KULTUR UND GESELLSCHAFT Organisationseinheit : 46 Reihe : Literatur Ko Kostenträger : P 62 300 Titel der Sendung : "Unterwegs mit Pottpoeten" Literatur aus dem Ruhrgebiet Autorin : Sabine Voss Redakteurin : Dorothea Westphal Sendetermin : 01.09.2013 Besetzung : Sprecherin (Kommentar), Zitatorin, Zitator Regie : Beate Ziegs Produktion : O-Töne, Musik Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503- Sabine Voss Unterwegs mit Pottpoeten Literatur aus dem Ruhrgebiet O-Ton 1 Ralf Thenior Ich bin gerne hier, ich lebe gern im Ruhrgebiet, ich kann sagen, ich bin ein bekennender Ruhrgebietsautor. O-Ton 2 Werner Streletz 'N Ruhrpottautor. Nicht, dass das ne große Bestrafung ist, aber das bin ich eben nicht. Das ist einfach nur ne Klarstellung, keine Wertung. O-Ton 3 Matthias Reuter Also ich lass mich gern aufs Ruhrgebiet festlegen, insofern ich halt hierherkomme. Ich hab Ruhrgebietsthemen, aber ich stelle fest halt, dass diese Themen aus dem Ruhrgebiet auch Menschen in anderen Landstrichen interessieren. Also insofern finde ich das jetzt nicht so schlimm. Kann ich nicht drüber klagen. Sprecherin Unterwegs mit Pottpoeten Literatur aus dem Ruhrgebiet Eine Sendung von Sabine Voss O-Ton 4 Katharina Bauer Es ist eigentlich nicht so, dass ich mich bewusst drauf beziehe oder sagen würde, ich will jetzt mal einen Text schreiben, der jetzt mal was mit dem Ruhrgebiet zu tun hat, sondern das ist einfach der Ort, wo ich lebe und wo ich natürlich ganz viel beobachte, sehe und daher natürlich auch den Stoff für meine Texte nehme, einfach mein Lebensraum. Sprecherin Das Ruhrgebiet in der Literatur - das war lange die Welt der Zechenkoloniebewohner, der Parzellenpächter und Taubenzüchter, der Stammkunden an der Seltersbude. Die Geschichten erzählten von Kumpels, die in den Pütt einfahren, von Bergmännern und ihren Frauen, alteingesessen und zugewandert. Bis heute bringt sich das Ruhrgebiet durch Romane, Gedichte und Geschichten zur Sprache. Aber wie? Was macht das gegenwärtige Ruhrgebiet in den Augen von Autoren und Autorinnen aus, die darüber schreiben? O-Ton 5 Katharina Bauer Dortmund ist eine tolle Einkaufstadt, sehr beliebt bei allen Sauerländern. Ich kaufe ganz gerne ein, ich bekenne mich dazu, auch Bücher allerdings. Zitatorin: Voranschlag ich würde die schöne Armbanduhr hergeben mit dem flachen goldenen Gehäuse die drei silbernen Leuchter die kleine chinesische Schale ich gäbe Zweidrittel meiner Bücher die ergonomische Tastatur die gesammelten Postkarten ein oder zwei meiner besten Freunde ich könnte auf neue Schuhe verzichten auf das Auto auf einen Teil der Stille am Nachmittag auf meine schmalen Hüften oder das Licht im September ich könnte dir etwas entgegengehen fürs erste Sprecherin In einem weißen knielangen Sommerkleid und sportlich karierten Tennisschuhen steht Katharina Bauer am Aufgang der U-Bahnstation. Außerdem trägt die Lyrikerin eine riesige Brille mit dunkelgrünem Rand wie ein Bekenntnis: Wenn schon - denn schon. In ihrem Auto geht es nach Dortmund-Hörde, wo sie aufgewachsen ist und immer noch wohnt. O-Ton 6 Katharina Bauer im Auto Als ich geboren wurde, waren die Zechen, ich glaube, schon alle geschlossen. Es gab das Stahlwerk noch in Hörde, daran kann ich mich noch gut erinnern, das ist so meine Kindheitserinnerung, die ich damit verbinde, dass abends..... dieses zweite Abendrot war, wenn die Schlacke abgelassen worden ist und der Himmel noch mal rot glühte. Und dann wurde auch das geschlossen, das hab ich auch sehr intensiv mitbekommen, weil wir vom Fenster unseres Gymnasium aus immer auf dieses Stahlwerk guckten und da diese schwarzen Trauerflaggen darauf wehten und natürlich das für die Leute sehr hart und schwierig war. Aber nichtsdestotrotz, im Grunde genommen, der Pott mit dem Dreck, der da auch sicherlich dazu gehört hat, da hab ich nicht mehr viel von mitbekommen, das muss man einfach so sagen. Die schwarzen Fassaden, die gab's dann schon noch, aber die wurden dann auch alle frisch gestrichen, und ja, da war nicht mehr viel von übrig. Zitatorin: auf den Kuppen der Halde angreifbares Grün junger Birken Abraum und Ewigkeitsschuld Ausblick auf bäuerliche Idylle und Abfallwirtschaft wir sind hier um die Dinge zu ändern wir scheuchen die wilden Kaninchen auf und gehen den Kreuzweg rückwärts am Anfang setzen wir uns in die leere Form ein am Ende bleibt offen wer wen wann auf sich nimmt O-Ton 7 Katharina Bauer (trocken) Ich sage mal, der ideale Ort für eine literarische Karriere ist das hier sicherlich nicht. Also ich bin keine berühmte bekannte Autorin. Mit Lyrik ist es sowieso schwierig, weil die eben wenig gelesen und gekauft wird und man damit auf keinen Fall reich und selten berühmt werden kann. Sprecherin Katharina Bauer ist mit 32 Jahren promoviert, habilitiert sich gerade, und wird dann den Kampf um eine Philosophieprofessur aufnehmen, in einem Betrieb, wo Frauen sich noch durchsetzen müssen. In der Lyrik, überhaupt dem Literaturbetrieb etwas werden zu wollen, stellt sie hintan, das Gedichte-Schreiben ist für sie seit ihrer Kindheit das Stillen eines Bedürfnisses. Sie gibt mit zwei weiteren Dortmunder Lyrikern die Gedichtreihe "Roter Faden" heraus, pflegt den Austausch mit Lyrikern im den benachbarten Niederlanden, veröffentlicht in Zeitschriften und Anthologien. O-Ton 8 Katharina Bauer (trocken) Es gibt diese Zentren, wo ganz viele junge Autoren sind und das hat natürlich auch Vorteile für die literarische Karriere mit Sicherheit. Ich find's aber schade, wenn alle nur noch in Berlin hocken und nur noch die Berliner Eindrücke haben, weil man meines Erachtens genauso gut in Mecklenburg Vorpommern und im Ruhrgebiet und irgendwo in Niederbayern Gedichte schreiben kann und da eben andere Eindrücke aufnimmt und widerspiegeln kann, andere Geschichten zu erzählen hat und ich find's auch schon ganz spannend, wenn's so 'ne Vielfalt gibt und wenn auch manche eher am Rand sitzen und von da aus beobachten, was passiert in der Welt. Zitatorin: Verweisungsganzes im Reformhaus Bacher Uni-Center Bochum Querenburg hat jemand am 08.07.2008 zweimal je 100 g Nirwana-Schokolade zu je 1,99 gekauft und exakt ohne Rückgabe von Wechselgeld bezahlt und die Quittung in der hiesigen Universitätsbibliothek in Heideggers "Zur Sache des Denkens" hinterlegt in der Gesamtausgabe Band 14 in den Seiten von "Zeit und Sein" neben dem Aneinanderreichen von Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart und wenige Seiten weiter wo sich das Ereignis ereignet zeugen Krümel vom erfolgreichen Verzehr Sprecherin Was sich in Dortmund Hörde gerade ereignet, heißt auf der Image-Webseite "Leuchtturmprojekt Phönixsee". Auf dem ehemaligen Stahlwerksareal Phönix-Ost, wo über 150 Jahre Schlote qualmten, Stahl gekocht und Eisen gegossen und gewalzt wurde, hat man einen Flachsee künstlich angelegt, die Ufer zu Hängen aufgeschüttet, so dass hier nun eine angesagte Wohnanlage mit Seeblick entsteht. Eine Uferseite ist bereits fertig. Die Grundstücke sind so begehrt, dass sie verlost werden müssen. O-Ton 9 Katharina Bauer (draußen) Da geht's dann zum Hörder Stadtkern, das ist dann noch so das alte Hörde, da wird dann kräftig saniert teilweise, aber manche Häuser sehen eben noch so aus, wie sie vorher auch aussahen und dann eben hier die ganz schicken neuen Bauten, und dahinter, in die Richtung liegt die Weingartenstraße, wo eben auch viele Türken vor allem auch wohnen, und ganz alte, teilweise verfallene Häuser sind, die jetzt noch mehr verfallen, weil keiner mehr was dran macht und alle hoffen, dass sie vielleicht auch die Mieter raus kriegen, um das teuer zu sanieren und als Gebäude am Phönixsee zu vermarkten, mit Seeblick. ATMO 2 Seeufer Sprecherin Ganz Hörde scheint am Sonntagvormittag auf den Beinen zu sein, flaniert am Seeufer in einer Kulisse, die aussieht wie gemalt. Nur dass die Proportionen nicht stimmen. Der Flachsee ist viel zu klein für das große maritime Ambiente: Hafen, Segelclub, Steganlagen, Liegewiese - alles ist so hochambitioniert wie der ganze Traum vom Wohnen am See. O-Ton 10 Katharina Bauer draußen Ich bin mir selber auch noch nicht so ganz sicher, wie ich's finde. Also ich gehe hier auch ganz gerne spazieren, tatsächlich, einfach, weil man so ne nette Runde drehen kann, irgendwie auch nen schönen Ausblick hat. Also ich mag diesen sehr klaren Bauhausstil, den manche von den Häusern haben, ganz gerne, wobei ich es auch seltsam finden, dass die alle sich am Seeufer drängeln, eigentlich gehören die auf so'n grünen Hügel irgendwo, würde ich mir so vorstellen, Und man kann auch in diese Häuser, sehr moderne Häuser, reingucken, und man hat auch das Gefühl, viele haben es ganz gerne, dass man sieht, wie schick sie da jetzt wohnen. Wie gesagt, spannend finde ich es vor allem, weil sich hier die Menschen so vermischen. Sprecherin Die alteingesessenen Hörder nutzen einerseits den See als Naherholungsgebiet und befürchten andererseits, dass durch die Ansiedlung höherer Einkommensschichten das Mietniveau auch im Ortskern steigen wird. Katharina Bauer kennt eine Grundschullehrerin, die gerade den Wandel ihrer Schülerschaft erlebt. Früher waren es die Kinder der Arbeiter im Stahlwerk Phönix Ost, die auf die Weingartengrundschule gingen, jetzt schicken die Eigenheimbewohner am Phönixsee ihren Nachwuchs dorthin. O-Ton 11 Katharina Bauer Es ist halt ein ganz ganz starkes Nord-Süd-Gefälle - ich weiß nicht, ich glaub, in der Nordstadt war ich zum ersten Mal mit 16 oder so! Vielleicht wars auch ein bisschen früher, vielleicht ist es jetzt etwas übertrieben, aber da geht man dann auch nicht hin. Hinterm Bahnhof ist Schluss, irgendwie. REGIE MUSIK H. Grönemeyer Sprecherin Armutsforscher nennen den Ruhrschnellweg - die oft verstopfte Verkehrstangente von Ost nach West - auch den "Armutsäquator" des Ruhrgebiets: Nördlich herrscht Armut, südlich ist man relativ reich. Der Dortmunder Hauptbahnhof liegt mitten auf der Grenze. Zitator: Trinkhalle, nachts Er hat am längsten offen, bis halb eins, eins manchmal. Die am längsten offene Trinkhalle im Umkreis von fünf Straßen. Der Inder ist Tamile. Er schläft in seiner Kleidung auf einer Pritsche im Hinterraum. Wenn jemand klingelt, steht er auf, geht nach vorn und öffnet das Fenster. - Ja, bitte? - Haben Sie Hundefutter oder Katzenfutter? Die dürre junge Frau streicht nervös durch ihr Haar. - Hund oder Katze? - Eigentlich Katze. - Habe ich, sagt der Tamile. - Dann Katzenfutter. Und während sie nach Hause geht, um sich eine Dose Essen warm zu machen, legt er sich wieder auf die Pritsche, um von einem kleinen Marktstand in Pondicherry an der Coromandelküste zu träumen. O-Ton 15 Ralf Thenior Ich denke mal, in hundertfünfzig Jahren sieht das Ruhrgebiet so aus, wie die Dortmunder Nordstadt jetzt aussieht. Sprecherin Ralf Thenior, "bekennender Ruhrgebietsautor" mit norddeutschen Wurzeln und intensiver Bewohner und Chronist seines Viertels. O-Ton 16 Ralf Thenior Die Nordstadt ist so multikulturell, dass man 178 Nationen, Sprachen und Kulturen hier gezählt hat - das können inzwischen schon mehr sein, wenn man bedenkt, dass jetzt Schwarzafrika hier rüber kommt, also zunehmend. Es hat immer wieder so Wellen gegeben von Einwanderungen. Eine Zeitlang, habe ich gesehen, sind es Ost- Asiaten gewesen, Südost-Asiaten, die hier Fuß gefasst haben, und in den letzten Jahren sind es zunehmend Schwarz-Afrikaner, die hierher kommen. Und dann natürlich alle anderen, die schon lange hier sind, wie die Türken, die Italiener, die Griechen, die Portugiesen, die Spanier usw. Zitator: Eine Herde Männertreu, blaue Gesichtchen, weiße Augen, tobt auf die Glockenblume zu, die ihre letzten müden Blüten in Richtung Sonnenaufgang streckt, nicht ahnend, was hinter ihrem Rücken geschieht. Der Heliotrop, ein Flop, zwei Euro und schon braun, die Blüten total trocken, bis auf zwei, drei violette Sprenkel, die kaum noch duften, eine eingenommene Festung. Diese Blumenkastenspätsommerschlacht wird auf dem Balkon der Schmittulas geschlagen, woran die Besitzer zur Zeit keine Freude haben, weil sie vierzehn Tage in Antalya weilen. Gegenüber bei den Özdemirs stehen auf dem Balkon Pappdeckel von gekauften Elektroprodukten an der Wand und mit Undefinierbarem gefüllte Plastiktüten. Türken mögen keine Balkonpflanzen, vielleicht weil sie es einfach blöde finden, sich Gestrüpp vor den Gitterbalkon zu hängen. Sprecherin Auf Ralf Theniors Balkon stehen mit Wasser gefüllte Plastikschüsseln auf einem nah an die Blumenkästen gerückten Tisch. Darin saugen sich Stoffstreifen voll, die mit dem anderen Ende in der Erde zwischen den üppig blühenden Pflanzen verschwinden. Das Ganze dient als Bewässerungssystem für den Fall, dass der Autor mal wieder unterwegs ist und keinen zum Blumengießen hat. Gerade erst ist er von der Sommerakademie aus Münster zurückgekehrt, wo er eine Schreibwerkstatt geleitet hat. Jetzt muss das deutsch-türkische Literatur-Festival Merhaba-Heimat vorbereitet werden. Zuletzt hatte ein Romanautor aus der Südost-Türkei in Dortmund residiert, und Ralf Thenior ist im Gegenzug nach Batman gefahren. Besonders den Balkan liebt er - wie das Ruhrgebiet. O-Ton Ralf 17 Thenior Ich bin kein Stubenhocker oder so, und irgendwann kriegt man doch Scheuklappen auch, wenn man sich nur im selben Areal bewegt, selbst mit der Welt sozusagen vor der Tür, und habe auch Überdruss, weil alles geregelt ist, weil alles glatt ist, weil alles gut geht, und weil jede Verabredungen vorher getroffen werden muss, es gibt also kaum noch etwas Spontanes hier - und wenn man auf den Balkan kommt, ist es anders, da ist plötzlich der Tag nicht mehr zu planen, weil die Termine nicht mehr eingehalten werden, weil alles sowieso anders kommt, als man will, sowieso geht überhaupt nicht, nichts geht, nein, ne rabotti, nichts geht, und dann plötzlich geht trotzdem alles, dass find ich ganz wunderbar. Sprecherin Sein Notizbuch hat er immer dabei, auch hier im Dortmunder Norden, dem Synonym für Armutsmigration: Nahkauf neben Second-Hand-Gewerbe, arabische Trödler, die im Ladeneingang stehen und Schwätzchen halten, türkische Ghettojungs mit Kapuzenpullover und Bierbüchse in der Hand, Imbisse, im Sommer einfach nach draußen verlegt, indem man kurzerhand Tische und Stühle auf den Bürgersteig stellt. Hier schnappt Ralf Thenior die Momente für seine "Minutengeschichten" und Gedichte auf. Auch die Großstadtnatur spielt in seinen Texten eine immer größere Rolle, da sich der Autor jetzt im Alter einen Schrebergarten zugelegt hat. O-Ton 18 Ralf Thenior Geräusch Eisenstangenschloss Darüber hab ich anfangs gegrinst, diese sogenannte Fort-Knox-mäßige Befestigung des Ganzen, abblenden weiter als ATMO : aber inzwischen, es gibt sehr viel Vandalismus immer wieder, es ist sehr gut, wenn die Hütte so ein bisschen fester ist und man da nicht so leicht reinkommt. So, jetzt sind wir also drin, aber wir setzen uns nach draußen, ne? .... Sprecherin Der Autor hat einen Rucksack für die Gemüseernte mitgebracht - Bohnen und Zuckerschoten tragen gut und müssen "durchgepflückt" werden. Zuerst aber macht er eine Plastiktischdecke mit Klammern fest, kocht schwarzen Tee, dazu gibt es Pflaumenkuchen mit Sahne. Weil in der Kleingartenkolonie "Hafenwiese" Bäume nur bis zu einer bestimmten Höhe geduldet werden, muss Ralf Thenior leider bald seine Weide umhauen. Im Hintergrund ragen Kräne des Dortmunder Hafens auf, die "Laufkatzen" heißen, sich auf Schienen bewegen und die Binnenschiffe mit Frachtgut beladen. O-Ton 19 Ralf Thenior Das ist der größte Kanalhafen Europas - die sind ja hier sehr mit Superlativen hier im Ruhrgebiet immer am Start, ne, und von daher "der größte Kanalhafen Europas". Das gefällt mir gut, das find ich richtig klasse, dass sozusagen die Naturidylle und die Industriekultur ineinander übergehen, in diesem Falle ganz extrem natürlich hier. Weil sonst, wenn man nur Idylle hat, dann denkt man, die Welt ist so, und das ist ja nicht der Fall. (lacht) Regie Musik ATMO 3 Zug - Bahnhof - Lautsprecherdurchsage: "Bochum Hauptbahnhof" Sprecherin Seit langem schon hatte der Kieler Feridun Zaimoglu, deutscher Autor mit türkischen Wurzeln, das Ruhrgebiet für sich entdeckt und wollte darüber schreiben. Auf der Suche nach Spielorten für seinen Roman "Ruß" fuhr er mit U- und S- und Regionalbahn kreuz und quer durchs Revier, ließ sich einfach treiben. O-Ton 20 Feridun Zaimoglu In den meisten Romanen von mir sind es eben Nicht-Bürgerliche oder Unbürgerliche, das sind die Protagonisten, die Heldinnen und Helden. Insofern brauchte ich auch keinen Übersetzer. Genau auf diese Menschen stieß ich bei meinen Erkundungen , die einfachen Menschen des Volkes. Mit denen habe ich gesprochen bzw. ich stand auf einem Platz oder vor einer Bäckerei oder auf einer Terrasse oder ich war müde vom vielen Laufen und habe mich dann auf eine Parkbank gesetzt, und es war dann so, als wär dann schnell mal aus dem Boden ein Mensch hochgewachsen - und übrigens hat man sich die Menschen dort, damit kein Missverständnis entsteht, nicht vorzustellen als fidele Kumpels. Man tritt heran und haut ihnen auf die Schulter und sofort sind sie quietschvergnügt, so ist es nicht. Man muss sich zu benehmen wissen. Sprecherin Renz ist Arbeitersohn aus Duisburg und gelernter Mediziner. Über den Tod seiner Frau, die in der gemeinsamen Wohnung ermordet wurde, kommt er nicht hinweg. Ihre Urne bewahrt er sorgsam auf. Jeden Morgen steckt er einen Finger in die Asche, leckt daran, schmeckt und schluckt. Er malt Bilder aus Ruß, ansonsten hilft er seinem Schwiegervater in dessen Kiosk. Dann erfährt er, dass der Mörder seiner Frau aus dem Gefängnis entlassen werden soll und gerät in den Sog von Ereignissen, die er nicht wirklich überblickt. Renz muss fliehen, die Kellnerin Marja gibt ihm Unterschlupf in Bochum. Zitator: Sie verließen das Haus. Bei jedem zweiten Schritt ging Renz durch die stehende Atemwolke vor seinem Mund. Die Kälte konnte den Frauen nichts anhaben, er sah Frühlingsmädchen, die beim Italiener gepfefferte Erdbeeren aßen, vom Löffel mit langem Stil in ihrer Hand tropfte roter Saft. Dieses Bild würde er malen. Es roch streng in einer Straße, eine alte Dame kippte einen vollen Aschenkübel aus, gebrauchte Katzenstreu verteilte sich auf dem vereisten Gehweg. Der Stadt waren Salz und Granulat ausgegangen, die Bürger durften Tiermist streuen. Ehrenfelder Damen kamen ihnen entgegen, Henkeltasche, schwarze Ballerinas mit Goldspange auf dem Spann, Rocknadel in der Mitte zwischen Gürtellinie und Knie, Perle am Ohr. Marja erzählte von diesen einstigen Arbeiterfrauen, viele Jahre nach dem Krieg hätten sie ihre Haare immer noch nach der einstigen Entwarnungsfrisur der Trümmertage gebürstet, Lockentuff am Vorderkopf, Seiten- und Nackenhaar in Rollen oben am Kopf befestigt. O-Ton 21 Feridun Zaimoglu Ich glaube, das Alte ist vergangen, das wissen auch die Alten, nur was ist denn jetzt neu entstanden? Ich bin da durch die Gegenden gestreift und habe sogenannte Industriekultur gesehen, Industrieparkanlagen, und da konnte man Bergarbeiterseife kaufen, schwarze Seife, da konnte man Bierdeckel kaufen und T-Shirts und allerlei Plunder. Man muss vom Pfad abkommen. Man muss das Ausgestellte verlassen, gut, jetzt geh ich mal diese Straße, jetzt bieg ich hier mal ab, kann man tatsächlich noch Ruß von der Fassade mit dem Finger abstreifen. O-Ton 22 Werner Streletz Background für meine Texte ist halt nicht diese Industriekultur, dieses Aufgeräumte, Saubere. Sondern das ist tatsächlich der Dreck, der Schmutz und das Gebrochene, Kaputte. So wie alles, was beschädigt ist, kaputt ist, einen ungleich größeren Reiz ausübt als so Glitzerpaläste. Sprecherin Werner Streletz, Romanautor aus Bochum, profunder Kenner der Region O-Ton 23 Werner Streletz Deshalb würde ich mit dir auch gerne zum Westpark fahren, weil der ist schon so aufgeräumt, da ist schon nicht mehr viel von dem, was ich meine. Da ist nur noch, was der Bürger beim Spazierengehen toleriert. Sprecherin Der Bochumer Westpark ist ein Landschaftspark auf einer Industriebrache. Schlacken, Abfälle der Hüttenindustrie bilden den Untergrund für seine bewegte Topographie auf verschiedenen Niveaus. Zwar ist die Industrieanlage weitestgehend abgerissen, aber der Park macht Anspielungen darauf: Ein Teich ist mit einem Betonrand eingefasst und in eine rechteckige Bassinform gebracht, nichtsdestotrotz schwimmen darauf Seerosen. Mächtige Stahlplatten rahmen rechts und links eine Steintreppe ein. O-Ton 24 Werner Streletz Klopft laut dran Also wenn ich das richtig sehe, ist das Cortenstahl. Dieser Cortenstahl hat den Vorteil, dass er rostet, aber nicht durchrostet. Ich weiß nicht, ob Dir der Name Richard Serra was sagt - ja, ich könnte Dir ne Menge beibringen - abblenden, weiter als ATMO ... und dessen Roststahlplastik, das "Terminal", das steht hier bei uns am Hauptbahnhof, ist eine zentrale Skulptur auch seines Schaffens..... Sprecherin Werner Streletz war Zeit seines Lebens Kulturredakteur bei der WAZ, der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, kein "Sitzredakteur" wie er süffisant sagt, sondern als Kulturberichterstatter viel unterwegs im Ruhrgebiet. Zu lernen ist: Die "Jahrhunderthalle" im Zentrum des Parks war einmal eine Gebläsehalle für Hochöfen, ihr mächtiges Hauptschiff ist über 60 Meter lang und jetzt Veranstaltungsort der Ruhrtriennale, ein Kunstfest, das jährlich stattfindet und deshalb so heißt, weil alle drei Jahre der Intendant wechselt . O-Ton 25 Werner Streletz Siehst du, und bei diesen Aufgängen wird das Motiv der Roststahlplatten wieder aufgenommen. Und das find ich eben gut, das ist schon ziemlich klar, was damit gesagt wird. Wir stehen zu dieser Ästhetik! Das unterscheidet sich von Salzburg ganz erheblich. Das find ich dann wieder klasse, dass das Ruhrgebiet ein Festival hat, das ganz sicher von der Qualität her mit Wien oder mit Salzburg konkurrieren kann, aber in welcher Umgebung! Das ist nicht so ne feine Festivalhalle hier. Zitator: Massive Eisenträger ragen aus einem Betonklotz. Wolf Hasso ist völlig unklar, wozu der einmal gedient haben könnte. Ein kompakter Würfel mitten in der Landschaft. Irgendeine gewaltige Kraft hat die einzelnen Eisenträger nach außen gebogen, so dass sie an die Form einer stählernen Blüte erinnern. Vor Wolf Hasso erhebt sich das ehemalige Stahlwerk mit seinen Kesseln und Rohren, den eisernen Gerüsten und dem stämmigen Zylinder des gewaltigen Gasometers. Sprecherin Mit einem Showdown in der kolossalen Kulisse einer aufgelassenen Industrieanalage endet Werner Streletz' Roman "Kiosk kaputt". Zwei Männer, verloren klein, jagen einander über freiliegende Eisentreppen, durch ein Labyrinth von Gleisen, Tunnels und Rohren, die sich umeinander winden wie rostige Schlangen um das gewaltige Haupt der Medusa. Es ist ein Zweikampf auf Leben und Tod. Auf der Betonplatte eines Turms, in dreißig Meter Höhe, dann das Finale. O-Ton 26 Werner Streletz (im Auto) Wir sind die letzte Generation, die auch dieses alte Ruhrgebiet noch in Funktion erlebt hat. Unsere Eltern und auch Verwandten waren damit noch richtig verbunden, haben da zum Teil in der Montanindustrie noch gearbeitet. Und wir sind dem entwachsen und sind jetzt eigentlich auch Teil dieses anderen Ruhrgebiets, dass damit logischerweise nichts mehr zu tun hat. Vielleicht ist das ja auch die spannende Zeit, diese Übergangszeit. Das Cliché ist einfach ein Cliché, dieses dreckige Malocherruhrgebiet, okay, das ist weg, das gibt's nicht mehr, gehört aber zu uns, speziell zu unserem Selbstverständnis und zu unserer Mentalität. Sprecherin Seine Großmutter sprach noch polnisch - polnische Wurzeln gehören zu einer klassischen Ruhrgebietsbiographie. Werner Streletz wuchs im Bottrop der 50er Jahre auf, seine Kindheit ist ein Fundus, auf den er immer wieder zugreift, um seine Geschichten mit Details auszustatten. Seit seiner Pensionierung sind in rascher Folge drei Romane entstanden, ein vierter ist in Arbeit, der erste, der nicht im Ruhrgebiet spielt. Für "Kiosk kaputt" erhielt Werner Streletz den "Literaturpreis Ruhr". Und dennoch: O-Ton 27 Werner Streletz (im Auto) Ich bin alles andere als ein Herold des Ruhrgebiets, sondern reagiere als Person auf das Ruhrgebiet. Die Macken, die in meinen Büchern die Personen haben, das sind weniger die Macken des Ruhrgebietsbewohners, sondern das sind meine Macken, und wen ich da beschreibe, ist eigentlich nicht der Ruhrgebietsmensch sondern der Außenseiter in diesem Ruhrgebiet. Die Geschichten, die ich da erzähle, könnte auch woanders spielen, aber sie würden da ganz anders klingen. und das ist das, was mir die Sache so spannend macht, hier im Ruhrgebiet zu bleiben, diese Umgebung zu haben, immer als Bühnenbild, sagen wir mal, und da wieder son armes Hansel da rein zu setzen, mit all diesen Macken und all diesen Unsicherheiten und all diesen psychischen Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten und dann den hier durch diese Gegend laufen zu lassen, dass find ich ne spannende Sache. ATMO So, also ich wohn jetzt hier. (Türenschlagen, etc. abblenden) Sprecherin Der tödliche Zweikampf in der Industrieruine beginnt so: Im Auftrag seiner Firma kehrt Wolf Hasso in seine Heimatstadt im Ruhrgebiet zurück, um Baugrund für den neuen Firmensitz zu akquirieren. Auf einem von ihm ins Auge gefassten Grundstück steht ein Kiosk im Weg, und es stellt sich heraus, dass die Pächter die beiden Danis sind, Nachbarsjungen aus Kindertagen, damals seine Erzrivalen. Während sich Wolf Hasso aus seinem Milieu gelöst hat, betreiben die beiden Brüder im Kiosk ihre spärliche Existenz. O-Ton 28 Werner Streletz (trocken) Die hießen in Wirklichkeit Danischewski. Und das waren zwei Brüder, auf dem Weg zur Schule haben die mich verprügelt, die beiden. Das war aber eine Zeit, wenn du das deiner Mutter gesagt hast, ja, ich werd mal mit den Eltern sprechen, es hat sich eigentlich nicht viel dran geändert. Ich bin dann - steht das nicht auch im Roman drin? - so hinter der Schule abgehauen, durch die Wiesen, nur um diese Straße nicht hochzugehen. Und wenn du so willst, der ganze Roman ist eine Rache meinerseits an diesen beiden Brüdern. Zitator: Als wolle er mit dem Messer nachprüfen, ob ein Brathähnchen schon gut durch ist, setzte Paul die Klinge mal hierhin, mal dorthin, und drückte die Spitze fest hinein: nahe beim Herzen, zwischen die Rippen und in die Magengegend. Wie um zu erkunden, an welcher Stelle er den entscheidenden Schnitt oder Stich ansetzen sollte. Dabei verzerrte Paul das Gesicht zu einer Miene, als sei alles Gehirn aus seinem Kopf auf der Flucht. Der Knebel rutschte noch tiefer in Wolf Hassos Schlund. Schnaufend zog er die Luft durch die Nase in die Lunge, warf seinen gefesselten Körper in der Regenbrühe auf dem Boden der Lore hin und her. Das Wasser spritzte seitwärts hoch. Paul stutzte. Die Blödheit in seinem Gesicht wandelte sich zu einem diabolischen Grinsen. "Du brauchst Luft, nicht wahr, sonst kackst du hier ab?", sagte Paul mit seltsam nachdenklicher Stimme. O-Ton 29 Streletz Er kommt zurück und kann uns den Kiosk wegnehmen, will uns erniedrigen, will uns fertig machen. Der ist jetzt was Bessres, jetzt kriegen wir in die Fresse. Hätten die drei ein Vertrauensverhältnis, dann würde man sagen, Mensch, glaub mir doch, ich will euch da nichts Böses mehr. Dass er ihnen nicht deutlich machen kann, das spielt für mich keine Rolle mehr. Eigentlich ist es das Zusammentreffen von drei Beschädigten, alle drei. Und das ist natürlich eine Konstellation, die mir gefällt, ohne Sieger, nur Verlierer. Sprecherin Dass sich der Machtkampf ausgerechnet an einem Kiosk neu entzündet, einer Institution des Ruhrgebiets, daran habe er, sagt Werner Streletz, beim Schreiben gar nicht gedacht. Die meisten der zahllosen Buden sind kleine Verkaufsräume im Parterre eines Mietshauses, verkauft wird durch das geöffnete Fenster. Hier zischten die Stahl- und Bergarbeiter vor oder nach der Schicht ihr Bierchen, hier konnte man etwas "auf Kucki kaufen", also anschreiben lassen, wenn der Lohn nicht reichte, und für die Gören gab es "Bömmsken" und Eis. Auch Feridun Zaimoglu hat für seine Hauptfigur in "Ruß" ein Leben als Kioskbetreiber erdacht. Seit dem Mord seiner Frau, hat Renz seinen Arztberuf an den Nagel gehängt und sich dem Suff ergeben. Indem er jedoch Budenmann wird, schafft er es irgendwie, Anker zu werfen. O-Ton 30 Feridun Zaimoglu Es mag ein Cliché sein, manche Clichés sind aber wahr. Und das ändert auch nichts an der Tatsache, dass man das Wahre als Cliché benennt. Es ist so, und das wird eine lange Zeit so bleiben. Und deswegen habe ich mich für diesen Platz und für diesen Kiosk entschieden, Seltershäuschen, Trinkhalle, Kiosk. Es hat 'was mit der Figur zu tun, mit Renz zu tun. Es hat was damit zu tun, dass sein Schwiegervater ihn rettet, weil er will sich ja tot saufen - und das passte alles, es passte für mich, es war stimmig. Und selbstverständlich, was ist denn das Ruhrgebiet, jetzt kommt das Cliché, aber es ist wahr, ohne Seltershäuschen, verdammt noch mal. Zitator: Renz wischte sich den Traum aus den Augen, stellt die Zinkkübel auf das dünne Holzbrett vor dem Verkaufstresen, an den Glasscherben fing sich das bisschen Licht, die Scherben funkelten in den Farben des kalten Herbsttages. Er ging wieder hinein, trank den Kaffee aus, setzte sich auf den Hocker, hüllte sich in die Decke ein. Und dann kam Kullu im weißen Zopfstrickpulli. Nieten an den beiden vorderen Hosentaschen und kleine, in den Stoff eingestochene Bügel, sie sahen aus wie Rouladenklammern. Er rasierte sich, wie er einmal verkündet hatte, seit zwei Monaten selektiv, die Bartleisten setzten unter den Nasenlöchern auf der Oberlippe an und zogen sich einen Fingerbreit neben den Mundwinkeln bis zum Hals. Die Leisten trimmte er auf die richtige Länge und den Rest des Gesichts schabte er von Stoppeln frei. Kullus erster Satz an der Sichtluke der Bude: Schnee gehört auf Postkarten. Versteh ich, sagte Renz. O-Ton 31 Matthias Reuter Klar, also ich steh auch gelegentlich an der Bude und trink ein Bier, aber nicht den ganzen Tag. Man muss wahrscheinlich sagen, wie wahrscheinlich überall ist es so, dass die Menschen nicht zu hundert Prozent ihren Clichés entsprechen. Es gibt auch eine Riesenwelt außerhalb dieser Clichés. Sprecherin Matthias Reuter, Klavierspieler und satirischer Autor - oder anders gesagt: O-Ton 32 Matthias Reuter Ein musizierender und Geschichten schreibender Kabarettfritze. Ich mach halt Musik und sage Texte auf. Sprecherin Wer bei Kabarett aus dem Ruhrgebiet an Jürgen von Manger und seine Tegtmeier- Sketche denkt - also an Taubenzüchter mit Schiebermütze und gutturalem Ruhrpott- Slang - hat leider den Anschluss an die junge Kabarettszene verpasst, meint Matthias Reuter, Jahrgang '76. O-Ton 33 Matthias Reuter Ich vermute mal, die Ursauerländer, sprechen auch gravierend anders als die Nachkommen der Ursauerländer, und so ähnlich ist es im Ruhrgebiet auch. Also es spricht zum Beispiel kein Mensch mehr so (markiert), kein Mensch mehr. So, weiß ich nicht: Wo kommse wech. Zitator: Sowas steht alles im "Lexikon der Ruhrgebietssprache". Das weiß aber in Oberhausen keiner. Dieses, ichsachma, Nachschlagewerk wird nämlich ausschließlich an Touristen verkauft, die dann nach Oberhausen kommen und mit den Leuten sprechen wollen. Aber zurück nach Leer. Ich betrete den Veranstaltungsort, ein schönes ehemaliges Zollhaus in der Nähe des Hauptbahnhofs. "Und? Wo komms Du wech?", fragt mich die ostfriesische Veranstalterin an der Theke. Ich sage: "Guten Tag." "Hasse Bohnen inne Kellen?", sagt sie. "Wo kommse wech?" 1 A. Sie hat auch das Lexikon gekauft. Ich sage: "Ich kann Sie nicht verstehen. Sind Sie krank?" Sie hält mich für einen Hochstapler. "Ich dachte, Du kommst aus dem Ruhrgebiet." Ich beschließe, Ihr einen Gefallen zu tun und mitzumachen. "Jawollo. Ein Pilsken bitte. Bin von Oberhausen wech und hier in Leer auffe Vorlese- Maloche. Mannmannmann. Na, dann zeig mir ma die Fotzmolle." Sie sieht mich angewidert an. Offenbar hat sie nicht das komplette Lexikon gelesen. "Bitte?" "Na, das Bett - wo bin ich denn heute Nacht untergebracht?" O-Ton 34 Matthias Reuter Ich glaube ja, dass es ein reges Kulturleben gibt, ist ja auch darauf zurück zu führen, dass in vielen Fabriken nicht mehr gearbeitet wird. Denn es ist ja tatsächlich Folgendes passiert: Es wurde ja aus vielen - ja, nehmen wir mal Zechen, als Beispiel - alles, was mit Arbeit zu tun hat, irgendwie herausgeräumt, und die entstehenden Freiräume wurden dann mit Komikern wie mir aufgefüllt. Insofern ist man als jemand, der hier im Ruhrgebiet Klavier spielt, auch dankbar dafür, dass es viele Möglichkeiten gibt, mit seinem Programm aufzutreten, und dass es eine gewisse Hinwendung zur Kultur gegeben hat. Sprecherin Im Moment ist Sommerpause in den vielen großen und kleinen Kabaretttheatern des Ruhrgebiets, im Oberhausener Ebertbad, im Bochumer Bahnhof Langendreer, im Mühlheimer Ringlokschuppen, in der Dinslakener Stadtbibliothek. Matthias Reuter bespielt mit seinem Soloprogramm das gesamte Revier genauso wie das Bundesgebiet, betreibt eine eigene Lesebühne in Düsseldorf, mischt in der Poetry- Slam-Szene mit. O-Ton 35 Matthias Reuter Ich sammel bei meinen Auftritten hier - aus Spaß, aber es kommt tatsächlich auch was rum - für den Kaisergarten, also für den Zoo hier. Also ich bin der Patenonkel zweier Hühner. Eines Brahma-Huhns mit dem Namen Alfred und eines Sumatra Kampfhuhns mit dem Namen Pauline. Und da verhält es sich tatsächlich auch so wie bei richtigen Patenkindern: Wenn die Eltern der Hühner irgendwann bei einem Autounfall ums Leben kommen, dann wohnen die bei mir. Sprecherin Bei seiner letzten Performance saß er auf einem kleinen lila Klapprad, hatte am Lenker ein Klemmbrett befestigt, vor dem Mund ein Funkmikrofon und fuhr solange um den Oberhausener Stadtteich herum, bis er seinen Text fertig gelesen hatte. Das Publikum saß derweil in Liegestühlen und trank Bier, und wer wollte, durfte spenden ATMO 4 Tierpark Sprecherin Die Kampf-Hähne im Oberhausener Kaisergarten sehen eher wie auf Schönheit getrimmte Schauathleten aus. Im Unterschied zum gewöhnlichen Hofhahn, laufen sie nicht auf nackten Beinen sondern in Hosen aus bunten Federn herum. O-Ton 36 Matthias Reuter Hier zum Beispiel ein Brahma-Hahn, die haben die Federn so über die Füße, ähnlich wie in den 60er, 70er Schlaghosen. Eines dieser drei Hühner könnte mein Patenhahn Alfred sein. Denn so sieht der aus. Sprecherin Nebenan fließt der Rhein-Herne-Kanal. Darüber spannt sich eine Fußgänger- und Fahrradbrücke wie eine Metallschraubenfeder. Diese Brücke ist "Emscherkunst", so hieß ein Projekt im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr.2010. O-Ton 37 Matthias Reuter Es ist ja schön im Ruhrgebiet, und vielleicht kann man das auch so ein bisschen gelegentlich erwähnen. Ich glaube ja, dass es für jemanden aus, nehmen wir mal Baden-Württemberg, interessant ist, das Ruhrgebiet zu besuchen und hier mal ne Woche zu bleiben. Ich finde, von der Halde Haniel aus sieht mehr sehr gut, wie viel Grün doch zu erblicken ist im Ruhrgebiet. Man hat einen wunderbaren Ausblick über Teile des Ruhrgebiets und alle Leute, die ich da bisher hochgeführt habe, haben gesagt, Mensch ich hatte mir nicht vorgestellt, dass es hier so grün ist. Regie Ruhrgebietssong von Matthias Reuter O-Ton 38 Feridun Zaimoglu Ausblicke, natürlich war ich auf Halden. Halden sind ja Hügel bestehend aus Schrott, Müll und Aushub. Und wenn man sich das vergegenwärtigt, dann wird einem auch sowieso komisch. Wohin mit dem Müll, wohin mit dem Industriemüll. Man hat künstliche Ausgucke geschaffen und dann trampelt man da rum und schaut nach Westen, in den Osten, hab ich gemacht, ich fand aber auch nichts daran und bin dann wieder weggegangen. Ich hatte immer die Vorstellung, man müsste sich jetzt ein paar Jahre nicht drum kümmern und dann würde die Natur einziehen dort. Sprecherin Das Ruhrgebiet von oben präsentiert sich als eine Industrielandschaft, aus der Kamine, Schlote, Silos, Kessel und Türme ragen. Bullig gemauerte Fördertürme, Kühl- und Wasser- und Kirchtürme, aber auch surrealistisch wirkende riesenhafte silberne Ostereier, die Faultürme heißen, oder gigantische wie Kochtöpfe aussehende Gebilde auf Stahlstelzen. Auch das berühmte "Centro" ist vom Oberhausener Gasometer aus zu sehen, eine aus dem Boden gestampfte Shopping- Mall, die für alle weiteren deutschen Einkaufs-Arkaden Pate stand. Auch für deren Effekt: Die Verödung der Innenstädte. O-Ton 39 Eva Kurowski Das ist überhaupt ein erstaunlicher Trend, dass man sich hier im Ruhrgebiet auf einmal alles schön redet, es wäre so grün alles. Es ist einfach von Autobahnen durchflochten, und egal wo man ist, man hört immer dieses Rauschen. Sprecherin Eva Kurowski, gebürtige Oberhausenerin, Jazzsängerin O-Ton 40 Eva Kurowski Und sagen wir mal, dieser Strukturwandel ist irgendwo ja auch traurig. Das Centro wurde gebaut, die Innenstadt ist kaputt gegangen, Leerstand überall. Strukturwandel (lacht): Viel Platz, um Strukturen zu wandeln. Kein Mensch weiß, was da rein soll. Die Leute machen jetzt komische Berufe hier, jeder verkauft dem anderen ein Handy, sitzt im Callcenter - okay, die Luft ist ein bisschen besser geworden, das stimmt. Sprecherin "Gott schmiert keine Stullen" heißt das autobiografische Buch über ihre Kindheit im Ruhrgebiet der 60er und 70er Jahre. Darin lässt Eva Kurowski den alten Ruhrpott noch einmal auferstehen. Oberhausen war ein Ort, wo Mütter zu ihren Kindern sagten, geh mal an die frische Luft, und wo einmal tief einzuatmen wie ein Zug aus einer Rothändle war. Die Oberhausener Frauen versuchten sich weg von hier zu träumen, gaben ihren Kindern Schlagernamen, Anita, Gaby, Anabell, die alle "Krupp-Husten" hatten. Jedes Kind im Kohlenpott konnte aus dem Effeff einen Asthmaanfall markieren, um nicht in die Schule gehen zu müssen. O-Ton 41 Eva Kurowski Ich versuch schon, das Kind beim Namen zu nennen, aber es gibt eben auch Erinnerungen, die scheinen schön zu sein, wie zum Beispiel dass man aufm Zechengelände mit nem gebrauchten Pariser Fußball spielt oder so, aber es ist verklärt, es ist nicht wirklich schön. Viele Sachen habe ich in dem Buch aber dann auch einfach so gelassen, obwohl sie anders waren, habe ich so gelassen, weil das war meine subjektive Wahrnehmung und fertig. Zitatorin: (S. 15) ((Der Dreck zog gerechterweise gleichmäßig über das gesamte Ruhrgebiet, und so mussten auch die reichen Industriellen an der Ruhr die krebserregenden Partikel einatmen. Trotzdem hielten sich die Essener für die Besseren, mit ihrem Stadtwald, der Universität, der Folkwangschule, dem Grugapark und der Ruhr, Schlösschen hier, Schlösschen da ... Dabei sah es in den Wohnvierteln der normalen Leute genauso dreckig aus wie in den anderen Städten auch. Ehrlicher waren da die Duisburger, die hatten ihre Dreckschleudern mitten in der Stadt stehen wie die Oberhausener auch.)) Oberhausen liegt zwar mitten im Ruhrgebiet, hat aber überhaupt keine Ruhr. Stattdessen haben die Oberhausener den gradlinigen Rhein-Herne-Kanal mit der parallel daneben fließenden und unwahrscheinlich stinkenden Emscher anzubieten. Wir sagten Köttelbecken, und das stimmte sogar. Die gesamten Fäkalien des Ruhrgebiets flossen als zähflüssige Masse hinein. Möwen flogen über das Köttelbecken und pickten etwas aus der dampfenden Brühe heraus. Möwen im Fäkalnebel. Eine ehrliche Romantik. Auf dem Kanal wurde ununterbrochen Kohle und die nach Teer stinkende Schlacke verschifft. O-Ton 42 Eva Kurowski Es gibt im Ruhrgebiet auch die Ruhrbarone, aber die haben nicht in diesem Viertel gelebt, wo mein Vater die Miete bezahlen konnte. Die Leute waren sehr ruppig miteinander, im Umgang, in der Sprache, das ist dann diese Herzlichkeit, von der immer alle reden im Revier, aber es war aber auch oft einfach so'ne Sprache mit so'nem Humor, dass man dat einfach aushalten konnte. Da wo wir gewohnt haben, da war nebenan eine Familie mit fünf Kindern, jedes Kind hatte sogar einen eigenen Vater, und da wurd gekloppt, da wurd geschrien, flog der Fernseher aus dem Fenster, das ist kein Witz, das ist wirklich passiert, und da muss man auch mit klarkommen, so Gewalt zu hören durch die geschlossenen Türen, eigentlich aber in so einer Oase zu leben, mit so nem total lieben Papa, der Trompete spielt und Kontrabass zupft und Bilder malt mit Kindern. Da trafen schon so Welten aufeinander. Wir hatten so die Künstlerbude, und dann kamen dann auch viele so intellektuelle politische Freunde von meinem Vater mit ihren Kindern. Also dadurch war das bei uns schon eine kleine Oase im Proletarierviertel. Regie ZÄSUR Sprecherin Eben dieses proletarisch-raue Ruhrgebiet mit seiner absterbenden Berg- und Stahl- und Hafenarbeitertradition hat Feridun Zaimoglu gesucht und gar nicht weit von Oberhausen in Duisburg-Ruhrort gefunden. O-Ton 43 Feridun Zaimoglu Denn da fließen Rhein und Ruhr zusammen. Das muss man sich mal anschauen! Zwei große Wasser fließen zusammen zu einem großen Fluss. Ich bin ergriffen gewesen, ergriffen in Duisburg, und ich konnte mich nicht satt sehen! Das gab den Ausschlag: Ich siedle meinen Roman, die Geschichte in dieser herrlichen Stadt an. O-Ton 44 Gerd Herholz (draußen) Also das hier ist alles, da lügt Schimanski nicht, ein Quartier, wo eben die Schiffer ausstiegen, anlegten - anlegten, ausstiegen, besser so rum. So wie kommen wir jetzt mal hier ans Wasser... Vielleicht kommen wir hier runter, können wir hier absteigen. (weiter als Atmo) Sprecherin Gerd Herholz, gebürtiger Duisburger, Leiter des Literaturbüros Ruhr in Gladbeck, bloggt gern auf der Internetplattform "Ruhrbarone" kritisch über die Kulturpolitik im Revier O-Ton 45 Gerd Herholz (draußen) Mein Vater war ja Zinkzieher auf einer Metallhütte, und wir als Arbeiterkinder, wir kamen gar nicht an den Rhein ran, bzw. suchten uns Stellen, wo das gerade so ging, das war aber immer gefährlich, weil der gesamte Rhein war abgesperrt durch die Schienen der Werke. Rheinmetall, Berzelius, Mannesmann, Krupp, was auch immer. Also die Luftigkeit der Stadt, die ja direkt verbunden ist mit der großen Wasserstraße Rhein, die nach Rotterdam und in die ganze Welt führt, diese Weltläufigkeit, die eigentlich da sein müsste durch die Wasserstraße, die hat man als Kind nie gespürt. Wie waren im Arbeiterviertel eingesperrt, und mittlerweile ist das für die neue Jugend ganz anders, weil Grünflächen bis an den Rhein reichen und plötzlich die Stadt anfängt zu atmen. ATMO 5 am Vinckekanal, Jazzmusik Sprecherin Früher wurden am Vinckekanal Frachtschiffe gelöscht, jetzt ist eine kleine schicke Promenade entstanden, nette Location für eine Jazz-Combo, die hier am lauen Sommerabend vor studentischem Publikum spielt. Besonders aber der Duisburger Innenhafen hat sich sehr gemacht. O-Ton 46 Feridun Zaimoglu Natürlich hat man weggerissen und Neues aus Asphalt und Glas und Beton hingebaut, natürlich hat man, wie in Duisburg, einen neuen Jachthafen gebaut und irgendeinen Angeber-Architekten damit beauftragt, etwas Tolles dahin zu klotzen. Da kann man also für teuer Geld Cocktails trinken. Das hat mir nicht gefallen. O-Ton 47 Gerd Herholz (draußen) So ähnlich spricht sich ja auch Götz George aus, der dann immer sagt, das neue Duisburg gefällt ihm nicht. Das andere, das sei authentisch ehrlich unmittelbar gewesen, echte Kerle, und das neue Ruhrort, das sei verlogen usw. Aber das ist natürlich auch Blödsinn - als ob es nicht Widersprüche gibt auch im Neuen, einiges, was es zu entdecken gäbe, und das finde ich auch hier in Ruhrort sichtbar. Sprecherin Direkt am Neumarkt liegt die "Gast- und Schankwirtschaft Zum Itze", eine Kneipe, wo Bleistiftstriche auf dem Deckel zusammengerechnet so krumme Summen wie zehn Euro fünfundsiebzig ergeben. Auf Wandbrettern und in Vitrinen versammeln sich glänzende Sportpokale. Kein Fleckchen Wand, das nicht bedeckt ist mit Fotos der strahlenden Gewinner. Am Tresen sitzen Ruhrorter Männer, Arbeiter auf Rente, die gern von Zeiten erzählen, als sie im Schimanski-Tatort Komparsenrollen spielen durften. ATMO 6 Kneipe "Ich war in fünf Schimanskifilmen, aber mit absoluter Sicherheit. So. Und da, wo die Engel in de Straßenbahn ausgestiegen sind, bin ich eingestiegen. - Welche Engel? ..... Sprecherin Am Alt Ruhrorter Neumarkt gibt es "Itze" neben dem Kunstverein, dahinter die vornehme Haniel-Akademie einer reichen Duisburger Unternehmerfamilie, wo junge Manager und Managerinnen Schulungen erhalten und Gerd Herholz demnächst Martin Walser zu einer Lesung empfängt. Denn dem Ruhrgebiet fehlt ein repräsentatives Literaturhaus. O-Ton 48 Gerd Herholz (Kneipe) In dem Maße, wie öffentliche Hand sich völlig zurückzieht aus der Literaturförderung, ist die Frage, wann auch.... so etwas wie das Literaturbüro ist immer gefährdet gewesen, stagnierende Zuschüsse, zwei Teilzeitstellen, kein Sekretariat, zwei Räume in der Stadtbibliothek, noch nicht mal mit ner Klimaanlage, was wir jetzt gerade merken. Das ist der Ort, der man der Literaturförderung im Ruhrgebiet zuweist. Das sag ich auch oft, die Arbeit, die ich mach, mach ich trotz der Kulturpolitik, die im Ruhrgebiet herrscht, und nicht wegen der Kulturpolitik. Denn die ist der Literatur völlig abhold. Jetzt haben wir ne verkommene Sozialdemokratie, die sich technokratisch nur noch sieht als Verwalter eines kommunalen Elends und gar keine politischen Perspektiven mehr entwickelt. Heute wird Kultur abgewickelt und zwar auf allen Ebenen. Das sind Kultursanierer und Abwickler. Sprecherin Vom Großevent Kulturhauptstadt RUHR.2010, das Unsummen verschlang, ist für die Literatur nachhaltig nichts haften geblieben. Die vielen Literaturvereine arbeiten nach wie vor auf Spendenbasis, ihre Vernetzung beruht auf Eigeninitiative. Vielen Stadtbüchereien werden die Bücherbusse gestrichen, Neuanschaffungsetats eingefroren, und Gerd Herholz könnte diese Tränenliste, wie er sagt, noch beliebig verlängern. O-Ton 49 Gerd Herholz (Kneipe) Und Literaturförderung hat eben auch das geistige Leben einer Region oder einer Stadt zu fördern. Und dazu gehört eben auch, einen kultivierten Gesprächsort zu haben und dergleichen mehr. Und wenn das ein Literaturhaus wäre, dann ist das nicht hochglanzoffiziöse Literaturpolitik, die nur Marketing macht - das find ich zum Kotzen - sondern die sich über Literatur auseinander setzt. Wir machen Literaturförderung trotz der entmutigenden Umstände, wir sind genau Teil einer Szene, die gegen die Verhältnisse an arbeitet und versucht, die Wertschätzung für Literatur hochzuhalten. Wir sind Teil eines Netzes, das für Literatur arbeitet. Der Verein für Literatur und Kunst in Duisburg ist ein hochrühriger Verein, der macht ein spannendes literarisches Programm und arbeitet oft mit uns. Sprecherin Das "Literaturbüro Ruhr" unter Gerd Herholz hat federführend mitgewirkt an der Buchpremiere von Feridun Zaimoglus Roman "Ruß". Die Premiere fand im Mühlheimer Ringlokschuppen statt und eine weitere Lesung in der Mühlheimer "SchlimmCitty", einem zum Kulturveranstaltungsort umfunktionierten leeren Kaufhaus. Den Kieler Autor hat diese Region mit ihren Bewohnern dazu animiert, einen wunderschönen Liebesroman zu schreiben. O-Ton 50 Feridun Zaimoglu Es sind starke Frauen, starke Frauen, und sie fressen jeden Mann weg, der glaubt, er könne daherkommen und mal mit der Faust auf den Tisch hauen, und dann ist die Frau aber sehr beeindruckt. Es sind starke Frauen, auf die traf ich dort. Spröde ja, karg ja, komm mir nicht mit Zaubersprüchen, mein Junge, komm mir nicht mit Schmierseife, hier läuft es zwischen Mann und Frau, das war eine Ansage, die mir sehr gefallen hat. Sprecherin Der tottraurige Witwer Renz ist der Kellnerin Marja begegnet, die einen Zweitjobb im Nagelstudio hat und genauso einsam, verlassen und verloren ist wie er selbst. Es ist die vorsichtig-skeptische Annäherung Zweier, die nicht daran glauben können, dass es so etwas wie die Liebe für sie überhaupt noch gibt. Zitator/Zitatorin: (Dialog zwischen Renz und Marja. Marja beginnt.) Ich träume schlecht. Tagsüber geht's mir nicht gut. Ein bisschen Angst hab ich schon. Vor mir? Vor dir, ja. Weil ich komisch bin?, sagte Renz. Du bist komischer als komisch. Es geht dir schlecht wegen mir? Vielleicht. Weil es zu viel ist? Weiß ich nicht, sagte Marja, dabei hat die Liebe nicht angefangen. Ein großes Wort, sagte Renz. Stimmt. Jeder schläft auf seiner Bettseite, sagte Renz, würde dir das gefallen? Schön ... du hast abgenommen. Und du warst immer dünn. 2