COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschtzt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszgen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielf„ltigt werden. Fr Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Nachspiel am 06.01.2013 Treffer gegen Vorurteile Im Jerusalem Boxing Club trainieren trainieren Israelis und Pal„stinenser gemeinsam Von Stefan Osterhaus Sprecher: Die Wunde ist klein, vielleicht drei Zentimeter. Knapp ber dem Haaransatz hat Akiva sich gestossen. Beim Training sprang er - einen Augenblick zu frh. O-Ton 1 Gershon geht zu Geth... AKIVA: I jumped against a brick... Er stiess sich an der Unterkante des Trrahmens. Blut f„rbt das hellblonde Haar dunkelrot. An der Wand tastet er sich vor zur Bank. Er sitzt da. Mit blutigen H„nden und blutiger Stirn. ATMO: Gemurmel des Trainers, der die Wunde versorgt Gershon, der Trainer, nimmt eine Flasche mit klarem Inhalt. Er kippt reichlich ber den Kopf des Boxers. Reiner Wodka vermischt sich mit Blut, tropft auf Akivas Schultern, sein weiáes T-Shirt nimmt einen hellroten Farbton an. Gershon murmelt ein paar Worte. Es k”nnten Flche oder Wnsche sein, wie Beschw”rungen. Es wirkt als salbe er seinen K„mpfer. Der Schock l„sst nach. Akiva taumelt nicht mehr. Geth, der Assistenztrainer, kommt herein. O-Ton 2 ATMO: Schritte ausserhalb, Geth und Akiva und Yoav gehen zum Wagen, reden, Geth ruft das Krankenhaus an... AKIVA: Lets go. Anlasserger„usch... Geth fhrt Akiva die Treppe hinauf zum Parkplatz. Dort steht der Wagen des Trainers, ein kleiner, alter Gel„ndewagen. Geth f„hrt Akiva in die Notaufnahme. Ein paar Minuten dauert die Fahrt. ATMO: Krankenhaus, Schwester redet, Arzt frag nach Akiva, EKG- Ger„usche, langsam abblenden... Mit fnf Stichen wird die Wunde vern„ht. Die Boxer fahren zurck. Akiva wird schon von seinem Vater erwartet. Gershon, der Trainer, hat ihn angerufen. Der Vater tr„gt eine Kipa, das Zeichen religi”ser Juden. Auch Akiva tr„gt nun eine Kipa, jetzt, wo die Wunde versorgt ist. Sie gehen zum Wagen und fahren nach Bet El - eine Siedlung im Westjordanland. Orthodoxe Juden leben dort. Auch Geth zieht es bald nach Hause. Er f„hrt in den Jerusalemer Osten. Dorthin, wo Muslime leben. ATMO: Gershon im Gespr„ch Wir kennen uns, wir helfen uns, sagt Gershon, der Trainer. So sei das im Jerusalem Boxing Club. Vor 30 Jahren grndete er den Verein. Heute ist er einer der besten des Landes. Hier, im Viertel Alt-Katamon, einen Kilometer entfernt von den Mauern der Altstadt, ben die Boxer den Grenzgang. Juden und Araber stehen in einem Ring. Sie k„mpfen gegeneinander. Und sie trainieren miteinander. O-Ton 3 GERSHON: Als ich mit dem Klub anfing waren nur Juden hier. Ich druckte Flyer und h„ngte Plakate auf, um den Klub bekannter zu machen. Nach und nach kamen die ersten arabischen Boxer und fragten, ob es in Ordnung w„re, wenn sie mitmachen wrden. Ich sagte: Das ist gar kein Problem. Sie sollten einfach kommen. Und heute bin ich der einzige Trainer in Israel, der mit einer jdisch- arabischen Mannschaft zu Wettk„mpfen f„hrt. Ein befremdliches Bild fr die Konkurrenten. Noch immer ist es das, nach all den Jahren: O-Ton 4 GERSHON: Bei Turnieren glotzen mich andere Trainer an, wenn ich meinen Boxer anfeuere: Ismael! Schlag ihn! Schlag ihn! ATMO: Kampfger„usche O-Ton 5 GERSHON: Die fragten sich alle: Wie kann der das nur tun kann. Das ist ein Araber, der gegen Juden boxt und der von einem Juden trainiert wird! Aber fr mich ist das ganz normal. Das ist fr mich kein Problem. Das hier ist doch kein Krieg. Das ist Sport. Ein Problem ist es dann, wenn wir bei Wettk„mpfen auf andere Klubs treffen. ATMO unterlegt: Leise Ger„usche im Gym... Es war ein Einschnitt, Araber in den Klub aufzunehmen. Wann genau es passierte, daran kann sich Gershon Luxemburg nicht mehr erinnern. Es muss vor zwanzig Jahren gewesen sein. Doch fr die Pal„stinenser ist die Hrde, herzukommen, noch viel h”her. Sie riskieren, zu Hause als Verr„ter abgestempelt zu werden. Doch nicht jeder liess sich davon abschrecken. Und einige sollen sogar noch weiter gegangen sein: O-Ton 6 GERSHON: Wir haben hier Klub-T-Shirts mit einem Logo in hebr„ischen Buchstaben ist. Unsere Boxer tragen es, und auch pal„stinensische Boxer wollten dieses Shirt haben. Ich sagte ihnen: Ihr seid verrckt, ihr k”nnt doch nicht mit einem Shirt von uns in der Altstadt herumlaufen, dann geht's euch an den Kragen. Aber die sagten: Macht euch mal keine Sorgen! Ein junge Boxer aus dem Osten kommt die Treppe herunter und begrsst den Trainer. Ein T-Shirt des Klubs steckt in seiner Tasche. O-Ton 7 Langsam aufblenden... Omer, der pal„stinensische Champion, und sein Freund, der heisst Murat... Murat.. Murat, chik, chalak... GERSHON: Er macht sich gut. Er liebt das Boxen. Er ist ein guter Techniker. Er hat uns gefragt, ob er bei Turnieren mitzumachen kann. Er will k„mpfen. K„mpfen: Wer das will, der kommt in Jerusalem am Klub von Gershon Luxemburg kaum vorbei. Ein paar sehr gute Boxer wurden hier ausgebildet. So wie Akiva, der Junge aus der Siedlung. In der Gewichtsklasse bis 64 Kilo eilt er von Erfolg zu Erfolg. 18 Jahre ist er alt. Schon als Kind brachte ihn der Vater hierher. O-Ton 8 AKIVA: Can I call you a Veteran? Yes, yeah. Er hat nichts dagegen, als Veteran bezeichnet zu werden. Manche Dinge sind fr ihn so normal, dass er sich noch einmal vergegenw„rtigen muss, wie ungew”hnlich sie tats„chlich sind. O-Ton 9 AKIVA: Wenn du von Aussen auf den Klub schaust, dann wirkt das schon schon speziell. Aber wenn du in diesem Klub drin bist, dann ist das nichts Besonders. Du merkst das gar nicht. Ich habe da niemals so genau drauf geachtet. Leute, die von draussen kommen, die sehen es anders, aber wenn du im Klub bist, dann nimmst du es gar nicht wahr. Fr Akiva ist es Alltag. Geth aber besch„ftigen die Unterschiede noch immer. O-Ton 10 GETH: Ich habe eine ganze Menge anderer Sportarten gemacht. Aber ich bin nie lange dabeigeblieben. Ich habe auch Basketball gespielt. Zu diesem Klub aber habe ich ein besonderes Verh„ltnis, das ist was anderes. Deshalb bin ich schon seit einigen Jahren hier. ATMO: Ringger„usche O-Ton 11 GETH: Ich habe Gershon bei der Arbeit auf der Baustelle getroffen, als wir mit Renovierungsarbeiten besch„ftigt waren. Er lud mich ein, zum Training zu kommen. Ich habe trainiert, wir haben miteinander geredet, ich lernte die Leute kennen und ich bin wieder hingegangen am n„chsten Sonntag. Seitdem bin ich hier. ATMO: Trainingsger„usche, leise Es ist ein unglaublicher Ort, dieser Bunker, ein paar Meter unter der Erde. Es ist eng, das diskrete Surren der Ventilatoren begleitet das Training und jedes Gespr„ch. Von Aussen ist der Zugang kaum zu erkennen. Ein simpler Betonquader, auf dem eine kleine israelische Flagge weht. Er steht mitten auf einem Parkplatz am Rande eines Wohngebiets in einer etwas heruntergekommenen Gegend. ATMO: Gehger„usche Es k”nnte auf den ersten Blick auch der Kiosk eines patriotischen Besitzers sein. Doch dann fhren die Stufen hinab zu diesem Ort, den Gershon mal als eine ganz gew”hnliches Trainingshalle und dann wieder als eine Begegnungsst„tte begreifen will: O-Ton 12 GERSHON: Bevor wir es vergessen: Dieser Platz hier wurde als Luftschutzkeller geplant, ein Bunker. Ist doch kurios, dass der Ort fr den Krieg gebaut wurde und wir uns jetzt hier treffen, um uns friedlich zu begegnen. ATMO: Arabische Musik, gleitet in O-Ton 13 ber Die W„nde sind mit Malereien verziert. Tiere, vor allem Fische und L”wen. Sie wirken wie Fresken in einem r”mischen Bad. Zahllose Stunden mssen es gewesen sein, die Gershon Luxemburg hier verbrachte, um diesen Bunker herzurichten. Er war in einem erb„rmlichen Zustand. Und zu jedem Stck, zu jedem Bild, weiss Gershon eine Geschichte zu erz„hlen. O-Ton 13 GERSHON: Ich war damals ziemlich bekannt in der russischen Community. Als S„nger habe ich Konzerte mit meiner Gitarre gegeben. Und weil sie mich kannten, schickten sie mir ihre Kinder vorbei. Die Bilder hier, die sind von einem berhmten Maler von der Kunstakademie. Er brachte sein Kind und sagte: Bitte, nimm das kleine M„dchen und mach einen Mann draus. Nach zwei Jahren war er ein Champion. Und der Vater malte einen Monat lang diese Bilder. ATMO: Gehger„usche auf der Treppe zum Bunker hinunter Der Bunker. Er ist nicht nur fr Gershon Luxemburg zum Lebensmittelpunkt geworden. Ein sicherer Ort, gut versteckt, geschtzt von von meterdickem Stahlbeton und einer massiven Metalltr mit Vorh„ngeschloss. Doch meist steht sie offen. 1972 kam Gershon Luxemburg aus Usbekistan nach Israel, von Taschkent nach Jerusalem. In der Heimat lernte er, was es bedeuten kann, ein Jude in der Diaspora zu sein. Er fhlte sich verfolgt, jeden Tag. Beinahe w„re sogar die Ausreise nach Israel vereitelt worden. O-Ton 14 GERSHON: Zehn Tage bevor ich nach Israel auswanderte war ich mit meiner Frau auf einer Party. Ein Kerl machte meine Frau an. Ich ging dazwischen. Er griff mich mit einer Gabel an. Ich nahm einen Stuhl und zerschlug ihn an ihm. Die Polizei suchte nach mir. Es war der Sohn des Brgermeisters von Taschkent. Er hatte also eine Menge Einfluss, und es sah so aus, als k”nnten wir nicht ausreisen. Wir hatten also einen Kniefall zu machen und uns zu entschuldigen, Schmiergeld zu zahlen. Es war schwer, wegzukommen. Schon frh brachte ihn der Vater mit den Brdern zum Boxen. Der Vater, sagt Gershon, h„tte schon gewusst, warum: O-Ton 15 GERSHON: Boxen hat mir das Leben gerettet in Usbekistan, viele Male. Ich habe oft in Todesgefahr gestanden. Ich musste mich verteidigen, ich musste k„mpfen, immer. 40 Jahre lebt er schon in Israel. Kein einziges Mal hat er sich schlagen mssen. Nach Israel kam er als Sportler, der die besten Jahre schon hinter sich hatte. Und doch wurde er schnell eine Sttze des Nationalteams. Erinnerungen umgeben ihn. Fotos zeigen ihn als einen Spitzenboxer der Sowjetrepublik, als einen muskul”sen Halbschwergewichtler. Noch heute verraten seine Bewegungen den ehemaligen Athleten. Rechts neben seinem Schreibtisch h„ngt ein Bild, das nichts mit dem Boxen zu tun hat: Ein Foto von Jagdflugzeugen in Staffelformation. Die israelische Luftwaffe - beim Flug ber Auschwitz. Das Foto hat etwas irritierendes. Inmitten all der Bilder, die Zeugnis geben von den Erfolgen des Boxtrainers Gershon Luxemburg, wirkt es fast wie eine stille Mahnung. ATMO: Gershon im Bro im Gespr„ch mit Vater, der sein Kind anmeldet. Pokale umgeben den Trainer, wenn er am kleinen Schreibtisch sitzt und Anmeldeformulare ausfllt, die Wettkampfb”gen abheftet, medizinische Berichte ber seine Boxer durchliest oder einfach nur telefoniert. Die kleine Nische hat etwas von einem Altar, den sich Gershon selber geschaffen hat, ein Altar in einem kleinen, unterirdischen Tempel, an dem nur das Wort des Trainers Gesetz ist. ATMO: Ringanweisungen, Gershon schreit MaKa, Maka, langsam abblenden Schon am Eingang ist die Begegnung mit Gershon Luxemburg unvermeidlich: Der Trainer im Gewand eines mittelalterlichen S„ngers, gemalt von jenem Freund von der Kunstakademie. šberlebensgross. Doch bei allem Hang zur Selbstinszenierung: Es gibt einen, der noch pr„senter ist als er. Sein Blick nimmt den Besuch schon am Eingang in Empfang. Sein Poster ber der Treppe ist nicht zu bersehen: Muhammad Ali, der Champion der Champions. Fr Gershon Luxemburg ist er das Ideal eines Boxers. O-Ton NEU Er ist ein Vorbild fr uns. Er ist ein Beispiel fr einen echten Boxer. Er ist das Vorbild, dem hier, so hoffe ich, jeder nacheifert. Wenn man ihn mit Tyson vergleicht, dann ist Tyson ein Roboter, eine Killermaschine. Wie ein Panzer. Da kannst du nichts gegen machen. Aber Ali hatte Technik. Er war ein echter Boxer. Doch Ali war nicht nur der Boxer schlechthin - ein K„mpfer, ein Techniker und ein Stratege im Ring - er war auch ein Black Muslim. Er „nderte seine Geburtsnamen Cassius Marcellus Clay in Muhammad Ali. Er trat aus freien Stcken vom Christentum zum Islam ber und schloss sich der Nation of Islam an, einer radikalen Gruppierung. Fr Gershon ist das kein Problem. O-Ton 16 GERSHON: Ich habe seit langem schon einen Traum: Die besten muslimischen Boxer und die besten christlichen Boxer und die besten jdischen Boxer fr ein grosses Turnier hierher zubringen, ein Turnier, das nach Muhammad Ali benannt ist. Gerade in Jerusalem, der Metropole aller Weltreligionen. Ich denke, das w„re doch interessant, das hier zu haben. Gershon Luxemburg bezeichnet sch als einen religi”sen Menschen. Auch er tr„gt eine Kipa, immer. Doch er ist nicht ganz so prinzipienfest wie der Rest der Familie, erst recht nicht wie sein Bruder, der niemals am Shabbat einen Fuss in eine Sporthalle setzen wrde. Aber er glaubt an das, was er tut - wenn auch nicht im Sinne der Heiligen Schriften: O-Ton 17 GERSHON: Ich wrde das ganze nicht als eine Mitzva bezeichnen, was eine gute Tat bedeutet, aber ich hoffen dass wir durch das, was wir hier tun, eine gute Tat vollbringen. Ich sch„tze Leute nicht sonderlich, die allein herumstudieren um weiser zu werden und dadurch eine gute Tat vollbringen. Was haben die schon in ihren Leben? Das ist Leben! Hier kann man etwas beitragen, und das versuchen ich. Andere Leute, die sich allen an die Rituale halten, die sind manchmal wie Steine, die leben doch gar nicht. Leben: Genau darum geht es ihm. Bloss keine Theorie. Es ist ja ein Ort voller Widersprche. Der Araber, der den Jungen aus der Siedlung ins Krankenhaus f„hrt. Ali, der Black Muslim, als Schutzherr des Ringes - kultisch verehrt von einem gl„ubigen Juden. Auch das ist eine besondere Pointe. Aber sie passt zu diesem Ort, an dem es die Enge unm”glich macht, sich aus dem Weg zu gehen. O-Ton 18 YOAV: Die Leute hier sind nicht wirklich ideologisch. Es gibt eine Menge Leute, die in religi”sen Familien aufgewachsen sind und die mit einer sehr konservativen, nationaljdischen Identit„t groágeworden sind, Leute vom rechten Flgel. Aber die sind nicht wirklich extrem. Yoav kam vor fnf Jahren in diesen Klub - als Soziologe im Rahmen einer Studie. Er blieb. Um zu boxen. Im Grunde beschreibt Yoav nicht den Boxklub, sondern Jerusalem. Diese Stadt, in der sich Araber und Juden auch nicht aus dem Weg gehen k”nnen, in der es Spannungen gibt und deren Enge Reibung erzeugt, doch deren Enge Begegnungen unvermeidlich macht: O-Ton 19 YOAV: W„hrend ihrer Erfahrungen hier ver„ndert sich etwas. Es passiert etwas, was dir im Tel Aviv, wo ich aufgewachsen bin, sicher nicht passiert. Du hast Kontakt mit dem Schreckgespenst, mit dem Schwarzen Mann, den Pal„stinensern. Und genau das passiert hier im Klub. So lernen sie. šbereinander. Manchmal sogar voneinander. Das bedeutet noch lange nicht, dass sie dadurch gleich zu besseren Menschen werden. Aber sie gewinnen wenigstens einen Eindruck davon, um wen es geht, wenn all die Diskussionen mal wieder um die Araber oder die Juden kreisen. O-Ton 20 GERSHON: In Tel Aviv haben die Leute ein ganz andere Vorstellung. Da war ein Typ von einer israelischen Friedensbewegung berrascht, dass ich nicht mit ner Knarre rumlaufe, wo es doch in Jerusalem so gef„hrlich ist. Das ist l„cherlich. Hier treffen sie sich, hier trainieren sie, hier essen sie zusammen. Hier ist jeden Tag Olympia. Olympia - ein treffendes Bild. Denn frher ging es bei Olympia nicht immer nur ums gewinnen. Athleten tauschten auch Erfahrungen aus. So kamen sich die Sportler n„her, berbrckten Differenzen. O-Ton 21 GERSHON: Ich sehe Fernsehshows, wo Begegnungen von Juden und Pal„stinensern inszeniert werden. Die diskutieren dann miteinander. Ich schaue mir das an und sehe, dass es knstlich ist. Die Distanz ist so gross. Das ist etwas komplett anderes als hier. Sie k”nnen nicht zusammen sein wie hier, wo es Austausch gibt. Ich will mich jetzt mal nicht selber loben, aber ich fhle, dass wir etwas ganz besonderes machen. Ich glaube, die Leute werden noch in vielen Jahren ber diesen Ort sprechen. Etwas ganz Besonderes - auch Geth wrde dies jederzeit unterschreiben. Und auf geradezu wundersame Weise bersteht der Klub jede Krise. O-Ton 22 GETH: Bei uns gibt es keinen Hass. Du siehst die Bilder von den Konflikten im Fernsehen, aber im Klub sprst du davon nichts. Wir fahren zusammen zu Wettk„mpfen, wir besuchen uns gegenseitig Zuhause. Wir essen zusammen, wir feiern Geburtstage und Hochzeiten. Es gibt hier keinen Hass, keine Unterschiede. Von uns st”rt sich keiner dran. ATMO: Trainingsger„usche mit Disk--Musik Eine Wunschwelt - geschtzt, abgeschottet von der da Draussen. Aber trotzdem offen fr jeden. Doch diese Eintracht ist fast schon verd„chtig. Gebetsmhlenartig sind die Beteuerungen, dass alles hier den Gang des Friedens beschleunigt. Und dann ist da ja auch noch die Vergangenheit des Trainers. Frher, in einer anderen Zeit, da hatte Gershon Luxemburg grosse Sympathien fr Kahane Chai, eine rechtsextreme Organisation des Rabbis Meir Kahane, der ein Grossisrael errichten, das ohne Araber auskommt. Viele Gewalttaten werden Kahane Chai zugeschrieben. Die Organisation ist l„ngst verboten. Auch Gershon Luxemburg machte mit dem Gesetz Bekanntschaft. Er wollte sich verteidigen. Und bot ganz schweres Kaliber auf: O-Ton 23 GERSHON: Jeder weiss doch, dass ich im Gef„ngnis war, weil ich schwere Waffen bei mir Zuhause hatte, schwere Waffen, die ich gegen Araber einsetzen wollte. Die Leute wissen es. Die Juden zollen mir deshalb Respekt, sie wissen wo ich stehe, sie haben keinen Zweifel. Auch meine arabischen Freunde respektieren mich. Noch immer ist Luxemburg ein knallharter Zionist. An der Wand h„ngen neben diesen zahllosen Fotos mit den Szenen aus dem Leben des Boxtrainers auch Zeitungsartikel, die von Besuchen des ehemaligen Premiers Ehud Olmert berichten. Olmert - jener Regierungschef, der wegen Korruption verurteilt wurde. "Olmert on the ropes". Davon schrieb die "Jerusalem Post". Olmert am Ring. ATMO: Ringger„usche, langsam abblenden Und dann ist da noch dieses Foto mit Avigdor Lieberman, dem, nun ja, etwas konservativen ehemaligen Aussenminister, um den die halbe westliche Welt am liebsten einen grossen Bogen gemacht h„tte, wenn sie es denn gekonnt h„tte. Aber Gershon Luxemburg st”sst sich daran nicht. Er deutet auf ein Bild, mal wieder: O-Ton 24 GERSHON: Da, das ist eine Fotografie nachdem sie Ostjerusalem befreit hatten, den Tempelberg. ATMO: Strassenger„usche in Jerusalem Der Tempelberg - ein heiliger Ort fr Juden und Muslime. Wie eine Troph„e h„ngt das Bild dort, inmitten der Pokal und Medaillen. Im Sechstage-Krieg von 1967 besetzten israelische Truppen den arabischen Osten der Stadt - und den Tempelberg: O-Ton 25 GERSHON: Wer den Tempelberg kontrolliert, der kontrolliert das Land. Das ist die Sprache des Siegers. Doch im n„chsten Augenblick rechtfertigt er sich: O-Ton 26 GERSHON: Ich bin Zionist, natrlich! Aber fr mich ist ein Freund ein Freund, wie ein Bruder. Hier sieht man Armenier, Araber zusammen. Aber jeder, der mir mit b”sen Absichten gegenbertritt, dem werde ich genauso begegnen. Nichts als Widersprche. Doch Gershon Luxemburg verfgt ber eine geradezu hypnotische šberzeugungskraft. So gewann er auch Geth fr sich. Langsam fhrte Gershon Geth an das Boxen heran. Das Talent des jungen Arabers erleichterte einiges. Wom”glich w„re Geth l„ngst nicht mehr hier, wenn Luxemburg nicht wsste, mit Menschen umzugehen. O-Ton 27 Den Trainer kannst du in Gold gar nicht aufwiegen. Er ist grossartig, alles, wirklich alles, was ich ber ihn sagen wrde, w„re zu wenig. Als ich hierher kam hatte ich von gar nichts eine Ahnung. Aber dank Gershon war das alles ganz einfach. Er weiss seine Gespr„chspartner schnell fr sich einzunehmen. So wie beim ersten unserer Treffen. Der Dolmetscher war noch nicht da. Aber Gershon wusste sich zu helfen. O-Ton 28 00:15:29 GERSHON - auf Jiddisch: Trinken Kaffee, Zucker, Nescaffee, schwarze Kaffee, trkisch? O-Ton 29 GERSHON - auf Jiddisch: Eine Mensch, in Germania wo ich Tourist gemacht, eine Professor, eine deutsche Professor, hat mir gesagt, Jiddisch ist alte, alte, alte Deutsche. Jiddisch - die Sprache der osteurop„ischen Juden, verwurzelt im Mittelhochdeutschen. O-Ton 30 GERSHON - auf Jiddisch: Sitzen, sitzen. Sch”n? 30 Jahre, 30 Jahre, das alles, arbeite, ich bin allein gemacht, das alles, alles mit meine H„nde. Und so stellt er sich vor: O-Ton 31 GERSHON - auf Jiddisch: Ich bin ein Boxer, Profession. Ich bin fnf Mal Champions in Usbekistan, sieben Jahre Champion in Israel, Champion Makkabia, dies ist mein Leben. Ich schreibe Prosa, das ist meine Geschichte... Die Boxer spren, dass sich hinter seiner Geschichte eine verbirgt, die der eigenen nicht ganz un„hnlich ist. Vielleicht wirkt er deshalb glaubhaft - trotz all der Widersprche. Denn das Gefhl, ein Aussenseiter zu sein, nicht anerkannt zu werden, das kennt er aus Usbekistan. Und doch hat er etwas mitgenommen aus der alten Heimat. Nicht nur die Sprache, Russisch, in der er am liebsten immer noch singt: O-Ton 32 GERSHON: In Usbekistan gibt es eine groáe muslimische Gemeinde. Die Russen sind in der Minderheit. Die Usbeken hatten keine Probleme mit uns Juden, sie hiessen uns willkommen. Es waren die Russen, die den Antisemitismus nach Usbekistan gebracht haben. ... Ich habe viele muslimische Freunde in Usbekistan. Eine war sogar seine Frau - eine Tscherkessin, eine Muslima. Jung war sie, sagt Luxemburg. Es ist ihm wichtig, das zu betonen. Vier Mal war er verheiratet. Auch davon erz„hlt er gerne. In Israel wurde er schnell akzeptiert. Er hat ja auch alles dafr getan. Er deutet auf ein Foto aus dem Jom-Kippur-Krieg von 1973: Gershon Luxemburg vor einem Panzer in der Wste - boxend. Es war der verlustreichste Krieg, den Israel je gegen seine Nachbarn fhrte. Er h„tte nicht in diesen Krieg gemusst, aber: O-Ton 33 GERSHON: Ich war halt ein bisschen patriotisch. Doch wie vertr„gt sich der Patriotismus mit der Sache der Araber? Gershon weicht aus. Und flchtet sich in einen dieser Widersprche. O-Ton 34 GERSHON: Ein jdischer Junge wird nicht wissen, wie es ist, ausgegrenzt zu sein. Die Araber, sie sind wie Brder, und es ist auch ihr Land, wir sollten nicht ber sie wie eine Minderheit denken. Ich weiss, wie es ist, eine Minderheit zu sein, aber sie sind keine Minderheit. Ich sehe sie nicht als Minderheit an. Wir sind gemeinsam hier. ATMO: Leise Ger„usche im Gym, Broatmosph„re Geth kommt herein, der Araber, der Akiva, den Jungen aus der Siedlung, ins Krankenhaus fuhr. 25 Jahre ist er alt. Die L„ssigkeit seiner Bewegungen f„llt auf. Und sein Gesicht. Die Zge sind ebenm„ssig. Er ist ein sehr guter Defensivboxer. Doch die Makellosigkeit hat noch einen anderen Grund: Geth bestreitet gerade keinen Wettkampf. Die Gesundheit macht nicht mit. Gershon vermisst ihn als K„mpfer. Aber Geth hat eine andere Aufgabe gefunden: O-Ton 35 GERSHON: Geth ist ein Veteran. Er boxt auf sehr hohem Niveau. Und er lernt noch immer dazu, schaut sich K„mpfe an, bringt Videos von den anderen Klubs mit. Er ist wie ein Assistent fr mich. Ich zahle ihm 250 Shekel im Monat, dafr, dass er mir im Klub hilft und ein paar Dinge in Ordnung bringt und sich um ein paar Sachen kmmert. Aber im letzten halben Jahr hat er das Geld nicht angenommen. Der Klub hatte Geldprobleme. Geth verzichtete. Ungefragt. Und in diesem Augenblick ist klar, dass Geth nicht einfach nur ein Helfer ist: O-Ton 36 GERSHON: Wir haben ein sehr enges Verh„ltnis. Geth wollte in die USA auswandern, vor ein paar Monaten. Ich war v”llig fertig. Ich konnte das gar nicht fassen. Ich bettelte ihn an, hier zubleiben. Als er kam und mir von seinen Pl„nen erz„hlte weinte ich. Ich redete mit seinen Freunden, sie sollten ihn davon abzubringen zu gehen. Ich wollte, dass ihm seine Freunde erz„hlen, dass das Leben auch dort nicht so einfach ist, wie er vielleicht denkt. Die Freunde taten ihm den Gefallen. Auch Yoav, der Soziologe, erz„hlte von seinen USA-Erfahrungen. Doch hat sich Gershon Luxemburg vorstellen k”nnen, je einem Araber so zu begegnen? O-Ton 37 GERSHON: Im Leben nicht. Die ersten zehn Jahre in Israel hatte ich keinen Kontakt mit Arabern. Nur in den Kriegen, im Jom-Kippur- Krieg, und im Libanon, das war mein Kontakt mit Arabern. Ich habe so etwas niemals erwartet. 67 Jahre ist Gershon Luxemburg alt. 30 Jahre hat er nun an diesem Ort verbracht. Doch er wird nicht mehr ewig bleiben. Vor kurzem hatte er eine Idee: Warum soll Geth den Klub nicht weiterfhren? ATMO: Geth redet, Geth kommt zu Gershon O-Ton 38 GERSHON: Wenn er es nicht tut, wer soll es denn sonst machen. GETH: Wie kann ich denn den Klub managen wenn ich mein eigenes Leben nicht in den Griff kriege. GERSHON: Ich habe zwei Neffen... die beide Israelische Champions sind. Sie sind in der Armee, in einer Eliteeinheit. Sie k”nnten es, aber sie haben kein Interesse an dem Klub, die Arbeit hier weiterzumachen. Deshalb habe ich versucht, Geth zu berreden, einen Trainerschein zu machen, denn ohne den Schein ist er nur ein Assistenztrainer. Aber dieser Idiot will einfach nicht. Er kann es, aber er hat es bisher noch nicht gemacht. Sie sitzen beisammen und schauen auf den Ring. Zwei M„nner blicken auf die selbe Sache. Geth redet, Geth kommt zu Gershon, langsam abblenden. O-Ton 39 Treppe hinaufgehen, Geth redet... Schiesst die Tr, verriegelt das Tor, Ger„usche draussen vor dem Tor... ATMO: Anlasserger„usche Ehe auch Gershon nach Hause f„hrt, in den Westen der Stadt, geht es in den Osten Jerusalems, zu Geths Apartment. Ein Jude hat nicht viele Grnde am Abend hier in der Gegend zu sein. Aber Freundschaft ist eben Freundschaft.