COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 15. Oktober 2007, 19.30 Uhr Das eigene Wissen stets in Frage stellen Wie die Lehre an deutschen Hochschulen verbessert werden sollte Von Hannegret Biesenbaum Take 1 (a) Studentin: Es ist einfach keine Zeit mehr gegeben, auch der Dozent kann sich die Zeit nicht nehmen, um schwächere Studenten zu fördern oder ihnen gewisse Sachen zu erklären, die Zeit ist nicht da, es ist einfach nur ein Gehetze von einem Seminar ins nächste Seminar. Sprecher vom Dienst Das eigene Wissen stets in Frage stellen Wie die Lehre an deutschen Hochschulen verbessert werden sollte Eine Sendung von Hannegret Biesenbaum Take 1 (b) Student: Wie soll denn da ein kritischer Geist entstehen und jemand selbstständig nachdenken, wenn das Einzige, was er im Studium lernt, das ist, welches Kapitel man in dem Buch am besten auswendig lernt und wie man das in sechzig Minuten zusammenfasst. Autorin Die Lehre an deutschen Hochschulen lässt zu wünschen übrig. Immer mehr Studenten fühlen sich schlecht betreut, leiden unter Prüfungsängsten und beklagen die mangelnde Qualität von Lehrveranstaltungen. Nach Aussage von Rolf Dobischat, Bildungsforscher und Präsident des deutschen Studentenwerks, ist die Entwicklung besorgniserregend. Viele Studierende stünden unter steigendem Erwartungs-, Leistungs- und vor allem Zeitdruck. Die zahlreichen Hochschulreformen dürften nicht dazu führen, dass ein Studium krank mache, mahnt Dobischat. Tatsächlich gehen die Reformen der letzten Jahre meist zulasten der Lehre, während die Forschung nach Kräften finanziell unterstützt wird. Stefan Kühnapfel ist Student und hochschulpolitischer Referent der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Take 2 (Kühnapfel) Es wird ja auch immer behauptet, durch Studiengebühren würde sich dann ein Ausgleich ergeben, fasst man das aber alles zusammen, bekommen die Hochschulen hier in Niedersachsen, ich denke in andern Bundesländern halt auch, weniger Geld als das, was sie wirklich bräuchten, um eine geeignete Lehre da durchzuführen. Und dafür gibt es halt genügend Beispiele hier, wo Veranstaltungen entweder ausfallen, das Lehrangebot insgesamt zurückgefahren wird oder auch einfach Ausstattungsmittel fehlen, Sachmittel, Schlangen vorm Prüfungsamt sprechen da für sich oder auch Schlangen vor den Büros der Professorinnen, wo halt Sprechzeiten nur sehr kurz sind, ich denke, das sind halt nur Symptome der Krankheit der finanziellen Unterausstattung der Hochschulen. Autorin Hinzu kommt die Raumnot. Zwar gehen nach jüngsten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes die Studienanfängerzahlen in einigen Ländern zurück, so in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Der so genannte Studentenberg, der von den Kultusministern prognostiziert worden war, scheint also weniger hoch zu werden. Die Platzprobleme sind damit aber nicht gelöst. Take 3 (Kühnapfel) Und es ist im Augenblick so, dass Veranstaltungen hier aufgrund des Raummangelns, die finden einfach im Foyer statt, im Foyer des großen Hörsaalgebäudes, und das kann eigentlich nicht sein, das ist ja, allein, wenn man so was sieht, kann man schon sagen, dass die Lehre ja irgendwo ins Hintertreffen da gerät, wenn denn in so einer Riesengeräuschkulisse in einem Vorraum Veranstaltungen stattfinden müssen. Regie: Atmo: Stimmen und Schritte Autorin Dabei ist Platzmangel keineswegs ein Spezifikum der Universität Oldenburg. Auch 600 Kilometer weiter südlich, in Bayern, an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sind die Bedingungen kaum besser. Vor allem die Umstellung auf die neuen Bachelor- und Master-Studiengänge als Folge des Bologna-Prozesses haben die Situation verschärft, sagt Saskia Heike, die in Erlangen Pädagogik, Philosophie und Soziologie studiert. 1999 hatten die europäischen Bildungsminister in Bologna beschlossen, einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu schaffen ? mit Bachelor- und Master-Abschlüssen statt des deutschen Diploms und Magisters. Take 4 (Heike) Inzwischen wurde einiges aus Studiengebühren neu gekauft, allerdings sind die Räume meistens noch veraltet, vor allem, was Technik angeht. Ein Vorschlag war, es könnten Container angeschafft werden, und darin sollte dann die Lehre stattfinden, weil es anscheinend nicht möglich war, ein Gebäude anzumieten, das eigentlich schon längst hätte angemietet werden müssen. Diese Vorschläge kamen schon vor zwei Semestern, aber es wurde leider nicht umgesetzt, weil das Okay von oberster Stelle immer gefehlt hat. Autorin Ihr Kommilitone Dennis Göttner, Student der Volkswirtschaft und Mitglied der LandesAstenKonferenz Bayern, hält dem Bologna-Prozess zwar zugute, dass er begrüßenswerte Ideen entwickelt habe. Aber an deren Umsetzung hapere es entschieden. Take 5 (Göttner/Heike) (a) Göttner: Also prinzipiell muss man sagen, dass die Einführung von Kleingruppen- veranstaltungen durch die Umstellung auf Bachelor-Master ein sehr guter Punkt ist, der die Betreuungsrelation verbessert und auch das Lernen in kleineren Gruppen sehr viel einfacher möglich ist. Aber die Kleingruppen verstärken die Raumproblematik noch viel mehr. Zusätzlich kommt noch dazu, dass in einigen Jahren der doppelte Abiturjahrgang kommt, und wir bis dahin noch überhaupt keine Räume haben, wo wir die Leute unterbringen können, und ich möchte hier auch noch mal anmerken, dass es nicht Aufgabe der Studenten ist, mit ihren Studiengebühren die Räume zu finanzieren, die eine Grundversorgung des Staates darstellen sollen. (b) Heike: Letztendlich wird?s aber wahrscheinlich darauf hinauslaufen, weil die Mittel werden wirklich ganz dringend gebraucht, und wir bekommen sie nicht. Was soll man tun? Sollen wir uns jetzt auf den Boden setzen und dort unsere Lehre abhalten? Das funktioniert einfach nicht. Autorin Harsche Kritik an der Umsetzung des Bologna-Prozesses üben auch die Studenten der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, die bereits seit 2003 an der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge arbeite. Offenbar ohne großen Erfolg, wie Stefan Kühnapfel ? Student und hochschulpolitischer Referent ? erzählt. Die Studierenden seien gezwungen weitgehend ins Blaue hinein zu planen. Take 6 (Kühnapfel) Wir haben jetzt tatsächlich die Situation, die Bewerbungsverfahren für die Masterstudiengänge, also für den wissenschaftlichen Teil des Studiums sind eröffnet. Es existiert aber noch keine einzige Prüfungsordnung. Das heißt, man bewirbt sich für Studiengänge, der Inhalt ist aber noch nicht klar. Man weiß nicht, was vermittelt wird, und man weiß auch nicht, wie man zum Schluss qualifiziert ist, und welche Voraussetzungen man für den Erfolg eines Studiums erfüllen muss. Und wenn jetzt wieder jemand sagt, ja, in einigen Jahren wird das anders sein, würde ich dazu sagen, ja, es wird anders sein, aber nicht unbedingt besser. Unsere Hochschulleitung zum Beispiel hat jetzt bewiesen, dass sie nicht in der Lage ist, innerhalb von fünf Jahren Master-Prüfungsordnungen zu erschaffen. Obwohl jedem klar war vor fünf Jahren, dass diese Studiengänge eingeführt werden sollen. Und ich denke, dass das an andern Hochschulen ähnlich ist. Autorin Ein weiteres Problem sei das ungesicherte Arbeitsverhältnis von Lehrbeauftragten, die oft einen Vertrag für nur ein Semester hätten, sagt Stephanie Fehn, Studentin der Sozialwissenschaften in Oldenburg. Ihre Erfahrung sei, dass die meisten zwar Prüfungen abhalten dürften ? Take 7 (Fehn/Kühnapfel) (a) Fehn: ? es aber einfach nicht tun. Und das damit begründen: Wir haben hier ein Pensum von so und soviel Stunden pro Woche zu erfüllen, das tun wir, würden wir jetzt noch Prüfungen abnehmen, würde das über dieses Pensum hinausgehen, deswegen können wir das nicht machen, und ich muss Sie bitten, sich an jemand anderen zu wenden, der Ihnen Ihre Prüfung abnimmt. (b) Kühnapfel: Und das ist schon ein Problem. Nach einem Semester ist die Person wieder weg, ich kann keine Rückfragen mehr stellen, ich kann auch nicht auf diese Veranstaltungen in irgendeiner Form aufbauen, habe keine persönliche Bindung zu irgend jemandem mehr, sondern die Personen sind einfach weg. Regie: Atmo: Stimmen und Schritte Autorin Die Universitäten in Oldenburg und Erlangen-Nürnberg bilden keine Ausnahmen. Vielen deutschen Universitäten fehlen Räume, Sachmittel, Personal. Unter Experten hat deshalb eine ? teils heftige ? Diskussion zur Behebung des Personalmangels eingesetzt: Helfen Studiengebühren weiter? Soll der Mittelbau an den Universitäten gestärkt werden? Brauchen wir mehr Tutoren? Uwe Thomas, Physiker und ehemaliger Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, schlägt den Einsatz von Computern vor. Die hätten im Vergleich zu Massenvorlesungen, in denen die Kommunikation immer nur einseitig vom Professor zu den Studierenden geht, einen deutlichen Vorteil. Take 8 (Thomas) Der Unterschied zum Lehrbuch und natürlich auch zur Vorlesung ist ja der, dass ein Computer interaktiv sein kann. Er kann also auf das reagieren, was Sie eingeben, auf welchem Weg auch immer, und kann auf diese Weise eine Software darstellen, mit der ich systematisch lernen kann. Das geht natürlich nicht für alle Fächer, aber beispielsweise, wenn Sie lernen wollen, wie man partielle Differentialgleichung behandelt und löst, also in der Strömungslehre braucht man das beispielsweise, ist es unschlagbar. Autorin Überhaupt sagt der Physiker den elektronischen Medien eine zunehmende Bedeutung im Wissenschaftsbetrieb voraus. Take 9 (Thomas) Ich glaube persönlich, dass die Universität in zehn bis zwanzig Jahren völlig anders aussehen wird, und ich glaube ferner, dass hier nicht nur die USA eine große Rolle spielen werden, sondern eben diese beiden Riesennationen China und Indien mit ihrem enormen Bildungseifer sich auf diese Instrumentarien stürzen werden. Das ist halt nicht nur ein neuer Markt, sondern das ist auch eine kulturelle Frage. Wer die Bildungssoftware entwickelt, beeinflusst natürlich auch die Menschen, die sie benutzen. Autorin Auch der Deutsche Hochschulverband plädiert ausdrücklich für den vermehrten Einsatz moderner Medien in der Lehre. Allerdings, so Vizepräsident Gunnar Berg, unter einer Voraussetzung: Take 10 (Berg) Aber wir stehen auch auf dem Standpunkt, da stehen wir, glaube ich, nicht allein, dass für eine gute Lehre, ganz entscheidend der persönliche Kontakt ist. Das heißt, alle Medien, egal welcher Art sie sind, können und sollen die Lehre unterstützen, und das soll man auch nützen, was sich nützen lässt, aber der persönliche Kontakt ist unbedingt notwendig. Autorin Im Klartext: Ohne zusätzliche Professorenstellen geht es nicht. Bund und Länder werden deshalb auf die Dauer nicht darum herum kommen, tiefer in den Finanztopf zu greifen, wenn sie eine bessere Lehre wollen. Ohnehin müsste Deutschland mehr in seine Universitäten investieren, wie die jüngste Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zeigt. Die internationale Vergleichsstudie: ?Bildung auf einen Blick? weist nach, dass insbesondere die Lehre an deutschen Hochschulen zu kurz kommt. Die USA zum Beispiel geben pro Student 20 000 Dollar aus, Deutschland dagegen 8000. Doch so notwendig eine Aufstockung des Etats wäre, Geld alleine führt auf die Dauer kaum weiter. Wichtig wäre vielmehr eine grundsätzliche Aufwertung der Lehre. Dass es ihr in Deutschland an der nötigen Anerkennung fehlt, meint auch Peter Strohschneider, Mittelalterforscher an der Universität München und Vorsitzender des Wissenschaftsrats - des wichtigsten politischen Beratungsgremiums in Hochschulfragen. Während an die Forschung höchste Qualitätsmaßstäbe angelegt würden - die Exzellenzinitiative von Bund und Ländern ist dafür ein Beispiel ? werde die Lehre vor allem nach Quantitäten gemessen: Wie hoch ist die Zahl der Studienanfänger? Wie viele kommen zu einem Abschluss oder brechen das Studium ab? Take 11 (Strohschneider) So dass, wenn man von diesen beiden Ebenen ausgeht, die Quantität der Lehre und die Qualität der Forschung, systematisch unterbelichtet bleibt im gesamten bisherigen deutschen Hochschulsystem die Qualität der Lehre. Autorin Angesichts dieser Situation ist es kaum verwunderlich, dass Professoren bisweilen wenig Lust zeigen, sich in der Lehre zu engagieren. Die Erfahrungen der Studenten sind zwiespältig. Take 12 (Studenten) (a) Schrögel: Also ich denk?, man kann jetzt nichts generalisierend sagen, aber es gibt durchaus einige Fälle, dass Professoren die Lehre eigentlich nur als lästiges Nebenbei empfinden und ihre Hauptaufgabe in der Forschung sehen und auch die Studenten teilweise nur als Belästigung empfinden ... (b) Heike: Also einerseits haben wir wirklich Dozenten, die sich sehr große Mühe geben, die auch in den Forschungsbereich hineinführen möchten, in Seminaren auch sehr intensiv auf die Forschung vorbereiten, und andererseits haben wir Dozenten, die wirklich nur ihren Stoff herunterlesen, ablesen, die keinerlei Technik verwenden, die alles handschriftlich auf Folien, wenn überhaupt Folien da sind, vorlegen und das ist dann sehr, sehr anstrengend auch für den Studenten ? (c) Göttner: Also man merkt es auch bei dem Berufungsverfahren, da geht es darum, wie gut ist der in der Forschung, was leistet er wissenschaftlich, und wenn jemand exzellente Lehre macht, dann geht es unter. Also das ist kein Kriterium, nach dem man den Professor oder einen Kollegen beurteilt. Regie: Atmo: Stimmen und Schritte Autorin Aber wie kann die Lehre gegenüber der Forschung an Reputation gewinnen? Eine schwierige Frage, weil das asymmetrische Verhältnis zwischen Forschung und Lehre eng mit deutschen Traditionen verbunden ist. Ein Blick über die Grenze zeigt, - so Peter Strohschneider -, dass es auch anders geht. Take 13 (Strohschneider) Das ist in den angelsächsischen Ländern durchaus nicht so eindeutig, dass die Forschungsreputation sehr viel höher rangiert als die Lehrreputation, das können Sie schon daran sehen, dass im englischen Wissenschaftssystem eben nicht von Wissenschaftssystem gesprochen wird, sondern von Higher Education. Also Higher Education heißt einfach ?Höhere Bildung?, das ganze Wissenschaftssystem in England wird von dem, was sozusagen in Deutschland der ?tertiäre? Bildungsbereich heißt, als Higher Educationsystem diskutiert und eben nicht als Wissenschaftssystem. Was nicht heißt, dass dort Forschung weniger Reputation einträgt, aber es heißt doch, dass Lehre mehr Reputation einträgt und dass in den sozusagen Biographiemustern derer, die im System arbeiten in den Karrierewegen die Lehre systematisch eine höhere Bedeutung hat. Autorin Das größere Ansehen, das die Lehre in den angelsächsischen Ländern genießt, führt bei den Dozenten wohl auch zu einem anderen Selbstverständnis. Man gibt sich weniger distanziert, ist den Studenten gegenüber aufgeschlossener und hilfsbereiter als hier, wie Katja Buthut, Studentin im 8. Semester, erzählt. Sie hat im Rahmen des Austauschprogramms Erasmus ein Semester an der englischen Universität in Bath studiert. Zurück in Deutschland, vermisst sie den guten Kontakt. Take 14 (Buthut) Ich finde es zum Beispiel auch unmöglich, wenn ein Dozent sagt, er ist nicht per eMail zu erreichen meinetwegen. Man könne ihn nur an bestimmten Tagen in der Woche zwischen dreizehn und vierzehn Uhr per Telefon erreichen, wenn man Glück hat. Aber in Großbritannien ist das kein Problem, also jeder ist ständig online, und wenn ich eine Frage habe, ob das fachspezifisch oder organisatorisch ist, dann schreibe ich dem Dozenten eine eMail und bekomme sofort eine Antwort. Und das ist eine viel stärkere Betreuung, mir hat es das Studieren sehr viel erleichtert. Autorin Zwar lässt sich das Beispiel Angelsachsen nicht ohne weiteres auf Deutschland übertragen ? schon weil die beiden Universitätssysteme dafür zu unterschiedlich sind. Aber es gibt doch Anregungen und zeigt, dass die Unterbewertung der Lehre nicht naturgegeben ist. Sie ist kulturell bedingt und kann kulturell verändert werden. Allerdings nur in kleinen Schritten. Denn, so der Vorsitzende des Wissenschaftsrats Peter Strohschneider, eine kulturelle Veränderung kann nicht einfach beschlossen werden. Take 15 (Strohschneider) Sie ist immer das Ergebnis komplexer Prozesse, aber man kann Impulse so setzen, dass solche komplexen Prozesse in Gang kommen. Und der Vorschlag des Wissenschaftsrats für eine Juniorprofessur und Professur mit dem Tätigkeitsschwerpunkt ?Lehre?, der ist konzipiert jedenfalls als ein solcher Impuls, der einen solchen kulturellen und Mentalitätswandel im deutschen Universitätssystem insbesondere in Gang setzen kann. Autorin Um einen ?Lehrkulturwandel? in die Wege zu leiten, soll nach den Vorstellungen des Wissenschaftsrats ein eigener Karriereweg mit dem Schwerpunkt Lehre etabliert werden, der von der Juniorprofessur zur Vollprofessur führt. Take 16 (Strohschneider) Und er schlägt auch vor, diesen Karriereweg sozusagen mit Zäsuren auszustatten, also der Sprung von der befristeten Juniorprofessur auf die unbefristete Vollprofessur soll ein Sprung sein, der mit einer harten akademischen Prüfung der Lehrbefähigung der jeweiligen Kandidatinnen und Kandidaten versehen ist, ein Sprung, bei dem man dann auch scheitern können muss, damit er nämlich sozusagen diesen Impuls für die Verbesserung der Lehrqualität setzt. Autorin Verbunden damit ist die Hoffnung, dass mit einer hart erkämpften Karriere auch das Ansehen des künftigen ?Lehrprofessors? wächst, so dass er auf gleicher Stufe mit dem ?Forschungsprofessor? steht. Zwanzig Prozent aller Professuren sollten nach Auffassung des Wissenschaftsrats eine solche Lehrprofessur ausmachen. Sie umfasst zwölf Semesterwochenstunden, also vier Stunden mehr als die übrigen Professuren. Wie sich der Wissenschaftsrat die genauen Kompetenzen des künftigen Lehrprofessors vorstellt, ist noch ungeklärt. Take 17 (Strohschneider) Ich habe ja ganz zu Anfang gesagt, dass wir das in mehreren Schritten gehen müssen. Und die Empfehlungen zur Qualität der Lehre und zu den institutionellen Mechanismen der Qualitätsverbesserung, der Professionalisierung von Lehre, die ein wichtiges Instrument sind in diesem Zusammenhang, der Lehre im System der Universität einen höheren Stellenwert zuzuweisen, an diesen Empfehlungen arbeiten wir noch. Deswegen kann ich darüber im Moment noch nichts sagen. Ich hoffe, dass wir die im November im Wissenschaftsrat verabschieden können. Es ist aber in der Tat so, dass wir über die Qualitätsverbesserung der Lehre diskutieren in einer wissenschafts- und hochschulpolitisch sehr komplizierten Lage. Autorin Wichtig sei jedenfalls, betont Peter Strohschneider, dass auch der Lehrprofessor noch Zeit für die Forschung habe. Fakt aber ist, dass der Lehrprofessor ein erhöhtes Lehrdeputat hat und seine Kernkompetenzen in der Didaktik liegen sollen. Dass der Zusammenhang von Forschung und Lehre auf diese Weise gewahrt bleibt, bezweifeln sowohl Studenten als auch Wissenschaftler. Bettina Beer, Professorin für Ethnologie in Heidelberg. Take 18 (Beer) Das ist eine rein zeitliche Frage. Ich meine, unser Alltag hat auch nur 24 Stunden, und wenn man jetzt sehr viel stärker in die Lehre eingebunden ist, rein zeitlich, dann kann man entweder versuchen, die Lehre weniger intensiv vorzubereiten und dadurch Zeit zu gewinnen, oder man muss eben die Forschung einschränken ... Das heißt vielleicht nicht, dass man grundsätzlich aufhört, aber es ist doch eine deutliche Schwerpunktsetzung. Take 19 (Studenten) (a) Ein guter Professor ist für mich ein Professor, der von seinem Fach selbst begeistert ist, und der sich da wirklich auch auskennt, der da auch seine ganze Kraft rein steckt sozusagen, und ein solcher Professor kann für mich eben nicht einfach nur Lehrer sein, sondern er muss auch selbst forschen und er muss vor allen Dingen dadurch auch sich in der aktuellen Forschung auskennen und nicht einfach irgendwelche Lehrinhalte vermitteln. Autorin Studenten der Universitäten in Halle und in Oldenburg. (b) Wenn die nicht die aktuellen Forschungsinhalte lehren können, weil sie da gar nicht drin stecken, ergibt das für mich zumindest so auf die Schnelle gesagt einfach keinen Sinn, so etwas zu tun. Es ist auch die Frage, ob so eine Mehrklassen- gesellschaft bei den Lehrenden oder bei den Professoren, ob das überhaupt grundsätzlich eine gute Idee ist, so etwas zu tun, Forschung und Lehre da tatsächlich zu splitten. Take 20 (Hucho) Forschung macht dermaßen viel Spaß, und die Forschungsatmosphäre in einer gut gehenden Forschergruppe, an einem gut gehenden Lehrstuhl, die ist so lebhaft, dass jemand sich definitiv diskriminiert fühlen würde, wenn man ihm sagen würde, du halt dich da raus, du mach jetzt mal die Vorlesung. Das klappt so nicht. Autorin Ferdinand Hucho, emeritierter Professor für Biochemie an der Freien Universität Berlin. Ähnlich denkt auch der Deutsche Hochschulverband, die bundesweite Berufsvertretung der deutschen Universitätsprofessoren und des wissenschaftlichen Nachwuchses. Sein Vizepräsident Gunnar Berg, Professor für Experimentalphysik an der Universität Halle: Take 21 (Berg) Diese Lehrprofessur, das heißt, eine Position, deren Dienstaufgabe faktisch nur noch Lehre ist, die lehnen wir ab, weil wir glauben, dass an der Universität dann zwei Kategorien von Hochschullehrern geschaffen werden, wobei die Gefahr ganz groß ist, nach allen Erfahrungen bisher, dass diese Kategorie, die Lehrprofessur macht, heute vielleicht auch nur diese Stelle annimmt aus Not, weil keine andere Stelle zur Verfügung steht, in relativ kurzer Zeit, in absehbarer Zeit dann eben sehr unzufrieden sein wird. Denn sie sind natürlich an einer Universität, sie sind in einer Umgebung, wo geforscht wird, und da ist eigentlich nur menschlich, dass sie früher oder später sagen, warum soll ich nicht auch forschen dürfen. Autorin Die neue Kategorie des Hochschullehrers werde kaum das Ansehen der Lehre heben, weil der Lehrprofessor meistenteils nur weitergibt, was andere erforscht haben, so die Kritik vieler Bildungsexperten. Von ?Lehrsklaven, die nur aus der Konserve unterrichten?, ist deshalb in den Medien bereits die Rede. Mehr Ehre und mehr Geld für die Lehre oder gar einen Mentalitätswandel, wie ihn sich der Vorsitzende des Wissenschaftsrats erhofft, sind daher mit der Lehrprofessur wohl nicht zu erwarten. Lehre muss an Forschung, an eigenständige, schöpferische Arbeit gebunden bleiben, meint deshalb Ferdinand Hucho und verweist auf Wilhelm von Humboldt, der Anfang des 19. Jahrhunderts die Kaiser-Wilhelm-Universität gründete, die heutige Humboldt Universität in Berlin. ?Das wertvollste Prinzip, das wir in der Universitätspolitik mit seinem Namen verbinden?, sagt Hucho, ?ist der Zusammenhang zwischen Forschung und Lehre.? Take 22 (Hucho) Er hat sich stark gemacht für eine Universität als Bildungseinrichtung, und er hat gesagt, Bildung kann man nicht ersetzen durch gute Ausbildung, durch gute Lehre, würde man heute sagen, sondern Bildung kann man bestenfalls erzielen durch Forschung, die den Menschen anregt, kreativ und innovativ zu denken, und das ist genau das, was wir heute auch brauchen. Wir brauchen kreative, innovative junge Menschen, denen etwas Neues einfällt, etwas Neues, was man nicht von vorneherein planen kann und was man nicht durch eine formalisierte, in Anführungszeichen ?gute? Lehre voraussehen kann. Autorin Ein junger Mensch lernt seine Wissenschaft nicht kennen durch Serien von Vorlesungen oder Klausuren oder Auswendiglernen von Büchern, sagt der Biochemiker, sondern er lernt durch praktische Forschungsarbeit. Der Wissenschaftler schlägt deshalb vor, die Lehre an den Universitäten zu verbessern, indem man die Studiengänge entformalisiert und den Studierenden mehr Freiheiten lässt. Take 24 (Hucho) Wenn man dem Studenten erlaubt, forschend zu lernen, und das setzt natürlich voraus, dass man die Forschung fördert, dass man viele, viele kleine, hochkreative, hochinnovative Forschungsgruppen hat, in die man Studenten mit einbeziehen kann und in die man sie aufnehmen kann. Regie: Atmo: Stimmen und Schritte Autorin ?Forschend zu lernen? ? unter dieses Leitziel stellt auch die Ethnologin Bettina Beer ihre Lehre. Zwar könne man die Ergebnisse der Feldforschung ? der zentralen Methode der Völkerkunde zur Datengewinnung ? in Monographien nachlesen; ihr aber sei es wichtig, dass die Studenten selbst ihre Erfahrungen machen. Take 25 (Beer) Und dazu habe ich eben ein Projekt mit einer Gruppe von Heidelberger Studierenden durchgeführt auf den Philippinen. Ich bin also in mein eigenes Forschungsgebiet gegangen, und die Familie, mit der ich dort immer zusammenarbeite, hat für jeden Studenten auch eine Familie ausgesucht, und die haben dann da ungefähr sechs Wochen bei diesen Familien verbracht, und haben verschiedene Verfahren der Datenaufnahme ausprobiert selber zu eigenen kleinen Projekten. Autorin Durch die Einheit von Forschung und Lehre lernen die Studierenden einen wesentlichen Bestandteil guter Lehre kennen: die eigene Position noch einmal zu überprüfen. Ein Lernprozess, der auch den Forschern zugute kommt. Take 26 (Beer/Hucho) (a) Beer: Weil ich durch Nachfragen von Studierenden auf Probleme stoße, die mir vorher nicht so klar waren. Oder die Sachen noch mal aus einem andern Blickwinkel sehe, oder durch Fragen aufmerksam werde einfach auf interessante Aspekte, die mir durch meinen Tunnelblick dann auch schon gar nicht so bewusst sind. (b) Hucho: Also Forschung wird eindeutig durch Lehre bereichert, in Deutschland ganz besonders, denn bei uns wird die Forschung im wesentlichen getragen von Lernenden, von Doktoranden, die noch nicht fertig sind mit ihrer Ausbildung, ihrer naturwissenschaftlichen Ausbildung, und diese Doktoranden bereichern die Forschung natürlich permanent durch Fragen die mehr oder minder naiv sind, die alles in Frage stellen, die das Thema als Ganzes in Frage stellen, die Methoden in Frage stellen, das Grundwissen in Frage stellen, die immer wieder einen zwingen, darüber nachzudenken, was macht ihr hier überhaupt. Und diese Wechselwirkung zwischen den Lernenden und den so genannten Wissenden, die ist, glaube ich, essentieller Bestandteil und erfolgreicher Bestandteil der Forschung in unserm Land. Autorin Das Geheimnis guter Lehre ist, dass sie die Perspektive wechseln und die eigenen Grenzen überschreiten kann, meint Gyburg Radke, Dozentin für klassische Philologie an der Philipps-Universität Marburg. Take 27 (Radke) Die Begeisterung dafür, dass Wissen wirklich etwas ist, was Freude macht, wo man im gemeinschaftlichen Nachdenken eben die großen Möglichkeiten, die menschliche Vernunft hat, auch auslotet, das ist, glaube ich, etwas, was wirklich nur in der Lehre geschehen kann, wenn jemand auf einem großen fundierten Wissen, aus seiner eigenen Kenntnis eines großen Fachgebietes mit Blick auf andere Fachdisziplinen, also ohne Scheuklappen vor anderen Disziplinen, das seinen Studierenden vermittelt. Und dieses Hinausgehen ist genau das, was vermittelt werden soll, was die Studierenden begeistert, und was sie auch selbst dazu anregt, selbst eigenständige Erkenntnisse zu haben und nicht nur zu wiederholen und einfach abzubilden, was sie von ihrem Lehrer lernen. Autorin Auch die Studenten sind überzeugt: Gute Lehre und gute Forschung bedingen einander. Erst in der Einheit ist ihr Studium interessant. Take 28 (Studenten) (a) Dann, wenn jemand nur noch Forschung macht, kann man das insofern kritisch sehen, dass die Person die Inhalte dann vielleicht weniger stark hinterfragt, als wenn sie auch ständig diesen Prozess, den sie dann in der Forschung durchmacht, wenn sie den ständig, ja, letztendlich rückkoppeln muss oder versuchen muss, den auch zu vermitteln. Und auch den Sinn von dieser Forschung zu vermitteln. (b) Sinn und Zweck sollte eigentlich sein, dass man in der Lage ist, verschiedene Positionen miteinander zu vergleichen und dann für sich immer noch einen Konsens finden zu können. Und nicht einfach das zu übernehmen, was jemand anderes vorgibt und dann zu sagen, das ist hundertprozentig die Wahrheit, weil die einzige Wahrheit gibt?s einfach nicht, es gibt verschiedene Teilaspekte, die dann zu einer Wahrheit führen. (c) Wenn man da die Möglichkeit hätte, sich auch da einfach mal weiter umzuschauen und auch die Zeit dazu hat, sich vielleicht mal mit einem Thema zu beschäftigen, das nicht direkt für das eigene Studium verwertbar ist, denke ich, das wäre durchaus für die Stimmung beim Studium und bei den Studierenden positiver. Autorin ? und würde vielleicht manchen jungen Leuten die Lust am Studieren erhalten. Denn ? auch dies zeigt die jüngste OECD-Studie -: Wir haben zu viele Studienabbrecher. Deutschland müsste aber entschieden mehr Fachkräfte ausbilden, um den Bedarf der Wirtschaft zu decken. Doch es geht bei der Einheit von Forschung und Lehre auch um den wissenschaftlichen Nachwuchs. Wenn wir die Herausforderungen der globalisierten Welt bestehen wollen, brauchen wir junge Forscher, die gelernt haben, selbstständig zu denken und sinnvoll zu handeln. um sie auszubilden ist sicher mehr Geld nötig. Doch das sollte uns die Zukunft wert sein. Absage: ?Das eigene Wissen stets in Frage stellen? Wie die Lehre an deutschen Hochschulen verbessert werden sollte Eine Sendung von Hannegret Biesenbaum Es sprach die Autorin Ton: Frank Klein Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2007 1