COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 30. April 2012, 19.30 Uhr "Wo sitze ich?" Vom Leben in Patchworkfamilien Von Ulrike Jährling O-Ton-Collage O-Ton Sophie Vorwürfe nicht. Ich sag halt offen: Getrennte Eltern haben ist Scheiße. Es ist einfach so. Und dagegen sagen sie ja auch nichts. O-Ton Vater/Frida Tschüss mein Schatz. Bis nächste Woche! Tschüss Papi. Bis nächste Woche! Trenner O-Ton Vater Thorsten Ich denke mal, dass Eva sich genauso in die Kinder verliebt hat wie in mich. Und wenn sie sich nicht in die Kinder verliebt hätte, dann wäre das nichts geworden. O-Ton Mutter Eva Und dann haben die Kinder gesagt: Du hast uns gar nichts zu sagen, Du bist nicht unsere Mutter. O-Ton Noah Ich find sie jetzt... fremd auf keinen Fall, eher als verwandt, obwohl ... nee ... eher als verwandt, ja. O-Ton Frida Ich nenn ihn auch immer Halbbruder. Stiefbruder hört sich irgendwie so böse an. O-Ton Felix Woran mal als erstes denkt sind natürlich die zweifachen Weihnachtsgeschenke, zweifachen Geburtstagsgeschenke... O-Ton Sophie ... dass ich Montag Dienstag bei meiner Mutter gelebt habe, Mittwoch, Donnerstag bei meinem Vater und Freitag, Samstag, Sonntag immer unterschiedlich. Atmo 1 Küche, Kinder, Stühlerücken Frida ruft: Wo sitz ich? Vater Torsten: Ach, ist das wieder schön laut heute... Sprecher vom Dienst: "Wo sitze ich?" - Vom Leben in Patchworkfamilien. Ein Feature von Ulrike Jährling Atmo Sprecherin: Jede siebte Familie in Deutschland - so wird geschätzt - ist eine Patchworkfamilie. Eltern haben sich getrennt, finden neue Partner, oft bringen sie eigenen Nachwuchs in die Beziehung mit, manchmal kommen gemeinsame Kinder hinzu. Das bunte Familiengefüge ist hoch sensibel und muss sich etlichen Herausforderungen stellen. Musik Sophie ist 16, ihr Bruder Felix 18 Jahre alt. Beide kennen das Patchworkleben von früher Kindheit an. O-Ton Felix Ich weiß, dass ich mit 6 viele Gedanken hatte. Besonders, wenn ich alleine war, zum Beispiel alleine nach Hause gegangen bin von der Schule, dass ich mich gefragt habe, warum meine Familie eigentlich anders ist von anderen, und was für eine spezielle Situation das ist. Und auch nachts manchmal wachgelegen bin. Nicht schlechte Gedanken, sondern Gedanken dahin, dass es anders ist, dass es eine andere Struktur ist und warum es auch so ist. O-Ton Sophie Für mich war es immer so - dadurch, dass die beide gleich wieder neue Partner hatten, hatte ich als kleines Kind zwei Eltern mehr. Und als kleines Kind hab ich das total genossen. O-Ton Sophie Als das angefangen hat, war ich ja vier, und da war es so, dass meine Mutter und mein Vater zu laufen ungefähr 10 -15 Minuten auseinander gewohnt haben. Und wir hatten im Prinzip alles doppelt. Klamotten und Spielsachen. Da hatte man halt wirklich 2 Zuhause und 2 Zimmer und das war total toll im Prinzip. Und es war auch nicht wirklich anstrengend, weil, also ich war ja noch im Kindergarten und wurde dann halt statt von meiner Mutter von meinem Vater abgeholt und musste mich ja nicht umgewöhnen. Aber je älter man wurde, desto schwieriger wurde es. Sprecherin: Dass die elterliche Sorge nach der Trennung eine gleichberechtigte sein soll, war für die Eltern von Sophie und Felix kein Streitpunkt. Das Liebes-Paar hat sich getrennt, das Eltern-Paar ist geblieben. Geblieben ist auch die Verantwortung, also musste die familiäre Beziehung neu organisiert werden. Ulrike Zartler, Soziologin an der Universität Wien forscht seit einigen Jahren zum Thema Familie und Trennung. O-Ton Zartler In der Forschung gab's eine sehr starke Veränderung der Sichtweisen über Scheidung, von einem Desorganisationsmodell - wo wirklich Scheidung gesehen wird als Beendigung der Familienbeziehung, als Auflösung der Familie - von diesem Desorganisationsmodell hat man sich wegentwickelt hin zu einem Reorganisationsmodell, wo Scheidung betrachtet wird als eine Möglichkeit der Umorganisation von Familien. Und diese Sichtweise ist in der Bevölkerung noch nicht durchgehend angekommen. Sprecherin: Dabei ist die Zeit, in der bei einer Trennung das Sorgerecht selbstverständlich auf einen Elternteil, meist auf die Mutter, übertragen wurde, vorbei. Eltern können gleichberechtigt ihre Verantwortung wahrnehmen. Wer also wohnt wann bei wem? Thorsten, der Vater von Sophie und Felix beschreibt den Beginn der Umorganisation. O-Ton Thorsten Also das erste dreiviertel Jahr nach der Trennung war es so, dass wir eine gemeinsame Wohnung noch hatten und dass die Eltern immer ausgezogen sind. Die Kinder waren sozusagen die Hauptmieter und die Eltern haben sich abgewechselt mit wer da war. Montag, Dienstag war Katharina da, Mittwoch, Donnerstag war ich da und das Wochenende war immer abwechselnd. Sprecherin: Die Kinder behalten ihr zu Hause, Familienforscher nennen das Nestmodell. Verbreiteter ist das Wechselmodell, jeder Partner hat seine Wohnung, die Kinder müssen wechseln, so wie schließlich auch Sophie und Felix. O-Ton Thorsten Und diesen Rhythmus haben wir, nachdem ich dann ausgezogen bin, eine andere Wohnung 500 m entfernt gefunden habe, so weiter gemacht, das heißt 2, 5, 5, 2, so dass man immer nicht das Gefühl hat, man ist zu weit weg. Und man hat vor allem regelmäßige Termine mit den Kindern, um dann auch bestimmte Aktivitäten mit den Kindern immer begleiten zu können. Sprecherin: Leben und Liebe in festen Terminen. Einfach mal den Arbeits- oder Wohnort wechseln -unmöglich. Die Soziologin Ulrike Zartler, betont, dass es sich um eine sehr voraussetzungsreiche Art des Familienlebens handelt. Musik O-Ton Zartler Wo einfach sehr sehr viel geklärt sein muss, wo es auch vor allem entsprechende ökonomische Rahmenbedingungen braucht, um die Wohnungen finanzieren zu können, in denen das Kind sich jeweils vollwertig aufhalten soll. Wo der Wechsel einfach sehr gut organisiert sein muss, speziell für jüngere Kinder. Atmo 2 a: Vater mit den Kindern beim Zusammensuchen Frida: Marieken muss noch mit. (Geräusch Reißverschluss) Aber in dem Rucksack ist doch schon so viel drin, ich glaub da passt die gar nicht mehr rein. Na doch (Geräusch Reißverschluss/stopfen) Atmo 2 b Vater: Deinen Karate-Rucksack hast Du? Check. Hast Du Deinen Klarinetten-Sack? Franz: Ja. Frida: Hast Du Deine Umweltkarte? Franz: Ja. Schlüssel am Mann? Ja. Frida: Papa, wo hast Du meine Mütze? Hast du die noch in deiner Tasche. Sprecherin: Es ist Sonntag. Eine Woche haben der elfjährige Franz und die achtjährige Frida bei ihrem Vater gewohnt, jetzt geht es wieder zur Mutter und ihrem Partner. Und dann sind da noch Elisabeth, Brigitte und Karl. Die zu Patchwork-Großeltern wurden. O-Ton Oma Brigitte Ich glaube Elisabeth hatte Ängste die Enkelkinder durch die neue Partnerschaft zu verlieren. Kann natürlich auch noch von Alters her rühren, also die Auffassung, dass nach Trennungen Kinder bei den Müttern bleiben. Das mag sein, dass das noch tief drinsteckt. Aber ist natürlich noch was Traditionelles. O-Ton Oma Elisabeth Als der Franz eingeschult wurde und die Patchworkfamilie, die am Anfang war, eine Dampferfahrt machen wollte - ich konnte da nicht mitfahren! Und dann waren da die Kinder und ich hatte einfach Angst. Von meiner Erfahrung als Lehrerin weiß ich, dass also bis ins Erwachsensein irgendwelche Negativ-Erlebnisse auf Kinder einwirken können auf ganz schlimme Weise. O-Ton Opa Karl Und umso mehr freu ich mich jetzt, dass sie auch Anteil nimmt an dem, was neu gewachsen ist und das jetzt auch langsam gut finden kann, wie alle miteinander umgehen. Und dann hat sie diesen einen Satz gesagt nach irgendeiner Feierlichkeit, oder war's irgendein Vorspielkonzert: Sind wir nicht 'ne schöne Patchworkfamilie? Werd ich nie vergessen. Hat sie gesagt. Sprecherin: Wie mühsam der Aufbau und Erhalt einer Patchworkfamilie ist, entzieht sich meist der öffentlichen Wahrnehmung. Jenseits der bunten Promi-Familien, die in Hochglanz-Illustrierten verklärt werden, hat sie einen eher schweren Stand. O-Ton Zartler Also ich denke eine der großen Herausforderungen nach wie vor ist, dass die Kernfamilie eine unglaublich idealisierte Familienform ist. Wir haben Interviews dazu geführt, wo wirklich ganz deutlich war, dass hier auch so eine Hierarchisierung von Familienformen geradezu vorgenommen wird und d a s wünschenswerte Ideal die Kernfamilie ist. Atmo 3 Kinder auf der Treppe Och, ist das schwer ... .mein Rücken tut weh ... Sprecherin: Franz und Frida treffen in ihrem zweiten Zuhause auf Noah - den elfjährigen Sohn des neuen Lebensgefährten der Mutter. Auch Noah wechselt die Elternhäuser. Bei seiner Mutter ist er Einzelkind, beim Vater Torsten jetzt einer von Dreien. Vor 7 Jahren kamen Franz und Frida dazu. An die Zeit davor können sich die drei Kinder kaum erinnern. O-Ton Frida Also für mich ist er eigentlich wie ein Bruder, obwohl er gar nicht mein Bruder ist. Und ich hab ihn lieb. O-Ton Noah Manchmal gefällt's mir dann natürlich, wenn Frida mich umarmend angerannt kommt, aber die ersten paar Tage wird es natürlich auch ein bisschen nervig sein, wenn dann plötzlich so viele Leute um mich sind, bei Mama bin ich ganz alleine....hat aber natürlich auch seine guten Seiten, weil ich viel mehr spielen kann. O-Ton Franz Noah ist für mich so was eigentlich wie ein Bruder. Immer wenn ich jetzt bei meiner Mutter bin - tja, ohne ihn ist es da total langweilig. Mit ihm kann man halt viel machen. Atmo 4 Kinderzimmer Sprecherin: In der letzten Woche war das große Kinderzimmer mit den drei Schreibtischen gähnend leer. Heute stehen wieder Schulranzen da, im Flur stapeln sich die Schuhe. Es ist ein besonderer Tag. Durchaus auch ein schwieriger. Noahs Vater und Patchworkvater von Franz und Frida spricht vom typischen "Wechseltag". O-Ton Torsten An Wechseltagen ist es oft so, dass die Kinder so kurz angebunden sind, da fällt die Kommunikation schwer. Noah ist dann auch oft cool und stürmt dann erstmal rein, muss erstmal sein Revier abstecken. Wenn er da zu kurz kommt, wird er auch gnatschig. Atmo 5 a Glocke ruft zum Abendbrot/ b Abendbrottisch laut O-Ton Noah Jeder will irgendwas sagen aber noch der andere redet, also - manchmal schwer da zu Wort zu kommen und das dann auch fertig zu erzählen. Sprecherin: Zwei Wochen lang tankt Noah die geballte Familienenergie. Danach geht er wieder für zwei Wochen zur Mutter. Kürzere Wechsel fanden alle zu anstrengend. Beim Organisieren hilft den getrennten Eltern das Computerprogramm Excel. O-Ton Torsten Wir planen ganz nüchtern. Wir haben eine Tabelle, in diese Tabelle tragen wir unsere Wünsche ein, wann wir etwas vorhaben, wann ich verreisen will, wann die Mama von Noah verreisen will, so wird das alles vorgetragen und dann haben wir für drei/vier Monate Planungssicherheit. Und Noah selber ist derjenige, der am meisten drauf achtet, dass dieser Wechsel und diese Organisation gut klappt. O-Ton Noah: Und wenn ich hier bin, werde ich immer kurz davor angerufen und Mama sagt, ich soll alles aufschreiben, was ich wieder mitbringen soll. Also wir haben jetzt wieder am Kühlschrank einen Zettel hängen, da steht, was weiß ich: beige Jacke, Schneehose, mein Helm... Collage (übereinander /schneller werdend?) O-Ton Franz/ O-Ton Frida: Ranzen, Klarinettenrucksack, die dünne Jacke, Schwimmsachen, Turnbeutel, meine Puppe... O-Ton Frida d) Wenn ich bei Mama bin, will ich zu Papa, manchmal, und wenn ich bei Papa bin, dann will ich manchmal zu Mama. Und das ist dann blöd. Sprecherin: Die Sehnsucht bleibt, zu einer Entfremdung zwischen Kind und Eltern wie häufig nach Trennungen aber kommt es nicht. Noch gibt es keine Langzeitstudien, die zeigen, wie gut die sogenannten Doppelresidenzmodelle für Kinder verkraftbar sind. Für die Eltern, vor allem wohl für die Väter, sind sie ein Fortschritt, für Mütter können sie eine Entlastung sein. O-Ton Torsten Diese gerechte Lösung, die führt glaube ich auch zu einer Intensivierung des Gefühls Vater zu sein oder auch Mutter zu sein. Patchwork-Eltern sind sich sehr bewusst darüber, wie kostbar die Zeit ist mit ihren Kindern. Das heißt aber auch, dass vieles gerade an den Wochenenden sich konzentriert. Und die Kinder wollen sich mit Freunden treffen und die Eltern sagen: Ja gut, aber vielleicht wollen wir auch mal als Familie was zusammen machen? O-Ton Sophie ...dass ich dann immer von meinen Eltern sofort die Enttäuschung gemerkt habe. O-Ton Felix Ja definitiv. Ich hatte weniger Freizeit, da natürlich mit zwei Familien zweimal die Verpflichtung besteht, dass du mindestens an einem Tag am Wochenende zu Hause bist, mit ihnen isst, mit ihnen Aktivitäten machst. Musik Sprecherin: Felix, Sophie, Noah, Franz und Frida - sie alle hätten sich nicht entscheiden wollen, bei einem Elternteil dauerhaft zu wohnen und den anderen nur sporadisch zu sehen. Aber die Wechselei wurde komplizierter, je älter sie wurde, erzählt Sophie. Der Vater wohnt inzwischen eine halbe Stunde entfernt. O-Ton Sophie Und da sollten wir dann immer unsere Sachen packen. Das war für mich immer ganz schwierig. Regie: Geräusch S-Bahn O-Ton Sophie Wenn man zu Hause ist, dann hat man seine Sachen einfach, dann muss man nicht nachdenken. Wenn man das Buch lesen will, dann geht man einfach an seinen Bücherschrank und liest das Buch. Aber wenn man so weg ist - das ist, wie in der Urlaub fahren. Wenn ich in den Urlaub fahre, weiß ich auch nie, was ich einpacken soll. Regie: Geräusch S-Bahn O-Ton Felix Dieses Hin und Her ist eigentlich zu meinem Alltag geworden und ich hab mir angewöhnt in der S-Bahn zu schlafen, also das ist auch kein Problem mehr. Es ist so normal geworden, dass ich das nicht mehr wirklich wahrnehme. Atmo 6 Schlüssel in der Tür und Türöffen Noah, außer Atem: Ich hab den Ball vergessen - muss noch mit! Tschüss! (hastiger Kuss) Papa: Tschüss (hastiger Kuss) Tür zu. Papa: (stöhnt) Wechseltage...! Musikakzent O-Ton Torsten Familien, die in Patchwork leben, sind schon mal alle auf ihre Weise gescheitert. Und dieses Scheitern... an den Wechseltagen spürt man das am meisten, dass es schon mal ein Scheitern gab. Sprecherin: Diese Last bleibt, hinzu kommen vielleicht Trauer oder sogar Schuldgefühle und die Sorge, wie die Kinder die Situation verkraften. O-Ton Torsten Für meine Frau ist es manchmal noch ein Prozess, der mit Kummer verbunden ist, aber sich auch im Laufe der Jahre so verändert hat, dass sie unsere Lebensform immer mehr angenommen hat. O-Ton Thorsten Jedes Mal, wenn die Kinder weggehen, oder wenn sie kommen - dass man das lernt zu akzeptieren, dass jemand weggeht. Und auch wiederkommt, und dass er danach vielleicht anders ist. Das ist glaub ich eine ganz wichtige Sache, dass man da ein bisschen entspannter mit umgeht. Musikakzent Sprecherin: Jeder Bewohner im Familienpatchworkhaus hat seine individuelle Geschichte und jeder sucht seinen Platz. Noah zum Beispiel auch den neben den neuen Großeltern. O-Ton Oma Brigitte Ja wenn man selbst Enkelkinder hat... dann versetze ich mich in die Lage des Kindes, was dazukommt. Das möchte ja auch Anteil haben an den Großeltern der Patchworkgeschwister. Und mir ist es wichtig, dass er auch einen Anteil bekommt. Es gibt auch schwierige Momente, weil die Vertrautheit nicht da ist. Das Kind kommt ja in einem gewissen Alter in die Familie und da fehlt das Gewachsene. Und das braucht viel Zeit. Aber es kann dann auch wieder was wachsen. O-Ton Zartler Hier ist es besonders für die beteiligten Erwachsenen eine große Herausforderung - die wollen ja diese Beziehung leben und die Herausforderung besteht schon darin, hier auch die Kinder mitzudenken und die Bedürfnisse der Kinder mitzudenken und möglicherweise einen Gang zurückzuschalten um den Kinder auch zu ermöglichen, das Tempo mitzuhalten. Sprecherin: Auch der dänische Familientherapeut Jesper Juul mahnt Behutsamkeit an beim Umgang mit Patchwork-Kindern. Und er ermutigt zu Dankbarkeit - jede kleine Aufgabe, die Patchworkeltern im Familienalltag übernehmen dürfen, sei schließlich ein Vertrauensbeweis von Seiten des Kindes. Ein Ritterschlag! Bei Felix und Sophie kam damals Eva dazu - die neue Liebe des Vaters. O-Ton Eva Das war von vornherein der Mann mit den Kindern. Und so sind wir uns auch begegnet. Also wir haben uns ein, zwei Mal unter vier Augen gesehen und dann ein verlängertes Wochenende wo "es" passiert ist, wo es dann irgendwie klar war, dass das eine Liebesgeschichte wird. Und dann haben wir uns schon mit den Kindern getroffen. Sprecherin: Felix nähert sich vorsichtig, Sophie genießt in vollen Zügen die Aufmerksamkeit, die sie von Eva bekommt. O-Ton Sophie Und die echt tolle Sachen mit mir gemacht hat. Mit mir Basteln, mit mir Kekse backen, mit mir morgens um 6 Uhr aufstehen, wenn ich aufgewacht war. O-Ton Eva Das ist ja auch nicht bei alle Kindern der Welt so. Wenn man Kinder kennen lernt, die nicht die eigenen sind, dann schnupperst du mal dran und dann magst du die, oder dann magst du die nicht. Und die allermeisten mag man eher nicht so gerne. Und diese beiden Kinder mochte ich zufälligerweise. Die haben gut gerochen für mich. Also das ging mir mit dem Felix schon auch so, aber das war nie so eine Innigkeit, und da hatte ich auch immer das Gefühl, da will ich nicht so nah ran, da will ich auch nicht stören - bei der Beziehung, die er zu seiner Mutter hatte. Und das war bei ihm umgekehrt auch so, dass er sehr viel zurückhaltender war. Aber schon auch innig, ja. O-Ton Felix Nach einiger Zeit, in der man zusammen wohnt, hat man natürlich Gefühle für einander und man schließt einen ins Herz und die Familie weitet sich aus. Und besonders, wenn es so eine enge Beziehung ist, dass sie dich nachts in Bett bringt, dass sie für deine Probleme da ist, geht es ziemlich schnell, und du hast ein Verbindungsgefühl. Und sie wird sehr wichtig für dich, ja, auf jeden Fall. O-Ton Torsten Auch wenn es nicht die eigenen Kinder sind, mit denen man zusammenlebt, man lebt trotzdem in einer Familie. Das ist Grundvoraussetzung in der Patchwork, glaub ich, dass du die Kinder des anderen Partners annimmst. Als Freund oder wenn sie sehr klein sind, dann bist du noch mehr in einer Vaterrolle... O-Ton Frida Torsten ist nicht mein richtiger Papa, aber ich hab ihn trotzdem lieb. Weil er ist auch wie ein richtiger Papa. Na weil er alles macht, was ein richtiger Papa macht. Er bringt mich zur Schule. Oder er schmiert uns die Schulstullen. Oder er knetet mit mir was. Er malt mit mir was. Und kuschelt auch mal mit mir. (hustet) Und wenn ich krank bin, dann pflegt er mich. Sprecherin: Nicht immer gelingt der Aufbau einer solchen Beziehung, das belegen auch die Studien der Soziologin Ulrike Zartler. O-Ton Zartler Wo wir beispielsweise mit Kindern gesprochen haben, die den neuen Partner der Mutter nicht in ihr Familienbild inkludieren, allerdings die Stiefgeschwister schon. Da gibt es ganz große Unterschiede, und das macht auch die Herausforderung des Zusammenlebens mitunter aus, dass allein die simple Frage "Wer gehört denn zu Deiner Familie?" von den einzelnen Familienmitgliedern unterschiedlich beantwortet wird. Sprecherin: ...und auch Interessenkonflikte mit sich bringt. Die Kinder, die ja stets loyal sein wollen, tragen sie heimlich aus. O-Ton Sophie Eva war halt da und hat auf uns aufgepasst und dann kam meine Mutter, um uns abzuholen. Und dann wusste ich gar nicht, wie ich Eva jetzt vor meiner Mutter Tschüss sagen soll. Weil: Es war klar, dass ich beide irgendwie verletze. Wenn ich ihr jetzt Tschüss gesagt hätte, wie ich meiner Mutter Tschüss gesagt hätte, war mir klar, dass ich meine Mutter damit verletze. Aber wenn ich ihr nicht Tschüss gesagt hätte, wie ich meiner Mutter Tschüss sage, dann hätte ich sie damit verletzt. Ich weiß nicht, ich glaub ich war sieben oder so und das war echt ein Konflikt in mir. Den ich dann so gelöst habe, dass ich ihr nicht richtig Tschüss gesagt habe und mit meiner Mutter gegangen bin - dann ist mir aber im Nachhinein eingefallen, dass ich Sachen da vergessen habe, wo ich dann nochmal alleine hingegangen bin, die geholt habe, und ihr dann richtig Tschüss gesagt. Sprecherin: Einen Konflikt oder ein Vorurteil kann auch ein einziges Wort bergen, eine einzige Vorsilbe: Stief. Stiefmutter, Stiefbruder. O-Ton Noah Eigentlich eher Halbbruder und Halbschwester. Ist nicht ganz korrekt, aber finde ich schöner, ehrlich gesagt. Stiefmütter sind meistens böse, oder der Stiefbruder ist ganz fies zu einem, und das will ich ja jetzt damit nicht ausdrücken. Also sag ich lieber was Schöneres! O-Ton Sophie Früher hab ich immer gesagt: Eva. Einfach Eva. Ich meine, wenn man das Wort Stiefmutter hört, erwartet man ja auch nur Schlechtes. O-Ton Mutter Eva Das ist eben immer noch die aus Hänsel und Gretel, gell, die dafür sorgt, dass die Kinder in den Wald gehen und möglichst keine Esser mehr am eigenen Tisch sind. Und das wird immer noch sehr stark erwartet und diese Rolle kriegt man immer wieder zugeschrieben. O-Ton Felix Sie hat nichts zu tun mit "Stief", sondern sie ist eine Art meine Mutter, dennoch denke ich, es gibt keinen treffenden Begriff, den man für sie nennen kann. O-Ton Zartler Jesper Juul hat beispielsweise den Begriff der Bonuseltern geprägt und es gab eine sehr interessante Initiative der Redaktion der ZEIT, die eine Agentur damit beauftragt hat, eine Branding-Agentur, hier bessere Begrifflichkeiten sich zu überlegen - weniger stigmatisierende. Die Vorsilbe CO hat hier am besten abgeschnitten. Co- Mutter, Co-Vater... Sprecherin: . ob sich diese Begriffe etablieren werden? Entscheidend für das Gelingen von Patchwork ist vor allem die Ko-operation. Und zwar auch zwischen denen, die sich eigentlich getrennt haben. Im Fall von Sophies Eltern hat manchmal Eva geholfen, die Co-Mutter. O-Ton Eva Da gab es am Anfang einfach eine große Ignoranz, auf der einen Seite war es so, auf der anderen Seite war es so. Und da gibt es auch Differenzen im Lebensstil und in Grundhaltungen zu bestimmten Themen. Und das hat auch ziemlich zu Spannungen geführt, und dann habe ich versucht zu steuern und hab Thorsten dazu gekriegt, dass er sich regelmäßig mit ihr trifft. Alle vier Wochen sozusagen mal einen Wein abends trinken geht unter vier Augen. Um einfach solche Sachen zu besprechen. Diese kleinen Dinger: Mir ist aufgefallen, dass in der Schule das und das passiert oder so. Diese kleinen Sachen, wo man einfach drüber kommunizieren muss, damit die rund laufen. O-Ton Torsten Wir machen mal einen Spaziergang zusammen, laden uns auch mal ein zum Essen, auch mit Expartner und jetzigem Partner. Da sitzen wir dann mal zu dritt, trinken ein Glas Wein. Aber wir streiten auch ab und an nach denselben Mustern wie früher. O-Ton Sophie Es gibt auch viele positive Dinge an der Trennung, zum Beispiel, dass meine Eltern niemals vor uns Kindern schlecht über den anderen geredet haben. Was ich bei vielen Freunden und Bekannten kenne, die es einem erzählen, dass die Eltern überhaupt nicht miteinander auskommen. Und bei meinen Eltern war es so: Sie waren immer für uns da. Und sie waren auch immer, wenn es darauf ankam, für uns zusammen da. Musik - Break! Sprecherin: Die Organisation funktioniert, der Austausch ist da, auch Routine nach vielen Jahren. Und dann beginnt das Patchwork-Haus von Felix und Sophie, dem Vater Thorsten und der Co-Mutter Eva mächtig zu wackeln. Ein neues Geschwisterkind ist hinzugekommen, dann folgen noch Zwillinge. Und Sophie ist in der Pubertät. O-Ton Thorsten Und dann natürlich dies Hin- und Her- Gerissensein zwischen verschiedenen Familien, was dann einfach mal aufbrandet. Und natürlich, dass die Krisen, die ich und meine Ex-Frau hatten, dadurch wieder nach vorne geschoben wurden und das nochmal ausgelebt wurde, sozusagen: "Warum sind meine Eltern nicht zusammen. Warum muss ich diesen weiten Weg gehen. Warum ist das so anstrengend?" Eine späte Trauer, die am Anfang überhaupt nicht da war, bzw., wenn man vier ist, man gar nicht haben kann. Und die dann 10 Jahre später stattgefunden hat. O-Ton Eva Über diese Geschichten haben wir uns in der Pubertätszeit wahnsinnig gestritten, weil sie gesagt hat, das stimmt alles so nicht. Die Nähe, von der du behauptest, dass sie da war, die war nie da. Und das war für mich ein Schock zu sehen, dass ein Kind sich auch ein gutes Stück nicht erinnert - ich war echt gekränkt. Und das ist natürlich eine völlig inadäquate Reaktion auf einen Teenager, der einfach irgendwie sich frei strampelt, und der genervt ist von schreienden Zwillingen... Wir haben ja dann die Zwillinge noch gekriegt, das war dann der dritte Bruch... Musikakzent und Türknallen O-Ton Thorsten Jetzt reden wir darüber. Wir haben eine Familientherapie gemacht - die ja auch eine ganze Weile dauert, bis man dann an den Kern der Sachen kommt. Jetzt sind wir ungefähr ein Jahr dabei, und jetzt kommen wir an die Kerne, und jetzt können wir über solche Sachen auch sprechen. Ohne dass man Wut hat, und zwar von allen Seiten, was ganz toll ist. Also auch von Kinderseite. Und das ist echt natürlich was echt Phantastisches. O-Ton Sophie Also wenn wir das nicht gemacht hätten, dann würde ich jetzt auf keinen Fall hier sitzen. Sprecherin: Sich Hilfe suchen, den Perspektivenwechsel üben - der Familientherapeut Jesper Juul rät allen dazu, die ein Patchwork-Schiff steuern. Der Ratschlag kostet wenig, die Umsetzung ist schwierig. Nicht nur, weil das Bewusstsein für die Notwendigkeit nicht überall ausgeprägt ist. O-Ton Zartler Das liegt auf der Hand, dass das für ökonomisch schlechter gestellte Familien einfach seltener eine Option ist als für Familien, wo die Finanzen eine geringere Rolle spielen. Wir sehen beispielsweise auch im Vorfeld der Entstehung von Patchworkfamilien, wenn es um Scheidungen geht, dass Kinder aus unteren sozialen Schichten häufiger eine elterliche Trennung oder Scheidung erleben. Die sind dadurch unter Umständen doppelt benachteiligt. Sprecherin: Ulrike Zartler sieht hier den Staat in der Pflicht und fordert mehr kostenfreie Unterstützungsangebote. Beratung und Mediation für Trennungseltern sollten leicht zugänglich sein. Aus Verantwortung für die Kinder. Und um bestehende Chancen zu nutzen. O-Ton Thorsten Dass gescheiterte Beziehungen auch wieder in eine Form fließen können, in der man ordentlich miteinander kommuniziert, ohne dass Schuldgefühle und Anklagen dabei sind. O-Ton Zartler Kinder können aus einer funktionierenden stabilen Patchworkfamilie den Gewinn ziehen, den sie auch aus anderen stabilen funktionierenden Familienformen ziehen und das ist vollkommen unabhängig von der Form der Familie. Kinder können lernen, dass Beziehungen auch in komplexen Familienkonstellationen funktionieren. Sie haben mehr ihnen nahestehende Personen idealerweise als in anderen Familienformen, was ein großer Gewinn für Kinder sein kann und können einfach den kompetenten Umgang mit einer Reihe von unterschiedlichen Personen üben und erlernen. O-Ton Noah Ich finde eigentlich alle Möglichkeiten ganz okay. Man hat so andere, verschiedene Lebensarten, die andere nicht so gut kennen... Aber ich würde es jetzt nicht unbedingt als viel besser oder schlechter bezeichnen. Außerdem kenn ich ja die andere Lebensweise nicht so ganz gut. O-Ton Felix Es ist halt so gelaufen, und ich finde auch nicht, dass es schlecht gelaufen ist. Es war halt mein Leben und jetzt bin ich hier. Muss man nach vorne gucken, nicht nach hinten. O-Ton Opa Man hat erst damit zu tun. Und dann geht es vielleicht sogar erst über den Kopf und dann aber auch übers Herz. Dass man dann irgendwann sagen kann: Ich hab einen Enkel dazu. Zäsur/ Musik Atmo: Stühlerücken, Geschirrklappern, lebhaftes Familienleben Sprecher vom Dienst: "Wo sitze ich?" Vom Leben in Patchworkfamilien Atmo kurz aufgeblendet Ein Feature von Ulrike Jährling. Es sprach: Cathleen Gawlich Ton: Martin Eichberg Regie: Beatrix Ackers Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 13