COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Nachspiel, 10. März 2013 "Sportorden für jedermann - 100 Jahre Deutsches Sportabzeichen" Autor: Günter Herkel Redaktion: Sabine Gerlach Auf die Plätze, fertig, los! Dieses Jahr mach ich das 45. Sportabzeichen. Ich bin einmal mitgekommen, dann hat's mir Spaß gemacht, und seitdem mach ich's dann immer. Berlin, im Olympia-Sportpark gleich neben dem Olympiastadion. Die Freiluftsaison neigt sich dem Ende zu. Der Landessportbund hat eingeladen, und Tausende sind gekommen, um sich bei angenehm warmen Temperaturen spielerisch und sportlich zu vergnügen. Neben der Tartanbahn des Leichtathletikfeldes stehen Menschen unterschiedlichen Alters am Info-Tisch des Landessportbundes an, um Meldebögen für das Sportabzeichen auszufüllen. Zum Beispiel Juliana und Kevin. Wir sind regelmäßig sportlich aktiv, haben uns dann die Kategorien angekuckt im Internet und gedacht, okay, ist machbar, gehen wir hin. ...weil meine Freundin es auch schon mal gemacht hat und wir uns dachten, jetzt machen wir's mal zusammen. Am Rande des Feldes beobachtet Anke Nöcker im VIP-Zelt die Szenerie. Die Leiterin des Referats Sportentwicklung beim Landessportbund Berlin hat das Event maßgeblich mitorganisiert. Es gibt wenige, die jetzt sagen, ach hier kann man Sportabzeichen ablegen, ich zieh mal meine Strümpfe aus und mach mit. Sondern die wissen schon, was hier heute angeboten wird, dass sie die leichtathletischen und Schwimmdisziplinen ablegen können und kommen gezielt hierher, sind auch gut vorbereitet. Am Informationsstand beantwortet Ruth Al-Gaddooa vom LSB mit zwei weiteren Helferinnen geduldig die immer gleichen Fragen der Sportabzeichen-Aspiranten. Was muss alles auf dem Meldebogen ausgefüllt werden? Wo findet der Weitsprung statt? Und wo der Start zum 50-Meter-Lauf? Es ist erst früher Nachmittag, aber die Zwischenbilanz kann sich sehen lassen. Angemeldet haben sich cirka 400, können auch mehr sein, weil in der Schwimmhalle ist auch ne Anmeldestelle, die ich jetzt nicht überblicken kann. Ansonsten machen wir es jetzt das dritte Jahr hier auf dem Olympiapark. Sind alle Altersgruppen vertreten? Ja. Von sechs bis 80 kann man sagen, ist alles vorhanden. Die 80jährigen sollen manchmal besonders ehrgeizig sein, oder? Ja, überhaupt die alten Herren, die werden dann so ab nem bestimmten Alter sehr forsch und sagen sich: Jetzt muss ich's noch mal packen. Knapp 900.000 Menschen von acht bis 90 Jahren haben 2011 das Deutsche Sportabzeichen erworben. Über alle gesellschaftlichen Schranken hinweg bietet es die Möglichkeit, auf unkomplizierte Weise die eigene Leistungsfähigkeit zu testen, Sportarten kennenzulernen oder wieder aufzunehmen. Anke Nöcker vom Landesportbund Berlin. Das DSA hat natürlich den Charakter auch für alle Altersstufen etwas zu bieten. Auch Herausforderungen zu bieten, sich noch mal messen zu wollen. Und so, wie Sie das vorhin in nem kleinen Leichtathletikstadion gesehen haben, wirklich: Alle stehen gespannt auf der Startlinie, bis der Schuss fällt, und dann geht's los und dann renne ich ganz schnell meine 100 Meter. Das ist etwas, das bewegt uns in jedem Alter. Dieses auch Miteinandermessen und sich selber Ausprobieren und das ist das Deutsche Sportabzeichen. Früher mussten Aspiranten auf das Sportabzeichen hauptsächlich Übungen aus einigen wenigen Disziplinen absolvieren. Zur Auswahl standen vor allem Leichtathletik, Turnen, Schwimmen und Radfahren. Im Laufe der Zeit kamen, je nach örtlichen Gegebenheiten, andere Angebote hinzu: etwa Sportschießen, Kanufahren, oder Skilanglauf. Die Disziplinen sind eingeteilt in fünf Gruppen. Aus jeder Gruppe sucht sich der Sportler die Übung aus, die ihm am meisten liegt. Seine Sprungkraft kann er entweder im Hoch- oder Weitsprung und sogar im Standweitsprung nachweisen, seine Schnelligkeit in Läufen von 50 bis 1000 Meter Länge. Die Schnellkraft belegt er mit dem Kugel- oder Steinstoß; als Ausdauerübung stehen wahlweise Läufe bis 5.000 Meter, 10 Kilometer Wandern oder 20 Kilometer Radfahren auf dem Programm. Manch einer macht erst ein paar frustrierende Erfahrungen, ehe er die passende Übungskombination findet. Bundespräsident a.D. Horst Köhler, ein begeisterter Freizeitsportler, schildert, wieso er den normalen Weitsprung gegen eine andere Übung eintauschte. " Standweitsprung" zum Beispiel klang mir irgendwie zu alt für mich. Wenn Sie dann aber zu x-ten Male den Absprung verpasst haben und der Versuch entweder ungültig war oder die Weite ärgerlich kurz, dann lernen Sie um - und entdecken die Vorzüge des Standweitsprungs. Ähnlich erging es ihm in der Frage der passenden Sprinttechnik. Tiefstart oder Hochstart? Ich entschied mich für die Startblöcke und kam dann aus ihnen ungefähr sechs Meter weit raus - Muskelfaserriss, zu wenig aufgewärmt vermutlich, Prüfung verschoben. Sportbegeisterte Prominente wie Horst Köhler engagieren sich seit Jahren als Botschafter des Deutschen Sportabzeichens. Karin Fehres, Direktorin für Sportentwicklung beim Deutschen Olympischen Sportbund, weiß das zu schätzen. Worüber wir uns natürlich sehr freuen, ist, dass fast alle Bundespräsidenten der letzten Jahre das Sportabzeichen gemacht haben. Also Herr Köhler hat es regelmäßig abgelegt. Richard von Weizsäcker hat es regelmäßig in seiner langen Amtszeit getan. Gerhard Schröder hat das Sportabzeichen abgenommen. Da gibt es eine ganze Reihe von Prominenten, die dabei sind. Das Sportabzeichen ist keine Trophäe, die man einmal erwirbt und dann ansteckt oder im Schrank verstauben lässt. Vielmehr soll es motivieren, lebenslang sportlich aktiv zu sein. Vor 100 Jahren fing alles an. 1912 war Carl Diem, Chef der "Deutschen Sportbehörde für Athletik" zu den Olympischen Spielen nach Stockholm gereist. Dort hatte er die "Idrottsmärke", Schwedens Sportabzeichen, kennengelernt. Ziel war es, die Bevölkerung mit diesem Abzeichen breitensportlich zu fördern. In seiner Autobiografie "Ein Leben für den Sport" schrieb Diem: "Der Gedanke, eine öffentliche Auszeichnung für allgemeine Körpertüchtigkeit zu schaffen, leuchtete mir ein, denn damit wurde der viel benutzte Begriff der Harmonie in fassliche Maße gebracht. Die Einteilung in drei Klassen sollte überdies bewirken, dass eine solche harmonische Durchbildung des Körpers bis ins hohe Alter hinein bewahrt werden konnte." Diem war so begeistert von dieser Idee, dass er den Reichsauschuss für Olympische Spiele überzeugte, auch deutsche Amateursportler auf diese Weise anzuspornen. Am 10. November 1912 beschloss der Ausschuss die Einführung des Abzeichens als "Auszeichnung für vielfältige Leistungen auf dem Gebiet der Leibesübungen". Zunächst noch ohne Turnen, denn die zu dieser Zeit sehr starke Turnerschaft lehnte Ehrenpreise außer dem Eichenkranz grundsätzlich ab. Diem, der später für die Nationalsozialisten die Olympischen Spiele 1936 organisierte: "Das Sportabzeichen ist auch eine Einrichtung, die in jungen Jahren schon begonnen wird, die in der Vollreife zu beweisen ist, und wo man auch veranlasst wird, im fortgeschrittenen Alter mit denselben Leistungen sich selbst zu beruhigen." Nach dem ersten Weltkrieg schlossen sich auch die Turner dem Abzeichen an. Die Deutsche Sportbewegung schwamm damals bereits in kaiserlich-national-konservativem Fahrwasser. Turnen galt als vaterländische Ertüchtigung, und das Deutsche Turn- und Sportabzeichen sollte dazu beitragen, dass durch Leibesübungen - wie es seinerzeit reichlich schwülstig hieß - Volkskraft produziert wurde. Von Anfang an galt die Auszeichnung nicht als Würdigung sportlicher Höchstleistungen, sondern als Ehrenzeichen für den Breitensport, als eine Art "Olympiade des kleinen Mannes". Zu den Pflichtdisziplinen zählten Schwimmen, Turnen, Radfahren und leichtathletische Übungen. Anfangs waren sogar Rudern, Fechten oder Gewichtheben möglich, später konnte auch Fußball, Eishockey und Golf gespielt werden. Anfangs durften sich nur erwachsene Männer dieser "Leistungsprüfung auf Herz- und Lungenkraft, auf Spannkraft sowie den Besitz von Körperfertigkeit, Schnelligkeit und Ausdauer" stellen - ohne eine altersmäßige Staffelung. Zudem war die Mitgliedschaft in einem Verein Pflicht. 1921 war dann Adele Schacke die erste Frau, die absolvieren durfte, vom Schwimmverein in Göttingen. Und 1925 kamen dann die Jungen hinzu, und 1927 die Mädchen, also es war ein etwas schwieriger Weg. In den ersten 15 haben vielleicht 10.000 das Sportabzeichen absolviert. Bilanziert Jürgen Buschmann von der Sporthochschule Köln. Wie stark das Sportabzeichen ins Alltagsleben integriert war, belegt ein kleines Detail. Mitte 1923, auf dem Höhepunkt der Inflation, kostete ein Urkundenheft für das Abzeichen 6.000 Mark. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde der Sport wie alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gleichgeschaltet. Zwar war das Sportabzeichen davon zunächst nicht betroffen. Aber für die Nazis passte es hervorragend zur Ideologie einer gestählten germanischen Volksgesundheit. Sie schufen für ihre Gruppierungen Abzeichen ähnlicher Art, die inhaltlich mit dem Geist des Sportabzeichens nicht mehr viel gemein hatten. Die Auszeichnung wurde nun endgültig politisiert und zur Wehr- und Kriegsertüchtigung missbraucht: "Wir wollen, dass dieses Volk einst nicht verweichlicht wird, sondern dass es hart sein kann, und ihr müsst euch in der Jugend dafür stählen. Ihr müsst lernen, Entbehrungen auf euch zu nehmen, ohne jemals zusammenzubrechen." Während der zwölfjährigen Nazi-Diktatur erwarb etwa eine Million Menschen die verschiedenen Sportabzeichen von SA, Hitlerjugend oder vom Bund Deutscher Mädel. In den Prüfungsbestimmungen des SA-Sportabzeichens fanden sich Disziplinen wie ein "25-Km- Gepäckmarsch", der "Handgranatenzielwurf" und der "Querfeldeinlauf mit Gasmaske über vier Hindernisse". Mit der Einführung des "Deutschen Reichssportabzeichens" wurde die sportliche Auszeichnung weiter ideologisch aufgeladen. Auf der Bandschleife wurde ein Hakenkreuz angebracht. Wer das Abzeichen erwerben wollte, erklärte ausdrücklich, "deutschen bzw. artverwandten Bluts" zu sein. Für Angehörige der NS-Elite-Schutzstaffel galten besondere Bedingungen. SS-Reichsführer Heinrich Himmler verfügte 1937: "SS-Männer unter 50 Jahren, die kein Sportabzeichen haben, erhalten keine Verlobungs- oder Heiratsgenehmigung." Im selben Jahr wurde das Deutsche Reichssportabzeichen sogar als staatlich anerkanntes Ehrenzeichen in den Ordensrang erhoben. Auch Carl Diem, der Begründer des Deutschen Sportabzeichens, unterstützte den Missbrauch der von ihm aus Schweden importierten Idee im Sinne des Zeitgeistes. In flammenden Appellen rühmte er bis zur deutschen Kapitulation den Sport als "freiwilliges Soldatentum". Seiner Reputation als einer Art Übervater des organisierten deutschen Sports schadete das nach Kriegsende zunächst nicht. Diems Rolle als NS-Propagandist wurde erst ab Mitte der 80er Jahre kritisch hinterfragt. 1947 gründete Diem die Deutsche Sporthochschule in Köln und wurde ihr erster Rektor. Die von ihm 35 Jahre zuvor eingeführte Jedermann-Olympiade kehrte allerdings nach der unrühmlichen Nazi- Vergangenheit erst 1951 in den Breitensport zurück - in beiden deutschen Staaten. In der Deutschen Demokratischen Republik genoss der Sport von Beginn an einen besonderen Stellenwert. Das dort so genannte "Sportleistungsabzeichen" wies eine viel höhere Symbolkraft auf als das traditionelle Deutsche Sportabzeichen. Verliehen wurde es in den drei Abstufungen Gold, Silber, Bronze. Das Abzeichen bestand aus einen Eichenlaubkranz in ovaler Form. Im Kranz die Zweckumschrift: "Bereit zur Arbeit und zur Verteidigung der Heimat". In der Mitte die verschlungenen Buchstaben DDR. Mit seiner Losung "bereit zur Arbeit und zur Verteidigung der Heimat" orientierte es sich wörtlich am sowjetischen Vorbild. Unpolitisches Nur-Sportlertum kam für die Sportfunktionäre der DDR nicht infrage. Gefordert wurde eine gesellschaftliche und politische Verpflichtung der Athleten. Als das Abzeichen 1951 per Dekret eingeführt wurde, herrschte politisch leichtes Tauwetter. Mit dem Eintritt der Bundesrepublik in die NATO verschärfte sich der Ost-West- Konflikt. Die DDR reagierte ihrerseits mit dem Aufbau nationaler Streitkräfte. Die zunehmende politische und militärische Blockbildung wirkte sich auch im Sport aus. Die Folge war eine Veränderung der praktischen und theoretischen Inhalte des Sportleistungsabzeichens. Das staatliche Komitee für Körperkultur und Sport verfügte 1952 seine Umwandlung in ein Wehrsportabzeichen. Mit patriotischer Begeisterung zog auch die Handballerin Waltraud Kretzschmar auf dem SED-Parteitag 1976 eine Bilanz des DDR- Breitensports. "Körperkultur und Sport unter sozialistischen Bedingungen heißt, dass möglichst alle Bürger bei Sport und Spiel Freude, Entspannung, Gesundheit und Leistungskraft gewinnen. Deshalb ist es schön, dass unsere sozialistische Sportorganisation, der "Deutsche Turn- und Sportbund" in der DDR im Rahmen der Parteitagsinitiative gute Ergebnisse erzielen konnte. Über 360.000 Jugendliche und Erwachsene erwarben in den letzten vier Monaten das Sportabzeichen "bereit zur Arbeit und zur Verteidigung der Heimat". In der Bundesrepublik beschloss der neu gegründete Deutsche Sportbund (DSB) 1951, so schnell wie möglich das Sportabzeichen - wie es hieß - "in Anlehnung an die alte Form" wieder einzuführen. Am 1. April 1952 traten die neu verabschiedeten Bedingungen für den Erwerb der Auszeichnung in Kraft. Mit der Wiederbewaffnung Deutschlands erhielt auch die Bundeswehr die Genehmigung, selbstverantwortliche Prüfungen für das Sportabzeichen abzunehmen. Eine Zeitlang hatte sich die Bundeswehr des Vorwurfs erwehren müssen, in ihren Reihen werde allenfalls "Knobelbecher-Sport" betrieben. Jetzt wurde der Erwerb des Sportabzeichens obligatorisch für jeden, der beim Bund Karriere machen wollte. Ich mach das Sportabzeichen, weil ich mich bei der Polizei bewerben möchte. Man muss als Frau in meinem Alter 2.000 Meter laufen, 3,50 Meter weit springen, sechs Meter weit Kugelstoßen, 200 Meter schwimmen, ja... Noch heute kommen in einigen Bundesländern Anwärter nur dann in den Polizeidienst, wenn sie das Sportabzeichen vorlegen können. Eine weitere Aufwertung erfuhr die Auszeichnung 1958. Da erhob Bundespräsident Theodor Heuss das Sportabzeichen in den Rang eines Ordens. Seither darf es grundsätzlich an staatlichen Uniformen getragen werden. Das sportliche Freizeitengagement der Bundesbürger in den 50er und 60er Jahren hielt sich in Grenzen. Der Wiederaufbau band Kräfte; auf die entbehrungsreichen Nachkriegsjahre folgten erst einmal die Fresswelle, später die Reisewelle. Im Sommer 1966 wurde das millionste Sportabzeichen verliehen - allerdings gerechnet seit der Gründung 1913. Von einem massenhaften Run auf den Volksorden konnte nach wie vor keine Rede sein. Die verantwortlichen Sportverbände und - Funktionäre ließ das nicht ruhen: "Dein Olympia ist das Sportabzeichen." So appellierte Willi Daume, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees an der Schwelle zum Olympiajahr 1964. Mit einer breit angelegten Werbeaktion sollte das Sportabzeichen noch populärer werden. Aus einer Informationsbroschüre des Deutschen Sportbunds: "Wer hier mitmacht, der geht mit der Zeit und trägt seinen Gesundheitspass stolz am Rockaufschlag." In der Bundesrepublik der späten 60er- und 70er-Jahre war die Auszeichnung eingebunden in Breiten- und Freizeitsportinitiativen wie der "Zweite Weg" und die Trimm-Bewegung. Als der Deutsche Sportbund 1977 den 65 . Geburtstag des Sportabzeichens feierte, sagte der DSB-Funktionäre Albert Lepa: Es ist nicht so, dass wir mit dem Sportabzeichen Menschen völlig neu in den Sport holen wollen, sondern wir wollen durch die Trimmbewegung möglichst viele Menschen anhalten, etwas zu tun, sei es im Verein oder für sich allein. Dann kommen diese Menschen auf den Geschmack einer körperlichen Betätigung, einer sportlichen Betätigung. Sie streben dann ehrgeizmässig schon nach gewissen Zielen, und dann kommen auf sie zu die Volksläufe, das Volksschwimmen, das Volksradfahren, und in gesteigerter Form erst das Sportabzeichen. Das ist ein Fünfkampf, der eine gute vielseitige Leistung fordert, also im Breitensport gewissermaßen die höhere Etage ausmacht. Beim Sportabzeichen können alle Generationen natürlich auch gemeinsam ihre Leistung testen. Oft gehen ganze Großfamilien auf Rekordjagd. Eigens für sie wurde der Familiensportabzeichen-Wettbewerb geschaffen. Daran können Familien mit mindestens drei Angehörigen aus zwei Generationen teilnehmen. Die Nitsch-Sippe aus Baden-Württemberg hat 36 Jahre lang unterunterbrochen an diesem Wettbewerb teilgenommen. Insgesamt brachte sie es in diesem Zeitraum auf 197 Sportabzeichen, verteilt auf elf Personen. Wie alles anfing, berichtete Familienoberhaupt Werner Nitsch auf einer Festveranstaltung des Deutschen Olympischen Sportbundes Ende vergangenen Jahres in Stuttgart im Gespräch mit Frank Busemann, dem Olympia-Zweiten im Zehnkampf von Atlanta 1996. Wie kommt man auf die Idee, ne ganze Familie damit zu infizieren? Der sportliche Ehrgeiz, ganz einfach. Meine Frau, meine liebe Frau, die hatte einmal das Sportabzeichen mehr wie ich. Dann hab ich erst angefangen. Und dann sind wir mit den Kindern auf den Sportplatz gegangen... Wann haben Sie angefangen? Ich hab eigentlich 76 angefangen, meine Frau 75, und das Familiensportabzeichen haben wir ab 1977 gemacht. 37 Mal, jedes Jahr - Da ist nie was dazwischen gekommen? Nie was dazwischen gekommen 2006 war für den organisierten Sport in Deutschland ein besonderes Jahr. Mit der Fusion von Deutschem Sportbund (DSB) und Nationalem Olympischen Komitee (NOK) zum Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) erhielt auch das Deutsche Sportabzeichen eine neue organisatorische Plattform. Bereits ein Jahr später beschloss das DOSB-Präsidium, das Sportabzeichen kritisch zu analysieren und Vorschläge für eine Modernisierung zu erarbeiten. Walter Schneeloch, DOSB- Vizepräsident Breitensport: Es gibt nichts, was man nicht noch besser machen kann. Das gilt auch für das Deutsche Sportabzeichen. Auch wenn das Profil uns allen bestens vertraut ist, war es gleichwohl unverzichtbar, die strukturellen Nachfragedefizite, die kritische Distanz der Menschen im mittleren Erwachsenenalter, den unübersichtlich gewordenen Leistungskatalog und die insgesamt recht diffus gewordene strategische Ausrichtung des Abzeichens aufzuarbeiten. Daher haben wir das Deutsche Sportabzeichen behutsam reformiert. Strukturelle Nachfragedefizite, diffuse strategische Ausrichtung? Was DOSB-Funktionär Schneeloch hier reichlich abstrakt umschreibt, bedeutet im Klartext: Das Sportabzeichen hatte in den letzten Jahrzehnten trotz stetiger Veränderungen des Regelwerks ein wenig Staub angesetzt. Seit 2007 hatte der DOSB in Abstimmung mit den Landessportbünden und diversen Spitzensportverbänden intensiv darüber diskutiert, wie ein modernisiertes Sportabzeichen aussehen könnte. Erhalt der Tradition ja, aber auch Mut zur Veränderung - so lautete die Losung. DOSB-Direktorin Karin Fehres: Das Sportabzeichen wird künftig in Gold, Silber und Bronze vergeben, das heißt, wir wollen damit Menschen motivieren, wirklich auch sehr gezielt zu üben und zu trainieren und auf das Sportabzeichen hinzuarbeiten und damit auch einen persönlichen Leistungsgewinn auch für sich selber wahrzunehmen und zu erleben. Ein Beispiel: Ein Mann in der Altersgruppe der 40-44jährigen muss nach den neuen Regeln für den Erwerb des Sportabzeichens in Bronze die 50 Meter mindestens in 10,2 Sekunden laufen, 3,90 Meter weit springen, die 7,26 Kilogramm schwere Kugel 6,25 weit stoßen und die 3.000 Meter in 21 Minuten absolvieren. Will er das Abzeichen in Gold erreichen, muss er fast 2 Sekunden schneller sprinten, 80 Zentimeter weiter springen, die Kugel 1,5 Meter weiter wuchten und beim Ausdauerlauf über 3.000 Meter gar 5:10 Minuten schneller sein. Zum zweiten haben wir den gesamten Katalog überarbeitet und an den modernen sportwissenschaftlichen Kriterien orientiert. Das heißt jetzt nicht, dass alles neu ist. 90 Prozent aller Disziplinen sind gleich geblieben. Aber sie sind in ihrer Ausprägung verändert, also beispielsweise bei den Älteren haben wir nicht mehr 50 Meter Sprint, sondern nur noch 30 Meter Sprint. Oder andere Dinge sind hinzugekommen. Neu ist aber auch eine erweiterte Differenzierung nach Altersklassen. Von Kindesbeinen an bis ins hohe Alter, so heißt es beim DOSB, soll das Sportabzeichen individueller Gradmesser für die körperliche Leistungsfähigkeit sein. Mit Einführung der Altersklasse 6-7 Jahre werden nunmehr auch die Jüngsten im Grundschulbereich erfasst. Noch aussagekräftiger erscheint die Erweiterung des Spektrums bei den älteren Freizeitsportlern. Die Altersklassen "80-84", "85- 90" und "ab 90" lösen die bisherige Altersklasse "ab 80" ab. Die haben nach unten und nach oben geschraubt, jaja. Es gibt ja sogar jetzt bis ab 90 im Jahr 2013. Dann haben wir Kirschkernweitspucken auch irgendwo in der Disziplin, oder? - Dann muss er sich bei mir anmelden. Kuck mal her! Kannst du schon allein alles? Dann füll mal bitte aus. Den Namen, den Vornamen, deine Anschrift. Im m Berliner Olympia Sportpark erklärt Ruth Al-Gaddooa weiterhin geduldig Eltern und Kindern die Regeln für die Sportabzeichenprüfung. Der 12jährige Daniel ist mit seinem Vater Oleg gekommen. Er hat die Prüfungen bereits hinter sich. Gibt es bestimmte Sachen, die du besonders gern machst? Hochsprung. Wie hoch hast du heute geschafft? Nicht so viel, 1,05 Meter nur. Und Laufen? Ja, gefällt mir auch. Ausdauer hab ich nicht so gut. Ich kann vielleicht so 100 Meter gut rennen. Aber 800 Meter ist für mich ein bisschen zu viel. Ich habe schon vor ein paar Jahren mitgemacht, aber alle Prüfungen doch nicht absolvieren können. Einmal hatte ich vier von fünf geschafft, Jahr danach drei...ja (lacht) Jetzt unterstütze ich meinen Sohn, mehr oder weniger. Schwimmen, bislang eine der obligatorischen Übungen zum Erwerb des Sportabzeichens, ist seit 2013 nicht mehr Kür, aber immer noch Pflicht. Karin Fehres vom DOSB: Wir haben gesagt: Ohne Schwimmen, ohne dass man nachweisen kann, dass man schwimmen kann, kann es das Sportabzeichen nicht geben. Deshalb ist Schwimmen nach wie vor obligatorischer Bestandteil des Sportabzeichens. Aber wir haben ne ganze Reihe von Rückmeldungen aus den Vereinen, insbesondere im ländlichen Bereich, die weite Wege zurücklegen müssen, um zum nächsten Schwimmbad zu kommen. Eine pragmatische Entscheidung. Die Schwimmfähigkeit kann auf verschiedene Weise nachgewiesen werden: vom Seepferdchen bis zur Urkunde der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft wird alles akzeptiert. Denn eines ist klar. Ohne Fleiß kein Preis. Schließlich ist das Sportabzeichen mehr als ein Allerwelts-Zertifikat. Es ist ein Orden, es unterliegt den Ordensbestimmungen der Bundesrepublik Deutschland. Deswegen gibt es auch vom Deutschen Olympischen Sportbund ganz klare Regelungen, was man leisten muss, was man schaffen muss, um das Deutsche Sportabzeichen verliehen zu bekommen. (...) Und dafür muss man sich auch mal anstrengen, und man darf auch mal traurig sein, wenn's nicht klappt. Die Prüfer machen sicherlich auch mal so` n kleines Augenzwinkerchen, wenn's ganz knapp war. Aber eigentlich achten sie doch wirklich drauf, dass man's auch geschafft hat. Anke Nöcker vom Landessportbund Berlin. In den kommenden Monaten wird es für die Sportverbände vor allem darum gehen, das neue Abzeichen bekannt zu machen. Wir werben natürlich sehr stark über die Vereine, weil es ist ja auch im Interesse der Vereine, Menschen zu bewegen und zu bewegen, das Sportabzeichen abzulegen. Einer, der nicht mehr überzeugt werden muss, ist Alt-Bundespräsident Horst Köhler. Ein leistungsstarker Breitensport, davon ist er überzeugt, ist die Voraussetzung auch für den wünschenswerten Nachwuchs an Spitzensportlern. Diesen Nachwuchs werden wir nicht durch die immer stärkere Kommerzialisierung des Sports gewinnen, sondern nur durch seine Popularisierung als praktische Lebensgewohnheit, nur dadurch, dass möglichst Viele möglichst früh und möglichst lange Sport treiben, weil nur das den sportlichen Tonus unserer ganzen Gesellschaft verbessern wird. Köhler selbst geht mit gutem Beispiel voran. Als amtierender Bundespräsident sprintete er im Jahr 2009 auf der blauen Tartanbahn des Berliner Olympiastadions die 50 Meter in beachtlichen 7,6 Sekunden. Bis heute ist der inzwischen 70jährige in allen Disziplinen viel besser, als es den Vorgaben für seine Altersklasse entspricht. An der Fortsetzung der langen Erfolgsgeschichte des Sportordens für jedermann hat er keinen Zweifel. Das Deutsche Sportabzeichen gibt die schöne Gewissheit, sportlich zu sein - und den Ansporn, auch sportlich zu bleiben. 2