COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Forschung und Gesellschaft Titel: Unheilbar krank? Über den schweren Kampf gegen Hirntumore Autorin: Christine Werner Redaktion: Kim Kindermann Sendetermin: 19.12.2013 __________________________________________________________________ Musik unter, zwischen O-Töne Hoppe 1. O-Ton Melanie Hoppe Ich hatte immer schon Kopfschmerzen. (Also jahrelang schon.) Und dann waren wir im Urlaub und ich bin morgens wach geworden und hatte explosionsartige Kopfschmerzen, also die waren von der Form her ganz anders und da habe ich gedacht, nee, da ist was nicht richtig. Sprecherin Die Diagnose lautete Gliomatosis cerebri. Gemeint ist damit ein Hirntumor, der operativ nicht entfernt werden kann. Als Melanie Hoppe ihre Diagnose bekommt ist sie 34 Jahre alt, sie ist verheiratet und hat eine kleine Tochter. Drei Jahre ist das jetzt her. 2. O-Ton Melanie Hoppe Ja und dann ist erst mal in dem Moment die Welt zu Ende. Da wurde mir der Teppich also wirklich unter den Füßen weggerissen. Sprecherin Der Tumor in Melanie Hoppes Kopf ist kein kompaktes Geschwür, sondern die entarteten Zellen haben verschiedene Bereiche des Gehirns diffus durchwachsen. Zum Zeitpunkt der Diagnose waren schon mehr als zwei Hirnlappen betroffen. 3. O-Ton Melanie Hoppe Ja, ob man das so erst verarbeitet oder nicht, kann man gar nicht so richtig sagen. Das hat schon eine Zeit lang gedauert, bis ich wirklich wusste, was ist das für eine Krankheit ist und wie tödlich kann die sein. 4. Atmo O-Ton Walter Heindel (aus Sprechanlage) Frau Hausmann? Ja! Der Dr. Schwindt, der übernimmt glaube ich oder gucken Sie mal, ob der heute die neuroonkologische Konferenz macht. Das ist die Konferenz um 15:30 Uhr mit dem Doktor Grauer, Professor Stummer. Atmo Tumorkonferenz Sprecherin (über Atmo) Donnerstagnachmittag, Hirntumorkonferenz an der Uniklinik Münster. 19 Mediziner, darunter Neurochirurgen, Neuroonkologen, Strahlenexperten und Neuropathologen, sitzen in einem fensterlosen Raum zusammen. 5. O-Ton Walter Stummer Die Tumorkonferenz ist so der Dreh- und Angelpunkt, da kommen alle zusammen und es ist ganz, ganz wichtig bei der Therapieabstimmung für diese Patienten gemeinsam zu sprechen. Sprecherin Professor Walter Stummer ist Neurochirurg und Leiter des Hirntumorzentrums in Münster, eines der ersten in Deutschland überhaupt. Gut 700 Patienten werden hier pro Jahr behandelt. In der wöchentlichen Tumorkonferenz läuft alles zusammen. 6. O-Ton Walter Stummer Da wird jeder Patient, wirklich jeder Patient durchgenommen nach den gleichen Kriterien, es wird alles niedergeschrieben, es wird alles protokolliert und es ist alles nachlesbar, elektronisch in der Patientenakte und wir haben auch Mechanismen, mit denen wir das anschließend überprüfen. Atmo Tumorkonferenz Sprecherin Der Blick der Anwesenden ist auf eine zimmerbreite Leinwand gerichtet. Dort präsentieren die Radiologen Professor Walter Heindel und Dr. Wolfram Schwindt Diagnosen und Therapieverläufe der Patienten. Mit einem Beamer werden Schnittbilder eines Gehirns auf die Wand projiziert. So etwas wie Charakterstudien, die Auskunft geben über Art und Aggressivität eines Hirntumors, erklärt Walter Heindel. 7. O-Ton Walter Heindel An so einem Bild können sie es erkennen, ob der Tumor homogen oder inhomogen, also der Aufbau des Tumors, ob der Tumor beispielsweise Blutbestandteile oder Nekroseanteile enthält, also sozusagen in sich schon ein bisschen zerfallen ist. Das spricht immer für sehr schnelles Wachstum. Wir erkennen es an der Begrenzung des Tumors, an der Lokalisation des Tumors und in Kombination mit anderen Angaben zum Beispiel über Alter des Patienten, können wir dann oft eine Verdachtsdiagnose stellen. Atmo Tumorkonferenz kurz hoch, dann weiter Sprecherin Wolfram Schwindt klickt im Schnelldurchgang mit der Maus durch die Bilder, zoomt näher heran, verändert die Perspektive. Es muss zügig gehen. In der einstündigen Konferenz beraten die Ärzte heute über 20 Patienten, der Jüngste ist 31 Jahre alt, der Älteste 74. Atmo Tumorkonferenz Sprecherin Über 130 verschiedene Hirntumore sind bekannt. Sie unterscheiden sich vor allem durch die Zellen, aus denen sie entstehen, und ihrer Wachstumsgeschwindigkeit, die nach einer Skala der Weltgesundheitsorganisation in vier Grade eingeteilt wird. Grad 1 ist ein gutartiger, langsam wachsender Tumor, Grad 4 ein besonders bösartig, schnell wachsender. Auch Glioblastom genannt. Wobei sich niedrig gradige Tumore auch zu bösartigen entwickeln können. 8. O-Ton Tumorkonferenz, Histologie Immer gerne auch zerstückeln und zwischen der Sprecherin raufkommen lassen /// ... auch das ist ein Glioblastom WHO Grad 4, hier mal das deutlich polymorph-astrozytär Tumorgewebe. Dann gibt es noch ein bisschen Nekrose. Das ist hier zu erkennen. Also auch ein Glioblastom WHO Grad 4, IDH1 negativ ... Sprecherin Die Eigenschaften eines Tumors, bestimmen den Therapieplan. In den vergangenen Jahren hat sich jedoch gezeigt, dass ein Hirntumor aus unterschiedlich aktiven Bereichen besteht. So gibt es innerhalb eines Tumors eine Art Brutstätte, in der die Zellen besonders schnell wuchern. Um einen Tumor richtig einschätzen zu können, müssen die Neuropathologen und Radiologen genau diesen Bereich finden. 9. O-Ton Walter Heindel Anders als man das früher immer primär gedacht hat, ist so ein Tumor sehr inhomogen aufgebaut. Da gibt es Teile die dann unter Umständen lebensentscheidend sind, weil sie sehr bösartig sind, sehr aggressiv wachsen, sich dauernd verändern und da müssen wir aber den aktiven lokalisieren, versuchen möglichst exakt herauszukriegen, idealerweise histologisch und darauf dann die gesamte Therapie ausrichten für den Patienten. 10. O-Ton Melanie Hoppe Ich wusste, dass der nicht operabel war und ich wusste auch, wir können den nicht klein kriegen, wir können den nur so ein bisschen aufhalten. Sprecherin Der Tumor in Melanie Hoppes Kopf ist ein Grad 3-Tumor - und damit sehr bösartig. Nach der Diagnose ging alles sehr schnell. Krankenhaus, Biopsie, Therapie. Erst langsam habe sie begriffen, was diese Diagnose für ihr Leben bedeutet, erzählt sie. Unterstützt wurde Melanie Hoppe von Anfang an von der Psychoonkologin Dr. Dorothee Wiewrodt. 11. O-Ton Dorothee Wiewrodt Da geht es am Anfang auch sicher darum es auszuhalten, diese Traurigkeit, die da hochkommt, der Frust, dass es einen getroffen hat. Und im weiteren Verlauf geht es halt wirklich darum zu lernen, wie kann man eben einen gewissen Alltag wieder mit der Erkrankung aufbauen. Und wie kann ich mich nicht nur vom Tumor bestimmen lassen, sondern wie kann ich gerade jetzt das Leben noch leben. Sprecherin Die psychoonkologische Betreuung ist in Münster fester Bestandteil des Therapieangebots. Dazu gehören: Gesprächs-, Kunst- und Sporttherapie. Die Gespräche sollen helfen den Alltag aufrecht zu erhalten, der Sport soll positive Körperhormone, Endorphine freisetzen und das Immunsystem stärken, die Kunsttherapie zeigt neue Wege , sich mit der Krankheit auseinander zusetzen. Für Melanie Hoppe ist neben den Gesprächen vor allem der Sport wichtig. 12. O-Ton Melanie Hoppe Ich kann wirklich bei jedem Schritt mehr abschalten, auch wenn ich zuhause joggen gehe, dann gehe ich in den Wald, gucke mich um. Dann denke ich nicht an den Tumor, dann denke ich nur, wow, wie ist das doch schön hier. 13. O-Ton Tumorkonferenz nur kurz hoch, dann drunter legen Patient mit einem anaplastischen Astrozytom IDH1 nicht mutiert, schwach modulierter MGMT-Status, OP im Mai, Radiochemo jetzt gehabt. Bis Ende Juli ein Zyklus Temozolomid, jetzt Wiedervorstellung auch in der klinischen Verschlechterung. Auftreten der Quadranten-Anopsie nach rechts oben und Wortfindungsstörungen, Sprachstörungen natürlich, man kann aber noch kommunizieren mit ihm. – Man kann mit ihm kommunizieren? Ja ..... Sprecherin (über Atmo Tumorkonferenz) Histologische Befunde, Medikamente, Symptome, molekulare Marker, bisheriger Therapieverlauf - auf der Tumorkonferenz wird in knappen, medizinischen Fachbegriffen über persönliche Schicksale entschieden. Manchmal aber herrscht auch hier ein paar Sekunden Schweigen, gerade so lange, dass man es wahrnimmt. Die Ärzte kämpfen gegen einen extrem wandlungsfähigen und daher besonders heimtückischen Gegner: Epileptische Anfälle, Sprachstörungen, Lähmungserscheinungen, Kopfschmerzen, Persönlichkeitsveränderungen - ein Hirntumor macht unterschiedliche Symptome. 14. O-Ton Oliver Grauer (oc) Es kann jeden treffen und es gibt auch keine Möglichkeiten der Früherkennung, das ist so. Sprecherin Über 8.000 Menschen in Deutschland erkranken jedes Jahr neu, erklärt Dr. Oliver Grauer, Neuroonkologe in Münster. 15. O-Ton Oliver Grauer Also die Ursachen sind letztendlich nicht klar, man muss davon ausgehen, dass wie bei anderen Krebsarten einzelne Zellen entarten, das heißt dort kommt es im Verlaufe der Zeit zu Mutationen, zu genetischen Veränderungen, die dazu führen, dass die Zelle unkontrolliert wächst. Sprecherin Beim Glioblastom etwa haben Ärzte eine genetische Veränderung gefunden, von der sie vermuten, dass sie dazu beitragen könnte, dass Gehirnzellen entarten. Trotzdem geht man weiter davon aus, dass Krebs immer verschiedene Ursachen hat. Auch gibt es keine eindeutigen Risikofaktoren für die Entstehung von Hirntumoren. 16. O-Ton Oliver Grauer Man hat letztendlich keinen richtigen Risikofaktor identifizieren können, das Rauchen wird immer angeführt, das konnte letztendlich nicht bewiesen werden. Das einzige, wo man weiß, dass das tatsächlich Tumoren im Gehirn auslösen kann, ist radioaktive Strahlung. Sprecherin Auch Melanie Hoppe musste ihre Krankheit akzeptieren lernen. „Warum gerade ich?“, das habe sie sich nie gefragt. 17. O-Ton Melanie Hoppe, Dorothee Wiewrodt Ich weiß nicht was für einen Sinn und was dahinter steckt, aber irgendeinen Sinn wird es haben. DW: Was haben Sie bei unserem ersten Gespräch gesagt, und wenn sie in den Himmel kommen, dann trete ich den lieben Gott in den Arsch ... MH: Das habe ich gesagt! – DW: ... und fragen ihn, was das sollte. – MH: Habe ich gesagt? – DW: Ja! (lachen) – MH: Oh, da war ich aber relativ gut drauf. – DW: Hm, mit relativ viel Ärger aber auch. (lachen) 18. O-Ton Tumorkonferenz Sprecherin In der Tumorkonferenz beraten die Ärzte zuerst über die Möglichkeit zu operieren. Die entarteten Zellen sollen möglichst weg, das ist das Ziel. Anhand der Bilder versuchen sie den Tumor zu lokalisieren, um mögliche Zugangswege zu finden. 19. O-Ton Walter Heindel Je größer ein Tumor ist, wird auch die normale Anatomie, die normalen Regionen verschoben, verlagert, aber eben, das ist die besonders schwierige Situation, leider auch infiltriert. Das heißt der Tumor arbeitet sich so zusagen auf der zellulären Ebene in diese Regionen vor, das ist immer eine sehr schwierige und manchmal für den Operateur kaum lösbare Aufgabe. Sprecherin Ein Glioblastom hat seine entarteten Zellen immer schon in angrenzendes Gewebe verteilt, dort wächst dann oft innerhalb eines Jahres ein neuer Tumor, ein so genanntes Rezidiv. Das infiltrierte Nachbargewebe, aus dem die Rezidive wachsen, kann bei einer Operation aber nicht einfach entfernt werden, da sonst wesentliche Funktionen wie Motorik, Kognition und Gedächtnis beeinträchtigt werden. 20. O-Ton Walter Heindel Wir versuchen quasi vorher, vor der Operation möglichst exakt uns festzulegen, kann man den Tumor komplett entfernen? Das ist die Idealsituation, die wir anstreben, Oder gibt es schon Grenzen für den Operateur? Und das ist wirklich die Herausforderung für unsere Kollegen aus der Neurochirurgie, diesen Balanceakt zwischen einerseits maximaler Tumorentfernung und andererseits unnötigen Schaden, der sofort nach der Operation für den Patienten bemerkbar wäre, zu vermeiden. Und diesen Balanceakt tagtäglich auszuhalten, das ist auch eine, finde ich, stark belastenden Situationen, die uns auch immer wieder in unseren Konferenzen beschäftigt. 21. O-Ton Tumorkonferenz, Wolfram Schwindt Das ist diese auswärtige Untersuchung, mit dieser deutlich Kontrastmittel anreichernden Läsion, die genau im Tractus cortico-spinalis liegt. Man sieht das hier in der DTI, hier sind die vertikal verlaufenden blauen, in Anführungsstrichen, Faserbahnen. Da liegt die Läsion mittendrin – deutliches perifokales Ödem. Sprecherin (über Atmo-O-Ton) Wie weit darf der Operateur gehen? Die Radiologen und Neurochirurgen müssen jedes Mal aufs Neue abwägen. Und in manchen Fällen entscheiden sie, dass erst gar nicht operiert werden kann, weil die Tumorzellen so weit gestreut haben, das ganze Gehirn befallen ist oder die Schäden durch eine Operation zu groß wären. 22. O-Ton Wolfram Schwindt Ja, also man kann hier unterschiedliche Faserrichtungen mit Farben kennzeichnen, rot ist rechts-links, grün ist vorne hinten und blau ist in den Bildebene hinein und das ist genau die Pyramidenbahn. Das heißt, wenn man die schädigt hat man eine bleibende Lähmung. Das wird man eher mit Chemotherapie und Bestrahlung therapieren. Sprecherin Auf dem Bild ist es deutlich zu erkennen. Ein dunkler Fleck liegt mitten in der blau dargestellten Bahn. Es sieht aus, als läge ein Kieselstein in einem Rinnsal, das Wasser fließt drum herum und umschließt den Stein - so hat sich der Tumor in die Bewegungsbahn gedrängt. Schnell hat Neurochirurg Walter Stummer die Situation erfasst, knapp und bestimmt fällt er sein Urteil: Keine Operation. Ohne Schädigung der Bahn kann der Tumor nicht entfernt werden. Auch beim nächsten Patienten ist das Risiko zu groß, er könnte sein Gedächtnis verlieren. 23.O-Ton Tumorkonferenz Walter Stummer Ja, gut chirurgische Optionen waren für mich nicht sinnvoll. Hinterer Balken, die Leute verlieren ihr Gedächtnis, wenn wir da was machen. 23. O-Ton Walter Stummer (über Atmo Tumorkonferenz) Also wenn man da eine Operation machen würde, dann wäre das ein Mensch, der nicht wüsste wo er ist, der vielleicht seinen Namen nicht wüsste, der niemanden mehr erkennt. Natürlich kann man sein Leben verlängern, aber das wäre kein Zustand, der irgendjemand ertragen würde. Deswegen haben wir oder ich entschieden dort nichts zu machen. Sprecherin Wichtige Funktionen dürfen nicht geschädigt werden, das hat für die Ärzte oberste Priorität. Sicherheit und Lebensqualität des Patienten gehen vor - auch um die weiteren Therapiechancen zu erhöhen. 24. O-Ton Walter Stummer Weil ein Patient, der ein Defizit hat, eine Lähmung oder eine Sprachstörung, der kriegt wahrscheinlich nicht die gleichen Therapiechancen, wie ein anderer Patient. Angenommen wir machen eine Operation und es passiert eine Halbseiten-Lähmung, dann bekommt der Patient vielleicht seine Strahlentherapie und Chemotherapie, dann geht der Tumor weiter und dann sagen wir, ja, was sollen wir dem Patienten noch bieten. Das ist ja kein zustand, den wir haben wollen. Sprecherin Die Patienten sollen die gewonnene Zeit genießen können, die Monate oder Jahre, die sie dem Tumor abringen, sollen lebenswert sein. Im Internet finden sich Statistiken der Überlebenszeiten mit aggressiven Tumoren. 14 bis 15 Monate steht da dann nüchtern – für die Patienten ein Schock. Dabei gibt es einige, die die Diagnose auch mehrere Jahre überleben. Jede Krankheit verläuft anders. 25. O-Ton Dorothee Wiewrodt Was ich wichtig finde, ist dem Patienten klar zu machen, dass es ernst ist, um dadurch auch die Möglichkeit zu geben, eben vielleicht noch Sachen zu regeln oder klären zu können, die er immer schon klären wollte vielleicht, um sich Träume zu verwirklichen, was er immer schon machen wollte, einfach Sachen nicht mehr auf die lange Bank schieben, die er eben jetzt, wo es ihm vielleicht noch gut geht, machen kann. Und das wäre immer mein Ansatz, den Patienten da zu unterstützen und zu gucken, wie kann man das realisieren, was er sich noch so sehr wünscht. Sprecherin Die Hoppes haben sich ein halbes Jahr nach Diagnose ein Haus gekauft. 26. O-Ton Melanie Hoppe Und dann habe ich gesagt, so, nee, wir können kein Haus kaufen, ich bin krank. Und er sagte, nein, ein riesengroßer Garten und wir könnten da auch umbauen, wenn du nicht mehr laufen könntest und so, dann könnten wir unten das Schlafzimmer hinmachen und alles ganz toll, komm mal mit. Und dann bin ich in das Haus rein und fand es toll. Da habe ich mich sofort zuhause gefühlt und dann sind wir da eingezogen ein halbes Jahr nach der Diagnose. Atmo Geräusch 27. O-Ton Hans- Theodor Eich In dieser Gentri, da kreist also dieser Linearbeschleuniger, in diesem Tunnel und dann fährt der Patient da rein, wird hier auch wieder ausgerichtet, das sind diese Lasermarkierungen.... Sprecherin Professor Hans-Theodor Eich, Leiter der Strahlentherapie, präsentiert sein neuestes Instrument, das Tomotherapiegerät Kostenpunkt: sieben Millionen Euro. Dem wuchtigen, kompakten Apparat sieht man die Präzision seiner Technik nicht an. 28. O-Ton H.T. Eich .... und dann wieder hier dieses Fadenkreuz, hier da. Danach richten die medizinisch-technischen Assistenten die Patienten aus und dann werden die da rein gefahren und dann wird eine Bildgebung am Linearbeschleuniger gemacht und dann die Feinjustierung vorgenommen, so zwei bis drei Millimeter. Sprecherin Die Tomotherapie arbeitet mit hochpräziser 3-D-Bestrahlung. Der Patient fährt auf dem Bestrahlungstisch in einen großen Ring, dieser kreist in 360 Grad um den Kopf des Patienten. Mit hoher Geschwindigkeit schickt die Maschine von allen Seiten Strahlen ins Gehirn, millimetergenau Richtung Tumorzellen. 29. O-Ton H.T. Eich Das wichtigste in einer Strahlenklinik ist die Qualität und die absolute Sorgfalt. Ich bin sehr, sehr genau und Korinthenkacker auf Deutsch gesagt, also sehr penibel muss das alles vonstatten gehen. 30. O-Ton Bestrahlungsplan unter Sprecherin anfangen Sprecherin Um möglichst viel gesundes Gewebe zu schonen, werden die Bestrahlungspositionen anhand der Bilder vom Gehirn exakt vorgeplant. 31. O-Ton H.T. Eich Da zeichnen wir alle Risikoorgane ein, Organs at Risk, hier zum Beispiel die Augen, die Linsen, Sehnerv, dann das Chiasma, das ist die Sehnervkreuzung, den Hirnstamm, das Innenohr – und dann kommt hier, der eigentliche Tumor ist hier konturiert worden mit MR und dann legen wir um den Tumor einen Sicherheitssaum, und dann planen die Physiker die Bestrahlung. Sprecherin Hans-Theodor Eich will auch die Zellen in den infiltrierten Nachbarregionen des Tumors zerstören. Die Zellen, die seine Kollegen operativ nicht ganz entfernen können und die dann für einen Rückfall verantwortlich sind. Mit seinem Hightech-Gerät kann er etwas großzügiger sein und einen so genannten Sicherheitssaum bestrahlen, der auf dem Computerbild als orangenfarbene Linie zu sehen ist und 1,5 bis zwei Zentimeter rund um den Tumorrand liegt. 32. O-Ton Eich Das Problem ist, was wir auch vorhin in der Tumorkonferenz gesehen haben, Patienten, die einen unglücklich lokalisierten Tumor haben. Wenn jetzt der Tumor zum Beispiel im Bereich der Schädelbasis sitzt und da schon im Bereich der Sehbahnen Probleme macht, ist man da limitiert mit der Strahlendosis, dann kann man gar nicht die volle Strahlendosis im Bereich des Tumors applizieren, weil man sonst den Patienten blind strahlen würde. Und so was darf natürlich überhaupt nicht passieren. Sprecherin Es geht also immer wieder ums Abwägen. Auch die Strahlenexperten müssen jedes Mal entscheiden, wie weit sie gehen können. Trotzdem haben die High-Tech-Geräte schon enorme Verbesserung gebracht, weil nicht mehr, wie früher üblich, das ganze Gehirn bestrahlt wird. Die Therapie ist fokussierter, dadurch können die Mediziner bei einem Rückfall die Strahlen heute ein zweites Mal durch einen Tumor jagen. 33. O-Ton Eich Dass wir uns heute also trauen, auch wenn ein Rezidiv auftritt, noch mal was Gutes für den Patienten zu tun, das machen wir heute viel, viel häufiger. Das ist fast Standard, dass wir noch mal mit einer anderen lokalisierten Bestrahlung da ran gehen, auch noch mal in Kombination mit anderen Medikamenten, um noch mal was für den Patienten heraus zu holen. Das ist sicherlich so. Sprecherin Bei der Behandlung des Hirntumors setzen die Ärzte, wie bei anderen Krebserkrankungen auch, auf eine Kombination aus Strahlen- und Chemotherapie. Wobei die Zellgifte der Chemotherapie das Tumorgewebe oft gar nicht erreichen. Das Gehirn wird durch die so genannte Blut-Hirn-Schranke geschützt, eine Art Filter, der Giftstoffe fern halten soll. Bei Hirntumoren müssen daher Medikamente eingesetzt werden, die durch diesen Filter gehen – davon gibt es aber nicht viele, etwa zehn Substanzen sind es derzeit. Kommt ein Medikament dann bis zum Tumor durch, zeigt es oft nicht die gewünschte Wirkung. Neuroonkologen wie Oliver Grauer setzen ihre Hoffnung deshalb jetzt auf molekulare Marker. Über eine genetische Analyse des Tumorgewebes, hoffen die Ärzte, Anhaltspunkte zu finden, wann welches Zellgift wirkt. 34. O-Ton Oliver Grauer Ein Marker bei den Glioblastomen ist zum Beispiel das sogenannte MGMT, das ist ein Reparaturenzym und wir wissen, wenn die Tumorzellen dieses Reparaturenzym nicht produzieren bzw. der entsprechende Genabschnitt nicht aktiv ist, dass eine Chemotherapie in Kombination mit der Strahlentherapie deutlich besser wirkt und die Patienten eine bessere Prognose haben, aber es ist letztendlich so, dass im Verlauf der Erkrankung eine bestimmte Substanz nicht mehr wirkt, weil die Tumoren Resistenzmechanismen entwickeln. Sprecherin Da die Hirntumorzellen so wandelbar sind, stellen sie sich schnell auf die Medikamente ein, das heißt, sie suchen sich neue Wege und wuchern weiter. Auch Melanie Hoppe wurde schon mit verschiedenen Medikamenten behandelt. Da die Substanzen auf den ganzen Körper wirken und auch gesunde Zellen angreifen, litt sie unter Konzentrations- und Sprachstörungen. Die Therapie sei wie ein Wechselbad: Mal schrumpft der Tumor, dann wächst er. Seit drei Monaten nimmt sie jetzt überhaupt keine Medikamente mehr ein und der Tumor steht still. 35. O-Ton Melanie Hoppe Ja, Gott sei Dank konnte ich gestern mit meinem Neurologen sprechen, und der hat mir gesagt, eine Chemo will er nicht mehr weitermachen, weil der Tumor im Moment stillsteht und weil mein Blutbild, noch nicht so gut aussieht, als dass wir eine weitere Therapie machen könnten, sagt er, wir warten erst mal und wenn es sich dann wieder verschlechtert, dann können wir immer noch wieder eine Chemotherapie machen. Aber jetzt im Moment will er es nicht. Weil einfach die Gefahr ist, wenn wir jetzt wieder direkt anfangen, wird das Blutbild einfach wieder zerschossen und die Werte sind doof und dann müssten wie mittendrin abbrechen und da haben wir nix davon. Sprecherin Es ist immer wieder ein Balanceakt. Oliver Grauer muss bei Melanie Hoppe ständig neu austarieren, welche Dosis er ihr zumuten kann, wann die Zellgifte eher dem Körper schaden, statt dem Tumor. Medikamente, die gezielt wirken und nur die entarteten Zellen im Gehirn angreifen, gibt es nicht. Die Therapien, die Ärzte anbieten können, sind begrenzt. 36. O-Ton Oliver Grauer Ein gutartiger Tumor, wie ein Meningeom ist, wenn es komplett entfernt wurde, wächst eventuell nicht nach. Wir müssen trotzdem die Patienten nachkontrollieren, aber da kann man von einer Heilung, in Anführungszeichen, sprechen. Bei den bösartigen Tumoren, wie dem Glioblastom, kann man nicht von Heilung sprechen, bisher ist es nicht gelungen, da einen kurativen Ansatz zu fahren, das heißt, letztendlich wird der Patient irgendwann an diesem Tumor versterben. Sprecherin In neuen, experimentellen Therapien bringen Ärzte jetzt Substanzen gezielt in den Tumor ein und versuchen ihn so von innen heraus zu bekämpfen. Im Hirntumorzentrum wird im Rahmen einer Studie die so genannte Hyperthermie getestet. Walter Stummer. 37. O-Ton Walter Stummer Also was da passiert ist, dass stereotaktisch, also sehr hochgezielt eisenhaltige Nanoteilchen in den Tumor eingebracht werden und dann kann man mit Hilfe von Computersimulationen kann man dann bestimmte Areale des Gehirns dann mit einem Magneten erhitzen. Mit Magnet meine ich natürlich keinen Haushaltsmagneten, sondern eine Maschine, die etwas aufwändiger ist, aber das ist das Prinzip und das ist eine Kombinationstherapie zwischen Hyperthermie und Strahlentherapie, mit dem großen Vorzug, wenn die Eisenteilchen mal drin sind, kann man das beliebig wiederholen. Sprecherin Die Hyperthermie-Studie in Münster ist nur eine von mehreren Studien zum Glioblastom in Deutschland. An anderen Kliniken wird mit Immuntherapien oder Viren gearbeitet. 38. O-Ton Walter Stummer Ob das wirkt wissen wir nicht, aber das ist eben das Wesen der Studie, wir wissen nicht ob es wirkt, wir wissen nicht, ob es einen Schaden macht und wir müssen ne extra Operation machen, das ist ja auch eine Investition des Patienten, aber wir denken, dass es ein gutes Potenzial hat und deswegen machen wir das. Deswegen - wir werden sehen. Atmo Tumorkonferenz Sprecherin Die Auswirkungen der Therapien werden engmaschig kontrolliert. Wie sieht das Blutbild aus? Schlagen die Medikamente an? Was tut sich im Gehirn? Wie groß ist der Tumor? Die Radiologen um Walter Heindel sind wieder gefragt. 39. O-Ton Walter Heindel Wir haben in den letzten Jahren lernen müssen, dass Medikamente eine so genannte Pseudo-Progression machen, dass wir erst dachten, da wächst der Tumor wieder, in Wirklichkeit war das ein Medikamenteneffet, der besonders ausgeprägt war, der dann auch hinterher wieder verschwunden ist. Das sind so Herausforderungen, Grenzfälle, weil wir beim einzelnen Patienten möglichst präzise und korrekt sagen wollen, was passiert da gerade im Kopf drin und ihn dann entsprechend auch weiter beraten wollen, was ist zu tun oder vielleicht gar nicht notwendig zu tun. Sprecherin Immer wieder müssen die Ärzte die Therapie anpassen, müssen abwägen, was kann wie behandelt werden, welche Möglichkeiten gibt es bei Rückfällen noch. Melanie Hoppe hat alle zwei Wochen einen Termin zum Blutabnehmen und alle drei Monate wird ihr Kopf mit Hilfe der Magnet-Resonanz-Tomographie durchleuchtet. 40. O-Ton Melanie Hoppe Also die schlimmsten Momente da sind immer, wenn ich in diesem Raum sitze und mir der Zugang gelegt wird und ich wirklich auf diesen Gang in die Röhre warte und hinterher, wenn ich bei Professor Stummer vor der Tür sitze und das so unheimlich lange dauert. Er geht rein in sein Büro und kommt und kommt nicht raus und lässt mich rein, also das sind ganz, ganz grausame Momente, weil ich bin so ein Mensch, ich muss das sofort wissen und das ist immer ganz furchtbar schlimm. Sprecherin Vor und nach solchen Momenten ist Dorothee Wiewrodt besonders wichtig. Die Psychoonkologin hat Melanie Hoppe beigebracht, wie sie ihre Angst vor diesen Terminen besser in den Griff kriegen kann. 41. O-Ton Melanie Hoppe, Dorothee Wiewrodt MH: Oder Phantasiereisen haben wir auch schon gemacht ... DW: Entspannungstechniken. MH: Entspannungstechniken, ja. DW: Gerade vor den MRT-Terminen, wenn dann so der Angstpegel wieder steigt, die Aufregung, die Herzfrequenz, dass man einfach selber auch ein Mittel an der Hand hat, wie kann man auch runterkommen, einmal das wir es halt hier gemeinsam machen, aber einfach auch die Technik kennen lernen und zu wissen, wie kann ich entspannen. Das sind eben körperliche Symptome, die ich aber beeinflussen kann. Dann sagt Frau Hoppe immer, schicken Sie mich noch mal auf Reisen, das tut mir gut. Musikakzent 42. O-Ton Walter Stummer Ich dachte früher man stumpft ab, wenn man das macht mit der Zeit und dann kümmert einen das nicht mehr. Aber wenn ich mir vorstelle, ich führe hier Aufklärungsgespräche und da sitzt ein junges Ehepaar mit kleinen Kindern und er hat ein Glioblastom, ja, was heißt das für diese Familie, das ist ja so schlimm – aber viele von den Männern vor allen Dingen rationalisieren und man weiß, das kann ja gar nicht sein. Sprecherin Täglich hat Walter Stummer mit Patienten und ihren Angehörigen zu tun. Er kennt ihre persönlichen Schicksale und ist überzeugt davon, dass die psychoonkologischen Therapieangebote wichtig sind, denn zwischen all der High-Tech-Medizin, darf die seelische Verfassung eines Kranken nicht aus dem Blick geraten. 43. O-Ton Walter Stummer Unter der Oberfläche, da, da ist ja alles durcheinander. Wie sagt man das den Kindern? Ja, wie geht man damit um? Wir älteren Chirurgen, wir haben es nie gelernt damit umzugehen, aber das ist ein ganz, ganz wichtiger Teil und ich denke, bevor wir 10tausende von Euro in ein neues Medikament, das ein paar Wochen bringt, investieren, dann sollte man das mal ein bisschen in diese Bereiche fließen lassen. Musikakzent 44. O-Ton Melanie Hoppe Klar, es ist ein doofes Gefühl, man wacht morgens auf mit dem Gedanken, man hat einen Tumor und wenn der liebe Gott jetzt will, dass man stirbt, dann stirbt man eben und ich kann nichts dagegen tun. Und der Motivator schlechthin ist also wirklich, wenn ich abends ins Bett gehe und gucke ins Kinderzimmer rein und da liegt meine Tochter friedlich schlafend und das ist einfach so, dass ich sage, dafür lebe ich und deswegen überlebe ich auch. Musikakzent E N D E 1