Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS Samstag, 15. Februar 2014 - 11.05 - 12.00 Uhr Heiß auf Eis: Der Aufstieg des nordschwedischen Städtchens Luleå im Zeichen der Kälte Eine Sendung von Simonetta Dibbern Redaktion: Thilo Kößler (DLF 2013) Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Eine junge schwedische Wissenschaftlerin über den Unterschied zwischen Eis und Schnee: Eis ist ein eher homogenes Material, weil es gefrorenes Wasser ist. Schnee dagegen ist aus kleinen Eiskristallen gebildet wird, die in der Luft gefrieren Beides interessiert mich sehr, weil ich ja auch Skifahrerin bin. Und der Direktor der örtlichen Wirtschaftsagentur über die rosigen Aussichten seiner Heimatstadt am Polarkreis: Auch in Zukunft werden wir versuchen, die positive Entwicklung weiterzutreiben, die Luleå in letzter Zeit genommen hat. Das bedeutet, dass wir weitere Rechenzentren hierherholen werden. Aber auch andere Arten von Industrie, auch produzierender Industrie. Gesichter Europas. Heiß auf Eis. Der Aufstieg des nordschwedischen Städtchens Luleå im Zeichen der Kälte. Eine Sendung von Simonetta Dibbern. Es ist gar nicht so kalt an diesem Wintertag. Minus 10 Grad. Am späten Vormittag steht die Sonne tief am Horizont, wirft lange Schatten und taucht die Silhouette der Stadt in ein fahles Licht. Der Kirchturm aus rotem Backstein, eingerahmt von hohen Kränen. Einzelne Hochhäuser, die Brücke über den Fluss. Luleå liegt auf einer Halbinsel. Ihren Namen hat die Stadt von dem Fluss Lule älv, der breite Strom aus dem schwedisch-lappländischen Gebirge mündet hier in die Ostsee. Im Winter jedoch verkriecht sich die Strömung unter das Eis: die weite Bucht ist zugefroren. Die Eisdecke so dick, dass Spaziergänger, Schlitten- und Schlittschuhfahrer sich sicher darauf bewegen können. Sogar Autos fahren über die weiße Fläche. This is a nice view, it's clean, I like it. Von seinem Arbeitsplatz aus hat Johan Söderholm einen fantastischen Ausblick. Auf die Stadt. Auf die verschneiten Hügel ringsum, die im Sommer Schäreninseln sind. Johan Söderholm steht auf der Brücke der Viscaria. Ein starkes Schiff: 6000 PS. The strength that's very nice as well. You can feel the power of the ship, that's good. Sein bulliges Schiff ist kein normales Schiff. Es ist ein Eisbrecher, einer von vieren, die in Luleå liegen. Die anderen, größeren, fahren hinaus aufs Meer, für den Hafen ist sie zuständig: die Viscaria. Im Winter sind zwar nicht sehr viele Schiffe auf ihre Hilfe angewiesen, etwa ein bis zwei pro Tag. Doch kein normales Schiff kommt mit eigener Kraft in den vereisten Hafen hinein. Oder wieder heraus. Auch nicht der mächtige Tanker Beatrix, ein graurotes Ungetüm, das festgefroren an der Kaimauer liegt. Luleå, Viscaria Funk: Viscaria Good morning. We are leaving to assist Beatrix.. Bevor er losfährt, meldet er sich beim Hafenamt - auf englisch. Die ausländischen Schiffe müssen uns ja auch verstehen können. Meistens sind es deutsche oder niederländische, deren Kapitäne sprechen ja nicht alle schwedisch. So - now we are on the way! Und dann gibt er Gas - per Joystick. Zu bedienen mit 2 Fingern. So werden die großen Schiffe heutzutage gelenkt, sagt der Käptn, alles elektronisch. Er schiebt den winzigen Hebel zwischen Daumen und Zeigefinger um eine Nuance nach vorne, wirft einen Kontrollblick auf den Monitor unter der Decke. Und sieht wieder geradeaus, durch das große Panoramafenster auf die unendliche weiße Weite. Mitte 30 ist er, ein freundliches rundes Gesicht, eingerahmt von einem akkurat geschnittenen Bart. Schwarzer Rollkragenpullover, Hausschuhe. Er ist hier geboren, in Luleå. Doch ein guter Kapitän kommt viel herum. Zuletzt war er 4 Jahre lang in schwerer See unterwegs, im Nordatlantik vor der norwegischen Küste, als Kapitän auf einem Versorgungsschiff für die Ölplattformen. Dort waren die Wellen höher, sagt er lachend. Dies ist sein erster Winter auf der Viscaria. Sie haben mich gefragt, ich brauchte mich gar nicht zu bewerben, denn es ist ziemlich schwierig hier oben, Leute mit Erfahrung zu finden, Erfahrung mit Seegang und mit so großen Schiffen. Ich hatte Glück: denn ich hatte die richtige Ausbildung und genügend Erfahrung. Einen Monat lang bin ich mitgefahren auf der Viscaria, um zu lernen, wie sie reagiert. Denn manche Situationen sind speziell, bei diesem Job, dann braucht man Tipps. Aber die anderen aus meiner Crew sind schon lange hier, die kennen sich aus. Sie sind zu dritt an Bord. Immer für eine Woche - von Mittwoch bis Mittwoch, 24 Stunden im Dienst. Oder zumindest auf Abruf. I bring some coffee. Einer kommt gerade die Treppe herauf. Staffan, der Bootsmann. Dicke Stiefel, wattiertes Ölzeug, ein Headset über der Mütze: Kopfhörer und Mikrophon. Und in der Hand: ein Tablett. And I bring some milk too, because I know he wants milk. Kaffee und Milch für den Käptn. Und ein paar Kekse für den Besuch. Staffan ist der Mann fürs Grobe, deshalb ist er so warm eingepackt. Doch heute, sagt er, ist es gar nicht so kalt. Staffan ist meine rechte Hand, draußen an Deck, denn ich kann hier nicht weg. Dann gibt es noch Jan, den Ingenieur, er ist zuständig für den Motor und alle Maschinen. Und mich als Steuermann. Also: 3 Leute an Bord. We are a team but I am the boss. Johan ist der Chef. Schließlich trägt er die Verantwortung. Er nimmt einen Schluck aus dem Kaffeebecher. Erzählt noch, dass sie eine Sauna an Bord haben. Dafür leider keinen Koch. Und dann legt er noch einen Zahn zu. Jetzt fahren wir volle Kraft mit dem Motor. Man kann hören, wie die Schraube das Eis aufbricht - aber dafür ist sie ja auch gemacht! Die wuchtige Viscaria schiebt sich vorwärts, durch das Eis hindurch. Hinterlässt eine Schneise aus Schollen. Langsam dreht Johan einen Bogen, fährt im Kreis, dreht Runde um Runde, um soviel Eisfläche aufzubrechen, dass der große Tanker Beatrix hier gleich wenden kann. Das Eis ist etwa einen halben Meter dick, die Viscaria kann bis zu einem Meter Eis aufbrechen, bei einer Geschwindigkeit von 2 Knoten pro Stunde. Allein durch ihr Gewicht und die Stärke des Motors. Durchschnittsverbrauch: 500 Liter Diesel pro Stunde. Je nach Temperatur und Dicke des Eises können es auch schonmal 1000 Liter sein. Bei diesen Temperaturen friert nur die Oberfläche zu, doch auch die muss aufgebrochen werden, sonst bleibt man stecken. Das Problem, sagt Johan, ist, dass die Eisschicht im Laufe des Winters immer dicker wird. Vor gerade einmal 4 Stunden war er mit der Viscaria in der Bucht unterwegs, jetzt ist das Eis schon wieder zugefroren. Und nach jedem Eisbrechen schieben sich die Eisschollen aufs Neue ineinander. Frieren zusammen. Und werden dadurch manchmal bis zu vier Metern dick. Dass das Eis wächst, hier am nördlichen Rand der Ostsee, liegt auch an den Containerschiffen, die weiter südlich unterwegs sind: der Schiffsverkehr schiebt bis zum Frühjahr immer mehr Eismassen Richtung Norden. Eins der drei Funktelefone. Es ist der Lotse, der schon an Bord ist, auf dem Tanker Beatrix. Er meldet auf schwedisch, dass der niederländische Kapitän versuchen will, aus eigener Kraft den Hafen zu verlassen. Also auf die weitere Hilfe der Viscaria verzichtet. Johan vermutet, dass er einfach Geld sparen will. Oder seine Reederei. Die müssen uns natürlich bezahlen. Nicht für das Eisbrechen, das gehört zum Service. Aber ein Schiff in dieser Größe rauszuziehen - das kostet ungefähr 50.000 Schwedische Kronen, also rund 5.000 Euro. Aber jeder Kapitän kann das frei entscheiden, denn er hat die Verantwortung. Wir bleiben mal in der Nähe. Vorsichtig nähert sich die Viscaria dem großen Frachter, damit der überhaupt loskommt. Die Beatrix, auch im Schwedischen sind Schiffe weiblich. 2 Tage hat sie am Kai gelegen - mit Kalkstein an Bord. Die Chemikalie wird für die Stahlproduktion benötigt. Jetzt ist das Schiff leer, mal sehen, ob sie rauskommt, sagt Johan. Und fährt noch etwas dichter ran, um sie - im wahrsten Sinne des Wortes: loszueisen. Im Hafen von Luleå wird hauptsächlich Schüttgut umgeschlagen, schweres Massengut wie Stahl, Eisenerz, Kohle und Öl. Container haben wir nicht, die werden weiter südlich abgefertigt, in Piteå. Doch was das Umschlagsgewicht angeht, ist dies der drittgrößte Hafen von Schweden. Dies ist der Ölhafen. Insgesamt sind es vier Terminals, hintereinander gelegen an einer kilometerlangen Kaimauer. Kleine und größere Kräne, schwere Lastwagen fahren hin und her, dahinter Tanks und rauchende Schornsteine. Mit der Verarbeitung von Rohstoffen ist Luleå in den letzten hundert Jahren gewachsen und reich geworden. Bodenschätze, die im Inland der Region Norbotten gefördert werden: an erster Stelle Eisenerz aus den Bergbauminen von Kiruna und Malmberget, das in Güterzügen an die Küste transportiert und hier nicht nur verladen, sondern zunehmend auch weiterverarbeitet wird. So entwickelte Luleå sich zu einem Zentrum der Metallverarbeitung und vor allem der Stahlindustrie. Die Bewohner von Luleå profitieren von den riesigen Fabriken, nicht nur indirekt über Steuereinnahmen und Investitionen. Sondern auch durch eine gute Infrastruktur. Und ganz direkt vor allem im Winter: denn die Hitze, die bei der Stahlverarbeitung entsteht, wird per Fernwärmenetz an die lokalen Haushalte abgegeben. Sodass die Heizkosten in Luleå die niedrigsten in ganz Schweden sind, die Einwohner zahlen die Hälfte des schwedischen Durchschnitts. Manche der weißgrauen Haufen schwelen im Winterlicht vor sich hin. Die Eisenerzpellets müssen gut abkühlen, bevor sie verladen werden, sagt Johan. Dies ist das Industriegebiet von Luleå, grün ist es hier auch im Sommer nicht. Wir werden sehen, wie lange es die Stahl- und Eisenindustrie noch geben wird, bis sich hier nur noch IT-Unternehmen ansiedeln. Das Industriegebiet in Luleå wird weiter wachsen, denn erst vor wenigen Jahren ist am Polarkreis ein regelrechter Rohstoffboom ausgebrochen. Wird nach Kupfer und Gold, Nickel und Uran gegraben. Doch, und darauf spielt Johan Söderholm an, während er die Viscaria wieder an ihren Anlegeplatz zurückmanövriert, mit einer kleinen Bewegung von Daumen und Zeigefinder: Luleå wird in diesem Jahrhundert eine neue Richtung einschlagen. Und seine geographischen und klimatischen Bedingungen zum Standortvorteil ausbauen. Denn die Minustemperaturen verwandeln nicht nur den Bottnischen Meerbusen in eine weißglitzernde Eislandschaft. Sie bieten auch optimale Bedingungen für alles, was Kühlung braucht, Daten und Server zum Beispiel. Lars Gustafsson: Ein Wintergedicht Etwas das mit den Zweigen geschieht Vor dem Fenster Etwas das die Eisflächen immer blanker wischt Und die ganze Zeit hört man es klirren Für die Skiläufer mit ihren roten Mützen, für die scherzhaften Schlittschuhläufer auf den Teichen für die buckligen alten Holzhauer in der Lichtung für alle die nur im Winter da sind eine wunderliche Musik: es klirrt wie zum Scherz. Stiller sind die Winter im Innern. Je tiefer landeinwärts, desto mehr Winter! Die Pfähle stehen ganz still im Eis. Feierliche, sehr scherzhafte Tage: Man kann hinübergehen wo immer man will. Versteht ihr? Wo immer man will. Und gehen dann ein paar in den Wald, mit der Axt, und suchen sich einen dürren Baum, und spalten ihn, mit kurzem, dürrem Schlag, so sagt das Holz HOLZ, ganz deutlich HOLZ, HOLZ. Das Feuer donnert und schläft nicht in den Schornsteinen. Die Pfähle stehen ganz still im Eis. Und eines Morgens sieht man ein paar weiße Pferde verschwinden. Das sind wunderbare Tiere. Luleå liegt 900 Kilometer nördlich von Stockholm, von hier aus sind es nur noch 110 Kilometer bis zum Polarkreis. Die Hafenstadt ist mit knapp 75.000 Einwohnern die größte Stadt in Schwedens nördlichster Provinz Norrbottens län. Eine Provinz, die beinahe ein Viertel des gesamten Staatsgebiets umfasst, etwa so groß wie Österreich. Und eine der am dünnsten besiedelten - wegen der extremen klimatischen Bedingungen: bis zu minus 35 Grad im Winter - und der beginnt schon meist im Oktober und dauert bis Anfang Mai. Im Sommer ist es zwar lange hell, doch richtig warm wird es auch dann nur selten. Im Jahresdurchschnitt liegt die Temperatur in Norbottens Län bei 2 bis 3 Grad Celsius. Die Menschen in und um Luleå haben sich mit dem Leben in der Kälte arrangiert. Dass Luleå sich trotz des Klimas zu einer attraktiven Stadt entwickelt hat, dafür ist in erheblichem Maße der Stadtrat von Luleå verantwortlich. Ihm ist es zu verdanken, dass die Stahlstadt wieder wächst, seit Mitte der 90er Jahre. Nachdem die Technische Hochschule den Universitätsstatus erhielt. Das, sagt der Bürgermeister Karl Petersen, war ein Meilenstein für die Stadt. Er war es auch, der den Bau eines enormen Kulturzentrums durchgesetzt hat. Und vor 10 Jahren hatte er die Idee, die zugefrorene Bucht als Freiluftpark zu nutzen. Zu Beginn jedes Winters stellt er einen Mitarbeiter des Stadtrates für einige Wochen lang frei, damit der im Stadtpark eine Skulptur aus Eis meißeln kann, mit einer Rutsche im Rücken, für die Kinder. Nur einen Steinwurf von Rathaus und Eis-Skulptur entfernt, auf der Rückseite des Luxushotels am Platz, hat die Beratungsfirma ihren Sitz, die die Stadt am Bottnischen Meerbusen via sozialem Netzwerk auf einen Schlag weltberühmt gemacht hat. Die Türen zu den kleinen Büros stehen offen, auf dem Flur vor der Kaffeemaschine sitzen zumeist junge Leute um einen großen Holztisch, offensichtlich zu einer Konferenz. Auch die Tür zum Büro von Matz Engman ist offen: ein großer Bildschirm auf dem sonst leeren Schreibtisch, dahinter das Fenster mit einem phänomenalen Blick weit über die Bucht. Ich heiße Matz Engman, ich arbeite hier in der Wirtschaftsagentur von Luleå - das ist ein Netzwerk, das zu 49% der Stadt gehört und zu 51% von privaten Unternehmen finanziert wird. Matz Engman. Mitte 40, schlank und groß. Ein smarter Geschäftsmann mit Schalk in den Augen. Er ist der Direktor. Luleå Business Agency - Luleå Näringsliv in swedish. Insgesamt sind 217 Unternehmen daran beteiligt, von ganz großen, Minenbetreibern, Stahlwerken bis hin zu kleinen Beratungsfirmen mit ein oder zwei Angestellten. Wir sind nur zu siebt, aber wir bewegen eine Menge. Unser Ziel ist es, die kommunale Wirtschaft anzukurbeln. Entscheidend ist dabei, dass wir eben keine städtische Firma sind, dass wir also auch Geheimnisse haben dürfen. Das ist wichtig bei Verhandlungen mit großen Investoren wie zum Beispiel Facebook. Wenn die Medien zu früh davon erfahren hätten, hätten wir keine Chance gehabt. Jeans trägt er, ein Jackett aus feinem Zwirn, darunter ein blassblaues Seidenhemd, keine Krawatte. Matz Engman ist schon ein bisschen stolz auf seinen Facebook-Coup. 2008 hat alles angefangen. Ich war als Unternehmensberater eingestellt, um eine Präsentation entwickeln, die die Einzigartigkeit der Region herausstellen sollte in Bezug auf den IT- und den Telekom-Sektor. Cloud-Computing war ein Teil davon. Denn ich wusste, dass die globalen Netzwerke, die virtuelle Speicherdienste anbieten genau das brauchen, was wir haben: viel Platz für die Server. Viel Energie. Und kühle Temperaturen. Zusammen mit Schweden Invest haben wir ein Paket für Investoren geschnürt. Sind im Oktober 2009 in die USA gefahren, um bei verschiedenen Firmen anzuklopfen. Und jetzt investiert Facebook hier in Luleå Milliarden von schwedischen Kronen. Denn das amerikanische Internet-Unternehmen baut sein neues, sein drittes Datenzentrum im Norden der Stadt, gleich neben der Universität. Das erste außerhalb der Vereinigten Staaten. Es soll eins der größten werden in Europa. Und das nördlichste der Welt. Die erste von 3 Serverhallen ist fertig, von außen, sagt Matz Engman, kann man sie besichtigen. Auf dem Weg zur Tiefgarage erzählt er, wie Luleå sich in den letzten Jahren verändert hat, wie es von einem Zentrum der Stahlindustrie zu einer Stadt der Kultur wurde, der Wissenschaft. Und mit dem Aurorum Science Park: der Hochtechnologie. We use this one. Bevor er einsteigt, bückt er sich und zieht ein Stromkabel neben dem Nummernschild heraus. Wie viele Autobesitzer in Luleå hat Matz Engman eine Standheizung. It's nice to be in a warm car, so it's minus 10 outside... Minus 10 Grad Außentemperatur. Im Auto ist es warm. Die Straße führt an der Bucht entlang, Richtung Norden. Es ist später Vormittag, die Sonne steht tief. Die Straßen sind geräumt, eine Schicht aus kleinen Kieseln macht sie rutschfest. Vor uns ein LKW mit deutschem Kennzeichen. Im Moment kommen viele Lastwagen mit Rechnern - aus Deutschland. Sie werden dort irgendwo gesammelt und dann hierher transportiert. Um dann installiert zu werden. Insgesamt hat Facebook weltweit 3 Rechenzentren, ich nenne sie Fabriken. Zwei Fabriken in den Vereinigten Staaten und eine in Luleå. Und alle Daten werden, wie man sagt: mehrmals gespiegelt. Sodass die Daten aller User als Kopie auch hier in Luleå sein werden. Eine dreifache Absicherung, falls ein oder sogar zwei Rechenzentren ausfallen. Matz Engman ist nicht nur ein guter Verkäufer. Er ist inzwischen auch ein Experte in Sachen Hochtechnologie. Er ordnet sich links ein. Hier rechts ist die Universität und links der Aurorum Science Park. Ein Wissenschafts- und Technologiezentrum, das wir auch beraten. Etwa 100 Hightech- Unternehmen sind hier angesiedelt. Und genau hier ist jetzt auch Facebook. Die Umgebung passt ebensogut wie die Adresse: Datavägen. Ja, lacht Matz Engman. Die Straße hieß aber schon vorher so. Computerweg. Now you can see the datacentre. This is where you can storage pictures and other things.... Da ist es, das neue Rechenzentrum, wo bald Milliarden von Bildern, Filmen und anderen Daten gespeichert werden. Allein die Grundfläche ist größer als vier Fußballfelder. 317 Meter lang, 100 Meter breit, 15 Meter hoch. Die Hülle zumindest ist fertig, ein silbergraues Ungetüm in Kastenform. Bauarbeiter in wattierten Jacken und mit Schutzhelmen auf dem Kopf eilen zwischen dem Eingang und den Containern hin und her. Noch ein LKW fährt vor. Wenn ich 5 Jahre zurückgehe und damals den Leuten erzählt hätte, dass wir eines Tages eine riesiges Haus haben würden, um digitale Daten zu speichern. Ein Haus, das mehr Strom und mehr Wasser verbrauchen würde als ein Stahlwerk. Die hätten mich in eine dunkle Kammer gesperrt und nie wieder rausgelassen. Aber jetzt ist das Realität. Und in der Tat vergleichbar mit einem Stahlwerk. Innerhalb der letzten 4 Jahre hat sich die Zahl der Facebook-User mehr als verdoppelt: mehr als eine Milliarde Mitglieder hat das soziale Netzwerk inzwischen. Und es werden täglich mehr, die permanent nicht nur Freundschaftsanfragen um den Globus schicken. Sondern auch Bilder: pro Stunde derzeit mehr als 450 Millionen. Und Filme. Enorme Datenmengen, die jederzeit verfügbar sein sollen. Die gesichert, gespeichert und gesteuert werden müssen. Und zwar nicht in einer Wolke, wie der Begriff Cloud-Computing vermuten läßt. Sondern, ganz irdisch: in Rechenzentren. Die Fabriken des Informationszeitalters sind vollgestopft mit Servern, die auf Hochtouren laufen und entsprechend viel Energie benötigen. Google und Yahoo, Apple und Microsoft - und, eben Facebook, um nur die größten zu nennen: insgesamt verbrauchen die Datenzentren etwa 2 Prozent der Weltenergie. Die Computer-Clouds produzieren soviel CO2 wie der globale Flugverkehr. Unter anderem, weil sie Strom brauchen, um die Server zu kühlen. Und weil dieser Strom zumeist durch Kohle gewonnen wird. Bisher jedenfalls, sagt Matz Engman. Dadurch, dass wir die IT-Industrie aus Nordamerika hierherlocken, in diesen Teil der Welt, wo wir 100 Prozent erneuerbare Energie haben, nämlich Wasserenergie. Und das sogar im Überfluss. Dadurch ersparen wir dem Globus viel Kohlendioxid. Heute arbeiten Greenpeace und Facebook sogar zusammen, um andere IT-Unternehmen zu ökologischem Stromverbrauch anzuregen. Das ist doch großartig, oder? Es klingt in der Tat nach einem Superdeal, bei dem alle Beteiligten gewinnen. Großartig findet Matz Engman vor allem, dass Luleå damit auf der Weltkarte erscheint. Ähnlich wie das finnische Hafenstädtchen Hamina, wo der Konzern Google bereits im Jahr 2009 eine Serverfarm gebaut hat - aus ähnlichen Gründen wie Facebook dies jetzt in Schweden tut: niedrige Energiekosten. Eine gute Infrastruktur. Und natürlich: die Kälte. Wir wussten, dass 30 Grad die Obergrenze ist. Und so haben wir recherchiert und herausgefunden, dass es mehr als 50 Jahre her ist, dass es hier einmal 24 Stunden 30 Grad hatte, im Sommer 1961. Die Touristenbehörde hat das gar nicht gern gehört. Aber Facebook umso lieber. Vom Aurorum Science Park ist es nur ein Katzensprung zur Technischen Universität von Luleå. Zu Fuß zehn Minuten. Nach den imposanten Hightech-Gebäuden eben wirkt der Campus geradezu ländlich: mehrere zweistöckige Gebäude in rotem Backstein, auch auf den Wegen zwischen den Häusern liegt Schnee, festgetreten und mit kleinen Kieseln bedeckt, so dass es sich gut darauf gehen lässt. Auf der großen Wegkreuzung brennt ein Holzfeuer, über dem Haupteingang flattert ein Banner, darauf in großen Lettern: Välkommen. Gerade hat das neue Semester begonnen - und damit sind viele neue Studenten angekommen. Studenten aus Schweden. Aus Europa. Aber auch aus anderen Teilen der Welt. An dem kleinen Platz neben Haus B steht eine Gruppe von Austauschstudenten aus Singapur: bunte Anoraks, Kichern, aufgeregte Spannung. Heute ist ihr zweiter Tag in Luleå - und zum Kennenlernen und Warmwerden bekommen sie eine kleine Einführung in Yukigassen. Das ist eine Art Schneeballschlacht mit festen Regeln, seit 3 Jahren gibt es ein Yukigassen-Team an der Uni von Luleå. Aus der Gruppe der aufgeregten Studenten aus Asien ragt einer, rein körperlich heraus: Adam ist heute der Spielleiter und Schiedsrichter. 1 Meter 90 groß, Mitte 20, Vollbart, Wollmütze, braune Augen. Er verteilt erstmal die Helme: blau und rot, für die beiden Teams. Und erklärt die Spielregeln. Yukigassen. Das Wort ist nicht schwedisch, sondern japanisch. Wie das gleichnamige Spiel: Yuki, Schnee und Gassen: Kampf. Eine Art Schneeballkrieg. Ein Mannschaftsspiel, das sich von Japan aus auf der Nordhalbkugel ausbreitet hat: nach Finnland, Norwegen, Kanada, und, eben: nach Nordschweden. Während die beiden Teams ihre Strategien besprechen, holt Adam sich den Helm, den er als Schiedsrichter gleich brauchen wird: in grün. Gelassen und amüsiert beobachtet er die kichernden Studienanfänger. Adam Danisovec. Vor 3 Jahren ist er als Austauschstudent nach Luleå gekommen, um sein Wirtschaftsstudium abzuschließen. International Business. Ich mag es, wenn es kalt ist. Jetzt habe ich keine Veranstaltungen mehr, ich muss nur noch meine Masterarbeit schreiben, über Vattenfall. Anders als in Deutschland ist der Energiekonzern hier in Schweden ein sehr umweltfreundlicher Konzern. Ich will ein Konzept erarbeiten, wie - nach Facebook - noch andere IT-Unternehmen angelockt werden können. Demnächst wird es wieder ein Treffen in Silicon Valley geben. Und Adam, so wirkt es, wäre am liebsten dabei. Natürlich ist er Facebook-Mitglied, ohne das soziale Netzwerk, sagt er, läuft an der Uni nämlich nichts. Kommuniziert wird auf Englisch, genau wie hier auf dem Spielfeld. Und wie in den Masterstudiengängen. Adam spricht aber auch schwedisch. Chinesisch lernt er gerade. Und Deutsch hatte er in der Schule. In Bratislava. Ich komme aus der Slowakei. Mochte in Schweden studieren. Ich mochte eine neue Sprache lernen, das war schwedisch. Und dann bin ich hierhergekommen. Vielleicht war es exotisch. Und er ist geblieben. Und so wie Adam geht es vielen Studenten: Ob wegen der Sprache, wegen des Klimas oder wegen des attraktiven akademischen Angebots: die LTU wächst beständig. Allein in den letzten zwei Jahren um 18 Prozent. In diesem Semester sind 17.000 Studenten hier eingeschrieben. Luleå Tekniska Universitet. Ihr Logo: ein großes L, ganz aus Eis. Und auch mit ihrem Motto setzt sie auf Kälte: Great Ideas Grow better below Zero. Die fachliche Bandbreite der nördlichsten technischen Hochschule ist groß: neben technischen Studiengängen wie Maschinenbau, Ingenieurs- und Naturwissenschaften, Raumfahrttechnik und Architektur werden auch Wirtschaftsstudiengänge angeboten. Literatur, Musik und Tanz, Pädagogik. Medizin nicht, dafür aber Krankengymnastik - was zur Zeit übrigens das beliebteste Fach ist. Für schwedische Studenten ist das Studium kostenlos, ausländische Studierende müssen bezahlen. Ihr Anteil wächst dennoch beständig, sie kommen von überall her, hauptsächlich aus Europa. Unter den 10 Punkten, mit denen die LTU auf ihrer Webseite für sich wirbt, sind auf Platz 1: die Nähe zur Innenstadt. Und auf Platz 2: der Gemeinschaftssinn unter Studierenden und Lehrenden. Außerdem: die Zusammenarbeit mit örtlichen Unternehmen, das wissenschaftliche Niveau. Und: der echte Winter. Exotisch, hatte Adam gesagt. Ein Schneeräumer fährt über den Campus und verstreut kleine Steinchen auf dem Weg. Die Studenten aus Singapur lassen sich davon nicht stören, sie haben sich warmgelaufen, von Krieg keine Spur, es ist eher eine lustige Schneeballschlacht. Prustend verstecken sie sich hinter den Hürden aus Schnee. 3 Minuten dauert eine Halbzeit, dann wird abgepfiffen. Bei den richtigen Teams geht es ernsthafter zu, sagt Adam. Anfang März wird hier in Luleå die schwedische Yukigassen-Meisterschaft ausgetragen. Auch der Schiedsrichter ist natürlich bei jedem Training dabei. Im Winter trainieren wir jede Woche... Doch seine Karriere wird er dabei keineswegs vernachlässigen. Schließlich will Adam in Luleå bleiben. Und die Karriereaussichten stehen für den jungen Wirtschaftswissenschaftler zur Zeit ziemlich gut. Viele Unternehmen werden investieren, das heißt, die Stadt wächst. Und wenn etwas wächst, ist es immer gut. Dicke Stiefel, wattierter Anorak, Wollmütze und Handschuhe. Die Professorin ist dick eingepackt, wenn sie mit dem Fahrrad zur Uni fährt. Das tut sie jeden Tag, von der Innenstadt sind es immerhin 5 Kilometer. Auch ihr Fahrrad ist schneetauglich: Winterreifen mit Spikes - das haben hier die meisten Alljahrfahrradfahrer. Und davon gibt es eine ganze Menge in Luleå. Man kann vorn und hinten welche haben, ich hab sie nur vorn, das reicht. Kristina Nilsson hat das Rad abgestellt. Ende 50 ist sie. Blaue Augen, ein frischer Teint, die Wangen sind gerötet von der Kälte. Man muß morgens natürlich aufs Thermometer gucken und sich dementsprechend anziehen. Auf dem Fahrrad wird mir immer warm, nur wenn man still steht, dann friert man beinahe fest. Bei Minus 20 muß man sich schon sehr warm anziehen. Und wenn es so kalt ist, dann wasche ich morgens mein Gesicht nicht, jedenfalls nicht mit Wasser, sonst wird es noch kälter. So bleibt der natürliche Schutzfilm erhalten. Das ist eine gute alte Weisheit von unseren Vorfahren - ein paar Spritzer um die Augen, um wachzuwerden, das genügt. Auf dem Weg in ihr Arbeitszimmer nimmt sie die Mütze ab: die weißen Haare trägt sie kurz, sehr kurz. Und Perlenohrstecker. Kristina Nilsson ist Architektin und Städteplanerin. Seit 4 Jahren leitet sie den Bereich Architektur und nachhaltige Entwicklung im urbanen Raum. Und erforscht unter anderem, wie Menschen in Städten am Polarkreis möglichst gut und gesund leben können. Wir nennen es das Wintergefühl. Oder auch: den Winter zelebrieren. Dabei geht es darum, möglichst viel draußen sein zu können. In der Stadtplanung sprechen wir von weißen und von grünen Flächen, die stehen für Winter und für Sommer. Und wenn wir versuchen, die Struktur einer Stadt zu verbessern, dann müssen wir beides bedenken. Denn es hängt zusammen. Unser Ziel ist zum Beispiel, dass du möglichst mit demselben Fahrzeug unterwegs sein kannst. Und dass Du trotzdem im Winter deinen Schlitten nicht tragen musst. Möglichst viel freie Zeit im Freien zu verbringen ist vielen Menschen in Schweden wichtig. Und die Stadt Luleå tut eine Menge dafür, nicht nur die unterschiedlichen Wünsche nach winterlichen Freizeitaktivitäten zu erfüllen. Sondern auch neue Ideen zu entwickeln. Und, ganz praktisch: zu überlegen, wie Autofahrer, Fahrradfahrer und Fußgänger sicher durch die Stadt kommen. Wenn die Tage kurz sind. Und Zebrastreifen oder Fahrradwege von Schnee verdeckt. Das ist die eher technische Seite. Wie man die Fahrradwege verbessern kann, so dass man mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren kann und nicht auf das Auto angewiesen ist oder auf den Bus. Denn die tägliche Bewegung, am besten an der frischen Luft, soll ja viel gesünder sein als einmal der Woche ins Fitness-Studio zu gehen. Über solch alltäglichen Dinge machen wir uns Gedanken. Auch über die Sicherheit: damit wir auch ältere Menschen nach draußen locken können. Viele haben Angst auszurutschen. Also müssen die Fußwege und die Straßen in gutem Zustand sein, damit sie sich trauen, rauszugehen. Expertin für nachhaltige Stadtentwicklung im subpolaren Raum. Ein Traumjob für Kristina Nilsson. Ursprünglich ist sie aus dem Süden, nach Luleå ist sie zum Architekturstudium gekommen, in den 70er Jahren. Hat dann 15 Jahre lang als Planerin in der Stahlindustrie gearbeitet. Anschließend als Landschaftsarchitektin in Uppsala. Bis die Uni sie rief. Bei ihren aktuellen Forschungsprojekten steht der Mensch im Mittelpunkt. Und die Natur. Unser Ziel überall in Schweden ist es, die Städte umweltfreundlicher zu gestalten. Was zum Beispiel heißt, dass die Häuser enger gebaut werden, sodass die urbanen Zonen verdichtet werden. Doch in einer Gegend mit viel Schnee darf die Bebauung nicht so dicht sein, denn man muss genug Platz haben, um den Schnee wegzuräumen, Platz, der ansonsten nicht benutzt wird: Hinterhöfe, Brachflächen. Wir versuchen zu berechnen, wieviele solcher Zwischenräume benötigt werden und möglich sind. Denn es ist teuer, den Schnee zu entsorgen. Das Telefon klingelt, eine Kollegin will sich mit Kristina Nilsson verabreden. Zwischen Telefon und Computer liegen 3 Jonglierbälle, in blau, gelb, rot - es ist gut, Bälle im Büro zu haben, sagt Kristina Nilsson später, das macht den Kopf frei. Wenn man eine neue Stadt plant, dann kann man all das berücksichtigen und zum Beispiel eben überlegen, wie dicht die Bebauung sein sollte. Oder auch, wie die Straßen verlaufen sollten, in Bezug zum vorherrschenden Wind. Man kann die Straßen und auch die Gebäude ja so planen, dass der Wind nicht permanent hindurchfegen kann. Also eine Stadt wintertauglich machen. Kristina Nilsson schiebt sich die rote Lesebrille ins weiße Haar. Ihre Forschungen und Erkenntnisse entwickelt sie am Computer. Doch die praktischen Erfahrungen macht sie am liebsten selber. Draußen in der Kälte. Ich bin zurückgekommen, weil ich den Schnee mag und den Winter. Und obwohl ich hier weder geboren noch aufgewachsen bin, war es, als ob ich nach Hause komme. Und höchstwahrscheinlich werde ich meine Karriere auch hier beenden. Doch jetzt geht Kristina Nilsson erstmal einen Kaffee trinken, mit der Kollegin, die vorhin angerufen hatte. Im selben Gebäude, ein Stockwerk tiefer, ist das Schneelabor. Wie der Fachbereich Architektur und Stadtplanung ist es Teil eines interdisziplinären Forschungsprojekts an der LTU: Schnee und Eis. Eine Holztreppe führt hinunter, zu dem Arbeitsplatz von Nina Lintzen. Eine Art Werkstatt mit Regalen, einem aufgespannten Winterreifen. Und ein begehbarer Kühlschrank. Drin ist es kalt. Die junge Frau trägt einen weißen Anorak und eine rote Pudelmütze. Keine Handschuhe. Ein Tisch, eine Werkbank, in der Ecke eine graue Plane. Darunter: ein Eis-, nein: ein Schneeblock. Das ist Schnee aus Jukkasjärvi, Schnee von dem Eishotel, das sie dort jedes Jahr bauen. Daraus nehmen wir Proben und untersuchen sie unter verschiedenen Aspekten: wieviel Druck sie aushalten, wie weit man sie biegen kann und unter welchen Bedingungen. Dieses ist künstlicher Schnee, der ist zum Bauen besser als Naturschnee, er ist stabiler, auch bei Wetterwechsel. Sie haben ihn in Jukkasjärvi hergestellt, mit Wasser aus dem Fluß Torne, das durch riesige Schneemaschinen gejagt und dann in verschiedene Formen gebracht wird. Nina Lintzen ist Anfang 30. Sie hat Maschinenbau studiert, als Ingenieurin gearbeitet, jetzt will sie ihren Doktor machen. Im Schneelabor untersucht sie dafür die Eigenschaften von Schnee. Erforscht mithilfe von Maschinen und Mikroskopen seine Dichte, Beschaffenheit und damit sein Potential als Baumaterial, nicht nur für das Eishotel in Jukkasjärvi, das seit über 20 Jahren Winter für Winter neu gebaut wird und tausende Touristen anzieht. Die junge Frau nimmt eine Kreissäge, schlägt die Plane zurück und sägt mit geübtem Griff einen Schneeziegel aus dem Block heraus. Es ist kein Zufall, dass Nina Lintzen im Schneelabor gelandet ist: sie ist eine der besten Skiläuferinnen Schwedens, große Distanzen sind ihre Spezialität, mindestens 42, höchstens 90 Kilometer. Außerdem betreibt sie eine eigene Skischule, zusammen mit ihrem Bruder. Und demnächst ist sie Ingenieurin mit Doktortitel. Bis es soweit ist, muss sie allerdings noch viele Messreihen durchführen. Wir haben zum Beispiel versucht, den Schnee zu biegen, das nenne ich den Balkentest. Wenn man es ganz langsam macht und unter hohem Druck, dann kann man einen halbrunden Balken herstellen, ohne dass er bricht. Schnee ist ein ganz außerordentliches Material, wenn man weiß, wie man damit umgehen muß. Und dann bleibt er auch sehr stabil. Ich finde es immer wieder faszinierend, was man mit Schnee alles machen kann. Sie spannt den eisigen Quader, den sie gerade aus dem Block herausgesägt hat, in eine Art Schraubstock und preßt ihn zusammen. Der zusammengepresste Ziegel hat äußerlich keinerlei Ähnlichkeit mit einer Schneeflocke. Es gibt ein internationales Klassifizierungssystem für Schnee, wie grob der Schnee ist, wie groß die einzelnen Kristalle und wie dicht sie aneinandergefügt sind. Schnee kann ganz unterschiedlich sein, es hängt auch von der Wolkenbildung ab, welcher Art Schnee dann tatsächlich auf der Erde ankommt. Das ist immer anders, ich finde es sehr interessant - denn das hat ja auch Einfluss aufs Skifahren und solche Sachen. Meistens arbeitet sie alleine. Und in der dunklen Jahreszeit kommt sie oft am Abend zum Arbeiten in die Uni, damit sie die wenigen hellen Stunden des Tages nutzen kann, um zu trainieren. Sie kann sich ihre Arbeitszeit frei einteilen, sonst wäre es im Winter gar nicht möglich, alles zu verbinden: den Job. Das Training. Die Wettkämpfe. Nina Lintzen schnappt sich ihren Rucksack - sie will noch eine letzte Trainingseinheit absolvieren, bevor es dunkel wird, oben, auf dem Olmberget. Draußen auf dem Campus hat jemand entlang des Hauptweges kleine Fackeln angezündet, denn es dämmert bereits, obwohl es erst Nachmittag ist. Es riecht nach Holzfeuer. Im Sommer arbeite ich auch hier im Schneelabor. Ich habe also das ganze Jahr mit Schnee zu tun. Aber das macht mir gar nichts aus, im Gegenteil. Ich mag den Schnee. Den Sommer mag ich auch, es ist schön, wenn es warm ist und man nicht soviel anziehen muss. Aber wenn ich mich entscheiden müsste zwischen immer Sommer oder immer Winter: ich würde den Winter nehmen. Heyhey! Es muß eine Welt gegeben haben vor Der Triosonate in D, eine Welt vor der a-moll-Partita, aber was war das für eine Welt? Ein Europa der großen leeren Räume ohne Widerhall überall unwissenden Instrumente, wo das musikalische Opfer und das Wohltemperierte Klavier noch über keine Klaviatur gegangen sind. Einsam gelegene Kirchen, in denen nie die Sopranstimme der Matthäuspassion sich in hilfloser Liebe um die sanfteren Bewegungen der Flöte gerankt hat, weite sanfte Landschaften, wo nichts zu hören ist als die Axt alter Holzfäller, das muntere Gebell starker Hunde im Winter und - wie eine Glocke - Schlittschuhe, die blankes Eis ritzen; die Schwalben, die durch die Sommerluft schwirren die Schnecke, in die das Kind hineinhorcht und nirgends Bach nirgends Bach die Schlittschuhstille der Welt vor Bach. Der Schnee dämpft die Geräusche der Stadt. Und doch sind sie zu hören, draußen auf dem Eis: die Autos. Ein Flugzeug, das gerade gestartet ist. Die weite Eislandschaft um die Innenstadt von Luleå ist nicht nur ein visuelles Erlebnis. Sondern auch akustisch ein ungewöhnlicher Ort. Das Eis singt. Und das Singen wird lauter, wenn sich ein Schlittschuhläufer nähert. Er ist an diesem Mittag der einzige, der mit langen Schwüngen auf langen Kufen eine weite Runde dreht. Fünf Meter breit und 10 Kilometer lang ist die Eisstraße, die einmal um Luleås Zentrum führt, vom Nord- bis zum Südhafen und hinaus zu den Schäreninseln. Die unwirkliche Klanglandschaft wird gestört durch einen realen Traktor. Ein treckerartiges Ungetüm, das seitlich eine weiße Fontäne herausbläst. Mit dieser Maschine wird allwinterlich die Eispiste präpariert. Der Schnee festgewalzt und das Eis poliert. Ganz eben jedoch wird es nie, sagt Jan Blomquist. Er ist einer der beiden Männer, die jetzt neben der Eishobelmaschine stehen. Es gibt immer wieder Risse. Die entstehen, weil die Eisdecke sich bewegt. Und weil das Gewicht des Schnees auf beiden Seiten der Piste sehr schwer ist. Das ist aber kein Problem, die Spalten frieren ja sofort wieder zu. Wir haben alles mögliche ausprobiert, um sie zu kitten, mit einer Mischung aus Schnee und Eis. Aber das funktioniert nicht, also müssen wir damit leben. Jan Blomquist. Um die 60 ist er, rundes Gesicht, weißer Stoppelbart, ein meckerndes ansteckendes Lachen. Seit Anfang der 80er arbeitet er auf und, als Eistaucher, auch unter dem Eis. Bei der Stadt Luleå angestellt und verantwortlich für das eisige Freiluftgelände rund um die Stadt. Sein Kollege ist wieder in die Fahrerkabine geklettert. Fährt los, lässt den Hobel herunter und hüllt den Eisexperten neben seinem silbernen Geländewagen in eine Wolke aus feinem Eis. Jan Blomquist lacht, schüttelt sich den Schneestaub von der Pudelmütze und begutachtet die Spur, die der tonnenschwere Hobel hinterlässt. Insgesamt zehnmal muss man drübergehen, bis das Eis wirklich glatt ist, sagt er. Das ist ja eigentlich ein Fluss, der Lule älv. Hier ist die Strömung nicht so stark wie am gegenüberliegenden Ufer, deshalb machen wir die Eisstraßen auf dieser Seite der Bucht. Die Fische? Die schwimmen drunter weg, wie im Sommer. Aber mit reduziertem Tempo. Im Winter gibt es hier hauptsächlich Flussbarsche. Sie haben immer noch genügend Platz unter dem Eis, bis zu 8 Meter ist die Wassertiefe in dem Archipel. Und die vergleichsweise dünne Eisdecke schwimmt obenauf. Mit 50 Zentimetern aber dick genug, um auch Traktoren von 6 Tonnen zu tragen. Oder den Geländewagen, in den Jan Blomquist jetzt einsteigt. Er schaltet das orangefarbene Blinklicht an, damit jeder weiß, dass dieses ein Dienst- und kein Privatauto ist. Denn die präparierten Pisten sind eigentlich Schlittschuh- und Schlittenfahrern vorbehalten, Spaziergängern mit Kinderwagen, Rollstühlen oder Hunden. Jeder ist glücklich, wenn er auf dem Eis ist. Naja, oder sagen wir 99 Komma 9 Prozent, irgendeiner hat immer was zu mäkeln. Aber für mich ist das natürlich sehr befriedigend. Es ist immer schön, eine Arbeit zu machen, für die Du gelobt wirst, Anerkennung bekommst. Mir gefällt das sehr. Wenn die Sonne aufgeht über der Stadt ist es so schön wie auf einem anderen Planeten. Diese leere Weite, ein bisschen wie in den Bergen. Und du fühlst Dich ganz klein. Darum lieben es die Menschen, hier auf dem Eis zu sein. Jan Blomquist kann nicht genug davon bekommen und er lässt seinen Blick noch einmal schweifen über die unendliche weiße Weite. Hinten in der Dämmerung die Silhouetten der Eisbrecher. Dann steigt er wieder ein und braust davon, das Geräusch der Reifen ist lange noch zu hören. So lange, bis er wieder an Land ist. Heiß auf Eis. Das waren Gesichter Europas an diesem Samstag: Der Aufstieg des nordschwedischen Städtchens Luleå im Zeichen der Kälte. Eine Sendung von Simonetta Dibbern. Die Gedichte von Lars Gustafsson las Simon Roden. Redaktion: Thilo Kößler. ----------------- 16