COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Kinderarmut - was tun die Bundesländer dagegen? Die Beispiele Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt - Autorinnen Götz, Uschi (Beitrag 1- 9'45'') Arlt, Susanne (Beitrag 2- 9'00'') Mod./Red. Stucke, Julius Sendung 01.06.2011 (13 Uhr 07) Wenn man nach der Statistik geht, können sich die Kinder in Baden-Württemberg glücklich schätzen. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung sind dort deutlich weniger Kinder armutsgefährdet, als anderswo in Deutschland. Das hängt natürlich auch mit der niedrigen Arbeitslosigkeit zusammen. Wir gehen aber nicht nach der Statistik sondern fragen nach: was tut Baden-Württemberg gegen die verhältnismäßig geringe, aber dennoch vorhandene Kinderarmut? Und wir blicken nach Sachsen-Anhalt: Nach den Zahlen derselben Studie gilt dort fast ein Drittel der Kinder als arm. Mit reichlich Geld ist auch das Land selbst nicht gesegnet - wie also versuchen die Städte und Gemeinden, trotz Kassenknappheit, Projekte für Kinder umzusetzen? Beitrag 1 - Baden-Württemberg - vorbildliches Kinderländle? (Uschi Götz) OT (Kind) Wir fahren noch Einrad in der Turnhalle, und dann, danach, machen wir Sport AUTORIN Elissa im Kinderland. Das Mädchen ist knapp sechs Jahre alt, etwa so alt wie das Land, das der einstige CDU-Ministerpräsident Günther Oettinger kurz nach seinem Amtsantritt ausrief: das Kinderland Baden-Württemberg. MUSIK (Kinderland) "... wir wollen lachen, tanzen, fröhlich sein, das macht allen Spaß...." AUTORIN Doch bald schon war Oettinger in ein anderes Land verschwunden. Der Landesvater mit den tollen Ideen hinterließ seinen Landeskindern aber ein Geschenk: die Kinderland Stiftung, Teil der Baden-Württemberg Stiftung. Kinderland ging im Jahr 2005 an den Start, ausgestattet mit 50 Millionen Euro. Christoph Dahl, Geschäftsführer der Stiftung: OT (Dahl) Wir machen Dinge für benachteiligte Kinder, zum Beispiel das Programm "Gesundes Boot", bei dem man nicht nur in der Ernährung beraten wird, sondern in der Bewegung. Dieses Programm hilft besonders stabileren Kindern, die Bewegung brauchen, die etwas Unterstützung brauchen. ATMO (Kindergarten) Auf die Plätze fertig los ... AUTORIN Zwei Millionen Euro verteilt die Kinderland Stiftung jährlich. Ein Großteil des Geldes fließt in Ernährungs- und Bewegungsprogramme für Vorschulkinder und Grundschüler. Defizite rechtzeitig zu erkennen und im Idealfall zu beheben, ist das Ziel vieler Aktivitäten in Kindergärten und Schulen. Hintergrund sind Studien, wonach die Ernährung bei Familien mit niedrigem Wohlstandsniveau deutlich schlechter ist, als bei sozial besser gestellten Familien. Übergewichtige Kinder und Jugendliche kommen laut einer Untersuchung in Berlin und Baden-Württemberg zunehmend aus Familien mit geringem Einkommen und niedrigem Bildungsgrad. "Armut macht dick" so die paradoxe Feststellung von Fachärzten. ATMO (Kita) OT (Treiber) Ich bin jetzt die 21. Stunde hier und sehe schon Fortschritte. Also bei Kindern, die sich bei einzelnen Übungen schwer getan haben, so einen Ball prellen zum Beispiel, das das, wenn man es immer wieder macht und auch Anreiz gibt in der Freizeit zu probieren, dass das dann tatsächlich was bringt. AUTORIN Imelda Treiber ist Bewegungs- und Ernährungsfachkraft. Sie arbeitet im Auftrag der Baden-Württemberg Stiftung. Heute Morgen ist sie im Katholischen Kindergarten St. Albertus in Esslingen. 12 Mädchen und Jungen toben an diesem Vormittag mit Frau Treiber durch den Sportraum des Kindergartens: OT (Treiber) Diese Schwelle ist hier sehr niedrig geworden. Und die Kinder lernen sich auch etwas zuzutrauen. Es ist ja nicht nur diese körperliche Aktivität, auch Körperhaltung schult, sondern es ist auch ganz viel Selbstvertrauen. AUTORIN Sozial benachteiligte Kinder bekommen bei dem Programm wichtige Impulse, die sie in der Freizeit, ohne Geld dafür auszugeben, nachspielen können. Spielerisch lernen sie im Ernährungsprogramm, dass Fertiggerichte in der Regel nicht nur schlechter schmecken, sondern auch ungesund sind. Ob die Kinder auch ihre Eltern davon überzeugen können, bleibt fraglich. Stuttgarts CDU - Oberbürgermeister Wolfgang Schuster hat Kinder zur Chefsache erklärt und arbeitet schon lange an dem Ziel, die Landeshauptstadt zur kinderfreundlichsten Stadt Deutschlandes zu machen. Wie im ganzen Land mangelt es gerade in der Landeshauptstadt immer noch an Krippenplätzen. Der Ausbau von Betreuungsangeboten und das Thema Kinderarmut stehen ganz oben auf der Agenda im Stuttgarter Rathaus. Mit der Kinderarmut beschäftigte sich die Stadt bereits 2008 auf einer Strategiekonferenz. Vor drei Jahren ging man von 13.000 Stuttgarter Kindern aus, die in Armut aufwachsen. Seit der Kinderarmutskonferenz arbeiten viele Beteiligte an der Umsetzung von Expertenempfehlungen. Gleichzeitig trägt der couragierte Einsatz der Stuttgarter Kinderbeauftragten Roswitha Wenzl schon seit Jahren Früchte: OT (Wenzl) Es kommen also eher Menschen zu mir, die sagen: Ich würde mich gerne engagieren, auch einen Betrag XY zur Verfügung stellen, vorausgesetzt, ich kann ihnen etwas Gescheites anbieten. Und da kommen dann wirklich die Projekte oder Initiativen, die wirklich beim Kind landen. Das ist so ein Schwerpunkt bei uns und meiner Arbeit. AUTORIN Es sind verblüffend einfache Initiativen wie regelmäßige Obstlieferungen, die für Abwechslung in der häufig einseitigen Ernährung von Schülern sorgen: OT (Wenzl) Man glaub es ja manchmal gar nicht! Ich habe auch am Anfang gedacht: ich schäme mich fast, weil es Tropfen auf den heißen Stein ist, einmal in der Woche Obstlieferung. Aber auch der Tropfen auf den heißen Stein ist für viele Kinder ganz zentral wichtig. Wenn mal so ein kleiner Spalt offen ist, in der Tür, dann versuchen wir natürlich mit dem ganzen Fuß reinzukommen. AUTORIN Ein Drittel des Haushaltsvolumens gibt die Stadt Stuttgart für familien- und kinderfreundliche Strukturen aus. Pro Kind sind das im Jahr rund 7000 Euro. Mehrere Millionen Euro fließen allein jährlich in die bundesweit als vorbildhaft geltende Stuttgarter FamilienCard. Laut einer Studie von Sozialforschern über die Situation von armen Kindern und ihren Familien in Baden-Württemberg, gilt als arm wer nicht ausreichende Entwicklungschancen bekommt, wer nicht teilhaben kann an dem Leben, das etwa Gleichaltrige führen. Hier setzt die Karte an: In Stuttgart bekommen Familien mit einem Jahreseinkommen von bis zu 60. 000 Euro die FamilienCard. 47 500 Karten wurden in diesem Jahr vergeben, das bedeutet, dass... OT (Spatz) ...fast die Hälfte der Stuttgarter Kinder ihrer Stadt die Karte zeigen, und dann sieht man es nicht, ist es ein Kind, das aus einem Hartz IV- Empfänger Haushalt kommt oder ist es ein Kind aus der gut bürgerlichen Nachbarschaft, das eben auch die FamilienCard hat. AUTORIN So Stefan Spatz, Leiter des Stuttgarter Sozialamtes. Seit der Einführung der Karte vor 11 Jahren koordiniert das Amt das Projekt. Zwar sind die Möglichkeiten mit dem Karten-Guthaben von 60 Euro wahrlich begrenzt, aber immerhin: manch ein Kind aus einer sozial schwachen Familie kommt so auch einmal in ein Freibad oder den Stuttgarter Zoo OT (junge Mutter) Beide Karten kosten 24 Euro zusammen, und die haben wir jetzt umsonst gekriegt. AUTORIN Dieses junge Studentenpaar mit kleiner Tochter muss nicht rechnen, ob das Haushaltsbudget für einen Ausflug in den Zoo reicht, der Eintrittspreis in Höhe von 24 Euro wird von der Karte abgebucht. Sozial besser gestellte Familien empfinden die Karte als Großzügigkeit der Stadt: Sozialhilfeempfänger und Familien mit mehr als vier Kindern erhalten zudem recht unbürokratisch einen Sozialpass in Form einer Bonuscard. Mit der Karte gibt es beispielsweise verbilligte Monatskarten für den Verkehrsverbund, die Gebühren für Kindertageseinrichtungen entfallen oder werden reduziert. Das Besondere an dieser Karte: Verschiedene kulturelle Einrichtungen bieten den Besitzern Freikarten an, der Eintritt in Theatervorstellungen ist ermäßigt. Immer mehr Städte in Baden- Württemberg bieten mittlerweile ähnliche Kartensysteme für Familien und Kinder an. Hintergrund ist die Sorge, dass zunehmend mehr Familien im Südwesten abrutschen - und Kinderarmut zunehmen könnte. Eine von fünf Leitlinien der neuen grün-roten Landesregierung ist das Ziel, die soziale Sicherheit und Teilhabe für alle zu ermöglichen. So steht in der Präambel des Koalitionsvertrags der neuen Landesregierung: " Auch im reichen Baden-Württemberg nimmt die Kinderarmut zu, die soziale Schere klafft immer weiter auseinander." Die soziale Schere ist bereits in Mannheim, der zweitgrößten Stadt Baden- Württembergs, deutlich spürbar. Der Mannheimer Jugendpfarrer Bernd Bruksch geht von 16. 000 bis 17. 000 von Armut bedrohten Kindern aus, das entspricht etwa 40 Prozent: OT (Bruksch) Das heißt, gehen sie in Mannheim auf den Marktplatz, setzen sich dort hin, eine halbe Stunde, fast jeder zweite Jugendliche, fast jedes zweite Kind, ist davon betroffen, das ist erschütternd. AUTORIN Und das im scheinbar reichen Süden. Pfarrer Bruksch rief vor über drei Jahren die Kindervesperkirche ins Leben. Es ist bundesweit die erste Einrichtung dieser Art. In der Adventszeit lädt die evangelische Kirche Mannheim ganze Schulklassen zu einer warmen Mahlzeit am Mittag ein. Die Mannheimer Kindervesperkirche rückt dadurch die Situation von Kindern aus armen Familien in den Vordergrund. OT (Burksch) Das ist die Antwort im Rahmen von einem prophetischen Amt, der Kirche, dass sie auf etwas hinweist. Die Gesellschaft, die Politiker darauf hinweist, dass Kinder hier in Armut leben. Dass Armut sich in dieser Stadt hier, in der Region, versteckt, dass zum Teil die Armut den Menschen, die davon betroffen sind, ganz einfach selber nicht klar ist. Und auch eine deutliche Warnung, dass wir an der Grenze sind zum Ausverkauf einer ganzen Generation. AUTORIN Die Kindervesperkirche finanziert sich über Spenden, wie viele Initiativen in Baden-Württemberg. Ohne das Engagement einzelner und die Großzügigkeit vieler, häufig christlich motivierter Förderer, wäre die soziale Schere auch an anderen Orten deutlich spürbarer. Es ist ein Privileg des Südens, auch Bayern zählt dazu, dass eine Spendenkultur anzutreffen ist, die es in dieser Form nur in den reichen, traditionell industriestarken Bundesländern gibt. Die neue Landesregierung in Baden-Württemberg wird nun unter Beweis stellen müssen, dass sie es schafft, die soziale Schere zu entschärfen. - ENDE 1 - Beitrag 2 - Sachsen-Anhalt - Hilfen trotz knapper Kassen? (Susanne Arlt) ATMO (Kinder) AUTORIN Die christliche Kindertagestagestätte in Quedlinburg residiert in einer wunderschönen Backsteinvilla. Auf dem Fenstersims stehen selbstgebastelte Sonnenblumen, an der gelben Häuserfront hängt ein Schild mit bunten Buchstaben: Kinderhaus steht darauf. Es ist Mittagszeit, Essenszeit. Im Souterrain sitzen die Fünf- und Sechsjährigen an einem runden Tischen. Bevor die Kinder anfangen zu essen, sagen sie einen Tischspruch auf... ATMO (Kinderspruch auf Englisch) AUTORIN Das Kinderhaus in Quedlinburg ist ein zweisprachiger Kindergarten. Eine der elf Erzieherinnen unterhält sich mit den Kindern den ganzen Tag auf Englisch. Für die ländliche Region im Harz ist dieses Angebot eher ungewöhnlich. Andrea Zinke-Münch, Leiterin des Kinderhauses, ist aber nicht nur auf das zweisprachige Angebot ihrer Kita stolz. Das Kinderhaus ist zugleich ein Kinder-Eltern-Zentrum. Ein Ort, an dem Familien zusammenkommen, gemeinsam spielen und lernen. Aber auch ein Ort, an dem Probleme angesprochen werden sollen. Das Land hat das Modellprojekt vor vier Jahren entwickelt - auch um Familien zu stärken, die in prekären Verhältnissen leben. OT (Andrea Zinke-Münch) Kinder-Eltern-Zentrum heißt, wir arbeiten noch transparenter mit den Eltern zum Zwecke der Erziehungspartnerschaft zusammen. Die Eltern haben die Möglichkeit einfach mit hier zu bleiben, mit am pädagogischen Alltag teilzunehmen, sich aber auch mit einzubringen und die Kinder saugen das natürlich auf wie Schwämme, haben viel mehr Input auch von den Eltern. AUTORIN Fachleute sind schon lange der Ansicht: Nur mit den Eltern kommt man bei der Erziehung und Bildung der Kinder ein Stück weiter. Wo sich Kinder begegnen, sollten sich auch ihre Eltern treffen und gegenseitig stärken. Leiterin Andrea Zinke-Münch findet, solch ein Zentrum bringt nicht nur mehr Transparenz, sondern lässt auch Netzwerke entstehen, von denen vor allem Familien profitieren, die auf diese Hilfen angewiesen sind. OT (Andrea Zinke-Münch) Wir haben mit sehr engagierten Eltern zu tun, die zwar wenig Geld haben, sich aber durch ein entsprechendes soziales Netzwerk abfangen lassen. Das heißt, wenn jetzt mal Kindertagsfahrten sind, können die Kinder trotzdem daran teilnehmen, weil die Eltern engagiert sind und dann wissen, an welchen Stellen sie Geld beantragen können. AUTORIN Das Kinderhaus in Quedlinburg beteiligt sich noch an einer zweiten Bildungsmaßnahme des Landes. "Bildung elementar" wendet sich gleichermaßen an die Kinder und ihre Erzieher. Die Kleinen sollen ihre Stärken und Schwächen spielerisch kennen und akzeptieren lernen. Die Muttersprache wird geübt und auch, was auf einen ordentlichen Frühstückstisch gehört. Die Erzieher werden parallel dazu weiterqualifiziert. Christoph Wolters, Vater und Vorstandsvorsitzender des Kinderhauses, lobt das Projekt. Zugleich kritisiert er das Land. Seiner Meinung nach kommen zahlreiche Fördermaßnahmen gar nicht bei den betroffenen Familien an. Ein Existenzgründer habe es da leichter. Ihm stünden Seminare und ganze Zentren zur Verfügung OT (Christoph Wolters) Die kriegen, nenn ich es mal, einen Babysitter an die Hand und bedürftige Eltern bekommen keinen Babysitter an die Hand gestellt. Hier muss mehr investiert werden in Anführungszeichen Babysitter als in irgendwelche Wirtschaftsstandorte. AUTORIN Kinder sind schließlich die Zukunft des Landes. 250.000 leben derzeit in Sachsen-Anhalt und 70.000 davon in Armut, Tendenz steigend. Vor zwei Jahren hat die Landesregierung auf diese Entwicklung reagiert und das Zentrum für frühe Hilfen ins Leben gerufen. Die Mitarbeiter sollen Netzwerke knüpfen und Initiativen vor Ort anschieben. Dazu gehört beispielsweise das Hebammenprojekt oder die Familienpaten. Sozialarbeiter und ehrenamtlich engagierte Bürger unterstützen die jungen Eltern im Haushalt, bei der Kinderbetreuung und der Erziehung. Doch all diese Initiativen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn das Geld zum Leben kaum reicht, glaubt Andrea Wegner. Die Geschäftsführerin vom Kinderschutzbund Sachsen-Anhalt kritisiert darum das Land. OT (Andrea Wegner) Was es effektiv macht, ist Aktionismus. Ich muss es jetzt einfach mal so sagen. Wir haben natürlich auch mit Blick auf diese dramatische Kinderarmut Landesprogramme, wo es um frühe Hilfen geht, wo es um Gewaltprävention geht, das heißt, was kann denn das Land auch wirklich machen? Das Land kann nur gucken, wo sind die Ursachen, können wir die beseitigen oder nicht. Insofern wird immer an dem Symptom rumgedoktert, aber ich sehe ehrlich gesagt keine Strategie. AUTORIN Andrea Wegner fordert darum mehr Eltern im öffentlichen Dienst. Am Besten über eine Elternquote. Dass sie mit dieser Forderung ziemlich alleine da steht, ist der Geschäftsführerin vom Kinderschutzbund bewusst. Obwohl die Arbeitslosenquote in den vergangenen Jahren deutlich gesunken ist, ist die Armut in den Familien gestiegen. Für Sozialminister Norbert Bischoff ein Indiz dafür, dass es in Sachsen-Anhalt immer mehr Alleinerziehende und Hartz-IV-Aufstocker gibt, die von ihrem geringen Lohn nicht leben können. Das ostdeutsche Bundesland gilt als Billiglohnland. Hier arbeiten über 100.000 Minijobber, 30.000 Ein-Euro- Jobber, über 20.000 Leiharbeiter. 70.000 Menschen müssen aufstockendes Hartz-IV beantragen. Obwohl die Arbeitnehmer vollschichtig arbeiten, reicht das verdiente Geld nicht zum Lebensunterhalt. Mit 1,6 Millionen Euro unterstützt das Land darum jetzt Qualifizierungsmaßnahmen speziell für alleinerziehende Eltern. OT (Norbert Bischoff) Das wirklich Wichtigste ist, dass wir vorrangig Alleinerziehende in Arbeit bringen, möglichst auf den ersten Arbeitmarkt und in jeder Familie wenigsten einer Arbeit bringt und der auch auf dem ersten Arbeitsmarkt fest Fuß fasst, also nicht immer wieder diesen Drehtüreffekt hat, was viele Menschen entmutigt. Dass man aus diesem Teufelskreis rauskommt. AUTORIN Aus den prekären Verhältnissen kommen Familien aber nur heraus, wenn den Eltern höhere Löhne gezahlt werden. Firmen, die öffentliche Aufträge erhalten, sollen ihren Mitarbeitern darum künftig den Mindestlohn zahlen, sagt Sozial- und Arbeitsminister Norbert Bischoff. Der SPD-Politiker hofft zudem, dass der drohende Fachkräftemangel Alleinerziehenden die Chance biete, wieder auf dem regulären Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. OT (Norbert Bischoff) Kinder, die erleben, dass ihre Eltern wieder Arbeit haben und nicht im Bett liegen bleiben oder sich schon aufgegeben haben, sondern ein Selbstwertgefühl kriegen, wieder gerne hingehen, das schafft immer familiär eine andere Atmosphäre. Auch für die Kinder selber, die dann eher motiviert werden können, auch selber was zu leisten. Das halten wir noch für den erfolgversprechenden Weg, den man gleichzeitig mit bewältigen kann. ATMO (Kinderwerkstatt Haldensleben) AUTORIN Sandra Reimer spielt mit ihrem kleinen Sohn Leon, wirft ihn in die Luft, der quietscht vergnügt. Zweimal in der Woche besucht die 33-jährige die Kinderwerkstatt des Kinderschutzbundes in Haldensleben. Dort trifft sie andere Mütter mit ganz ähnlichen Problemen. Die 33-jährige alleinerziehende Mutter würde gerne einer Arbeit nachgehen, findet aber keine. Eine Lehre hat sie nicht gemacht, nur einen Förderlehrgang in Hauswirtschaft. Von den Fördermaßnahmen für alleinerziehende Eltern hat sie noch nie etwas bei ihren Besuchen beim Jobcenter gehört. OT (Sandra Reimer) Ich finde zurzeit findet man hier in Sachsen-Anhalt kaum was und wer halt kein Auto hat und auf Bus und Bahn angewiesen ist, der findet hier schlecht halt Arbeit. Ja und ich würde lieber wieder arbeiten gehen als zu Hause bleiben, weil ich das Geld brauche für meine Kinder. AUTORIN Beim nächsten Besuch beim Jobcenter will Sandra Reimer nachhaken und sich nach den Qualifizierungsmaßnahmen speziell für alleinerziehende Eltern erkundigen. Marlies Schünemann steht daneben und hört aufmerksam zu. Sie ist die ehrenamtliche Geschäftsführerin des Vereins in Haldensleben. Das Land gibt schon viel Geld für seine Landeskinder aus, betont die pensionierte Lehrerin und Kreistagsabgeordnete. Von einem Ganztagsanspruch auf einen Kindergartenplatz könnten viele Eltern in den westdeutschen Bundesländern nur träumen. Dafür seien die Kindergärten in Sachsen-Anhalt personell schlechter ausgestattet. Eine Erzieherin ist im Schnitt für zwölf Kindergartenkinder zuständig. OT (Marlies Schünemann) Wenn ich jetzt sehe, wie viele Kinder in ihrer Sprachentwicklung sehr verzögert sind, dann ist das ein Problem auch in den Kindergärten. Einmal die sprachliche Entwicklung, die körperliche Entwicklung, die eigentlich nicht dem Alter entsprechen. Und da braucht man natürlich auch in den Kindergärten einen Personalschlüssel, der noch höher wäre, damit man sich auch ganz individuell mit diesen Problemen auseinandersetzen könnte. AUTORIN Daran aber wird sich in naher Zukunft wohl nichts ändern. Das arme Bundesland Sachsen-Anhalt hat enorme Schulden und muss sparen - auch im Sinne seiner Landeskinder. - ENDE 2 - - ENDE SENDUNG - 1