COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandrundfahrt Schlauer Leben Reale Modellprojekte für die Stadt der Zukunft Eine Sendung von Katja Bigalke Sendung: 9. März 2013, 15:05 Uhr Ton: Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 Musik 1 schräg, elektronisch mischen mit Atmo 1 Zimmer Autorin 9. März 2033. Es ist ein klarer Tag heute. Das sehe ich durch die langen, schmalen Membranen der äußeren Fensterverkleidung. Membranen, die sich dem Morgenlicht zuwenden wie Sonnenblumen. Langsam geben die verdunkelten Fenster den Blick frei auf die Stadt zu meinen Füßen. Eine bunte Mischung aus Altbauten, Baumhäusern und Skyscrapern mit spiegelglatten Photovoltaik-Fassaden und Gewächshäusern auf den Dächern. Leise surrt der Verkehr unten in den Häuserschluchten. Es ist kalt draußen: Minus drei Grad, zeigt die LED Anzeige auf der Fensterscheibe. Ich schalte die bläulich leuchtende Fläche über meinem Bett aus - die Lampe, die mich in der letzten halben Stunde mit dem Lichtspiel eines Sonnenaufgangs geweckt und dafür gesorgt hat, dass in meinem Körper die Bildung des Schlafhormons Melatonin langsam gebremst wird. Musik 1 hart wegziehen Kennmelodie Titel Schlauer Leben – Reale Modellprojekte für die Stadt der Zukunft Eine Deutschlandrundfahrt von Katja Bigalke Kennmelodie (unter Autorin lassen) Autorin Die Stadt der Zukunft: Wie werden Metropolen aussehen? Wie werden wir in ihnen leben, uns fortbewegen, miteinander kommunizieren, wie werden wir wohnen? Es gibt sie noch nicht, diese Stadt der Zukunft, aber es wird über sie nachgedacht. Es wird geforscht an neuen urbanen Technologien, es wird gerechnet, projiziert, ausprobiert. Was funktioniert, was nicht? Das was heute Experimentalcharakter hat, kann in 20 Jahren schon Alltag sein. Das interessiert mich. Eine deutsche Großstadt im Jahr 2033. So könnte sie aussehen. Eine Reise in die Zukunft. Kennmelodie überblenden in / oder hart abblenden, dann Musik 1 Zitat Den Individualverkehr umweltfreundlicher zu machen ändert nichts daran, dass er eine energieverschwendende Art der Fortbewegung bleibt – wenn man alleine im Auto sitzt. Friedrich von Borries, Architekt Musik 1 Kreuzblende Atmo 2 Straße (ohne Autos) Autorin Der schnellste Weg zu meinem ersten Termin ist eine Kombination aus zwei Verkehrsmitteln: S-Bahn. Und - für den Weg zur Station – Segway, eines dieser elektrobetriebenen Bretter auf zwei Rädern, die sich über eine lange Lenkstange bewegen lassen. Segways stehen an jeder Ecke auf den im Boden eingelassenen Ladestationen. Seitdem das Fahren von Privatautos in den Innenstädten verboten wurde, sind sie – neben Pedelecs, den Fahrrädern mit Elektrikunterstützung - die meistgenutzten Fortbewegungsmittel für kürzere Wege. Segways sind platzsparend und einfach zu handhaben. Deswegen haben sie sich wohl durchgesetzt, nachdem sie anfangs nur von etwas albern wirkenden Touristengruppen für Stadtbesichtigungen genutzt wurden Atmo 3 Klicken/ Ton Segway Autorin Ich schalte ein Gerät auf meinem persönlichen Mobilitätsportal der Smartwatch frei, trete eine Stufe höher, beuge mich leicht nach vorn und schon rolle ich los. Es macht Spaß, sich so fortzubewegen: Man steht und fährt zugleich. Schneller als die Fußgänger, ein bisschen langsamer als Fahrräder und Elektroautos. Ich bin flexibel, kann mich sowohl auf dem Fahrradweg als auch auf den extrabreiten Bürgersteigen fortbewegen. Atmo 4 kurz hoch Autorin An der S-Bahn-Station angelangt, stelle ich den Segway an der Ladestation ab, drücke die Sperrtaste, was mich automatisch als Nutzer dieses Fahrzeugs abmeldet und wechsle in die S-Bahn. Ticketlos. Die zurückgelegte Strecke wird am Ziel berechnet, wenn ich mich aus dem Mobilitätsportal wieder auslogge. Der Betrag anschließend von meinem Konto abgebucht. Atmo 5 Türen schließen Kreuzblende Atmo 6 Werkstatt Autorin Eine Informatik-Werkhalle im Süden der Stadt. Der Raum, über zwei Stockwerke hoch, wirkt wie ein Do it yourself-Camp für Leute, die für jede Art von Elektroschrott Verwendung haben. Aus wannengroßen Behältern ragen unterschiedlichste Kabelsorten, mit Alufolie verkleidete Rohre verbinden quer durch den Raum laut surrende Apparaturen, überall blinken und leuchten kleine Knöpfe, Lüftungen rauschen. Hier wurde der Vorläufer der selbstfahrenden Autos entwickelt, die im Jahr 2033 überall auf den Straßen der Stadt unterwegs sind. Fritz Ulbrich, einer der Tüftler der Werkstatt, zeigt auf einen älteren Wagen, der noch mit Benzin betrieben wird. Das war im Jahr 2012 das erste, auf deutschen Straßen zugelassene, autonome Auto dieser Werkstatt, sagt er. Mit einem Kofferraum voller Technik: O-Ton 1 Das sind teilweise Computer, teilweise Netzteile, um die Sensoren mit Strom zu versorgen, und im Prinzip kommen die ganzen Informationen der Sensoren von dem Auto der Laserscanner, der Kameras, der Radare usw. hier im Kofferraum zusammen, werden teilweise vorverarbeitet und dann an ein Computer geschickt und im Endeffekt kommt da dann ein Plan, eine Handlungsanweisung für das Lenkrad und Gas und Bremse heraus. Autorin Seitdem die selbstfahrenden Autos in Serie produziert werden, ist ein Großteil dieser Technik unsichtbar geworden. Der Laserscanner auf dem Dach ist längst nicht mehr so groß wie ein Herrenzylinder, ein Teil der Sensoren steckt in den Stoßstangen und die Kameras kleben nicht mehr auf der Windschutzscheibe, sondern sind in sie integriert. Atmo 7 Auto an Autorin Auch gibt es in den Städten keine Wagen mit Verbrennungsmotoren mehr wie bei diesem Modell sondern ausschließlich Elektroautos. Aber an diesem Oldtimer lässt sich immer noch sehr anschaulich die Funktionsweise der selbstfahrenden Autos erklären. Atmo 8 Tür zu /Fahren (unterlegen unter die folgenden Abschnitte) O-Ton 2 alle Sensoren eingeschaltet, müssen jetzt allerdings noch einen kleinen Augenblick warten bis alle gebootet sind und wir Daten bekommen Autorin Fritz Ulbrich zeigt auf den Bildschirm des Bord-Computers. In groben Schattierungen taucht eine Straßenkarte auf, wie sie Kameras, Radarsysteme und Sensoren wahrnehmen. Gelbe und rote Punkte ziehen an uns vorbei – die anderen Autos im Verkehr: O-Ton 3 Hier sehen wir nämlich die vollständige Punktwolke, die komplette Information, die das Auto zur Verfügung hat, aber relevant sind ja daraus nur die Hindernisse, die uns im Weg sind, deswegen sind sie auch entsprechend eingefärbt, in grün gelb und rot je nachdem, wie nah sie der Straße sind. Jetzt sind wir bereit, sobald sich eine Lücke auftut, übergebe ich dem Auto die Kontrolle. Autorin Das Auto schwenkt selbständig auf die Fahrbahn ein, fädelt sich in den fließenden Verkehr ein. Das Lenkrad bewegt sich wie von Geisterhand. Bremst das Auto vor uns, bremst auch dieses Auto von allein, muss es abbiegen, macht es auch das ohne menschliches Zutun. O-Ton 4 Und diese grüne Linie die sich da direkt vor dem Auto schlängelt, ist quasi der Plan, den das Auto abfahren möchte Autorin (unter Autorin Atmo langsam weg) Der alte Science-Fiction-Traum vom selbstfahrenden Auto, das uns hinbringt, wohin wir wollen, und dann seiner weiteren Wege fährt, ist 2033 Realität. Die perfektionierte Form des Carsharings: Intelligente Sammeltaxis, die auf ihren Kreuzfahrten durch die Stadt Passagiere mitnehmen, die die gleichen Wege haben. O-Ton 5 Dann entscheide ich: ich will zur Arbeit, das übertrage ich über mein Handy an einen Zentralrechner. Der Zentralrechner schaut, welches Autos am nächsten zu mir steht, und in die Richtung fahren möchte. Dieses Auto macht dann einen kleinen Schlenker, holt mich ab und fährt dann weiter. Wenn wir ankommen brauchen wir das Auto nicht parken, da wir die Autos teilen können. Autorin Der Informatiker Raul Rojas hat an der Verwirklichung dieser Idee mitgearbeitet. Der gebürtige Mexikaner erlebte in jungen Jahren in der Millionenstadt Mexiko City tagtäglich aufs Neue, wie der sich stauende Verkehr eine Metropole lahm legt, sie verpestet und unlebbar macht. Er hatte schon früh die Vision einer Stadt, in der Verkehr fließt und sich dem menschlichen Leben anpasst statt es zu boykottieren. O-Ton 6 Das ist eine Stadt, wo keine Autos geparkt sind. Die Autos, die benutzt werden sind immer unterwegs oder die sind in Parkhäusern. Da werden sie elektrisch geladen. Dafür brauche ich weniger Autos deswegen können wir die Bürgersteige breiter machen. Die Fußgänger haben mehr Platz um sich zu bewegen. Außerdem wir brauchen nicht so schnell zu fahren. 40 kmh. Und trotzdem wären wir schneller da, weil wir weniger Autos haben. Also eine langsamere Stadt, trotzdem schneller ans Ziel ankommen. Atmo 9 Innenstadt Fußgängerzone Stuttgart Autorin Eine Stadt, die 2033 in einigen Aspekten wieder der des 19. Jahrhunderts gleichen wird. Der Verkehr wird im Vergleich zu heute um ein Zehntel reduziert. Dafür wird es mehr Fußgängerzonen und Platz im öffentlichen Raum geben. Es wird viel leiser sein in den Zentren und die Luft viel sauberer. Da sich das Verkehrssystem über einen Zentralrechner wie von selbst steuert, gibt es auch keine Unfälle mehr. Autos kommunizieren miteinander. Müde Fahrer werden durch eine Elektronik im Dauerbetrieb ersetzt. Alles fließt, ist aufeinander abgestimmt und perfekt berechnet. Musik 2 überblenden in Musik 1 darauf Zitat: Verhalte dich so in deinen architektonischen Äußerungen, dass die Maxime deines Bauens jederzeit als Grundlage einer nicht selbstzerstörerischen Lebensweise dienen könnte. Peter Sloterdijk, Philosoph Atmo 10 (Ländliches und Elektroautos) hoch Nächster Termin auf meiner Reise durch die Stadt der Zukunft: zu Besuch bei den Welke-Wiechers. Die Familie lebt in einem sogenannten Effizienzhaus Plus – einem Haus, das mehr Energie erzeugt, als es verbraucht. So wie es 2033 Standart sein wird bei jedem Neubau. Atmo 11 Elektronisch Türöffnung O-Ton 7 Wir können mit unserem Handy per Knopfdruck die Tür öffnen. Autorin Jörg Welke steht an der Tür zum zweigeschössigen Townhaus, bittet herein. Gerade eben hat er die Tür über sein Smartphone freigeschaltet. Das steckt er nun in die Hosentasche und beginnt die Führung. O-Ton 8 Das ist der Eingangsbereich, Sie haben rechts die rote Stahltreppe in einem Guss. Rechts recht die Garderobe, links das WC Autorin Der kleine Eingangsbereich führt direkt hinein in eine offene Wohnküche, die sich parallel zu einer langen Fensterfront erstreckt. Die übliche Ausstattung: Auf der rechten Seite die Couchecke, auf der linken Küchenzeile und Esstisch. Es ist die minimal unaufgeregte Einrichtung in hellen Farben, wie sie schon seit Jahren ihre Erfolge feiert. Skandinavisch anmutende Möbel, Holzboden, ein bisschen Kunst an der Wand. Das Besondere an diesem Haus – die ganzen energieeffizienten Dinge - sieht man kaum O-Ton 9 Das ist Dreifachverglasung. Und an den Seiten, haben wir Wände, die sehr gut gedämmt sind 45 Zentimeter starke Wände, die mit Zellstoff gefüllt sind. Wir haben eine Fußbodenheizung, die wird mit Hilfe einer Wärmepumpe gespeist. Das ist eine Luft-Wärmepumpe, die sehr effizient arbeitet, das heißt die nutzt sehr wenig elektrische Energie um Wärme zu erzeugen. Dann erzeugen wir selbst unserem Strom mit einer Photovoltaikanlage, die ist auf dem Dach mit monokristallinen Solarzellen und in der Südfassade das sind Dünnschichtmodeule, wenn die Sonne scheint, produzieren die Strom. Autorin Für die vierköpfige Familie reicht der Strom, den sie so über das Jahr gewinnen, allemal. Ein kleines Extra, das sich Simone Wiechers mithilfe der Solarenergie leistet, ist das Aufladen ihres heißgeliebten Pedelecs, des Fahrrads mit Elektromotor. 10 Kilometer legt sie damit jeden Tag bis zur Arbeit zurück O-Ton 11 Es ist total super, weil man auch nicht mehr an die Strecken denkt, das macht man einfach so nebenbei, weil das nicht anstrengend ist. Ich muss mich natürlich Fahrrad bewegen, weil das Fahrrad macht ja gar nichts allein, aber es ist ein unheimlich leichtes Fahren. Autorin Bei den Welke-Wiechers hat jeder seine eigenen Vorlieben im Effizienzhaus. Jörg Welke begeistert, dass der Stromfluss über einen Computer gesteuert wird, der passgenau berechnet, wohin die Energie fließen soll: ob von den Solarzellen direkt zu einem Verbraucher, in die Speicherbatterie oder ins örtliche Stromnetz. Simone Wiechers hingegen hat besonderen Gefallen an der Haustechnik gefunden, einem Display mit Touchscreen, über das sie sämtliche elektrischen Geräte des Hauses steuern, vorprogrammieren und ausschalten kann. Auch von Ferne, übers Smartphone. O-Ton 12 Was ich wunderbar finde an dem Display, ist, dass sie Szenen einrichten können. Wärmesituationen auf einen Knopfdruck oder zeitgesteuert, gleich so wie wir es habenwollen. Morgens gleich 6.40 klingelt der Wecker, und damit geht für uns gleich ein Licht an, das ist für uns gleich das letzte Signal jetzt aber raus. Gleichzeitig geht hier unten dann das Küchenlicht an, die Küchenzeile, und auch das Licht über dem Küchentisch und das Standlicht, gleich die Lichtsituation, in der wir frühstücken wollen. Es Abendstimmung, es gibt auch eine fürs Wochenende, eine Werktagssituation. Die Technik ist uns so an die Hand gegeben, dass sie uns hilft, uns aber nicht dominiert. Autorin Bei den Welke-Wiechers schießt zum Beispiel nicht bei jedem Krümel auf dem Boden ein Roboter-Staubsauger aus dem Schrank. Die Familie hat auch keinen Kühlschrank, der automatisch die Lebensmittel bestellt, die zur Neige gehen. Und sie nutzt auch ganz bewusst noch den Lichtschalter per Hand statt überall die Bewegungsmelder als Lichtmanager einzuschalten. Was sie gerne an die Haustechnik abgegeben haben, ist allerdings das ständige Lüften. Bei den Welke-Wiechers muss niemand mehr die Fenster aufreißen. Für frische Luft sorgt eine Belüftungsanlage, die verbrauchte Luft von drinnen durch Luft von draußen ersetzt. Natürlich energieeffizient, erklärt Jörg Welke: O-Ton 13 Hier wird die Luft angesaugt, die frische Luft von außen kommt hier in die Maschine rein und dann kommt die hier durch die Maschine, wird erwärmt, an der alten Luft, die kommt von hier, geht in dieses Rohr, sammelt sich hier drin, fließt da unten lang, hier unten, das fließt nicht nur aneinander vorbei, da ist ein Geflecht drin, das fließt so aneinander vorbei dann wird die kalte Luft erwärmt. Wenn Sie lüften würden, hätten Sie einen größeren Wärmeverlust. Atmo 12 Straße /Schritte Stadt Autorin Häuser wie das der Welke-Wichers wird man in 20 Jahren fast in jeder Straße dieser Stadt finden. Mal sind es streng geometrische Quader, mal eher organische Formen. Manchmal sind es Neubauten, manchmal ältere Gebäude, denen die energieeffiziente Hülle einfach übergestülpt wurde. An dem einen Haus stecken die Photovoltaik-Zellen in bunten Glasfassaden, an dem anderen sind sie in viele schmale Markisen eingearbeitet, die sich beweglich der Sonne zuwenden können. Es gab auch Versuche mit Häusern, an denen Algen an der Fassade wuchsen. In regelmäßigen Abständen wurden diese geerntet und als Biomasse für die Energieversorgung des Hauses genutzt. Eine Form der Energiegewinnung, die sich im Vergleich zur Photovoltaik allerdings als sehr aufwändig erwies. So gehören Solarmodule heute zu Häusern wie früher einmal Stuckelemente und Ziegel. Der Architekt Werner Sobek steht für eine besonders elegante Integration der Solarmodule in Glas. Er hat auch das Bauhaus-Inspirierte Townhouse der Welke-Wiechers entworfen. Atmo 13 Schritte Weg Autorin Werner Sobek arbeitet an der Universität. Die Fakultät des Bauingenieurs und Architekten liegt am Rande des Campus, etwas versteckt hinter den Hauptgebäuden der Hochschule. Ein schmaler Pfad führt zu dem Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren. Es fällt schon deshalb auf, weil es umrahmt ist von meterhohen Konstruktionen, die aussehen, wie eine Wiederauflage historischer Flugapparaturen. Flügelartige Installationen, ein Fallschirm aus Holz so groß, dass er einen ganzen Sqashplatz überspannen könnte, nach oben gestülpte Glasschalen mit mindestes drei Meter Durchmesser. Das Institut selber ist in einer Art Zelt zuhause. Ein Rundbau geduckt unter einem spitz zulaufenden Dach, das so dynamisch 20 Meter in die Höhe schießt, als habe man es nicht aus Holz gebaut sondern aus Nylon. Werner Sobek entwickelt, recherchiert und doziert hier zwischen unterschiedlichsten Architekturmodellen. Da gibt es Fassaden wie Bienenwaben, Türme wie Pflanzenzellen, Kuppeln, die kopfüber an Fäden hängen. O-Ton 14 In diesem großen Hohlraum finden Sie unterschiedlichste Dokumente unserer bisherigen Überlegungen: Sie sehen menschliche Knochen, aufgeschnitten –beim Blick hinein da erkennt man zelluläre Strukturen, die für uns der Ausgangspunkt von Überlegungen in der Entwicklung des Betonbaus sind. Sie sehen Fotos von Spinnennetzen und gleichzeitig Modelle Olympiastadion in München. Wir arbeiten mit technischen, aber auch bionischen Ansätzen, manchmal auch formale Ansätze, die aber alles unterlegt sind von dem Prinzip der Suche nach dem leichtest Möglichen. Die Herstellung von Zement steht für ungefähr 5-8 Prozent des CO2 Ausstoßes dieser Welt, die Herstellung von Stahl für ungefähr 7 Prozent - das heißt Zement und Stahlproduktion sind bereits 15 % der Emissionen, die wir reduzieren wollen. Man kann natürlich die Produktionsverfahren optimieren, man kann aber auch sagen, wir setzen weniger ein. Autorin Das leichte Bauen ist das eine Prinzip von Sobeks Häusern. Das andere Prinzip nennt er Triple Zero: O-Ton 15 Also dreimal Null für folgende Bereiche: Eine Null für den Energieverbrauch. Das Haus erzeugt alle Energie, die es benötigt, selbst, mindestens. Zweite Null: Das Haus erzeugt keinerlei Abgase, also ohne Schornstein. Dritte Null: das Haus ist vollkommen recyclebar, erzeugt also bei Umbau oder Abbau keinerlei Müll. Jetzt wird man fragen, warum sollen Häuser recyclebar sein. Man muss wissen, dass der Anteil des Bauschaffens an der Erzeugung von Massenmüll bei 50-60% liegt. Autorin Werner Sobek schraubt, legt oder presst mit Unterdruck unterschiedlichste Baumaterialien zusammen: Kunststoff, Lehm, Stroh, Titan, Stahl, Beton. Aber nichts wird miteinander verklebt, so dass sich seine Häuser auch materialgetrennt wieder auseinander nehmen und recyceln lassen. Beim Energiegewinn setzt der Bauingenieur zum einen auf Photovoltaik. Zum anderen will er die Sonnenenergie mit Hilfe von Fenstern nutzen, die das Licht regulieren können. Beim Energiesparen steht gute Dämmung im Vordergrund. Und intelligente Systeme, die Strom und Wärmeverbrauch im Haus je nach Nutzerverhalten steuern. Das Sparen ist auch Sobeks Lösung für den Altbaubestand in Städten. Allein aus ästhetischen, aber auch aus Denkmalschutzgründen. Man könne ja nicht jedes Haus der Stadt in einen Energieerzeuger verwandeln, sagt er. O-Ton 16 Mit einer Innendämmung und einem klugen Temperatur Führungssystem, man sagt da System-Hausautomation dazu - da kann man ohne Weiteres 15-25 % einsparen, ohne dass man die eigentliche Gebäudesubstanz berührt. Autorin Die Energie, die vor allem Neubauten erzeugen werden, sollte nach Sobeks Vorstellung auf einem neuen Nachbarschaftsprinzip basieren. O-Ton 17 Wir sollten etwas einführen, was ich das Prinzip der Schwesterlichkeit nenne: das heißt ein energetischen Ausstattung schwaches Gebäude geht eine Allianz ein mit einem Neubau, der super gut ist. Und die starke Schwester stützt die schwache, indem sie eine Energieproduktion nutzt um die Schwache zu füttern. Im Ensemble sind alle gut. Autorin Sobek, ein Mann, der sich wie viele Kollegen seiner Zunft gern in schwarz kleidet, denkt, im Unterschied zu vielen von ihnen, weit über den einzelnen architektonischen Entwurf hinaus. Er versucht, mit seinen Gebäuden Vorbilder zu schaffen für eine angemessene Lebensform. Und die umschließt für ihn auch Verzicht. Verzicht auf zuviel Wohnraum und einen Kamin. Aber auch auf unnötige Fernreisen und möglichst auf Lebensmittel, die von weither kommen. Dafür wird das direkte Lebensumfeld der Menschen in den Städten besser sein als heute, meint er. O-Ton 18 Wir müssen uns im Klaren sein, dass die Stadt der Zukunft anders aussehen wird als die Stadt von Gestern. Ich bin der Meinung, sie wird vom Lebenswert her deutlich attraktiver sein, als die meisten Städte in den letzten 50 Jahren waren. Musik 3 überblenden in Musik 1 Zitat: Große Parks wurden angelegt und große grüne Boulevards, die Lungen unserer heutigen Städte. Das waren städtebauliche Entscheidungen von sehr weitsichtigen Menschen. Die Frage ist nur: Was hat unsere Generation in dieser Beziehung zu bieten? Wir konsumieren heute die Stadt, die im 19. Jahrhundert gebaut wurde. Christoph Ingenhoven, Stadtplaner Atmo 14 Treppen Autorin Das Gewächshaus befindet sich auf dem Dach eines Neubaus im Zentrum der Stadt. Zweigeschossig, mit einem geschlossenen unterem - und einem gläsernen Obergeschoss, ist es einfach auf das flache Dach drauf gesetzt. Besitzer Nicolas Leschke schließt die Tür zum unteren Teil auf. Atmo 15 Türknarren gehen rein O-Ton 19 Also, wir befinden uns im Innern einer Containerfarm. Das ist die Fischfarm... Autorin Leschke zeigt in den hinteren Teil des Raums. In einem Aquarium tummeln sich etwa 100 Buntbarsche O-Ton 20 Der Buntbarsch ist ein sehr guter Fisch, erstens im Geschmack und zweitens im Umgang mit dem Fisch, der lässt sich gut aufziehen, der wächst sehr schnell, und zum anderen ist es ein Fisch, den man fast ausschließlich vegetarisch auch noch ernähren kann, was, wenn wir in Richtung Nachhaltigkeit denken, dann auch wieder Vorteile hat. Autorin Leschke rechnet vor: Aus einem Kilo Fischfutter kriegt man ein Kilo Fischfleisch. Ein Rind im Vergleich braucht 132 Kilo Futter für nur 1 Kilo Fleisch und ist außerdem für etliche Emissionen verantwortlich. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum Leschke Fische auf dem Dach hat. Leschke ist urban farmer, Stadtbauer. Er baut in der Stadt sein eigenes Gemüse auf dem Dach an. Und die Fische helfen ihm dabei. Er zeigt auf eine Leitung, über die konstant Frischwasser ins Aquarium läuft, und auf ein Rohr, in dem Abwasser aus dem Aquarium in zwei runde Becken fließt. O-Ton 21 Das Ganze ist eine Kreislaufanlage, das heißt, es gibt einen Überlauf in einen ersten Biofilter, da wird das Sediment – also die festen Stoffe der Fische - herausgefiltert, dies rieseln hier zum Boden in dem zweiten Filter: Da passiert die Magie. Atmo 16 Lockenwickler Autorin Er fischt eine lockenwicklerartige Plastikrolle aus dem Wasser des zweiten Beckens. O-Ton 22 Da sitzen lauter Mikroorganismen dran, die das Pipi der Fische umwandeln in Nitrat. Das ist der klassische Pflanzendünger und der wird von hier in die Hydrokultur geleitet. Autorin Das Prinzip der Dachfarm ist einfach: Fische produzieren Nährstoffe für Pflanzen. Im Gewächshaus eine Etage höher zeigt Leschke das Ergebnis dieser Art des Stadtgärtnerns. Atmo 17 Treppe O-Ton 23 Diese Tomaten wachsen wahnsinnig schnell: 10 Zentimeter ist das Wochenpensum unserer Tomaten. Da sind schätzungsweise 250 Tomaten gerade reif, hier auf den rechten Rinnen das sind unsere Kräuter- oder auch Verscuhsrinnen. Die Gurken mussten wir auch schon sehr oft zurückschneiden, die wachsen so schnell, dass wir eine schon mal rausnehmen mussten. Dort die Salate, auch Kohlrabi und Basilikum. Autorin Statt in Kisten und Kübeln, gedeihen Leschkes Pflanzen in Rinnen. Zwar hält sich auch sein Gemüse in Körben, aber diese sind nicht in Erde eingelassen, sondern in das Wasser aus der Fischzucht. Das fließt hier durch die Rinnen. Hydroponik nennt man diese Form der Pflanzenzucht, erklärt Leschke und versichert, dass es der Pflanze egal sei, wo sie wächst – ob in Wasser oder Erde. O-Ton 24 Wenn du einer Pflanze eine optimale Nährstoffversorgung gibst, Wärme, Sonne und eben Licht, dann wächst die hervorragend. Autorin Und das dank einer intelligenten Nutzung von Abwärme und Solarenergie, auch das ganze Jahr über. Und auch in der Stadt. 2033 stehen Gewächshäuser auf Parkhäusern, alten Fabriken und Neubauten. In den dunklen Monaten leuchtet morgens und abends das Grün hinter Glas im künstlichen Licht der LED Lampen. Gezüchteter Großstadtdschungel. Musik 4 (kurz hoch dann drunter setzen) Autorin Vor allem in den gewerblichen Randgebieten der Stadt sind 2033 auch viele kommerzielle Dachgärten entstanden. Bis zu 3000 Quadratmeter sind sie groß. Die Nachfrage nach regionalem Gemüse, das nicht weit transportiert werden muss, steigt beständig. Urban Farming ist ein Wirtschaftsfaktor. Und so sind auch ganz neue Geschäfte in der Stadt entstanden. O-Ton 25 Eine neue Form des Tante Emma Ladens mit selbst hergestellten Produkten Musik 4 (ca. 1’00 stehenlassen, dann Kreuzblende mit) Musik 1 kurz hoch Zitat: (drauf) Langfristig wird das Gebäude ein organisches Wesen, welches ungeheuer viele Fähigkeiten von Lebewesen übernimmt. Es wird so etwas wie grüne Ziegel geben, die zur Photosynthese fähig sind und in die gesamte Gebäudehülle integriert werden können. Karlheinz Steinmüller, Zukunftsforscher Musik 1 weg Atmo 18 Schritte/Stadt Autorin Grüne Ziegel hat dieses Gebäude zwar nicht, dafür aber Zweige. In der immer weiter in die Höhe schießenden und sich verdichtenden Stadt des Jahres 2033 werden die Baumhäuser die letzten verbliebenen Baulücken geschlossen haben. Sie geben den Straßen mit ihren konventionellen Fassaden aus Glas, Klinker und Beton ein neues Gesicht. Eines, das sich mit den Jahreszeiten verändert. Im Vergleich zu den begrünten Hauswänden, den vertikalen Gärten, sind die Baumhäuser dreidimensional angelegt. Begehbarere Bäume sozusagen. In diesem Fall hier – ein Platanenkubus. O-Ton 26 Wir haben hier diese 800 Platanen, von denen wurzeln nur einige im Boden. Das Prinzip ist eigentlich, dass wir Pflanzen stapeln und die mit einer bestimmten Methode der Pflanzenaddition diese Platanen so vertikal verbinden, dass sie an bestimmten Verbindungsstellen so miteinander verwachsen, dass ein Saftfluss bis in die obersten Pflanzen erfolgen kann und diese Kübel, die jetzt noch an der Fassade die jungen Pflanzen versorgen, dann entfernt werden können. Autorin Daniel Schönle, Architekt und Stadtplaner, steht in einem Raum umrahmt von Wänden aus … Platanenstämmen. Sie stecken in Trögen. Unten sind diese direkt in die Erde eingelassen, auf den höheren Etagen hängen die Blumenkübel an einer Stahlkonstruktion. Es ist ein junges Gebäude mit einer Fassade aus dünnen, noch dehnbaren Bäumen. Schönle hat sie erst im letzten Jahr an dieser Stelle eingetopft. O-Ton 27 Das sind jetzt 2-jährige Bäume, die werden in den nächsten Jahren dicker, werden austreiben und dann stärker miteinander verwachsen, an manchen Stellen sieht man das hier, wenn eine Schraube eingedreht ist wie dann hier schon die ersten Überwachsungen stattfinden. Wir sprechen auch bei diesen Projekten mit anderen Vokabeln, wann ist ein Bauwerk fertig? Bei uns gibt es Begriffe wie Erwachsenwerden. Atmo 19 Autorin Ist der Platanenkubus einmal erwachsen, werden von dem Stahlgerüst nur noch die Plattformen und die Treppen übrig sein. Hoch hinaus: Eine Platane kann bis zu 50 Meter hoch wachsen. Das entspricht einem 12-stöckigen Haus. Wandeln in der Baumkrone. Umgeben vom Rauschen der Blätter. Für Schönle: eine ganz neue Art der Naturerfahrung. O-Ton 29 Letztendlich ist es vergleichbar mit der Situation, sich in einem Baum zu befinden. Ich denke da gibt so ein paar Aspekte: Das eine ist die Veränderungen auf allen Ebenen, die jahreszeitliche Veränderungen, die Veränderung über die Jahre, die Lichtveränderungen. Letztendlich befindet man sich in einem Haus, aber hat sehr viele atmosphärisch Aspekte des Waldes Autorin Außerdem sind die Baumhäuser eine beliebte und notwendige Alternative zu den Parks geworden, die angesichts der stetig wachsenden Einwohnerzahl zunehmend aus den Nähten platzen. Der Vorteil der Baumhäuser: Sie bieten auch auf sehr begrenztem Raum viel Grün, das dort … auf Bänken, Liegen und in Hängematten genossen werden kann. O-Ton 31 Das ist für viele Leute, Nachbarn zum Beispiel, die das als ein Teil jetzt ihres Quartiers sehen und sich auch darum kümmern und auch anrufen wenn sie denken da stimmt was nicht. Das ist die Identifikation mit einem lebenden Bauwerk. In einer Baumkrone über das Stadtquartier zu sehen, das ist etwas anderes als auf einem Turm zu stehen. Autorin Und da steht Daniel Schöne nun, schaut hinab von seinem Platanenkubus. Baumhäuser oder Baumfassaden für normale Häuser verwundern 2033 niemanden mehr, sagt er zufrieden. Sie sind Teil der normalen Stadtarchitektur geworden: O-Ton 32 Wo die Frage gar nicht mehr im Vordergrund steht, ist es ein Park oder ein Baum oder ein Haus? Sondern die Häuser und Grünräume verschmelzen, und der Grad dessen, wie viel ist ein Baum, wie viel ein Haus, verschwimmt. Wir haben eigentlich hybride Strukturen, dreidimensionale Parks, die keinen Innenraum haben, aber auch Gebäude, die eingehüllt eingehüllt sind von baumartigen Strukturen, die solch ökologische und atmospärische Qualitäten aufweisen. Musik 5 überblenden in Musik 1 Zitat: Es war eine Chirurgieboutique. Die Hände in den Jackentaschen vergraben, starrte er durch die Scheibe auf eine flache Raute laborerzeugten Fleisches. Die leuchtende, von einem subkutanen Chip gespeiste Digitalanzeige darauf war wie eine Tätowierung. Wozu eine Operation auf sich nehmen, fragte er sich, wenn man das Ding ebenso gut in der Tasche bei sich tragen konnte. William Gibson, Science Fiction Autor Musik 1 kurz wieder hoch dann weg Atmo 20 Einkaufsstraße Autorin 9. März 2033: Das Einkaufsviertel ist verkehrsberuhigt, für Fahrzeuge größer als Fahrräder komplett gesperrt. Ansonsten ist alles da: Cafés, Restaurants, Geschäfte, Kino, Theater. Und Menschen natürlich, die durch Haupt- und kleinere Nebenstraßen bummeln, so wie sie das schon seit Jahrhunderten tun. Es ist eines der Zentren der Stadt. Jedes große Label hat seinen Flagshipstore hier. Läden, in denen die neusten Kollektionen gezeigt werden, zum Anprobieren und Vergleichen. Aber es gibt auch kleinere Shops, in denen die Ware ausgestellt ist wie Kunst. Atmo 21 Kurz hoch Autorin Während es den großen Marken vor allem um Präsenz geht – das große Geschäft spielt sich mittlerweile hauptsächlich im Netz ab – nutzen die kleineren Designer ihre Läden vor allem als Schaufenster. Der Grund: In der digitalen Welt werden die weniger bekannten Kollektionen leicht übersehen. In der echten haben sie über die direkte Ansprache noch eine Chance, mit dem Wert der kleineren Auflage zu punkten. Trotzdem ist natürlich auch hier alles vernetzt. O-Ton 33 Dann haben wir einen weiteren Interaktions-Spot. In Form eines normalen Schaufensters. Allerdings betreten Sie das Geschäft nicht mehr, wenn sie nach Ladenschluss durch die Stadt gehen, haben sie die Möglichkeit an der Stelle gestengesteuert Informationen einzusehen. Autorin Christian Vocke begleitet mich auf diesem Bummel. Ein Ingenieur, der sich auskennt mit der Kommunikationstechnik der Stadt, weil er sie mitentworfen hat. Er steht vor einem Schaufenster, in dem verschiedene Modeaccessoires ausgestellt sind, deutet wie bei einem Touchscreen mit dem Finger in Richtung eines Mannequins mit Basecap auf dem Kopf. Auf der Scheibe öffnet sich ein digitales Fenster. O-Ton 34 Wo sie durch die unterschiedlichen Produktkategorien navigieren können und dann auch Detailansichten dieser einholen können. Wenn Sie beispielsweise das Basecap hernehmen, können Sie das auch in unterschiedlichen Farbvarianten betrachten.. Autorin Die Farbauswahl passt Vocke nicht. Es gibt das Basecap nicht in schwarz. Dafür weist ihn das Screen auf eine grüne Damenhandtasche hin, die im Laden zu haben ist. Vocke ist schon seit längerem auf der Suche nach einer grünen Handtasche - als Geschenk für eine Freundin. Das hat er seiner digitalen Identität mitgeteilt, verrät er. Er trägt sie in Form eines Chips in seinem Smartphone mit sich. O-Ton 35 Auch hier bekommen Sie die Angebote, welche sie innerhalb ihres Profil eingespeist haben, wenn sie beispielsweise auf der Suche nach einer Damenhandtasche für ihre Lebensgefährtin sind, dann bekommen sie nicht den eleganten Herrenschuh angeboten aber eine dezente Anzahl von Damenhandtaschen angeboten die Sie begutachten und auch erwerben können. Autorin Vocke macht einen Vermerk auf dem Phone, er will sich die Tasche später noch einmal genauer anschauen. Wir gehen weiter. Vorbei an Litfasssäulen, deren digitalen Anzeigen Vocke immer passgenau die Dinge empfehlen, für die er sich tatsächlich interessiert. Ein Kinofilm etwa, den User mit einem ähnlichen Kinoprofil wie seinem, mit „sehr gut“ bewertet haben. Er spielt heute Abend im Kino um die Ecke. Über ein anderes, elektronisches Billboard an einem Gebäude wird er auf das baldige Konzert einer Band aufmerksam gemacht, die er vor kurzem entdeckt und lieben gelernt hat. Überall wird Vocke digital identifiziert. Im Vorbeigehen sozusagen. Atmo 22 Piepen O-Ton 36 Es kann auch vorkommen, dass Menschen jetzt nicht zielgerichtet auf der Suche nach etwas Bestimmten sind, sondern wirklich durch die Technologie darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie dann auch eine gezielten Hinweis bekommen, dass an der Stelle Produkte oder Dienstleistungen, die sie präferieren, im Angebot sind. Autorin Vocke bekommt auf seinem Weg durch die Stadt viele Informationen zugespielt. „Ich habe meine digitale Identität ziemlich umfassend freigeschaltet“, erklärt er diese Datenmenge. O-Ton 37 Die digitale Identität spiegelt letztendlich Interessen in unterschiedlichen Bereichen wider. Das kann von persönlichen Dingen wie beispielsweise Stammdaten über Businessorientierte Aspekte gehen. Es werden auch finanzrelevante Daten in dieses eingespeist. Wie aber auch Lifestyleaktvitäten, kulturelle Events. Sie haben auf diese Weise die Möglichkeit, sowohl mit anderen Individuen Kontakt aufzunehmen, wie aber auch mit smarten oder intelligenten Gebäudeteilen Autorin Jedem ist es am Ende selbst überlassen, wie er in der Stadt unterwegs ist. Ob er etwa anonym bleiben möchte, ohne Chip, oder ob er den Identitätschip in der Kleidung trägt, der Armbanduhr oder in einer Brille, die ihm per LED Anzeige Informationen zukommen lässt. Es ist ihm auch überlassen, wie weit er sein Profil freischaltet. Die einen geben nur sehr präzise Suchanfragen ein. Andere legen ihr ganzes Profil offen, hoffen so, vielleicht ihren Traumpartner zu treffen. Der Unbekannte mit den fast identischen Interessen, der früher einfach vorüberging. Er wird nun geoutet, vorausgesetzt, er möchte das. Eine Typfrage, meint Vocke, und auch eine der Tagesform. O-Ton 38 Bei uns liegt die Hoheit über die Daten beim Nutzer. Er hat die Möglichkeit sein digitales Profil zu speisen und auch zu ändern. Er kann je nachdem, an welchen Ort er sich befindet, Interessensgebiete freigeben oder sperren. Autorin Zum Beispiel Interesse an bestimmten Investitionen. Wenn der Nutzer dann in einer Bank am Selbstbedienungsterminal Bargeld abholt, wird der Bankangestellte drinnen über seine Anwesenheit informiert. Falls er ein interessantes Angebot für den Nutzer hat, kann er diesen über das Screen am Automaten gleich zu einem Gespräch in die Filiale einladen. O-Ton 39 Sie haben ne Meldung bekommen: warum sprechen wir nicht mal über? Autorin Ich finde diesen ständigen Druck, das Beste aus einer Situation zu machen, ermüdend. Meine digitale Identität ist für diese Art Dienst auch nicht freigeschaltet. Ich halte mein Profil eher reduziert. Ich will nicht so oft bereuen, diesen interessanten Menschen mit gleichen Interessen nicht angesprochen, diesen Film nicht gesehen oder dieses Kleid nicht gekauft zu haben. Manchmal, vor allem wenn ich Zeit habe, macht es mir aber auch Spaß, mich dem digitalen Flow hinzugeben. Dann schalte ich mehr Interessen frei und lasse mich überraschen von dem, was kommt. Dem Restaurant, in dem ich lande, weil es mir ähnlich gesinnte Identitäten empfiehlt, oder dem Gesprächspartner, der mir auf der langen U-Bahnstrecke als unterhaltsam angezeigt wird. Vocke nickt zustimmend. O-Ton 40 Wir sehen es als eine Form der Prozessoptimierung, als vorgelagerten Prozess zur späteren, realen Diskussion. Autorin Wegen der realen Diskussion gehen am Ende wohl auch immer noch so viele Menschen vor die Tür, denke ich. Vocke nennt das: die Stadt als optimierten Erlebnisort: O-Ton 41 Wir möchten die Stadt der Zukunft natürlich als einen Erlebnisort und einen Ort der Begegnung optimiert wissen. Natürlich werden die Menschen, auch wenn sie heute schon die Möglichkeit haben, diverse Dienstleistungen von zuhause über das Internet zu bestellen, auch weiterhin den Weg in die Stadt finden, und dort auch ein erweitertes Dienstleistungsangebot in Anspruch nehmen können. Atmo 23 Piep Autorin Vocke verabschiedet sich. Sein nächster Termin hat sich bemerkbar gemacht. Kurze Musikbrücke 6 überblenden in Musik 1 Zitat Wie ein Origamitrick in flüssigem Neon entfaltete sich seine distanzlose Heimat, sein Land, ein transparentes Schachbrett in 3D, das sich in die Unendlichkeit dehnte. Der Cyberspace baute sich aus allen vier Himmelsrichtungen zugleich auf. Dann betätigte er den neuen Schalter: Abrupter Wechsel in anderes Fleisch, keine Matrix mehr, stattdessen eine Woge von Geräuschen und Farben. William Gibson, Science Fiction Autor Musik 1 hoch mischen mit Atmo 24 Schritte (Musik scharf abblenden) Autorin Zurück in der Gegenwart: März 2013. Ich treffe den Zukunftsforscher und Science Fiction Autor Karlheinz Steinmüller. Wir haben uns in der Hufeisensiedlung im Süden Berlins verabredet. Eine Siedlung, vor 80 Jahren fertig gestellt, nach den Plänen des Architekten Bruno Taut. Damals eine sozialreformerische Utopie, eine Stadt der Zukunft mit funktionalen, farbenfrohen Häusern rund um ein Hufeisenförmig angeordnetes Zentrum. Für die unter massiver Wohnungsnot leidenden Berliner sollte günstiger und hochwertiger Wohnraum entstehen, mit kurzen Wegen in die Innenstadt und viel Erholungspotential im Grünen. O-Ton 42 Das war ja ein riesiger Fortschritt, dass man so eine Utopie verwirklichen konnte, erstens auf genossenschaftlicher Basis, zweitens war das sozial ausgerichtet: Also einfache Menschen, die nicht so viel Miete zahlen konnte, sollten guten Wohnraum bekommen. Autorin Ein inspirierender Ort für ein Gespräch über die Zukunft. Die Frage ist, was bleibt von den alten Utopien? O-Ton 43 Man musste ja preiswert bauen. Aber man konnte unter Maßgabe der Budgets überlegen wie bekommt man die Fassaden auf neue Weise hin, wie schafft man das, Balkone zu integrieren, dass man auch mal raustreten kann, wie bringt man das, dass man keine Hinterhöfe hat, aber trotzdem abgeschlossenen Bereiche? Die Wohnungseinrichtung sollte den Menschen das Leben erleichtern. Das wurde als Stadt der Zukunft gesehen. Wobei es da eben konkurrierende Konzepte gab. Also wenn man damals in die Zeitschriften schaute, haben die Leute, an Metropolis gedacht. Also an die Stadt mit den größten Hochhäusern wo der Verkehr auf mehreren Ebenen geführt wird. Die Hightechstadt, während hier die soziale Stadt der Zukunft verwirklicht worden ist. Autorin Die deutschen Großstädte heute ähneln weder gigantischen Hufeisensiedlungen noch Metropolis. Sie sind keine neu errichteten Megacities wie in Asien oder auf der arabischen Halbinsel, sondern immer noch relativ überschaubare Metropolen, gewachsen über die Jahrzehnte, mit einem Nebeneinander von Bauwerken aus den unterschiedlichsten Epochen. Die spektakulärsten Entwicklungen der letzten Jahrzehnte sind auf den ersten Blick unsichtbar. Weil sie sich weniger in der realen als in der digitalen Welt vollziehen. In dieser Welt sind auch die meisten Zukunftsvisionen zuhause: O-Ton 44 Die Utopien beziehen sich heute meist auf das technische, das ist dann die Cybercity, die technologisch hochgerüstete Stadt. Das interessante an diesen technischen Utopien der Stadt der Zukunft heute ist, dass wir eine Überlagerung bekommen von einer realen Stadt mit einer virtuellen Stadt. Also wir haben nicht mehr nur die normale gebaute Umwelt sondern wir haben dann eine virtuell gebaute Umwelt, die dazukommt, wo man an jedem Ort eine unterschiedliche, virtuelle Stadt dazubekommt, wo man sich anschauen kann, was hier früher war, sich in die Vergangenheit versetzen kann oder in die Zukunft, oder in einen Erlebnisraum, wo man auch sämtliche Informationen bekommt, die man haben will. Man kann sagen, dass die Stadt in gewissen Sinn aufgewertet wird, weil sie diese virtuelle Komponente bekommt, gleichzeitig aber auch abgewertet wird, weil die eigentliche gebaute Umwelt nur noch so ein bisschen materielle Kulisse ist und man diese spannenden, erlebnisgesättigten virtuellen Städte überall haben kann, auch auf dem Dorf. Autorin Seit im Jahr 2007 mit den ersten iphones internetfähige Mobiltelefone mit Touchscreens massentauglich wurden, war auch der Schlüssel in die virtuelle Dimension der Stadt gefunden. Smartphones oder smartphoneähnliche Tools bleiben auch in Zukunft unser Navigationswerkzeug, meint Karlheinz Steinmüller. Für die andere Stadt in der Stadt. O-Ton 45 Es könnte natürlich weitergehen bis zu Kontaktlinsen, die augmented reality , also sprich die virtuelle Welt dann noch vermitteln. Man klebt sich eine Kontaktlinse auf die Pupille und sieht dann durch die Linse einerseits was Reales, andererseits sind da aber auch winzige Apparaturen, die dann noch zusätzlich Bilder zur Verfügung stellen. Es kann dazu führen, dass das, was an Beschleunigung eh schon da ist, dass das noch mehr einsickert, dass die Utopie der totalen Kommunikation dann schon fast wieder zur Antiutopie wird. Autorin Als Pendant zu den raucherfreien Zonen wird es dann wohl auch Netzfreie Räume geben, prognostiziert Steinmüller. Zonen, in denen der Funk gestört ist. Wie zum Beispiel im kleinen Park hier, sagt er, weist auf die Wiese mit dem Ententeich inmitten der Hufeisensiedlung: O-Ton 46 eine Schutzzone, in die man fliehen konnte. Autorin Neben der Entwicklung der Kommunikationstechnologie diagnostiziert der Zukunftsforscher zwei weitere Megatrends, die das Leben in den Städten stark verändern werden: der demographische Wandel. Er wird zu einer alternden Gesellschaft führen, an deren Bedürfnisse die Infrastruktur der Städte angepasst werden muss. Und der Klimawandel: O-Ton 47 Wenn wir 30 /40 Jahre in die Zukunft gehen, dann können wir schon annehmen, dass die Temperatur um ein bis zwei Grad höher ist. Für Mitteleuropa ist klar, dass es mehr Wetterextreme geben wird, mehr Starkniederschläge, weniger Frost, aber mehr Hitzetage, und daran müssen die Städte angepasst werden. Da kann man Stadtgrün dagegen setzen, handelt man sich womöglich aber auch so einen Tropeneffekt ein, in diesen gut bebaumten Stadtregionen. Autorin Berlin in den Tropen. Sehr realistisch wirkt das nicht an diesem kalten Tag im März. Aber das Klima ist auch nicht das Thema, das Steinmüller am meisten beunruhigt. Es ist die Idee, die diese Siedlung hier einmal bewegte. Die soziale Utopie. Sie fehlt, sagt er, und das wird die Städte prägen. O-Ton 48 Wenn wir das in einer historischen Perspektive sehen: die Luft in den Städten ist heute so gut wie seit 100 Jahren nicht. Verkehr ist immer flüssiger, überall werden Fortschritte gemacht. Das, was dem entgegenwirkt, sind natürlich soziale Spaltungserscheinungen. Wenn die Spaltung dann schon bei der Bildung beginnt, verfestigen sich diese Spaltungen natürlich und dann hat man eben Quartiere, wo überwiegend Menschen leben, die von der Wohlfahrt abhängen, und dann kann dann auch bedeuten, dass in bestimmten Quartieren nicht investiert wird, dass da die Photovoltaik nicht funktioniert, weil sie eh immer zerschlagen wird, dass Straßen in schlechtem Zustand sind und sich niemand drum kümmert. Verfall ist natürlich auch immer denkbar, aber der Verfall kommt nicht von der Technik her, sondern der Verfall kommt von unseren sozialen Ungleichheiten her Kennmelodie Spr. V. D.: Schlauer Leben – Reale Modellprojekte für die Stadt der Zukunft Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt von Katja Bigalke Interviewpartner waren in der Reihenfolge ihres Erscheinens: Fritz Ulbrich und Raul Rojas aus dem Autonomos Labor des Instituts für Informatik der Freien Universität Berlin Familie Welke-Wiechers aus dem Effizienzhaus Plus in Berlin Werner Sobek, Architekt und Bauingenieur vom Stuttgarter Institut für Leichtbau Nicolas Leschke, Geschäftsführer von Efficient City Farming, Berlin Daniel Schönle vom Stuttgarter Institut für Baubotanik Christian Vocke vom IAO der Fraunhofer Gesellschaft Karlheinz Steinmüller, Berliner Zukunftsforscher und Science Fiction Autor Ton: Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2013. Manuskript und eine Online-Version der Sendung finden Sie im Internet unter dradio.de 1