COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport vom 01.02.2010 Next Generation (2) - Die Jugend im Ruhrgebiet auf Zukunftssuche - Autor Schulz, Friederike Red. Stucke, Julius Mod. Stucke, Julius Sdg. 01.02.2010 - 13.07 Uhr Länge 20.49 Minuten Moderation Wie stellen sich junge Menschen ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Städte vor? Wie will die nächste Generation leben, wie arbeiten? Fragen wie diese stehen im Mittelpunkt von Next Generation. Einem Projekt im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr 2010. Ein Jahr lang arbeiten Jugendlichen aus vier Städten in zehn sogenannten Zukunftshäusern an Ihren Visionen für die Metropole Ruhr. Mittels Theaterstücken, mit Musik, Tanz, Film und mehr. Die Fragen, die die Jugendlichen dabei künstlerisch angehen, die Antworten nach denen sie suchen, die Probleme, denen sie im Alltag gegenüberstehen - das ist teilweise ruhrgebietsspezifisch - aber nicht nur: es geht um Fragen vor denen junge Menschen in Ballungsräumen in ganz Deutschland stehen, es geht um Jugendkultur und die existiert schließlich nicht nur an der Ruhr. Next Generation ist ein Projekt von Schauspiel Essen und Schauspielhaus Bochum - Deutschlandradio Kultur möchte diesem Projekt, möchte den Jugendlichen eine Stimme geben. Hier im Länderreport werden wir jeweils am Monatsanfang aus den Zukunftshäusern berichten. Am vergangenen Samstag gab es den offiziellen Startschuss zu Next Generation - eine Veranstaltung bei der sich die einzelnen Teilprojekte vorgestellt haben. Friederike Schulz war für uns dabei: -folgt Manuskript Beitrag- Manuskript Beitrag MUSIK 01 (Kickoff) "Ruhr 2010, und wir sind dabei! Darum sind wir stark, keiner ist allein!" AUT Mehr als 200 Jugendliche sitzen im Zuschauerraum des Essener Grillo- Theaters. Sie sind gekommen, um die Eröffnung von "Next Generation" zu feiern und sich einander vorzustellen. Thomas Laue, Chefdramaturg am Schauspiel Essen, leitet das Projekt. Er begrüßt die jungen Gäste und erklärt die Idee von "Next Generation". OT 01 (Laue) "Darum wird es in den nächsten zehn Monaten gehen, laut zu sagen, was ihr wollt von dieser Region, wie ihr euch eure Zukunft vorstellt und die Zukunft des Ortes, an dem ihr hier und an dem wir alle gemeinsam leben." AUT Am Ende sollen zehn Premieren stehen - doch erstmal müssen sich die einzelnen Zukunftshäuser sortieren. Die meisten haben erst vor wenigen Wochen angefangen. Jetzt zeigen die Teilnehmer einander zum ersten Mal öffentlich, was sie bisher erarbeitet haben. OT 02 (Studentenchor) "Der Student ist ein Wesen, das zwischen einem gegenwärtigen und einem zukünftigen Status steht, die säuberlich voneinander getrennt sind. Der Student liebt immer noch das Abenteuer und zieht ihm die tägliche knapp bemessene Raumzeit vor, wobei er eine scheinheilige Verachtung für die Büffler und diejenigen an den Tag legt, die den Scheinen nachjagen." AUT 20 Studenten der Ruhr-Uni Bochum stehen auf der Bühne. Sie geben eine erste Kostprobe ihrer szenischen Chor-Aufführung. "Talking about my generation" - Reden über meine Generation, so der Titel. Ein Thema, das zunächst einmal schwer zu greifen ist, aber gerade deswegen auch so fasziniert, erzählt Sven, Anfang 20. OT 03 (Sven) "Ich finde das Generationen-Thema sehr spannend, weil man es eben nicht so genau bestimmen kann. Wir sind jetzt eine Generation, wir können sagen, wir haben sehr viele Möglichkeiten, klar. Aber was wir wirklich für eine Generation sind, wissen wir erst in zehn, zwanzig Jahren, würde ich sagen. Mich interessiert, was sich aus dem herauskristallisiert, was wir jetzt tun." AUT Die Idee für "Next Generation" hatte Thomas Laue bereits vor einigen Jahren. Er hatte 2006 zum ersten Mal mit Jugendlichen aus Essen ein Theaterstück auf die Bühne gebracht. Vorgaben gab es keine - die Regisseure und Dramaturgen gingen an Schulen und in Jugendhäuser, stellten sich vor und fragten, wer Lust habe, ein eigenes Stück zu schreiben und aufzuführen. Und dann hörten sie vor allem zu - bei den Themen und Fragestellungen, die die Jugendlichen bewegten. So entstand "Homestories" - Geschichten aus der Heimat, eine Produktion, die lange erfolgreich am Grillo-Theater lief und mit der die Jugendlichen sogar auf Tournee gingen. Als fest stand, dass Essen und das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt werden, war für Thomas Laue klar, dass dazu auch unbedingt ein Jugendprojekt gehören sollte. OT 04 (Laue) "Was passiert, wenn Leute, die zwar in einer Stadt, aber in dieser Stadt unter ganz unterschiedlichen Bedingungen leben, über Zukunft nachdenken? Kommen die alle auf die gleiche Vorstellung von Zukunft, entwickeln sie alle die gleiche Vision, oder haben sie die gleichen Sorgen und Ängste? Oder besteht da doch ein Unterschied, je nachdem, wie man aufwächst, ob man luxuriös aufwächst oder unter schwierigeren Bedingungen? Was passiert, wenn man sich diese unterschiedlichen Vorstellungen von Zukunft gegenseitig erzählt? Was ist das eigentlich für ein Prozess, der da in Gang gesetzt wird? Der hat uns interessiert." MUSIK 02 (X-Vision) "Bruder, lass die Waffe fallen, denn es gibt andere Wege, denn in dieser Welt muss man alles selber regeln. Es sind Tage, die dir Atem und die Liebe klauen, denn in dieser Welt kannst Du nicht mal Freunden trauen. Ich hab so viel erlebt. Man ist der Grund, dass Schüler nur noch Fünfen sehen. Diese Vorurteile machen meinen Kopf kaputt. Andere ignorieren es, die Jugend sagt dazu ,na und'." AUT Inzwischen haben fünf junge Tänzer die Bühne betreten. In weiten Trainingshosen, die fast über die Hüften rutschen, etwas zu großen T-Shirts und Turnschuhen. Bruno, in Brasilien geboren, rückt sein Baseball-Cap gerade und stellt sich vorn auf die Tanzfläche. Die anderen stehen leicht versetzt hinter ihm. Nach dem Intro legen die Fünf los. Einer nach dem anderen zeigen sie waghalsige Break-Dance Figuren wie Kopfstand und "Turteln" - das heißt den Oberkörper waagerecht auf beiden Händen in der Luft halten. ATMO (Kickoff) AUT Schon nach wenigen Minuten Vorführung ist jedem Zuschauer klar: Die fünf Jugendlichen machen das nicht erst seit ein paar Monaten. Sie alle haben bereits mehrere Jahre Tanzerfahrung. Seit Anfang Januar trainieren sie gemeinsam im Zukunftshaus in Herne. Das trägt den Namen "Pottporus", ein Wortspiel aus "Ruhrpott" und "Bosporus", als Grenze zwischen West und Ost. Produzent Zekai Fenerci arbeitet bereits seit sieben Jahren mit Jugendlichen aus der Stadt zusammen. OT 05 (Fenerci) "Ich versuche, immer wieder für junge Leute, die ein bestimmtes Talent haben, die sich das selbst beigebracht haben, die aber nie die Möglichkeit bekommen, das, was sie machen, auf professioneller Ebene zu machen, eine Plattform zu schaffen, dass sie als Künstler ernst genommen werden und dass das, was sie gelernt haben, akzeptiert wird." AUT Mit Erfolg: Mehrere Tänzer, die bei Zekai angefangen haben, arbeiten heute bei großen Musicals in Las Vegas oder Amsterdam. Die Kulturhauptstadt 2010 als Plattform zu nutzen war für Zekai Fenerci ein logischer Schritt. Und bei einem Projekt wie "Next Generation", dürfe ein Hip-Hop-Tanzprojekt nicht fehlen, sagt Choreographin Patricia Noworol. Schließlich sei Hip-Hop im Ruhrgebiet, wie in anderen Ballungsräumen auch, fester Bestandteil der Jugendkultur. Und dazu gehöre neben Rap und Graffiti eben auch Tanz. OT 06 (Noworol) "Ich glaube, Tanzen hat sehr viel mit Leben zu tun. Es ist etwas, was uns aufmacht, Lockerung bringt, man drückt sich aus, die Gefühle. Man wird glücklicher, wenn man sich bewegt. Ich glaube, wir werden durch Tanz unsere Gefühle ausdrücken, Ideen ausdrücken...Aggressionen, Liebe - das alles kann man durch Tanz ausdrücken. Manchmal ist das intensiver als ein Wort." ATMO (Auftritt Kickoff, Applaus) AUT Die fünf Tänzer wischen sich den Schweiß von der Stirn, verbeugen sich vor dem Publikum im Grillo-Theater. Patricia Noworol nickt zufrieden. Kein Patzer, die Tanzformationen liefen reibungslos. Nicht schlecht für den ersten Auftritt nach gerade mal zwei Probenwochenenden. Denn geprobt wird nicht durchgängig mehrmals pro Woche sondern en block. Schließlich reist die gebürtige Polin jedes Mal extra aus New York an, wo sie ihre eigene Tanzkompanie betreibt. Zekai Fenerci und sie kennen sich aus Essen, wo Patricia Noworol an der Folkwang-Schule studiert hat. Als er anrief und fragte, ob sie bei "Next Generation" mitmachen wolle, war sie sofort begeistert. Anfang Januar hat sie die fünf Jugendlichen aus mehr als 40 Bewerbern ausgewählt. Das vorerst recht allgemein gehaltene Ziel: Ein gemeinsames Tanztheater-Stück, das sich irgendwie mit der eigenen Zukunft auseinandersetzt. OT 07 (Noworol) "Die ersten zwei Proben habe ich geguckt, was überhaupt da ist. Wo kommen wir her? Ich habe mit ihnen Interviews gemacht...Wie bewegen wir uns? Was muss ich denen beibringen am Anfang? Und dann wird sich aus unseren persönlichen Erfahrungen ein Theaterstück entwickeln. Es soll schon ein persönliches Stück sein. Ich werde mit ihnen etwas erarbeiten, in dem man sie sieht, anstatt dass ich von vornherein mit einem Konzept gekommen bin und gesagt habe: Das und das muss erreicht werden." ATMO (Aula, Aufwärmübung) AUT Bevor es daran geht, gemeinsam ein Stück auszuarbeiten, müssen sich die Tänzer erst einmal kennen lernen, wollen Gemeinsamkeiten herausfinden. Und das geht am besten, indem man gemeinsam tanzt. Als Probebühne dient die große, zugige Aula einer Schule in Herne. Ein Kofferradio ersetzt die fehlende Musikanlage. Herne ist eine unscheinbare Stadt am äußersten nordöstlichen Rand des Ruhrgebiets. Schwerindustrie gibt es hier schon lange nicht mehr, entsprechend hoch ist die Arbeitslosenquote. Als größte Attraktion gilt die Fußgängerzone, "Boulevard Bahnhofsstraße" genannt. Die Schule liegt weitab von der Innenstadt, ein 50er-Jahre-Bau, direkt an der Autobahn 42. Hier wird die Gruppe das ganze Jahr über zu Workshops zusammenkommen. ATMO (Tanz) AUT Patricia Noworol steht in der Aula, gibt Anweisungen. Die erste Übung: Im Takt der Musik in einer Dreierreihe gehen und sich dann in der Mitte zur Tanzformation aufstellen. Jeder gibt eine Kostprobe seiner Tanzkünste. Deborah beginnt mit einem Kopfstand in Breakdance-Manier. ATMO (Tanz) AUT Bis auf Deborah, Sportstudentin aus Köln, ist keiner von ihnen in Deutschland geboren. Bruno ist Brasilianer, Estelle stammt aus Kamerun. Die 17jährige Anna ist als Kind mit ihren Eltern aus Russland nach Herne gekommen. Die zierliche junge Frau streicht sich eine Strähne ihres langen braunen Haares aus der Stirn, nimmt einen Schluck aus der Wasserflasche, die am Bühnenrand steht. Was sie eint? Da muss sie nicht lange überlegen: die Begeisterung fürs Tanzen. OT 08 (Anna) "Es ist verwunderlich, also wenn ich morgens aufstehe, mache ich das Radio an und tanze, dann nach der Schule, das ist sozusagen mein Leben, also ich könnte nur tanzen." AUT Mit dem hochgesteckten Ziel von "Next Generation", eine Zukunftsvision für die Jugend im Ruhrgebiet zu entwickeln, kann sie, genau wie die anderen, gar nichts anfangen. Sie alle hätten beim Casting mitgemacht, um sich tänzerisch weiterzuentwickeln, sagt Estelle, 23 Jahre, Kunstgeschichtsstudentin aus Bochum. Sie zieht einen Haargummi vom Handgelenk, bindet ihre schwarzen Rastalocken zusammen, stellt sich für die nächste Übung zu den anderen auf die Bühne. OT 09 (Estelle) "Also, ich erhoffe mir eigentlich gar nichts, nur vielleicht ein bisschen neue Erfahrung, neue Leute treffen, neue Styles ausprobieren, also tänzerisch ein bisschen weiterzukommen." AUT Zu der Frage nach ihrer eigenen Zukunft, um die es bei "Next Generation" gehen soll, fällt keinem der jungen Tänzer etwas ein. Höchstens der eigene Berufswunsch, Anna will Gymnastiklehrerin werden, John Feuerwehrmann. Dieses Problem, hätten die Projektleiter in allen zehn Zukunftshäusern, sagt die Theater-Regisseurin Ines Habich. OT 10 (Habich) "Man denkt das immer: Ihr seid noch jung, ihr habt noch alles vor euch, ihr müsstet doch. Und man stellt sich hin und erwartet jetzt die Böller- Visionen. Die haben die aber auch erstmal noch nicht, weil man sie auch erst da abholen muss, wo sie sind. Und wenn die auch noch auf der Suche sind, wo soll denn dann eine konkrete Zukunftsvision denn herkommen, wenn ich selber noch auf der Suche bin? Aber bei der Suche dabei sein, wenn etwas gefunden wird und dann eine Idee entsteht, das ist ja total geil." ATMO (Zukunftshaus Altendorf, Party) AUT Mit einem strahlenden Lächeln begrüßt die große schlanke Frau mit der dunklen Lockenmähne die Gäste bei der Eröffnungsparty ihres Zukunftshauses. Das ist gerade mal 15 Quadratmeter groß - ein altes Ladenlokal im Essener Stadtteil Altendorf. Ein großes Fenster zur Straße raus, ein wuchtiger brauner Holztisch, ein Sofa mit quietschgrünem Plastikbezug und zwei Ledersessel aus der Theaterrequisite - fertig. Das Lokal soll als Basislager für Erkundungen im Viertel dienen, denn Ines Habich möchte mit Jugendlichen aus der Gegend ein Theaterstück über den früheren Arbeiterbezirk Essen-Altendorf schreiben. Zehn junge Leute sind der Einladung zur Eröffnung gefolgt, sie sitzen auf dem Sofa und der Fensterbank und hören der Zwei-Mann-Band zu, die zum Auftakt spielt. ATMO (Zukunftshaus Altendorf, Party) AUT Seit Wochen macht Ines Habich Werbung in Schulen und Jugendclubs der Umgebung. Und auch bei der Eröffnungsparty erzählt sie ihren jungen Gästen begeistert von dem Projekt. Die 31jährige hat bereits bei einem früheren Jugendprojekt des Schauspiels Essen mitgearbeitet. Sie stammt selbst aus dem Ruhrgebiet, kannte Altendorf aber bis vor kurzem auch nur vom Durchfahren - bis ihr die riesige Baustelle am Rande des Viertels auffiel. Dort baut ThyssenKrupp seine neue Konzernzentrale, direkt daneben entsteht eine riesige Parkanlage mit Teich. Die Firma Krupp hatte bis Ende der 50er Jahre ihren Sitz hier in Essen, zog dann aber nach Düsseldorf. Nun will der inzwischen fusionierte Großkonzern zurück zu seinen Wurzeln. OT 11 (Habich) "Die Baustelle war so extrem aufgezogen, es war nicht nur eine Baustelle, die extrem groß war, sondern mit Aussichtsplattform, von der aus man die Baustellenarbeiten genau beobachten konnte. Es gab bunt besprühte Wände mit Mega-Zukunftsvisionen, was dieses Unternehmen für diesen Stadtteil plant. So eine komische Cyberwelt war da auf den Plakaten. Da bin ich dann mit dem Auto weitergefahren und komme dann in den wirklichen Stadtteil und habe gedacht: Irgendwie komisch, dass das jetzt so direkt nebeneinander liegt, beziehungsweise miteinander verbunden werden soll. Und ist den Leuten hier überhaupt klar, dass direkt nebenan so eine Cyberwelt entsteht?" AUT Ein Spannungsfeld, das den perfekten Hintergrund für ihr Zukunftshaus bietet, dachte sich Ines Habich, die zu dem Zeitpunkt noch einen Standort suchte. Schließlich geht es bei "Next Generation" darum, gemeinsam mit den Jugendlichen darüber nachzudenken, in was für einem Umfeld sie leben wollen. OT 12 (Habich) "Was mir jetzt schon klar ist nach den ersten Gesprächen mit den jungen Leuten hier, ich habe sie gefragt, ob sie wissen, wer Alfried Krupp ist. Wirklich wissen sie es alle nicht. Ja, ja, da sind irgendwie Schulen nach dem benannt. Oder: gar keine Ahnung, wer das ist. Und die Baustelle, ja...Es ist eigentlich kein Thema. Das finde ich auch interessant. Da sind Leute, die haben für diesen Stadtteil so konkrete Zukunftsideen, die haben genaue Vorstellungen davon, wie das aussehen soll, mit Radweg, See und so weiter. Und dann sind hier junge Leute, die haben damit gar nichts zu tun, und die haben, wenn sie überhaupt Vorstellungen von Zukunft haben, wahrscheinlich ganz andere. Was denken die? Das ist so der Anfangspunkt meiner Reise, das, was ich rauskriegen will." ATMO (Straße) AUT Altendorf, das ist für Ines Habich "das Ruhrgebiet" in klein, erzählt sie beim Rundgang durch das Viertel. Da ist zum einen die Altendorfer Straße, auf der früher die "Kruppianer" zur Schicht im Stahlwerk gingen. Heute ist die Altendorfer eine vierspurige Hauptverkehrsader, gesäumt von Ladenlokalen, von denen die Hälfte leer steht. In die übrigen sind Dönerbuden und Ein-Euro-Shops eingezogen. In den Seitenstraßen stehen ganze Häuserzeilen leer: Auch aus Essen ziehen die Menschen weg, es gibt immer weniger Arbeit. Ebenso typisch für das Ruhrgebiet findet Ines Habich das Fußballstadion von "Tura 86", in dem sich am Wochenende das ganze Viertel zu den Spielen trifft. ATMO (Straße) AUT Zurück am Zukunftshaus bleibt Ines Habich vor dem Hochbunker stehen, der direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite liegt. Er ist hell getüncht und mit bunten Fabeltieren bemalt und regt anscheinend wie kein zweites Gebäude im Viertel die Fantasie der Jugendlichen an, wie Ines Habich mit einer kleinen Umfrage herausgefunden hat. OT 13 (Habich) "Der eine war ganz sicher, da wären Granaten drin, Totenköpfe, Bänke, Türen..." AUT Für Ines Habich ist jetzt schon klar: Der Bunker wird fester Bestandteil, vielleicht sogar Aufführungsort des Theaterstücks. Der Inhalt ist noch völlig offen, die Regisseurin will gemeinsam mit den Jugendlichen ein Thema erarbeiten, das sie bewegt. OT 14 (Habich) "Ich gehe ja jetzt nicht so als Lehrerin hin und sage: Wisst ihr: Hier passiert das und das, wie findet ihr denn das? Das fände ich auch irgendwie langweilig. Ich glaube, das sind Dinge, die werden dadurch entstehen, dass ich mit ihnen an Orte gehen werde und mit denen da über sie sprechen werde und da zu Texten komme, die mit ihnen was zu tun haben. Aber ich glaube immer, dass der Ort, an dem ich mit jemandem über etwas spreche, einen Einfluss auf den Text hat. Ob ich jetzt mit jemandem in einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg sitze, auf dieser Krupp-Baustelle zu stehen, über mich, mein Leben an dieser Baustelle nachzudenken, das ja vielleicht auch irgendwie eine Baustelle ist, in einem Abrisshaus über meine Zukunft nachzudenken... Durch diese Orte ergibt sich da automatisch eine Verbindung." ATMO (Zukunftshaus Altendorf, Party) AUT Zum Abschied drückt Ines jedem Gast einen Flyer in die Hand, darauf steht der Termin fürs Casting in der kommenden Woche. Ferdi, der mit seinen Freunden die ganze Zeit auf dem Sofa gesessen hat, steht auf, steckt im Rausgehen den Flyer ein. "Wir kommen sicher", meint er zu Ines, seine Freunde nicken. OT 15 (Jugendliche) "Ich habe schon mal Theater gespielt bei uns in der Schule, und ich bin auch gerade mit den Zweien in ein Theaterstück verwickelt. Das macht voll Spaß, da wollte ich mal ausprobieren, wie das hier ist." "Wir müssen zeigen, was in Altendorf steckt, was hier passiert, wieso wir hier wohnen. Viele sagen ja auch, in Altendorf sei es voll schlimm, Drogenverkauf und alles. Aber so ist das hier eigentlich gar nicht, wenn man hier lebt, dann weiß man, dass das nicht stimmt." AUT Als alle gegangen sind, räumt Ines die Chipstüten und Gläser in eine Kiste, schließt das Ladenlokal ab. Geschafft für heute, sagt die Regisseurin und steckt sich vor der Tür eine Zigarette an. OT 16 (Habich) "Ich habe mit denen geredet und die finden das richtig spannend. Dann freue ich mich halt so, weil man weiß ja nie, wie die eigene Idee so aufgenommen wird. Die wollen auch unbedingt zum Casting kommen, und dann denk ich: ja, geil, wenn die sagen: Wir gehen mit dir auf den Auto- Friedhof und wir gehen mit dir in die Geisterstraße und wir erfinden mit dir das Stück. Dann ist das ja das beste, was mir für den Anfang passieren kann. Wir fangen ja jetzt erstmal mit einer kleinen Gruppe an so von acht bis zehn Leuten, um diese Geschichte zu finden. Dann sollen ja immer mehr werden. Das ist erstmal der gute und richtige Start." ATMO (Kickoff, Countdown) AUT Der Abend im Grillo-Theater endet mit Countdown - jetzt ist "Next Generation" offiziell eröffnet, die Arbeit in den Zukunftshäusern wird jetzt so richtig losgehen. Die mehr als 200 stehen auf, verlassen den Saal. Der Regisseur Nuran Calis, der am Ende des Jahres ein gemeinsames Theaterprojekt mit Jugendlichen aus allen Häusern inszenieren wird, bleibt noch ein wenig sitzen und blickt gedankenverloren auf die leere Bühne. OT 17 (Calis) "Es war vital, es war lebendig. Man so ein bisschen eine Ahnung gekriegt, wie vielfältig und visionär das Ganze werden kann. Ich glaube, dass sie nur noch auf so eine Verbindung mit ihren Talenten und den Inhalten, die wir dann mit ihnen gestalten wollen, warten. Man muss nur noch die Sachen verknüpfen und auf eine Spur bringen." -ENDE- 8