COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 22. Dezember 2008, 19.30 Uhr Die Gesetze des Mitleids - Erkundungen auf dem deutschen Spendenmarkt Ein Feature von Jörn Klare Atmo 1 Bank Autor Eine Bankfiliale in Berlin. Vor mir liegt ein Überweisungsformular. Ich will etwas Gutes tun. Das heißt: ich möchte spenden - zehn Euro für eine Kinderhilfsorganisation. Atmo 2 Können Sie mal kurz schauen, ob ich das richtig ausgefüllt habe? Ja, sieht gut aus. Empfänger terre des hommes, Kontonummer ... Bankleitzahl, Volksbank Osnabrück, zehn Euro, Spende ... ja. Müssen Sie hier nur unterschreiben! Autor Ich habe beschlossen meiner Spende zu folgen - bis hin zu einem bedürftigen Menschen irgendwo in der Welt. Atmo 3 Wie lange dauert das jetzt, bis das Geld da ankommt? Also ich schätze mal zwei Tage. Dann ist das Geld beim Empfänger. Sprecher vom Dienst Die Gesetze des Mitleids - Erkundungen auf dem Deutschen Spendenmarkt Ein Feature von Jörn Klare Atmo 4 Tagung begrüße ich sie recht herzlich... Autor Die erste Station ist ein Abstecher zu einer Tagungseröffnung in den ehrwürdigen Räumen des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung in Berlin. Die Veranstaltung, die das Zentrum zusammen mit dem DZI, dem Deutschen Sozialinstitut für Soziale Fragen organisiert, trägt den Titel: Motive, gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren auf das Spendenverhalten. Atmo 5 etwas über die Hintergründe im Spendenmarkt sagen möchte... Autor Rund 50 Vertreter von Hilfsorganisationen, Stiftungen und Universitäten lassen sich von der Gesellschaft für Konsumforschung - einem privatwirtschaftlichen Unternehmen - über die neusten Zahlen des Spendenmarktes informieren. Atmo 6 ...sahen wir im ersten Halbjahr 2008 verglichen mit dem ersten Halbjahr 2007 ein Plus von 60 Millionen Euro, das entspricht 7,1 Prozent mehr... Autor Erfreuliche Zahlen, was auch Daniela Felser die Geschäftsführerin des Deutschen Spendenrats bestätigt, der die Studie in Auftrag gegeben hat. O-Ton 1 Felser Und zwar werden da Personen befragt ab einem Alter von zehn Jahren - natürliche Personen, also Menschen wie sie und ich. Keine Unternehmen und da sind auch keine Erbschaften mit drin. Autor Die vierzigjährige Juristin für Immobilienrecht führt die in einer Anwaltskanzlei in Berlin angesiedelte Geschäftsstelle des Spendenrates im Nebenberuf. Sie vertritt insgesamt gut 60 Organisationen, die für ihre Mitgliedschaft je nach Größe zwischen 130 und 3000 Euro Jahresbeitrag zahlen. O-Ton 2 Felser Das Spendenaufkommen in Deutschland ist jetzt im ersten Halbjahr 2008 903 Millionen. Autor In der zweiten Jahreshälfte mit dem Weihnachtsfest liegen die Einnahmen wesentlich höher. Einschließlich der Unternehmensspenden, Erbschaften und gerichtlich verordneten Bußgelder sollen in Deutschland so jährlich um die vier Milliarden Euro zusammen kommen. Mit 0,9 Prozent des Einkommens aller Steuerpflichtigen ist das im Vergleich etwa mit den Niederlanden, Schweden oder Norwegen eher mager. Die USA übertreffen den Wert gar um ein Vielfaches. Eine Einzelspende in Deutschland beträgt im Schnitt etwa 24 Euro. Dabei kommt 50 Prozent des Spendenaufkommens von Menschen, die älter als 60 Jahre sind. Und nachdem die Zahl der Spenden im Jahr 2007 zurückgegangen ist, wurde für das erste Halbjahr 2008 wieder ein leichter Anstieg registriert. Mehr oder weniger unverändert sind die Ziele, für die gespendet wird. O-Ton 3 Felser Der überwiegende Teil ist nach wie vor der humanitäre Bereich - gerade Kinder, für Kinder wird sehr viel gespendet. Erst danach kommen weit, weit dahinter Tierschutz, Umweltschutz und was sich in letzter Zeit auch herauskristallisiert hat, sind nachbarschaftliche Initiativen, also das sind so Sachen, das hat stark zugenommen, weil die Menschen das Bedürfnis haben auch zu gucken, wohin geht mein Geld und da können sie es halt direkt sehen. Autor Doch alle relevanten Zahlen - das muss auch Daniela Felser vom Spendenrat zugeben - sind Schätzungen bzw. Hochrechnungen. Das betrifft auch die Zahl der potentiellen Spendensammler. O-Ton 4 Felser Darüber gibt es keine einheitliche Zahl. Es geistert zwischen 200.000 und 40.000 spendensammelnde Organisationen in Deutschland, aber es weiß keiner genau, weil es schon damit losgeht, dass die Erfassungsmethoden nicht da sind. Autor Es gibt in Deutschland kein zentrales Vereinsregister und aufgrund des Steuergeheimnisses keine Auskünfte der Finanzämter bezüglich der Gemeinnützigkeit einer Organisation. Und auch Sportvereine bitten um Spenden. Die Zahl der eigentlichen Hilfsorganisationen wird auf 40.000 geschätzt, gut 4000 davon sind überregional tätig. Doch bei allen Unabwägbarkeiten - O-Ton 5 Felser Vertrauen ist einfach eins der wichtigsten Punkte im Spendenmarkt. Man möchte eigentlich lieber demjenigen spenden, der einem bekannt ist. Autor Das Bedürfnis der Spender, den Weg ihres Geldes nachverfolgen zu können, wächst. Dementsprechend bemühen sich viele - doch längst nicht alle - spendensammelnden Organisationen um eine transparente Darstellung ihrer Arbeit. Dazu hat auch die Krise um das Kinderhilfswerk UNICEF beigetragen, bei der es um heimliche Provisionszahlungen an professionelle Spendenwerber ging. O-Ton 6 Felser Es gibt einen ganz großen Anteil der Leute, die nicht spenden und die haben natürlich nach UNICEF gesagt "Ja, ich habe es ja schon immer gewusst!". Das sind diejenigen, die sich selbst die Bestätigung gegeben haben, sich aber nicht tatsächlich auch mit den vielen Inhalten auseinandergesetzt haben. Diejenigen, die schon immer gespendet haben und die auch weiterhin spenden wollen, weil sie die Wichtigkeit erkennen, haben weiter gespendet, haben sich aber auf der anderen Seite besser informiert, sind kritischer geworden. Atmo 7 Wir wollen kurz auf die Lösungsansätze schauen, die sich ergeben haben aus der Studie und ganz konkret die Frage stellen, was muss passieren, um eine neue Kultur des Gebens aufzubauen? Autor Auf der Tagung im Wissenschaftszentrum für Sozialforschung haben zwei junge Mitarbeiter von der Unternehmensberatung McKinsey das Mikrophon übernommen. Ihre Strategie, ihre Ratschläge zielen auf die potentiellen ganz großen Großspender - die 30 reichsten Familien Deutschlands. Zwar spenden in Deutschland "Reiche" mehr als "Arme" - proportional zum Einkommen fallen die Spenden der Wohlhabenden allerdings niedriger aus. Die McKinsey-Leute empfehlen "Professionalisierung durch moderne Managementmethoden" und erzählen von Investmentbankern aus London, die Großspendern ihre Vermittlungsdienste anbieten. Atmo 8 Bitte passen wir etwas auf mit dem Thema Professionalisierung. Autor Die Philosophie der Profitstrategen stößt in einer kurzen Diskussion auf vereinzelte Vorbehalte. Atmo 9 Sie haben völlig richtig das Problem analysiert, aber natürlich etwas durch die Brille des "Homo Ökonomikus". Man kann darüber streiten, ob wir den in der Wirtschaft haben, hier haben wir den ganz sicher nicht... Autor Bei der Bezeichnung "Homo Ökonomikus" müssen die beiden McKinsey-Leute lächeln. O-Ton 7 Wilke Terre des hommes ist eine in Deutschland verwurzelte, aber auch international strukturierte Organisation, die international Kinderhilfe auch betreibt, die sich auch in Deutschland sehr stark kinderpolitisch also für die Kinderinteressen mit einsetzt, was ja nicht selbstverständlich ist. Autor Zu Besuch bei Burkhard Wilke. Als Geschäftsführer des "Deutschen Zentralinstituts für Soziale Fragen" gilt er als der "Saubermann des deutschen Spendenwesens". Ich möchte von ihm wissen, ob meine Zehn-Euro-Spende in guten Händen ist. O-Ton 8 Wilke Wir halten Terre des hommes Deutschland für spendenwürdig. Autor Das DZI - so die Abkürzung - ist eine Art deutscher "Spenden-TÜV" und hat seinen Sitz in einer Villa in Berlin-Dahlem. O-Ton 9 Wilke Sie tragen seit vielen Jahren das Spendensiegel. Die Einstufung des Werbe- und Verwaltungskostenanteils nach unserem Maßstab liegt niedrig, also zwischen null und zehn Prozent. Autor Das "Spendensiegel" gibt es seit 1992. Zurzeit sind in Deutschland 230 Organisationen im Besitz dieser jeweils ein Jahr gültigen "Unbedenklichkeitsplakette". O-Ton 10 Wilke Wir haben über viele Jahre - und das tun wir auch heute noch - Auskünfte gegeben in Form von Kurzportraits, die aber ein bis zwei Seiten lang sind, indem wir Organisation beschreiben, was sie tut, welche Art von Mitarbeitern sie hat, wie sie informiert, wie hoch die Werbe- und Verwaltungskosten sind. Aber wir haben gemerkt, dass viele Menschen einfach nur wissen wollen: ich kann der Organisation vertrauen oder ich sollte von der Organisation die Finger lassen. Grünes Licht - rotes Licht. Und diese kurze, prägnante Auskunft auf sehr hohem Niveau bietet das Spendensiegel. Autor Das Siegel bzw. die dazu gehörige aufwendige Prüfung muss von der jeweiligen, gemeinnützigen Organisation selbst beantragt werden. Das geschieht freiwillig. Eine gesetzlich geregelte Prüfungsverordnung gibt es nicht. Beim DZI kommen nur überregional tätige, gemeinnützige Organisationen in Frage, für die - so Wilke - eine "Vertrauensbrücke" zum potentiellen Spender geschaffen werden soll. O-Ton 11 Wilke Zum Einen überprüfen wir die Qualität des Werbe- und Informationsmaterials, wir kontrollieren, dass die Werbung wahr, eindeutig und sachlich ist. Das heißt überwiegend auf die Tränendrüse drückende Spendenwerbung - die berühmten stark mitleiderregenden Fotos von Kindern mit großen Augen und Hungerbäuchen und plakativen Texten: "Spenden Sie jetzt, sonst sterben diese Kinder in spätestens 14 Tagen!" - diese Art von emotionaler Nötigung zum Spenden, ist mit dem Siegel nicht vereinbar. Autor Der zweite Teil der Prüfungen betrifft die Finanzen. O-Ton 12 Wilke Wir stellen sicher, dass die Finanzen transparent dokumentiert sind, verlangen ab 250.000 Euro Spenden im Jahr einen Wirtschaftsprüfungsbericht - Und wir berechnen auf dieser Grundlage dann den Werbe- und Verwaltungskostenanteil als einen wichtigen Maßstab für die Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Organisation. Autor Wobei dieser Kostenanteil 35 Prozent des Etats nicht überschreiten darf. Schließlich wird noch die jeweilige Organisationsstruktur auf ihre Leistungsfähigkeit überprüft. Die Kriterien - etwa die akzeptable Höhe für Verwaltungskosten - legt das DZI selbst fest und entwickelt sie auch gegebenenfalls weiter. 30 Prozent aller Erstanträge auf Erteilung des Siegels werden abgelehnt, weil die Bedingungen nicht ausreichend erfüllt werden. Bei den Organisationen ohne Siegel, die vom DZI nach wie vor - allerdings weniger umfassend bewertet werden - sind bis zu 15 Prozent der Auskünfte negativ, was einer Spendenwarnung gleichkommt. O-Ton 13 Wilke Der Spendensektor ist auch ein Sektor, in dem sich viele Mythen noch halten. Mythen über die guten Menschen, die immer nur gut arbeiten, denen keine Fehler passieren, was natürlich nicht richtig ist. Autor Das so beliebte "100-Prozent-Argument" - nach dem Motto: "Jeder Euro, jeder Cent geht direkt ins Hilfsprojekt!" - ist für den Spendenfachmann Wilke eine - wie er sagt - "idealistische Verschleierung". Spätestens ab 500.000 Euro Einnahmen sollte eine Organisation von bezahlten, hauptamtlichen Fachkräften geführt werden. O-Ton 14 Wilke Ein Spender erwartet zwar, dass möglichst viel in seine Projekte geht, aber er erwartet auch, dass die Organisation Mitarbeiter hat, die wissen was sie tun, die kompetent sind in dem, was sie tun. Autor Das DZI ist seit 1893 - dem Jahr seiner Gründung - eine Stiftung bürgerlichen Rechts. Der Etat für die Arbeit der 23 Mitarbeiter - zu der auch Forschungsprojekte und die Pflege eines umfangreichen Archivs gehören - liegt bei 1,1 Millionen Euro. Knapp die Hälfte davon wird von öffentlichen Trägern, u.a. vom Berliner Senat und dem Bundesfamilienministerium, getragen. Den Rest muss das DZI selbst aufbringen. Das geschieht zum größten Teil über die Prüfungsgebühren für das Spendensiegel. Diese können abhängig vom Spendenvolumen jeweils bis zu 10 000 Euro im Jahr betragen. Und auch wenn die Summe je nach Größe der beantragenden Organisation meist niedriger ist, handelt es sich dabei um Spendengelder. Nicht jede Organisation kann und will sich das leisten. Frisst das Misstrauen der Spender dabei die Spenden selber auf, wie es Kritiker behaupten? Nein, sagt Wilke, Sicherheit - das heißt Kontrolle - muss sein. O-Ton 15 Wilke Wenn man die These überprüft: Angst fressen Spenden auf - dann fällt mir dazu erst mal ein, dass zwei Drittel der Bevölkerung ein, die überhaupt nicht spenden. Ein Drittel der Deutschen spenden. Und die spenden auch sehr stabil eigentlich. Autor Aus dem "blinden Vertrauen" der Spender soll mit Hilfe des DZI ein "informiertes Vertrauen" werden. O-Ton 16 Wilke Wirklich Gedanken sollten sich die Spendenorganisationen um die zwei Drittel machen, die überhaupt nicht aufgeschlossen sind. Da begegnet einem dann die Schutzbehauptung - "Das Geld geht doch sowieso nur in die Verwaltung! Denen kann man doch sowieso nicht trauen!" Wer sich intensiver damit befasst, stellt genau das Gegenteil fest. Den weitaus meisten kann man vertrauen. Autor Selbst die UNICEF-Krise konnte - so Wilke - dieses Vertrauen nur bedingt erschüttern. Nach genauen Nachprüfungen wurde UNICEF im Februar dieses Jahres das zuvor erteilte Spendensiegel aberkannt. Der Grund war, dass erfolgsabhängige Provisionszahlungen für Spendensammler, die in bestimmten Fällen vom DZI sogar gestattet sind, von UNICEF verheimlicht wurden. Mittlerweile haben sich der neue Vorstand und die neue Geschäftsführung des Kinderhilfswerks von dieser Praxis distanziert. O-Ton 17 Wilke In der ganzen Diskussion um die UNICEF-Krise herum sind aber auch viele Themen heiß diskutiert worden, hinterfragt worden, die hatten zu Unsicherheiten geführt, die mit UNICEF unmittelbar gar nicht so viel zu tun haben. Zum Beispiel die Frage: Was ist ein angemessener Werbe- und Verwaltungskostenanteil? Die Frage: Dürfen überhaupt Hauptamtliche mit der Werbung einer Organisation befasst werden? Ist es überhaupt zulässig, dass Provisionen gezahlt werden? Wie sollte ein Vorstand, eine Geschäftsführung aufgestellt sein? Autor Das Problem war und ist ein weit verbreitetes Informationsdefizit über die Funktionsweise von Spendenorganisationen, sagt Burkhard Wilke vom Deutschen Zentralinstitut für Soziale Fragen. O-Ton 18 Wilke Eine professionell aufgestellte Spendenorganisation, die auch in der Lage ist, zum Beispiel in weit entfernten Ländern und in akut auftretenden Katastrophen zu helfen oder auch langfristig kompetent und auf fachlicher Höhe Menschen hier im Inland zu helfen, braucht verlässliche Strukturen, kann das in der Regel nicht alles durch Ehrenamtliche abdecken, braucht entsprechende Einnahmen, braucht verlässliche Einnahmen, muss dafür auch Werbung und Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Auch das kann nicht nur durch Ehrenamtliche mit der Sammeldose geschehen und diese Art von Werbung, also professionellem Fundraising, ist eben nicht "igitt", ist eben nicht unseriös per se schon. Atmo 10 Zug / Ansage: "Wir erreichen Osnabrück." Autor Im Zug nach Osnabrück. Dort befindet sich die Geschäftsstelle von terre des hommes Deutschland. Mittlerweile müsste meine Zehn-Euro-Spende dort angekommen sein. Ich will wissen, wie es mit ihr weitergeht. O-Ton 19 Stolze Von zehn gespendeten Euro landen etwa 8,40 Euro direkt in den Projekten. Autor Stephan Stolze - Referatsleiter für Spenden - gibt Auskunft. O-Ton 20 Stolze Es gibt einen Anteil insgesamt von 16 Prozent, der nicht direkt in den Projekten landet, das sind so genannte Verwaltungskosten, die sich einmal aus tatsächlichen Verwaltungskosten und Kosten für Spendenwerbung bemessen - mit insgesamt etwa sieben Prozent. Dann gibt es sechs Prozent Kosten für Informationsarbeit - das ist ein Satzungszweck von terre des hommes, also das ist eine Aufgabe, die wir laut Satzung übernehmen, die Information der Öffentlichkeit über Hintergründe unserer Arbeit und auch über Erfolge unserer Arbeit. Und dann gibt es Aufwendungen für den so genannten wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb und es gibt so genannte Rücklagen, die gebildet werden, um eventuelle Engpässe zu überbrücken, wenn sich die Einnahmesituation so verschlechtert, dass ansonsten die Verpflichtungen, die wir gegenüber den Projektpartnern übernommen haben, nicht eingehalten werden können. Das sind die Bereiche, aus denen sich die 16 Prozent insgesamt ergeben. Das wird so auch in unserem Jahresbericht ausgewiesen. Atmo 11 Büro Autor Die Geschäftstelle befindet sich in einem Klinkerbau in einem unwirtlichen Gewerbegebiet. 60 Mitarbeiter - viele davon in Teilzeit - arbeiten hier in durchweg kleinen, einfach ausgestatten Büros. Viele Akten, hin und wieder eine Souvenir aus Afrika, Asien oder Südamerika, hin und wieder eine Topfpflanze mit offensichtlicher Dürreerfahrung. Der Etat von terre des hommes - was frei übersetzt soviel wie "Erde der Menschlichkeit" bedeutet - liegt im Jahr bei etwa 22 Millionen Euro. Ca. sechs Millionen Euro davon sind Zuschüsse der öffentlichen Hand, die restlichen 16 Millionen Euro sind Spendeneinnahmen. O-Ton 21 Stolze Das ist durchaus kein Selbstläufer, sondern eine wichtige und schwierige Aufgabe, weil sich das Spendenverhalten im Laufe der Zeit ändert, das ist zu beobachten. Autor Stephan Stolze ist mit fünf Mitarbeitern dafür verantwortliche, dass diese 16 Millionen Euro - gern auch mehr, ungern weniger - Jahr für Jahr zusammenkommen. Obwohl der Anteil der regelmäßig zahlenden Dauerspender bei terre des hommes mit etwa 50 Prozent außergewöhnlich hoch ist, leidet auch Stolzes Aufgabe an der wachsenden Zahl so genannter "Wechselspender". O-Ton 22 Stolze Man spendet da eher aus einem Affekt heraus sozusagen und macht das online immer häufiger natürlich und landet vielleicht beim nächsten Mal, wenn man spenden will, bei einer anderen Organisation. Autor Dazu kommt, dass - nach Stolzes Auffassung - das Spendenvolumen insgesamt stagniert, während die Konkurrenz zunimmt. Es herrschen die "Gesetze des Mitleids". O-Ton 23 Stolze Immer mehr Menschen reagieren auf dramatische Fernsehbilder, das heißt auf Katastrophen, die intensiv medial begleitet werden, und reagieren also emotional und spontan und da sind Bilder einfach unglaublich wichtig. Und es ist sicher so, dass es schwieriger ist, Spenderinnen und Spender mit einem etwas abstrakteren Begriff wie den Rechten von Kindern beispielsweise oder der Frage der Partizipation von Kindern zu überzeugen, was aber für uns wichtige Themen sind. Das ist gerade, wenn es um die Ansprache von potentiellen Neuspendern geht, sicher schwieriger, als wenn man stärker auf Emotions- und Mitleidseffekte setzt. Autor Gut 400.000 Euro investiert die Hilfsorganisation - ohne die eigenen Personalkosten - unter den Augen einer kritischen Öffentlichkeit jedes Jahr in die Spendenwerbung. Damit werden Informationsmaterialien gedruckt oder Briefe für Spendenanfragen finanziert, während man sich andererseits auch um prominente ehrenamtliche Unterstützer bemüht, um Agenturen, die kostenlos Werbung platzieren oder um Richter, die verhängte Bußgelder eben terre des hommes zusprechen sollen, wodurch im Jahr ca. 800.000 Euro über Osnabrück in die ganze Welt fließen. Eine wichtige Säule sind zudem Kooperationen mit streng ausgewählten Firmen und Verbänden. So hat sich etwa der Großteil der VW-Belegschaft bereiterklärt, die Rest- Cent-Beträge des monatlichen Arbeitslohns zu spenden, wobei zusammen mit anderen Aktionen in den letzten zehn Jahren um die neun Millionen Euro zusammen gekommen sind. Mit einer breiten ehrenamtlichen Basis hat sich terre des hommes als international tätige Kinderhilfsorganisation auf dem deutschen Spendenmarkt etabliert. Und dies mit dem gesellschaftspolitischen Anspruch, nachhaltig für soziale Gerechtigkeit einzutreten. Auf die populären Kinderpatenschaften hat man dabei aber bewusst verzichtet, weil man dieses Marketinginstrument letztlich irreführend findet. Eine Einschätzung, die im Gegensatz zum DZI von der Schweizer Spendensiegelorganisation ZEWO geteilt wird. Spendensammler Stolze trägt diesen Entschluss selbstverständlich mit, obwohl - O-Ton 24 Stolze Es gibt kein erfolgreicheres Instrument auf dem Spendenmarkt, um Spenderinnen und Neuspender zu gewinnen und gleichzeitig auch Dauerspenderinnen und Dauerspender zu gewinnen, als persönliche Patenschaften. Deren Zahl hat sich in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt. Und das sind Erfolgsquoten, die man mit gängigen Instrumenten der Spendenwerbung, wie ich sie für uns beschrieben habe, eigentlich nicht erreichen kann. Autor Spendenwerbung ist eine Gratwanderung. Auf der einen Seite steht das Geldverschwendung-fürchtende Misstrauen der Bevölkerung, auf der anderen Seite der Druck zumindest ausreichende Gelder für die laufenden Projekte zu bekommen. O-Ton 25 Stolze Man muss auch immer damit rechnen, dass es so kritische Rückfragen gibt: "Ich habe ihnen fünf Euro gespendet, jetzt kriege ich von Ihnen einen Dankbrief, der kostet alleine 50 Cent Porto und zusätzlich noch Produktions-, Personal- usw. Kosten, da ist doch ein Anteil meiner Spende gleich wieder weg. So habe ich es eigentlich nicht gemeint." Das kostet manchmal eine gewisse Überzeugungskraft und das ist auch Handarbeit, also hier in der Spenderbetreuung werden solche kritischen Anfragen durchaus dann auch beantwortet und letztendlich natürlich damit, dass wir sagen, ohne solche Instrumente könnten wir auf die Dauer unsere Arbeit nicht erfolgreich fortsetzen. Werbung gehört mit dazu. Wir können unserer Arbeit nur leisten, wenn wir unterstützt werden - öffentlich. Und unterstützt werden wir nur, wenn wir auch wahrnehmbar sind und um wahrnehmbar zu sein, müssen wir Medien produzieren, müssen wir kommunizieren und das geht nicht, ohne dass man dafür Geld ausgibt. Autor Das schlichte Spendensammeln hat sich unter dem Begriff Fundraising - wörtlich "Mittelbeschaffung" - zu einer systematischen und professionellen Lehre entwickelt, für die es seit Anfang der neunziger Jahre einen eigenen deutschen Verband mit angeschlossener Akademie gibt. Um zu verstehen, was sich hinter dem Begriff "Fundraising" versteckt, besuche ich eine Art Intensivkurs. Atmo 12 Seminar Also da wieder richtig typisches Marketingdenken. Immer in Zielgruppen denken, in Segmenten und nicht alle gleich behandeln. Autor Joachim Dettmann - ein schmaler Mann, Anfang 50 im lässigen, dunklen Anzug - ist professioneller "Fundraising-Berater". Atmo 13 Seminar Das wollen wir gar nicht weiter vertiefen... Autor Ein Seminarraum in einem Diakonischen Zentrum im Süden von Berlin. Grauer Teppichboden, weiße Wände, weiße Kunststofftische. Ein knappes Dutzend Frauen und Männer zwischen Mitte 30 und Mitte 50 folgt einer Powerpointpräsentation. Atmo 14 Seminar Das Spendenprojekt ist wie ein Auto. Es muss dem Fahrer gefallen. Das ist klassische Marktforschung. Ob ich den Kunden befrage, der ein Auto kauft, oder einen Spender. Die Prinzipien sind die gleichen. Es ist Marketing. Autor Einen ganzen Tag lang referiert Dettman vor den teils staunenden, teils skeptischen Zuhörerinnen und Zuhörern über "Spenderpyramiden" und "Spenderleitern" mit "Großspendern", "Einmalspendern", "upgegradeten Spendern" , "Wechselspendern" und "Lifestyle-Spendern", für die es dann "Zielgruppendefinitionen" und "innovative Bindungsinstrumente" gibt. O-Ton 26 Dettmann Professionalität heißt letztendlich auch Produktivitätssteigerung. Dass man weniger verbrät, verbrennt und es dann auch sinnvoller nutzt - der Gewinn sich steigern lässt. Also der für die Projekte verfügbare Geldanteil nimmt zu. Autor Dettman selbst spendet - nach eigner Auskunft - regelmäßig. Schon aus Testgründen - um zu sehen, wie die jeweilige Organisation reagiert, ob sie etwa zur Spenderbindung einen Dankesbrief schickt. O-Ton 27 Dettmann Ich bin manchmal selbst auch erschrocken von der Nüchternheit und von der Professionalität, mit der man versucht, Spender zu gewinnen. Aber ich habe irgendwann mal gelernt "Mit Geld kann man Gutes tun - mit viel Geld kann man viel Gutes tun". Es scheitert vieles einfach am Geld. "Geld macht glücklich". Autor Einnahmensteigerung im Sinn der "guten Tat" ist das Ziel - optimiertes Marketing ist der Weg. Allerdings nicht um jeden Preis. O-Ton 28 Dettmann Wenn ich falsche Versprechungen mache oder meine Ankündigungen nicht halte, dann ist es schlechtes Marketing. Marketing kommt erst danach, nach dem Vertrauen, nach der Glaubwürdigkeit. Autor Und am Ende, so Dettmanns schöne Botschaft - belohnt - und das ist wissenschaftlich belegt - der Spender auf jeden Fall auch sich selbst. O-Ton 29 Dettmann Helfen tut immer gut. Man hat ein gutes Gefühl, man hat das Gefühl, in der Welt tätig zu sein, die Welt zu gestalten, man ist nicht irgendwer, man sieht, das eigene Leben kann Sinn machen. Alles egoistisch, aber letztlich alles hehre Motive. So sind wir Menschen. Atmo 15 Büro O-Ton 30 Tegtmeyer Die Projektpartner stellen also diesen Antrag. Und haben auch eine sehr detaillierte Kostenübersicht dabei. Das ist auch immer Voraussetzung für einen Projektantrag. Autor Urte Tegtmeyer leitet bei terre des hommes das Afrika-Referat. Die Hilfsprojekte werden jeweils im Land selbst initiiert. Die Anträge werden von festangestellten Mitarbeitern vor Ort - den Länderkoordinatoren - sondiert und bei einer positiven Vorabprüfung nach Osnabrück geschickt, wo entschieden wird. O-Ton 31 Tegtmeyer Dafür sammeln wir hier Spenden in Deutschland halt, wenn es gerade geht, auch zweckungebunden, damit wir dem Projektpartner auch eine Planungssicherheit geben können - das bedeutet, wenn Geld für ein bestimmtes Projekt nicht mehr fließt, dann hieße das für den Projektpartner, dann läuft das Projekt eben auch nicht mehr. Und deshalb versuchen wir immer zweckungebunden Spenden zu sammeln, was dann einfach eine Planungssicherheit garantiert. Autor Die Projekte gehen in der Regel über drei Jahre. Die Gelder fließen über die Länderkoordinatoren, die mit den Partnern in regelmäßigem Kontakt stehen, wodurch eine gewisse Kontrolle garantiert ist. Davon abgesehen werden alle Abrechnungen überprüft. Auf Tegtmeyers Schreibtisch liegt der Antrag für ein laufendes Projekt in Sambia. Es geht um 69.000 Euro verteilt auf drei Jahre. O-Ton 32 Tegtmeyer In Sambia jetzt zum Beispiel ist ein Riesenproblem: AIDS. Und dieses Projekt von Kara Councelling dreht sich halt um AIDS. Das sind dann ja ganz häufig Kinder, die durch AIDS zu Waisen wurden. Atmo 16 Lied Autor Ein paar Wochen später in Lusaka. In der Hauptstadt Sambias sind über ein Drittel der Menschen im Alter von 15 bis 49 Jahren mit dem AIDS-Virus infiziert ist. In den Maisfeldern am Stadtrand liegt UMOYO - was in der Sprache der Chewa-Ethnie "Lebensunterhalt" bedeutet - ein Hilfsprojekt für Waisenmädchen. Einfache, saubere Hütten. Ein großer Versammlungs- und Schulungsraum aus nacktem Beton. Gut 50 weibliche Teenager singen ein Begrüßungslied. Atmo 16 Lied Autor Dann habe ich Gelegenheit mit Prizilla Mazimba zu sprechen. Sie ist 14 Jahre alt, trägt eine kunstvolle Flechtfrisur und ein schüchternes Lächeln. O-Ton 33 Prizilla (in Chichewa) Autor Ihre Eltern starben an Aids und Malaria. Als sie zu ihrer Tante zog, versuchte der Onkel sie zu vergewaltigen. Eine Nachbarin wollte sie an ein Bordell vermitteln. Sie hörte von dem Zentrum, stellte sich vor, hatte Glück und durfte bleiben. Ein Jahr lang insgesamt. Sie lernt Nähen, Kochen, Rechnen, Schreiben, aber auch ihre Rechte und was soziale Verantwortung bedeutet. Letztlich geht es darum, Prizilla ein Überleben in Selbstachtung zu ermöglichen. Wenn sie hier fertig ist - zu dem Projekt gehört auch eine Nachbetreuung - will sie für sich und die zwei kleinen Geschwister sorgen und "sie vielleicht sogar zur Schule schicken". O-Ton 34 Prizilla (in Chichewa) Autor Ein Tag Schulung, Unterkunft und Verpflegung bei UMOYO kosten für Prizilla umgerechnet etwa acht Euro, ziemlich genau die Summe, die von meiner Zehn-Euro- Spende nach Abzug der Umkosten in Deutschland übrig geblieben ist. Atmo 16 Lied Spr. vom Dienst Die Gesetze des Mitleids - Erkundungen auf dem deutschen Spendenmarkt Ein Feature von Jörn Klare Es sprach: der Autor Ton: Ralf Perz Regie: Rita Höhne Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2008 1