Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 18.Juni 2012, 19.30 Uhr Vom Ordnungshüter zum Opfer? Gewalt gegen Polizisten Von Heiner Kiesel Musik Bob Marley: I shot the Sheriff (Kurz das bekannte Riff vor dem Refrain, reißt ab). Atmo 00 Geräusch: Durchladen, Böller, Gejohle, Demonstranten O-Ton 1a: (Behr) Phänomenologisch ist ein Schlag ähnlich ob bei einem Boxkampf oder bei einer Festnahme. O-Ton 1b (Stetefeld) Eigentlich sind wir immer die Buhmänner. Atmo Demonstranten O-Ton 1c (Purper) Festhalten, Schubsen - da haben Studien ergeben, dass 61 Prozent der Kolleginnen und Kollegen das tagtäglich erleben. Sprecher vom Dienst: Vom Ordnungshüter zum Opfer? Gewalt gegen Polizisten Von Heiner Kiesel Atmo 1 Dienstraum / Atmo 1 b Anziehen der Schutzkleidung (15s) O-Ton 2 Sven Kaden mit Atmo im Hintergrund : Ich habe zum einen meine Einsatzmittel, das heißt meinen Schlagstock, mein Reizstoffsprühgerät, meine Waffe, die Pistole P30. Ich habe weiterhin mit [dabei] Handfesseln. Diese Schutzweste ist zum einen gegen Pistolenmunition und hat auch noch eine stichhemmende Wirkung. Diese Kleidung bietet ein gutes, ein sicheres Gefühl, denn diese Weste bietet einen gewissen Schutz vor Personen, die mir nicht so ganz gut gesonnen sind. Autor: Polizeikommissar Sven Kaden sieht auf den ersten Blick so aus, als ob er die ganze Schutzausrüstung gar nicht braucht. Nicht sehr groß, aber breite Schultern. Das hellblaue kurzärmelige Uniformhemd lässt den Blick frei auf dicke Muskelpakete an den Oberarmen des 34-Jährigen. Ein durchtrainierter Typ, der als Bundespolizist im Berliner Hauptbahnhof Dienst macht. O-Ton 3 Sven Kaden mit Atmo im Hintergrund : (Atmo) Also wir gehen jetzt allein, das ist eigentlich nicht das Standardprozedere. Eigentlich gehen wir immer im Zweierteam mit einem Kollegen zusammen, damit wir uns gegenseitig sichern können. Das ist im Grunde erstmal eine Eigensicherungsmaßnahme. Atmo 2 Geräusch Schritte aus Wache Blende Atmo 3 Bahnhofshalle O-Ton 4 Sven Kaden mit Atmo im Hintergrund: Man lernt irgendwann Menschen oder Situationen zu selektieren in gefährlich oder ungefährlich, beziehungsweise man lernt zu erkennen, wo sich möglicherweise ein polizeilich relevanter Sachverhalt entwickelt oder eben nicht. Sprecherin: Der Job des Polizisten ist gefährlicher geworden. So steht es in der Zeitung, sagt das Fernsehen, sagen Politiker und die Polizisten selbst. O-Ton 5 Sven Kaden mit Atmo im Hintergrund: Diese Momente werden auch immer mehr, zumindest gefühlt. Das auch statistisch zu belegen ist schwierig, aber es hat sich in den letzten Jahren schon eine erhöhte Gewaltbereitschaft entwickelt und so können auch wir als Polizeibeamte schnell in Auseinandersetzungen geraten, beziehungsweise bei polizeilichen Maßnahmen angegriffen werden. Zum Beispiel gab es letztes Jahr einen Sachverhalt, bei dem fünf Kollegen einen Beschuldigten festnehmen wollten, der hat unter Drogeneinfluss stehend sich massiv gewehrt und hat dann auch noch einen Beamten schwer verletzt, indem er ihn ins Bein gebissen hat. Wir haben verschiedenste Arten von Angriffen, ob das jetzt Bisse sind, Angriffe mit Messern oder mit Spritzen, Verschiedenste Arten von Angriffen sind möglich. Autor: Kadens Kollegen von der Bundespolizei sind besonders oft in Einsätzen, bei denen es zu spektakulären Gewaltausbrüchen gegen Polizisten kommt. Atmo 5a Demonstration zum ersten Mai "Ganz Berlin hasst die Polizei" Einspielung 5 b: Nachrichten Fußballgewalt, Castortransport; Salafisten; 5 c Margarete Koppers: Die meisten Kollegen und Kolleginnen wurden durch Stein- und Flaschenwürfe verletzt. 5 d Ende: Angriff mit Böllern und Steinen, Gejohle. O-Ton 6 Michael Purper: Der Begriff Prügelknaben der Nation ist natürlich negativ belastet und deswegen würde ich ihn nicht gerne so oft gebrauchen. Aber richtig ist, dass Polizistinnen und Polizisten für die Öffentlichkeit greifbar auf der Straße sind, was die Frage betrifft, wo ist der Staat wenn ich ein Problem habe. Es ist nicht der Politiker, die Politikerin, der da ist, der Rede und Antwort stehen muss, es sind die Polizistinnen und Polizisten die da stehen. Sprecherin: Michael Purper ist Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, Landesbezirk Berlin. Gewalt gegen Polizeibeamte ist eines der Hauptthemen seiner Organisation. Für ihn rührt sie daher, dass die Beamten in einer geradezu feindseligen Umgebung arbeiten. O-Ton 7 Michael Purper: ... , dass man grundsätzlich immer kontra eingestellt ist gegenüber polizeilichen Maßnahmen. Autor: Purper zeichnet ein düsteres Bild vom Dienstalltag. O-Ton 8 Michael Purper: Festhalten, Schubsen - da haben Studien ergeben, dass 61 Prozent der Kolleginnen und Kollegen das tagtäglich erleben. Schlagen mit Hand, Faust ist tägliches Geschäft geworden, Treten, Bewerfen mit Gegenständen und das nicht nur bei Demonstrationen, wie man das in den Medien und auf Bildern sieht, sondern genauso, wenn nicht auch stärker haben wir das Problem im täglichen Leben. Also der normale Streifenbeamte, Abschnittsbeamte erlebt dies. Autor: Eine der Studien, auf die Purper sich bezieht, stammt vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. KFN-Direktor Christian Pfeiffer hat sie geleitet. O-Ton 9 Christian Pfeiffer: Wir sind skeptisch, ob es berechtigt ist, aufgrund einer Momentaufnahme die wir durchgeführt haben, zu sagen, der Immerschlimmerismus, der gilt auch hier. Zum Glück werden wir in unserer Skepsis unterstützt darin, dass auf einmal für 2010 wieder rückläufige Zahlen andeuten, wie wir jetzt sehen, auch 2011. Autor: Die Studie wurde 2011 Jahr abgeschlossen und liegt inzwischen auch als Buch vor. Über 20.000 Polizeibeamte aus 10 Bundesländern haben für die Untersuchung an einer Online-Befragung teilgenommen, wenn auch nur ein Teil davon alle Fragen beantwortet hat. O-Ton 10 Christian Pfeiffer: Das Ergebnis ist, dass insgesamt 12,9 Prozent für den Fünfjahres-Zeitraum 2005 bis einschließlich 2009 angegeben haben, dass sie mindestens einen gewalttätigen Angriff erlebt haben, der sie für mindestens 2 Tage dienstunfähig gemacht hat, vier Prozent hatten sieben Tage bis zwei Monate Dienstunfähigkeit erlebt und bei 0,9 Prozent waren es sogar noch mehr Monate - richtig krankenhausreif geschlagen. Sprecherin: Die Studie hat viel Aufsehen erregt. Auch weil sie sich nicht auf die strafrechtlich relevanten Formen von Gewalt beschränkt. Sie erfasst Übergriffe, von denen Polizeibeamten aus ihrem Dienstalltag berichten. Die meisten davon ereignen sich bei Festnahmen und Überprüfungen, ein großer Teil beim Schlichten von Streitigkeiten in Familien. Pfeiffer konnte das Augenmerk darauf richten, dass es nicht die gut ausgebildeten Spezial- und Einsatzkräfte sind, die das Gros der Aggressionen abbekommen, sondern die Polizisten, die ihren Dienst auf der Straße ausüben. Und: Es sind oft Betrunkene die die Probleme verursachen. Inzwischen gibt es auch polizeiinterne Untersuchungen auf Bundes- und Landesebene, die diese Ergebnisse stützen. O-Ton 11 Christian Pfeiffer: Die Helden des Alltags sind die normalen Streifenbeamten, die völlig unvermutet in eine gefährliche Situation hineinrutschen und dann sind sie zu zweit und da randaliert einer, da führt sich in einer Kneipe einer unangemessen auf, da streiten zwei Fußballfans und immer muss die Polizei ran und hat das Risiko, dass diese emotional aufgewühlten Menschen aus dem Konflikt heraus dann den angreifen, der hier für Ruhe sorgen will. Musik: Instrumental-Loop Extrabreit Autor: Diese Erkenntnis hat zu Ruck-Reden von Innenministern geführt, in denen eine gesellschaftliche Anstrengung gegen das "Immer mehr an Gewalt gegen Polizisten" eingefordert wird. Im Verbund mit den Gewerkschaften wird nach härterer Bestrafung der Täter gerufen. Vor kurzem erhöhte der Bundestag den Strafrahmen für Gewalt gegen Vollzugsbeamte von zwei auf drei Jahre - mit den Stimmen der Abgeordneten von CDU/CSU und FDP. Für ihre Redner eine Maßnahme von hohem Symbolgehalt. O-Ton 12 Einspielung Bundestagsdebatte 07.07.2011: (Armin Schuster CDU) Es ist richtig, dass die Koalition mit der Verschärfung des §113 ein Zeichen setzt (Jörg van Essen, FDP) Insgesamt ist die Botschaft, die unsere Koalition mit der Verschärfung an die Polizeibeamten sendet, wir [ ... ] (Ansgar Heveling, CDU) Quintessenz der Änderungen ist, wir lassen am staatlichen Gewaltmonopol nicht rütteln. Sprecherin: Die Abgeordneten der Koalition waren einhellig von einer drastischen Zunahme der Gewalt gegen Polizisten überzeugt - ganz im Gegensatz zur Opposition. Klarheit soll eine genauere Aufschlüsselung in der Kriminalstatistik bringen. Es gibt sie seit 2011... Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich: Demo-Atmo im Hintergrund O-Ton 13 Hans-Peter Friedrich: ...um auch deutlich zu machen, dass es in diesem Bereich eine Entwicklung gibt, die wir gemeinsam in diesem Land nicht hinnehmen und akzeptieren können, nämlich Angriffe auf Polizisten im Dienst [ ... ] Dass diese Polizisten dann angegriffen werden, in ihrer Gesundheit beschädigt werden, mit dem Leben bedroht werden [sic.]. Das ist eine Entwicklung, die wir nicht akzeptieren können und wir haben leider eine Zunahme in vielen Bereichen... Sprecherin: Die wiederum nur sichtbar werden durch stärker differenzierte Statistiken und Analysen, in denen dann links- und rechtsradikale Gewalttaten oder Bedrohungen am Rand von Fußballereignissen gesondert auftauchen. Die wichtigste Maßzahl in der Kriminalstatistik bleibt aber der Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte. Sie ist 2011 erneut zurückgegangen: um 241 auf 21.257 Fälle. Analog zum Bericht der Projektgruppe Gewalt gegen Polizeibeamte der Innenministerkonferenz verbergen sich dahinter wahrscheinlich weniger als ein Prozent, die zu schweren Verletzungen geführt haben. Ein knappes Viertel hat leichte, drei Viertel haben keine Gesundheitsschäden verursacht. Da in den Erhebungen die Relation zu den geleisteten Einsätzen meist fehlt, lassen sich echte Trends kaum feststellen. Eigentlich hängt die ganze Diskussion über Polizeigewalt in der Luft. Es mangelt an aussagekräftigen Untersuchungen. O-Ton 14 Christian Pfeiffer: Da gibt es in Hamburg einen Kollegen, der plötzlich sagt, die Polizei schwelgt nur im Selbstmitleid und übertreibt maßlos und das ist doch alles ganz normal und der überzieht auf seine Weise, weil er sich selber profilieren möchte und dann gibt es Polizeigewerkschaftler, die unsere Daten auch ein bisschen missbrauchen für ihre Interessenlagen und dann gibt es auch wiederum Politiker, die sich gerade das herausziehen, was sie gerade brauchen. O-Ton 15 Rafael Behr: Phänomenologisch ist ein Schlag ins Gesicht ähnlich, ob ich jetzt einen Boxkampf habe oder eine Festnahme. Sprecherin: Rafael Behr ist Professor an der Hochschule der Polizei in Hamburg. Er leitet die Forschungsstelle Kultur und Sicherheit. O-Ton 16 Rafael Behr: Wir haben in der polizeiinternen Debatte riesige Schwierigkeiten, erst mal den Gewaltbegriff abzugrenzen, weil Polizisten schon als Gewalt empfinden, was definitiv keine physische Gewalt darstellt. Gewalt fängt bei Polizisten oft schon bei der Beleidigung an, oder bei der despektierlichen Geste, beim Hinspucken vor die Füße, oder beim demonstrativen Sichwegdrehen. Das wird schon als gewalttätig empfunden, weil es respektlos ist. Autor: Behr ist wiederholt angegriffen worden, weil er den Diskurs vom Immerschlimmer ablehnt. Immer schlimmer, das meint oft immer brutaler. Auch dafür sieht er, wie sein Kollege Pfeiffer aus Niedersachsen, keine Anzeichen. Es fehlen ihm statistische Belege, auch wenn eine Vielzahl erschütternder Fälle bekannt ist. O-Ton 17 Rafael Behr: Ich gehe tatsächlich davon aus, dass wir in der Gesellschaft immer gewaltentwöhnter geworden sind und immer dort, wenn sich Gewalt durch die schmale Haut der Zivilisation hindurch schmuggelt, sie dramatischer wahrgenommen wird. Atmo 6 Geräusch entfernte Polizei-Sirene Atmo 7 Straße O-Ton 18 Thomas Stetefeld: Mein Name ist Thomas Stetefeld. Ich bin Polizeioberkommissar im Süden von Berlin. Ich bin 45 Jahre alt und im täglichen Streifendienst tätig - Funkstreife, Zivilstreife, Verkehrsüberwachung. Wir sind wie die Feuerwehr - wir machen alles. Sprecherin: Das Gespräch mit dem Berliner Streifenbeamten ist durch Vermittlung der Gewerkschaft zustande gekommen. O-Ton 19 Thomas Stetefeld: Dass man so wie so ganz unbeabsichtigt näher kommt an ihn ran, dass man auch mal ganz bewusst mit dem Finger tippt an die Schutzweste, oder lassen Sie mich mal hier durch, ich will da weiter. Wissen Sie, das sind so leichte Rempeleien, wo eigentlich, wenn man es ganz eng sehen sollte schon eine Form von Gewalt vorliegt. Jeder privat würde sich nicht einfach so angehen lassen. O-Ton 20 Einspielung Straßen-Szene: Können Sie bitte mal absteigen, das ist ein Gehweg! - Nee, ich hab' jetzt keine Zeit. Hallo! O-Ton 21 Thomas Stetefeld: Wenn Sie versuchen einen Bürger anzuhalten, müssen Sie sich schon quer in den Weg stellen, weil Sie werden dann einfach, ich hab´s selber bei einem Einsatz erlebt. Sie stehen auf dem Gehweg als Polizist und man versucht um sie herumzufahren, man nimmt sie nicht wahr, sie müssen die Arme ausstrecken, sie müssen laut brüllen eigentlich schon und dann kommen solche Äußerungen, wie ich habe überhaupt keine Zeit und überhaupt und so. Aber so passiert es oft: In der Grünanlage ist es der Hundehalter, der meint er müsste seinen Hund nicht anleinen, er müsste seinen Hundekot nicht wegmachen. Der Radfahrer ist der Meinung, wir sollten uns um den Hundehalter kümmern und so geht es hin und her und eigentlich sind wir immer die Buhmänner. Musik: Deichkind Illegale Fans Autor: Der Dienstalltag belastet. Gewalt beginnt bei Thomas Stetefeld lange bevor sie als Körperverletzung in die Kriminalstatistik eingeht. Umgangsformen, die für den Beamten nicht ins Rollen-Bild von Bürger und Polizei passen. Sein Eindruck: Der Respekt vor einander und besonders vor den Polizisten schwindet. O-Ton 22 Thomas Stetefeld: Ja, das beste Beispiel, ohne Werbung zu machen, ist Deichkind, die haben so ein Lied herausgebracht, in dem es um Kopierschutz geht und das fängt an mit Bulle, Bulle schieß doch! Wenn ich mir die Rapszene ansehe, dann ist das einerseits um Geld zu verdienen, aber andererseits ist es doch eine Verwahrlosung, wenn es Mädchen, Dunkelhäutige oder auch Polizisten beleidigt werden, dann ist das doch eine Verwahrlosung ohnegleichen und ich denke mal, wir sollten gesellschaftlich dagegen vorgehen - eine gesellschaftliche Ächtung. Musik Ende, dann trocken: Autor: Stetefeld kommt sich manchmal allein gelassen vor, von den Politikern, von der Gesellschaft, von denen, für die er auf der Straße ist. Er fühlt sich als Polizist nicht mehr geachtet, so wie das früher einmal war. Musik Heidi Franke: Die Blumen sind für sie, Herr Polizist Atmo 8 Polizeihistorische Sammlung/Schritte Autor: Hartmut Moldenhauer führt durch die Polizeihistorische Sammlung Berlin. Vorbei an geknackten Tresoren, Vitrinen mit Handfeuerwaffen bis hin zu einem Schaukasten an der Fensterseite. Drinnen stehen Modellpuppen. O-Ton 23 Hartmut Moldenhauer: Die Uniformen, die ich getragen habe, sind in diesem Bereich zu finden. Das ist zum einen diese Uniform, das ist die taubengraue Uniform, die bis Ende der 60er-Jahre getragen wurde, dann abgelöst wurde durch diese ebenfalls taubengraue Uniform und dann ab 1977 die wahrscheinlich allen Hörer bekannte Uniform in grün und beige. O-Ton 24 Hartmut Moldenhauer: (Sie hatten kein CS-Gas-Spray dabei, sie hatten keine Schutzweste an?) Nein, ich hatte nur die übliche Dienstpistole dabei, dann den Polizeiknüppel. Zwei Verbandspäckchen, die Signalpfeife und die Knebelkette. Autor: Der 69-jährige ehemalige Polizeidirektor blickt zu den Schaufensterpuppen hoch. Er ist eher klein, aber das war kein Problem. Ein Bauarbeiter hat ihn mal den kleinen Wachtmeister genannt. Moldenhauer zuckt mit den Schultern. O-Ton 25 Hartmut Moldenhauer: Ich war, wenn man so will so gesehen schon vom Anblick her eine Respektsperson. Ich bin auch alleine Streife gelaufen. Heute laufen die Kollegen ja meistens zu zweit. Man war auf sich alleine gestellt. Man hat sich in der Uniform wohl gefühlt, weil man wusste, die Uniform wird respektiert. Es war eben doch eine andere Form von Autorität, als es heute ist. O-Ton 26 Hartmut Moldenhauer: (Gibt es in dieser ganzen Sammlung Instrumente, die gegen Polizisten verwendet worden sind?) Ja. (Schritte, Schlüssel, Tür) Solche Teleskopschlagstöcke, solche sogenannten Nunchakus, die Butterflymesser, die Schlagringe, die (lacht) haben wir in einem besetzten Haus gefunden, eine Riesensteinschleuder. (Sind sie solchen Dingen in ihrem Dienst damals über den Weg gelaufen?) Nein, ich habe auch nie einen Schlag abbekommen. Doch einmal, da hat mir jemand mit der Faust in den Rücken geschlagen. Da habe ich mich umgedreht und gesagt, was soll denn das? Musik verfremdet mit Hall, wie von fern: Heidi Franke: Die Blumen sind für sie, Herr Polizist O-Ton 27 Thomas Stetefeld: Ich hab´ so jemand sogar schon mal in meiner Vernehmung gehabt, der das auf den Unterarm tätowiert hatte. ACAB - all cops are bastards, also alle Polizisten sind eben Bastarde. Damit können Sie auch Geld verdienen, diese T-Shirts können sie kaufen - Fuck the Police und weiß der Teufel noch was alles. Wissen Sie, wenn da drauf stehen würde, "fickt alle Politiker!", oder "fickt den Bundespräsidenten!" oder "den Richter", dann würde das schnell verboten werden, aber so wird das toleriert und wer das toleriert, der ist nicht weit entfernt, bald alles andere zu tolerieren, denn Sie können diese Spirale nicht aufhalten. Musik: Deine Ltan: Kopfschuss, Fick die Cops Sprecherin: Deichkind singt Schieß doch Bulle, Sido spottet Geh doch zur Polizei, aber am derbsten haben in Deutschland wahrscheinlich Deine Ltan getextet. Lass den Bullen brennen, tritt ihn, bis er Zähne spuckt! Mit dabei Rapper Tamas, aus dem Berliner Arbeiterbezirk Wedding. Der Hassrapper, so wird er immer noch genannt. Der Text brachte ihm eine Anklage, Hausdurchsuchung und CD-Indizierung ein. Und den Ruf, Jugendliche zur Gewalt anzustacheln. Musik Blende zu Atmoaufnahme Atmo 10: Fick die Cops bis O-Ton Tamas: Genau, genau, ok, genug gehört. O-Ton 30 Tamas mit Atmo: Wir haben natürlich auch ein Klageschreiben bekommen, dass irgendein dummer Jugendlicher Steine auf einen Krankenwagen geworfen hat und dabei "Fick' Die Cops" geschrien hat. Das wurde auf uns zurückgeführt. Das wollten wir natürlich nicht. Das ist unsere Einstellung, aber wir sagen ja nicht: Stech' einen Cop ab, okay das kommt auch vor, aber ich weiß nicht, das ist doch immer noch ein Lied. Das ist künstlerische Freiheit. Das ist doch genauso als wenn ich als Rapper sage, ich ficke deine Mutter. Da fick' ich doch nicht deine Mutter. Verstehst du was ich meine? Autor: Nur ein Missverständnis? Randgruppensprachcodes die an die falschen Ohren geraten sind, oder doch gefährliche Texte, die dafür sorgen, dass es für Polizisten immer gefährlicher wird... O-Ton 31 Tamas mit Atmo : Es gibt, es gibt - wie heißen die Leute, die Polizisten, die im Kiez herumlaufen (Gemurmel im Hintergrund) - Kontaktbereichsbeamte! Die kennt man aus dem Kiez. Mit denen sind die Kids cool. Aber wenn am 1. Mai am Kotti einen Münchner zu einem Kreuzberger sagt, "Kannst du dich mal wegbewegen?", dann dreht der natürlich durch. Was willst du denn in meiner Stadt, in meiner Straße, was willst du mir erzählen, du guckst mir nicht mal in die Augen? Autor: Tamas ist 28 und arbeitet für ein Insolvenzunternehmen, ziemlich bürgerlich für einen Rapper. Aber sicher ist: Eine Uniform - na und? Mit Respekt hat sie für ihn nichts zu tun. O-Ton 32 Niels van Quaquebeke: Ich kann mir gut vorstellen, dass es heute ein Mangel an Gehorsam ist, der heute bemängelt wird. Sprecherin: Niels van Quaquebeke, Leiter der Respect-Research-Group, einem sozialwissenschaftlichem Think-Tank in Hamburg. O-Ton 33 Niels van Quaquebeke: Dass die Polizei, oder viele aus der Polizei meinen, dass die Gewalt gegen sie zunimmt, obwohl es - wenn man den statistischen Daten glauben darf - eher abnimmt, das finde ich als solches kein ungewöhnliches Phänomen, da es korreliert mit etwas, das wir auch in unserer Forschung wahrnehmen, nämlich, dass Leute sensibler geworden sind, gegen bestimmte Ansprüche, beziehungsweise sensibler, wenn diese Ansprüche verletzt werden. Jeder Polizist auf der Sprache hat auch diesen Anspruch nach einem gewissen Respekt, denn in Polizisten stecken ja auch Menschen. Autor: Der Respektforscher unterscheidet zwei Arten von Respekt. Auf horizontaler Ebene, ganz grundsätzlich, weil der Andere als Mensch Achtung verdient, und vertikal, wenn besondere Kompetenz vorhanden ist. O-Ton 34 Niels van Quaquebeke: Gehorsam muss sich nie legitimieren. Bei Respekt, wenn ich vertikalen Respekt bekomme, dann kann ich auch Einfluss ausüben, aber da gibt es eine Rechtfertigung dahinter, nämlich, weil ich besser bin. Und in dem Moment, dass Leute auf der Straße fragen, warum soll ich das tun, wollen sie eine Legitimierung haben, sie wollen wissen, warum soll ich dich eigentlich respektieren. O-Ton 35 Hartmut Moldenhauer: Auch damals habe ich den Grundsatz noch gelernt, einen guten Polizeibeamten kann man nicht beleidigen, wenn da mal einer gesagt hat, "Du Penner", dann, ist ja gut, dann hat man nicht gleich eine Anzeige geschrieben. O-Ton 36 a Armin Beck: Heute haben sie drei kräftige, durchtrainierte junge Männer mit Kurzhaarschnitt.... Sprecherin: Armin Beck, Anwalt. O-Ton 36 b Armin Beck: ...und die sagen natürlich auch, was ist denn hier los. Aber die sagen das in einem anderen Ton und ich denke mal, das ist schon dieser Einstieg - wie im Endeffekt versucht wird, mit einer Situation umzugehen. Gehe ich autoritär, aggressiv um, dann muss ich heutzutage einfach damit rechnen, dass Autorität per se nicht mehr so anerkannt wird wie früher, oder gehe ich kooperativ vor und versuche von vornherein die Luft aus einer Situation herauszunehmen. Autor: Der Strafverteidiger vertritt häufig Mandanten, denen vorgeworfen wird, Polizisten verletzt zu haben. Meist, so beobachtet Beck, geht es um Situationen in denen die mutmaßlichen Täter betrunken sind, häufig geht es um Beleidigungen, Rempler und Hautabschürfungen bei den Beamten. Der Verteidiger sieht ein Muster in den Konfrontationen. O-Ton 37 a Armin Beck: Es ist schon klar zu sehen, es sind fast immer die jüngeren Beamten, die in solche Auseinandersetzungen geraten. Ich kann also nur von meinen Erlebnissen sprechen. Es ist einfach so, dass die älteren Beamten deutlich entspannter daherkommen, und haben auch vom Altersunterschied eine ganz andere Autorität und versucht erst mal, zu deeskalieren. Während die jüngeren Beamten offensichtlich häufig ihre Macht gleich vor sich hertragen. Aber das führt natürlich zu häufig leider zu Gegenreaktionen. O-Ton 37 a Einspielung Szene: (Frau) Ist das so schwer zu verstehen mich nicht anzufassen. Immer wieder (unverständlich). Alter, genau deswegen bin ich hier, um dich anzupöbeln, du Arschloch. (Mann) Du hast 'ne Tochter, denk dran. (Frau) Genau du Arschloch, genau deswegen bin ich heute hier. Ich weiß zwar nicht wie du aussiehst Alter, aber ich weiß genau wer es war. Autor: Zurückhaltung, Deeskalation, gute Vorbereitung - das ist es, was gelobt wird, wenn am 1. Mai, nach Problemspielen der Bundesliga oder bei einem Castor-Transport die Randale begrenzt bleibt. O-Ton 38 Frank Henkel (aus dem Raum, Kameraklicken): Dazu hat die Polizei insgesamt mit Besonnenheit beigetragen, aber auch mit Entschlossenheit. Alle - das gilt für die Polizeiführung aber auch für die Einsatzkräfte- haben einen sehr schwierigen, aber auch sehr guten Job gemacht. Sprecherin: Das ist mehr als ritueller Dank und Schmeichelei für die Einsatzkräfte. Die Polizei hat sich weiterentwickelt. Sie ist professioneller geworden seit den Auseinandersetzungen um Wackersdorf, die Startbahn West oder die Hafenstraße in den 80ern. Dadurch ist die eigene Gefährdung zurückgegangen, aber auch das Ansehen der Polizisten gestiegen. Die Bürger vertrauen der Polizei - nach einer Umfrage des Allensbach Institutes für Meinungsforschung mehr als dem Grundgesetz oder der Justiz. O-Ton 39 Rafael Behr: Es ist ein hierarchisches Verhältnis und das muss man sich immer wieder vor Augen führen, wenn - wie es Gewerkschaften immer wieder tun - daran appelliert wird, dass Polizisten auch Menschen sind. Ja natürlich sind sie auch Menschen, aber sie agieren nicht als Privatmensch und sie agieren als Vertreter des Staates. Wir können nicht so tun, dass im Versagensfall, wenn alles schief gelaufen ist, dann gesagt wird, Polizisten sind auch bloß Menschen. Das lasse ich nicht gelten, denn es ist deren Beruf und deren Training und deren Vorbereitung, die sie eigentlich in Streitsituationen überlegen machen sollten. Autor: Die Polizei sei am Zug, nicht die Gesellschaft, sagt Behr. Anders ginge es nicht, denn die Gesellschaft, das sei ein kaum greifbarer Begriff, Polizeiarbeit aber könne konkret verbessert werden. Der Polizeiforscher denkt hier unter anderem an die verbale Schlagfertigkeit der Beamten, eine bessere Inszenierung ihres Auftretens und die genaue Analyse von Problem-Milieus durch Praktiker und Wissenschaftler. Sein Kollege Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut will herausfinden, wie Beamte je nach Einsatzsituation besser zugeteilt werden können - wo ihre Persönlichkeit, ihr Hintergrund oder ihr Geschlecht am besten wirken. Atmo Bahnhofshalle Sprecherin: Beide Wissenschaftler dürfen sich sicher sein, dass ihre Erkenntnisse aufmerksam aufgenommen werden. Besonders von den Polizeibeamten selbst. Denn es entspricht eher ihrem Rollenbild, aktiv auf Herausforderungen zu reagieren, als Opfer von irgendwie immer schlimmer werdenden Verhältnissen zu sein. Insofern wirkt die Debatte um die vermeintlich teilnahmslose Gesellschaft und immer härter werdende Gewalt im Polizeialltag kontraproduktiv. O-Ton 40 Sven Kaden mit Hintergrund: Ich denke, das ist der große Anspruch an einen Selbst, beziehungsweise das Problem, sich immer wieder dafür zu motivieren, sich hinzustellen und für dieses Recht des Staates einzutreten. Das Potential, die Gefährdungen werden höher, die Angriffe werden mehr und man könnte möglicherweise irgendwann mal schwer verletzt werden. Autor: Bundespolizist Sven Kaden ist von der Gewaltdiskussion noch nicht entmutigt worden. Er geht professionell mit den Herausforderungen der Arbeit um, sieht sich als Ordnungshüter nicht als Prügelknabe. O-Ton 41 Sven Kaden: Das ist mein persönliches Ziel, auf einem guten Stand zu sein. Wenn der Bürger merkt, da steht jemand der genau weiß, was er tut, der ist handlungssicher, der ist redegewandt und der lässt sich nicht durch einfache Floskeln oder Redewendungen verwirren oder beeinflussen, sondern zieht seine Maßnahmen konsequent durch und auch richtig durch, wenn ich ein richtiges Wissen mitbringe, dann bin ich natürlich auch als Bürger geneigt, dem zu folgen. Sprecher vom Dienst: Vom Ordnungshüter zum Opfer? Gewalt gegen Polizisten Ein Feature von Heiner Kiesel Atmo Park O-Ton 42 Tamas: Hört ihr, hört ihr, Deutschland hörst du ich tue was, ich zahle Steuern. Der Fick die Cops-Tamas er zahlt Steuern und Krankenkasse und was kriegt er zurück? Einen Arschtritt! (Wenn du da reinschreist, dann übersteuert das) Ja genau, das soll ja auch aggressiv wirken. Sprecher vom Dienst: Es sprachen: Viola Sauer und der Autor Technik: Alexander Brennecke Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 Am nächsten Montag hören Sie an dieser Stelle: Kein Tiger mehr im Tank Lösen Elektromobile unsere Verkehrsprobleme? Audios, Manuskripte und weitere Informationen zu unseren Zeitfragen-Sendungen finden Sie im Internet unter dradio.de 1