Deutschlandradio Kultur Länderreport COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. "100 Tage grün-rot in Baden-Württemberg - wie reagieren der politische Apparat und die Wirtschaft auf die neuen Machthaber?" Der politische Apparat Länge: 9'27 Autor: Michael Brandt Redaktion: Heidrun Wimmersberg ___________________________________________________________________________________ Landtagsatmo Auf der letzten Sitzung vor der Sommerpause im Landtag von Baden war es fast schon ein gewohntes Bild. Auf der Regierungsbank nahmen Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein Kabinett Platz, hinter den Ministern saß die Riege der Amtsleiter. Der Spitzenbeamtinnen und -beamten also, die in den Ministerien dafür sorgen, dass das, was die politische Spitze will, auch in politisches Handeln umgesetzt wird. Der wichtigste Mann ist hier Klaus Peter Murawski, seit diesem Mai Chef des baden-württembergischen Staatsministeriums und damit oberster - politischer - Beamter im Land. Bevor der Grüne Murawski in die Villa Reitzenstein, den Amtssitz des Ministerpräsidenten, einzog, war er fast 20 Jahre lang Bürgermeister in Stuttgart und Nürnberg. Murawski ist also ein Verwaltungsprofi - und berichtet immer noch beeindruckt von seinem Start in der Landesregierung: Ich persönlich muss sagen, dass das erstaunlich gut angelaufen ist. Was mir besonders wichtig ist, die Mitarbeiter im Staatsministerium haben uns ausgesprochen freundlich empfangen vom ersten Tag an. Wir haben am 14. Mai einen Empfang für die Mitarbeiter gegeben, wie wir die Treppe runter sind, sind wir mit anhaltendem Beifall empfangen worden. Das ist bemerkenswert, denn in der Villa Reitzenstein war 60 Jahre lang die vorherrschende Farbe schwarz. Und es hätte viel dafür gesprochen, dass ein in der Wolle gefärbter schwarzer Verwaltungsapparat einer grünen Amtsspitze zumindest misstrauisch gegenübertritt. Was aber definitiv nicht der Fall war, wie auch Hans Reibold, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Hauptpersonalratsvorsitzenden des Landes, bestätigt: Nach unseren Informationen kommen die Beamten mit der neuen Landesregierung bisher sehr gut aus. Aus dem Staatsministerium ist sogar zu hören, dass man dort nach dem Abschied von Ministerpräsident Stefan Mappus regelrecht aufgeatmet hat. Mappus traf seine Entscheidungen dem Vernehmen nach im engsten Kreise, und der Mitarbeiterstab musste dann springen und umsetzen. Grün-Rot hingegen scheint das eigene Motto der "Politik des Gehörtwerdens" auch im Regierungsapparat umzusetzen, so dass die hochqualifizierten Landesbeamten nun plötzlich wieder den Eindruck haben, ernst und wichtig genommen zu werden. Das bestätigt auch Volker Stich, der Chef des einflussreichen baden-württembergischen Beamtenbundes: Die letzte Regierung hat sich ja dadurch ausgezeichnet, dass für den öffentlichen Dienst weitere Belastungen angekündigt wurden. Vor dem Hintergrund ist der hohe Anteil von Wählern für Grün und Rot innerhalb der Beamtenschaft zu sehen. Und es ist auch nach der Wahl eine gewisse Beruhigung hier eingetreten. Vorneweg gibt es Ministerium, da sagt man, der neue Stil ist voll angekommen. Im Staatsministerium begann es damit, dass Kretschmann beim Einzug jeden Mitarbeiter persönlich an seinem Arbeitsplatz besuche und begrüßte. Sogar den Pförtner, der offenbar fast in Ohnmacht fiel, denn das hatte so noch keiner von Kretschmanns Vorgängern gemacht. Ein ähnlicher Kulturschock scheint es gewesen zu sein, als Amtschef Murawski einen Mitarbeiter lobte: Das war wohl eine Kultur, die hier früher nicht vorstellbar war. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Tatsache, dass ich einen Abteilungsleiter vor anderen Abteilungsleitern für seine hervorragende Arbeit gelobt, als sehr außergewöhnlich empfunden. Und zwar nicht, weil ich das gesagt habe und weil es dieser Abteilungsleiter war, sondern weil hier überhaupt gelobt wurde.. Ähnlich erfreute Töne sind aus dem Justizministerium zu hören, das seit dem Regierungswechsel von SPD-Mann Rainer Stickelberger geführt wird. Zwar lassen die Mitarbeiter hier - was den Umgangston angeht - nichts auf den Amtsvorgänger Ulrich Goll, FDP, kommen. Es sind vielmehr die politischen Inhalte, die bei vielen Beamten dafür sorgen, dass der SPD-Mann besser ankommt, als der Liberale. Ex-Minister Goll war ein Verfechter der Privatisierung im Justizvollzug und hat auch die Bewährungshilfe an einen privaten Träger übergeben - gegen den Willen der Betroffenen. Personalratsvorsitzender Georg Konrath: Die Hauptpunkte, die wir kritisiert haben bei der Vorgängerregierung, sind vor allem die Bemühungen bei der Justiz, alles zu privatisieren, was zu privatisieren ist. Da sagen wir schon immer, man muss hier mit Augenmaß vorgehen und der Staat muss ein starker Staat. Insofern waren Konrath und die Vollzugsbediensteten im ganzen Land erleichtert, als SPD-Mann Stickelberger vor einigen Tage ankündigte, die Teilprivatisierung der Justizvollzugsanstalt in Offenburg zurückzufahren. Die Amtsleiter in den Ministerien sind in ihrer Funktion politische Beamte, das heißt sie können im Fall eines Regierungswechsels innerhalb der Verwaltung versetzt oder auch in den einstweiligen Ruhestand geschickt werden. Nach dem Regierungswechsel hatte Ministerpräsident Kretschmann angekündigt, bei der Besetzung mit Umsicht vorzugehen, das heißt nicht unbedingt alle auszuwechseln. Innerhalb der ersten Wochen der neuen Landesregierung ist es dann aber anders gekommen. Tatsächlich haben inzwischen alle Ministerien neue Amtsleiter. Ebenso wurden die sogenannten Zentralstellenleiter ausgewechselt, die einer Ebene darunter für die politische Koordination sorgen. Interessanterweise wurden aber in mehreren Ministerien die Pressesprecher, die üblicherweise eng mit der politischen Linie des Ministers oder der Ministerin verbunden sind, im Amt gelassen. Das ist im Wissenschafts- wie im Landwirtschaftsministerium der Fall. Be ides Häuser mit grünen Ministern, wo die Amtsübergabe offensichtlich besonders gut geklappt hat. Landwirtschaftsminister Alexander Bonde jedenfalls ist voll des Lobes für seine neuen Mitarbeiter: Also ich bin auf eine ziemlich gute Mannschaft gestoßen, die sich sehr offen mir gegenüber gezeigt hat und sehr großes Interesse hat, das umzusetzen, was aus einer demokratischen Entscheidung, einer Landtagswahl, entstanden ist. Auch Wissenschaftsministerin Teresia Bauer ist geradezu überwältigt von der Freundlichkeit und Kooperationsbereitschaft, mit der sie empfangen wurde: Ich bin sehr freundlich empfangen worden, habe mir auch viel Zeit genommen, mit dem Haus zu reden am Anfang. Bin durch alle Stockwerke gegangen und habe Abteilungsversammlungen gemacht. Ich habe wirklich eine Freude daran, weil ich ein Haus vorfinde, das mit hoher Kompetenz und Motivation entgegentritt. Wir sind nicht immer der gleichen Meinung, haben Diskussionen, sind beide aber am Erfolg der Sache interessiert und das ist eine außerordentlich gute und angenehme Arbeitsatmosphäre. Beamtenbundchef Stich bestätigt, dass die meisten Mitarbeiter in den Ministerien positiv überrascht über die neue politische Spitze sind. Auch im wichtigen Innenministerium, wo mit der Polizei ein großer Teil der Landesbeamten angebunden ist. Allerdings gibt es auch Ausnahmen, wo es nicht so reibungslos funktioniert. Wie das Verkehrsministerium unter dem Grünen Winfried Hermann, das vorher zum Umweltressort gehörte und noch im Aufbau begriffen ist. Ausgerechnet dieses Ministerium wurde aber sofort nach Beginn der Legislaturperiode vom Thema Stuttgart 21 und damit mit Arbeit überrollt, wie Hermann wenige Wochen nach seinem Amtsantritt berichtete: Es ist nicht leicht, weil es so eine Art Patchwork-Ministerium ist, wo vieles neu aufgebaut wird. Das Schwierigste ist für uns gerade, dass wir eine Verwaltungs- und Organisationsabteilung bräuchten, die zum Beispiel Anstellungsverträge macht Personal organisiert und genau das Personal, das wir unbedingt bräuchten, nicht organisieren kann. Was zusätzlich erschwert wurde, da sich das SPD-geführte Finanzministerium viel Zeit ließ, bis es die Stellen freigab, die der Grüne Verkehrsminister dringend brauchte. Schwierig scheint die Situation auch im Kultusministerium zu sein. Im dem Haus, wo die ehrgeizige neue Schulpolitik der grün-roten Regierung umgesetzt werden soll, gab es bereits wenige Wochen nach Antritt der neuen Ministerin Gabriele Warminski-Leitheusser regelrechte Verstimmungen zwischen Beamtenschaft und politischer Spitze, wie Volker Stich der selbst aus der Kultusverwaltung kommt, berichtet: Auf der einen Seite wird mir gesagt, dass Vorhaben der anderen Regierung nicht genügend unterstützt werden; auf der anderen Seite beklagt sich die Beamtenschaft und sagt, wir werden nicht mitgenommen. Hier gibt es schon wichtige Sitzungen wo die Beamtenschaft gar nicht dabei ist. Ich meine, dass ein rasches Moderationsverfahren angezeigt wäre. Der zuständige Hauptpersonalrat Georg Köhler will sich zu der Unruhe in dem Haus nicht äußern, erklärt aber, dass die Personalvertretung derzeit versuche die Sache zu beruhigen und dass er überzeugt sei, dass sich das Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung sicher bald besser werde. Was auch nötig ist. Denn klar ist, dass sich die grün-rote Regierung viel vorgenommen hat. Der Koalitionsvertrag ist eine Art Arbeitsplan für Grün-Rot, natürlich sind das erst mal Ankündigungen. Und um die in Politik umzusetzen brauchen die Neuen ihre Beamten.