COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Die Reportage 24.6.2012, 13.05 Uhr Frieden beginnt in der Achterbahn - wie Jugendliche aus verfeindeten Ländern zu Friedensbotschaftern werden Von Svenja Pelzel Atmo 1 hoch 2'00 Luftballonspiel 0/1 I invite you to stand in two lines, facing each other. One line is here, one is here. - Stimmen, Geraschel 0'10 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 1 Nerius Kravcianas bittet die 16 jungen Frauen und Männer sich im Raum in zwei Reihen aufzustellen. Einigen drückt er Luftballons in die Hand, die diese sofort aufblasen, die anderen bekommen Stecknadeln. Dann sagt der Kursleiter mehrmals, dass alle auf ihre Ballons aufpassen müssen und sich nicht gegenseitig verletzen sollen. Atmo 2 hoch Nerius 0/2 So some of you have balloons, some of you have pins, for next two minutes please protect balloons and don't hurt each other. Okay? And one two three! Stimmen, Luftballons knallen, Lachen, 0'20 frei stehen lassen, dann darüber Autorin 2 Augenblicklich rennen alle wild durcheinander, lachen laut. Die mit den Nadeln versuchen die Ballons zum Platzen zu bringen, die anderen halten beide Arme schützend vor die Ballons. Nach zwei Minuten ist nur noch ein aufgeblasener Luftballon übrig. Ein Ergebnis, das Nerius erwartet hat. O-Ton 1 Sprecher 1 darüber 0'38 Nerius 0/3 It's a small exercise to show how strongly and deeply some symbols and codes are coded in us. Where language and even a kind invitation doesn't work. Because if you have a balloon and a pin, everyone knows, what happens. Okay, so also thinking about certain conflicts which are caused by our deep deep cultures we even are not aware. Okay? Small introduction and then exercise. Sprecher 1 Es ist eine kleine Übung, die Euch zeigen soll, wie stark manche Symbole und Codes in uns sind, so dass Sprache nicht mehr funktioniert. Denn jeder weiß, was passiert, wenn man Luftballons und Nadeln hat. Denkt dabei auch an einige Konflikte, die von unserer Kultur ausgelöst werden, die so tief in uns verankert ist, das wir sie nicht mehr wahrnehmen. Okay? Kleine Einleitung - und nun an die Arbeit! Autorin 3 Atmo 3 darunter Die Arbeit - das ist ein einwöchiges Friedenscamp, veranstaltet vom Nationalen Russischen Jugendrat, ein Zusammenschluss von knapp hundert russischen Kinder- und Jugendverbänden. Finanziert wir das Camp vom Europarat. Die sechs Frauen und zehn Männer im Raum sind zwischen 24 und 34, stammen aus Georgien und Russland, Aserbaidschan, Armenien, Abkhazien und Moldawien. Alles Länder oder Regionen, die verfeindet sind, teilweise sogar Krieg gegeneinander geführt haben. Beim Kaukasus-Camp treffen sie sich zum ersten Mal. Der Feind bekommt plötzlich ein Gesicht. Die Bühne dafür scheint auf den ersten Blick skurril: das Camp findet mitten in einem Freizeitpark, dem Europapark in Rust, statt. Durch die schalldichten Fenster des Seminarraums sieht man draußen lachende Menschen, die gerade in einer Achterbahn vorbeizischen, einen großen Platz mit Showbühne und vollem Publikum, zahlreiche bunte Läden und Fressbuden. Drinnen sind nach dem Luftballonspiel alle ernst und voll konzentriert. Atmo 4 hoch Erklärung auf Russisch (E1/3): 0'10 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 4 Normalerweise hält Nerius Kravcianas seine Kurse auf Englisch, doch beim Kaukasus-Camp können alle Teilnehmer viel besser russisch. Für den 31jährigen kein Problem. Er selbst stammt aus Litauen, hat dort Pädagogik studiert und sich anschließend auf internationale Konfliktlösungen spezialisiert. Nerius hat blonde halblange Haare, trägt Leinenturnschuhe, Jeans, Karohemd und sieht auf den ersten Blick aus wie der immer gut gelaunte Animateur und Betreuer in einem Jugendlager. Nerius hat derzeit keinen festen Wohnsitz, sondern reist für den Europarat quer durch alle Länder, leitet Seminare und Workshops. Mit den Teilnehmern des Kaukasus-Camps ist er bis jetzt sehr zufrieden O-Ton 2 darüber Sprecher 1 0'31 Nerius 51/2 I knew, that it will not be easy, to bring people from conflict countries to open and share deep feelings. But now I see, what we do, people are getting closer to each other as a group, as individuals and they are sharing more difficult feelings from their life experience. It's possible to bring people together. Sprecher 1 Ich wusste, dass es nicht leicht ist, Leute aus verfeindeten Ländern dazu zu bringen, tiefe Gefühle miteinander zu teilen. Aber jetzt sehe ich, dass es klappt, dass sie sich näher kommen und sich mehr von ihrem Leben und ihren echten Sorgen erzählen. Es ist möglich, Menschen zusammen zu bringen. Autorin 5 Manchmal reicht es schon, wenn alle nur gemeinsam Luftballons jagen. Meistens sind Nerius' Aufgaben aber schwieriger. Er lässt seine Peacecamper zum Beispiel ein Theaterstück spielen, bei dem jemand angegriffen, von Grenzern abgewiesen oder sonst irgendwie bedroht wird. Oder er erfindet Konflikte zwischen zwei Staaten, die das Team dann gemeinsam lösen muss. An diesem Morgen nimmt Nerius einen dicken Filzstift, zeichnet einen Grenzfluss, zwei Länder und eine Papierfabrik, die eines der beiden Länder direkt am Fluss bauen will. Der Konflikt: die Papierfabrik bedroht die intakte Flusslandschaft. Während Nerius die Gruppen aufteilt und die Aufgabe erklärt, sitzt die zwanzigjährige Mane etwas abseits, einen Laptop auf dem Schoß. Mane stammt aus Armenien und hat einige Zeit in Los Angeles Linguistik studiert. Zuhause arbeitet die junge Frau mit den superknappen Jeansshorts und der riesigen Sonnenbrille freiberuflich für einen Fernsehsender. Außerdem ist Mane ehrenamtliche Vorsitzende von Youth Breath, einer armenischen Jugend- und Friedensorganisation. Mit ihrem Laptop tauscht sie ständig Mails mit den Freunden, Kollegen und Mitstreitern Zuhause aus oder aktualisiert ihre Facebookseite - für sie Hobby und politisches Instrument gleichzeitig. O-Ton 3 darüber: Sprecherin 0'29 Mane (E2/2) In Europe and not only in Europe internet is a major force. Twitter and facebook you go on there and you post your status and than you have 5000 followers, doing exactly what you told them to do, because they believe, what you are saying. It's a major force and it can not be underestimated as the recent events showed. It's really what's moving now. Sprecherin In Europa und überall ist das Internet zu einer wahren Kraft geworden. Du gehst auf Twitter und Facebook, postest deinen Status und hast dann 5000 Freunde, die genau das machen, was du ihnen sagst, weil sie dir glauben. Das ist eine Macht, die nicht unterschätzt werden sollte, wie die jüngsten Ereignisse gezeigt haben. Das! bewegt die Welt heute. Autorin 6 Atmo 5 darunter (E1/6) Mane mailt, Mane chattet, ist dauernd online. Doch als Nerius die Gruppen auffordert, sich im Raum zu verteilen, springt die junge Frau sofort auf, ist gleich mit dabei. Wie alle anderen ist sie freiwillig hier, hat bereits Erfahrung in Sachen Friedensarbeit, und war schon bei mehreren internationalen Camps. Auch von hier will sie so viel wie möglich mitnehmen. O-Ton 4, darüber Sprecherin 0'25 Mane E2/4 I think discussing in such a kind of atmosphere is the best thing. When you have a formal format you know you represent so much you put on the mister suite kind of face. You just like don't act like yourself. That's why I don't like politics. You generalise, because you need a big proportion of population to listen to you. Sprecherin Ich denke, in so einer Umgebung über Probleme zu sprechen ist das allerbeste. Wenn es formaler zugeht, setzt man immer gleich sein ,Ich-bin-seriös-Gesicht' auf. Du bist dann nicht du selbst. Deshalb mag ich auch Politik nicht, da wird zu viel verallgemeinert, weil du viele Leute brauchst, die dir zuhören. Autorin 7 Mane gegenüber sitzt Sagira. Gemeinsam mit drei anderen, überlegt sie, mit welcher Strategie sie den Streit um die Papierfabrik in der Grenzregion verhindern kann. Die 28jährige schlanke Frau mit den langen blonden Haaren und dem bunten figurbetonten Kleid stammt aus Dagestan. Ihre Heimat, gerade mal so groß wie Niedersachsen, ist bettelarm und wird regiert von korrupten Politikern, tyrannisiert von kriminellen Banden und radikalen Islamisten. Täglich gibt es Anschläge. "Frieden ist für mich kein leeres Wort", sagt Sagira, "sondern schon immer mein größter Wunsch". Direkt nach der Schule verlässt sie deshalb die kaukasische Provinz, geht nach München, studiert dort Germanistik. Seit Kurzem lebt sie in Moskau, arbeitet beim Russischen Nationalen Jugendrat. Sagira hat das Kaukasus-Camp mit organisiert. O-Ton 5 0'39 Sagira, 25.7 Meiner Meinung nach solche Veranstaltungen sind sehr nötig und wichtig und es ist noch besser, wenn man sie im neutralen Territorium führt, solche Veranstaltungen. z.B. wenn wir nach Armenien fahren und die Einwohner dieses Landes könnten sich anders fühlen, sie fühlten sich als ob sie wichtiger sind als andere, weil sie sind Besitzer. Hier sind wir alle gleich. Autorin 8 Atmo 6 darunter 27/1 Die nächsten zwei Stunden sammeln Sagira, Mane und die anderen schlagkräftige Argumente für und gegen den Bau der Papierfabrik. Dabei sitzen die jungen Frauen und Männer eng beieinander, stecken die Köpfe zusammen, diskutieren lautstark, lachen viel und fotografieren sich dabei ununterbrochen. Am Ende sitzen alle wieder im Kreis, stellen ihre Ideen vor. Kursleiter Nerius schreibt sämtliche Vorschläge auf bunte Zettel, klebt sie an eine riesige Pinnwand. Wieder wirkt er sehr zufrieden. Dann drängelt er. Will los, Richtung Collosseum. In dem Nachbau des römischen Theaters am anderen Ende des Freizeitparks wollen er und sein Team heute erstmals die Teilnehmer eines zweiten Camps treffen, das gleichzeitig in Straßburg stattfindet. Atmo 7 hoch Park mit Musik, 27/ 2,3 0'10 frei stehen lassen dann darüber Autorin 9 Auf der ersten Showbühne draußen schwingen Tänzerinnen zu französischer Musik die Beine, das Publikum klatscht begeistert. Die Friedenscamper zücken mal wieder die Digitalkameras. Nervös blickt Nerius auf die Uhr, will weiter. Bahnt sich und der Gruppe einen Weg durch die Besuchermassen, vorbei am russischen, holländischen und portugiesischen Themenpark Richtung Collosseum. Dabei erzählt er: O-Ton 6 0'21 Nerius, 51/9 First impression was how will I manage to do something on such a serious topic in a theme park? But Europapark it's good in its philosophy. The idea of Europapark was to bring Europeans together through a leisure time of activities. Sprecher: Am Anfang habe ich mich schon gefragt, wie ich ausgerechnet in einem Vergnügungspark das Thema Krieg und Frieden bearbeiten soll. Als ich dann aber gehört habe, dass die Philosophie des Europaparks ist, Menschen durch gemeinsame Freizeit zusammen zu bringen, habe ich zugesagt. Atmo 8 hoch Atmo Park 0'3 frei stehen lassen dann darüber Atmo 9 hoch Begrüßung Mack 28/2, 4 Hello everybody over there. Do you speak all English? - yes we do - come a little bit closer 0'10 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 10 Im nachgebauten Collosseum treffen Armenier, Georgier, Russen, Azerbaidschaner das erste Mal auf Palästinenser und Israelis, Kosovaren und Serben. Außer ein paar freundlichen ,hellos' und ,how-are-yous', wird wenig mit den anderen geredet, die Gruppen bleiben erstmal unter sich. Dafür wird laut geklatscht und wieder viel fotografiert, als die Straßburger eine kurze Gesangs-Einlage geben. Atmo 10 hoch Gesangs-Performance, 30/2 0'15 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 11 Europaparkchef Roland Mack steht mitten zwischen den jungen Erwachsenen, klatscht begeistert mit, ist gerührt. O-Ton 7 0'23 Mack, 33/8 Das ist jedes Mal ein emotionales Erlebnis, vor allem dann, wenn die Jugendlichen persönlich ausdrücken, wie sie ihr Schicksal sehen, wie sie die Veranstaltung wahrnehmen, da treibt es einem manchmal schon Tränen in die Augen. Und es ist für mich ganz wichtig, diese persönlichen Begegnungen, weil es mir Kraft gibt und die Erkenntnis bringt, wir sind auf dem richtigen Weg. Autorin 12 Mack ist studierter Maschinenbauer, Leiter und Gründer des Europaparks, Träger des Bundesverdienstkreuzes und mehrerer französischer Orden sowie Sonderbotschafter des Europarates. Im Oktober wird Mack 62, was man dem sonnengebräunten, dunkelhaarigen Mann, im eleganten Anzug nicht ansieht. Junge Menschen, Frieden und Völkerverständigung - das ist die Idee seines Parks. Und genau deshalb stellt er ihn regelmäßig für Camps und andere Workshops zur Verfügung. O-Ton 8 0'20 Mack, 33/5 Ich mach das nicht nur, um Vorbildcharakter zu haben, sondern es kommt irgendwo auch von dem Herzen. Man bekommt natürlich auch ein Stückweit Werte mit auf den Weg und gerade die Familienunternehmen zeichnen sich aus, dass sie nicht nur dem reinen Profit und der reinen Finanzidee hinterher springen, sondern dass es ihnen um mehr geht, als um die Betriebswirtschaft. Autorin 13 Natürlich geht es Mack auch um Profit, schließlich ist der Park ein riesiges Unternehmen. In Zahlen: 3100 Angestellte, 4 Millionen Besucher im Jahr, über die Hälfte aus dem Ausland. 13 europäische Länder präsentieren sich auf einem Gelände, das so groß ist wie Berlin. Für Mack der ideale Ort, um sich anzunähern. Zu reden, Vorurteile abzubauen. Und viel freie Zeit miteinander zu verbringen. O-Ton 9 0'33 Mack, 33/9 Wenn dann die Entspannungsphase kommt. ist doch der Park eine wunderbare Gelegenheit, das zu erproben, was man versucht hat zu schulen, nämlich Freunde zu bekommen, Ressentiments abzubauen, und plötzlich mit einem, mit dem du vielleicht verfeindet warst, aus Erzählungen der Eltern, gemeinsam in einer Achterbahn zu sitzen, Freude zu empfinden und zu sehen, dass er auch anders tickt und ich glaube schon, dass das sehr gut zusammen geht, denn so ein Park löst auch Emotionen aus. Atmo 11 hoch Springbrunnen geht an, Geschrei (32) 0'5 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 14 Wie gerade jetzt im Hof des Collosseums. Der Springbrunnen geht an, Nerius und zwei Peacecamper stehen mitten drin. Lachend, durchnässt und gut gelaunt zieht seine Gruppe wenig später ab, Richtung Seminarraum. Während die Kaukasus-Gruppe noch ein Theaterstück einstudiert, probieren die die Straßburger Karussells, Wasserrutschen und Achterbahnen im Park aus. Atmo 12 hoch Schreie in der Achterbahn (Archiv) 0'5 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 15 Drei Stunden später treffen sich die 60 jungen Frauen und Männer beider Camps wieder. Zur Party in der Sportbar. Atmo 13 hoch Kreisübung für alle (40/1,2) Circle, Circle, I ja ja ja ... oh, now we are going down all together jaaa oh. Faster!!.... I ja ja , i jaja, i jaja, oh.... Applaus, Atmo 0'30 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 16 Kreisspiel zum Kennenlernen. Michael Raphael hat links eine junge Israelin, rechts Sagira untergehakt. Raphael arbeitet beim Europarat und hat vor acht Jahren das Peacecamp mit ins Leben gerufen. Er ist davon überzeugt, dass es langfristig nicht ausreicht, ausschließlich über Facebook und Twitter zusammenzufinden, Friedensarbeit nicht ohne den direkten menschlichen Kontakt funktionieren kann. Und die jungen Leute mit dem, was sie hier lernen, Zuhause auch etwas anfangen können. O-Ton 10 Sprecher 2 darüber: 0'22 Raphael, 43/3, 4 I would to tell you, yeah it's just magic, people come together and do a project you know, that would be the right thing for me as a part of the organisation. But to be honest it's more difficult than that. Building peace is not simple and I don't want to sound it simple. Creating a war is simple. But there has been a lot of successes and a lot of continuations, yes. Sprecher 2 Als Teil vom Organisationsteam müsste ich jetzt sagen, yeah, die Leute und das Projekt sind einfach nur magisch! Aber ganz ehrlich: die Dinge sind ein bisschen komplizierter. Frieden zu schaffen, ist nicht einfach und ich will auch nicht, dass es einfach klingt. Krieg anzufangen ist einfach. Aber wir haben schon ein paar nachhaltige Dinge erreicht und auch einige Erfolge. Autorin 17 Atmo 14 darunter (44) Nach Kreis- und Namenspiel drängen alle gemeinsam in die Sportbar, stürzen sich zuerst aufs Büffet und anschließend auf Autoscooter und Kickertische. Langsam mischen sich beide Gruppen. Das erste Georgien-Palästina-Team knallt mit seinem Elektroauto gegen das einer Russland- Serbien-Mannschaft. Und wenig später zieht die Armenierin Mane Händchen haltend mit einem jungen Isreali in den dunkler werdenden Park ab. Kursleiter Nerius und Michael Raphael sitzen gemeinsam an einem Tisch, blicken der jungen Frau lächelnd hinterher. O-Ton 11 darüber Sprecher 2 0'26 Raphael 43/5 I think this it's so surrealistic and so out of the ordinary for those people coming from these poor war stricken areas, it's the opposite in some way, it's all fun, it's not the world doesn't exist. It's a wonderful place to forget things, but it's also a wonderful place to deal with the trauma, the pain and the suffering, that they have from there own countries. Shock therapy, shock by fun. Sprecher 2 Ich finde es so surreal und so jenseits von dem Alltag, den die Leute in ihrer armen, vom Krieg gebeutelten Heimat erleben. Es ist das Gegenteil von Krieg, es ist alles Spaß. Ein wunderbarer Platz, um alles zu vergessen, aber auch um über Traumata zu reden, den Schmerz, das Leid Zuhause. Schock-Therapie durch Spaß! Atmo 14 hoch Autoskooter, Geschrei 0'3 frei stehen lassen, dann darüber Autorin 18 Während Mane zum Knutschen im Park verschwindet, einige Leute draußen rauchen oder an Kickertischen und in Autoskootern ihre Kräfte messen, philosophieren Nerius und Michael Raphael noch eine Weile über Krieg und Frieden. O-Ton 12 darüber Sprecher 2 0'41 Michael 43.8 I believe that humanity learns slowly with a lot of blood, lacht. Don't forget, that France and Germany had a lot of blood for hundreds and hundreds of years. Palestine and Israel is only fifty years old. Azerbaijan and Armenia are totally new things, they are only fifteen years old. Kosovo is only twenty years old. I mean, let's think about the reality, that these countries are brand new out of huge social shifts. I think there is movement and I think, things will be changed, but I think it takes time. Sprecher 2 Ich glaube, die Menschheit lernt langsam, und durch viel Blutvergießen. In Frankreich und Deutschland gab es Jahrhunderte lang unendlich viele Tote und Blutvergießen. Palästina und Israel sind gerade erst 50 Jahre alt. Aserbaidschan und Armenien 15, Kosovo 20 Jahre alt. Diese Länder sind brandneu und nach riesigen sozialen Umwälzungen entstanden. Es bewegt sich was, die Dinge werden sich ändern, aber ich glaube, es wird noch Zeit brauchen.)) Atmo 14 hoch Autoscooter, Geschrei 0'5 frei stehen lassen, dann darüber Atmo 15 hoch Bus, 47 0'5 frei stehen lassen, dann darüber Autorin 19 Der nächste Morgen. Die Spaßtherapie ist fürs erste vorbei. Auf dem Programm steht ein Besuch beim Europarat in Straßburg. Blass und etwas verkatert sitzen die meisten im Bus, nur Merab plaudert munter drauf los, reißt Witzchen. Merab Chikashvili stammt aus Georgien, ist mit seinen 34 Jahren im Camp der Älteste und auch der Erfahrenste. 2009 wird er in Georgien bei einer Demonstration verhaftet, sitzt im Gefängnis, tritt in den Hungerstreik und reicht später Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein. Weil dieser zum Europarat gehört, freut sich Merab heute besonders auf die Besichtigung. O-Ton 13 darüber Sprecher 3 0'29 Merab, 49/1 Our case is now here in Strasbourg. And it was 2009 they catch us five persons. It was a very terrible day, because with us was a journalist too. It was action, a manifestation. They came, police cached us, beat us, broke the cameras of the journalist. For one month I was in jail and now I think Strasbourg will do something. Sprecher 3 Unser Fall ist hier in Straßburg. 2009 haben sie uns gefangen, ein Journalist war auch dabei. Es war ein furchtbarer Tag. Wir hatten eine Demo veranstaltet, dann kamen sie, die Polizei fing uns, sie schlugen uns, zerstörten die Kamera des Journalisten. Fünf Monate war ich im Gefängnis und jetzt hoffe ich auf Straßburg. Autorin 20 Merab demonstriert damals zusammen mit anderen Mitgliedern einer Menschenrechtsorganisation gegen das nationale georgische Fernsehen, das in seinen Augen nicht objektiv berichtet. Merab und ein paar Mitstreiter stehen deswegen mit Transparenten vor dem Rathaus in Tiflis, als plötzlich die Polizisten kommen. O-Ton 14 darüber Sprecher 3 0'22 Merab, 49/2 For us and for whole Georgia it was a very terrible day. We were hundred and police were thousand, catch us, beat us and throw us in the jail. And court said nothing. I had court just five minutes can you imagine five minutes! And when I said where is my lawyer, they said no lawyer. Sprecher 3 Für uns und ganz Georgien war es ein furchtbarer Tag. Wir waren Hundert gegen tausend Polizisten. Sie schlugen uns und warfen uns ins Gefängnis. Meine Gerichtsverhandlung dauerte genau fünf Minuten, kannst du dir das vorstellen. Fünf Minuten! und als ich nach meinem Anwalt fragte, sagten sie - kein Anwalt! Atmo 16 hoch Besichtigung (55/2) 0'3 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 21 In Straßburg besichtigen Merab und die anderen zuerst das große Gebäude des Europarates, das ganz in der Nähe des Europäischen Parlamentes liegt. Dem Europarat - einem freien Forum, in dem die Länder soziale und wirtschaftliche Fragen gemeinsam besprechen - ist auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unterstellt, sowie das Europäische Jugendzentrum. In dessen Gebäude ein paar Straßen weiter treffen Merab und die anderen nach der Besichtigungstour wieder auf die Straßburger. Die Stimmung im großen Saal ist sofort so gut wie am Vorabend. Atmo 17 hoch machen Quatsch und singen über Mikrophonanlage im Saal 0'10 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 22 Während einige Stimmbänder und Mikrophonanlage austesten oder das hundertste Digitalfoto knipsen, klappt Merab sein Notebook auf. Das hat er immer dabei. Er zeigt Mane, die neben ihm sitzt, und ebenfalls online ist, seine Facebookseite. Darauf: die Bilder seiner Verhaftung. Auf einem ist Merab zu sehen, wie er gerade vom Polizeichef verprügelt wird als er gegen Präsident Saakashwili protestiert. O-Ton 15 0'12 Merab, 56/7 Ah, look, this is me, this is police, this is my friends, look, this is chairman of police, he beat me. Look, this is me. This is we had the protest against Saakashwili our president. Atmo 18 hoch Rede Weingärtner, 57.1 0'5 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 23 Merab aktualisiert weiter seine Facebookseite, auch als Ralf-René Weingärtner den Saal betritt. Weingärtner ist Direktor für Jugend und Sport des Europarates und kann jedes Jahr zehn Millionen Euro für Projekte zum Thema Frieden, Menschenrechte und Völkerverständigung ausgeben. Gemessen am Gesamtetat des Europarates ist das nicht viel. Dennoch macht Weingärtner den jungen Menschen, die vor ihm sitzen, aus Israel, Palästina, vom Balkan und dem Kaukasus Mut: O-Ton 16 0'15 Weingärtner, 57.4 Ich kann ihnen sagen, dass einige unserer ehemaligen Trainees jetzt in den Übergangsregierungen von Lybien, Tunesien und Ägypten Regierungsämter bekleiden, das spricht auch schon für sich. Autorin 24 Kein Wunder, dass Weingärtner vom Sinn der Europarat-Workshops absolut überzeugt ist. O-Ton 17 0'32 Weingärtner, 57.8 Im letzten Jahr, da hatten wir auch ein Peacecamp im Europapark und da sagte eine junge Palästinenserin am Abschluss des Peacecamps sagte sie: als ich diesen Jungen Israeli gesehen habe und wusste, dass er vor ein paar Wochen noch als Soldat tätig war, da dachte ich, das ist der Teufel in Person. Mittlerweile kenne ich den, wir hören die gleiche Musik, wir gucken die gleichen Filme und wir sind im Europapark auch die gleiche Achterbahn gefahren und haben uns aneinander geklammert und das ist für mich mittlerweile ein Freund geworden. Macht immer noch Gänsehaut, wenn man so was dann hört. Autorin 25 Atmo 19 darunter 49.3 Am Abend steht für die jungen Leute auch in Straßburg noch einmal eine Party auf dem Programm. Am nächsten Morgen ist das Camp nach über einer Woche zu Ende. Bevor Mane, Sagira, Merab und die anderen in den Bus Richtung Flughafen steigen, machen sie ein letztes Mal Fotos von sich und ihren neuen Freunden, tauschen Mail- und Facebookadressen aus. Die jungen Frauen und Männer sind fest entschlossen, die gemeinsame Arbeit von ihren Heimatländern aus fortzuführen, vielleicht sogar ein gemeinsames Projekt beim Europarat zu beantragen. O-Ton 18 (kürzbar) 0'20 Sagira 25.5 Ich nehme nach Hause mit nur sehr gute Gefühle und meine Erwartungen hier sind noch besser als ich zum Beispiel in Russland denken könnte O-Ton 19 darüber Sprecher 3 0'21 Merab 24.8 Maybe we can do some bridge, some human bridge. We are the bridge to each other. What I know, we have to do something, because we know each other. We have to do it. Sprecher 3 Vielleicht können wir eine menschliche Brücke bauen. Wir müssen auf jeden Fall was machen, wir müssen es einfach tun. . Autorin 26 Etwas abseits steht Kursleiter Nerius, einen Rollkoffer neben sich. Zufrieden beobachtet er, wie die jungen Menschen aus verfeindeten Ländern Adressen austauschen, gemeinsam Zukunftspläne schmieden und sich zum Abschied umarmen und küssen. O-Ton 20 darüber Sprecher 1 0'25 Nerius Simply being with each other and doing something with a common goal it can transform people as individuals, groups as they join and on a long term it can transform societies, 'cause that's what happened with French and German societies. It took at least three generations and know they meet and they are friends Sprecher1 Einfach nur zusammen sein, etwas mit einem gemeinsamen Ziel machen - das reicht schon um Menschen und langfristig auch Gesellschaften zu verändern. Genau das ist in Deutschland und Frankreich passiert. Es hat drei Generationen gedauert, aber jetzt treffen sie sich und sind Freunde. 4 11