COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Länderreport / 14.7.2010 / WH vom 12.5.10 (1) Wie geht's uns denn heute ? Gemeindeschwester Agnes Autor: Axel Flemming, Red: Claudia Perez Atmo Begrüßung Autor: Diese Agnes heißt Andrea. "AGNES", das ist eine dieser Abkürzungen: sie steht für Arztentlastende, Gemeinde-nahe, E-Healthgestützte, Systemische Intervention. Schwester Andrea Granat weiß das. Aber sie weiß auch, dass es zu DDR-Zeiten mal eine Fernsehserie gab: "Gemeindeschwester Agnes", und daran können sich auch noch einige ihrer meist älteren Patienten erinnern. "Klar kennick die, haick immer jerne jekuckt. Die war ja auch immer sehr also: jaja, dit kennick noch!" Autor: Irmgard Stephan aus Trebitz. Bei der 80-jährigen bestimmt Schwester Andrea heute die Blutwerte. Erst aber wie bei allen Patientinnen den Blutdruck: "150/95." "Na, dit jeht doch, oder?" "Dit lassick mir noch jefalln. Schieben wa ein bisschen der Aufregung zu, ja!" Autor: Schwester Andrea ist gelernte Krankenschwester, hat auch an der Charite in Berlin gearbeitet. Aber die Fahrzeit war lang von Bad Belzig bis in die Bundeshauptstadt, und Schichtdienst ist mit zwei Kindern auch nicht einfach zu organisieren. "Bis vor 4 Jahren habe ich stationär in Berlin gearbeitet, bis mein zweiter Sohn geboren wurde, knapp dreieinhalb Jahre bin ich jetzt hier. Erstmal nur als Arzthelferin und seit September mache ich jetzt diese Weiterbildung zur Gemeindeschwester." Autor: Angestellt ist Schwester Andrea bei Dr. Med. Marita Stuhlmann, praktische Ärztin in Bad Belzig und spezialisiert in Naturheilverfahren. Die Praxis betreibt sie seit 1993. Atmo Wartezimmer Autor: Mitten im kleinen Behandlungszimmer steht eine Pritsche, an der Wand hängt eine Tafel mit Zahlen und Buchstaben, um die Sehstärke zu messen, auf dem Schreibtisch ein Flachbildschirm und an der Wand über dem Waschbecken der Desinfektionsmittelspender. Draußen ist es voll, und das ist alltäglich, 1200 Patienten pro Quartal betreut sie etwa: "Wartezimmer voll ist typisch, wobei heute auf dem Lande es durch den Regen noch verstärkt wird. Weil ja gerade Leute, die haben alle einen Garten, glauben, es regnet heute, wir können draußen nichts machen, dann nehmen wir den Dokter in Anspruch". Autor: Landarzt ist kein Schimpfwort für sie, es ist eine reizvolle Tätigkeit, sagt Stuhlmann. Sie erfährt sehr viel Dankbarkeit. Allerdings bedeutet das mehr als einen 40-Stunden-Job, und da ist sie froh, dass ihr die Gemeindeschwester einen Teil der Routine-Arbeit abnehmen kann: "Die Blutdruckkontrollen, die fällig sind, die Zucker-Kontrollen, Blutabnahmen oder Verbandswechsel, das macht dann die Schwester Andrea, das ist unsere Schwester AGNES in Ausbildung." Autor: Wenn Andrea sich bei einem Patienten nicht sicher ist, beispielsweise bei Bauchschmerzen, ruft sie an, denn sie ist ja keine Ärztin. Die Praxisassistentinnen sollen die Ärzte in unterversorgten Gebieten entlasten, sich einen Eindruck verschaffen - alles wofür den Hausärzten keine Zeit bleibt. Ja, wir haben ein Problem und die Gemeindeschwester könnte die Lösung sein, sagt Anita Tack, die Gesundheitsministerin von Brandenburg, dann nämlich, wenn der Beruf des Landarztes entschlackt wird von Tätigkeiten, die keine ärztlichen Aufgaben sind: "Da hilft uns sehr das System Gemeindeschwester AGNES. Deshalb hat Brandenburg ja auch diesen Modellversuch mitgemacht. Ich sehe darin eine wunderbare Ergänzung dass die Schwester unterwegs ist, um Leistungen am Patienten zu bringen, die der Arzt gar nicht machen muss, sondern die wirklich zugeschnitten auf diese Gemeindeschwester zu leisten sind und da finde ich das ein wunderbares Ergänzungssystem und wir wollen ja auch einen Schritt weiter gehen, dass diese Struktur verknüpft wird mit den vielen Pflege-Assistenz-Frauen und - Männern, die unterwegs sind ohnehin im Land auch." Autor: Ob AGNES dauerhaft weiter über die märkischen Dörfer zu ihren Patienten fahren wird, beschäftigt inzwischen auch die Politik in Berlin. Anita Tack, Politikerin der LINKEN, führt darüber Gespräche mit Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). Die als zu gering kritisierte Vergütung für die Gemeindeschwestern soll überprüft werden. Beim Modellprojekt in der Lausitz wurden den Schwestern noch Autos, Laptops und eine bessere Leistungsvergütung zugesprochen. Aber nun wird gespart. "Geld drucken ist gar nicht die Ansage, sondern es ist ein Bundesprojekt, wurde ein Modellversuch gestartet, der war gut ausfinanziert, der Bundesausschuss hat gesagt, gut wir setzen das Modell in die Praxis um die Länder können sich bewerben, wir haben uns beworben, und leider hat der Bundesausschuss auf dem weg dahin die Finanzierung eingekürzt. Das ist dann nicht mehr besonders fair." Autor: Vor einem Jahr waren die Gemeindeschwestern offiziell in das Vergütungssystem aufgenommen worden. Auf Druck der Krankenkassen legte der Bewertungsausschuss Fallpauschalen fest, die deutlich geringer ausfielen: Statt zuvor 21,50 Euro plus Fahrtkosten bekommen die Gemeindeschwestern beim Erstbesuch eines Patienten nun 17 Euro, bei weiteren Besuchen 12,50. Welche Wege die Gemeindeschwestern zurücklegen müssen oder wie lange die Behandlung dauert, spielt keine Rolle. Obendrein muss der Arzt 1800 bis 2000 Euro für die Ausbildung der Schwester investieren. Marita Stuhlmann: "Sie ist bei mir angestellt und hat bestimmte Zeiten, in denen sie diese Besuche macht und ansonsten arbeitet sie bei mir in der Praxis. Sie kriegt die Spritkosten und ich zahle ihr den Arbeitstag. Ja, es ist sehr knirsch, Hausbesuche sind generell knirsch, auch für uns." Autor: Für Gemeindeschwester Andrea spielt die Bezahlung nicht die erste Rolle. Ihr war es wichtiger, bei der Familie zu sein: "Ich bin ja nu schon was anderes gewohnt aus der Klinik. Also von daher ist es sicherlich ein Einschnitt gewesen. Aber meine Familie ging mir vor und deswegen denke ich, Geld ist nicht alles, meine Kinder sind mir wichtiger" Autor: Und für Patientin Irmgard Stephan geht es vor allem darum, versorgt zu sein. Einmal im Quartal kommt die Ärztin persönlich, sonst müsste sie hinfahren. Und das ist gar nicht so einfach, wenn man nicht mehr gut zu Fuß ist und der Bus im Ort nicht jeden Tag nach Bad Belzig fährt. "Hier bei uns, sie ham ja gesehen die Straße und Dienstag und Donnerstag fährt nur ein Bus, und ich kann durch meine Hüftoperation so schlecht laufen, mir wird immer die Luft alle, man wird immer älter, und findick dit ja nu janz gut!"