COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Redaktion: Deutschlandradio Kultur / Die Reportage Titel: Einmal Hölle und zurück - das schwierige Patchworkleben einer Hartz-IV-Empfängerin Autor: Eberhard Schade Script Beitrag Atmo 1; Fotograf So, zeig das ´ne Große bist. So ist super, Klasse. Papa ist weg. Da ist er. Und jetzt alle: KÄSEKUCHEN. Sooo. Hey, klasse. Geschafft. Danke. ... Autor: K-äää-s-e-ku-chen! Der Fotograf spricht es laut und deutlich vor. Und wartet auf das Echo, den kurzen Augenblick danach, in dem alle immer so glücklich aussehen. Die drei Erwachsenen Christian, Stephanie und Mandy. Und die sechsjährige Yasmin mit ihren beiden Schwestern. Es ist der Abschluss der einstündigen Einschulungsfeier in der Geistig- und Behindertenschule am Mummesoll am nördlichen Stadtrand von Berlin. Atmo 1; Schule Autor: Yasmin, die Hauptperson, ein zartes Mädchen mit komplexer Sprachentwicklungsstörung, steht Sekunden später noch genau so da, wie sie eben für das Foto posiert hat. In ihrem schneeweißen Tüllkleid mit rosa Schleife, den schwarzen Lackschuhen, die Zuckertüte fest vor die Brust gepresst. Und ganz nah bei Christian, ihrem Papa. Der ist mit seiner Freundin Mandy gekommen. Mit seiner Ex Stephanie hat er zwei Töchter. Die dreijährige Lina auf seinem Schoß ist von einem anderen Mann. Atmo 2; Christian Wo ist denn der eigentlich heute, wieso ist denn der nicht hier bei der Einschulung? Weil er nicht kommt. Gibt es irgend einen Grund dafür? Nö. Autor: Nach dem Fototermin steht Christian draußen mit Stephanie und Mandy, raucht eine Zigarette. Die drei unterhalten sich über Linas Papa. Auffällig ist, wie wenig Männer insgesamt an diesem Morgen zur Einschulung gekommen sind und wie viele junge alleinerziehende Mütter. Mit oft drei, vier Kindern von verschiedenen Vätern. Wie Stephanie, die drei Töchter von zwei Männern hat - mit 27. Christian aber ist da, hat heute extra seine Schicht in der Zigarettenfabrik getauscht. Und schimpft immer noch über Linas Vater. Atmo 3; Christian Zahlt er überhaupt für irgend jemand? Nö. Siehste, der zahlt gar nicht, der Vogel. ... Autor: Dann kündigt er vollmundig an, dass er sich in Zukunft auch mit um Lina kümmern wird. Worüber sich plötzlich Mandy furchtbar aufregt. Die Rollen an diesem Vormittag sind aber klar verteilt. Als einziger Mann in der Runde übernimmt Christian die des Machers. Kaum ist die Zigarette aufgeraucht, drückt er Mandy die Autoschlüssel in die Hand deutet mit einer Kopfbewegung Richtung Parkplatz. Fahr los, hol Oma, sagt er in zackigem Ton. Und Mandy macht sich auf den Weg. Atmoblende Atmo 3 > Atmo 4; Stephanie Jut, ich hab jetzt noch nicht den Müll runtergebracht. Spielsachen haben wir noch inne zwei blauen Säcke ... Autor: Acht Tage vor der Einschulung laufen die Vorbereitungen bereits auf Hochtouren. Im Flur von Stephanies 3-Zimmer-Plattenbauwohnung im Berliner Bezirk Hellersdorf stehen zwei große Sperrmüllsäcke. In dem 15 Quadratmeter großen Wohnzimmer türmt sich die Wäsche einer Woche auf dem Glastisch. Auf einem Bügel an der Schrankwand hängt schon das weiße Tüllkleid mit der rosa Schleife, aus dem Bad riecht es muffig. Die Waschmaschine leckt, sagt Stephanie, ausgerechnet jetzt. Und hofft, dass ihr da noch jemand hilft. Christian, den Vater ihrer beiden älteren Töchter, ruft sie wegen solcher Kleinigkeiten schon lange nicht mehr an. Lieber schreibt sie eine Rundmail an ihre 76 Freunde im sozialen Netzwerk Jappy - für Stephanie so etwas wie ihre virtuelle Patchworkfamilie. Atmo 5; Jappy Freunde, Verwandte, meine Nachbarin, zum Beispiel, von meiner Tante der Freund, Kumpel, der hier im Haus wohnt. Freundin, Freundin ... Autor: Stephanie checkt noch, ob ihr jemand gemailt hat, lässt den Computer an und sucht jetzt nur noch ihre Anti-Baby-Pille. Seit ein paar Wochen hat sie einen neuen Freund. Holger. Eine eher lose Beziehung, sagt sie. Holger nennt es eine Affäre. Dann will sie los. Heute mal nicht zu irgendwelchen Ämtern oder Ärzten wie in den vergangenen Wochen, als sie darum kämpft, dass Yasmin auf die Geistig- und Körperbehindertenschule gehen kann und dort eine besondere Förderung bekommt. Nein, heute will sie mit Yasmin Schuhe kaufen. Lackschuhe für die Einschulung. Das Geld dafür kriegt sie über einen Umweg. Atmo 6; Fahrstuhl & Schritte Autor: Sie muss immer erst zu einer Freundin im Nachbarblock, das Geld holen. Das hat sie so mit ihrer Schuldnerberaterin besprochen. Ist besser so, sagt sie nur, sicherer. Atmo 6; Schritte Autor: Stephanie lebt von Hartz IV, dazu bekommt sie Kindergeld und Unterhalt vom Staat, weil der Vater ihrer jüngsten Tochter die Unterstützung verweigert. Mit ihren drei Kindern versucht sie mit nur 450 Euro im Monat auszukommen. Lebensmittel, Kleidung und Schulsachen inklusive. Der Rest geht für Miete, Rechnungen, vor allem aber für die Tilgung ihrer Schulden drauf. 31.475, 66 Euro. O-Ton 1; Stephanie: Handyverträge, Festnetzverträge, Premiere - so was alles. Ich war leichtsinnig, hätte so viele Sachen nicht machen dürfen, sollen - aber die Einsicht kam jetzt erst. Würde ich manche Zeiten zurückdrehen können, würde ich bis 18 Jahre zurückdrehen und dann viele Fehler, die ich gemacht habe, nicht mehr machen. Atmo 6; Schritte Autor: Dann hätte sie mit 18 erstmal die Schule zu Ende gemacht, sich Arbeit gesucht, vielleicht erst dann Kinder bekommen. Heute ist Stephanie 27 und sitzt mit drei Kindern allein und ohne Arbeit zu Hause. Gefangen in der Armutsfalle. Atmo 7; Bank Autor: Mit Yasmin an der Hand bummelt sie vorbei an einem Spätkauf und einem Casino zur Filiale der Sparkasse. Als sie wenig später vom Schalter zurückkehrt, lächelt sie. Sie hat 455 Euro auf dem Konto. Ein gutes Gefühl. Atmoblende 7 > Atmo 8; Kaufpark Autor: Mit achtzig Euro für Schuhe und Wochenend-Einkauf im Supermarkt ziehen Mutter und Tochter los. Und tauchen wenig später ein in den riesigen Kaufpark am anderen Ende der Straße, in die wunderbare Warenwelt der 40.000 versprochenen Billigpreise. Atmo 8; Kaufpark Da! ... Die ist total aufgedreht ... Autor: Drinnen ist Yasmin nicht mehr zu halten. Will alles. Stifte, Hello-Kitty- Hausschuhe, am liebsten noch eine zweite Zuckertüte. Früher, sagt Stephanie, hätte ich sie den Wagen einfach vollpacken lassen. O-Ton 2; Stephanie: War halt so, weil es für mich am einfachsten war, am bequemsten war. Ich hatte kein nörgelndes Kind, hatte kein kreischendes Kind. Mein Kind war immer artig zu dem Zeitpunkt. Bis ich gesehen habe, was wirklich falsch gelaufen ist - dass ich einkaufen muss und nicht das Kind. Atmo 9; Schuhkauf Schatzi, die sind zu groß! Autor: Heute aber bleibt sie konsequent. Ist dabei mal leise, wird aber auch mal laut. Tipps, wie sie sich wann richtig verhält, hat sie von einer Mitarbeiterin des Jugendamts. Die betreut Stephanie zwei Jahre lang, begleitet sie bei der Trennung von Christian, ihrem Ex. Atmo 9; Schuhkauf Kasse. Autor: Nach einer guten Stunde ist das Ziel erreicht. Yasmin bekommt ein paar schwarze Ballerina-Lackschuhe für 12 Euro 90 mit extra Innensohle aus Leder. Langsam bummeln beide Richtung Ausgang und draußen in Richtung Arche, dem christlichen Kinder- und Jugendwerk in Hellersdorf. Atmoblende Atmo 9 > Atmo 10; Arche Mahlzeit. So Lina, setzt du dich hier bitte hin ... Autor: Pünktlich um 12 steht Stephanie dort in der Schlange der Essenausgabe, diesmal mit allen drei Töchtern. Lisa und Lina waren schon den ganzen Morgen in der Arche, bei der Ferienbetreuung. Nun treffen sie ihre Mutter. Es gibt Gulasch mit Zwiebelringen und Salzkartoffeln. Die warme Mahlzeit gratis nimmt die alleinerziehende Mutter gerne mit. Damit spart sie Einkauf, Arbeit und gibt ihrem und dem Tag ihrer Kinder eine Struktur. Atmo 11; Essen Dann iss zumindest ... Autor: Lina mag die Zwiebeln nicht. Genau wie der blasse fünfjährige Junge mit den kurzgeschorenen Haaren, der neben ihr sitzt. Der fängt dauernd an zu weinen. Weil seine Mutter darauf besteht, dass er sie trotzdem isst. Während Stephanie geduldig mit Lina verhandelt, was sie alles außer den Zwiebeln essen soll, droht die andere Mutter dem Jungen jetzt. Atmo 11; Essen Hör auf zu zicken ... Autor: Ein paar Tische weiter sitzt Wolfgang Büscher, Sprecher der Arche. Szenen wie diese erlebt er jeden Tag. Und beobachtet bei vielen der alleinerziehenden jungen Mütter, dass sie oft vollkommen überfordert sind mit ihrer Situation. Einige, so Büscher, geben dann auf und lassen sich nur noch gehen. O-Ton 3; Büscher: Die Verwahrlosung, sag ich mal, findet in allen Bereichen statt. Wenn der Staat eine Familie vergisst, in dem er ihr jahrelang Hartz IV zumutet, dann verwahrlosen die Menschen, in dem sie morgens nicht mehr aufstehen, irgendwann ziehen sie sich nicht mehr richtig an. Nach einem Jahr kommt der Jogginganzug, nach anderthalb Jahren die Flasche Bier bei Tageslicht in der Straßenbahn. Das heißt, man gibt sich auf, ohne dass man das selber mitbekommt. Autor: Das gilt nicht für Stephanie, sagt Büscher. Und hat sich gefreut, als er hörte, dass sie neuerdings ehrenamtlich in der Küche der Arche aushilft. Ein Schritt in die richtige Richtung, findet er. Er weiß aber auch, der Weg raus aus Hartz 4 ist lang. O-Ton 4; Büscher: Steffi ist noch ´ne Mutter, wo man sagen könnte die hat zumindest das Zeug dazu. In der Arche lernt sie im Moment wie es ist mit einem bisschen Disziplin wieder zu arbeiten, allerdings ist das unheimlich schwer. Das bedarf einer solch tollen Disziplin, dass wenn ich einer normalen Familie geboren wäre, würde ich mit so einer Disziplin Karriere machen. Atmoblende 12; Stühle hoch > Atmo 13; Verlassen der Arc he Autor: Zur Disziplin, zum festen Tagesablauf in der Arche gehört auch, dass alle nach dem Essen ihr Geschirr wegbringen und ihre Stühle auf die Tische stellen, damit gewischt werden kann. Mittlerweile ist es 13 Uhr. Für Stephanie bricht jetzt der lange Nachmittag mit ihren drei Kindern an. Einkaufen, Wäsche machen, zweimal in der Woche muss sie mit Lisa und Yasmin zum Arzt. Yasmin, die Mittlere, spricht sehr schlecht. Und die achtjährige Lisa, hat ADHS, also starke Aufmerksamkeitsstörungen. Atmo 13; Weg nach Hause Autor: Das ganze Programm immer allein, ohne Austausch, ohne Partner. Trotzdem, erzählt Stephanie auf dem Weg nach Hause, hat sie es irgendwie geschafft, nebenbei eine Schulung zur Pflegehelferin zu machen. Am liebsten würde sie als mobile Pflegekraft arbeiten. O-Ton 5; Stephanie: Ich geh zwar nur sechs Stunden erstmal arbeiten, bin immer noch ein Stückchen weit abhängig vom Arbeitsamt aber nicht mehr allzu dolle, ich geh dann schon mal Dreiviertel vom meinem eigenen Geld alleine verdienen, das ist doch ein Teilerfolg. Lieber backe ich 20 kleine Brötchen und ich weiß. ich schaff die auch aufzuessen, als wenn ich ein großes backe und dran ersticke. Atmo 13; Weg Autor: Wie im Juli 2008. Da hat Stephanie einen Nervenzusammenbruch. Auslöser ist eine blöde Bemerkung vom Vater ihrer jüngsten Tochter Lina. Stephanie flippt völlig aus, schreit ihre Kinder an. O-Ton 6; Stephanie: Ich bin eine Rabenmutterm ich bin eine Scheißmutter, sucht euch eine neue. Mutter. Packt eure Sachen, geht. Meine Kinder saßen heulend in der Ecke im Kinderzimmer, die wussten gar nicht was passiert ist. Ist vielleicht ´ne Dreiviertelstunde gewesen, wo ich da meine Kinder verbal bearbeitet habe und dann habe ich irgendwann die Notbremse gezogen. Meine Kinder sitzen heulend im Zimmer. Was mache ich da? Und von daher habe ich dann den Kindernotdienst gerufen. Atmo 13; Weg Autor: Es folgen zwei Monate in einer Tagesklinik. Gruppengespräche, Einzelgespräche, Ergotherapie, progressive Muskelentspannung. Ihre Kinder sind in dieser Zeit in der Kurzzeitpflege. Rückblickend glaubt Stephanie, dass die Klinik das Beste war, was ihr passieren konnte. O-Ton 7; Stephanie: Auch in der Arche haben viele gesagt, ja, hast dich so gut geändert, um 180 Grad gedreht. Ich hab vieles in meinem Leben über Bord geschmissen, alles, was ich nicht mehr brauche, habe ich ausgemüllt und das, was ich wirklich brauche, habe ich hier gelassen, in meinem Seelenleben. Autor: Mit über Bord gegangen ist auch der Vater von Lina. Die Beziehung mit ihm dauert nur vier Monate. Dann ist er weg, schwängert Stephanies beste Freundin und lässt auch sie sitzen. Als Stephanie das erzählt, zuckt sie nur mit den Schultern. Für sie ist es ganz normal, dass Kinder ihre Väter nicht kennen. Und zu jedem Mann, der zu Besuch kommt, nach kurzer Zeit schon Papa sagen. Atmo 13; Weg Autor: Auf dem 20-minütigen Weg von der Arche zu Stephanies Wohnung, immer entlang einer vierspurigen von Plattenbauten gesäumten Straße, muss Stephanie Yasmin allein 4 mal einfangen, bei Lisa, dem ADHS- Kind, versucht sie es erst gar nicht mehr. Auch, weil sie sich jetzt voll und ganz auf den Großeinkauf im Discounter vor ihrer Haustür konzentrieren muss. Atmo 14; Supermarkt Zweimal bitte nur ... Autor: Drinnen schiebt Lisa den Einkaufswagen, Stephanie geht systematisch die Regale ab. In der linken Hand eine lange Einkaufsliste, in der rechten ihr Handy, auf dem sie die Funktion Taschenrechner einstellt. O-Ton 8; Stephanie: Weil ich hab die Preise aus dem Gedächtnis aufgeschrieben wie z.B. bei Orange hab ich aufgeschrieben 89 Cent, kosten tut sie 79 Cent, also ich rechne immer hin und her. Und so weiß ich an der Kasse ganz genau, was ich zahle und so bin ich auf der sicheren Seite, so dass ich nicht am Ende die 50 Euro überschreite und am Ende irgendwas zurück packen muss. Atmo 14; Supermarkt Autor: Stephanie nimmt ein Glas Nussnougatcreme für 99 Cent, Marmelade für 89 Cent. Zitronenlimonade, Apfel und Orangensaft, je zwei anderthalb Liter Flaschen für 79 Cent. Sie plant exakt 50 Euro für den großen Wochenendeinkauf für vier Personen ein. Mehr Geld will, kann sie nicht ausgeben. Deshalb achtet sie auch in jedem Regal auf Angebote. Vor allem, wenn sie etwas Warmes kochen will. O-Ton 9; Stephanie: Ich hab mir zum Beispiel beim Fleisch die Marke gesetzt, da darf das Paket Koteletten nur 3 Euro kosten. Und dann gucke ich hier bei Angeboten nach. Schweinekoteletten 3 Euro, so wie ich es ausgerechnet habe. Autor: Schokopudding für 19 Cent, 20 Scheiben Aufschnitt für 55 Cent. Bevor Stephanie in Richtung Pflegeprodukte geht, überschlägt sie ihre Einkäufe nochmal kurz. Da rast Lisa ihr mit dem Einkaufswagen in die Hacken. Atmo 15; Stephanie & Unfall Zwischenstand 27.21. ... Autor: 27 Euro und 21 Cent. Stephanie wirft noch einen letzten prüfenden Blick auf das Display ihres Handys, nickt zufrieden. Und packt noch ein Shampoo für 79 Cent, eine Spülung, ein Deo-Spray und schließlich noch ein Stück Seife für 29 Cent auf die Lebensmittel. Atmo 16; Kasse Autor: 42 Euro 60 bezahlt sie schließlich an der Kasse - und strahlt. O-Ton 10; Stephanie: Siehst, hab ich mich sogar bei irgendwas verrechnet und hab sogar noch weniger bezahlt. Find´s gut hier, krieg viele Sachen für wenig Geld und hab den Einkaufswagen voll und hab viele Sachen sogar frisches Fleisch. Atmo 16; Kasse Autor: Vor der Tür des Supermarktes packt sie zusammen mit Lisa die Einkäufe in drei große Tüten, die schweren Sachen in einen Rollkoffer. Ohne den wär´ ich längst im Arsch, sagt Stephanie, ohne den müsst´ ich mir zum Schleppen wieder einen Mann anschaffen. Mit dem Thema aber, sagt sie nach kurzer Pause, bin ich durch. Männer haben ihr in ihrem Leben bisher kein Glück gebracht. Der eine bleibt nur 4 Monate bei ihr. Den anderen setzt sie selbst nach einem knappen Jahr vor die Tür. Atmoblende Atmo 16; Kasse > Atmo 17; Wohnung Christian /Archiv Autor: Christian, der Vater ihrer beiden großen Töchter, wollte das zuerst nicht wahrhaben. Für den nach außen starken Mann bricht damals eine Welt zusammen, als Stephanie mit ihm Schluss macht, ihm sogar droht, ihn aus ihrer Wohnung zu klagen, wenn er nicht geht. Tagelang sitzt er allein in seiner Wohnung, zieht die Vorhänge zu, schaltet das Handy aus, will mit nichts und niemandem zu tun haben. Bis er über eine Partnerbörse im Internet Mandy kennenlernt. Atmo 17; Wohnung Autor: Beide leben zusammen mit zwei Katzen in einer 44 Quadratmeter großen Einzimmerwohnung im Berliner Stadtteil Weißensee. Darin steht ein großes, ungemachtes Bett, an dessen Fußende ein Bildschirm klemmt. Vor dem Fenster stehen eine Couch, eine große blaue Mülltüte mit leeren Colaflaschen und noch ein Fernseher, der fast so breit ist wie das Bett. Christian ist gerade von der Nachtschicht aus der Zigarettenfabrik gekommen, Mandy räumt noch schnell eine Flasche Bier vom Tisch, sinkt dann mit ihren über hundert Kilo auf das Bett zu den Katzen. Christian sitzt auf dem Sofa, raucht eine Zigarette nach der anderen. Atmo 17; Wohnung Autor: Der Streit von der Einschulungsfeier - ob Christian sich auch um Lina, die gar nicht seine Tochter ist, kümmern soll - ist inzwischen beigelegt. Das heißt bei Christian: Mandy hat nachgegeben. O-Ton 11; Mandy: Bevor das Kind gar keine Vaterfigur hat, sehe ich ein, dass er sich mit drum kümmert ... Autor: ... sagt sie und Christian schließt die Diskussion ab mit einem zackigen "Kinder gehen vor, das muss sie schlucken." Der 30jährige ist fest davon überzeugt, als Vater alles richtig zu machen. Wenn die Kinder da sind, toben wir rum, spielen am Computer oder gucken Fernsehen bis sie einschlafen, sagt er, wie in einer ganz normalen Familie. Tierpark oder Schwimmbad ist nur selten drin. Auch Christian hat nicht viel Geld. Atmo 17; Wohnung Autor: Je länger man mit ihm spricht, desto größer ist die Chance, dass er die Rolle des Machers mal ablegt und weichere Töne anschlägt, und wenn auch nur für einen Moment. O-Ton 12; Christian: Schon, das fehlt mir schon, die Kinder hier zu haben. Ist halt schade, ja, hm. Aber ich habe meine kleine Familie. Auch wenn wir nicht zusammen sind, trotzdem habe ich ja meine Familie. Autor: Dann aber ist er schnell wieder ganz Macho. Wenn es zum Beispiel um Absprachen mit Stephanie, feste Zeiten mit den Kindern geht. O-Ton 13; Christian: Ich lass mir von niemanden was vorschreiben, wann ich die Kinder zu sehen habe. Somit nehm´ ich sie dann, wenn ich frei habe, dann ruf ich an: Pass auf, ich hol´ die Kinder jetzt für drei Tage, und alles ist schick. Autor: Alles ist schick - das findet Stephanie im ersten Jahr nach der Trennung gar nicht. Christian ruft oft spontan an, will die Kinder entweder sofort oder gar nicht sehen. Es kommt zum Streit. Mittlerweile haben sich beide arrangiert. Den Kürzeren dabei zieht Stephanie. Christian holt Lisa und Yasmin heute viel seltener als früher zu sich, in den großen Ferien waren beide genau einmal bei ihrem Vater. Atmo 17; Wohnung Autor: Über die Gründe der Trennung von Stephanie möchte ihr Ex nicht sprechen. "Das ist privat, geht niemanden etwas an", sagt er und zündet sich eine neue Zigarette an. Kein Kommentar, dass beide oft über Fragen der Erziehung streiten. Kein Kommentar auch zu seiner fast schon krankhaften Eifersucht. Und schon gar nicht zu häuslicher Gewalt. Fakt aber ist: die Voraussetzungen für eine Familiengründung und Kinderglück sind bei beiden damals denkbar schlecht. Stephanie ist 19, hat die Schule und diverse Fortbildungsmaßnahmen hingeschmissen, als sie zum zweiten Mal schwanger wird. Christian ist 21, zweimal durch die Abschlussprüfung auf dem Bau gerasselt und ebenfalls ohne Arbeit und echte Perspektive. Acht Monate später ist dann endgültig Schluss. Atmoblende Atmo 17; Wohnung > Atmo 18; Stephanie Autor: Der Vorabend der Einschulung. Noch immer stehen zwei Säcke voll Sperrmüll im Flur von Stephanies Wohnung. Noch immer türmen sich die Wäschehaufen im Wohnzimmer. Stephanie sitzt mit Lisa und Lina auf der riesigen Couch im Wohnzimmer, flicht beiden Zöpfe. Yasmin guckt einen Tierfilm. Es ist warm und stickig in der Wohnung, die Kinder sind zappelig, aufgekratzt und laut. Stephanie schwitzt, ist gereizt. Atmo 18; Stephanie Autor: Sie ist sauer auf Lisa, weil sie nicht still sitzen will. Und auf Lina, weil sie ihren Schalfanzug nicht anzieht. Als Lina schließlich viel später als geplant im Bett liegt und Stephanie ihr gerade eine Geschichte vorlesen will, platz ihre große Schwester herein. Atmo 19; Lisa Autor: Stephanie wird laut. Droht damit, sie morgen nicht mit zur Einschulung zu nehmen und mit einem Anruf bei Christian, wenn sie nicht sofort das Zimmer verlässt. Wenig später kommt Yasmin ins Zimmer. Der Tierfilm ist vorbei. Atmo 20; Stephanie Yasmin. Du hast Deinen Film vorne an. Dann soll der nochmal angemacht werden, jetzt ist Linas Geschichte .... Autor: ... sagt Stephanie und beginnt zum dritten Mal mit dem Vorlesen. Atmo 21; Märchen & Atmo 22; Lied Autor: In der Geschichte wird gekämpft, gepeitscht, erdrosselt. Die Sprache ist so sperrig, dass Stephanie beim Lesen stockt. Lina ist das offenbar egal. Sie hängt an den Lippen ihrer Mutter, singt noch zusammen mit ihr zwei Gute-Nacht Lieder. Kurz darauf ist sie eingeschlafen. Atmo 22; Lied Autor: Mit Yasmin und Lisa kämpft Stephanie an diesem Abend noch lange. Ihr Plan, jedem abend jedem Kind eine halbe Stunde ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken - heute geht er nicht auf. Atmoblende Atmo 22; Lied > Atmo 23; Burger King Autor: Am nächsten Morgen ist Stephanie wie ausgewechselt. Lacht, witzelt mit Christian, den Kindern. Nach der Einschulungsfeier treffen sich alle beim Burger King um die Ecke. Stephanie hat einen Hauch Lidschatten aufgetragen. Ansonsten trägt sie wie fast immer schwarz. Atmo 23; Burger King Autor: Stephanies Freund Holger ist endlich gekommen. Er hat verschlafen. Beide umarmen, küssen sich. Die Situation ist ein wenig pikant. Stephanies neuer Freund, fast einen Kopf größer als Christian, trifft heute zum ersten Mal auf den Vater ihrer beiden großen Töchter. Atmo 23; Männergespräche Autor: Holger und Christian gehen damit unverkrampft, pragmatisch um. Sie sprechen über ihre Arbeit in der Zigarettenfabrik und an der Eisenfräse, echte Männerthemen. Stephanie kümmert sich unterdessen um die Kinder und um die Bestellungen. Atmo 23; Burger King Autor: Nur einmal, als Holger Lisa etwas grob anfasst, wirkt Christian plötzlich angespannt. Früher hätte ich ihm dafür gleich eine reingehauen, sagt er später. Jetzt aber findet er, müsse Stephanie das regeln. Die grinst nur, als sie das hört. Will die paar Stunden zusammen heute einfach nur genießen. Diese Idylle einer großen intakten Familie. Genau wie vorhin ihre Tochter Yasmin beim Einschulungsfoto. Die einfach stehen blieb, als der Fotograf längst ausgelöst hatte. Weil sie nicht wollte, dass der kurze Augenblick, in dem alle immer so glücklich aussehen, vorbei geht. ENDE