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Autor auf Atmo: Olga Kuraschowa schließt den Reißverschluss ihrer Wachsjacke, rückt die weiße Schleife am Revers zurecht, küsst ihre Lebensgefährtin. Ein Gummiband bändigt ihre Rastalocken. Olga ist eine zierliche Frau, 24 Jahre alt, hat gerade ihren Job als Kulturassistentin an der tschechischen Botschaft in Moskau verloren, Einsparungen. Olga sieht das Gespenst, winkt. Viele Spaziergänger kennen sich. Eine Polizistin möchte in Olgas Tasche sehen. O-Ton 2 Sprecherin Olga auf O-Ton: Ich habe drei oder vier weiße Schleifen dabei. Und sie fragt mich, was ich damit machen werde. Autor auf O-Ton: Olgas blaue Augen blitzen vor Freude, ihre Freundin verzieht den Mund zu einem spöttischen Lächeln. O-Ton 3: Sprecherin Olga auf O-Ton: Ich habe gesagt, nichts, und sie gefragt, ob es gefährlich ist, solche Sachen in der Tasche zu haben. Sie meinte, nein. Es ist so dumm, die Leute zu fragen, was sie mit ein paar symbolischen Dingen machen, egal, was es ist. Lachen Autor auf Atmo: In vier Wochen soll Putin ins Präsidentenamt eingeführt werden. Deshalb sind Olga und ihre Freundin zum Spaziergang mit weißen Schleifen verabredet. Die Farbe weiß ist in diesem Jahr eine Provokation. Weiße Schleifen sind das Symbol der Demokratiebewegung in Russland. Die Sonne spiegelt sich im roten Marmor des Leninmausoleums. Soldaten gehen im Stechschritt auf und ab. Roter Backstein, rote Zinnen, Türme, Sowjetsterne: der Kreml. Immer mehr Spaziergänger strömen auf den Platz. Fast alle tragen weiße Schleifen. Einige weiße Anzüge. Plötzlich fassen Olga und ihre Freundin sich an die Hände. Schnell reihen sich andere ein, bilden einen Kreis, stimmen die Nationalhymne an. Atmo 4 Singen Autor auf Atmo: Die Polizisten werden nervös. Einer zückt sein Funkgerät. Atmo 5 Polizist in Telefon oder Funkgerät: Da... Pojut pesni, Tovarisch general! Sprecher auf O-Ton: Sie singen, Genosse General! Autor auf Atmo: Kurz darauf ein Tumult um das Gespenst. Atmo 6 Autor auf Atmo: Ein Polizist verlangt von der jungen Frau, das Bettlaken abzunehmen. Olga und ihre Freundin eilen dem Gespenst zur Hilfe. Immer mehr "Spaziergänger" stellen sich schützend vor den Geist, fordern die Polizisten auf, sich erst einmal auszuweisen. Schnell ist die Polizei in der Minderheit. Abbruch, sagt einer der Uniformierten. Die Polizei zieht ab. Das Gespenst zieht weiter. Die Hände der jungen Frau zittern. Olga und ihre Freundin blicken ernst. Jeder hier weiß, worauf er sich einlässt. Immer wieder nehmen die Polizisten in diesen Wochen Menschen fest, nur, weil sie weiße Schleifen tragen. Ein Mann im Anzug kommt zu Olga, umarmt sie. Igor Wart trägt die weiße Schleife an der Windjacke. Er greift in seine Umhängetasche und drückt Olga und ihrer Freundin Ansteckbuttons in die Hand. Auf schwarzem Grund ein rosa Dreieck, der Schwulenwinkel aus dem Dritten Reich. Homosexualität ist ein Thema von vielen in der sehr weit gefächerten Oppositionsbewegung. Die reicht von Faschisten und Stalinisten bis zu überzeugten Basisdemokraten. O-Ton 4 Achtung, Deutsch Das ist so, in Russland keine Freiheit. Leute können nicht einfach spazieren gehen. Leute können nicht etwas machen. Leute können nicht etwas denken. Das ist unglaublich. Das ist ein Faschismus. Tendention gibt es gerade nach Faschismus. Autor auf Atmo: Russland erlässt zur Zeit Gesetze, die es unter Strafe stellen, über Homosexualität auch nur öffentlich zu reden. Atmo 7: Hymne hmhm, chorosho... Palatku stavitj nachinajut (die fangen an, ein Zelt aufzubauen) palatku, da... vsjo, vsjo... Megafon General, schneller... Megafon... Vorwarnung... Nehmen Sie das Megafon, für die Vorwarnung... begom, begom... (schneller) Johlen Autor auf Atmo: Plötzlich bildet sich ein Menschenknäuel, direkt vor dem Lenin-Mausoleum. Ein Polizist bückt sich, schaut den Spaziergängern durch die Beine. Dann meldet er seinem Vorgesetzten: Sie stellen ein Zelt auf! Atmo 8 hoch mit Megaphone Autor auf Atmo: Zelte gehen gar nicht. Zelte symbolisieren demokratische Umbrüche. Mit einem Zeltlager begann die sogenannte orange Revolution in der Ukraine. Polizisten räumen das Zelt ab. Schande, schande, rufen die Spaziergänger. Atmo 9: Hupen Gefängniswagen fährt ab Mann ruft: Putin lyzy magadan (Putin auf Skiern nach Magadan) Autor auf Atmo: Uniformierte drängeln sich durch... Atmo kurz hoch Autor auf Atmo: ... schleppen eine Frau weg. Die Menge eilt hinterher. Atmo 10: Ansage Megaphone Sprecher auf Atmo/O-Ton: Geehrte Bürger, die Aktion ist nicht genehmigt, gehen Sie auseinander! Atmo 11 Polizeiauto fährt weg Autor auf Atmo: Einige sammeln sich, wollen vor dem Polizeirevier die Freilassung fordern, die anderen gehen nach Hause. Der Spaziergang mit weißen Schleifen auf dem Roten Platz verläuft sich. Spaziergänge mit weißen Schleifen sind in Moskau modern. Schriftsteller verabreden sich über Facebook zum gemeinsamen Spaziergang und Tausende Leser und Fans folgen ihnen. Es gibt Menschenketten, einige Aktivisten verteilen weiße Schleifen in der Metro, andere gehen Schlittschuhlaufen für die Demokratie. Das ganze begann nach der gefälschten Parlamentswahl im Dezember. Und es hört nicht mehr auf. Atmo 12: Autor auf Atmo: Moskau im Februar: In der Nacht hat das Thermometer minus 20° unterschritten. In Moskau liegt grauer Schnee. Noch ein Monat bleibt bis zur Präsidentenwahl. Menschenmassen schieben sich über die achtspurige Straße. Fahnen, rote mit Hammer und Sichel, regenbogenfarbene, Parteifahnen, Transparente und Spruchbänder. An den Pelzmützen gefriert der Atem. Sergej ist spät dran. Sein Gesicht ist gerötet, seine Finger färben sich lila, er trägt keine Handschuhe. Er will nach vorn zum Block der Demokraten. Doch die Menge hält ihn auf, kein Durchkommen. Plötzlich... Atmo 13 Sergei: priviet Autor auf Atmo: ...sieht er Olga. Atmo 14 Autor auf Atmo: Die beiden umarmen sich. Olga trägt eine gelbe Warnweste. Sie verteilt Zettel, Aufkleber. Wremja Wyischlo, steht darauf, die Zeit ist abgelaufen, ein Bild von Putin in einer Uhr. Sie zeigt 12. Ein anderer Aufkleber in weiß, blau, rot, den russischen Farben. Viele Hände recken sich nach oben: "Friedlicher Umzug für faire Wahlen." Noch ein anderer zeigt Putin. Darauf steht: "Genug geklaut und gelogen". Zehntausende strömen an Olga vorbei zur größten Kundgebung in Russland seit dem Ende der Sowjetunion. Viele lächeln selig, freuen sich, dass es immer mehr werden. 100.000 Teilnehmer waren es am Ende. O-Ton 5: Sprecherin Olga auf O-Ton: Es ist kalt, aber ich denke diese menschliche Wärme, diese Nähe wärmt uns alle. Hier, nimm einen Aufkleber. Ist es nicht erstaunlich, dass so viele Leute gekommen sind, trotz der Kälte. Wenn du dann noch zufällig Bekannte und Freunde triffst, dann noch ganz unterschiedliche, einige habe ich erst kürzlich auf Kundgebungen oder auf der Polizeiwache kennengelernt, andere kenne ich schon lange - Gott, was ist das für ein Glück! Sergei: Sprecher auf O-Ton: Das erste weiße Band haben Olga und ich gemeinsam geschnitten. Atmo 15 Autor auf Atmo: Sergej hat ein Bündel weiße Bänder in der Hand. Ein älteres Ehepaar kommt vorbei, er hält ihnen zwei Bänder hin, die schütteln den Kopf, zeigen auf ihre Jacken, dort prangen bereits weiße Schleifen. O-Ton 6: Sprecher auf O-Ton: Sergej: Wir haben 10.000 Bänder in die Regionen verschickt - super - heute gibt es Kundgebungen in hundertelf Städten, ich habe vier Nächte daran gesessen, eine Karte davon zu machen, sogar in Mexiko gibt es eine Kundgebung. Sprecherin Olga auf O-Ton: Und ich habe eine Mitteilung gelesen, dass im Internet eine Karte von Kundgebungen zu sehen ist. Sprecher auf O-Ton: Sergej: Ja, das ist die, die ich gemacht habe. Sie ist jetzt feierlich eröffnet... Autor auf Atmo: Seit den gefälschten Parlamentswahlen im Dezember letzten Jahres brodelt es in Moskau. O-Ton 7: Sprecherin Olga auf O-Ton: Schau mal, meine Tante ist zum ersten Mal dabei, und sie verteilt schon Aufkleber. Alle sind jetzt auf einmal aktiv. Sprecher auf O-Ton: Jeder hat so angefangen. Die haben erst mal ganz für sich selbst verteilt. Ohne irgendeine Verbindung zu jemandem. Atmo 16 Sergei: jest. Olga: Wollen Sie Aufkleber? Autor auf Atmo: Überall stehen Polizisten. Hohe weiße LKW mit blauen Streifen, vergitterte Fenster. Mächtige Gefangenentransporter, im Volksmund heißen sie "Avtozak". O-Ton 8: Sprecher Sergei auf O-Ton: Am 6. Dezember, kurz nach der Parlamentswahl, haben wir beide am Triumphplatz gegen die Wahlfälschungen protestiert, und wurden beide verhaftet. Ich stand da nur. Die Polizei hat angefangen, die Leute zu schubsen, ohne zu sagen, dass sie Polizei sind. Oder zu sagen, warum sie das machen. Die schubsten mich, drückten meine Hände runter, ich bockte noch mal, und dann griffen mich vier Typen und brachten mich zu diesem ... hast du diese bedrohlichen Gefangenentransporter Uralavtozak gesehen? Die warfen mich gegen die Stufen. Ich konnte mich nicht abstützen, um den Fall abzufedern. Denn die hielten meine Hände fest. Es ist lächerlich. Autor auf Atmo: Aus einem unpolitischen jungen Mann, wurde ein Aktivist. So geht es vielen im Winter vor der Wiederwahl Putins zum Präsidenten. O-Ton: Sprecher auf O-Ton: Aber als ich den Avtozak betrat, traf ich die nettesten Leute der Welt. Da war ein Schauspieler, ein Musiker, ein Geschäftsmann, Olga Alle diese Leute waren so eine nette Gesellschaft. Wir haben gesungen, geredet, kamen zur Polizeistation, haben dort die Nacht verbracht. 8 Stunden ohne eine Erklärung, warum wir verhaftet wurden. Kein Essen, nichts. Das ist ungesetzlich, denn in Russland darf man niemanden länger als 2 oder 3 Stunden festhalten, ohne zu sagen warum. Wir durften nicht mal zur Toilette gehen. Zwar wurden wir nicht geschlagen, aber uns wurden alle menschlichen Bedürfnisse verweigert. Autor auf Atmo: April, die Präsidentenwahl ist einen Monat her. Der Sieger heißt Putin. Es gab Fälschungen. Atmo 17 Glocken Autor auf Atmo: In Jaroslawl, knapp vier Zugstunden nördlich von Moskau, wird der Gouverneur gewählt. Goldene Kuppeln wetteifern um den schönsten Glanz in der Frühjahrssonne. Noch liegt Schnee. Eisschollen treiben die Wolga herunter. Ein Idyll wie aus dem russisch-orthodoxen Tourismuskatalog. Damit es schwieriger wird, die Gouverneurswahl zu fälschen, sind 350 Oppositionelle aus Moskau angereist. Sie werden die Wahl beobachten, wie es das russische Recht erlaubt. Atmo hoch: Frau spricht Autor auf Atmo: Die Wahlbeobachter hängen in abgewetzten roten Stühlen, Die Bühne ist mit einem roten Vorhang verhängt. Von den Wänden des Theaterraums im Kulturhaus hängen geraffte Gardinen. Vorn stehen Experten der Organisation Graschdanin Nabljudatel, der Bürger als Wahlbeobachter. Ihre Erläuterungen dauern schier endlos. Es geht darum, wie die Beobachter sich verhalten sollen, welche Rechte sie haben, welche Pflichten. Olga schreibt mit, ihrer Freundin sind die Augen zugefallen. O-Ton 10: Sprecherin Olga auf O-Ton: Ich weiß all diese Dinge schon. Das ist gut. Aber ich frische mein Wissen auf. Ich war erst ein mal Wahlbeobachterin, bei den Präsidentenwahlen. Autor auf Atmo: Die Freiwilligen sind aufgebracht. Das russische, staatlich kontrollierte Fernsehen hat eine Dokumentation gezeigt, die belegen soll, dass die Opposition von den USA gekauft ist. Olga und ihre Freundin haben die Fahrt nach Jaroslawl selbst bezahlt. O-Ton: Sprecherin Olga auf O-Ton: Sogar meine Urgroßmutter glaubt, dass wir alle von der US-Regierung bezahlt werden. Sie hat immer der aktuellen Macht geglaubt, egal, wer gerade regiert hat. Sie hat Stalin geglaubt, sie hat Jelzin geglaubt, und nun glaubt sie Putin. Und das ist ein sehr großes Problem. Sie glaubt immer dieser Propaganda. Atmo 18 "My Zdjes" Olga geht runter Atmo 19 Musik vor der Tür Autor auf Atmo: Am Wahltag scheint die Sonne sehr hell. Graue Schneeberge liegen am Straßenrand, tauen. Olga und ihre Freundin beobachten in einem Wahllokal am Rand von Jaroslawl. 3-4stöckige Häuser, viel grau, viel braun. Putz bröckelt. Das Wahllokal ist in einer Schule, drei Stockwerke, roher brauner Ziegel. In einem Fenster steht ein großer Lautsprecher, eine russische Fahne hängt schlaff herunter. Vor dem Haus stehen zwei junge Männer und eine Frau. Sie geben sich als Wahlbeobachter aus, beobachten aber gar nicht. Statt dessen sprechen sie immer wieder Leute an und gehen mit denen dann etwas zur Seite. Olga ist skeptisch. Sie hat den Verdacht, dass die drei jedem, der für den Regierungskandidaten stimmt, Geld bezahlen. Atmo 20 : Autos fahren durch, Musik im Hintergrund Autor auf Atmo: Die streiten natürlich alles ab, wollen sich nicht fotografieren lassen, weichen Olga aus. Die bleibt hartnäckig. Ein Mann mit Kinderwagen nähert sich der Gruppe. Als er Olga und das Mikrophon sieht, stutzt er. Olga fragt ihn, ob ihm Geld angeboten wurde. O-Ton 12: Sprecher auf O-Ton: Selbst wenn ich Geld kriege, kriegt das doch keiner mit. Und auf meine Wahl hat das auch keinen Einfluss... 500 Rubel habe ich bekommen Sprecherin Olga auf O-Ton: Ist Ihnen denn klar, dass das nicht ehrlich ist? Sprecher auf O-Ton: Wieso? Die können doch meine Stimme nicht kaufen. Die erfahren doch gar nicht, wen ich gewählt habe. Das beeinflusst meine Wahl nicht. Die bieten mir Geld an. Warum soll ich das nicht nehmen? Sprecherin Olga auf O-Ton: Sympathisieren Sie denn mit einem der Kandidaten? Sprecher auf O-Ton: Mit keinem. Weder mit dem einen noch mit dem anderen. (...) Ich weiß nicht, wen ich weniger schlimm finde, hier kann man nur das kleinere Übel wählen Sprecherin Olga auf O-Ton: Aber sie haben doch gewählt, wen denn? Sprecher auf O-Ton: Das ist mein Geheimnis. Es ist nicht so, dass mich einer gekauft oder manipuliert hat. Das Geld hat keinen Einfluss. Aber ich wollte das Geld haben, wenn es das für nichts gibt. Sprecherin Olga auf O-Ton: Und ohne Geld, würden Sie auch wählen? Sprecher auf O-Ton: Ja. Die Wahlen sind wichtig, aber nicht die zwischen diesen beiden Kandidaten. Weil einer so schlimm ist wie der andere. Denn der eine ist ja auch nicht vom Volk, das wird nur behauptet. Autor auf Atmo: Olga dreht eine Zigarette. Geht auf und ab, stoppt, schaut, geht wieder, dreht den Kopf, sucht die drei Typen. Sie möchte sie gern auf frischer Tat ertappen. Doch die drei sind verschwunden. Atmo 21 Türen, Musikwechsel Sprecherin Olga auf Atmo: Ich geh jetzt rein. Autor auf Atmo: Es gibt zwei Kandidaten, beide sind sehr reich. Der eine tritt für die Regierungspartei an und verdient sein Geld hauptsächlich mit Immobilien, der andere ist vor kurzem aus der Regierungspartei ausgetreten und präsentiert sich nun als Reformer. Atmo 22 Türen, Reingehen Autor auf Atmo: Im Wahllokal sitzen zehn Leute in einer Reihe an zehn Tischen und warten auf Wähler. An der Wand hinten sitzen Olgas Freundin und eine ältere Wahlbeobachterin, auch aus Moskau. Atmo 23 Autor auf Atmo: Sie hat mit anderen Wahlbeobachtern telefoniert. Angeblich finden in ganz Jaroslawl Wahlfälschungen statt. Es sind Gruppen junger Leute gesehen worden, die mit Stimmkarten von Wahllokal zu Wahllokal ziehen und mehrfach abstimmen. Wahlfälschung war in der Sowjetunion normal. Und die Leute, die die Wahlen durchführen, sind immer noch die gleichen. Viele finden nichts dabei. Olgas Mund wird schmal. Sie behält die Urne im Auge, macht Striche auf einen Zettel, am Ende sollen nur so viele Stimmzettel in der Urne liegen, wie Striche auf den Listen sind. Autor: Später stellt sich raus, dass in ihrem Wahllokal nicht gefälscht wurde. Darauf ist sie stolz. Und, der Kandidat der Opposition gewinnt tatsächlich. Atmo 24 Autor auf Atmo: Sommer in Moskau, die Präsidentenwahl ist drei Monate her. Die Opposition macht unermüdlich weiter. Am Himmel dunkle Wolken, es ist heiß, stickig. Polizisten schauen in Taschen. Einzelne werden flüchtig auf Waffen abgetastet. Die Demonstranten müssen durch Metalltore. Links und rechts der Straße ist alles gesperrt. Es ist die letzte große Demo vor der Sommerpause. Immer mehr Leute drängen durch die Kontrolltore nach vorn. Allen Unkenrufen zum Trotz, die Oppositionsbewegung hat ein halbes Jahr durchgehalten. "Russland soll frei sein", rufen sie wieder und "Russland ohne Putin". Bunte Fahnen, rote Fahnen der Kommunisten, weiß-gelb-schwarze der Nationalisten. Rassisten und Homosexuelle demonstrieren gemeinsam mit Stalinisten und Globalisierungsgegnern. Sie alle eint nur die Abneigung gegen das herrschende System. Atmo 25 Olga läuft aufgeregt hin und her. In T-Shirt und Jeans steht sie vor der Menge. Hinter einem weißen Band eine Wand von Menschen. Seit der Aktion auf dem Roten Platz trägt Olga das rosa Dreieck, den Schwulenwinkel. Autor auf Atmo: Plötzlich bückt sich ein Mann unter der Absperrung durch. O-Ton 13: Sprecherin Olga auf O-Ton: Halt, halt, wohin laufen Sie denn? Hoch Halt, warten Sie doch bitte. Autor auf Atmo: Wenige Tage vorher ist das Versammlungsrecht verschärft worden. Wenn die Demo zu früh losläuft, drohen den Veranstaltern hohe Geldstrafen. O-Ton 14: Sprecherin Olga auf O-Ton: Die sollen da stehen und bis eins warten, bis es um Eins los geht. Aber ich denke, die sind müde, da einfach zu stehen. Die wollen los. Atmo 26 Autor auf Atmo: Olga geht zu ihrer Freundin. Demonstrationen sind in Russland streng geregelt. Der Veranstalter muss vorher mitteilen, wie viele Menschen zur Kundgebung kommen. Werden es mehr, kann er bestraft werden. Für heute sind 100.000 angemeldet. O-Ton 14: Sprecherin Olga auf O-Ton: Ich denke wir sind besser geworden, wir Leute, die in der Widerstandsgruppe sind. Ich denke, wir sind jetzt echt coole Typen. Und vielleicht ist das das wichtigste. Ich habe überhaupt keine Angst mehr und versuche mein Bestes, um Dinge zu verändern. Autor auf Atmo: Die Organisatoren dieser Demonstrationen haben mittlerweile Übung im Umgang mit den Schikanen der Behörden und des russischen Rechts. Olga wurde 5 mal verhaftet. O-Ton 15: Sprecherin Olga auf O-Ton: Das ist ermüdend. Atmo 27 Autor auf Atmo: Olga küsst ihr Freundin in aller Öffentlichkeit. In Russland ist das mutig. O-Ton 16 (Freundin) Sprecherin auf O-Ton: Die Leute wollen los. Die haben keine Lust mehr zu warten. Autor auf Atmo: Olga drängelt sich in die Menge. Dort ein paar Regenbogenfahnen und Transparente "Pussy Riot soll frei sein". Pussy Riot ist eine Gruppe von Aktionskünstlerinnen. Wegen eines sogenannten Punkgebets in der Christerlöser Kathedrale sitzen sie seit März im Gefängnis. "Mutter Gottes, befreie uns von Putin", lautet eine Zeile ihres Gebetes. O-Ton 18: Sprecherin Olga auf O-Ton: Die sind ein Symbol für diesen Kampf, ein Symbol für diesen großen Aufstand. Ich mag diese Gruppe. Ich war bei dem Solidaritätsfest für Pussy Riot am 19. April und wurde verhaftet. Das Gericht hat entschieden, dass ich 700 Rubel bezahlen muss. Aber ich werde das natürlich nicht zahlen. Das alles macht mich stärker. Atmo 28 Autor auf Atmo: Die Demo geht los. Olga und ein paar andere Aktivisten versuchen, einen Puffer zwischen Passanten und der Demo zu wahren. Atmo hoch: Rossia budiet swobodna oder Rossia bes Putina Autor: Noch vor einem Jahr wollte Olga auswandern. Doch seit letztem Winter hofft sie wieder. O-Ton 19: Sprecherin Olga auf O-Ton: Mein Land ist ein sehr schönes Land. Und ich liebe dieses Land und möchte hier leben. Ich hoffe, dass wir das Land ohne Gewalt verändern können. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt in Mitten wunderbarer Menschen lebe. Früher dachte ich, ich treffe meine Freunde und alle anderen lohnen nicht. Aber jetzt weiß ich, es gibt viel mehr Leute in Russland, die es lohnt zu treffen. Autor auf Atmo: Auch der Sommer wird turbulent. Die Behörden nehmen mehrere Aktivisten fest. Olga lässt sich davon nicht entmutigen. Und sie ist nicht allein. Die Protestbewegung macht weiter. 1