COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Literatur 28.5.2013, 19.30 Uhr Sprache im digitalen Zeitalter Das LCB wird 50 - und blickt nach vorn Autor: Ulrich Rüdenauer Redaktion: Dorothea Westphal Anmoderation Eine Hommage an das LCB zum 50. Geburtstag und ein Ausblick auf das LCB im digitalen Zeitalter von Ulrich Rüdenauer. Mit den Stimmen von Marcel Beyer, Helmut Böttiger, Tom Bresemann, Ulrike Draesner, Thomas Geiger, Judith Hermann, Florian Höllerer und Ulrich Janetzki. Atmo S-Bahn Schienengeräusch; einfahrender Zug, Station Wannsee wird ausgerufen O-Ton 1 - Hermann [2.09] Und dann weiß ich sehr deutlich, wie ich am Bahnhof Wannsee aus dem Zug stieg, und vom Wannsee zum LCB sind's vielleicht nochmal vier Minuten zu Fuß, und mir wurden so die Knie weich, also daran kann ich mich wirklich deutlich erinnern. (...) Also, ich war sehr aufgeregt, und ich hatte doch deutlich das Gefühl, dass es eine große Ehre für mich war, dass ich dort eine Stipendiatin sein durfte. Sprecher Judith Hermann dürfte nicht die erste junge Autorin gewesen sein, der es so erging. O-Ton 2 - Hermann [Fortsetzung von O-Ton 1] Und ich fühlte mich in einem ganz schönen Maße klein oder jung, also ich fühlte, wie man das aus Büchern kennt, eine Ehrfurcht, die dich befällt angesichts einer Universität oder eines Ortes, und für mich war das eben diese Villa am Wannsee, die diese Ehrfurcht so in mir ausgelöst hat. Sprecher Die Villa am Wannsee ist ein Salon und zugleich ein Tempel der Literatur, ein magischer Ort,. Seit 1963 residiert das Literarische Colloquium Berlin am Sandwerder 5 - nicht nur das erste, sondern womöglich noch immer das einzige Literaturhaus in einem umfassenden Sinn. Peter von Matt hat das LCB einmal das "Nervenzentrum der gesamten deutschsprachigen Literatur" genannt. Hier waren schlicht alle, die in den letzten 50 Jahren in die Literaturgeschichtsbücher aufgenommen wurden und aufgenommen werden wollten Hier haben Schriftstellerkarrieren begonnen, auch die von Ulrike Draesner. O-Ton 3 - Draesner [16.07] Und dann bin ich da also reinmarschiert, und es ist ja einfach ein kleineres Haus, wenn man so möchte, und da fällt jemand auf, der so rumsteht und so guckt, und ich fand das sehr schön. Und der Blick auf den See unglaublich großartig natürlich. Sprecher Der Blick gleicht tatsächlich einer Postkartenidylle: Wie ein Schlösschen ist das LCB auf eine kleine Anhöhe am Ufer des Wannsees gesetzt, ein Turm ragt über die Baumspitzen hinaus, von der Terrasse hat man freien Zugang zum See. Die 1885 erbaute Gründerzeitvilla hat eine wechselvolle Geschichte. Sie gehörte zunächst einem Industriellen, dann einem Bankier, bis zum Jahr 1934 einem jüdischen Ingenieur. Während des Dritten Reichs diente sie der Marine als Versuchsstation, und nach dem Krieg betrieben die Alliierten darin ein Casino und ein Hotel. Eine "imitierte Ritterburg" hat Carl Zuckmayer das Backsteinhaus einmal genannt, und diesen Eindruck kann man heute noch nachvollziehen, wenn man durch das schwere schmiedeeiserne Tor tritt und auf das Gebäude zuschreitet. O-Ton 4 - Draesner [Fortsetzung von O-Ton 3] Man entdeckte mich also und fragte mich, was ich wolle, und ich brachte meinen Spruch vor, und dann blickte Ulli Janetzki mich an, so abschätzend, und sagte, das würde ja aber eben doch nur für Autoren bis 35 gehen, und dann war ich schwer getroffen und sagte: Ich bin aber auch erst 33, und dann war ihm das extrem peinlich, und dann bin ich wieder gegangen und hab mich beworben und hatte Glück und bekam mein Stipendium und bin dann im Mai 95 für sechs Monate nach Berlin gekommen und hab mich sehr sehr wohl gefühlt dort. Sprecher Das LCB war in den sechziger Jahren synonym mit dem Literaturbetrieb. Es gab in der ganzen Republik keinen zweiten Veranstaltungsort, an dem sich das literarische Leben so wie hier konzentrierte. Schnell entwickelte das LCB eine Aura. Man musste hier zu Gast sein, wenn man in der Literaturwelt jemand werden wollte. Vom Ausland her gesehen, schrieb Paul Nizon einmal, erscheine das Literarische Colloquium wie eine "leuchtende Insel". Marcel Beyer besuchte erstmals als Student diese Insel - während einer Studienreise von Siegen nach Berlin. Wenig später kehrte er als Autor zurück. O-Ton 5 - Beyer [2.23] (...) ich war dann 1992, also schon nach der Wiedervereinigung, für ein halbes Jahr als Stipendiat am Literarischen Colloquium, hab da ganz intensiv an meinem Roman "Flughunde" gearbeitet und habe dann eben so Erkundungsgänge gemacht zwischen Osten und Westen, bin Richtung Potsdam gefahren oder war in Berlin Mitte, was wirklich noch eine leere Mitte war, stand da und schaute auf das Gelände, wo die Reichskanzlei gestanden hatte. Das waren so wichtige Erlebnisse, mit der Örtlichkeit verbunden. Also das LCB lag am Rand dieser Stadt, und von diesem Rand aus ist man ins Innere der Stadt gefahren, und es war immer auch sehr gut immer, abends dann wieder hinauszufahren oder am späteren Abend und dann anzufangen, Notizen zu machen, über das, was ich denn in der Stadt gesehen hab. Sprecher Bildungsträchtig und patriarchalisch sei es Ende der 50er Jahre zugegangen im deutschen Literaturbetrieb, schrieb Walter Höllerer, der Gründer des LCB. Das Literarische Colloquium sollte einen Gegenpol bilden: Hier sollte Literarisches entstehen und lustvoll diskutiert werden können. Höllerer wollte von Anfang an Autoren, Forscher und Publizisten an einem Ort zusammen- und ins Gespräch bringen. Wissenschaft und Kunst sollten gefördert werden, so stand es im Grundsatzpapier des Trägervereins. Nicht zuletzt war es Höllerer darum zu tun, die starren Grenzen zwischen verschiedenen Disziplinen aufzubrechen und Kreativität freizusetzen. Etwas, das heute bei jungen Literaturveranstaltern und Dichtern wie Tom Bresemann durchaus Anerkennung findet: O-Ton 6 - Bresemann [22.15] Das ist ein Ort für die Autoren, ganz klar. Es ist auch so ein bisschen was Verwunschenes, wo man ein bisschen abtauchen kann (...) Ich hab mit vielen Stipendiaten geredet, die eine sehr zauberhafte Zeit zugebracht haben da auf jeden Fall. Sprecher Ein Hort des Sprechens über Literatur - das hatte Walter Höllerer im Sinn. Höllerer erhielt 1959 einen Ruf an die TU in Berlin. Er war Lyriker und Literaturwissenschaftler und zudem ein begnadeter Kommunikator: Sein Enthusiasmus muss etwas Ansteckendes gehabt haben. Er brachte Leute aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammen. Hans-Werner Richter sprach ihm so etwas wie "Behörden-Sex-Appeal" zu - er habe bei Ämtern oft "eine Art Euphorie" ausgelöst. Ulrich Janetzki, der das LCB seit 1986 leitet und dem Haus noch bis Ende des Jahres vorstehen wird, erinnert an diese Anfangszeiten: O-Ton 7 - Janetzki [0.07] Höllerer hat dann einfach nach dem Bau der Mauer, dem Ruf folgend, hier irgendetwas zu organisieren, irgendetwas vorzuschlagen, auf die Beine zu stellen, und er war ja nun wirklich jemand, der so ein Zampano war, er war ja ein Zirkusdirektor mit Freunden wie den damals noch unbekanntem Grass und Dürrenmatt und Walser und wie sie alle heißen. Und Höllerer ist dann mehr oder weniger dazu gekommen, nach dem Bau der Mauer 1963, im Mai, diesen Verein zu gründen. Sprecher Walter Höllerer hatte das unbestreitbare Talent, Geldquellen aufzutun und den Geldfluss in Richtung seiner literarischen Aktivitäten umzulenken. "Man erwartet von Berlin, daß hier die Literatur von morgen die Fühler ausstreckt", schrieb er im Oktober 1962 an Shepard Stone, den Chef der Ford-Foundation. Der Brief zeigte Wirkung: O-Ton 8 - Janetzki [Fortsetzung von O-Ton 7] Es gab zehn Millionen Dollar von der Ford Foundation, Shepard Stone gab das Geld, und man gründete zwei Dinge, "Artists in Residence", das heutige Künstlerprogramm des DAAD, und eben das Literarische Colloquium Berlin, und das konnte eben kein anderer als Höllerer letztlich tun, dem das dann zufiel. Sprecher Es gibt noch andere Vorbedingungen für das LCB, von denen erzählt werden muss: Da war zunächst die bereits 1953 von Höllerer und Hans Bender gegründete Zeitschrift "Akzente", in der zeitgenössische literarische Strömungen aufgegriffen wurden und die zugleich einen Autorenpool bildete, der auch für das LCB von Bedeutung sein sollte. Seit 1959 veranstaltete Höllerer zudem in Berlin Lesereihen, zunächst im "Institut für Sprache im technischen Zeitalter", dann in der Kongresshalle im Tiergarten. Ingeborg Bachmann und Günter Eich gehörten zu den ersten Gästen, und internationale Stars wie John Dos Passos, Nathalie Sarraute oder Heimito von Doderer lasen vor tausend Zuhörern. Und natürlich gab es die Gruppe 47, die 1962 und dann noch einmal 1965 zu Tagungen in der Villa am Wannsee zu Gast war. 1993 erzählte Walter Höllerer von der Gründungsphase des LCB: O-Ton 9 - Walter Höllerer (Archiv, CD, 18.55 ) Da war der Vorlauf schon so, dass ich mich eingelassen hatte auf eine Möglichkeit, außerhalb der Universität eine Institution zu machen, die nicht mehr die Notwendigkeiten des Dissertationsschreibens usw. hatte - der Akademisierung im Literaturunterricht, da soll eine Dissertation draus werden, das muss natürlich sein an einer Universität -, sondern wo hier dann gearbeitet werden konnte, Autoren mit Übersetzern und Autoren mit anderen Autoren, also in einem Workshop, und auf diese Art und Weise hatte man hier eine wunderbare Möglichkeit, die Literatur zu machen in einer Vier-Sektoren- - erst einmal -Stadt, aber dann in einer zweigeteilten Stadt, wo die Blöcke West und Ost tatsächlich ganz und gar in einem absurden Bauwerk, nämlich dieser Berliner Mauer, zusammenkommen. Sprecher Das LCB sollte mehr sein als ein Literaturhaus. Es sollte ein Miteinander geben von "Bildermachern und Büchermachern", woran einer der Programmmacher des LCB, Thomas Geiger, erinnert: O-Ton 10 - Geiger [2.19] Höllerers Grundidee war, einen Ort für Literatur zu schaffen, und zwar in einem weithin ausgreifenden Sinne - als Ort der Begegnung mit den Lesern, mit anderen Autoren, aber auch mit anderen Künsten. Sprecher Das LCB war eine der Geburtsstätten des Neuen Deutschen Films - erinnert sei an die Dokumentarfilme von Wolfgang Ramsbott oder an George Moorses Spielfilm "Lenz" aus dem Jahr 1972, die hier entstanden sind. Autoren konnten ihre Ideen umsetzen, konnten experimentieren in und mit verschiedenen Medien. Dass sich im Lauf der Jahrzehnte die Schwerpunkte verschoben haben und die multimediale Ausrichtung in den Hintergrund getreten ist, hat auch mit veränderten technischen Bedingungen zu tun: Heutzutage ist es kaum mehr notwendig, eine Infrastruktur etwa für Audio-Projekte zur Verfügung zu stellen - jeder kann sich ein entsprechendes Programm auf seinen Laptop herunterladen. Helmut Böttiger, der vor einigen Jahren eine Ausstellung über Walter Höllerer kuratierte und vor kurzem mit seinem Buch über die "Gruppe 47" Aufsehen erregte, hebt einen Punkt heraus, der in den letzten 20 Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat: O-Ton 11 - Böttiger [2.46] Vor allem die Form der internationalen Beziehungen, die starke Übersetzungsförderung, da ist das LCB, glaube ich, die zentrale Stätte überhaupt in Deutschland. Es hat sich also sehr spezialisiert, und in dem aktuellen Kulturbetrieb seine eigenen Markenzeichen tatsächlich definiert, von daher: Die Ursprünge waren etwas ganz anderes, das ist deutlich. O-Ton 12 - Geiger [6.20] Wir mussten uns 89 bis zu einem gewissen Grad neu erfinden, wie sich diese ganze Stadt in ihren beiden Hälften jeweils neu erfinden musste. Sprecher Von Anfang an ist das LCB ein Ort des Austausches gewesen. Und nach dem Zusammenbruch des Ostblocks ist es das umso mehr geworden: Was Höllerer initiiert hatte, nämlich osteuropäische und DDR-Autoren ans LCB zu holen, konnte nun ausgeweitet werden: Mittel- und Osteuropa rückten verstärkt ins Blickfeld. Ulrich Janetzki hatte von Anfang an gerade auf die Internationalisierung des LCB ein starkes Augenmerk. Er ist frühzeitig nach Bonn gefahren, hat Kontakte zu den wichtigen Ämtern hergestellt und dringend benötigte Mittel für diesen Kulturaustausch beschafft: O-Ton 13 - Janetzki [2.11] Wir sind kein Literaturhaus. Den Literaturhäusern ist eigen, dass sie das Abendveranstaltungsprogramm machen. Wir haben Gästezimmer, mit 12 Zimmern. Wir laden unsere Gäste ein, wir suchen sie aus. Wir sind international tätig. Es gibt keine Reise eines Außenministers, die nicht zuvor abfragt, welche kulturellen Beziehungen im Literarischen und Übersetzungsbereich dort bestehen und wo noch bitte was zu bauen, zu machen oder neu zu erdenken ist. Sprecher Wenn überhaupt, dann könnte man das LCB als "Literaturhaus Deutschland" bezeichnen: Das LCB ist eine Art Außenamt der deutschsprachigen Literatur - eine Institution, die es als ihre vornehme Aufgabe begreift, internationale Verbindungen zu knüpfen, politische Grenzziehungen zu unterwandern, fremdsprachige Autoren sowie Übersetzer einzuladen und mit deutschsprachigen Schriftstellern in die Welt hinauszugehen. O-Ton 14 - Beyer [7.50] Und so hat man auf der einen Seite angefangen, Reisen zu organisieren, mit Autoren und Journalisten an Orte zu gehen in der Welt, an die man sonst als Tourist nicht kommt. Das ist diese Reihe, die "Verlagsmetropolen" heißt, und man nimmt Autoren mit, von denen man sich wünscht, dass sie übersetzt werden, sucht Verlage und macht Veranstaltungen usw. Sprecher Gerade die Förderung von Übersetzungen hat sich das LCB auf die Fahnen geschrieben - neben den Autorenstipendien gibt es auch solche für Übersetzer aus Südosteuropa und der Türkei, hinzu kommen Übersetzerwerkstätten. Das Literarische Colloquium ist zudem Gründungsort und Sitz des seit 1997 bestehenden Deutschen Übersetzerfonds. Marcel Beyer: O-Ton 15 - Beyer [8.34] Das LCB ist so etwas wie ein Port, ein Hafen, in dem Übersetzer anlegen. Man sammelt Sprachpraxis, man kann sich umschauen. Und es ist eben wirklich eine hervorragende Gelegenheit, sich zu treffen und zusammenzusitzen und tatsächlich am Text zu arbeiten. Das sind so zwei neue Bewegungen, wo einfach das LCB begriffen hat, wie die veränderten Bedingungen sind und wie man darauf reagiert. Sprecher Man kann daran sehr gut erkennen, welche Funktion das LCB heute für sich in Anspruch nimmt: Wo der Markt kaum Gelegenheit und Zeit zur konzentrierten Arbeit lässt, schlägt die Stunde von unabhängigen, an der Sache interessierten, leidenschaftlichen Literaturmachern: O-Ton 16 - Janetzki [15.15] Wir müssen erst einmal diesem Beschleunigungsprozess entgegenwirken und müssen Veranstaltungen propagieren, die nicht heißen "Der neue Walser" oder "Die neue..." - nein, nein. Die müssen heißen: "Das Werk" oder ähnliches. Das wird unsere Aufgabe sein, da vielleicht neue Formen zu finden, die wirklich nur deutlich machen, wir wollen mal beharren, wir wollen mal nachdenken. Sprecher Dennoch wird auch das LCB die Beschleunigungsprozesse als Gegebenheit zumindest reflektieren - und es ist notwendig, nach außen zu wirken. O-Ton 17 - Böttiger [4.22] Das ist, glaube ich, das, was sich stark geändert hat, dass das LCB sich heute eben auch in der Öffentlichkeit beweisen muss und mit Veranstaltungen auch seine Existenz legitimieren muss. Und das war in den Anfangsjahren überhaupt keine Notwendigkeit, Höllerer musste sich nicht legitimieren. Das ist jetzt schon ganz anders, man steht natürlich im Kulturbereich auch in einer harten Konkurrenz, es geht tatsächlich auch um ökonomische Fragen, Kultur ist ein Wirtschaftsfaktor, und die ganzen Fragen des Kulturmarketings, Kulturmanagements sind für so eine Institution unausweichlich und stehen im Vordergrund. Sprecher Zum Kulturmanagement gehört auch die Zusammenarbeit mit Partnern. Auf sich alleine gestellt vermag heutzutage keine Kulturinstitution zu überleben. Es liegt inhaltlich nahe, mit anderen Einrichtungen wie dem Goethe-Institut, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst oder diversen Kulturstiftungen der Industrie zu kooperieren. Aber in Zeiten knapper öffentlicher Kassen ist das auch schlicht eine Notwendigkeit. Thomas Geiger: O-Ton 18 - Geiger [17.23] Ich hab mal gesagt, wir sind die Waldbauern des Betriebs und denken in Generationen oder in zehn, zwanzig Jahren. Und ich glaube, dass bei wichtigen Partnern und langjährigen Partnern wie das eben hier der Deutschlandfunk zum Beispiel ist oder die Bosch Stiftung oder auch die Allianz Stiftung, Goethe-Institut, oder auch die Außenämter - die kennen uns und wissen, was sie an uns haben. O-Ton 19 - Janetzki [10.57] Und dann hat man dies verfeinert. Und dann gab es nicht nur Lesungen, das macht man eher in der Stadt, und wir sind dazu übergegangen, mehr Gespräche über Literatur oder bei der Gelegenheit der gelesenen Texte auch über anderes zu reden, es ein bisschen breiter zu stellen und auch den Einfluss, den die Universität, denn das war immer wichtig, dass dieser Verein und das Denken, wo geht man hin und was tut man, immer auch mit der Literaturwissenschaft im Einklang, was immer das auch heißt, steht. Sprecher Das Nachdenken über die Literatur der Zukunft bleibt im LCB nicht abstrakt. Es konkretisiert sich in der Förderung von Autorinnen und Autoren. So leben und arbeiten jedes Jahr Stipendiaten für sechs Monate im Haus. Das LCB organisiert zudem literarische Wettbewerbe wie den Alfred-Döblin-Preis sowie den Lyrikdebutpreis und ist Partner beim Leipziger Buchpreis. Am wirkungsvollsten ist vielleicht die Prosawerkstatt, die in ihrer Urform 1965 das erste Mal veranstaltet wurde: Damals nahmen daran unter anderen Peter Bichsel, Nicolas Born und Hubert Fichte teil, unterrichtet von Günter Grass und Peter Weiss. Seit 1997 wird mit der Werkstatt "Prosaschreiben" an die Anfänge angeknüpft. Judith Hermann war eine der ersten Teilnehmerinnen. O-Ton 20 - Hermann [5.16] Und dann gab es in diesem großen Lesesaal einen langen Tisch, auf dem standen zehn Kaffeetassen und zehn Gläser und vorne am Kopfende des Tisches stand ein Aschenbecher, und da saßen Katja Lange- Müller und Burkhard Spinnen. Und Katja Lange-Müller packte zu Beginn des Samstagmorgens, das fand eben immer am Wochenende statt, drei Schachteln Zigaretten auf den Tisch und neben den Aschenbecher. Ich auch. Und dann, am Ende des Wochenendes, waren die Zigaretten zu Ende geraucht. Man durfte rauchen. Das darf man heute nicht mehr. Man durfte da sitzen und sprechen, über diese Texte sprechen und sich die vorlesen und zuhören und so und dabei durfte man Zigaretten rauchen, das ist eigentlich für heutige Verhältnisse eine ziemlich unglaubliche Vorstellung. Aber so war das. Sprecher Viele weitere Autoren, die in den letzten Jahren von sich reden machten, haben im LCB ihren Texten einen letzten Schliff geben können. Ulrike Draesner, einst Stipendiatin am Haus, ist als Dozentin bei der Prosawerkstatt dabei: O-Ton 21 - Draesner [1.22] Und weil jede Person, und das heißt auch jedes Projekt, einen ganzen Tag für sich bekommt, in dem dann die Gruppe, jeder bereitet sich vor, die liest einen Textausschnitt, zwei Erzählungen oder bei einem Roman, 50 bis 100 Seiten, da einigt man sich vorher und hat da mindestens vier Wochen davor Zeit dazu... Und dann wird wirklich in intensivstem Gespräch erst mal den Vormittag über in der internen Runde - Seminarteilnehmer, Leitung des Seminars, das ist ja jetzt immer geteilt, jemand wie ich und auf der anderen Seite auch jemand vom LCB, also auch eine kleine und intime Runde - wird dann darüber diskutiert, und nach dem Mittagessen nochmal. O-Ton 22 - Hermann [12.24] Das Sprechen in der Autorenwerkstatt war natürlich zum Teil sehr sehr persönlich und ging über so gewisse Grenzen hinweg, und das macht wahrscheinlich auch einen guten Teil dieses Gefühls aus, dass man da an einen Ort kommt, an dem man viel preisgegeben hat auf eine bestimmte Weise auch. O-Ton 23 - Draesner [3.13] Und damit verbunden sind ja verschiedene Auftritte für die Stipendiaten, also auch auf der Messe in Leipzig, in der Zeitschrift SpritZ, und ein Abend auch am LCB selbst, also auch die Erfahrung aufzutreten, den Text vorzustellen, sich zu präsentieren in kleinen Einheiten und einfach auch den Kontakt mit dem Literaturbetrieb aufzunehmen, und das finde ich ein sehr schönes Paket sozusagen, weil es die verschiedenen Aspekte des Autorendaseins durchaus miteinander in Relation setzt, aber auch wie ich finde mit dem richtigen Schwerpunkt, der wirklich auf der ganz ganz intensiven und manchmal Wort um Wort kämpfenden und vorantastenden Arbeit am Text liegt. Sprecher All diese Initiativen, Workshops, Auslandsreisen, Übersetzertreffen, die Unterhaltung des Hauses, das jährliche LCB-Sommerfest sowie die Betreuung der vom LCB redaktionell verantworteten Zeitschrift "Sprache im technischen Zeitalter" kosten Geld. Die Finanzierung ist in den letzten Jahren nicht einfacher geworden. O-Ton 24 - Janetzki [16.28] Das ist wirklich Unterkante Oberlippe. Der Senat zahlt keine 40 Prozent. Will sagen: 60 Prozent muss man besorgen. O-Ton 25 - Geiger [12.07] Als ich 1989 angefangen habe im Literarischen Colloquium war die Situation etwa die: Die Stadt Berlin gab uns die Summe X, und wir machten daraus ein Programm. Heute ist es so: Die Stadt Berlin gibt uns die Summe Y, und wir müssen die Summe Z irgendwo erreichen, damit wir X haben und unser Programm machen können. Sprecher Die finanzielle Ausstattung ist aber nur die halbe Miete. O-Ton 26 - Geiger [14.46] Das Zukunftssicherndste ist die Arbeit, die wir tun. Das sind die Autoren, das sind die Übersetzer, die Verleger, die Kritiker, die sich bei uns wohl fühlen, und das ergibt eine bestimmte Stimmung gegen das dann auch ein Haushaltsausschuss oder die Politik nicht ernsthaft was machen kann. Aber es geht kein Weg daran vorbei: Wir müssen gut sein, und wir müssen uns erklären können, was wir tun. Sprecher Zu diesem Tun gehört auch die Auseinandersetzung mit neuen Entwicklungen auf dem Buchmarkt und in der digitalen Welt. O-Ton 27 - Geiger [10.27] Es gibt Internet-Angebote wie Lesungen.net, wo man etliche auch historische Lesungen mittlerweile von uns im Netz nachhören kann. Es gibt literaturport.de, das ist zum einen eine Serviceeinrichtung für Autoren, weil man da zum Beispiel Ausschreibungen nachlesen kann, weil man da Stipendien finden kann, aber es ist auch ein Autorenlexikon, das von den Autoren selber gepflegt wird, und damit kann man sicher sein, dass, was da drin steht, auch tatsächlich vom Autor abgenickt ist und also auch wahr. Sprecher Literaturport.de, das Autorenporträts von A wie Augustin bis Z wie Zschokke umfasst, wurde 2008 mit dem Grimme-Preis gewürdigt. O-Ton 28 - Böttiger [10.55] Dass das Digitale eine Revolution darstellt, ist jedem klar. Nur in welcher Art und Weise sich diese Revolution auswirken wird, darüber gibt es im Moment sehr viele verschiedene Meinungen und Zukunftsperspektiven. Es gibt sehr pessimistische Stimmen, es wird vom Untergang des gewohnten literarischen Lebens geredet. Das sind jedenfalls Fragen, die tatsächlich auf der Haut brennen, und die gerade ein literarischer Ort wie das LCB, das das technische Zeitalter geradezu im Wappen führt, das ist natürlich etwas, was sich gerade dem LCB stellt: Wie geht man mit den digitalen Herausforderungen um, mit den Veränderungen der Produktionsmittel der Literatur, das ist schon etwas, was gerade an diesem Ort an erster Stelle verhandelt werden müsste. O-Ton 29 - Beyer [11.33] Ich glaube, dass das LCB durchaus eine Perspektive in die Zukunft wirft, was das arbeiten - sagen wir - in der digitalen Welt angeht. Nur ist das natürlich ein Arbeiten, das viel weniger auftrumpfend ist, oder es ist einfach nicht besonders spektakulär insofern als dass man sich ganz selbstverständlich in digitalen Welten bewegt. Wenn du jetzt ein Portal startest oder eine Seite einrichtest im Netz, das wäre kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Es geht ja einfach darum, die richtigen Verknüpfungen oder die fruchtbringenden Verknüpfungen herzustellen. O-Ton 30 - Draesner [22.34] Und da kann man ja auch mal überlegen, ob man in dem Bereich, was man da vielleicht weitermacht und eine große Werkstatt für Youtube-Autoren-Auftritte da einrichtet und also auch was anbietet. Würde ich zum Beispiel vorschlagen. Sprecher Höllerers Idee war es von Anfang an, Literatur unter dem Aspekt der Technizität und Medialität zu betrachten - also die medialen und materiellen Bedingungen der Entstehung von Literatur im Auge zu behalten, literarische Schreibweisen mit anderen künstlerischen Formen zu verknüpfen. Wie sich Sprache im digitalen Zeitalter verändert - für Walter Höllerer wäre das wohl ein Forschungsgebiet, auf dem er sofort seinen Claim abgesteckt hätte: O-Ton 31 - Böttiger[12.25] Also er würde mit Begeisterung an diese Herausforderung herangehen, und das ist ja das Erstaunliche, wenn man in den 60er Jahren die Sachen anschaut, da war Höllerer ein Avantgardist. Für ihn war die Zukunft positiv besetzt, für ihn war der technische Fortschritt positiv besetzt. Und egal, was man sonst noch dazu sagen mag: In diesem Aspekt könnte man wirklich von ihm lernen. Und da gibt es spannende Fragen, und ich bin auch gespannt, wie das beim LCB weitergeht. O-Ton 32 - Janetzki [23.07] Das kann ja gar nicht schief gehen, es sei denn, man betoniert dieses Haus zu, und das tut man ja nicht, es gibt kein - außer der Villa Massimo - kein schöneres Haus für Literatur in Europa als das Literarische Colloquium Berlin. Ich kann das so sagen, ich hab's ja nicht gebaut. Sprecher Dass das Haus zubetoniert werden könnte, das erscheint ziemlich ausgeschlossen. Dass es vielleicht zu sehr auf seinen Nimbus vertraut und neuere literarische Strömungen übersieht, wird zumindest von manchen jüngeren Schriftstellern befürchtet. Tom Bresemann: O-Ton 33 - Bresemann [23.25] Das LCB hat sich natürlich entwickelt in eine Richtung des Hochbetriebs, ganz klar. Das ist erst einmal ein anderer Punkt als was Höllerer angefangen hat, obwohl ich mir vorstellen kann, dass das durchaus im Hinterkopf dieser ganzen Gründung eine Rolle gespielt hat, dass es um nicht viel weniger ging als sozusagen DAS Haus der Literatur zu bauen. Wenn es dann erst einmal so monumental dasteht wie es jetzt steht, ändert sich natürlich die Wahrnehmung, ändert sich wahrscheinlich auch die Selbstwahrnehmung intern, ändern sich auch Wahrnehmungen anderer Leute im Betrieb. Und da muss man dann halt schauen, inwieweit so eine Mutterschiffinstitution noch in der Lage ist, neue Impulse zu setzen. Sprecher Tradition und Fortschritt - bei einem Ort, der seit einem halben Jahrhundert literarische Darstellungsformen aufgreift, prägt und reflektiert, muss beides in eine angemessene Balance gebracht werden. Der digitale Wandel des Buchmarkts wird dabei vermutlich eher indirekt Einfluss auf das LCB haben - indem die Veränderungen der Verlagswelt und des Buchhandels eben auch neue Strukturen schaffen, mit denen man sich arrangieren muss. Für die Macher und den zukünftigen Leiter des LCB geht es um Beharrungsvermögen. Um das geschickte Verzahnen von verschiedenen Interessen. Um noch größere Vernetzung auch mit ausländischen Institutionen - und dabei kann die Digitalisierung des Buchmarkts als Instrument der Verknüpfung durchaus von Nutzen sein. Nicht zuletzt geht es aber um die Fähigkeit, die finanziellen Mittel für eine kontinuierliche Arbeit zu generieren. Das wird eine der wichtigen Aufgaben des vor wenigen Tagen gewählten neuen Leiters des LCB sein: Mit dem 1968 geborenen Florian Höllerer, bisheriger Leiter des Literaturhauses Stuttgart und Sohn Walter Höllerers, hat das Wahlgremium nicht nur einen angesehenen Veranstaltungsmacher gekürt, sondern sich auch für eine dynastische Lösung entschieden. Florian Höllerer, der im Januar 2014 den Staffelstab von Ulrich Janetzki übernehmen wird, legt Wert auf Kontinuität: O-Ton 34 - Florian Höllerer [kommt per Mail, muss noch sauber geschnitten werden] Ich denke, das Haus steht gut da, vor allem dank der langjährigen Leitung von Ulrich Janetzki, und dass es sowohl in der Stadt, in der Literatur überhaupt verankert ist, aber gleichzeitig auch in die Welt blickt und da genau an der Schnittstelle ist. Und das Bild "Literaturport", das ist ja eine der Portale des Hauses, ist eigentlich ein schönes Bild für diese Doppelfunktion des Hauses: einerseits Anlaufstelle zu sein, verankert zu sein. Auf der anderen Seite, in die Welt zu schauen und die Literatur, die Autoren, die Übersetzer in Kontakt zu bekommen. Und da spielt dem Haus natürlich zu, dass es - vielleicht auch mehr als andere Literaturhäuser - eben nicht nur eine extrovertierte Seite hat, sondern auch eine sehr introvertierte Seite. Und dass das natürlich auch die Art und Weise beeinflusst, wie im Colloquium Gespräche geführt werden. Sprecher Um die Zukunft des Hauses muss einem kaum bange sein - Florian Höllerer hat in seiner bisherigen Arbeit deutlich gemacht, dass es ihm um die Faszinationskraft einzelner Texte und um die Begegnung mit den Autoren geht. Dafür steht auch das Literarische Colloquium Berlin, das ist seine historische Dimension. O-Ton 36 - Böttiger [5.51] Wenn man das geschickt anstellt, und das ist die Chance für einen Ort wie das Literarische Colloquium, dann kann man natürlich damit wuchern, mit diesem Pfund wuchern, dass hier mittlerweile tatsächlich schon ein literaturgeschichtlicher Ort existiert. Und das LCB hat auch durch die Lage am Wannsee eine gewisse Aura. 1