COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Nachspiel vom 31.07.2011 "Mit Herz und Hirn" Moderne Fußballtrainer brauchen mehr als Autorität und Fachwissen Autor: Thomas Jaedicke: CL-Finale, FC Barcelona vs. Manchester United, 19. Mai 2011: "Dani Alves gegen Park....Noch ein Schlenker.....Messi....Villa....Villa!!....Xavi gefährlich, um ein Haar das 1:0." Autor: Atmo DFB- Trainerlehrgan g, Sportschule, Hennef. Das Champions League Finale 2011: Barcelona gegen Manchester. Die Spanier lassen dem Gegner mit ihrem traumhaft sicheren Kurzpassspiel keine Chance. 3:1 gewinnen sie. Elegant kreiseln sie vor dem Strafraum. Blitzschnelle Kombinationen auf engstem Raum. Es wirkt einstudiert und trotzdem leicht. Disziplin und Phantasie führen am Ende zu einem 3:1 für Barcelona. Ist das wirklich Fußball von einem anderen Stern? Nach harter Trainingsarbeit sieht es jedenfalls nicht aus - eher schon nach Zauberei. Atmo, Hennef: "Au! Der war gut!".... Spielgeräusche, Stimmen - Frank Wormuth: "Es ist nicht Kreativität wie ein Künstler, der etwas formt, etwas bildet, wo er sagt, das hat noch niemand gemacht." Autor: Frank Wormuth ist beim Deutschen Fußballbund für die Fußballlehrerausbildung zuständig. Eine höhere Qualifikation gibt es nicht für diesen Beruf in Deutschland. Für den 50jährigen ist Fußball keine Hexerei. Der frühere Abwehrspezialist bei Hertha BSC und dem SC Freiburg sieht die Dinge ziemlich pragmatisch. Frank Wormuth: "Fußball is halt schon irgendwo ein A-4-Blatt, wo ich sagen kann, diese Form gibt es über außen. Jetzt bist du kreativ im Sinne von: Welche von den Möglichkeiten wendest du an, und wie wendest du sie an. Oder kombinierst du vielleicht diese Möglichkeiten. Dann sprechen wir von Kreativität im Ausbildungssinne." Autor: Die DFB-Trainerlehrgänge an der Sportschule in Hennef sind heiß begehrt. In 40 Wochen bildet Frank Wormuth mit seinem Team neue Fußballlehrer aus, meist ehemalige Profis. Für Wormuth ist Barcelonas Erfolgsrezept kein großes Geheimnis. Frank Wormuth: "Sie wenden genau das an, was man vorher auf ein A-4- Blatt schreiben kann. Aber sie wenden es so kreativ an, dass es so aussieht, also ob sie es grad erfinden. Aber sie erfinden es nicht, sondern sie haben es trainiert." Autor: Atmo, Hennef Idyllisch liegt sie da, die Sportschule Hennef. Die Gebäude auf der weitläufigen Anlage sind geschmackvoll im Retro-Stil eingerichtet. Viele Grautöne und dunkles Rot. Der Ort verströmt einen angenehm beruhigenden Charme, der an die 50er-Jahre erinnert. Die gute, alte Bundesrepublik. Hier, tief im Westen, in der waldreichen Gegend zwischen Bergischem Land und Westerwald, hat Sepp Herberger schon seine 54er Weltmeister auf Länderspiele vorbereitet. Überall erinnern große Schwarz-Weiß-Fotos mit den Helden von Bern an diese längst vergangene Zeit. Vielleicht braucht Kreativität einfach nur Ruhe? Dann wäre Hennef, dieser etwas verträumte Ort, ein idealer Platz, um so eine Atmosphäre herzustellen. Atmo, Hennef: "Komm Vanessa! Komm, komm!!" Autor: Aber jetzt, an diesem heißen Vormittag, ist keine Zeit für Beschaulichkeit. Frank Wormuth scheucht seine Schüler über den Platz. Er hat gelbe und rote Hütchen aufgestellt und verschiedenfarbige Leibchen verteilt. Taktische Übungen stehen auf dem Programm. Frank Wormuth: "Die einen, die machen das aus dem Bauch raus. Und die anderen brauchen die Anleitung. Denen muss man sagen, pass auf, es gibt diese sechs Möglichkeiten über die Flügel, oder sieben, sechs bis sieben gibt es. Und die wendest Du einfach an." Autor: Unter den Kursteilnehmern sind einige Ex- Nationalspieler: Mehmet Scholl, Christian Wörns und Jörg Heinrich. Sie schwitzen und grübeln. Es geht um Laufwege. Wie muss der rechte Außenverteidiger stehen, damit er nicht vom Linksaußen überlaufen wird? Wann sollte der Sechser zu Hilfe kommen? Frank Wormuth ist ein Freund klarer Lösungen. Frank Wormuth: "Die Kunst ist, es anzuwenden. Auch der kreative Spieler nutzt nur diese sechs Möglichkeiten. Nur, dem muss man es nicht erklären, der macht es automatisch, aus der Situation heraus, weil er im Straßenfußball, im Spiel in den Jugendjahren einfach das automatisch gemacht hat." Autor: Also kann man Kreativität doch nicht lernen? Seit der 54er WM und den Zeiten, als noch mit Libero gespielt wurde, hat sich der Fußball dramatisch verändert. Das Spiel ist viel schneller geworden, athletischer. Auch die Anforderungen im spieltaktischen Bereich sind durch neue Spielsysteme enorm gestiegen. Mehr denn je ist Handlungsschnelligkeit gefragt. Durch immer neue Wettbewerbe sind Anzahl der Spiele und Druck durch die Medien immer weiter gestiegen. Aber wie viel kann man den Spielern eigentlich überhaupt noch zumuten? Christian Wörns: "Man probiert sicherlich, komplexer noch zu arbeiten, sich Spezialisten in allen Bereichen dazu zu holen. Aber irgendwann ist - glaube ich -, auch ´ne Grenze erreicht, was auch die Belastbarkeit der Spieler betrifft." Autor: Christian Wörns kommt nach dem harten Vormittagslehrgang in Hennef frisch geduscht zum Mittagessen. Vor drei Jahren hat der ehemalige Kapitän der Nationalmannschaft seine Karriere beendet. Bei der Trainerausbildung stellt der DFB unter anderem auch Verfahren wie Life Kinetik oder Differenzielles Lernen vor. Mit diesen Methoden aus dem sportpsychologischen Bereich versuchen inzwischen viele Profiklubs, ihre Spieler für die gestiegenen Anforderungen auch mental fit zu machen. Wer flexibel bleiben will, darf nicht immer nach demselben Muster trainieren. Die Fußballer sollen über ein großes Bewegungsrepertoire verfügen, um in verschiedenen Situationen schnell und phantasievoll reagieren zu können. Christian Wörns möchte nach seiner Ausbildung am liebsten im DFB-Nachwuchsleistungszentrum arbeiten. Die neuen Methoden sind ihm aber noch ziemlich fremd. Christian Wörns: "Wir haben ja auch hier viel diskutiert. Ich hatte als Spieler selbst keine Berührungspunkte damit. Aber wenn es fundiert erklärt ist, auch wissenschaftliche Studien dazu gibt, dass es wirklich was bringt, bin ich für alles offen und würde es dann sicherlich mit einfließen lassen." Autor: DFB-Trainerausbilder Frank Wormuth verschließt sich neuen Methoden wie Life Kinetik ebenfalls nicht. Teil der Ausbildung ist es, den angehenden Fußballlehrern einen Überblick zu verschaffen: Was für sinnvolle Angebote sind für die Bereiche Spielanalyse und Koordination auf dem Markt. Life Kinetik gehört für Frank Wormuth mit dazu. Allerdings kann das von dem Gesundheitscoach Horst Lutz entwickelte Verfahren seiner Meinung nach nur ein kleiner, ergänzender Mosaikstein im täglichen Trainingsprogramm sein. Frank Wortmuth: "Die Wissenschaft sagt, es ist nichts anderes wie Koordination. Und Life Kinetik selbst sagt: Ja, aber wir schulen dadurch natürlich mehr auch das Gehirn als nur den Körper. Also ich denke mal, alles hat seine Berechtigung. Aber am Ende - wenn Sie sagen, wie misst man das? - wenn Sie am Ende gewinnen, dann haben Sie alles richtig gemacht." Atmo: - Praxis - Björn Hauptmann: "Es heißt ja immer, Übung macht den Meister. Und das ist eigentlich auch richtig, wenn man Bewegungen trainiert und die übertrainiert oftmals, also immer wieder die gleiche, selbe Bewegung durchführt, dann wird es so starr, dass die Flexibilität verloren geht." Autor: Björn Hauptmann ist Leitender Oberarzt am Neurologischen Zentrum der Segeberger Kliniken. Er ist spezialisiert auf Reha-Maßnahmen, z.B. für Schlaganfallpatienten. Hauptmann: "Man ist dann zwar für diese eine Bewegung der Meister und kann das ganz super, aber sobald die Bewegung nur leicht abweichen soll, in einen neuen Kontext kommt, bricht das Gelernte dann letztendlich zusammen, und man kann es nicht mehr anwenden." Autor: Neueste Ergebnisse der Hirnforschung haben gezeigt, dass Bewegungen oder Tätigkeiten nicht nur an einem Ort im Gehirn lokalisiert sind. Beim Erlernen einer neuen Bewegung wird ein ganzes Netzwerk von Arealen im Gehirn aktiviert. Das Seh-, das Bewegungs- und das Tastsystem kommen zum Einsatz. Je häufiger man eine bestimmte Bewegung trainiert, desto automatisierter wird sie. Weniger Areale werden gebraucht, und das große Netzwerk schrumpft wieder. Die Flexibilität wird geringer. Und es kann sein, dass eine bestimmte Bewegung nur noch an einem Ort des motorischen Systems repräsentiert ist. Genau an dieser Schnittstelle setzen Verfahren wie Life Kinetik an. Durch neue, dosiert eingesetzte Reize soll die Aktivität im Gehirn gesteigert werden. Bereiche im Gehirn, die vorher nichts miteinander zu tun hatten, sollen miteinander verbunden werden. Neue Netzwerke entstehen. Hauptmann: "Auch das ist relativ neu, dass man das jetzt weiß, dass sich durch Lernen - und das ist das Wichtige dabei, auch im Alter, durch Wiederholungen von Bewegungen, Tätigkeiten, sobald das Gehirn merkt, hier ist eine Wiederholung da, das kann ich öfter gebrauchen, sprossen neue Synapsen auf, die dann diese Nervenzellen enger miteinander verknüpfen und auf die man später wieder zurückgreifen kann. Also es wird das Bewegungsvokabular, im besten Sinne als Struktur, wird erweitert." Autor: Atmo, Labor etc... Ein gesunder Mensch nutzt durchschnittlich etwa 20 bis 30 Prozent seines Gehirns. Es gibt also noch unzählig viele freie Nervenzellen. Immer wieder können neue Verknüpfungen entstehen, ohne dass das Volumen des Gehirns wächst. Aber durch diese neuen Verbindungen, durch ein erweitertes Bewegungsrepertoire kann das Potential des Gehirns viel besser ausgenutzt werden. Autor: Hauptmann: Und kann man denn sagen, dass jemand, der das trainiert, der so trainiert, dass der im Vorteil ist gegenüber einem Menschen, der das nicht macht? Lässt sich so was messen? "Ja, so was ist sicherlich von Vorteil, wenn man auf unvorhergesehene Situationen flexibler reagieren kann. Man spricht da von elementaren Bewegungseinheiten. Und wenn man die in der Hinterhand hat und sofort nutzen kann, ist natürlich die Reaktionszeit sehr viel schneller, als wenn man sich erst neue Bausteine zusammensetzen muss." Autor: Atmo, Training Profis Schalke. In der Fußballbundesliga spricht man nicht gern offen über Trainingsinhalte. Man will sich nicht in die Karten schauen lassen. Meister Borussia Dormund setzte in der vergangenen Saison Life Kinetik ein, wird das in der neuen Spielzeit aber nicht mehr machen. Warum, sagen die Dortmunder nicht. Felix Magath vom VfL Wolfsburg findet das Thema interessant, hat aber keine Zeit darüber zu sprechen. Robin Dutt, der in Freiburg auf Life Kinetik gesetzt hat, muss in Leverkusen eine neue Mannschaft aufbauen und blockt deswegen ab. Auch Thomas Tuchel, der in Mainz auf Differenzielles Lernen, eine vergleichbare Methode, setzt, bittet um Verständnis, dass er in der heißen Phase der Saisonvorbereitung nicht für ein Gespräch zur Verfügung stehen kann. Die Klubs schotten sich ab. Atmo: - Training Profimannschaft Schalke 04 - Markus Gisdol: "Wir sind generell sehr offen, was unsere Trainingsmethodik angeht. Aber an gewissen Punkten machen wir dann halt auch Stopp und wollen natürlich auch nicht alles preisgeben." Autor: Markus Gisdol ist Co-Trainer bei Schalke 04. Im April ist er zusammen mit Cheftrainer Ralf Rangnick von Hoffenheim nach Gelsenkirchen gewechselt. Gisdol, der bei Schalke für die Taktik zuständig ist, arbeitet schon sehr lange mit Ralf Rangnick zusammen. Life Kinetik ist für den 41jährigen Gisdol eigentlich ein alter Hut. Gisdol: "In den letzten zehn Jahren haben wir da sicherlich immer schon dran gearbeitet....Man könnte auch anders dazu sagen; muss nicht Life Kinetik dazu sagen." Autor: In der Saisonvorbereitung legt der Trainerstab die Schwerpunkte der Trainingsarbeit fest. Life Kinetik ist bei Schalke 04 ein Aspekt unter vielen. Es wird nicht überbewertet, aber es gehört nach Ansicht der Trainer trotzdem zum Gesamtpaket einer umfassenden Spielerausbildung dazu. Mit solchen Übungen wird das Training aufgelockert. Wichtig ist Markus Gisdol, dass dabei der Bezug zum Fußball nicht verloren geht. Gisdol: "Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wir versuchen, so eine Art Life Kinetik immer wieder bei uns auch zu integrieren. Nicht rein isolierte Life Kinetik, aber einfach viele Anforderungen mit verschiedenen Farben, mit verschiedenen Zurufen, mit verschiedenen Aufgaben da einfach auch das Gehirn immer wieder zu belasten." Atmo: Kiebitze beim Schalke-Training, Stimmen, Gelächter.... Autor: Die erste Trainingseinheit an diesem Vormittag ist in vollem Gange. Eine halbe Stunde lang haben sich die Profis intensiv warm gemacht. Jetzt läuft ein munteres Spielchen. Raúl schlägt einen traumhaften Diagonalpass direkt in den Lauf von Kluge. Fährmann, die neue Nummer eins im Tor, ist chancenlos. Schalkes Cheftrainer Ralf Rangnick lehnt scheinbar entspannt an einem Torpfosten, beobachtet das Trainingsspiel seines Kaders durch seine sehr kleine Brille, gibt immer wieder Anweisungen. Sein Co-Trainer Markus Gisdol hat das Spielfeld mit neuen Markierungen auf höchstens 20 mal 40 Meter verkleinert. Trotzdem lässt er elf gegen elf spielen. So ergeben sich in kurzer Zeit viel mehr spielentscheidende Aktionen. Das Training wird intensiver. Mit verschiedenen Provokationsregeln spitzt Gisdol die Übungseinheiten zu. Gisdol: "Provokationsregeln heißt z.B., dass man ´nen Ball direkt nach vorne spielen muss nach ´nem Rückpass. D.h., dass man schnelle Umschaltregeln drin hat. Oder mir verschlanken oftmals das Spielfeld, also machen es schmäler, um auch wieder im vertikalen Spiel vorwärts zu kommen. Und so gibt es für jeden Schwerpunkt verschiedene Regeln, um einfach den Trainingsschwerpunkt sehr gut rausarbeiten zu können." Autor: Im Laufe der Jahre ist der Betreuerstab bei den Profis immer größer geworden, immer mehr Spezialisten kamen dazu. Bei Schalke gibt es mehrere Athletiktrainer, die für Ausdauer, Krafttraining und Sprintschnelligkeit zuständig sind. In der Schlussphase der Saisonvorbereitung ist die Feinabstimmung besonders wichtig. Die Anforderungen an die Spieler sind extrem gestiegen, sagt Markus Gisdol. Vor 20 Jahren lief ein Mittelfeldspieler pro Spiel im Schnitt etwa fünf Kilometer. Heute liegt seine Laufleistung in 90 Minuten zwischen elf und zwölf Kilometern. Technik und Taktik verschmelzen immer mehr. Im Vergleich zu früher ist das Training ganzheitlicher geworden. Kurt Banse: "Wir sind also in der Forschung halt auch mittlerweile so weit, dass wir sagen: O.k., nicht, was macht der Spieler am Ball, sondern, was macht der Spieler eben, wenn er nicht am Ball ist? Und das ist für uns ein riesengroßes Fragezeichen?" Autor: Mittagspause auf Schalke. Kurt Banse genießt seinen Auftritt in Charly´s Schalker. Die volkstümliche Vereinskneipe liegt direkt neben dem Trainingsplatz. Kurt Banse: "Also Kreativität braucht natürlich auch immer ´ne gewisse Zeit und natürlich auch ´ne gewisse Phantasie. Und die Phantasie wird natürlich auch wieder nur angeregt, in dem ich Ruhe und Zeit habe." Autor: Kurt Banse ist ein kleiner, gedrungener Typ. Pro Solution GmbH steht auf seiner Visitenkarte. Leutselig wie ein Versicherungsvertreter bleibt er an fast jedem Kneipentisch stehen, schüttelt viele Hände und wechselt freundliche Worte. Kurt Banse: "Also man sieht es bei Barcelona, dass man eben Kurzpass spielt und in dem Augenblick den Ball nur ganz kurz am Mann hat und dann eigentlich schon wieder weiter gibt. Und danach hätte man wieder Zeit zum Überlegen, was könnte man eigentlich machen?" Autor: Ja, was man eben alles so macht, um Geld zu verdienen. Kurt Banse verkauft Ideen. Zusammen mit acht Mitarbeitern entwirft der 48jährige Sportpsychologe Programme, die Sportler, wie er selbst sagt, komplettieren sollen. Life Kinetik ist ein Bestandteil. Durch kognitive Maßnahmen sollen Reaktionsgeschwindigkeit und Raum-Zeit- Bewegungsantizipation verbessert werden. Seit über 20 Jahren ist Kurt Banse in diesem schwierigen Geschäft unterwegs. Kurt Banse: "In der Bundesliga, in der Ersten, Zwoten und in der Dritten, arbeiten circa sechs, sieben Vereine in diesem System. Die Problematik ist einfach, dass die Sportpsychologie immer noch mit therapeutischer Arbeit verwechselt wird. Und das natürlich in vielen Bereichen auch abschreckt, weil man dann wieder sagt: Therapeutische Arbeit ist für einen kranken Menschen." Autor: Die Unsicherheit auf dem unübersichtlichen Markt der Sportpsychologischen-Angebote ist groß. Kaum jemand kann wirklich zuverlässig einschätzen, ob der Anbieter seriös oder nur ein windiger Geschäftemacher ist. Die Bundesligaklubs sind in einer schwierigen Situation. Überlastet vom täglichen Geschäft, fehlt oftmals Zeit und Expertise, um die Offerten aus dieser Grauzone, die selbst von Fachleuten nur schwer zu durchschauen ist, sicher beurteilen zu können. Trotzdem traut sich kaum jemand, ganz darauf zu verzichten. Zu groß ist die Angst, dass die Konkurrenz, die auf solche Methoden setzt, vielleicht doch einen Wettbewerbsvorteil daraus ziehen könnte. Es ist wie mit der Werbung: Ihr Erfolg ist nur schwer messbar, aber trotzdem setzt sie jeder ein. Kurt Banse: "Was macht der Spieler, wenn er nicht am Ball ist? Guckt er sich den Ball an? Autor: Bei Schalke 04 hat Kurt Banse einen Fuß in die Tür bekommen. Der Trainerstab des Vereins greift auf seine Konzepte zurück. Außerdem arbeitet er noch für zwei weitere Klubs aus dem Champions League-Bereich, die er aber aus vertragsrechtlichen Gründen nicht nennen darf. Kurt Banse: "Übersetzt er es - in Anführungsstrichen - in eine Antizipation? Plus, plus, plus! Und ist natürlich auch oft der Zufall dann dabei. Und, und, und!!// Und unbewusst können wir halt 40 Millionen Eindrücke pro Sekunde aufnehmen. Rational bearbeiten 40 bis 50, bestenfalls 60 Informationen." Atmo: - Training, Regionalligamannschaft Schalke 04 - Autor: Wie kommt ein Fußballer damit klar, dass sein Hirn ständig mit zig Millionen Eindrücken befeuert wird? Frank Fahrenhorst ist schon froh, dass er die zwölf Eisenstufen zum Duschcontainer noch hochkommt. Gerade hat er, keine 50 Meter von den Profis entfernt, mit Schalkes Regionalligamannschaft anderthalb Stunden in der sengenden Sonne trainiert. Life Kinetik ist auch bei den Schalker Amateuren Teil des Trainingsplans. Frank Fahrenhorst: "Es gibt verschiedene Formen: Mit Seilen, mit kleinen Bällen, mit großen Bällen, mit schweren Bällen, mit leichten Bällen. Was haben wir denn noch gehabt?" Autor: Fahrenhorst ist jetzt 35. Früher ist der Abwehrspieler sogar zwei Mal für die Nationalmannschaft aufgelaufen. Aber als er bei Werder Bremen irgendwie seine Form verlor und sich deshalb den für einen Verteidiger rufschädigenden Spitznamen "Gefahrenhorst" einhandelte, bekam seine Karriere einen großen Knick. Jetzt, auf seine alten Fußballertage, ist er in Schalkes Regionalligatruppe untergekommen. Frank Fahrenhorst: "Mit Schlägern! Also da gibt es, glaube ich, 1000 verschiedene Varianten, wie man das anwenden kann. Wir haben jetzt nun erst mal ´ne kleine Form, damit es auch nicht so komplex wirkt. Damit man sich auch erst mal hineinversetzen kann, in der ganzen Lage." Autor: Die zweite Mannschaft von Schalke setzt seit Anfang des Jahres im Training verstärkt Life Kinetik ein. Sven Hübscher hat das neue Verfahren eingeführt. Sven Hübscher: "Bei Life Kinetik ist ganz einfach der Ansatz, dass man körperliche Fähigkeiten, Bewegung, versucht, mit kognitiven Reizen zu verbinden. Dass man also beim Balljonglieren versucht, Zusatzaufgaben zu stellen. Dass die Spieler beispielsweise die Ballkontakte in Dreierschritten mitrechnen müssen. Klar, am Anfang können sie es: Drei, sechs, neun. Aber irgendwann kommen sie dann in einen Bereich, wo sie selber drüber nachdenken müssen. Und so versucht man einfach, das Gehirn zu stimulieren." Autor: Sven Hübscher ist Co-Trainer und Mannschaftsbetreuer der Schalker Amateure. Nach einem Knorpelschaden musste er seine Spielerkarriere früh beenden und stieg ins Trainergeschäft ein. Der 32jährige Verwaltungsfachwirt hat Praktika bei Arsenal und Chelsea London gemacht. Er ist einer der Schüler, die gerade beim DFB von Frank Wormuth zum Fußballlehrer ausgebildet werden. Sven Hübscher sagt, Life Kinetik verschaffe den Spielern zwar keine neuen Möglichkeiten, aber durch regelmäßiges Üben könnten sie ihr vorhandenes Potenzial besser und schneller abrufen. Sven Hübscher: "Wobei Life Kinetik am Wochenende nicht darüber entscheiden wird, ob wir drei Punkte holen oder nicht. Sondern es ist ein kleiner Baustein, der einfach den Spielern helfen soll zu lernen, sich weiterzuentwickeln und gewisse Fähigkeiten auszuprägen, wie Wahrnehmungsfähigkeit und Entscheidungsfindung am Platz." Frank Fahrenhorst: "Früher gab´s das gar nicht. Für mich ist das auch Neuland. Und je schwieriger der Grad wird, desto unkontrollierter wird das. Und dadurch hab ich jetzt für mich ausgemacht, dass man da auch seine...ja, auch Handlungsschnelligkeit auch ein bisschen steigern kann für die verschiedenen Spielsituationen im Spiel." Autor: Frank Fahrenhorst ist nach dem Training abgekämpft. Gras und Dreck kleben im verschwitzten Gesicht. Jetzt in der Kabine, mit heruntergezogen Stutzen und ohne Töppen, sieht er alt aus. Für den 35jährigen ist es nicht einfach, noch mitzuhalten. Die anderen, die Konkurrenten aus der U-23-Truppe, sind im Schnitt 15 Jahre jünger als er. Frank Fahrenhorst: "Als ich in dem Alter war, gab es nicht solche Möglichkeiten. Wenn man sieht, heutzutage, wenn die aus der A-Jugend kommen, mit was für körperliche und athletische Voraussetzungen, das gab´s bei uns nicht. Ich hab schon zu einigen gesagt, wenn wir damals....ich glaub, wir hätten keine Chance im Profibereich gehabt." Atmo: - Mittagsruhe in der Sportschule Hennef, Vögelzwitschern... - Autor: Auch in Hennef, beim DFB-Lehrgang zur Fußballlehrerausbildung, ist jetzt Mittagspause. Die meisten Schüler haben sich nach dem Essen auf ihre Zimmer zurückgezogen. Nur Mehmet Scholl steht noch rauchend vor der großen Sporthalle. Sonst ist niemand zu sehen. Bis auf Sepp Herberger. Ein großes Foto von ihm hängt an der Wand im Foyer. Eingepackt in seinen zerknitterten Regenmantel blickt der legendäre Weltmeistertrainer aus traurigen Augen in den Raum. Jetzt ist Ruhe und Zeit für Träumereien. Daniel Niedzkowski: "Im Grunde genommen, geht es darum, dass auf dem Fußballfeld natürlich die Räume definiert sind. Das Spielfeld hat eine bestimmte Größe; und es gibt eine bestimmte Anzahl von Spielern auf´m Platz und daraus ergeben sich eigentlich diese Räume." Autor: Daniel Niedzkowski kam vor zweieinhalb Jahren zusammen mit Trainerausbilder Frank Wormuth zum DFB. Niedzkowsiki ist dafür zuständig, die Angebote neuer Trainings-Methoden und -Techniken, die beim Verband von außerhalb eingehen, zu sichten. Mit seinem Chef entscheidet er, was relevant und seriös sein könnte und was nur einen geschäftlichen Hintergrund zu haben scheint. Obwohl eine wissenschaftliche Basis für den Erfolg von Life Kinetik fehlt, fand der DFB den Ansatz der Methode interessant, weil man das Konzept auch auf den immer komplizierter werdenden modernen Fußball übertragen kann. Deswegen stellen sie es jetzt - kritisch hinterfragt -, ihren Kursteilnehmern vor. Vielleicht können solche kognitiven Programme Spielern und Trainern dabei helfen, neue phantasievolle und originelle Lösungen für das alte Spiel zu finden. Daniel Niedzkowski: "Das Bewusstsein, wo man ohne Ball sich in einer bestimmten Situation aufhalten muss und - wenn man in Ballbesitz kommt -, wo die Räume sind, in die man sich bewegen kann, das ist einfach bei Barcelona unglaublich ausgeprägt und wird auch ganz gezielt geschult." Autor: Im Champions League Finale im Mai gegen Manchester war das immer wieder gut zu beobachten. CL-Finale, FC Barcelona vs. Manchester United, 19. Mai 2011: "Messi....Messi, Messi, Messi...Und wieder ist der Ball weg....Villa....Ach! Bist Du denn verrückt!....3:1, 69. Minute. Messi bereitet vor. Vorsichtshalber gegen drei. Busquets...Juppheidi!...Aus´m Stand. Das was Barcelona spielt, ist ´State of the Art´ im europäischen Fußball! Daniel Niedzkowski: "Bei Barcelona ist es so, dass die fast ohne einen klassischen Stürmer spielen. Das ist auch der Grund, warum die so schwer in den Griff zu bekommen sind, weil die nicht so die klassischen Stürmer haben, gegen den die Innenverteidiger spielen. Sondern, die bewegen sich immer zwischen den Linien und sind eigentlich kaum zu packen. Also die haben dieses Prinzip der Räume...des Besetzens der Räume und des Bewegens in die Räume extrem gut verinnerlicht." Autor: Wird das Spiel in Zukunft wirklich da entschieden, wo der Ball nicht ist? Fußball ist über 100 Jahre alt. In dieser langen Zeit haben sich die Regeln kaum verändert. Die Größe des Feldes ist gleich geblieben; die Anzahl der Spieler auch. Es gibt zwei Tore. Fast alles ist analysiert und auch das verwegenste Spielsystem schon erprobt. Jetzt soll die phantasievolle Nutzung der letzten freien Räume also neuen Schwung in ein scheinbar schon völlig erschlossenes Spiel bringen? Daniel Niedzkowski glaubt an weitere Veränderungen, aber Revolutionen werden es seiner Meinung nicht mehr sein. Daniel Niedzkowski: "Es ist mittlerweile schon taktisch sehr, sehr komplex geworden. Und ob sich da jetzt noch mal so grundlegend was ändern wird, wie von der Zeit, als noch mit Libero gespielt wurde, zu der Raumdeckung, das kann ich nicht beurteilen, aber da wäre ich jetzt mal skeptisch." Atmo, Sportschule Hennef, Nachmittagsleh rgang. - Ballgeräusche, Zurufe etc. - Daniel Niedzkowski: "Jetzt gerade wird sehr, sehr viel dieses 4-3-2-1 gespielt, mit einem Stürmer. Das eröffnet einem recht gute Möglichkeiten im Spielaufbau, aus der Viererkette in der Regel. Und wenn das komplett durchschaut wurde, dieses System, und die Stärke, Schwächen komplett analysiert wurden, dann wird es sicherlich wieder irgendein anderes System geben." Autor: Wie muss ein moderner Trainer sein? Eher ein Schleifer wie Felix Magath, oder vielleicht doch besser ein Intellektueller wie Thomas Tuchel? Muss der Coach eine große Profikarriere hinter sich haben, um von den Spielern ernst genommen zu werden? Ist die Disziplin eines Louis van Gaal kombiniert mit dem Freigeist eines Pep Guardiola die ideale Mischung? Die Aufgabe des Trainers wird in Zukunft noch anspruchsvoller und vielfältiger werden, glaubt DFB-Analytiker Daniel Niedzkowski. Das liegt seiner Ansicht nach mit daran, dass die DFB-Konzepte jetzt auch in den Nachwuchszentren der Bundesligisten greifen. Mit Spielern wie Mesut Özil, André Schürrle oder Julian Draxler kommt ein ganz anderer Spielertyp nach oben. Daniel Niedzkowski: "Spieler, die von Anfang an sehr differenziert gecoacht wurden, mit vielen verschiedenen Methoden gearbeitet haben, die haben natürlich im Profibereich auch ´ne ganz andere Erwartungshaltung an das Training und wollen das auch. Also wollen verschiedene Reize bekommen und wollen diese Abwechslung eben auch im obersten Bereich spüren." Atmo: - Ballgeräusche, Zurufe etc. - Autor: In der Sportschule Hennef ist die Mittagsruhe vorbei. Passwege zustellen, steht am Nachmittag beim Trainerlehrgang auf dem Programm. Chefausbilder Frank Wormuth möchte in der 40wöchigen Ausbildung so viele Inhalte wie möglich unterbringen. Wie sieht das Spiel der Zukunft aus? Ist es wirklich das Modell Barcelona? Also Systeme zu haben und dabei trotzdem noch spielerisch zu wirken? Frank Wormuth: "Das ist ´ne gute Frage, weil letzte Uefa-Convention kam diese Frage auf: Liebe Ausbilder, ihr müsst in Europa so ausbilden, wie wir in fünf Jahren spielen. Wie spielen wir denn in fünf Jahren?" Autor: Eigentlich ist Fußball doch ein einfaches Spiel; deswegen ist es so beliebt. Das hat Frank Wormuth doch selbst gesagt. Aber durch die vielen Systeme, Varianten und taktischen Finessen, die in über 100 Jahren ausprobiert wurden, hat sich enorm viel theoretisches Wissen angehäuft. 40 Wochen dauert die Ausbildung zum Fußballlehrer. Das ist fast ein ganzes Jahr. Aber trotzdem ist die Zeit fast zu knapp, selbst wenn es nur darum geht, die wichtigsten Inhalte zu vermitteln. Frank Wormuth: "Also wir unterscheiden Grundordnung. Wir unterscheiden ein System, das aus einer Grundordnung entsteht. Wir sprechen auch von Spielphilosophien. Und wenn Sie Barcelona ansprechen, dann haben die ein klares Spielverhalten, eine klare Spielphilosophie in einer vorgegebenen Grundordnung, die aber so variabel ist, dass man von System spricht.....Ha, ha, ha...." 1