COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Zeitreisen Deutschlandradio Kultur Sendedatum: 9.10.2013 Autorin: Andrea Roedig Die Dritte im Bunde Wie wurde die Handtasche weiblich? Musik hoch, dann drüber O-Ton 1a: Ozelot Also schöne Männertaschen, die ich gern verkaufen würd, sind zum Beispiel Property off... Musik hoch, dann drüber O-Ton 1b: Taschenladen Ozelot Oder zum Beispiel Schopper sind ein totales Tabuthema bei Männern. Das hier ist eigentlich ein Herrenschopper, Hochformat mit Lederboden, eine irrsinnig schöne Tasche, aber das wagt kaum einer. Musik hoch, dann weiter Sprecherin: Die Handtasche ist weiblich. O-Ton 2: Taschenmacherin Ina Kent Für die Männer gibt es nur ein Referenzobjekt zur kleinen Tasche, und das ist das Täschchen der Frau. Daher haben die eine wahnsinnige Abneigung gegen kleine Taschen. O-Ton 3: Ozelot Also eine kleine Tasche heißt dann immer gleich in eine homosexuelle Ecke gesteckt zu werden, und dabei tragen die ganzen Südländer alle kleine Taschen. Bei uns in Mitteleuropa ist das noch ein totales Tabu. Musik, Ende Musikwechsel, Geräusche Handtasche Sprecherin: Die Handtasche kann klein sein oder groß, weich oder hart, am Henkel getragen werden oder am Riemen über der Schulter, sie kann mit glänzenden Goldkettchen verziert sein oder schlicht und elegant daherkommen: Sie ist ein Ding für Frauen. Und viele von ihnen sind bereit, sich für ihre Handtaschen in halsbrecherische Unkosten zu stürzen, denn Markennamen spielen hier eine bedeutende Rolle. Sprecher: Für eine normale Henkeltaschen von Louis Vuitton legt frau 600 Euro aufwärts auf den Ladentisch; 16 mal 25 Zentimeter Chanel-Täschchen sind ihr 3.000 Euro wert, und für eine Kelly Bag von Hermes, zahlt die Kundin - Wartezeit inklusive - ab 3.800 Euro aufwärts. Die Preisskala ist nach oben offen, und natürlich hat der Tierschutz auch Krokodillederhandtaschen nicht ausmerzen können. Die Herbstkollektion von Armani führt echtes Krokoleder im Programm, schillernd blau gefärbt, Kostenpunkt: 9.995 Euro. O - Ton 4: Ozelot Ich glaub Frauen können nie genug Taschen haben, die meisten Frauen haben wirklich jenseits von 5 Taschen. Sprecherin: Vor rund zwei Jahren unternahm der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann einen Versuch, den dunklen Kontinent der weiblichen Handtasche zu erforschen. Kaufmann ist Fachmann für die Dinge des alltäglichen Gebrauchs, und er rief per Annonce Frauen dazu auf, über ihre Handtaschen zu berichten. 75 Freiwillige meldeten sich und beschrieben dem Forscher per Email, welche Bedeutung ihre Taschen für sie haben, wie sie sie nutzen und vor allem, was sie in ihnen herumtragen. O-Ton 5: Karola Eigentlich hätt ich ja gern die Tasche, die perfekt ist, ... und toll wär, wenn eine alles hätte. Sprecherin: Daraus entstand das Buch "Privatsache Handtasche", und Kaufmann zeigt sich stolz, dass es ihm - als Mann - gelang, in die Taschen der Damen zu spähen. Auch wenn da so viel Aufregendes eigentlich gar nicht zu finden war: Geräusche Handtasche, darüber Sprecher: Steine und Strumpfhosen, Portemonnaies, Schminkzeug, Handys, Kinderwindeln und Heiligenbildchen. Sprecherin: Doch irgendetwas reizte Kaufmann offenbar besonders daran, in diese intimen Gefilde vorzudringen. Dass die Tasche weiblich ist, steht für den Forscher absolut fest. Musik, darüber Zitat Kaufmann: "Ein Mann könnte sein Leben nicht mit einer Tasche erzählen. Eine Frau schon." Sprecherin: Nur eine Frage beantwortet das nicht: Warum ist die Tasche eigentlich weiblich? Liegt es an der Form? Klein und rund. Am Material? Weich und schmiegsam. Liegt es an der Farbe? Liegt es an der Kombination all dessen? Musik, Ende Sprecherin: Und überhaupt: Sind Frauen weiblich, weil sie Taschen tragen - oder sind Taschen weiblich, weil sie von Frauen getragen werden? Musik, darüber Sprecherin: Dass Taschen eher ans weibliche Geschlecht denken lassen, ist nicht immer so gewesen. Sprecher: Die früheren Zeiten kannten Beutel und Säckchen, von Männern und Frauen getragen. Und will man die so genannte "Schamkapsel", die im 15. und 16. Jahrhundert der auffälligen Umhüllung der männlichen Genitalien diente, als eine Art von Tasche zählen, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Sprecherin: Von April bis Oktober 2013 zeigt das Bayrische Nationalmuseum in München eine Ausstellung zur Geschichte der Handtasche. Die frühesten Stücke der Schau stammen aus dem 16. Jahrhundert. Es handelt sich um Geldbeutel und Geldtaschen, die meist am Gürtel getragen wurden. Sprecher: Prall gefüllt, dienten sie als Zeichen des Reichtums und Wohlstands eines aufsteigenden Bürgertums. Frauen trugen diese Beutel an langen Bändern, die am Rock herabhingen, bei Männern waren sie direkt am Gürtel befestigt. Sprecherin: Der Unterschied der männlichen und weiblichen Trageweise hatte vor allem funktionale Gründe, erklärt Johannes Pietsch, Kurator der Münchner Ausstellung: Musik, Ende O-Ton 6: Kurator Johannes Pietsch Die Frauen hatten sowieso lange weite Röcke, und wenn man so eine Tasche am langen Riemen getragen hat und damit gegangen ist, dann war das noch auffallender, wenn das so am Rocksaum baumelte. Die Männer hatten kurze Kniehosen, da war es einfacher, die Geldtaschen am Gürtel zu befestigen. Sprecher: Das Prachtstück der Münchner Ausstellung, eine reich bestickte Jagdtasche des Kurfürsten Maximilian I. aus dem frühen 17. Jahrhundert, würde heute gut und gerne als Damenhandtasche durchgehen. Sprecherin: Dreier Stationen in der Modegeschichte bedurfte es, um aus der Tasche für beide Geschlechter langsam die reine Damenhandtasche zu machen. Der Weg führte über die Handarbeitsbeutel des Biedermeier, die Ridicule-Netztäschchen des 19. Jahrhunderts und die Reisetasche des beginnenden 20. Jahrhunderts. Das 18. Jahrhundert sah die Damen gerne mit ihnen gemäßer Handarbeit beschäftigt. Ihr Stickzeug und was es sonst bei sich zu haben galt, trugen die Frauen in sogenannten Arbeitsbeuteln. O-Ton 7: Pietsch Gleichzeitig gab es große Taschenbeutel, die sich die Damen unter der Kleidung um die Taille gebunden haben, so genannte Umbindetaschen, also das Kleid kam oben drüber, das hatte seitliche Schlitze und dann konnte man in die Tasche hineingreifen, das war auch die Zeit, als man diese großen Reifröcke hatte, und so hat das gar nicht aufgetragen. Und dann kam eben die Zeit um 1800, als das dann alles wegfiel, die Reifröcke fielen, es kamen die Chemisenkleider auf, eine Mode der hauchdünnen Musselinkleider, und da konnte man nun keine Taschenbeutel mehr umbinden, und so haben die Frauen ihre Arbeitsbeutel dann in die Hand genommen, weil sie sonst nirgends diese Sachen unterbringen konnten, die sie gerne bei sich tragen wollten. Musik, darüber Sprecherin: Einmal am Arm der Dame gelandet, blieb das Täschchen dort. Aus dem biedermeierlichen Arbeitsbeutel wurde das "Reticule". Der französische Begriff stammt vom lateinischen "reticulum" - Netz - wurde aber bald schon in "ridicule", also "lächerlich" umgetauft. Denn die kleinen Beutelchen, oft als Netz gewoben oder aus Stoff genäht, reich verziert und mit Perlen bestickt, hatten noch keinen wirklich erkennbaren Gebrauchswert. Aber seit den 1820er Jahren erfreuten sich die "ridicules" großer Beliebtheit. Formen des Ridiküls halten sich bis heute, bei manchen Abendtaschen zum Beispiel. Doch es brauchte noch einige Zeit, bis der Tasche dann auch Henkel wuchsen. Sprecherin: Die Herren - zumindest ihre Taschen - blieben bei dieser Entwicklung auf der Strecke. Sobald das Ridikül zum weiblichen Accessoire aufstieg, war die kleine und die verzierte Tasche für den Mann passé. Zudem stellte die bürgerliche Mode des frühen 19. Jahrhunderts den Mann unters Diktat der klaren Sachlichkeit. O-Ton 9: Pietsch Also vorher hatten Frauen und Männer gleichermaßen Taschen, reichlich bestickt und so weiter, aber die Mode hat sich dann grundlegend geändert nach der Französischen Revolution. Die Männer haben praktische Anzüge getragen, in dunklen Farben, und als sich die Handtasche langsam entwickelt hat und zum modischen Accessoire wurde, haben die Männer aufgehört, Taschen zu tragen, und das zieht sich eigentlich durch bis heute. Musikende & Wechsel Musik: "Lose it" (Austra: Feel it Break) Sprecher: "Sie schmilzt dahin bei dem Gefühl des weichen, sinnlichen Leders. Und dieser Duft, fast berauschend. Sie weiß sofort, dass sie füreinander geschaffen sind. Wie schön. Wie verlockend. Alles, wovon sie geträumt hat. Sie streckt zaghaft ihren Arm aus. Bereitwillig kommt Die Eine zu ihr, reagiert auf ihren Wunsch, schmiegt sich perfekt an sie an. Sprecherin: Einer "Crabat" von Bottega Veneta zu begegnen kann, wie die Journalistin Colombe Pringle in ihrem Text "Die Tasche" beschreibt, das Leben einer Frau verändern. Denn im 20. Jahrhundert erlebt die Handtasche einen unglaublichen Boom. Aus dem kleinen Ridicule sind große Ikonen geworden. Musik, darüber Sprecher: Einige große stilbildende Taschendesigner wie Louis Vuitton, Hermès, Gucci und Prada gingen aus dem Sattlergewerbe hervor und stellten ursprünglich luxuriöses Reisegepäck her, bevor sie dann klassische Handtaschenformen entwarfen, die sie in Variationen bis heute immer wieder aufgreifen, wie etwa die Hermès in den Formen Bolide, Trim oder Plume, die Vuitton Noe oder die Chanel 2.55. Sprecherin: Doch warum konnte gerade dieses Objekt die Frauen so sehr in Bann schlagen? Modegeschichte ist die eine Seite. Psychologie die andere. Jean Claude Kaufmann erklärt in "Privatsache Handtasche" die Tasche als eine Art psychische Selbsterweiterung der Person. Er betont ihre Ambivalenz: Zitator Kaufmann: Die Tasche hat ein Innen und ein Außen, sie ist Teil des Körpers und doch geschieden von ihm, sie ist aber auch eine Art Zeitmaschine, Erinnerungs- und Möglichkeitsraum; ein Lastenträger. Sprecherin: Viele Frauen tragen Andenken an Orte und Situationen mit sich herum, Fotos von geliebten Personen, dann aber auch alles, was sie in den kommenden Stunden des Tages brauchen könnten. Für etliche Frauen ist die Tasche einerseits praktisches Utensil. Andererseits aber ist sie auch etwas ganz anderes: ein romantisches Liebesobjekt. Jean- Claude Kaufmann wunderte sich, wenn die von ihm befragten Frauen ihre Beziehung zur Tasche mit der Liebe zu einem Mann verglichen: Zitator Kaufmann: Das ist auch eine Art zu sagen, wie stark die Gefühle für eine schlichte Handtasche sein können. Ich habe die Frauen während der Studie niemals dazu verführt, so etwas zu sagen. Die unwiderstehliche Lust, diese Analogie zu bemühen, hatten sie selbst in dem Maße, wie sie in ihre Erfahrungen eintauchten, um ihnen Ausdruck zu verleihen." "] Sprecherin: In was aber verliebt sich eine Frau, wenn sie sich in die Tasche verliebt? Ist die Tasche etwa ein Mann? O-Ton 10: Ina Kent Ich mag das gern, wenn die Tasche sich anschmiegt. Also diese harten Taschen sind ja eine Art Kasten und das ist von einem weg; und diese weichen Taschen, die gehören ein bisschen zu einem selber und die haben dadurch auch viel mehr Kontakt mit den Trägerinnen. Find ich schöner. Und die haben auch mehr Archaisches. Sprecherin: Ina Kent, Taschenmacherin in Wien. O-Ton 11: Ina Kent Dieses ganze Beutelförmige, diese Taschen, die gibt's ja ewig. Die Tasche an sich, das waren ja immer eher so Beuteln. O-Ton 12: Ozelot Frauen kommen spontan rein und schauen sich um und lassen sich dann irgendwie von einer schönen Tasche verführen. Sprecherin: Günter Schöffmann, Inhaber des Taschenladens "Ozelot" in Wien erzählt aus seiner Verkaufspraxis, dass Männer meist nur eine Tasche besitzen und sich in der Regel gründlich auf den Kauf einer Tasche vorbereiten. Sprecher: Sie informieren sich vorab, kommen mit genauen Vorstellungen in den Laden, warten ab, bevor sie sich dann irgendwann entscheiden. Eine Tasche muss praktisch sein und lange halten. Musik, darüber Sprecherin: Frauen dagegen reagieren spontan, sie kaufen impulsiv - hier entscheidet nicht der Kopf. Frauen verlieben sich, und Schönheit spielt dabei eine Rolle. Die Tasche ist Objekt der Leidenschaft. Der weiche Beutel, das harte Kästchen, in das man etwas hineintun kann, das man mit sich herumträgt, anfassen, umarmen kann. Es ist nicht der Mann, der hier im Mittelpunkt des Begehrens steht. Die Tasche symbolisiert Weiblichkeit. Manche Damenhandtaschen tragen einen eingebauten Spiegel innen. Schau hinein, du siehst dich selbst. Ist der Taschenkauf ein narzisstischer Akt der Selbstaneignung? Nicht ganz. Die Tasche ist nicht Mann, nicht Frau. Sie ist etwas Drittes. O-Ton 13: Monica Titton In Italien gab es das ganz lange, dass Männer so kleine Clutchbags trugen, und die sehen, wenn man sie so ansieht, aus wie Frauenhandtaschen. Die sind aus Leder, haben einen ganz schlichten Reißverschluss und eine Kordel, mit der man sie am Handgelenk tragen kann. "Il borsello", das ist die italienische Männerhandtasche, in den 1960er/70er Jahren. Das haben heute auch noch ältere Männer in Italien, die tragen da ihren Geldbeutel drin und ihre Dokumente, wenn sie zur Bank müssen. Und das würde man auf den ersten Blick nicht unterscheiden können, ob das jetzt 'ne Männer oder 'ne Frauenhandtasche ist. Musik, Ende Sprecherin: Die Mode-Soziologin Monica Titton erinnert daran, dass die Beziehung zur Handtasche ein kulturelles Phänomen ist. In südlichen Ländern tragen modebewusste Männer eher einmal Schmuck und eben auch kleine Taschen. In Deutschland war die kleine Herrentasche in den 1980 Jahren kurz in Mode, hat sich aber nicht durchsetzen können. Schnell war sie als "Detlev", als schwul, verschrien. O-Ton 14: Titton La borsa ist die Handtasche. Bors-ello, das ist ein männliches Suffix am weiblichen Wortstamm. Sprecherin: Taschen haben ein Geschlecht, doch sie haben es nicht "an sich", von Natur aus sozusagen. Größe, Form und Farbe machen eine Tasche weiblich. Doch man kann diese Zuordnung nie unabhängig vom kulturellen Kontext verstehen, und das heißt, im Fall der Tasche, auch nie unabhängig von ihrer Inszenierung durch Medien und Marketing. Besonders auffällig ist die Inszenierung von Taschen in der Modefotografie. Sie erschafft einen imaginären Raum, in dem die funktionale und symbolische Bedeutung der Tasche für beide Geschlechter radikal verschieden dargestellt ist. Der Mann in der Werbung scheint die Tasche immer nur auf praktische Art zu verwenden: O-Ton 15: Titton Beispielsweise sieht man ihn in ein Auto einsteigen mit dem offensichtlich gepackten Weekender oder man sieht ihn aus dem Flugzeug aussteigen mit dieser Handtasche, oder er ist in einem urbanen Kontext fotografiert. Während sich bei Frauen doch wieder dieser Phantasieraum öffnet, der in der Modefotografie auch immer da ist. Also neben dem urbanen Kontext und dem Naturkontext gibt's da einfach dieses Imaginarium, diese vorgestellte Welt, in der alles möglich ist, und da kann die Handtasche zu einem surrealistischen Objekt werden. Sie kann aber auch als Fetischobjekt dargestellt werden, das die Frau quasi anhimmelt. Sie wird tatsächlich oft, wenn ich das jetzt so aus dem Gedächtnis abrufe, falls möglich weg: umspielt oder gestreichelt, so dass die Tasche auf halbem Weg zwischen Fetisch und einem Liebesobjekt dargestellt wird. Sprecherin: Diese imaginären, phantastischen Szenen sind allgegenwärtig in den Modeanzeigen der Hochglanzmagazine. So etwa wirbt die Firma Bally: Musik, darüber Sprecher: (Bildbeschreibung) Da sitzt sie auf dem Rasen, die nackten Beine abgewinkelt, und blickt hinauf zum Betrachter, ihm direkt in die Augen mit dieser Mischung aus Furcht, Erwartung und Aggression. Ihr Mund ist leicht geöffnet. Nach hinten stützt sie sich mit dem linken Arm ab, als weiche sie zurück. Aber die rechte Hand, vor dem Körper zur Faust geballt, hält krampfhaft an zwei weißen Henkeln, was da schützend in ihrem Schoß liegt: eine große rechteckige glattlederne Handtasche. Musikwechsel Sprecherin: Seit dem Ende der 1990er Jahre hat sich die Werbung für Handtaschen in Zeitschriften und Magazinen extrem verändert. Die Tasche erscheint in dramatische Narrative und opulente Tableaus eingehüllt. Das Motiv "Frau mit Tasche" lässt sich herrlich entfalten. Sprecher: "Ich allein mit meiner Tasche" heißt eine Szene, "nimm dich in Acht vor meiner Tasche" oder "Du kannst mir und meiner Tasche nichts anhaben". Oder auch: "Ich warte ...". Sprecherin: Die Werbeinszenierungen beziehen ihre imaginative Kraft daraus, dass in der Tasche das Innere der Frau, ihr Intimstes, gleichsam nach außen getragen zu sein scheint, sichtbar und doch verborgen, zugleich Versprechen auf ein Geheimnis und Möglichkeit einer Bedrohung.. Vor allem fällt aber auf, dass die Handtasche - bei aller Formenvielfalt - insgesamt immer größer wird. Riesig ist sie ins Bild gesetzt wie ein Monument am Arm, vor allem aber im Schoß der Dame. Musik, Ende Sprecherin: Das war nicht immer so. Ein kurzer Blick zurück in verschiedene Jahrgänge der französischen Vogue zeigt, dass die Handtasche in der Mode-Werbung lange Zeit nicht die herausragende ikonische Bedeutung hatte, die ihr heute zukommt. Sprecher: Bis in die 1980er Jahre hinein werden die beworbenen Accessoires selten direkt am menschlichen Körper gezeigt. Die Tasche erscheint allein im Bild - manchmal ragt eine Hand hinein, die sie am Henkel hält oder ein Frauenbein, an dem sie lehnt. Nur in den 1950er Jahren posieren die Models häufig mit kleinen Taschen aus hartem Leder und Schnappverschluss als Zeichen der Eleganz. Sprecherin: Die riesige Beutelform, wie sie heute getragen wird, ging damals allenfalls als Strand- und Badetasche durch. Und interessant ist, dass in den 1960er Jahren so gut wie keine Handtaschen in den Modeinszenierungen auftauchen, als sei der neu entdeckte weibliche Körper sich selbst genug. Handtaschen waren lange Zeit auch nicht Teil von Modeschauen. Monica Titton. O-Ton 16: Titton Das ist eher eine neuere Entwicklung, der letzten 20-25 Jahre, dass auch Handtaschen am Laufsteg präsentiert werden. Oft war es ja so, dass die großen Modehäuser, gar keine Handtaschendesigns hatten, oder sie hatten ein- zwei Handtaschenmodelle, die dann über Jahre und Jahrzehnte hinweg immer wieder produziert wurden. Bei Vuitton gab es bis in die 80er Jahre hinein nur vier oder fünf Modelle, die wurden teilweise in den 20er Jahren oder im 19. Jahrhundert kurz nach der Gründung des Hauses entworfen und dann einfach über Jahrzehnte reproduziert. Da gab es in dem Sinne keinen modischen Wandel, so wie bei Trachten, die verändern sich ja auch nicht. Musik, darüber Sprecherin: Seit rund 30 Jahren feiert das Accessoire einen beeindruckenden Siegeszug, parallel mit der zunehmenden Bedeutung von Markennamen. Zum Teil reagierten die großen Modehäuser mit Accessoires auf die Konkurrenz der Fast-Fashion-Ketten. Weil H&M, Zara, Benetton und andere einen guten Teil der Laufsteg-Mode billig kopierten, setzen die Luxuslabel vermehrt auf die Vermarktung kostspieliger Details. Vermutlich legt die Frau von heute ihr Geld lieber in einer Marken-Handtasche an, als in einem teuren Kleidungsstück prêt à porter. Und das Accessoire ist ein Schlüssel. Schon ein Gürtel, eine Brille, ein Tuch mit dem entsprechenden Logo verspricht ja Teilhabe an der Welt des exquisiten Luxus. Sprecherin: So beginnt das Zubehör, sich aufzublähen. In den Werbe-Inszenierungen werden Mensch und Ding zu gleichwertigen Akteuren in der Szene. Handtaschen erscheinen groß wie der Oberkörper einer Frau oder so exquisit wie Diamant. Wer ist hier das Accessoire von wem? Willig beugen wir uns der Macht der schönen Gegenstände. Das Accessoire ist ein Detail. Ein Zubehör und doch Symbol fürs Ganze. Ein pars pro toto. Ein magisch aufgeladener, perfekter Fetisch. Musik, Ende O-Ton 17: Karola Und sie muss sehr hübsch sein, ja, sie muss in die Oper mitgehen können. Sprecherin: Vom kleinen Arbeitsbeutel zur großen Kampftasche. Wenn sich der gesellschaftliche Wandel der Frauenrolle auch an der Form und der Funktion der Handtaschen ablesen lässt, dann geht derzeit im wahrsten Sinne des Wortes Großes vor sich. Die Handtasche lässt heute alle Spielarten von Formen zu. Auf jeden Fall aber setzt sich das Symbol fürs weibliche Geschlecht mächtig in Szene. In den Settings der Modefotografie jedenfalls wirkt die Handtasche oft, psychoanalytisch gesprochen, ... Sprecher: ... phallisch. Sprecherin: Ein Uterus als Phallus? Die Tasche ist beides: ein Organ der Potenz und der Unterwerfung. Und sie ist ein Objekt der Schönheit. Was also begehrt eine Frau, wenn sie sich in die Tasche verliebt? Vielleicht ist ein Schuss Narzissmus dabei, immerhin begehrt die Frau in der Tasche auch ein Bild von sich selbst. Sie verliebt sich aber auch in ein Ding, das magisch wird, das ruft, lockt und verführt, ein Ding das weiblich ist und männliche Macht haben kann. Die weibliche Liebe zur Handtasche ist homoerotisch und doch heterosexuell. Denn die feminine Tasche macht die Frau zur Frau, zu einem Objekt des Begehrens für den Mann. Aber eben nicht nur. Musik, darüber Sprecher: (Bildbeschreibung) Da sitzt sie, auf der Parkbank mit ihm, im Kuss vereint. Er hat, etwas zu gewaltsam, ihr Gesicht zu sich herübergebogen, den linken Arm schützend und besitzend um ihre Schulter gelegt. Im Kuss reckt sie sich hoch zum Mann und schließt sie Augen. Die rechte Hand hat sie zart auf sein Knie gelegt, während die Linke auf der anderen Seite, mit derselben zärtlichen Geste ihre Tasche hält, wie einen heimlichen Geliebten. Sprecherin: Genial setzt Helmut Newton in einer Fotografie für das OUI-Magazin aus dem Jahr 1976 die eigentliche Wahrheit über die Tasche in Szene. Denn in Wirklichkeit ist die Tasche immer die Dritte im Bunde. Im Szenario "Ich, er und meine Tasche", das gerne von der Modefotografie aufgegriffen wird, erscheint die Tasche immer als ein fremdes Element, wie etwas, das die Leidenschaft in Gang bringt und zugleich stören wird. Die Tasche ist das Symbol für den kommenden Betrug und die Trennung, die in jeder Verschmelzung immer schon angelegt ist. Sie symbolisiert das mögliche Ausstiegsszenario des "Ich habe einen anderen" oder schlicht "Ich gehe". Musik, Ende O-Ton 18: Sandra Ich hab in meiner Tasche eigentlich alles, was ich zum Leben brauche, ich könnte mit dem Inhalt dieser Tasche sofort die Stadt verlassen und auf Reisen gehen. Musik: "The Future" (Austra: Feel it Break) , darüber O-Ton 19: Kent Diese Tasche, die ich jetzt da unisex gemacht hab, die ist zwar auch ein weiches Leder aber die wirkt standiger allein durch diese Seitenform, die sie hat. Aber es stimmt, die Männer mögen grundsätzlich lieber Taschen, die schon eine vorgegebene Form haben, also nicht eine, die sich anschmiegt oder so. Sprecherin: Die Designerin Ina Kent verkauft ihre Taschen heute noch zu mehr als 90 Prozent an Frauen. Sie benutzt ausschließlich weiches Leder und der Clou an den Kent-Taschen ist, dass sie sich mithilfe von Ringen und Riemen in Größe und Form variieren lassen. Für die Unisex-Varianten musste sich die Taschenmacherin allerdings etwas anderes einfallen lassen: Musik, Ende O-Ton 20: Kent Speziell bei uns, find ich, sind die Ringe sehr weiblich. Ich musste ein System finden, wo diese Flexibilität bleibt, aber wo ich auf die Ringe verzichte. Und dann hab ich diese kleinen Schaffnerknöpfe gefunden, das sind so winzige Metallknöpfe, die man dann durch einen Schlitz im Leder verschließt ... man kennt sie, die gibt's schon lange, die haben einen Sympathiefaktor und haben nicht das große Ringförmige, das den Männern nicht so in den Kram passt. Sprecherin: Was gibt der Tasche ihr Geschlecht? Dass Objekte weiblich wirken, männlich oder unisex, liegt an ihrer symbolischen Besetzung. Sprecher: Rund, weich, klein, glänzend, hell, bunt: gleich weiblich. Eckig, hart, groß, matt, dunkel- gedeckt: gleich männlich. Sprecherin: Diese Zuschreibungen sind vordergründig eine Sache der objektiven Beschreibung körperlicher Qualitäten, doch im Grunde folgen sie einem "Gender-Skript", also einer symbolischen und metaphorischen Geschlechts-Bedeutung, die den Dingen eingeschrieben wird. Das zumindest behaupten die niederländischen Forscherinnen Nelly Oudshoorn und Ellen van Oost. Seit etlichen Jahren untersuchen sie mit dem Konzept des "Gender-Skripts" den Gebrauch technischer Objekte. Sie zeigen wie Rasierapparate, Stereoanalgen oder Mikrowellen "männlich" oder "weiblich" werden beziehungsweise zu Dingen "für Männer" oder "für Frauen". Designer, Werber, aber auch der schlichte Gebrauchskontext hauchen den Dingen ein Geschlecht ein. Sie werden dadurch zu eigenständigen Akteuren in der Welt, mit denen wir - ebenfalls geschlechtlich markiert - interagieren. Was für technische Geräte stimmt, gilt für die Tasche allemal. O-Ton 21: Mattias Sie hat keinen Namen und ich stell sie auch in den Dreck, also ich kümmer' mich haptisch gar nicht so um sie, also die muss auch was aushalten können, dafür ist sie auch da und das macht sie großartig. O-Ton 22: Dominik Ich mag auch diese Umhängetaschen, die man relativ fest zurren kann, weil man beide Hände frei hat. Ich mag es, die Tasche auf der Seite oder auf dem Rücken zu haben, und aktionsfähig zu bleiben. Sprecherin: Noch scheint es so, dass Männer Taschen eher funktional betrachten, Frauen dagegen emotional. Doch nichts muss bleiben, wie es ist. Sie kommt ja vielleicht noch, die Handtasche für den Mann. Zum Beispiel in Form des hippen Stoffbeutels. Monica Titton. O-Ton 23: Titton Der ist definitiv unisex, das war nicht das erste, aber doch eines der jüngsten Beispiele einer Handtasche für den Mann. Musik, darüber Sprecherin: Dazu kommen die beliebten Messenger Bags, die mittlerweile zur festen Grundausstattung des young urban style gehören. Jüngere Männer, so berichtet Günter Schöffmann, trauen sich mehr Formen und Farben zu, manchmal auch kleinere Taschen. Und Marken wie Boss, Gucci und Armani scheinen auch irgendetwas im Schilde zu führen. Denn wer mit Taschen für Frauen gutes Geld verdient, darf die Zielgruppe Mann nicht vernachlässigen. Jedenfalls werden die Ecken an manch teuren Herrentaschen runder, das Leder wird etwas weicher und glänzender, der Shopper für den Mann wird klassischerweise an Henkeln gehalten. Und auf dem Werbebild von Louis Vuitton trägt der Mann die Tasche recht feminin am Schulterriemen. Sprecher: (Bildbeschreibung) Da steht er, allein, sich sanft haltend am Tau seiner Segeljacht. Er schaut kühn an uns vorbei, in unbestimmte Fernen. Auf dem Jachtboden im Hintergrund lagert schweres Reisegepäck. Doch er, leicht, auf dem Sprung vielleicht, trägt das Wichtigste, was ein Mann bei sich haben muss, in dieser rundlichen, braun-karierten Tasche, die, mit glänzenden Ösen am Riemen befestigt, leicht über seiner Schulter und doch nah am Körper hängt." Musik, Ende Sprecherin: Wird er sie lieben? Wird er sie schön finden? Wird er sie an sich schmiegen? In allem historischen Wandel bleibt etwas gleich und nahezu ewig an der Tasche: Sie ist - für beide Geschlechter - ein höchst persönlicher Gegenstand. Sie ist das Behältnis, in dem wir aufbewahren und mit uns nehmen können, was zu uns gehören soll. Der Rest aber ist kulturelle Auslegungssache, ein Gender-Skript. Und in dieser Hinsicht scheint nichts undenkbar. Johannes Pietsch: O-Ton 24: Pietsch: Also in der Mode ist alles möglich, das sieht man, wenn man sich mit der Geschichte der Mode beschäftigt. Keiner kann vorhersagen, was die Zukunft bringt, es kann durchaus sein, dass irgendwann auch die Herren die bestickte Handtasche wieder entdecken. --- ENDE --- ------------- Infos: Die Ausstellung "Taschen. Eine europäische Kulturgeschichte vom 16. bis 21. Jahrhundert" läuft noch bis zum 27. Oktober im Bayrischen Nationalmuseum in München. Literatur: Anna Johnson. Handtaschen. Die Geschichte eines Kultobjekts. (Ullmann-Verlag; neu aufgelegt 2013) Jean Claude Kaufmann: Privatsache Handtasche (UVK, 2012) *Zitat zur "Crabat" Handtasche aus: Colombe Pringle "Die Tasche" in: Bottega Veneta, Hg. Von Thomas Mayer, Collection Rolf Heyne, 2012 1