwachsener ein, der essend mit seiner Familie auf einem kleinen Podest sitzt. Reden will er nicht mit uns. OT Aung Win Sprecher 1 Er ist der Besitzer der Bretter, und er verlangt vom Verlierer 200 Kyat, 1 Euro 50. Aber das Geld wird erst später übergeben, sie sind vorsichtig, weil wir daneben stehen. Erzähler Diese Glückspiele wecken Hoffnung auf einen kleinen Nebenverdienst, mit dem die jungen Spieler ihre Familien unterstützen können. OT Aung Win Sprecher 1 Sie mieten das Brett vom Besitzer. Eine Stunde kostet 200 Kyat. Der Verlierer bezahlt, 150 bleiben beim Besitzer des Brettes, 50 sind für den Gewinner. Wenn man zwei Spiele gewinnt, dann hat man immerhin etwas. Erzähler Der Überlebenskampf in den Camps hat viele Gesichter. Eine alte Frau zieht mit gebücktem Gang durch ihre Siedlung und preist lauthals sechs Gurken an. Sie hat das Gemüse an der Wand ihrer Hütte gezogen - ein kleines Zubrot zu den Lebensmittelrationen des Welternährungsprogrammes, die sie als offiziell registrierter Binnenflüchtling erhält. Etwas besser geht es noch den Bewohnern aus den sogenannten „Gastdörfern“, die über ein Stück Ackerland verfügen. Auf unserer Fahrt zeigt mir Aung Win eines dieser Rohingya-Dörfer, etwa einen halben Kilometer entfernt von der Asphaltstraße. Hier gibt es sogar einige Häuser aus Stein. OT Aung Win Sprecher 1 Sie haben Land, eigenes Land. Manche Bewohner können anbauen und essen. Aber die Binnenflüchtlinge hier haben kein Land. Erzähler Die Flüchtlingscamps sind nicht im Niemandsland errichtet worden, sondern da, wo schon Rohingya lebten. Deshalb hätten viele Bauern in diesen ‚Gastdörfern‘ auch Land hergeben müssen. OT Aung Win Sprecher 1 Sie haben keinerlei Entschädigung bekommen. Sie wurden verpflichtet, das Ackerland abzugeben. Die Regierung hat beschlossen, hier die Flüchtlingscamps zu errichten und ihnen einfach das Land weggenommen. Erzähler Anspruch auf Lebensmittelrationen haben die Menschen hier auch nicht, deswegen sind manche Bewohner aus den Dörfern noch schlechter dran als die offiziell registrierten Flüchtlinge in den Camps. Die Behörden des Rakhain-Staates entscheiden über den Status: registriert oder nicht registriert. Niemand weiß genau, wie viele es sind, aber es sind wohl mehrere tausend, die ohne eine solche Registrierung in den Camps leben. Sie bekommen nichts. Erzähler Wir besuchen eine Siedlung, in der „unregistrierte“ Flüchtlinge leben. Schon optisch unterscheidet sie sich von den anderen: Hier, am Rande des Dar Paing Camps, stehen keine Langhäuser aus Bambus. Nur wackelige Zelte. Sie sind ungefähr eineinhalb Meter hoch, die meisten bedeckt mit Plastikplanen und leeren Reissäcken, auf denen oft noch die Logos der Hilfsorganisationen zu sehen sind. In der Regenzeit und bei Sturm bieten sie noch weniger Schutz als die Langhäuser aus Bambus. Es gibt weder ein Gesundheitszentrum, noch eine Grundschule. Die Kinder toben auf den staubigen Wegen herum und vertreiben sich die Zeit mit Spielen oder suchen nach etwas Essbarem. Erzähler In Sajedas Teebude sitzen nicht viele Gäste. Die 40-Jährige hat zwölf Kinder zur Welt gebracht. Ihre Familie kommt aus dem Stadtteil Than Taw Lwi, erzählt sie. Vor 2012 hatten sie ein Auskommen - ihr Mann Muhammad Hashim arbeitete in der Eisfabrik der Hauptstadt. OT Sajeda Sprecherin 1 Jetzt ist er arbeitslos und hängt herum. Ich musste diese Teebude aufmachen und muss mich nun um die Kinder und meinen Mann kümmern. Erzähler Mit ihrer Teebude verdient sie kaum etwas. Sajedas Familie und ihre Nachbarn aus dem gleichen Stadtteil in Sittwe haben noch nie Lebensmittelhilfe bekommen, sagt ihr Mann Mohammad Hashim: OT Muhammad Hashim Sprecher 3 Als die Rakhain kamen und unsere Häuser niederbrannten, sind einige von uns sehr zornig geworden. Wir haben uns gewehrt und einige der Angreifer getötet. Auch von uns sind einige umgekommen. Weil wir nicht tatenlos zugesehen und uns gewehrt haben, verweigert uns die Landesregierung den Status als Flüchtlinge und wir bekommen keine Lebensmittel. Erzähler Nach etwa 20 Minuten Fahrt erreichen wir eine weitere Siedlung. Hier leben mehrere hundert ehemalige Bewohner der Stadt Myebon. Im südlichen Rakhaing-Staat, etwa 60 Kilometer entfernt von Sittwe, waren sie eine kleine Minderheit. Im Norden des Staates stellen die Rohingya in vielen Dörfern die Mehrheit der Bevölkerung. Schon bevor die Bewohner von Myebon ins Flüchtlingscamp nach Sittwe kamen, lebten sie als offiziell registrierte Flüchtlinge in einem Lager ihrer alten Heimatstadt. Dorthin waren nach den Pogromen 2012 alle Muslime der Stadt geflohen. Das kleine und enge Camp liege auf einem Hügel, beschreibt mir Nur Jahan, umgeben von einem dichten Ring von Rakhain-Siedlungen. OT Nur Jahan Sprecherin 1 Das Leben im Lager von Myebon war sehr schwierig. Außer den Lebensmittelrationen gab es kaum etwas. Eine Chili-Schote kostete 100 Kyat, knapp einen Euro. Außerhalb des Lagers etwas zu kaufen, war gefährlich. Wenn uns Militärs oder Polizisten dabei erwischten, haben sie uns verprügelt. Einmal sind zwei Männer mit ihren Netzen nachts hinaus, um in einem nahegelegenen Teich zu fischen. Sie sind beide von Rakhain erschlagen worden. Erzähler Die 56-Jährige Nur Jahan ist in Myebon aufgewachsen und hat mit ihrer Familie früher in einem Haus am Markt gelebt, bis 2012 in friedlicher Nachbarschaft mit den Rakhain. Sie hat es, erzählt sie uns, im Flüchtlingslager von Myebon nicht mehr ausgehalten und ist 2013 mit einigen hundert anderen Rohingya auf Booten in die Lager von Sittwe geflüchtet. OT Nur Jahan Sprecherin 1 Hier ist auch nicht alles gut, aber wir können uns bewegen, wir können von einer Siedlung des Flüchtlingslagers in die andere. Wenn man Geld hat, kann man hier fast alles kaufen, was man zum Leben braucht. In Myebon war alles furchtbar eng und es gab nichts zu kaufen oder es war viel zu teuer. Aus dem Lager konnten wir nie hinaus, zu feindselig sind die Rakhain. Allerdings haben wir dort die Lebensmittelrationen bekommen. Hier nicht, denn wir können uns nicht registrieren lassen. Das ist schon ein Nachteil, auch wenn wir manchmal etwas von kleineren Nichtregierungsorganisationen bekommen. Erzähler Die Feindseligkeit in Myebon war offenbar so heftig, dass Nur Jahan und 2000 andere Rohingya lieber in den Camps von Sittwe auf ihre Essensrationen verzichteten als in Myebon zu bleiben. Einige arbeiten für Nichtregierungsorganisationen und verdienen so etwas Geld. U Bwa Kyaw ist der Sprecher der ehemaligen Bewohner von Myebon. OT U Bwa Kyaw Sprecher 3 Ob Myebon oder Sittwe, unsere Situation ist wirklich schlecht. Wenn das so weitergeht, haben wir und unsere nachfolgenden Generationen keine Zukunft. Es gibt keine Bildung, keine Gesundheitsversorgung und kaum Verdienstmöglichkeiten. Wenn das so bleibt, werden wir irgendwann verhungern. Erzähler Unterdessen machen Investoren aus China, Indien, Japan, Südostasien, den USA und Europa in Myanmar gute Geschäfte und haben das weitläufige und fruchtbare Land für sich entdeckt. Es vergeht kein Tag, an dem die Zeitungen nicht über neue, wirtschaftlich lukrative Projekte berichten. Das Land zwischen den beiden Großmächten China und Indien verfügt über zahlreiche Ressourcen: Ackerland, Erdöl, Erdgas, Kupfer, Bauxit und billige Arbeitskräfte. Zusammen mit Investoren will die Regierung mehrere Dutzend Megastaudämme errichten, drei Tiefseehäfen sind geplant, einschließlich angrenzender Sonderwirtschaftszonen. Aber Studien zu möglichen gesellschaftlichen oder ökologischen Folgen gibt es nicht, geschweige denn entsprechende gesetzliche Auflagen oder Schutzrechte. Myanmar ist ein Investorenparadies. Erzähler Am nächsten Morgen geht es weiter in eine andere Siedlung. Hier wohnen auf engem Raum mehrere hundert ehemalige Bewohner von Kyauk Phyu zusammen, eine Kleinstadt südlich von Sittwe. Sie haben meistens vom Fischfang gelebt. Wir sprechen mit U Khin Maung Hlaing, dem Sprecher der Bewohner und der jungen Tin Tin Nyu. OT Tin Tin & andere Sprecherin 1 Schon als sie vor einigen Jahren die Probebohrungen für die Gasförderung gemacht haben, durften wir dort nicht mehr fischen. Und als sie dann auf Gas gestoßen sind, haben sie die Verbotszone nochmal ausgeweitet. Sprecher 3 Wir leben sehr nah zum Fluss und zum Meer. Nachdem sie das Gas gefunden hatten, sind bei uns auch die Preise für Land gestiegen. Erzähler In Kyauk Pyu, erzählen mir die beiden, soll eines der größten Investitionsprojekte in Myanmar realisiert werden: ein Tiefseehafen mit einer 800 Kilometer-Pipeline für Gas und Erdöl nach China. In Planung ist außerdem eine Sonderwirtschaftszone: 120 Quadratkilometer groß. Teile von Kyauk Pyu und 40 angrenzende Dörfer sollen dafür weichen. Insgesamt 5000 Rohingya seien aus Kyauk Phyu vertrieben worden. OT U Khin Sprecher 3 Vor der Gewalt 2012 war es ruhig in Kyauk Phyu. Wir konnten uns frei bewegen und unseren Geschäften nachgehen. Von der Polizei und dem Militär fühlten wir uns geschützt. Aber für die Sonderwirtschaftszone brauchen die Investoren viel Land. Es ist jetzt viel mehr wert als früher. Das wissen auch die Rakhain in unserer Stadtverwaltung. Sprecherin 1 Sie wollten uns nicht entschädigen. Die Gewalt kam ihnen gerade Recht und sie konnten uns vertreiben, ohne irgendetwas bezahlen zu müssen. Erzähler Die Asphaltstraße endet an der von Palmen gesäumten Küste. Dort liegt das Fischerdorf Thay Chaung. Hier gibt es die meisten und bestbezahlten Arbeitsplätze, die allerdings fest in der Hand der Dorfbewohner sind, allesamt Rohingya. OT Aung Win Sprecher 1 Das ist der wichtigste Fischerhafen hier in der Gegend. Von hier aus stechen sie in See: Acht bis zehn Männer passen auf ein Boot, sie bleiben dann für zwei bis drei Tage draußen, so lange, bis sie genug Fisch gefangen haben. Für die Rohingya ist es ein wichtiger Wirtschaftsbereich, denn es gibt etwa 400 Fischerboote, also Beschäftigung für etwa 4000 Leute. Erzähler Tintenfische, Rochen, Haie und kleine, bunte Fische werden auf dem Fischmarkt zum Verkauf angeboten. Seit die Rohingya nicht mehr nach Sittwe dürfen, kaufen auch die Rakhain hier auf dem Dorfmarkt ihren Fisch. Denn die Rakhain haben nur 50 Fischerboote, die Nachfrage wird zudem aus China kräftig angeheizt. Außerdem ist der von den Rakhain gefangene Fisch teurer. Ich würde gerne auch mit Rakhain sprechen, die als Käufer hierherkommen. Doch Aung Win, der für mich übersetzen muss, hat Angst, dass sie ihn später denunzieren könnten. Erzähler Wir treffen uns mit Muhammad Ali, er ist 60, ein Großhändler. Heute sind nicht viele Fische angeliefert worden. OT Muhammad Ali Sprecher 3 Vor dem Ausbruch der Gewalt habe ich alles gemacht: Den Einkauf, den Verkauf, den Export. Jetzt kaufen die Rakhain meinen Fisch, um ihn zu exportieren. Ich muss den Preis akzeptieren, den sie mir anbieten. Der Preis pro Kilo ist so fast um die Hälfte gefallen – aber immerhin kann ich jetzt mehr verkaufen als vorher und so den Preisverfall etwas kompensieren. Früher konnte ich den Fisch abgeben und später kassieren. Aber es passiert nun immer häufiger, dass ich mein Geld nicht bekomme. Die alten Abmachungen gelten nicht mehr. Wie kann man an einem solchen Ort existieren? Wenn ich mich bei der Polizei über einen Rakhain beschwere, bin ich meine Lizenz als Großhändler gleich los. Erzähler Es ist Ebbe, das Meer ist nicht in Sichtweite. Einige Männer schleppen Netze, Proviant und Motoren auf andere Boote, die mit der nächsten Flut auslaufen sollen. Es ist eine harte und gefährliche Arbeit: Deshalb wird die Arbeit mit umgerechnet vier Euro pro Tag besser entlohnt als andere Arbeiten. Doch wer keine Arbeit findet, versucht nicht selten zu fliehen. Im Hafen werden auslaufende Boote kontrolliert. Die meisten Rohingya wählen deshalb andere Küstenabschnitte, um zu fliehen. OT Muhammad Ali Sprecher 3 Die meisten Leute von hier fliehen nach Thailand oder Malaysia. Niemand will nach Bangladesch, denn das ist auch ein sehr armes Land. Erzähler Seit 2012 sind mehr als 100.000 Rohingya vor allem auf dem Seeweg geflohen. Viele, keiner weiß die genaue Zahl, sind nach langem Umhertreiben mit ihren seeuntüchtigen Booten im Indischen Ozean ertrunken. Das ist bekannt und wirkt abschreckend. Ebenso wie die Berichte über skrupellose Menschenhändler, die Flüchtlinge misshandeln und sogar töten. Abdul Salam, der Flüchtlingssprecher des Dar Paing Camps, will, wie viele andere Rohingya, eines Tages in sein Dorf zurückkehren. OT Abdul Salam Sprecher 2 Wir wollen nicht Bürger zweiter Klasse sein. Wir sind keine Bengalis, wir sind Rohingya. Unsere Vorfahren leben hier seit Generationen. Wir sind Bürger von Myanmar und kommen nicht aus Bangladesch. Erzähler Aber auch die Zentralregierung in Myanmar beschimpft die Rohingya als „Bengalis“ und diskriminiert die muslimische Minderheit durch Gesetze: Die Anzahl der Kinder soll begrenzt, Hochzeiten mit Nicht-Muslimen für sie genehmigungspflichtig werden. OT Abdul Salam Sprecher 2 Nichtregierungsorganisationen allein werden das Problem nicht lösen. Ich wünsche mir eine militärische Intervention der NATO, am besten mit der Zustimmung des UN-Sicherheitsrates. Sonst wird es für uns keine Lösung geben. Erzähler Mein Begleiter Aung Win muss dabei sofort an die Desaster in Afghanistan und im Irak denken. Er blickt pessimistisch in die Zukunft: OT Aung Win Sprecher 1 Kein Rohingya wird bei den nächsten Wahlen seine Stimme abgeben dürfen. Ich habe zwar formal noch die volle Staatsbürgerschaft dieses Landes. Aber meine Kinder nicht. Sie werden als Bengali bezeichnet und haben nur einen vorläufigen Ausweis in weißer Farbe. Per Gesetz hat die Regierung bestimmt, dass sie bei den Wahlen keine Stimme mehr haben werden. Und 90 Prozent der Rohingya haben einen weißen Ausweis. Erzähler Wenige Wochen nach meiner Rückkehr erfuhr ich, dass Aung Win in die Vier-Millionen-Metropole Yangon geflohen ist. Aus der Stadt mit ihrem internationalen Flughafen und den diplomatischen Niederlassungen ist eine Flucht vielleicht weniger gefährlich als über den unberechenbaren indischen Ozean. Absage Staub, Wind und Angst – Im Flüchtlingslager der Muslime in Myanmar Ein Feature von Dominik Müller Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2015. Es sprachen: Matthias Lühn, Bruno Winzen, Joseph Tratnik, Robert Oschatz und Demet Fey Ton und Technik: Michael Morawietz und Anna D‘hein Regie: Matthias Kapohl Redaktion: Karin Beindorff 1 1