COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Forschung und Gesellschaft, 23.12.2010 Wo steckt Papa? Kulturwissenschaftler diagnostizieren eine neue Ära der Vaterlosigkeit Von Svenja Flaßpöhler Zitator: Dies ist das Buch von des Menschen Geschlecht. Da Gott den Menschen schuf, machte er ihn nach dem Bilde Gottes. Musik: Richard Wagner: Götterdämmerung, CD 4, Track 5 Zitator: [unterlegt mit leisen Trommeln aus Arvo Pärt: "Sarah was ninety years old"; Track 3] Und Adam war 130 Jahre alt und zeugte einen Sohn, der seinem Bild ähnlich war, und hieß ihn Seth und lebte darnach 800 Jahre und zeugte Söhne und Töchter, dass sein ganzes Alter ward 930 Jahre und starb. Seth war 105 Jahre alt, da zeugte er Enos und lebte darnach 807 Jahre und zeugte Söhne und Töchter; dass sein ganzes Alter ward 912 Jahre, und starb. Enos war 90 Jahre alt und zeugte Kenan und lebte darnach 815 Jahre und zeugte Söhne und Töchter; daß sein ganzes Alter ward 905 Jahre, und starb ... Allmählich abblenden - darüber Sprecherin: "Geschlechtsregister der Patriarchen von Adam bis Noah" - so ist das 5. Kapitel des 1. Buch Mose im Alten Testament überschrieben. Von Müttern ist in dem Geschlechtsregister nicht die Rede. Denn die Väter waren es im christlich geprägten Abendland, die die Menschheitsgeschichte durch ihre göttlich verbürgte Macht und Zeugungskraft vorantrieben. Auf den Vater waren die Verwandtschaftssysteme ausgerichtet, der Vater war das Oberhaupt der Familie, ausgestattet mit rechtlicher, wirtschaftlicher und symbolischer Herrschaft über Kind und Frau. Musik Chor aus Arvo Pärt: "Sarah was ninety years old"; Einsatz bei 5:20 Min. Atmo: Spielplatzgeräusche Sprecherin: Heute, im säkularisierten 21. Jahrhundert, haben sich die Machtverhältnisse verschoben, wenn nicht gar umgekehrt: Während der Vater mehr und mehr zur Randfigur wird, avanciert die Mutter zum Dreh- und Angelpunkt der familiären Struktur. Nein, damit ist nicht gemeint, dass die Mutter wie die Spinne im Netz den Familienalltag organisiert, während der Mann als Abwesender für den Lohnerwerb sorgt - diese geschlechtsspezifische Aufgabenverteilung beginnt sich langsam, aber sicher zu verändern. Dass die Mutter heute anstelle des Vaters den Mittelpunkt des Systems Familie bildet, hat eine grundsätzlichere Bedeutung: Sie, die Mutter, ist es, die in immer stärkerem Maße das strukturierende Element von Verwandtschaft darstellt. Ihr fällt die rechtliche und immer öfter auch die symbolische Macht zu. Musik: Trommelschläge aus Pärt: Sarah was ninety years old; Einsatz bei 20:30 Zitator: Die rechtliche Macht - Sprecherin: Der Mutter wird ihr Kind - da sie es nun einmal gebiert und weil Mutterschaft biologisch unbezweifelbar ist - ganz natürlich zugesprochen, während die Vaterschaft erst anerkannt und manchmal per Test überprüft werden muss. Zwar kommt das Recht den Vätern neuerdings entgegen, insofern jetzt auch nichtverheiratete Väter das Sorgerecht für ihr Kind beantragen können, und zwar ohne Einwilligung der Mutter. Doch auch dieses Entgegenkommen verhindert nicht, dass es in aller Regel nach wie vor die Mutter ist, bei der das Kind bleibt, wenn die Eltern sich trennen. 1,6 Millionen Alleinerziehende gibt es derzeit in Deutschland, Tendenz steigend. Und 90 Prozent von ihnen sind weiblich. Zitator: Die symbolische Macht - Sprecherin: Der mütterlich vererbte Nachname galt noch bis in die 1970er Jahre als Makel, da er auf ein uneheliches Kind hindeutete. Heute tragen den Namen der Mutter - neben der stetig wachsenden Zahl unehelicher Kinder - immer häufiger auch eheliche Kinder. Aufgrund der Namensrechtsreform in den 1990er Jahren können Verheiratete ihre jeweiligen Nachnamen behalten, und dadurch können nicht länger nur die Ehemänner, sondern auch die Ehefrauen ihren Namen an die Kinder - eine Möglichkeit, von der vor allem emanzipierte, berufstätige Mütter Gebrauch machen. Womit wir bei der Ökonomie wären: Waren Frauen bis in die 1970er Jahre hinein in aller Regel finanziell auf ihre Männer angewiesen, stehen sie heute immer öfter auf eigenen Beinen; ja, sie sind mitunter selbst die Familienernäherinnen. Die männliche Rolle des Brotverdieners wird also ebenfalls zunehmend obsolet. Und sogar in biologischer Hinsicht ist der Vater inzwischen entbehrlich geworden. Dank künstlicher Befruchtung können Frauen Kinder bekommen, ohne überhaupt nur in Kontakt mit einem Mann zu treten, geschweige denn sich an ihn binden zu müssen. Musik Philip Glass: Akhnaten. CD 2, Track 3 (schnelle Trommeln) Sprecherin: Ist der Vater ein Auslaufmodell? Ein im Verschwinden begriffenes Relikt aus patriarchalen Zeiten? Brauchen ihn Mütter und Kinder schlicht nicht mehr? O-Ton Thomä Väter sind im Moment einerseits die Lieblingskinder der Politik und der Gesellschaft, und andererseits so etwas wie Aschenputtel. Einerseits gibt es natürlich ein großes Brimborium um diese ganzen Vätermonate, die jetzt genommen werden, und um die erfüllenden Erfahrungen, die man machen kann, wenn man ein Neugeborenes im Arm hält als Mann, und dann schämt man sich auch gar nicht mehr dafür, dass man ein Weichei ist. Und andererseits ist man als Vater irgendwie trotzdem noch, das zeigen ja die Statistiken, eine, nicht unbedingt vom Aussterben aber doch von gewissen Auszehrungserscheinungen bedrohte Angelegenheit. Sprecherin: Dieter Thomä, Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen. In seinem Buch "Väter. Eine moderne Heldengeschichte" versucht er eine Erklärung für diese Auszehrungserscheinungen zu finden: Wie ist es zu der Entwertung der väterlichen Position gekommen? Musik Marseillaise Sprecherin: Dieter Thomäs Behauptung lautet: Die Krise des Vaters ist kein neues Phänomen, sondern sie schwelt im Grunde schon seit der französischen Revolution, seit Ende des 18. Jahrhunderts. O-Ton Thomä Es ist ja interessant, zu fragen, wo eigentlich dieses Spiel seine Wurzeln hat, dieses Schwarze-Peter-Spiel, wer ist jetzt eigentlich für die Erziehung zuständig. Und natürlich gibt es da immer schon Debatten auch bei Platon, über staatliche Erziehung und so weiter, aber es gibt auch ein dramatisches Ereignis, das dieses Thema so richtig auf die Tagesordnung gesetzt hat, und das ist der politische Kampf gegen den Patriarchen, der eigentlich in Frankreich, im revolutionären Frankreich des 18. Jahrhunderts eingeläutet worden ist. Und die Grundidee ist eigentlich ganz simpel: Wenn wir den politischen Patriarchen, also das heißt den König stürzen, dann geht es letzten Endes auch dem familiären Patriarchen an den Kragen. Sprecherin: [unterlegt mit Marschtrommeln] An die Stelle der Väterlichkeit war im Zuge der Aufklärung die Brüderlichkeit getreten - ein Demokratisierungs- und gleichzeitig Entväterlichungsprozess, der sich idealerweise nicht nur auf gesellschaftspolitischer Ebene, sondern auch konkret, innerhalb der Familie vollziehen sollte. [Marschtrommeln] Zitator: Nachdem Sie den Menschen im öffentlichen Leben frei und glücklich gemacht haben, bleibt Ihnen die Aufgabe, seine Freiheit und sein Glück im privaten Leben sicherzustellen. Die Tyrannei der Väter war oft genauso schrecklich wie die Despotie der Minister. Oft verwandelten sich die Gefängnisse des Staates in Gefängnisse der Familie. Es wäre deshalb angemessen, der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte gewissermaßen eine zweite Erklärung folgen zu lassen, die sich mit den Rechten der Ehegatten, der Väter, der Kinder, der Eltern etc. befasst. Sprecherin: Das forderte der Abgeordnete Pierre-François Gossin am 5. August 1790 in der revolutionären Nationalversammlung. Ungefähr zur selben Zeit wurden sogenannte Familientribunale eingesetzt, um Kindern die Möglichkeit zu geben, gegen ihre tyrannischen Väter vorzugehen. Die bis dahin unhinterfragte väterliche Macht erfuhr eine tiefe Erschütterung - und dies umso mehr, weil die frisch erstarkte Republik dem Vater nicht länger die Alleinherrschaft über die Familie überlassen, sondern sich selbst, also dem Staat, den Zugriff auf die Erziehung der Kinder sichern wollte. O-Ton Thomä Die Familie mit ihrer Privatsphäre ist unzuverlässig. Und deshalb wurde gesagt: Verstaatlichung der Erziehung. Die Kinder gehören dem Vaterland, bevor sie den Eltern gehören, hat zum Beispiel jemand wie Danton gesagt. Sprecherin: Schematisch gesagt: An die Stelle des Familiendreiecks Vater-Mutter-Kind ist das Dreieck Staat-Mutter-Kind getreten. Der Vater wurde - zumindest symbolisch - herausgedrängt aus der familiären Struktur, ohne dass ihm eine neue Position zugewiesen worden wäre. Ist der Niedergang des Patriarchats also die Ursache für die Krise des Vaters? Musik Wagner: Götterdämmerung. CD 4, Track 5 O-Ton Petri Ich kann dieser Schlussfolgerung wirklich nicht folgen. Der Fortschritt liegt ja in unseren Gesellschaften darin, diese patriarchalen Strukturen nun wirklich zu überwinden. Das ist ja auch das große Verdienst der Feminismusbewegung zu sagen: Ja, wo bleiben denn die Väter? Wir wollen andere Väter haben, als wir sie bisher gehabt haben. Also, die Abschaffung des Patriarchats war ja überhaupt die Voraussetzung dafür, dass wir zu Demokratisierungsprozessen kommen. Sprecherin: Horst Petri, Psychoanalytiker in Berlin. Wer sich auf das Ende des Patriarchats beruft, um die gegenwärtige Marginalisierung des Vaters zu erklären, erwecke allzu leicht den Eindruck, dass dieses Ende zu betrauern sei, meint Petri: O-Ton Petri Und in diesen Zusammenhang gehört natürlich auch dieses furchtbare Buch von Alexander Mitscherlich "Auf dem Weg in die vaterlose Gesellschaft". Der hat es ja auch bedauert, dass eben die alte Agrarstruktur, der alte Patriarch verloren gegangen ist und heute der Vater seine Bedeutung verloren hat, weil er angeblich nur die entfremdete Arbeit in der Fabrik macht. Das ist eine absolut unzeitgemäße Betrachtung, natürlich haben sich diese Verhältnisse geändert, aber wie waren die Verhältnisse davor, als der Patriarch wirklich bestimmte, was der Sohn macht und was die Tochter macht und wen sie heiratet. Sprecherin: Doch auch wenn Horst Petri dazu rät, das Verschwinden des Patriarchats nicht als den Beginn einer Krise, sondern als Chance zu begreifen - eine tiefe und besorgniserregende Erschütterung der väterlichen Position beobachtet auch er. "Das Drama der Vaterentbehrung", so heißt eines von Petris zahlreichen Büchern über den Vater. Ausgelöst worden sei dieses Drama vor allem durch jene Bewegung, die den Vater nicht nur symbolisch, sondern ganz real abgeschafft habe: O-Ton Petri: Ich glaube, man kann diese ganze Väterdiskussion gar nicht ablösen von der Entwicklung der Frauenbewegung, wo es ja zunächst mal darum ging, den Vater eigentlich zu entwerten, auszuklammern aus dem familiären Kontext, so mit der ultimativen Forderung: Ohne Vater ist alles viel besser. Sprecherin: Der Feminismus der 1970er und 1980er Jahre bestand nicht nur im Kampf für Geschlechterdemokratie, sondern er war gleichzeitig Ausdruck eines tiefen Argwohns gegen Männer - und Väter. Männlichkeit war ein Synonym für Rücksichtslosigkeit, Macht und aggressive Sexualität, während Weiblichkeit für Verantwortung, Solidarität und mütterlicher Fürsorge stand. O-Ton Vinken In Deutschland ist der Mütterfeminismus eigentlich auf seinem Höhepunkt vor dem ersten Weltkrieg. Dieser Feminismus war eine Bewegung, die die Männer als unzuverlässig erklärte, sie schleppen Geschlechtskrankheiten ein, sie zeugen außerehelich Kinder, and so on and so forth. Und dagegen setzt der Mütterfeminismus das Band zwischen Staat und Mutter. Sprecherin: Barbara Vinken, Literaturwissenschaftlerin an der Maximilians-Universität München und Autorin eines Buches über den "Mythos" der "Deutschen Mutter". Dass die feministischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts zu einer Entwertung des Mannes beziehungsweise des Vaters beigetragen haben, dürfe aber keinesfalls überinterpretiert werden, meint Barbara Vinken. O-Ton Vinken Also, es gibt natürlich diese weiblichen Allmachtsphantasmen, ja, also dass man jetzt alles selber kann, die Kinder und den Beruf und so was alles, das sind aber auch wirklich Allmachtsphantasmen, in denen ich auch ne gewisse Gefahr sehe. Zum anderen würd ich aber diesem Diskurs entgegenwirken, dass wir so etwas wie Emanzipation erreicht haben. Ich glaube, davon sind wir meilenweit weg, und in diese Richtung weiterzudenken finde ich kein weibliches Ermächtigungsphantasma, und ich finde auch nicht, dass es die Rolle des Vaters in irgendeiner Weise in Frage stellt. Sprecherin: Dass die Zukunft weiblich sei, wie es heute allenthalben in den Feuilletons heißt; dass Jungen in den Schulen diskriminiert würden, weil es keine Lehrer, sondern nur noch Lehrerinnen gebe, ja, dass wir womöglich gar auf dem Weg in ein neues Matriarchat seien: Solche Thesen, sagt Barbara Vinken, halten der Wirklichkeit nicht Stand: O-Ton Vinken Ich halte das für männliche Kastrationsangst, die sich da irgendwie in absurden Behauptungen Bahn bricht. Wenn Sie sich die Statistiken angucken, alle daxgeführten Unternehmen haben so gut wie keine Frauen im Vorstand, Deutschland hängt da hinter Amerika und den anderen europäischen Ländern meilenweit hinterher, ich halte es irgendwie für grotesk, jetzt irgendwie zu behaupten, dass es so etwas wie eine weibliche Übernahme gibt. Also ein Blick auf die Zahlen macht das eigentlich sonnenklar. Und auch ein Blick auf die Verhältnisse des Reichtums lässt da eigentlich keinen Zweifel aufkommen, dass diese Gesellschaft männlich geprägt ist, dass sie männlich beherrscht ist und dass Männer in diesen Positionen sind. Sprecherin: Doch so übertrieben, ja, hysterisch die Behauptung sein mag, wir würden einer weiblichen Zukunft entgegen sehen: Die männliche Kastrationsangst ist immerhin ein deutliches Anzeichen dafür, dass die ehemals unhinterfragte Macht des Mannes ihren Legitimationsgrund unwiederbringlich verloren hat. Und was bleibt dem Mann, dem Vater, dann noch, um sich in seiner Position zu halten? Bedarf es nicht womöglich nur noch eines gezielten Stoßes, um ihn endgültig vom Sockel zu kippen? Zitatorin: Wenn Frauen ihre angestammten Plätze verlassen, Heim und Herd den Rücken kehren, einer Erwerbsarbeit nachgehen, gar die Familie ernähren oder politische Machtpositionen erobern, dann drohen Männer zu "Hohlfiguren" zu werden, zu tönernen Stelen ... Die männliche Macht wird zunehmend ausgehöhlt und virtuell: Meinungsmacher in Politik, Religion und Kultur predigen sie zwar weiterhin, aber viele Männer können sie nicht mehr leben, sie fühlen sich gekränkt und gedemütigt. Sprecherin: So sieht es die Journalistin Ute Scheub. Folgt man der Argumentation in ihrem Buch "Heldendämmerung", reagieren Männer auf diese Kränkung vor allem mit Aggressivität und Wut: Sie zetteln Kriege an und üben tyrannische Herrschaft aus, um ihre Männlichkeit unter Beweis zu stellen. Doch es gibt noch eine andere mögliche Reaktion. Anstatt sich aggressiv gegen die befürchtete Kastration zu wehren, wird der Mann weicher. Weiblicher. Mütterlicher. Der moderne, fürsorgliche Vater wickelt, tröstet, füttert, nimmt Elternzeit und bringt seiner Frau das Kind zum Stillen ins Büro. Er beharrt nicht mehr auf seiner Männlichkeit, sondern schämt sich eher dafür. Er will nicht rücksichtslos, machtbesessen, geschweige denn aggressiv wirken, sondern vielmehr verantwortungsvoll und solidarisch mit seiner Frau die Anforderungen des Alltags bewältigen - postheroisch. Die positiven Effekte dieser tiefgreifenden Vatertransformation sind unübersehbar: Aus einem abwesenden Vater, der seinen Kindern höchstens noch den Gutenachtkuss gibt, wenn er von der Arbeit kommt, ist ein anwesender Vater geworden, ein Vater, der seinen Kindern nicht fremd, sondern vertraut ist; der sich zärtlich um sie kümmert, anstatt sie zu ignorieren oder gar zu tyrannisieren. Zitator: [unterlegt mit leisen Trommeln aus Arvo Pärt: Sarah was ninety years old; Track 3] Kenan war 70 Jahre alt und zeugte Mahalaleel und lebte darnach 840 Jahre und zeugte Söhne und Töchter; daß sein ganzes Alter ward 910 Jahre, und starb. Mahalaleel war 65 Jahre alt und zeugte Jared und lebte darnach 830 Jahre und zeugte Söhne und Töchter; daß sein ganzes Alter ward 895 Jahre, und starb. Jared war 162 Jahre alt und zeugte Henoch und lebte darnach 800 Jahre und zeugte Söhne und Töchter; daß sein ganzes Alter ward 962 Jahre, und starb. Atmo Babybrabbeln, zärtliches Vätersummen Sprecherin: Doch so positiv das veränderte Vaterbild für Kind und Mutter zunächst einmal ist - es stellt sich die Frage, was denn eigentlich den Vater als Vater noch ausmacht, wenn er sich, aus Furcht, patriarchal zu wirken, immer mehr weibliche Qualitäten aneignet. Entsteht bei der Mutter nicht womöglich umso mehr das Gefühl, dass der Vater entbehrlich ist, wenn er überhaupt keine spezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten mehr mitbringt, sondern lediglich die Rolle einer zweiten, im Grunde defizitären Mutter übernimmt? Gewiss, es gibt Ähnlichkeiten zwischen Mann und Frau, zwischen Vater und Mutter. Es stimmt, dass beide Geschlechter androgyner veranlagt sind, als man lange Zeit angenommen hat. So haben Forschungen gezeigt, dass auch Männer mit hormonellen Veränderungen reagieren, wenn sie Vater werden. Die US- amerikanische Wissenschaftlerin Anne Storey etwa fand heraus, dass das weibliche Geschlechtshormon Östrogen, das bei Männern normalerweise keine Rolle spielt, bei werdenden Vätern bereits 30 Tage vor der Geburt ihres Kindes anstieg. Und auch das Hormon Prolaktin, das bei Frauen das Wachstum der Brustdrüsen und die Milchabgabe verursacht, ist bei Männern einige Tage vor der Geburt in auffälliger Menge vorhanden. Wie Östrogen unterstützt auch Prolaktin fürsorgliches Verhalten. Das männliche Hormon Testosteron, das Aggressivität begünstigt, geht bei werdenden Vätern entsprechend um durchschnittlich ein Drittel zurück. Aber heißt das, dass Mütter und Väter tatsächlich gleich sind? Barbara Vinken: O-Ton Vinken: Also es gibt ein Moment der Differenz, und das ist auch durch überhaupt nichts zu verändern. Also, es werden nicht Männer Kinder tragen können, und es werden nicht Männer Kinder gebären. Und das, kann man sagen, ist so, und das ist auch gut so. Das heißt, das Verhältnis zwischen dem Kind und der Mutter wird immer ein anderes bleiben als zwischen dem Vater und dem Kind. Sprecherin: Die Mutter trägt das Kind neun Monate in sich, ist mit ihm unauflöslich verbunden - eine Verbundenheit, die in den ersten Lebensmonaten des Kindes fortwirkt. Doch gerade dieses biologisch bedingte Übergewicht der Mutter ist es, das den Vater von Beginn an unentbehrlich macht und ihm eine spezifische Funktion innerhalb des familiären Dreiecks zuweist. Wenn er in der allerersten Zeit nach der Geburt vor allem die Funktion hat, die Mutter-Kind-Dyade zu halten, zu stützen und zu schützen, so kommt ihm schon bald eine noch viel wesentlichere Aufgabe zu: nämlich diese Dyade zu kappen, die, wenn sie zu lange anhält, sich schädlich vor allem fürs Kind auswirkt. Der Psychoanalytiker Horst Petri: O-Ton Petri Früher hat man gesagt: Ach ja, wenn der Vater im Schulalter mal anfängt mit dem Kind ein bisschen Mathematik zu machen und ihm die Gesetze beizubringen und das Kind in die Regeln der Gesellschaft einzuführen, das reicht völlig und sich so ganz peripher darum zu kümmern. Das hat sich ja nun wirklich ganz, ganz grundlegend geändert. Die psychoanalytischen Erkenntnisse dazu zeigen ja ganz deutlich, dass die Familie, da ergänzt sich die Psychoanalyse mit der Systemtheorie, ein System ist. Und dass zu diesem System der Vater unbedingt dazu gehört und er in erster Linie die Funktion hat, dem Kind die Ablösung von der Mutter zu erleichtern und dadurch nicht allzu starke Fixierungen an die Mutter zu verewigen. Sprecherin: Der Vater relativiert die natürliche Dominanz der Mutter, indem er sich als Dritter ins Spiel bringt. "Triangulierung" nennen Psychologen diesen Vorgang, der die enge Mutter-Kind-Bindung in eine gleichgewichtige Dreiecksbeziehung verwandelt: Zitator: Konkret auf die frühkindliche Entwicklung bezogen meint Triangulierung das Entstehen der Fähigkeit, gleichzeitig eine Beziehung zu Mutter und Vater zu unterhalten, zu erkennen und zu akzeptieren, daß Mutter und Vater auch eine Beziehung zueinander haben, sowie alle drei zu verinnerlichen. Sprecherin: So schreibt der Psychologe Lothar Schon in seinem Buch "Entwicklung des Beziehungsdreiecks Vater-Mutter-Kind". Der Vater beschränkt die mütterliche Dominanz, indem er selbst seinen Platz im Familiendreieck beansprucht. Er gibt dem Kind gerade auf diese Weise ein sicheres und für seine Entwicklung konstitutives Standbein. Unentbehrlich ist der Vater, weil er dem Kind den Weg aus der Muttersymbiose hinaus in die Welt ermöglicht; weil er Fähigkeiten und Eigenschaften mitbringt, die sich von den mütterlichen unterscheiden - unterscheiden müssen. Wäre der Vater genau so wie die Mutter, hätte er eine gleichermaßen symbiotische Beziehung zum Kind, wäre es ihm überhaupt nicht möglich, sich als dynamisierendes Element in die Mutter-Kind-Dyade einzuschieben. Das Familiendreieck wäre unausgewogen. ((( Ja, es würde gar nicht wirklich existieren, da beide, Mutter und Vater, sich ans Kind bänden, ohne ihrerseits ein Verhältnis, ein erotisches Verhältnis, untereinander zu haben. Nur wo Differenz ist, können sich Beziehungen ausgewogen gestalten. Gleichheit hingegen führt zu Beliebigkeit, Austauschbarkeit und einer schwammigen Elterneinheit, die das Dreieck aus der Balance bringt, wie der Soziologe Kai-Olaf Maiwald schreibt. Zitator: Je mehr die Eltern sich in ihrer Zuwendung zum Kind ähneln, desto austauschbarer erscheint die Beziehung. Mutter und Vater wären in der Beziehung zum Kind tendenziell nur als Exemplar der Gattung "Eltern" engagiert. Damit wäre die Eltern-Dyade aus Sicht des Kindes geradezu übermächtig - eine Art undifferenzierte Eltern-Imago. Sprecherin: Ein Unterschied zwischen den Eltern ist insofern allein schon strukturell gefordert, er steckt in der Logik des Beziehungsdreiecks selbst.))) Dass der Vater eine weniger symbiotische Beziehung zum Kind unterhält, ist die notwendige Voraussetzung sowohl für eine gelungene Triangulierung, als auch für eine andere, spezifisch väterliche Umgangsweise mit dem Kind. O-Ton Thomä Was mir immer wieder durch den Kopf geht dabei, bei der Frage, was macht denn eigentlich der Vater, ist ein Kinderspiel das von uns vielleicht alle in der einen oder anderen Weise gespielt haben. Nämlich wo das kleine Kind auf den Fußrücken des Vaters steht. Und dann so gehalten wird an den beiden Ärmchen. Und dann wackelt man und hoppelt man dann vorsichtig schwankend durch die Wohnung und das Kind läuft praktisch auf den Füßen des Vaters, was dann auch auf den Fußrücken nach ziemlich kurzer Zeit anfängt zu brennen. Sprecherin: Der Philosoph Dieter Thomä mit eigenen Erfahrungen als Vater. O-Ton Thomä Was ich damit meine, ist, dass es dieses In-die-Welt-Hineinhelfen gibt, dass man eigentlich sich vom Vater erst einmal getragen fühlt und dann aber auch immer mit diesem Übergang liebäugelt, dass man wirklich auf eigenen Füßen steht wie es so schön heißt. Also praktisch wenn die Füße zu sehr brennen und die ganze Sache zu wacklig geworden ist, dann einfach selber läuft. Und dieser Bewegungsprozess, der wird entwicklungspsychologisch schon zu nem großen Teil vom Vater mitgetragen in vielen Fällen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil die Mutter in dieser ersten Phase weniger für dieses Hinaus in die Welt steht, sondern für das Zurück zur Mutter. (((O-Ton Petri: Ich persönlich erlebe diese beiden mütterlichen und väterlichen Funktionen komplementär. Komplementär in dem Sinne, dass die Mutter andere Funktionen erfüllt. Sie hat das Kind in einer engen biologischen körperlichen emotionalen Nähe an sich gebunden. Sie bietet ihm auf diese Weise Schutz und Sicherheit und Emotionalität, sprachliche Kommunikation. Also diese ganz enge affektive Bindung, während der Vater eher instrumentelle Anreize liefert, das Kind fördert, auch ne Beziehung zu dem Kind hat, aber nicht in dieser entsprechenden Enge, sondern eher die Aufgabe hat, das Kind erwachsen zu machen, das Kind selbstständig zu machen, das Kind in die Welt zu entlassen. Sprecherin: So meint Horst Petri.))) Diese Differenz zwischen Vater und Mutter hervorzuheben, ist weder reaktionär noch frauenfeindlich, wie häufig reflexhaft behauptet wird. Sie widerspricht nicht dem rechtlichen Gleichstellungsgedanken. Die Aufgabe rechtlicher Gleichstellungspolitik sollte es vielmehr sein, eingedenk der biologischen Unterschiede zwischen Frau und Mann für gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu sorgen. Wenn Frauen zwei Monate nach der Geburt ihres Kindes an ihren Arbeitsplatz zurückeilen, weil sie sonst befürchten müssen, ihn zu verlieren, dann ist genau das ein Ausdruck von Frauenfeindlichkeit: Indem die Frau genauso behandelt wird wie ein Mann, wird sie diskriminiert. Und ein Ausdruck von Männerfeindlichkeit ist es, wenn Zuständigkeiten, die aus gutem Grund früher dem Vater vorbehalten waren, nun aus einem abstrakten Gleichheitsdenken heraus auch der Mutter zufallen. Ein besonders eindrückliches Beispiel ist die Namensrechtsreform der neunziger Jahre. Aus feministischer Sicht ist es zwar ein Fortschritt, dass nun auch Mütter ihren Nachnamen ans Kind vererben dürfen. Bei genauerem Hinsehen aber verstärkt sich dadurch nur noch zusätzlich die biologisch bedingte Dominanz der Mutter. Der Name ist identitätsstiftend und stellt eine sinnfällige Beziehung zum Kind her. Gibt nun die Mutter ihren Namen ans Kind weiter, bildet sie mit ihm nicht nur körperlich, sondern auch noch symbolisch eine Einheit. Der Vater bleibt außen vor. Vererbt hingegen der Vater seinen Namen, stiftet er eine sinnfällige Verbindung zum Kind, die er in körperlicher Hinsicht nie so unbezweifelbar hat wie die Mutter - immerhin gibt es Vaterschafts- aber keine Mutterschaftstests. Durch seine symbolische Verbindung zum Kind wiegt der Vater das körperliche Übergewicht der Mutter auf. Während die Mutter das Kind durch ihren Körper zur Welt bringt, schenkt der Vater ihm durch die Sprache, die identitätsstiftende Namensvergabe, das Leben. Ähnlich wie das Alte Testament es von Gott erzählt, der, indem er Tag und Nacht, Himmel und Erde und alle anderen Teile der Schöpfung benannte, sie erst zu dem werden ließ, was sie sind und sie gleichzeitig in seine Obhut nahm. Zitator: "Fürchte dich nicht: denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein." Sprecherin: Tröstend, ja, zutiefst beruhigend ist der Zuruf Jahwes an das gefangene Volk Israel, ausgesprochen von einem Gott, der die Hilflosen noch in größter Not zu schützen und zu halten verspricht. Ein Vater, der dem Kind seinen Namen gibt, zeigt sich ihm im wahrsten Sinne des Wortes verbunden. Und warum sollte der Name des Vaters einem modernen, gleichberechtigten Rollenverständnis widersprechen? Ein präsenter, fürsorglicher Vater erfüllt doch im Gegenteil genau jenes Versprechen, das er durch die Weitergabe seines Namens Kind und Mutter gibt. Zitator: Henoch war 65 Jahre alt und zeugte Methusalah. Und nachdem er Methusalah gezeugt hatte, blieb er in einem göttlichen Leben 300 Jahre und zeugte Söhne und Töchter; daß sein ganzes Alter ward 365 Tage. ... Methusalah war 187 Jahre alt und zeugte Lamech und lebte darnach 782 Jahre und zeugte Söhne und Töchter; daß sein ganzes Alter ward 969 Jahre, und starb. Lamech war 182 Jahre alt und zeugte einen Sohn und hieß ihn Noah ... Noah war 500 Jahre alt und zeugte Sem, Ham und Japheth. Atmo Spielplatzgeräusche Sprecherin: Mit dem Ende des Patriarchats hat der Vater seinen ehemals göttlich verbürgten Halt verloren. Dieser Verlust ist keine Tragödie, er ist nicht der Anfang vom Ende jeglicher Vaterschaft, sondern er eröffnet überhaupt erst die Möglichkeit einer wechselseitigen, gleichgewichtigen Liebe zwischen Vater, Mutter und Kind. Solange der Vater durch göttliche Autorisierung fest in seiner Machtposition installiert war, musste er weder eine Beziehung zu seinem Kind, noch zu seiner Frau eingehen, und häufig konnte er das auch gar nicht. Heute ist die Situation anders: Der Vater empfängt seine Legitimation nicht mehr von oben, seine Position ist nicht länger unangreifbar, sondern sie existiert überhaupt nur durch die und in der Beziehung zum Kind - und vor allem zur Mutter. Nur wenn die Mutter den Vater als Vater, das heißt in seiner geschlechtlichen Differenz anerkennt, ist seine Position gesichert. Und nur wenn der Vater sich als Vater legitimiert fühlt, kann er die nötige Autorität und Strahlkraft aufbringen, um als Dritter in die Mutter-Kind-Beziehung einzutreten. (((Musik: Arvo Pärt: Sarah was ninety years old, Einsatz 21:45 Min Sprecherin: Dass die Frau den Mann anerkennt, setzt aber natürlich voraus, dass der Mann seinerseits die Frau anerkennt - von einem Rückfall in hierarchische Rollenmuster kann also keine Rede sein. An die Stelle des Patriarchats, das die Hierarchie zwischen Mann und Frau, zwischen Vater und Mutter zementierte, ist heute das Geschlechterverhältnis getreten. Ein Verhältnis, das - bei rechtlicher Gleichstellung - auf wechselseitiger Anerkennung der Differenz beruht. Nicht die Gleichheit, der Unterschied ist es, der das familiäre Dreieck zusammenhält. Und den Vater als Dritten im Bunde unverzichtbar macht.))) 1