Musik Ran Shevi CD: "The Ghost of Abbey" Label Zfunot Tarbut, 2006 Take 1 (Leshem): Today sixty percent of the officers ... Darauf 1. Sprecher: Heute sind 60 Prozent der Offiziere in den Kampfeinheiten Nationalreligiöse, oder sie kommen zumindest aus religiösen Familien. Also sind sie ideologisch motivierte Kämpfer, und das markiert einen riesigen Wandel. ... this is a huge change. Autorin: Ron Leshem, 32 Jahre alt, Journalist und stellvertretender Programmdirektor des Fernsehsenders Channel Two. Von seinem Debütroman "Wenn es ein Paradies gibt" wurden in Israel über 100.000 Exemplare verkauft - ein Sensationserfolg. Angehörige getöteter Soldaten lesen bei Begräbnissen immer wieder Passagen aus Leshems Roman vor. Take 2 (Leshem): When you ask our important writers ... Darauf 1. Sprecher: Wenn du die bekanntesten israelischen Autoren fragst, warum sie nicht mal über Finanzschiebereien schreiben oder über den Ersten Libanonkrieg oder den Jom-Kippur-Krieg, dann antworten sie immer, das sei alles noch zu frisch, zu nah. Am 24. Mai 2000 sind wir nach achtzehn Jahren aus dem Libanon abgezogen. Keine drei Tage später war das Wort "Libanon" schon aus den Zeitungen verschwunden, und dabei blieb es bis zu Beginn des Zweiten Libanonkrieges am 12. Juli 2006. In den 90er Jahren hatte man das Gefühl, der Erste Libanonkrieg sei schon vergessen - dabei war er noch voll im Gang. ... during the nineties. Autorin: Yitzhak Laor wurde im April 1948 - vier Wochen vor der Gründung des Staates Israel - in Pardes Hanna geboren. Er ist neben Yehuda Amichai der sprachmächtigste Poet. Laor schreibt Essays und gibt die unabhängige, antizionistische Vierteljahreszeitschrift "Mita'am" heraus. Ins Deutsche übersetzt sind seine Romane "Steine, Gitter, Stimmen" und "Ecce Homo". Take 3 (Laor): First of all Israelis won't say they are militarist ... Darauf 2. Sprecher: Israelis würden niemals zugeben, dass sie Militaristen sind. Jemand, der von außen kommt, erkennt sofort, in welchem Maß die Armee hier bewundert wird. Und selbst wenn es nichts mehr zu bewundern gibt - weil sie ihre Arbeit nicht gut erledigen -, so sollte man doch wenigstens die einfachen Soldaten achten. Da wird die "Kameradschaft" hochgehalten. Welche Katastrophen solche Werte wie "Kameradschaft" begünstigt haben, das hätte man eigentlich aus dem Zweiten Weltkrieg lernen können. ...desaster came from these values. Take 4 (Zamir): I want to talk about the israeli army as a one big brothel. Autorin: Die Armee: ein einziges großes Bordell für Michal Zamir, 44 Jahre alt, Tochter eines Mossad-Generals. Sie ist in Zahala aufgewachsen - einem Vorort von Tel Aviv, in dem hochrangige Angestellte der Zahal - der israelischen Verteidigungsstreitkräfte - mit ihren Familien abgeschottet lebten. Michal unterrichtet Jiddisch an der Universität Tel Aviv. Ihren Roman "Das Mädchenschiff" empfindet sie als persönlichen Befreiungsschlag. Sie schrieb ihn zwanzig Jahre nach Ende ihres Militärdienstes. Take 5 (Zamir): It's funny because they are ... Darauf Sprecherin: Das ist lustig, denn die Armee beschreibt sich selbst als tugendhaft. In ihrem Selbstverständnis repräsentiert sie Männlichkeit, Heldentum und Opferbereitschaft. ... heroism and sacrifice. Autorin: Yiftach Ashkenazy lebt in Jerusalem. Der 28jährige arbeitet in Yad Vashem. Er führt Besucher durch die Gedenkstätte und begleitet Zeitzeugen. Sein neuer Erzählband heißt: "Mein erster Krieg?. Take 6 (Ashkenazy): I am looking for the soldiers ... Darauf 3. Sprecher: Ich interessiere mich für die einfachen Soldaten, die ihren Teil Verantwortung tragen müssen - am Checkpoint zum Beispiel. Es gibt immer einen Weg, jemanden durch zu lassen. Was kann man dir als Soldat schon anhaben? Sie können Dich ins Gefängnis stecken, aber Du hast doch die Wahl, abzulehnen, was deine Kultur dir sagt: nämlich dass du der Gute bist. Ich habe die Prüfung nicht bestanden. Ich versuche jetzt etwas nachzuholen, indem ich mich als Teil meiner Kultur erkenne und sie zugleich auch hinterfrage und bekämpfe. ... and on the other hand to fight against it. Musik Autorin: Im 60. Jahr der Gründung des Staates Israel feiern sich die israelischen Verteidigungsstreitkräfte, aber der Ruf der "Zahal" als unschlagbarer, moralisch gefestigter Armee und Schmelztiegel der Nation ist erheblich beschädigt. Generäle sind in Korruptionsskandale verwickelt. Die Bewegung der "Refuzniks" wächst stetig: Sie verweigern den Dienst auf den Golanhöhen und nehmen Haftstrafen in Kauf. Das logistische Chaos während des Zweiten Libanonkrieges im Sommer 2006 hat zwar weite Teile der Bevölkerung erschüttert, doch bedauert die Mehrheit keinesfalls, dass dieser Krieg überhaupt geführt worden ist. Empört war man, weil er schlecht vorbereitet wurde und ergebnislos endete. "Wer hält heute in Israel eigentlich den Kopf für die anderen hin?" fragt Ron Leshem. Take 7 (Leshem): Specially with the last ten years ... Darauf 1. Sprecher: Besonders in den letzten zehn Jahren - nach Kriegen, die keine übermäßige Zustimmung bei der Bevölkerung fanden - hat sich die Elite mehr und mehr aus den Kampftruppen zurückgezogen. Aus ideologischen Überzeugungen oder aus Gewissensgründen. Auch die Kinder der reichen Leute suchst du dort vergeblich. Heute dienen 35 Prozent der Achtzehnjährigen in Einheiten, in denen Computerkenntnisse oder geheimdienstliches Wissen gebraucht werden. Sie arbeiten in Tel Aviv. An den Grenzen, da siehst du nur die Armen, die Neueinwanderer und die Nationalreligiösen. Das ist eine neue Armee, die sich da gebildet hat, ein neues Israel. ... It's a very new army, a new Israel. Autorin: Lediglich eine Handvoll Schriftsteller wagt den Nahblick auf innere Zwänge, denen Armeeangehörige sich beugen oder entziehen - mal in hautnah-realistischer Manier, zynisch und melancholisch; mal grell überzeichnet, verzweifelt-obszön. Nur Yitzhak Laor wählt und beherrscht die Form der Groteske. 1972 verweigerte er den Einsatz im Westjordanland und ging dafür ins Gefängnis. 1982 gründete er das erste Bürgerkomitee gegen die Invasion des Libanon. Take 8 (Laor): All the wars here are the same ... Darauf 2. Sprecher: Hier ist ein Krieg wie der andere. Am deutlichsten wird das, wenn man ansieht, wie Soldaten (in der Presse, aber auch in der Literatur) beschrieben werden. Sie werden immer als die kleinen Jungs dargestellt, die unseren Schutz brauchen. Nein, wir müssen unsere Kinder nicht davon abhalten, Soldaten zu werden. Wir müssen sie auch nicht von den Soldaten fernhalten. Wir sollten Soldaten aber wie Soldaten behandeln. "Was ihnen passiert, stößt auch uns zu": Dieses Denken beschreibt den Kern des israelischen Militarismus. Die Verwundbarkeit der Soldaten trifft uns. Wir sind ihre Eltern, und sie sind unsere Kinder. Nein, es sind nicht unsere unschuldigen "Kinder". Sie richten Schaden an und verüben furchtbare Taten. ... they do terrible things. Autorin: In Laors Roman "Ecce Homo" notiert ein Mann in sein Tagebuch, er lebe nur für den Sohn, aus Angst, ihn "allein, ohne Vater" auf der Welt zurückzulassen. Der Sohn stirbt vor dem Vater. Er schießt sich eine Kugel in den Kopf, weil er unmittelbar vor der letzten Prüfung, die ihm das ersehnte und erkämpfte rote Barett der Fallschirmspringer-Elite sichern sollte, grundlos degradiert wurde. Die Mutter hatte einen befreundeten General darum gebeten, diesen Schritt zu veranlassen, um den Sohn so vor jeder weiteren Zurichtung in geheimen Sonderkommandos zu bewahren. Die Verlassenheit der Söhne, die sich gegen den Willen der Eltern klar zu Militär und Staat bekennen, und die Einsamkeit der Eltern in ihrer Angst, ihr Kind werde auch auf unschuldige Menschen zielen, liegt wie ein Trauerflor über den zahllosen Geschichten des in seinen Perspektiven vielfach gebrochenen Romans "Ecce Homo". Take 9 (Laor): There is no enemy ... Darauf 2. Sprecher: Es gibt keinen Feind. Du siehst ihn einfach nicht. Du bringst jemanden um, aber ein menschliches Gesicht hat er nicht. Das trifft für die Politik genauso zu wie für die Literatur. ... in politics as in literature. Autorin: Der Protagonist in Yitzhak Laors Roman "Ecce Homo? ist General Adam Lotem - ein zynischer Menschenschinder mit mehreren geheimen Leben. Ihn verlangt es plötzlich nach Schönheit, und er versenkt sich monatelang in die Malerei der italienischen Renaissance. Universitätsprofessoren hofieren den studierenden General. Er zitiert Dante, Euripides, Seneca und Platon. Dieses Zerrbild eines israelischen Befehlshabers hofft mit einer wahrhaft titanischen und aberwitzigen Aktion, die als das "größte Fiasko in der Geschichte der modernen Armeen" enden soll, seine bisherigen Schandtaten auszulöschen. Als er jedoch die Unmöglichkeit erkennt, seinen Plan allein durchzuführen, beginnt ein innerer Amoklauf - der im Koma endet. Dieser Zustand zwischen Leben und Tod symbolisiert die Heruntergekommenheit einer Schicht, die immer noch als die Elite ihres Landes angesehen wird. Take 10 (Laor): Our Army is a huge ... Darauf 2. Sprecher: Unsere Armee hier ist ein riesiger Apparat, der zu nichts taugt. Im letzten Libanon-Krieg hat sie gegen 1000 Partisanen gekämpft. Manche sagen, es seien 3000 gewesen. Ende Juli haben sie die komplette Armee in den Libanon verlegt. Rekruten haben sich darum gerissen, dabei zu sein. Soldatenmangel gab es nicht. Irgendwas ist wirklich krank hier. Es wurde soviel Leid über andere Leute gebracht. Und seither hat man es eilig, amerikanische und europäische Politiker aus dem Ausland nach Sderot zu bringen. Sderot wird regelmäßig von der Hamas in Gaza mit Raketen beschossen. Aber nach Gaza geht niemand, um zu sehen, welche furchtbaren Dinge dort geschehen. ... see the terrible things in Gaza. Take aus dem Film "Beaufort" Autorin: Im Gazastreifen hat Ron Leshem tagelang israelische Soldaten bei ihren Einsätzen begleitet. Viele von ihnen waren bis Mai 2000 im Libanon stationiert. Die Gespräche mit den Soldaten haben Leshem, wie er selbst sagt, zutiefst verstört. Sie leiden an Albträumen, sie haben Freunde verloren, ihnen wurden Gliedmaßen amputiert, sie sprechen von ihrer Mission im Libanon als der härtesten Zeit ihres Lebens, und doch sehnen sie sich zurück nach dem Berg, auf dessen Gipfel sie kaserniert waren. Ron Leshems Roman "Wenn es ein Paradies gibt? trägt im Hebräischen den Titel "Beaufort". Beaufort ist eine 800 Jahre alte Kreuzfahrerfestung im Süden des Libanon. Die Hizbollah beschoss von dort aus jahrelang israelische Orte in der Grenzregion. Im Juni 1982 eroberte die Zahal die strategisch wichtige Festung. Achtzehn Jahre später wurde die "Operation Frieden für Galiläa" abgebrochen und die Festung Beaufort geräumt. Er beschreibt, wie ein Dutzend junger Elitesoldaten unter einer drei Meter dicken Betondecke darauf wartet, die Festung zu verlassen. Selbst in der Defensive sind die Krieger gefährdet. Stirbt einer von ihnen, dann beginnen die zurückgebliebenen Soldaten das Spiel "Er wird nicht mehr ...". Jeder Soldat muss schnell assoziieren und den angefangenen Satz beenden. Take 11 (Leshem): Lesung auf Hebräisch Darauf 1. Sprecher: Jonathan wird seinen kleinen Bruder nicht mehr mit ins Kino nehmen. (...) Er wird Shawn nicht mehr sehen, wie der an der hässlichsten Nutte in ganz Nahariya hängen bleibt, und das, nachdem er über uns alle gelacht hat. Er wird nicht wissen, wie beschissen es ist, wenn er dir nicht steht. Er wird nicht wissen, ob seine Schwester geheiratet hat, wird nicht mit uns vom höchsten Berg in Südamerika pinkeln (...) Jonathan wird im Leben nicht wissen, wie River, der Sani, über seinem Leichnam geweint hat, sich weigerte loszulassen, zerbrochen ist, durchgedreht. Jonathan wird nicht wissen, wie Forman und ich einen geschlagenen Tag lang die Verbindungsgräben und Hänge abgelaufen sind, um seinen verschwundenen Kopf zu suchen. Als die Rakete in dem Wachunterstand einschlug, erwischte es seinen Kopf, und er rollte in den Litani. Wir wollten nicht glauben, dass er bis nach unten gerollt war, bis zum Fluss, aber genau das war passiert, und am Ende haben wir die Sucherei aufgegeben. Take (Leshem): Lesung auf Hebräisch noch einmal hochziehen Ron Leshem: "Wenn es ein Paradies gibt". Roman. 349 Seiten Aus dem Hebräischen von Markus Lemke Rowohlt Berlin, 2007 Autorin: Es gehört zu den besonders schmerzhaften Szenen des Romans, wenn Ron Leshem schildert, wie Generäle mit einem Hubschrauber in der Festung zu einem Routinebesuch landen. Aus einer Tür springen sie ins Freie, während gleichzeitig durch die andere geöffnete Tür der Leichnam eines Soldaten ins Innere geschoben wird. Die Befehlshaber nehmen die Totenbahre nicht einmal zur Kenntnis. Das Wort "sterben? ist bei den kämpfenden Soldaten mit einem Tabu belegt. Sie sprechen einzig von "verschwendetem" Leben. Getötete Soldaten nennen sie "Vergeudete". "Aufgegessene" sind Männer, die sich vor Angst verzehren. Leshem erzählt, dass die Soldaten ständig neue Wörter erfanden, um ihren angespannten Zustand zu beschreiben, und sie erfanden eben so viele abergläubische Riten. 1. Sprecher: Aufgegessene klebten sich ein Amulett des Zadik aus Yavne'el an die Weste oder packten sich eine Karte des Lubawitscher Rebbe unters Kopfkissen, steckten sich eine alte chinesische Münze in die Uniformhose, ließen sich einen Engel auf den Bauch tätowieren oder errichteten einen kleinen Altar, um den sie herumtanzten, bevor sie unter freien Himmel traten, sich der Gefahr aussetzten. Sie achteten darauf, Abstand vom Nächsten zu halten, wenn die Kamera lief, ließen Platz für die "Todeskreise", die rote Strichelung, mit der die Zeitungsfritzen sie auf dieser "letzten Aufnahme" markieren würden. Eine Pornographie des Sterbens. Autorin: Ron Leshem hat während seiner Recherche in Gaza mehrere hundert Stunden privates Videomaterial der Soldaten angeschaut. Take 12 (Leshem): They were shooting themselves out of boredom ... Darauf 1. Sprecher: Sie haben sich aus Langeweile gefilmt und weil ihre Mütter eines Tages sehen sollten, wie sie dort in der Festung gelebt hatten. Man hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass es beim Drehen um ihr Testament ging. Es begann immer mit einem Witz. "Wenn ich vergeudet werde - sie sagten nie, wenn ich getötet werde -, dann bekommt Eres meine Gitarre, der bekommt mein Bett und der meinen Kassettenrecorder. Ich hatte immer das Gefühl, es ist ihnen wirklich ernst damit. Sie dachten beim Filmen daran, dass ihre Mütter und Väter, dass Fernsehsender und ihre Freundinnen das Video einmal sehen würden. ...the tv-stations and girlfriends. Autorin: Die israelischen Soldaten ähneln den arabischen Selbstmordattentätern, die vorsätzlich auch Zivilisten töten, mitnichten, und doch frappiert es, dass die politischen Gegner gleichermaßen letzte Botschaften filmen. Ron Leshems Charaktere haben kaum mehr Verbindung zu Leuten, die keinerlei Kriegserfahrung besitzen. Was gibt es zu reden mit denen, die niemals "dort" waren? Take 13 (Leshem): The israeli ts totally exhausted ... Darauf 1. Sprecher: Die Israelis sind vollkommen erschöpft und ausgebrannt. Junge Leute schließen die Augen vor dem, was passiert. Ihr Verhalten hat oft etwas Pathetisches, aber es zeigt eben, dass sie nicht klarkommen. Den meisten jungen Israelis aber ist die Lage egal. Sie führen ein flippiges Leben in Tel Aviv, 24 Stunden, sieben Tage die Woche, und vierzig Kilometer südlich von hier schlagen Kassam- Raketen ein. Und im Gazastreifen hungern die Leute. Dieses Land ist eine riesige Nervenheilanstalt. ... a huge mental institution. Musik Autorin: Ron Leshems Romanwelt ist ein dezidiert männlicher Kosmos. Michal Zamir hingegen hat eine ausschließlich weibliche Erzählperspektive gewählt. In ihrem Roman "Das Mädchenschiff" beschreibt sie hochrangige Offiziere der Streitkräfte als triebgesteuerte Machos, die Rekrutinnen als naive und willfährige Untergebene. Sie kochen Kaffee, sie langweilen sich in Schreibstuben oder im Materiallager eines Militärstützpunktes. Abends kehren sie heimlich in Büroräume zurück, um Sex mit verheirateten Offizieren und Brigadegenerälen zu haben. Drei Abtreibungen zahlt die Armee. Die Formalitäten sind umso schneller erledigt, wenn die Frauen sich bereit finden, in die Rubrik "Vater des Kindes" "Araber" zu schreiben. Ein ironischer Seitenhieb auf den verdeckten Rassismus der Israelis, meint die Autorin. Michal Zamirs Ton ist abgeklärt und manchmal obszön. Das ist der Panzer, hinter dem die Verzweiflung über das zwischengeschlechtliche Elend lauert. Take 14 (Zamir): I don't have the sense for luxury ... Darauf Sprecherin: Ich habe einfach keinen Sinn für das geschmeidig Schöne. Das Wort "Bauer" gefällt mir zwar nicht besonders, aber ich habe bäuerliche Eigenschaften, etwas Raues eben. Ich bin nicht gerade feinfühlig. Ich mag das leicht Dreckige, den billigen Touch von Sachen. Und außerdem drängt es mich zu lügen oder gerade dann schmutzige Worte zu benutzen, wenn es nicht passt. Ich spüre einen starken antibürgerlichen Impuls in mir. All die kulturellen Errungenschaften sind doch nichts wert, wenn du die körperliche Seite unserer Existenz und unsere Schwächen ignorierst. ... your weaknesses. Autorin: Die Institution Armee erscheint in Michal Zamirs Roman moralisch restlos diskreditiert. Dennoch möchte sie nicht, dass man glaubt, sie habe eine Rechnung zu begleichen oder stelle die Armee grundsätzlich in Frage. Take 15 (Zamir): There was nothing new about the facts ... Darauf Sprecherin: Die Fakten kennt doch jeder. Ich sage ja nicht, dass alle diese Erfahrungen gemacht haben, und heute gibt es weniger Missbrauch als in den 80er und 90er Jahren, aber ich bin mir trotzdem sicher, dass die meisten Frauen wissen, wovon ich spreche. Es gab Offiziere und Generäle, die die angeschlagene Verfassung junger Mädchen zynisch ausgenutzt haben. Zieh einen Zaun um einen Militärstützpunkt, und all die verborgenen Dinge, die ich beschreibe, treten zu Tage. Die Details über den sexuellen Missbrauch von Ex-Präsident Katzav haben hier in Israel doch niemanden ernsthaft geschockt. ... things with Katzav. Autorin: Die Reaktion ihres Vater, der als Armeegeneral und Mossad-Agent eine nationale Berühmtheit war, sei ein Paradebeispiel für die Rezeption ihres Buches gewesen. Zuerst habe er vor Wut geschäumt, die Tochter aber wenig später für ihren Mut gelobt. Für Michal Zamir ist der sexuelle Missbrauch in der Armee Ausdruck eines tief in der Gesellschaft verwurzelten Sexismus. . Take 16 (Zamir): I think the army ... Darauf Sprecherin: Ich glaube, die Armee war für mich der erste Zusammenbruch. Ich wusste ungefähr, was auf mich zukommen würde. So sexuell unerfahren wie meine Heldin war ich nicht, aber ich war naiv, was das Ausmaß der Korruption angeht - wie sehr Missbrauch gedeckt wird. Verflucht sei das ganze "Geschäft". ... the whole Geschäft. Autorin: Die existenzielle Verlassenheit kompensiert Zamirs Heldin, indem sie inmitten erniedrigender Umstände nach Spuren von Schönheit sucht. Die Autorin glaubt, dass man diese stets aus den niedrigsten Sphären unserer Existenz befreien müsse. Im Hebräischen gibt es für diese Haltung den Ausdruck " Erlösung durch Schmutz". Für Michal Zamir hat das große Bedeutung. Sie erzählt, wie nahe ihr die Lektüre der "Anonyma" gegangen sei. Die Tagebuchaufzeichnungen einer anonym gebliebenen Frau, die festhält, wie sie die Wochen vor und nach der Kapitulation 1945 in Berlin überstand, waren 2003 ein sensationeller Bucherfolg in Deutschland. Die "Anonyma" prostituierte sich für Essen; sie wurde von Soldaten der Roten Armee vergewaltigt. Sie kalkulierte ihr Überleben und gab davon Zeugnis, ohne ein Wort der Klage. Auch Zamir hat eine Figur geschaffen, die zwar niemanden anklagt - aber doch selbst mittendrin steht. Sprecherin: Schwangere Offizierinnen gehen in Zivil, wehrpflichtige Soldatinnen gehen nach Hause. Alma ist nicht bereit, den Wehrdienst abzubrechen. Selbst eine Unterredung mit der Frauenkorpsleiterin konnte sie nicht umstimmen, da halfen auch keine Empfehlung und keine Rente und kein Mietzuschuss für zwanzig Jahre. (...) Ihrerseits bestand auch kein Grund zur vorzeitigen Entlassung. Schließlich verlangte sie von der Armee keine besonderen Vergünstigungen, nur ein wenig Entgegenkommen hinsichtlich ihrer Übernahme als Zeitsoldatin und ein paar Extras für das Kind, zumindest Spielzeug und Kleidung. Aus ihrer Sicht ist die Armee der Vater. Wer der leibliche Vater ist, wollte Alma partout nicht verraten. Vielleicht wusste sie es nicht mit Sicherheit, vielleicht doch. Kein Einziger, weder aus dem Kreis der unteren noch der oberen Befehlsränge, verlangte Aufklärung. Wer weiß, wen es treffen würde. Michal Zamir: "Das Mädchenschiff". Roman. 220 Seiten. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Marebuchverlag, Hamburg 2007 Autorin: Lange Zeit konnten Israelis im öffentlichen Dienst nur reüssieren, wenn sie ihren Militärdienst absolviert hatten, möglichst mit einem Abschluss als Offizier. Es versteht sich, dass jemand wie Michal Zamir begrüßt, dass die größte Behörde im Land aufgehört hat, ein Garant für das Fortkommen im zivilen Leben zu sein. Take 17 (Zamir): So today you can hear only the complain ... Darauf Sprecherin: Es gibt einfach zu viele Leute. Heute hört man nur Klagen: Ich war drei Jahre beim Militär, jetzt bin ich entlassen, und es hat mir absolut nichts gebracht. Als ob die Armee noch irgendein Versprechen gäbe. Sich auf seinen Armeedienst zu berufen, ist zwecklos geworden. Ja, es gibt mittlerweile zu viele Leute, nicht genug Arbeit und zu wenig Wohnungen. Es ist eng hier und nicht einfach, zu überleben. ....not easy to survive. Musik Autorin: Die Schauplätze in Yiftach Ashkenazys Erzählband "Mein erster Krieg" sind Intensivstationen in abgewrackten Krankenhäusern, Grenzposten der Armee und Kibbuzim. Zwei Grunderfahrungen haben den 28 Jahre alten Autor zum Schreiben gebracht: der Unfalltod seines besten Freundes beim gemeinsamen Dienst in Jericho und der tägliche ausgeübte Zwang an den Grenzstationen zum palästinensischen Autonomiegebiet. Take 18 (Ashkenazy): It was a guy in the checkpoint who wanted to visit ... Darauf 3. Sprecher: Am Checkpoint stand jemand, der seinen Bruder in Jordanien besuchen wollte. Der Bruder litt an Krebs und lag im Sterben. Jeder am Übergang wollte ihm helfen. Er musste nach Jericho, um dort eine Genehmigung zu holen, denn er kam aus Nablus. Selbst die rechts gerichteten Soldaten fanden, dass er die Papiere erhalten sollte. Der Kommandant unserer Einheit entschied, dass niemand den Checkpoint passieren dürfe. Niemand. Nur ein Jahr zuvor war mein Vater gestorben, und ich dachte daran, was gewesen wäre, wenn man mich davon abgehalten hätte, ihn zu sehen. Ich hätte denjenigen niedergeschlagen. Der Mann war 72 Jahre alt, er sah uns an und weinte. Für mich ist ein Checkpoint reine Gewalt. ... For me the checkpoint tiself with everything is violence. Autorin: Yiftach Ashkenazys lose miteinander verknüpfte Geschichten atmen die rohe körperliche Gewalt, die Menschen einander zufügen - nicht nur als Soldaten. Es gibt in seinen Fiktionen kein unbeschadetes Leben, keine menschlichen Vorbilder, keine seelischen Haltepunkte. Nur Fragen und verstörtes Hinschauen oder forciert anmutende Befreiungsschläge, wenn es um die innere Bindung an enge Familienmitglieder geht. 3. Sprecher: Unser nationaler Gedenktag ist in drei Teile unterteilt. Sie strahlen die Namen aller Gefallenen auf Kanal 33 aus: Jeder der toten Helden erhält fünf Sekunden mit einem Dia seines Namens, seines Ranges und seiner Kennnummer auf dem Bildschirm (...) Großvater Israel Tolilo ist der Erste in der Familie. Er taucht immer ungefähr um halb elf am Vorabend auf. Er wurde auf dem Weg nach Jerusalem getötet - damit beginnt für mich der Gedenktag. Nach ihm gehen ich und Mama schlafen und stehen um fünf Uhr morgens auf, um rechtzeitig noch Großvater Lev, den Vater meiner Mutter, zu sehen. (...) Meine Mutter versäumte Vaters Dia, das immer um halb vier Uhr nachmittags ausgestrahlt wird, wobei man ständig das Gefühl hat, dass seine Zeit am kürzesten ist. Es symbolisiert den Beginn meines Unabhängigkeitstages. Yiftach Ashkenazy: "Mein erster Krieg". Erzählungen. 176 Seiten Aus dem Hebräischen von Barbara Linner. Luchterhand Verlag, München 2008 Autorin: Der gefallene Vater repräsentiert nichts als die erdrückende Last der Geschichte. Und die ist in einer Stadt wie Jerusalem allemal spürbar. Yiftach Ashkenazy lebt ganz bewusst dort - und nicht in Tel Aviv. Take 19 (Ashkenazy): I'am going to the east-side of Jerusalem at least ... Darauf Sprecher: Ich bin mindestens einmal in der Woche in Ost-Jerusalem, im arabischen Stadtteil. Ich esse dort eine Kleinigkeit, ich rede mit Leuten, ich will einfach nur dort sein, um mich nicht von der Angst anstecken zu lassen. Das Risiko, von irgendjemandem im israelischen Kernland angehalten und umgebracht zu werden, ist doch genauso groß wie außerhalb. Wenn man in Jerusalem lebt, dann hört man einfach auf, sich ständig zu fürchten. So viele Leute nutzen unsere Furcht aus. Auch beim Militär. Da heißt es dann: Wenn Du nett zu ihnen bist, dann gibt's morgen als Dankeschön einen Selbstmordanschlag am Checkpoint. Es ist dumm, aber die Leute glauben wirklich daran. ... people believe that. Autorin: Die Literatur konfrontiert uns mit den Schicksalen von Menschen, denen der Armeedienst tiefe seelische Schäden zufügt und die nur eingeschränkt in den Alltag zurückfinden. Viele Soldaten messen das Leben nur mehr an den Ausnahmesituationen, die sie körperlich unversehrt oder zumindest lebend überstanden haben. In den Romanen erscheint die Armee durchweg als Institution, in der die menschliche Fähigkeit zur Empathie gebrochen wird. Der junge Autor Ron Leshem wollte seinen Roman "Wenn es ein Paradies gibt" mit dem bitteren Satz enden lassen: "Es war alles umsonst, Bruder". Doch sein Verleger legte ihm einen optimistischeren Schluss nahe. Leshem gab nach und ließ seine Hauptfigur Eres, dessen Ehrgeiz den Tod anderer Soldaten provozierte, zwar desillusioniert auf die Vergeblichkeit militärischer Einsätze zurückblicken, doch denunziert er nicht dessen naiven Glauben an eine politisch und moralisch gerechtfertigte Mission. Ein Soldat erkennt eigene Fehler, doch vermag er nicht, das Geflecht von Pflichten und Zwängen grundsätzlich in Frage zu stellen. Und genau diese Haltung spiegelt das Dilemma der Mehrheit. Pazifist kann in Israel niemand sein. 9