Deutschlandradio Kultur Sendung: Länderreport, 27. Juni 2012 Thema: Die Waffenstadt Oberndorf und ihr Trauma Autorin: Nana Brink Redakteurin: Heidrun Wimmersberg Moderation: Seit 200 Jahren werden in Oberndorf, einem kleinen Städtchen am Neckar, Waffen produziert. Erst beherrschten die Mauser-Werke die Geschicke der Stadt, heute sind es Rheinmetall und Heckler und Koch, größte Arbeitgeber der Stadt und Lieferant der Bundeswehr. Waren die schwäbischen Tüftler früher stolz auf ihre "Waffenkunst", herrscht heute große Verunsicherung. Gegen HK ermittelt die Staatsanwalt wegen illegaler Waffenausfuhr. Seit dem ist das Thema tabu. Wie das Thema Zwangsarbeiter im Dritten Reich, das die Stadt am liebsten ignorieren will. Nana Brink über die Stadt und ihr Trauma. Atmo: Musik O-Ton (1): Helmut Engisch, Journalist Also wenn Oberndorf in überregionalen Medien auftaucht, dann taucht Oberndorf natürlich oder wie selbstverständlich im Zusammenhang mit Waffenproduktion auf und - besonders bei solchen Gelegenheiten, zu denen Fragen entstehen, ob Exporte wohl zu Recht oder zu Unrecht, legal oder illegal zustande kamen. Und das wird als Vorwurf verstanden oder auch als vielleicht Ungerechtigkeit, diese eine Seite des Oberndorfer Lebens immer nur zu beleuchten und vielleicht liegen zu lassen. Autor: Sagt Helmut Engisch und drückt sich damit sehr diplomatisch aus. Seit drei Jahrzehnten arbeitet er als Journalist in Oberndorf. Eine Razzia bei Heckler und Koch, dem international bekannten Waffenbauer, letzten November hat die Menschen erschreckt: Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Waffenausfuhren nach Mexiko. Da haben Sie sich aber eine prima Zeit ausgesucht, meint der Kollege sarkastisch. Und: Erwarten Sie nicht zu viel! O-Ton (2): Helmut Engisch, Journalist Also wenn man in Oberndorf den Versuch macht, über das Thema Waffen zu sprechen und darüber, was man mit Waffen aus- oder anrichten kann, habe ich das Gefühl ..., dass einem eine gewisse Ablehnung entgegen kommt, die vielleicht mit Überlegungen zu tun, ob man sich ein schlechtes Gewissen machen müsste, in dem man solche Produkte herstellt, aber so im Alltagsleben, leben die Oberndorfern wie andere Menschen im Schwäbischen auch, die mähen ihren Rasen, fahren ihr Auto, gehen ab und zu in die Kneipe. Atmo: Marktplatz Autor: Am Marktplatz von Oberndorf mache ich die erste Erfahrung, wie es ist, über Oberndorf und seine Industrie zusprechen. O-Ton (3): Bürger Die Waffenindustrie ist am Boden, da hat man früher 2000 Gewehre gemacht, und heute sind sie froh, wenn sie überhaupt eines verkaufen...die Industrie Heckler und Koch ist eine gute Firma, wie weit die Waffen bauen, wissen wir gar nicht... die Mauser Maschinenbau, inwieweit die noch für die Bundeswehr arbeiten, weiß ich nicht... Industrie haben wir schon eine gute hier... (Autotür knallt zu). Autor: Es wird nicht die letzte Tür sein, die zuknallt. Oder gar nicht erst aufgeht. Zum Beispiel beim größten Arbeitgeber der Stadt: Die Waffenschmiede Heckler und Koch verbarrikadiert sich hinter einem hohen Stahlzaun. Die Firma Rheinmetall Defence wimmelt mich ab. Der Bürgermeister verweigert ein Interview. Eine Kollegin des Schwarzwälder Boten hat Angst, mich zu treffen. Selbst der Leiter des Waffen- und Heimatmuseums darf nicht mit mir sprechen. Oberndorf: Eine Stadt schottet sich ab. O-Ton (4): Klaus Kirschner, ehemals MdB SPD Nein, den Eindruck habe ich schon, man will sich nicht groß damit beschäftigen....Abschottung, damit wollen wir nix zu tun haben, wir können sowieso nix dafür und für uns sind Arbeitsplätze wichtig. Autor: Sagt Klaus Kirschner, der bis 2005 für die SPD im Bundestag saß und hier seinen Wahlkreis hatte. Er schmunzelt ein wenig, als ich ihm von meinen Erfahrungen berichte. Schauen Sie meine Herkunft an, dann verstehen Sie, - sagt er noch. O-Ton (5): Klaus Kirschner, ehemals MdB SPD Mein Vater war bei Mauer beschäftigt, meine Mutter war bei Mauser beschäftigt, damals im eignen Hallenbad, und nach dem Krieg, also mein Vater kam aus dem Krieg wieder, und nach dem Krieg war man froh, wo man Arbeitsplätze bekommen hat... und danach war mein Vater bei Heckler und Koch und auch ich war bei Heckler und Koch ... ich bin 55 aus der Schule gekommen, da wusste man nicht, geht das gut...ich habe Werkzeugmacher gelernt und dann später auch meine Mechanikermeisterprüfung gemacht. Atmo: Musik Autor: Vor genau 200 Jahren - im Jahr 1812 - beginnt die königlich württembergische Waffenfabrik in einem ehemaligen Kloster mit der Produktion von Gewehren. Noch heute liegt der barocke Bau wuchtig am Neckar, gleich daneben die Produktionshallen von Rheinmetall Defence. Wer in Oberndorf ankommt, sieht sofort, was das ansonsten kleine verschlafene Städtchen prägt. Wo heute Flugzeugwaffen gefertigt werden, begründen 1872 die schwäbischen Tüftler Wilhelm und Paul Mauser den Ruhm der Oberndorfer Waffenschmiede. Schon sie setzen auf Export, liefern in das Osmanische Reich und nach China. O-Ton (6): Georg Egeler, Büchsenmacher Atmo Waffenverschluss.... klackert... und das wäre nun der Schuss.... Autor: Der Büchsenmachermeister Georg Egeler steht vor einer Vitrine im Waffenmuseum von Oberndorf. Erst nach langer Überzeugungsarbeit trifft er mich hier. Wissen Sie, sagt er, was mir das letzte Mal passiert ist, als ich eine Journalistin traf? O-Ton (7): Georg Egeler, Büchsenmacher Die Frau hat mich durch die Mangel dreht .und hat nur, dass ich Jäger bin und Tiertöter, und so sieht der aus, mit Bild gleich, und das wurde in Berlin verbreitet, und seit dem ist natürlich bei mir Funkstille und bei der Stadt natürlich auch und auch dem ehemaligen Bürgermeister ging's ähnlich wie mir und aus dem Grund nur noch sachbezogen...also, fangen wir jetzt an....Der Virus liegt im Blut ... (lacht)... nenne ich es einfach so. Autor: Der Virus. Der Mauser-Virus. Er wird mich noch begleiten. - Vorsichtig nimmt der 71jährige ein Gewehr aus der staubigen Vitrine, das Modell 98. Er selbst hat es gefertigt. Erfunden haben es die Gebrüder Mauser vor über 100 Jahren. Ein Exportschlager: Das am weitesten verbreitete Armeegewehr der Welt im angehenden 20. Jahrhundert. Bis heute. In der Vitrine nicht weit entfernt staubt ein anderer Mythos vor sich hin: Das G3, - das erste Standardgewehr der Bundeswehr. Gebaut von einer Firma, die wie Mauser in Oberndorf Waffengeschichte geschrieben hat und noch schreibt: Heckler und Koch. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernehmen HK, wie die Firma hier nur genannt wird und der Rüstungskonzern Rheinmetall als Nachfolger von Mauser die Geschicke der Oberndorfer Waffenproduktion. Aber warum Waffen? Die Produktion war in der Nachkriegszeit verboten. Bis sich der Virus durchsetzte. Der Mauser Virus. O-Ton (8): Georg Egeler, Büchsenmacher Drei Ingenieure, die sich selbstständig gemacht haben in der Arbeiterbaracke, sag ich jetzt einfach so, das war der Ursprung, und wenn Sie heute das Museum von Heckler und Koch besichtigen, dann sehen Sie vorne einen Musterkoffer und das sind nicht G3 -Teile oder Waffenteile drin, sondern Nähmaschinenteil. Das war der Mauser-Virus, nennen ich ihn jetzt einfach so... (lacht)... die haben damals auch schon laboriert, wieder probiert, denn fast zeitgleich kam ja auch das G3 und die Bundeswehr war auf der Suche nach einem neuen Gewehr und den Auftrag wollte sich natürlich Heckler und Koch nicht entgehen lassen. Autor: Schwäbisches Tüftlertum gepaart mit Geschäftsinn - eine Kombination, die schon die Gebrüder Mauser perfekt beherrschen. Ihre Nachfahren ziehen gleich - und produzieren ein Erfolgsprodukt nach dem nächsten. Nur sehen soll es keiner. Das Museum von Heckler und Koch, von dem der Büchsenmacher Egeler erzählt, bleibt mir verschlossen. Nur Soldaten, Beamte der Sicherheitsbehörden, Abgeordnete und Polizisten dürfen die Erfolgsprodukte besichtigen. Fachleute, wie man bei HK sagt. Leute wie der Experte in einem Waffenmagazin, der seine MP5 hochhält und strahlt: "Keine Kompromisse", der Wahlspruch von Heckler und Koch. O-Ton (9): Georg Egeler, Büchsenmacher Die kommt in jedem Fernsehkrimi vor, wird überall gezeigt... das hier ist das gleiche Modell mit Schalldämpfer... das war die Waffe verkleinert, für die Bader Meinhof Gruppe, damals hat man sie im Aktenkoffer geführt. Autor: Die Rote Armee Fraktion hat die MP5 in ihrem Logo unsterblich gemacht. Eine eher unfreiwillige PR für eines der "führenden Unternehmen auf den Gebiet der Handfeuerwaffen", wie sich Heckler und Koch selbst nennt. Der Waffenhersteller ist in der Branche so bekannt wie Daimler in der Autoindustrie. Präzision - made in Germany. Deutsche Soldaten schätzen die Waffen von Heckler und Koch. Vor der letzten Vitrine lässt sich der Büchsenmachermeister Egeler dann doch zu einem Kommentar hinreißen. O-Ton (10): Georg Egeler Und das hier ist für mich was Schlimmes, die MP7, hat heute die Bundeswehr, die Munition ist sehr klein, 4,3 Millimeter ... und Sie wissen, die durchschlägt auf 300 Meter die Nato-Schutzweste einseitig und auf 150 Meter beidseitig, - hoffentlich kommt die nie in falsche Hände...Ja mein Gott, die zahlen auch Steuer an die Stadt.... auch da steckt der Mauser-Virus drin, nennen Sie es einfach so. Autor: Besser könnte man das Schicksal des kleinen Städtchens am Neckar nicht beschreiben: Der Mauser-Virus - Segen und Fluch zugleich. Bis heute. Atmo: Musik O-Ton (11): Ehepaar vor HK Also Mauser war immer da und Heckler und Koch auch, so lange ich in Oberndorf bin, und vor allem die haben auch am besten bezahlt...die Textilfirmen sind alle kaputt gegangen.. .und wenn die nicht liefern, machen es anderen...machen es andere, ist logisch... Autor: Vor dem hohen Zaun am Eingang von Heckler und Koch kommen die Arbeiter aus der Spätschicht. Fast alle gehen wortlos an meinem Mikrophon vorbei, viele winken ab, halten die Hand auf den Mund. Es herrscht eine feindselige Stimmung. Das kenne ich anders: Bei meinen Recherchen vor 10 Jahren öffnet Heckler und Koch seine Tore und lässt mich in die Produktionshallen. Die Bundeswehr hat ihre ersten Auslandseinsätze hinter sich: "Keine Kompromisse" bei der Ausstattung. Der Wahlspruch von HK. Im Jahr 2004 übernimmt der Unternehmer Andreas Heeschen als Hauptinvestor Heckler und Koch. Die Firma gerät in Schwierigkeiten, die Bundeswehr baut Kapazitäten ab, man setzt verstärkt auf den Export, - wie schon die Mauser-Werke im 19. Jahrhundert. Das ist er wieder: Der Mauser-Virus. Regie: Musik Autor: Jeder Waffenexport einer deutschen Firma muss vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle genehmigt werden. Entscheidend für die Genehmigungen sind die so genannten Endverbleibszertifikate, - also die Firma muss nachweisen, dass die exportierten Waffen nicht weiterverkauft werden. Heckler und Koch hat das jetzige Standardgewehr der Bundeswehr, G 36, mit Genehmigung des Bundesamtes nach Mexiko verkauft. Angeblich jedoch ist es auch in vier Provinzen geliefert worden, in denen der Drogenkrieg tobt und die ausdrücklich nicht auf der Genehmigungsliste stehen. Im November 2011 schließlich durchsuchen 300 Beamte der Kriminalpolizei und der Stuttgarter Staatsanwaltschaft die Firmenzentrale von Heckler und Koch. Ihre Beute: 150 Kartons, voll mit Akten und Computern. Das Ereignis, das keinem in Oberndorf entgangen sein dürfte, findet sich in der lokalen Presse nur als kurze Nachricht wieder. Keiner spricht darüber, - weder vor, noch hinter dem Zaun. Kein Kommentar. O-Ton (12): Klaus Kirschner, ehemals MdB SPD Die Diskussion gab's ja immer, sie wurde nicht offen geführt...Das hat sehr viel mit Abhängigkeit zu tun... man will nicht gern drüber reden, ich weiß eigentlich gar nicht warum, ich rede ja auch offen darüber, dass ich sage: Man braucht Waffen einerseits, aber es ist eine Problematik, durch die Veränderung der Weltlage, ist die Bundeswehr wesentlich reduziert worden, wird weiter reduziert, ist nur noch eine Berufsarmee...das bedeutet natürlich wesentlich weniger Waffen, was Kleinwaffen angeht und da ist natürlich eine Riesengefahr, wenn man in den Export geht, das man in Grauzonen gerät, vielleicht auch unbewusst, wo das nicht mehr kontrollierbar ist. Autor: Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Klaus Kirschner, der bei Heckler und Koch seinen Meister gemacht hat, beobachtet die Firmengeschichte schon lange. In der Wirtschaftspresse hat man registriert, dass Heckler und Koch seit ein paar Jahren Finanzierungsprobleme hat. Die Rating-Agentur Standard and Poor's bewertet die Bonität des mittelständischen Unternehmens mit "CCC", - also negativ. Seit die Bundeswehr als Großabnehmer ausfällt, setzt HK verstärkt auf den Export; schon 70 Prozent der Produktion soll ins Ausland gehen. Die Zahl der Beschäftigten sank von 2.000 auf heute 600, - auch wenn Heckler und Koch damit immer noch der größte Arbeitgeber der Stadt ist. Und der begehrteste, wie der Journalist Helmut Engisch weiß, denn man war der Überzeugung, mit der Waffenproduktion auf der moralisch sicheren Seite zu stehen. Ein Argument, welches beim umstrittenen Deal mit Saudi Arabien nicht mehr so recht funktionieren will. Vor ein paar Jahren hat Heckler und Koch eine Lizenz für die Produktion des G 36 nach Saudi-Arabien verkauft, - neben dem Export ein lukratives Geschäft, denn HK-Waffen sind nach wie vor begehrt. Mittlerweile haben die Saudis eine Waffenfabrik errichtet, in der das G 36 gefertigt wird. Noch dürfen die Wüstenscheichs die Gewehre aus eigener Herstellung nur mit Genehmigung der Bundesregierung exportieren. Noch. Aber auch darüber spricht keiner mit mir, - nicht vor und nicht hinter dem Zaun. Und auch im Bürgermeisteramt komme ich nicht weiter, trotz mehrfacher Anrufe. Ein persönliches Interview lehnt der Bürgermeister von Oberndorf ab. Meine Fragen wird er nur schriftlich antworten: Sprecher: "Mit ist nicht bekannt, dass sich die Menschen hier nicht mit ihren Unternehmen identifizieren. Das Gegenteil ist der Fall, insbesondere auch in Bezug auf die bei uns in der Waffenfertigung ansässigen Betriebe. Die Zurückhaltung unserer Bevölkerung mit Äußerungen zu den wehr- und sichertechnischen Betrieben hat - sollte es eine solche geben - sicherlich ihren Hintergrund in den meist tendenziösen und klischeehaften Medienberichterstattungen". O-Ton (13): Klaus Kirschner, ehemals MdB SPD Das ist für mich auch nicht nachvollziehbar, wenn ein Bürgermeister sich solchen Fragen nicht stellt, da ist doch nichts dabei, er ist doch als Bürgermeister hier gewählt, für diese Stadt der erste Repräsentant, er muss keine Geschäftspolitik erklären, aber er kann doch die Fragen beantworten. Regie: Musik Autor: Gewisse Fragen beantwortet man in Oberndorf nicht gern. Das betrifft nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit. Der Mauser-Virus sitzt tief in der Psyche der Stadt. Im Heimatmuseum erinnert eine kleine Tafel an die Zeit zwischen 1933 und 1945. Kein Hinweis auf die kriegswichtige Produktion: Die Mauser-Werke hatten zu Hochzeiten bis zu 11.000 Beschäftigte. Kein Hinweis auf das Schicksal der Zwangsarbeiter, die in den Mauser-Werken schuften mussten. Auch die Website von Oberndorf schweigt dazu. Nach Schätzungen von Experten lag der Anteil der Zwangsarbeiter bei über 50 Prozent. Insgesamt geht man von 12.000 aus, die während des Krieges in Lagern untergebracht waren. Eines lag im Stadtteil Altoberndorf. Ulrich Pfaff, der lange als Entwicklungshelfer in Afrika gearbeitet hat, ist nach seinem Ruhestand an den Ort seiner Kindheit zurückgekehrt. O-Ton (14): Ulrich Pfaff Da ist das Häuschen, das Fachwerkhäuschen, in dem ich geboren bin und aufgewachsen bin...und dann kam Wiese und dann das Zwangsarbeiterlager mit 200 Menschen drin, Stacheldraht, Wächter außen rum und täglich viel Betrieb, vor allem morgens zum Arbeitsbeginn, da wurde ein großer Umzug organisiert nach Oberndorf rein, schreckliche Sache, wenn die armen Gestalten dann von Wächtern begleitet ....reingetrieben worden sind nach Oberndorf in die Waffenfabrik. Autor: Auf dem Gelände des ehemaligen Lagers ist heute eine Siedlung mit Einfamilienhäusern. Nichts erinnert an das Schicksal der Zwangsarbeiter dort. Als ich mit Ulrich Pfaff durch die Siedlung laufe, blicken die Menschen misstrauisch. Keiner will mit uns sprechen. Und auch hier bleiben die Türen zu. Vor einem Kinderspielplatz bleiben wir stehen. O-Ton (15): Ulrich Pfaff Da habe von Afrika aus schon einen Brief geschickt an die verschiedenen Fraktionen des Stadtrates, dass die das jetzt einfach zubauen, und da stand ein letzter Sockel aus Beton von der ersten Baracke hier, ....bitte bitte rettet den doch als Erinnerung als ein Stück Erinnerung von dem ganzen schrecklichen Lager, - haben sie nicht gemacht, aber sie wissen noch, dass ich das mal gefordert habe. Und ich habe dann später auch im Ortschaftsrat daran erinnert, dass wir immer noch kein Mahnmal haben am authentischen Ort, ich hätte immer gedacht, da gehört das hin, auf das alte Fundament....das Buch der Erinnerung jetzt, das steht am Ende des Lagers, da gehen wir hin. Atmo: Knarrende Eisentür (Buch der Erinnerung) Autor: Ulrich Pfaff schlägt ein neues Kapitel in der Ortsgeschichte von Oberndorf auf. Am Ende der Sackgasse - fast unsichtbar von der Straße - steht das "Buch der Erinnerung", eine meterhohe eiserne Installation in Form eines Buches, in dem die Standorte der bekannten Lager und die Namen der verstorbenen Zwangsarbeiter eingraviert sind: 307 sind es bislang. Jahrzehnte hat es gedauert, bis die Stadt Oberndorf ein Mahnmal errichten ließ. Erst im Januar 2007 wurde es eingeweiht. Dass es dieses "Buch der Erinnerung" überhaupt gibt, ist einer kleinen Gruppen von engagierten Bürgern rund um Ulrich Pfaff zu verdanken. Für ihn ist das Kapitel damit auch noch nicht zu Ende. O-Ton (16): Ulrich Pfaff Euthanasie ist ein Thema, das auch noch seinen Niederschlag finden wird, und wir haben jetzt frisch entdeckt, dass viele Zwangsarbeiter aus Oberndorf in Orten rings herum gestorben sind oder umgebracht, wir wissen es nicht...und wir werden darüber informieren, was wir herausgefunden....im Grunde auch nicht abgeschlossen, weil das auch eine Kampfansage ist gegen Neonazis, insofern ist das nicht abgeschlossen, wir haben eine Bildungsaufgabe und Sie sehen an diesen Mahnmal, wo wir stehen, ich zeige es Ihnen, Naziinschriften, Nazi- Schmierereien, das ist nicht erledigt, wir können uns nicht abmelden und sagen, so was droht uns nie wieder. Atmo: Knarrende Eisentür (Buch der Erinnerung) Autor: Und so steht das "Buch der Erinnerung" dort, wo man es nicht sieht - oder schlecht sieht. Für Ulrich Pfaff symptomatisch. O-Ton (17): Ulrich Pfaff Dass man Schwierigkeiten hat über diesen ganzen Rüstungskomplex in Oberndorf zu reden, ja schon zu denken, verbietet man sich, es wird umgangen, und dabei um das zu umgehen, gibst verschiedene Mechanismen des Ausweichens... das war ja gar nichts! Und dann weist man nach: Doch da war was, und dann sagt man, - ja man muss doch auch vergessen können. Bei Kirchens noch dramatischer, für mich, eigentlich noch schlimmer, denn dort wird dann ausgewichen vor Weltverantwortung und Bewusstseinsbildung, in dem man fromme Innerlichkeit pflegt. Atmo: Musik Autor: Fromme Innerlichkeit, ein Merkmal des schwäbischen Pietismus, der in Oberndorf besonders beliebt scheint. Und mit dem Mauser-Virus sympathisiert. Gerhard Rouppel ist seit 2 Jahren als evangelischer Pfarrer in Oberndorf. Er ist einer der wenigen, der mich zu einem Gespräch einlädt. O-Ton (18): Gerhard Rouppel, Pfarrer evangelische Gemeinde Ich sehe einfach, dass man auch ausweicht, warum auch immer. Ich denke auch, man sollte nachdenken, wenn das schon immer wieder auf den Tisch kommt von Medien und so weiter, inwieweit man sich nicht mal an den Tisch setzt und offen drüber redet, alle Beteiligten dieser Stadt und mal nachdenkt, wie wir selbst mit dem Thema umgehen. 1 1