COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Next Generation (4) - Die Jugend im Ruhrgebiet auf Zukunftssuche - Autorin Schulz, Friederike Red. Stucke, Julius Sdg. 07.04.2010 - 13.07 Uhr Moderation Next Generation - Jugendliche im Ruhrgebiet arbeiten in zehn sogenannten Zukunftshäusern an ihren Visionen für die Metropole Ruhr. Sie fragen nach ihrer Zukunft, nach der Zukunft der Stadt. Sie arbeiten an Theaterstücken, machen Musik, drehen Filme und vieles mehr. Next Generation ist ein Projekt im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr 2010. Initiiert von Schauspiel Essen und Schauspielhaus Bochum - unterstützt durch die Bundeszentrale für politische Bildung. - Wir im Deutschlandradio Kultur geben diesem Projekt, geben den Jugendlichen eine Stimme. Im Länderreport berichten wir jeweils am Monatsanfang aus den Zukunftshäusern. Heute führt uns der Weg zuerst nach Bochum Wattenscheid. Im dortigen Zukunftshaus arbeiten junge Rapper an ihrer musikalischen Zukunft, sollen lernen eigenständig ihre Musik zu produzieren, sollen lernen sich zu vermarkten, Auftritte zu organisieren - selbständig etwas auf die Beine zu stellen. Friederike Schulz hat Ihnen dabei zugehört: -folgt Manuskript Beitrag- Manuskript Beitrag ATMO (Studio) "Hörst du dich?" "Hallo, hallo? Ja." AUTORIN Jasmin streicht sich die langen braunen Haare hinter die Ohren, setzt die Kopfhörer auf, stellt das Mikrofon tiefer, bis es direkt vor ihrer Nase hängt. Die zierliche 14jährige steht in einer winzigen schalldichten Kabine - dem Aufnahmeraum des improvisierten Tonstudios. Sie blickt gespannt durch die Glasscheibe nach draußen. Dort sitzt der Musikproduzent Omid Pouryousefi am Mischpult: die schwarzen Haare Millimeter kurz rasiert, den Kinnbart akkurat gestutzt, schwarzes Basecap, randlose Brille. Der Regieraum ist gerade mal zwölf Quadratmeter groß. In der Mitte: Mischpult, Computer, zwei Flachbildschirme. An der Wand ein durchgesessenes weißes Kunstledersofa. Seit fast einem Jahr arbeitet Omid Pouryousefi hier im Jugendzentrum in Bochum-Wattenscheid mit jugendlichen Rappern. X-Vision heißt das Projekt. Es ist eines von zehn "Zukunftshäusern" der Kulturhauptstadt Ruhr 2010. Hier proben die Mitglieder von x-Vision mehrmals in der Woche nach der Schule. ATMO (Studio) "Sing einfach einmal drauf..." AUTORIN Jasmin ist schon seit Beginn des Projekts vor knapp einem Jahr dabei. Sie gehört zum Kernteam von zehn Jugendlichen, die unter dem Namen x- Vision inzwischen regelmäßig auf Schulfesten und Rap-Festivals auftreten. Das Jugendzentrum liegt im Erdgeschoss eines etwas heruntergekommenen Backsteinbaus im früheren Bergbauviertel Wattenscheid. In den 70er Jahren schloss die letzte Zeche, heute ist das Stahlwerk von Thyssen-Krupp hier der größte Arbeitgeber. Die Arbeitslosenquote liegt bei rund zehn Prozent, ein relativ guter Schnitt im Ruhrgebiet - in Gelsenkirchen ist die Quote zum Beispiel mehr als doppelt so hoch. Für junge Leute in Wattenscheid gibt es gerade mal drei Clubs in denen sie sich nach der Schule treffen können, nicht viel für ein Viertel mit rund 6.000 Jugendlichen. Und so ist das Tonstudio von x-Vision eine beliebte Anlaufstelle geworden. ATMO (Studio) AUTORIN Die Tür geht auf, leise schleichen drei Jungs durch den Raum, setzen sich aufs Sofa: Paris, Christo und Aria, alle drei 14 Jahre alt und erst seit ein paar Monaten bei x-Vision dabei. Sie sind gekommen, um zuzuhören und an ersten eigenen Texten zu arbeiten. Omid Pouryousefi zieht den Regler mit dem Hintergrundgesang auf, Jasmin stimmt in den Refrain ein. ATMO (Studio / Musik) "Von da wo ich komm, werden Menschen getötet, von da, wo ich komm, werden Waffen gebaut, von da, wo ich komm, wird der Frieden verachtet..." AUTORIN Den Text haben die Jugendlichen selbst geschrieben - aus der Perspektive von Flüchtlingen aus Krisengebieten. Ein typischer Text von x-Vision. Anders als bei vielen Rappern geht es in den Songs nicht darum, andere herunterzumachen oder zu beleidigen - im Gegenteil, sagt der 14jährige Aria. OT 01 (Aria) "Hier rappt man eher über so sozialkritische Themen. In der Freizeit rappt man eher so über beleidigen und andere Sachen, die hier nicht passen." AUTORIN Omid Pouryousefi weiß, dass die Jugendlichen zu Hause oder mit Freunden härtere Texte schreiben und singen. Schließlich ist der 37jährige selbst Musiker und kennt die Szene. Das ist für ihn auch kein Problem, verbieten kann er es ihnen sowieso nicht. Hier im Studio sind Beleidigungen und Schimpfwörter allerdings Tabu. OT 02 (Omid Pouryousefi) "Dieses Projekt ist ein Vorbildprojekt, wir sind eines der Zukunftshäuser. Mittlerweile haben auch die x-Vision-Leute mitgekriegt, dass sie sich unterscheiden und differenzieren, wenn sie mal andere Themen haben als: Ich mach dich fertig, ich bin der beste und du bist sowieso doof und so weiter. 99 Prozent von den Sachen, die im Internet von Amateur-Rappern oder auch von Profis veröffentlicht werden, da geht es darum, dass ich okay bin und der Rest nicht. Wir unterscheiden uns dadurch, dass wir sagen: Öffne doch dein Herz." ATMO (Studio) "Okay, danke. Komm raus." AUTORIN Omid Pouryousefi nickt Jasmin zufrieden zu, "gut gemacht", sagt er leise. OT 03 (Pouryousefi) "x-Vision hat mittlerweile so ein Niveau, wo wir Semi-Professionelle ansprechen. Die Leute, die sich bei uns melden, weil das steht bei uns auf der Website, die müssen eine gewisse Erfahrung haben. Wenn sie wirklich Beginner sind, dann kommen sie hier nicht rein." AUTORIN Omid Pouryousefi drückt auf die Stopptaste des Aufnahmeprogramms, Jasmin begrüßt ihre Freunde Volcan, Abed und Pascal, die inzwischen ebenfalls dazugekommen sind. Abed, 18 Jahre alt, kurze schwarze Haare, schwarze Jeans und Lederjacke. Pascal, 17, trägt weite Hosen, die auf den Hüften hängen, ein schwarzes Hemd, viel Gel in den kurzen dunkelblonden Haaren. Die beiden gehören zum engeren Kreis von rund 20 Jugendlichen, die regelmäßig zu den Proben kommen. Pascal ist der einzige in der Runde, dessen Eltern Deutsche sind. Abeds Familie stammt aus dem Libanon, Jasmins Mutter ist Marokkanerin, der Vater Pole, Christo kommt aus Zypern, Arias Eltern sind Iraner, die von Paris sind irakische Kurden OT 04 (Collage Jugendliche) "Mir ist eigentlich egal, woher der kommt, ob der Deutscher ist oder Zyprer. Das wichtige ist eigentlich, dass wir uns alle gut verstehen und zusammenarbeiten." "Bei x-Vision ist es egal, welcher Nationalität man ist. Im Vergleich: Auf der Straße gibt es immer noch Stress zwischen Kurden und Türken. Da gibt es auch Schlägereien. Aber bei x-Vision ist das mehr so ein Team. Es ist egal, welcher Nationalität man ist." AUTORIN Wieso Pascal der einzige in der Runde mit deutschen Eltern ist, kann sich keiner so recht erklären. Ein wenig typisch ist die Zusammensetzung aber schon für das Ruhrgebiet, schließlich sind viele Einwohner irgendwann mal zugezogen. Zur Zeit der Industrialisierung wurden vor allem Polen angeworben, nach dem Zweiten Weltkrieg kamen vor allem Türken, Italiener und Griechen, um in den Zechen zu arbeiten. Ihre Kinder und Enkel, zu denen auch die Mitglieder von x-Vision zählen, haben fast alle einen deutschen Pass und fühlen sich auch als Deutsche, sagt Omid Pouryousefi, der selbst als Jugendlicher aus dem Iran nach Bochum gekommen ist. OT 05 (Pouryousefi) "Fast alle haben hier einen Migrationshintergrund. Das ist jetzt nicht spezifisch für x-Vision, sondern das betrifft ja die ganze Gesellschaft, insbesondere im Ruhrgebiet, insbesondere hier in unserem Viertel. Wir haben einen Deutschen, also den Pascal, ansonsten ein Mischmasch: Vater deutsch, Mutter Türkin, umgekehrt - ein großer Mischmasch." AUTORIN Genauso wenig wie die Herkunft bei "x-Vision" ein Thema ist, wird hier darüber gesprochen, auf welche Schule man geht. Paris ist auf der Hauptschule, Pascal auf der Berufsschule, Jasmin geht aufs Gymnasium. Was hier zählt ist allein, ob man gut rappen kann, erzählt Volcan, der Realschüler ist. OT 06 (Volcan) "Wenn jemand auf einer schlechteren Schule ist, dann wird der natürlich nicht gehänselt. Er muss selber damit klarkommen. Wir sagen jetzt nicht: Du bist Hauptschüler - ne! Es kommt darauf an, wie der Mensch tickt." AUTORIN Die Jugendlichen sind fast jeden Nachmittag nach der Schule hier, um Texte zu schreiben und an neuen Songs zu basteln, die sie gemeinsam mit Omid Pouryousefi produzieren, erzählt der 17jährige Pascal. OT 07 (Pascal) "Die Chancen, die uns hier gegeben werden. Wir können hier viel lernen. Wir haben viele Auftritte, das würde man alleine gar nicht hinkriegen. Das kann unser Produzent und auch wir mittlerweile sehr gut managen. Vorher hatten wir ja keinen Plan, wie so was geht. Das hilft uns sehr, dass wir hier unterstützt werden. Außerdem macht es Spaß und wir verstehen uns. Das ist ganz wichtig." ATMO (Studio / Diskussion) "Sollen wir das mal hören?" AUTORIN Omid Pouryousefi blickt gespannt den 14jährigen Aria an. Der hat seinen Laptop aufgeklappt auf dem Schoß. Er soll seinen ersten eigenen Song vorspielen, den er zusammen mit Christo produziert hat. Das Thema "Armut macht Wut" - eine Kampagne des Jugendverbandes "die Falken", zu der x-Vision die Musik beisteuern will. Schließlich ist Armut ein Thema, mit dem sie sich auch sonst immer mal wieder in ihren Texten beschäftigen, erzählen Christo und Aria. OT 08 (Christo & Aria) "Wenn jetzt arme Kinder nicht so viele Kleider haben, nicht zur Nachhilfe gehen können wie andere oder nicht mit auf eine Klassenfahrt kommen können, weil sie kein Geld haben." AUTORIN Omid Pouryousefi lässt nicht locker, blickt Aria über die Schulter. Der streicht sich verlegen die schwarzen Locken aus der Stirn und schüttelt energisch den Kopf. "Der Song ist scheiße", nuschelt er. OT 09 (Pouryousefi) "Aber guck mal, das ist ein Fehler. Lass mal die Leute hören und selber urteilen. Du sagst von vornherein: Das ist schlecht. Wenn es sogar gut ist, dann denken sie, dass es schlecht ist. Das Problem ist ja nicht euer Rap, das Problem ist, dass ihr wenig Selbstbewusstsein habt. Du lachst, aber das meine ich jetzt sehr ernst. Es kann ja nicht sein, dass du irgendwas machst. Lass mal die Leute urteilen, die finden das alle gut." AUTORIN Widerwillig drückt Aria auf die "Play"-Taste, die anderen hören konzentriert zu. ATMO (Studio / Musik) "Armut macht Wut, Wut macht Hass..." AUTORIN Als der Song zu Ende ist, verziehen Aria und Christo das Gesicht und murmeln missmutig vor sich hin. ATMO (Diskussion) "Ey, jetzt seid ihr mal ruhig und die sagen ihre Meinung: Wie fandet ihr das?" "War ganz gut, aber wenn die den Track noch mal aufnehmen, dass man dann mal guckt, dass man nicht alles durchgehend rappt, dazu fehlt ihnen die Luft. An den Texten kann man auch noch arbeiten, die sind noch nicht ganz perfekt, manchmal zu viele Silben, aber sonst ganz okay." "Textmäßig ganz in Ordnung, vom Rap muss man halt, wie Abed gesagt hat, bei den Silben und der Luft noch mal gucken." AUTORIN Aria grinst verlegen und verdrückt sich mit Paris und Christo vor die Tür. Omid Pouryousefi schmunzelt nachsichtig. Der Produzent weiß, wie schwer es den meisten am Anfang fällt, ihre Songs den anderen vorzustellen. Doch genau das müssen sie lernen. Schließlich sollen sie sich später selbstbewusst bei Plattenfirmen bewerben. Und da muss man vor allem eines können: Kritik einstecken. ATMO (Studio) "Ah, okay, der ganze Beat ist nicht kopiert?" AUTORIN Omid Pouryousefi und Abed beugen sich über das Mischpult. Abed hat die Produktion des neuen Albums vorbereitet, Pouryousefi gibt Tipps. Der 18jährige Abed gehört zu den Profis in der Gruppe - seit kurzem ist er sogar Mitglied in der Geschäftsführung von "x-Vision". OT 10 (Abed) "Irgendwann kam Omid mal an und drückte mir den Schlüssel in die Hand und sagte: du kannst jetzt hier rein. Du bist sowieso schon ziemlich oft hier, und das ist dann auch besser so. Und dann hat er uns das gesagt mit dem Geschäftsführer, und natürlich hat uns das erstmal gefreut. Und das läuft sehr, sehr gut. Wenn die Leute dann hören, wir sind nicht nur Teil der ganzen Sache sondern auch die Leiter...Man kann schon stolz sein." AUTORIN Demnächst soll eine Firma gegründet werden, damit die Jugendlichen auch Plattenverträge unterschreiben und die Miete für das Studio überweisen können. Denn am Ende des Jahres läuft Omid Pouryousefis Vertrag aus, dann sollen die Jugendlichen das Projekt alleine weiterführen. OT 11 (Pouryousefi) "Unser Ziel ist es, die Leute zu professionalisieren. Wenn es Ende 2010 zu Ende ist und die selbständig ihre eigene Show organisieren können, dann haben wir nachhaltig gearbeitet." AUTORIN Professionell ist das Kernteam von x-Vision bereits jetzt. Obwohl die meisten erst seit kurzem Musik machen, klingen ihre Songs, als ob sie seit Jahren nichts anderes machen. MUSIK (X-Vision) AUTORIN Die Texte und die Musik schreiben sie selbst. Auch ihre Auftritte organisieren sie alleine. Omid Pouryousefi hilft nur noch beim beim letzten Feinschliff. Abed verbringt inzwischen seine gesamte Freizeit hier - aber es bleibt selten die Zeit, Musik zu machen. Meistens telefoniert er, organisiert die Proben und die nächsten Auftritte. Nebenbei will er bald seinen Führerschein machen. Außerdem sind da noch die Hausaufgaben. Die Prioritäten für ihn sind, genauso wie für alle anderen in der Gruppe, klar: Erst die Schule, dann die Musik. Abed geht in die 11. Klasse einer Gesamtschule, will in zwei Jahren Abitur machen und dann Grundschullehrer werden. OT 12 (Abed) "Überwiegend sind ja nur Frauen in dem Beruf. Und wenn ich da jetzt als Mann in den Beruf einsteige, und dann auch noch mit Migrationshintergrund, dann habe ich vielleicht einen besseren Einfluss als manch anderer in dem Beruf." ATMO (Schlüsselklappern) AUTORIN Am nächsten Tag trifft sich nur das Kernteam im Studio. Gemeinsam wollen sie zum Fest einer benachbarten Realschule gehen, bei dem sie einen Auftritt haben. Drei Songs werden sie heute vortragen, einer davon ist neu. Nervös? Nein, die Zeiten seien vorbei, meint Pascal und grinst. OT 13 (Pascal) "Ich bin eigentlich gar nicht mehr so aufgeregt. Ich hatte ja schon viele Auftritte. Ich nehme das ganz locker. Ich kann meinen Text, ich denke mal, es wird alles gut gehen, ich bin nicht so aufgeregt." ATMO (Aula) AUTORIN Die Aula der Realschule ist gut gefüllt, die Veranstaltung hat bereits angefangen. Abed und die anderen drängeln sich nach vorn zur Bühne. Der Tontechniker nickt - jetzt ist x-Vision dran. Im Gänsemarsch betritt die Gruppe die Bühne. Abed stellt sich nach vorn, begrüßt das Publikum, klatscht im Takt der Musik, dann greift er zum Mikrofon. MUSIK (X-Vision) "Ich bin wie du, du bist wie ich..." AUTORIN Einer nach dem anderen haben die Jungs ihren Solo-Einsatz, treten nach vorn auf die Bühne, dann reihen sie sich wieder in die Gruppe ein. Die Choreographie sitzt, die Texte sowieso. Es folgt lauter Applaus. ATMO (Applaus, dann draußen) AUTORIN Auf dem Schulhof trifft sich die Band zur Nachbesprechung - aufgeregt reden alle durcheinander. ATMO (Nachbesprechung Jugendliche) "Ich fand heute den Auftritt richtig gut, ich freu mich schon auf den nächsten." "Ich bin auch sehr zufrieden, war ein gut gelungener Auftritt, die Leute haben mitgemacht, obwohl sie die Lieder nicht kennen. Das war wieder mal ein kleiner Erfolg." AUTORIN Während x-Vision in Bochum-Wattenscheid schon alleine Songs schreibt und selbstsicher auf die Bühne bringt, steht ein anderes Musikprojekt von "Next Generation" noch am Anfang. MUSIK "Eins, zwei, drei: Sie macht es selbst....bring meine Mutter auf die Palme....Sie macht es selbst. Das mach ich schon immer..." AUTORIN In einem vollgestellten Jugendkeller in Essen-Katernberg, am anderen Ende des Ruhrgebiets, probt die Sängerin Bernadette La Hengst mit einer Mädchenband. Die Popmusikerin trägt die schulterlangen blonden Haare offen, über der Jeans trägt sie ein kurzes geblümtes Kleid. Bernadette La Hengst ist Anfang 40, lebt in Berlin und kommt nur zu den Proben am Wochenende nach Katernberg. Sie ist Solokünstlerin, hat mit Obdachlosen in Freiburg eine "Bettleroper" auf die Bühne gebracht und mit jungen Häftlingen in Hamburg Musik gemacht. Als sie von "Next Generation" erfuhr, war sie sofort begeistert und schlug die Gründung einer Mädchenband in Essen-Katernberg vor. Die gibt es jetzt seit gut zwei Monaten. Nadine, 17, lange braune Haare, hat einen zerknüllten Zettel in der Hand - darauf sind mit Bleistift einige Zeilen notiert. OT 14 (Nadine) "In unseren Texten geht es halt um das wahre Leben. Wir schreiben unsere Texte selber - das was wir fühlen, schreiben wir da rein, wie das halt für uns so ist. Wir haben jetzt ein Lied, das heißt ,Girlsplanet', da haben wir unsere Wünsche reingeschrieben, halt ein eigener Girlsplanet. In einer Strophe geht es darum, dass nur bestimmte Jungs reindürfen, wenn die einen Aufnahmetest bestehen." AUTORIN In allen Texten geht es um das Lebensgefühl als Mädchen in einem Viertel, das die Jugendlichen als "Ghetto" bezeichnen. "Hier kriegt man schon mal was auf die Fresse", erzählt die 17jährige Pia. Die Mädchen wirken schüchtern und zurückhaltend, wie sie im Halbkreis um Bernadette La Hengst herumstehen und darauf warten, dass die Sängerin den Takt angibt. Sie alle sind froh, dass sie in einer reinen Mädchenband singen, sagt Sabrina. OT 15 (Sabrina) "Man braucht sich nicht blamieren, ist die ganze Zeit unter Mädchen, man kann man selber sein." AUTORIN Alle acht Mädchen wohnen in Essen-Katernberg. In dem Stadtteil liegt die Zeche Zollverein - einst das größte Kohlebergwerk Europas, heute Weltkulturerbe, Museum und Veranstaltungsort. Doch sonst hat Katernberg heute nicht mehr viel zu bieten - das Viertel ist geprägt von Arbeitslosigkeit. Die Mädchen gehen auf die Haupt- oder Realschule, sie träumen davon, später Pädagogin, Kindergärtnerin oder Altenpflegerin zu werden. Vier Songs haben die acht Mädchen im Alter von 13 bis 17 geschrieben, doch sie lesen die Texte noch vom Blatt und verpassen auch schon mal ihren Einsatz. Bernadette La Hengst muss bei den meisten Passagen mitsingen. ATMO (Probe) OT 16 (Bernadette La Hengst) "Also, der Prozess ist der Weg und vielleicht auch das Ziel. Mal gucken, wie weit wir kommen. Wir haben bis jetzt vier Lieder geschrieben. Die können jetzt nicht viele Instrumente spielen. Ein Mädchen kann Schlagzeug spielen, einige probieren sich am Keyboard, wir haben auch ein Keyboard gekauft, das hier im Jugendzentrum bleibt, eine kann Gitarre spielen. Wir versuchen auch, sie an Instrumente zu bringen, aber es ist in erster Linie doch eher Lieder schreiben, Themen suchen. Wie möchten sie ihr Leben beschreiben, wie kann man das in einen Popsong fassen?" ATMO (Probe) "Lasst uns mal bei Euch beiden anfangen. Wir haben vorhin schon so ein bisschen geübt, und ihr wart noch ein bisschen unsicher." AUTORIN Bernadette La Hengst hat sich ihre elektrische Gitarre geschnappt - damit kann sie den Rhythmus besser vorgeben. ATMO (Probe) AUTROIN Demnächst steht das erste Konzert in einem Jugendzentrum an. Bis dahin müssen die Texte sitzen. Am Ende der Probe singt jedes Mädchen immerhin schon laut und deutlich sein Solo - ein kleines Stück geschafft auf dem Weg zu einem selbstbewussten Auftritt. -ENDE- 1