DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 18.12.2007 Redaktion: Marcus Heumann 19.15 - 20.00 Uhr Skat unterm Stacheldraht Ein Kleiner Grenzverkehr im Vogtland Feature von Henry Bernhard Atmo Wald Erzählerin Im Juli 1981 entstehen an der innerdeutschen Grenze nahe der Bahnlinie Plauen-Hof neun Fotos, die unter keinen Umständen in falsche Hände geraten sollten. 5 Männer sitzen um den Grenzstein, auf dem "DDR" steht. Davor, an den bayerischen Grenzpfahl gelehnt, bunte Plastiktüten, eine Bierflasche. Horst Riedel, ein Unterleutnant der DDR-Grenztruppen, hat die Mütze eines westdeutschen Zollbeamten auf. Siegfried Schmutzer, er ist der Zöllner, präsentiert dessen Kalaschnikow, auf dem Kopf das Käppi der DDR- Grenztruppen. Eine friedliche, eine absurde Szene im Sommer 1981, 8 Jahre bevor sich der eiserne Vorhang heben sollte. Diese Sendung erzählt die Geschichte dieser Fotos. Horst Riedel Es gibt Situationen, wo sie sich raussuchen können: Wird ihnen das linke Bein abgenommen oder das rechte! Aber eins wird ihnen abgenommen! Und das war so eine Situation! Sie kommen aus so einer Situation wie an der Grenze als Verantwortlicher nicht anders raus! Titel: Skat unterm Stacheldraht Ein Kleiner Grenzverkehr im Vogtland Feature von Henry Bernhard Grenzerlied Horst Riedel Es war also ein ziemlich stressiger Dienst von Mai bis August `81, die letzten 100 Tage meiner Dienstzeit. Und Überschrift war halt: Hast du die 1000 Tage gut gedient, machst du dir die letzten 100 Tage jetzt nicht noch irgendwie ein Ding vor dem Studium. Erzählerin Horst Riedel, der Unterleutnant. Horst Riedel Es war halt immer nur ein Mitlaufen, ein Durchlaufen, weil man ja das Ziel hatte: Studienplatz, Zahnmedizin `81! Und bin im Mai ´81 dann als Kommandeur von so einer Sicherungseinheit vor das vordere Sperrelement, also vor den Zaun, befohlen worden. Siegfried Schmutzer Wir wußten ja, dass die nicht dürfen! Erzählerin Siegfried Schmutzer, der Zöllner. Siegfried Schmutzer Wir haben eigentlich immer, wenn eine Truppe herausen war und wir vorbeigegangen sind, haben wir Guten Morgen gesagt. Das war eigentlich gang und gäbe, auch, wenn wir keine Antwort gekriegt haben. Horst Riedel Was halt Käse ist, wenn sie dort auf 2 Meter an dem Zöllner oder Polizist vorbeigehen und dürfen den nicht grüßen. Das ist also absoluter Käse! Es war halt nach offizieller Lesart die Nahtstelle zwischen Imperialismus und Sozialismus. Grenzerlied Horst Riedel Und für mich war eben das Erstaunliche, dass die Vertreter dieses angeblich imperialistischen Regimes ganz normale Leute waren! Hartmut Endler Und vor allem: Es war ja nur ein Sprung - und schon bist du auf der anderen Seite! Erzählerin Hartmut Endler, Raupen- und Baggerfahrer. Einer von den Männern auf den Fotos. Horst Riedel Die Grenze macht halt große Schnitte. Und der Zaun, der vordere Zaun, macht praktisch eine Begradigung. Also riesige Ländereien lagen brach seit dem Ende des Krieges. Joachim Vollert Das brachliegende Land an der innerdeutschen Grenze war ja so groß wie Luxemburg - von der Fläche her. Horst Riedel Und irgendjemand kam am Ende der 70er Jahre im Zuge der Intensivierung der Produktion der Landwirtschaft auf die schlaue Idee, dass man diese Ländereien urbar macht, nutzt für die Produktion. Joachim Vollert Und deswegen wurde dieses Freigelände zwischen Stacheldrahtzaun und später Metallgitterzaun melioriert - das heißt: Wiedergewinnung von Land. Hartmut Endler Das Gebiet musste also schussfrei sein - was weiß ich, wie das damals genannt wurde. Außerhalb der Grenze dann mussten wir das begradigen. Ein freies Gefühl, ne! Man sieht halt was anderes dann: Zoll, BGS, Polizei ... Die sind halt immer gekommen und haben geschaut, was wir arbeiten oder, ne. Siegfried Schmutzer Ich war mit meinem Hund im Grenzdienst unterwegs als Zollbeamter. Und jedes Mal, wenn irgendwelche Baumaßnahmen auf östlicher Seite waren, dann waren wir praktisch angehalten, die Baumaßnahmen zu beobachten und hinterher darüber Bericht zu erstatten, im Form von einer schriftlichen Meldung. Und ich war dann mit dem Hund unterwegs an der Grenze und habe mir die Leute da angucken wollen. Erzählerin Nicht ganz Alltag an der innerdeutschen Grenze: Ost-Arbeiter unter scharfer Bewachung vor dem letzten Zaun, mitunter nur Schritte vom Westen entfernt. Der Aufwand auf DDR-Seite ist riesig. Nach Dienstvorschrift darf sich kein Zivilist allein bewegen, die Grenzer dürfen nicht sitzen, nicht rauchen, nichts trinken, ihre Waffe nicht ablegen. Und vor allem müssen sie jeden Kontakt zu den westdeutschen "Grenzorganen" meiden. Horst Riedel Also ein Heidenaufwand, auch wirtschaftlich gesehen! Und wie wir an der Grenze langgefahren sind, habe ich dann immer die Soldaten dort und dort abgesetzt, zum Teil eingewiesen mit dem Fahrer und dem Herrn Unterdörfer, der ja so was wie mein Stellvertreter war. Udo Unterdörfer Ich war 1981 Chef einer Sicherungsgruppe zum Absichern von feindwärtigen Arbeiten durch die Melioration Weischlitz. Und wir hatten halt die Aufgabe, zwischen denen und der Bundesrepublik uns zu postieren, um zu verhindern, dass die auf dumme Gedanken kommen. Hartmut Endler Von der Bewachung her die wußten ja schon, dass wir unser Ding machen. Du kennst dich ja, der wohnt ja bei dir in der Nähe! Udo Unterdörfer Ich habe zu dem Zeitpunkt in Weischlitz gewohnt, ich kannte sie alle, einer war fast mein Nachbar. Also da hatte sich schon fast ein privates Verhältnis mit aufgebaut. Da hat man sie doch nicht mehr so strikt durchgesetzt - die Dienstvorschrift. Horst Riedel Die hätten eigentlich kaum Kontakt zu uns haben sollen - laut den Vorschriften, die ich dann hinterher erst habe lesen dürfen. Praxis war: Langeweile, zu wenig Leute, die haben uns das Essen zum Teil mitgebracht. Da kann ich mich ja bei denen nicht als der große Zampano aufschwingen! Da muss ich ja mit denen auch einen kleinen Kontakt haben. Es ging dann sehr schnell. Da war es auch langweilig, da hat es geregnet ... Na, was mache ich da den ganzen Tag? Da sitze ich im Bauwagen und spiele Karten. Joachim Vollert Mein Name ist Joachim Vollert. Ich war Angehöriger der Bayerischen Grenzpolizei. Ich ging also so an der Grenze entlang, auf der anderen Seite tuckerten eine Raupe und ein Bagger, aber es war kein Mensch zu sehen. Plötzlich merkte ich, dass kurz nach dem Grenzverlauf hinter einem Erdhügel, also einem aufgeschobenen Erdwall, vier Männer saßen und Karten spielten. 3 Zivilisten und ein Uniformierter! Und da der Abstand zur Grenze nicht weit war - wir hatten ja die Ferngläser auch dabei -, auf die Distanz von fünf, sechs Metern kann man das ja erkennen - Was hat der für ein Blatt? -, wenn der das genau in unsere Richtung zeigt. Na ja, der spielte dann aus und hat das Spiel verloren. Da habe ich so aus Spaß gesagt von der Westseite: Na, die Karte hätte ich nicht gezogen! Die hätte ich nicht gespielt! Da hat man mich angeguckt! Und so ging eigentlich das Gespräch los. Erzählerin So seltsam es klingen mag: Auf der wirklichen Grenzlinie zwischen Ost und West gab es nur Grenzpfähle und Grenzsteine. Nichts, was wirklich trennt. Metallgitterzaun, Signalzaun, Hunde, Minen, Selbstschussanlagen - das alles war Dutzende Meter weiter, auf DDR-Gebiet. Hartmut Endler So sind wir halt dann ins Gespräch gekommen. Horst Riedel Und kam halt am 19. Mai ´81 dazu, als der Fähnrich Unterdörfer mit drei Arbeitern und dem Herrn Vollert aus Trogen, wie ich später erfahren habe, dort standen und haben halt erzählt. Vollert war Bayerische Grenzpolizei... Ich war jedenfalls erst mal ziemlich erschrocken und habe dezent auf die Auflösung des Treffens gedrängt. Als dann die Arbeiter wieder auf DDR- Territorium waren und der Zaun wieder zu war, habe ich sie halt zur Rede gestellt entsprechend, was das sein soll! Da wurde mir gesagt: Um Gottes Willen, wir machen das nicht mehr, das ist einmalig, keine Sorge! Und so ... Joachim Vollert Riedel war ja Dreijähriger. Er hatte sich ja verpflichtet, um hinterher zu studieren. Und er war also die Oberaufsicht. Er hat sich dann praktisch selbst ins Abseits gestellt, indem er sich mit uns unterhalten hat. Horst Riedel Als das am nächsten Tag dann wieder losging und ich dann wieder dazukam, als die da stehen, wurde mir dann bei der Auswertung dann hinterher mir auch gesagt von diesen Meliorationsarbeitern: Na ja, wir wollen hier nicht arbeiten, kannst es ja melden! Wer geht denn da in den Knast? Mir net! Du versaust dir deine Zukunft! Meld's doch ruhig! Mir war also praktisch auch die Hände gebunden, weil ich das das erste Mal ja nicht gleich gemeldet hab, weil ich es auch nicht so wichtig gesehen hab, wenn die da mal eine rauchen oder schwatzen ... Das war halt irgendwo: Man musste ja nicht der Durchreißer gleich sein! Hartmut Endler Und so hat sich das alles eingespielt, dann haben die dann auch mal was gesagt. Oder die wurden auch angesprochen: Mensch, wie geht's denn? Udo Unterdörfer Und mit einem von der bayerischen Grenzpolizei hat sich dann ein Gespräch entwickelt, wo man schon sagen kann: Das Feindbild ist schon ein bisschen ins Wanken gekommen! Joachim Vollert Dann hat man mal gehört: Was denkt man auf der anderen Seite überhaupt über uns? Horst Riedel Grundthema war: Wie hat Bayern München gespielt; bist du verlobt/ verheiratet; was macht deine Frau? Oh, die ist gerade krank, was hat sie denn ...? Also, ganz normale Dinge! Udo Unterdörfer ... also dass da gar nicht so der Feind in dem Sinne in ihm steckte. Er war halt ein uniformierter Polizist - und mehr letztendlich nicht! Horst Riedel Ich habe eben gesehen, dass der Herr Vollert und der Herr Schmutzer ganz einfache, normale Leute sind, Deutsche sind, die zum Teil noch von der Republikflucht abgeraten haben! Da war ich ja absolut baff! Und das sind so Dinge, da sind bei mir auch etliche Mauern eingestürzt. Und das dann rüber zu bringen den eigenen Leuten, zu sagen: He, wir müssen jetzt hier Wache stehen für den Frieden! Wem wollen sie das ernsthaft erzählen? Ne! Joachim Vollert Und dann kam's dann mal: Was wollt ihr denn haben? Wo ist denn Mangelware? Uhren haben sie ..., das weiß ich von dem Schmutzler her, oder mit den Radios für die Autos ... Zigaretten haben sie dann ... Hartmut Endler ... Radio, Zigaretten, Kugelschreiber: Wir hatten ja alles, was so über die Grenze geschmuggelt worden ist! Es hat ja keiner gesehen. Und abends haben wir halt immer in der Garage bei mir das Zeug dann getauscht, wer wo was haben wollte. (lacht) Siegfried Schmutzer Das Treffen hat sich eigentlich über den ganzen Sommer erstreckt! Wir saßen dann auf der Grenze, ich hab dann immer ein bissel was mitgebracht. Joachim Vollert Und das hat mich eigentlich gewundert: Dass man so lange gebraucht hat auf der anderen Seite, bis die Sache aufgeflogen ist! ATMO Klicken mechanischer Fotoapparat Horst Riedel Das Ministerium für Staatssicherheit hat nachher bei der Untersuchung natürlich unterstellt, ich bin abgeworben worden, bin BND-Agent und CIA- Agent und nur so ein Zeug! Aber ich hatte immer den Eindruck, eine gewisse Vertraulichkeit ist da; also er nagelt mich nicht an die Wand! Siegfried Schmutzer Den Kontakt habe ich dann sofort weitergemeldet mündlich. Weil ich nämlich gute Bekannte bei der MIC hatte, bei den Amis, die hier in Hof eine Dienststelle unterhalten haben ... Na ja, die waren natürlich hocherfreut darüber und haben mir gleich irgendwie Richtlinien mitgegeben, dass ich mir gut merken soll, was mir die erzählen, und v.a. Dingen, ob ich nicht mal auch ein bissel auch nachfragen kann, dass man das Gespräch mal bringt, was die Russen so in Plauen treiben und wie bei denen so die Stimmung ist ... Das habe ich dann alles, so wie es mir gesagt wurde, habe ich das dann auch gemacht. Joachim Vollert Meine vorgesetzte Dienststelle wußte Bescheid! Dass man mal weiß: Wie ist die Stimmung auf der anderen Seite? Siegfried Schmutzer Das einzige, was der Geheimdienst, der MIC dazu tat, das war die "Penthouse". Weil: Die wollten die Zeitungen haben mit die nackigen Weibern! Da hab ich gedacht: Könnt ihr ja haben! Und da haben mir die Amis, weil da gewisse Nachfrage dafür bestand, die haben mir dann mal den amerikanischen "Penthouse" gegeben. Die haben einen ganzen Stoß gehabt, von einem 1/2 Meter Höhe. Und die habe ich dann alle nacheinander rübergebracht. Udo Unterdörfer Die hat er mitgebracht, ja! Die hat er durchgereicht. Siegfried Schmutzer Ach ja, die Penthouse hat er in die Stiefel nein gesteckt. Da waren sie gut untergebracht. Horst Riedel Es war halt der persönliche Austausch, das Kennenlernen - als es dann eh egal war, ob ich das mitmach oder net - war für mich eigentlich das, was da im Vordergrund stehen sollte, und dass ich eben auch wußte, ob auch über eine Republikflucht geredet worden ist. Joachim Vollert Die haben uns gefragt: Was würdet ihr denn machen, wenn wir abhauen? Da haben wir gesagt: Wir müßten euch helfen, das ist doch ganz normal! Job, Wohnung! Hartmut Endler Da haben wir halt auch immer gefragt: Was kann uns passieren, wenn wir alle vier abhauen? Na, uns kann nichts passieren! Familienzusammenkunft, da habt ihr keine Probleme! Siegfried Schmutzer Und dann habe ich ihnen erzählt: Wenn ihr jetzt geht, ihr müßt ja auch an eure Familien denken, die Stasi wird ja dann wahrscheinlich die Familien auseinanderpflücken, und die dürfen dann büßen, wenn ihr abgehauen seid, ne! Horst Riedel ... zumal auch diese Meliorationsarbeiter immer beteuert haben: Wir hauen nicht ab, weil wir euch hinter Gitter bringen! Das habe ich heute noch im Ohr! Das machen wir nicht, um Gottes Willen! Wir bringen unsere Zeit hier rum, haben Westkontakt, rauchen mal eine Westzigarette; aber: Abhauen? Um Gottes Willen! Die wussten genau, sie bringen einige hinter Gitter. Udo Unterdörfer Die Frage kam doch einmal: Was würdest du machen, wenn ...? Stimmt, jetzt, wo sie mich so fragen: Die Frage ist mal aufgetaucht ... Die Frage haben wir im Raum stehen lassen. Ich glaube, ich hätte sie auch nicht beantworten können. Hätte man sich mal sollen einen Kopf drüber machen! ATMO Klicken mechanischer Fotoapparat Siegfried Schmutzer Und da habe ich mal meinen Fotoapparat mitgenommen und habe die gefragt, ob die damit einverstanden wären, ob wir ein Foto machen. Die haben gesagt: Ja, eigentlich kein Problem! Horst Riedel Da haben wir uns halt hingesetzt zu einer Art Abschiedsbild für sein Familienalbum. Und da haben wir uns - ich will nicht sagen, wie in einer Art Verbrüderung! - aber wir haben uns eben nebeneinander hingesetzt, so ein bißchen posiert, ne. Siegfried Schmutzer Ich hab mich dann auf einen Stein gesetzt, Grenzstein, schön mit der Aufschrift "DDR", und der Herr Riedel hat sich neben mich gesetzt. Dann habe ich seine Kalaschnikow in der Hand gehabt und er hat meine Zollmützen auf dem Kopf gehabt und ich sein Käppi. Und dann hat einer von der Meliorationsgenossenschaft die Fotos gemacht. Horst Riedel Es war halt einfach eine lockere Atmosphäre, und in dem ganzen Druck, in der ganzen Maschinerie des Grenzdienstes - das war irgendwo -, man hat halt dann wie eine Art Ventil gesehen: Mein Gott, jetzt koche ich mal meine Suppe für mich; es tut ja niemandem weh! Siegfried Schmutzer Na ja, und da haben wir uns noch darüber amüsiert, wie sich der Onkel Honni freuen würde, wenn er die Fotos sehen würde! Und soweit, wie ich informiert bin, muss er sie wohl auch gesehen haben von der Stasi her. Erzählerin Dutzende Male haben sie sich im Sommer ´81 regelmäßig getroffen. Die Stasi, die Vorgesetzten bei den Grenztruppen - sie alle ahnen nichts davon. Aber die Arbeiter und auch Horst Riedel bekommen Angst. Was würde Siegfried Schmutzer, der Zöllner, im Westen mit den Fotos machen? Horst Riedel Ich meine: ich wollte diese Kontakte erst mal per se nicht! Ich wollte mir meinen Studienplatz nicht versauen für andere Leute; und schießen oder irgendwelche anderen Sachen würden mir wahrscheinlich heute schlecht angelastet werden! Musik Horst Riedel Nach der Armee war es so, dass ich ganz normal zum Studium bin, ´81 in Leipzig angefangen habe, Zahnmedizin zu studieren. Siegfried Schmutzer Der Kontakt ging dann über das ganze Jahr hinweg, 1981, und dann noch 1982, allerdings war dann der Riedel nicht mehr dabei, da war dann ein anderer dabei. ATMO Klicken mechanischer Fotoapparat Siegfried Schmutzer Ich hab die Fotos ein Jahr drauf mitgebracht und hab sie ihnen gezeigt, die Fotos. Da sagt der Dorn: Mensch, ich würde sie gern mal meiner Frau zeigen! Na nu habe ich gesagt: Es ist aber dein Risiko, wenn du die Fotos mitnimmst! Wenn die jemand erwischt, die Fotos, dann weißt du ja, was passiert! Nee, nee, ich paß schon auf, da passiert nix! Ich möchte sie mal meiner Frau zeigen. Zitator 1 (Ministerium für Staatssicherheit, Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt, Vernehmung der Personen Endler, Buettner und Schwabe am 20.7.1982) Durch die Existenz dieser Fotos gelangten Endler, Buettner, Schwabe und Dorn zu der Schlussfolgerung, dass die Fotos für sie belastend sind und im Falle eines Bekanntwerdens bei den Sicherheitsorganen der DDR sie mit strafrechtlichen Sanktionen rechnen müssen. Aus diesem Grund kam es nach dem 7.6.82 während der Arbeitspausen mehrfach zu Gesprächen über ein ungesetzliches Verlassen der DDR nach der BRD. Eine nicht untergeordnete Rolle spielte bei den Gesprächen die negative Einstellung der genannten Personen zur Wirtschaftspolitik der DDR. Hartmut Endler Gut, Arbeit hatten wir. Aber das war eben was Neues! Und vor allem: Es war ja nur ein Sprung - und schon bist du auf der anderen Seite! Aber: Es waren eben vier Mann - und die mußt du erst mal unter einen Hut bringen! Und dann waren wir das eine mal zur Brotzeit, gesagt: Wenn wir jetzt rauf kommen und es steht jemand drüben auf der anderen Seite, dann verschwinden wir! Udo Unterdörfer Nach dem Frühstück, hm. Früh 9.30 Uhr, glaube ich. Wir sind früh vom Bauwagen weg, wieder Richtung Arbeitstechnik der Leute. Laut Vorschrift hat man vor den Leuten zu laufen, beziehungsweise versetzt zwischen ihnen und Grenze. Die sind vor uns her gelaufen, wir hinterher. Das ist halt der Punkt, wo wir es haben schleifen lassen. Hartmut Endler Wir sind normal gelaufen in Richtung der Zöllner, standen 2 vom Zoll dort, ne. Udo Unterdörfer Na und dann kam ein Graben, und dann höre ich nur noch, wie einer - ich kann es nicht sagen, welcher von den vieren -, aber einer hat gesagt: Los! Und dann sind sie losgerannt. Hartmut Endler So schnell konnten die da gar nicht schauen von der NVA, wie wir da fort waren! Udo Unterdörfer Ruck-Zuck waren sie weg. Im Prinzip hätten wir es verhindern können, aber auf der anderen Seite wäre es riskant gewesen, da die den Zeitpunkt genutzt haben, als drüben der Zoll stand. Und da wäre es mit Risiko verbunden gewesen - Einsatz der Schußwaffe -, falls rüber in die Richtung geschossen würde, hätte das wahrscheinlich noch größere Konsequenzen nach sich gezogen. Na ja, dann Meldung machen, und dann kam der Stein ins Rollen. Na ja, und dann ging's zur Vernehmung, 10 Stunden haben sie uns durch den Fleischwolf gedreht. Ohne Ergebnis. Na da war erst mal ein paar Tage Ruhe. ATMO Klicken mechanischer Fotoapparat Erzählerin Zur gleichen Zeit auf der West-Seite: Vier Männer Mitte 30, plötzlich allein, ohne Arbeit, ohne Frauen, ohne Kinder. Der Preis der Freiheit. Hartmut Endler Das waren zwei Zöllner, da sind wir bei denen erst mal zu Hause gewesen, dann sind wir nach Trogen zur Polizei. Joachim Vollert Da haben wir gesagt: Was sollen wir mit euch machen? Wir müssen uns um euch kümmern, das heißt: Wohnung beschaffen, Arbeit beschaffen ... Aber eins sage ich euch im voraus: Ihr seid keine 3 Monate bei uns! Weil, ihr seid alle verheiratet, habt Kinder; euch treibt die Sehnsucht nach Hause, wieder zurück! Hartmut Endler Die haben uns erst mal verpflegt, essen, trinken ... Sind wir erst mal essen gegangen ... Siegfried Schmutzer Und dann habe ich die vier sofort, nachdem sie geflohen waren und bei mir zu Hause auf der Terrasse saßen, habe ich dann einen befreundeten Bauunternehmer angerufen und habe gesagt: Horch, für dich hätte ich ein paar Leut'! Ich habe gesagt, das sind Bauarbeiter, versiert im Umgang mit Osttechnik, Russen-Raupen und so. Na ja, das ist ja fast ein und dasselbe, ich probier's einmal mit ihnen! Joachim Vollert Das erste, was wir ihnen eingerichtet haben: einen Fernseher ins Zimmer gestellt! Die Leute haben kartonweise Klamotten gebracht. Einen Fünfziger: "Da, geht einmal essen!" Oder beim Sportverein: Jeder, wenn die irgendwo waren, die wurden freigehalten von anderen! Die hätten ein gutes Leben gehabt! Hartmut Endler Freilich, hätten wir auch in der Zeitung, BILD-Zeitung oder so ... Aber da haben wir gesagt, das machen wir nicht, weil: Es bringt uns ja nichts! Dass die Familienzusammenführung klappt! Nicht, dass sie jetzt gleich nachkommen, aber ein Jahr, anderthalb, denkt man, dann kommen sie nach. ATMO Klicken mechanischer Fotoapparat Siegfried Schmutzer Und mein erstes war dann: Mensch, die Fotos! Ach, sagt er, die habe ich daheim vergessen! Da habe ich gesagt, na bravo, hoffentlich ist deine Frau so gescheit und tut die Dinger gleich wegschmeißen oder tut sie gleich vernichten! Zitator 1 (Bezirksverwaltung der Staatssicherheit Karl-Marx-Stadt, 11. Juni 1982) Die Ehefrauen der flüchtigen DDR-Bürger wurden zeugenschaftlich vernommen. Fotos wurden sichergestellt und an der Identifizierung der abgebildeten Personen und der Bestimmung des konkreten Aufnahmeortes wird gearbeitet. Vera Endler Na und dann haben sie, ohne was zu sagen, die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt! Die haben die Schränke, die Betten, Keller, Boden, alles! Und dann habe ich gesagt: Ich möchte mal wissen, was los ist!? Ihr Mann ..., es geht um ihren Mann! Da dachte ich: Ach Gott, was werden sie denn gemacht haben? Und dann haben sie mich mitgenommen, und dann habe ich noch zwei Frauen von die anderen Arbeitskollegen gesehen. Da habe ich gedacht: Holla, was ist jetzt los? Und dann habe ich den Hubschrauber gehört, da ist einer von Chemnitz gekommen, dann sein sie gekommen und haben gesagt, dass eben illegal die Republik verlassen worden ist. Und mir sollen endlich zugeben, ob wir's gewußt haben! Na, da sag ich, ich hab nichts gewußt! Da haben sie uns behalten bis früh um viere, da ham se mich ham, und um sechse stand schon wieder einer vor der Tür! Dann haben sie uns Bilder gezeigt: Die NVA und die Zöllner zusammen! Ich hab geschaut: Ach Gott! Ich hab die nie in meinem Leben geseh! Da haben sie sich fotografieren lassen! Er hat sie nicht mit heim genommen, aber die anderen haben sie mit heimgenommen! Die Frauen wußten's! Ich wußte's net! Udo Unterdörfer Na und dann sind bei den Haussuchungen wahrscheinlich die Fotos aufgetaucht, die die anderen gemacht haben, wo ich nichts wußte davon. Und das war natürlich der Knackpunkt! Aber dort haben sie einen Ansatzpunkt gehabt, wo sie den Hebel ansetzen konnten - mit Erfolg! ATMO mehrfach Klicken mechanischer Fotoapparat Horst Riedel Die Verhaftung geschah in Leipzig, nahe dem Uni-Hochhaus. Sie denken, sie träumen, so aus dem Stand heraus! Sie sind sich erst mal keiner ganz schlimmen Schuld bewußt! So und dann Gefängnis, ausziehen, Trainingsanzug an, Leibesvisitation, Zelle, Tür auf, Bumm-Rein! Dann bin ich 24 h verhört worden, dann haben sie mir eben diese Fotos vorgelegt zum Beispiel, wie das zustande kam. Da habe ich gesagt: Na gut, vertrauensvolles Verhältnis, war halt so! Ja, da sind die natürlich aus allen Wolken gefallen. Und dann haben die sich immer abgewechselt. Ich war dann echt am Ende nächsten früh. Da habe ich es gesagt, wie's war. Das waren dann eben Dienstpflichtverletzungen während des Grenzdienstes, aber nach heutigem Recht ist das halt irgendwie gegenstandslos. ATMO Klicken mechanischer Fotoapparat Zitator 1 Ministerium für Staatssicherheit, Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt, Stellvertreter Operativ, den 15.6.82 Die Leiter der Kreisdienststellen Plauen und Oelsnitz sind beauftragt, alle notwendigen Maßnahmen der Zurückholung der Täter in die DDR vorzubereiten. Dazu sind über die Inoffiziellen Mitarbeiter unter den Lehrern die Kinder so zu beeinflussen, dass sie selbst durch Briefe sowie durch die Inspirierung ihrer Mütter Briefe nach der BRD mit der Bitte um Rückkehr der Täter richten. Siegfried Schmutzer Es hat nicht lang gedauert, kam dann von drüben Post. Da haben sich die Schwiegermütter und die Frauen sich bitter darüber beklagt, wie sie schikaniert wurden, nachdem sie abgehauen sind. Und sie sollten halt vielleicht doch wieder heimkommen. Hartmut Endler Da war ja noch Hoffnung, dass noch Familienzusammenführung ist, ne! Irgendwie wird sich das ja einpegeln dann!? Zitator 1 Bezirkskoordinierungsgruppe Plauen, den 23.6.1982 Vorschlag zur Durchführung von Maßnahmen mit dem Ziel, den Dorn, Johannes, zur Rückkehr in die DDR zu veranlassen. Die Dorn sucht ihren Neffen am gegenwärtigen Aufenthaltsort Hof auf und erklärt ihm, dass sie es nicht mehr länger mit ansehen könne, wie sich seine Ehefrau und seine Kinder um ihn sorgen und die Kinder ihren Vater vermissen. In diesem Zusammenhang fordert sie ihren Neffen zur sofortigen Rückkehr in die DDR auf. Die Dorn hat weiter zu erklären, dass er im Falle der Nichtrückkehr als Konsequenz die Trennung von seiner Familie für immer in Kauf nehmen muss. Die Dorn hat ihrem Neffen ins Gewissen zu reden und teilt ihm mit, dass er bei sofortiger Rückkehr nicht bestraft wird. Die Dorn ist zu instruieren, dass in keinem Falle in diesem Zusammenhang das MfS erwähnt werden darf. Leiter der Kreisdienststelle, Steudel, Oberst Hartmut Endler Irgendwann ist vom Herrn Dorn die Tante aufgetaucht und hat ihn überredet, er solle wieder zurückkommen, er geht straffrei aus usw. Dann ist er - Wir haben uns alle überlegt: Das kann doch nicht sein und sonstwas! -, na dann ist der Herr Dorn abends wieder mit der Tante zurückgefahren! So ... Zitator 1 Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Stellvertreter Operativ Karl-Marx-Stadt, den 30.6.1982 Aktennotiz Der Genosse Minister wurde vom ersten Ergebnis der Befragung des Dorn und seiner Tante und der Tatsache informiert, dass auch die anderen am Grenzdurchbruch am 10.6.1982 beteiligten Personen Schwabe, Büttner und Endler in die DDR zurückkommen würden, wenn am Beispiel des Dorn bewiesen ist, dass sie nicht inhaftiert werden. Der Genosse Minister hat angewiesen, unverzüglich weitere operative Maßnahmen zur Rückführung auch der anderen Personen einzuleiten und geeignete Personen auszuwählen, die in die BRD nach Hof fahren und analog der Dorn, Anneliese, die Gespräche mit den betreffenden Leuten zur Rückkehr in die DDR führen. Schaufuß, Oberstleutnant Hartmut Endler Dann vergingen noch mal drei Wochen, da kamen dann der Rechtsanwalt Vogel und der Rechtsanwalt Stange von Westberlin, dann kam dem Herrn Büttner seine Frau und meine Mutter. Und dann hat eben der Herr Vogel eröffnet, dass es in diesem Fall keine Familienzusammenführung gibt, weil: Das wird wie eine bandenmäßige Flucht behandelt und nicht wie eine Einzelflucht. Ja. So. Dann standen wir erst mal da: Was machen wir nun? Siegfried Schmutzer Ich nehme halt an, die Trennung von Frau und Kinder usw., das hat sie schon ziemlich belastet. Und die Arbeit hier war, im Vergleich zu dem, was sie drüben machen mussten, doch ein bißchen intensiver gestaltet als wie was sie drüben hatten. Hartmut Endler Die haben uns dann Bedenkzeit gegeben, Straffreiheit zugesichert, wenn wir zurückkehren, es passiert überhaupt nichts ... Na gut. Also ging das dann zwei oder drei Tage hin und her. Machst du es richtig - machst du es falsch? Also gut: Vogel angerufen - Wir kommen zurück! Siegfried Schmutzer Und die sind dann alle zusammen mit Sack und Pack über Rudolfstein wieder ausgereist. Hartmut Endler Bevor wir eingestiegen sind, sag ich: Ich geh nur zurück, wenn ich wieder ausreisen kann! Das hat der Herr Schwab dann auch gesagt: Sonst bleibe ich hier! Da hat er gesagt: Ich garantiere ihnen, sie können wieder ausreisen. Siegfried Schmutzer Natürlich auch mit dem Geld, das sie hier verdient hatten. Na ja, und das war ja nicht wenig, denn Bauarbeiter haben zu dem Zeitpunkt nicht schlecht verdient. Hartmut Endler Ein mulmiges Gefühl. Die glaubst ja nicht, dass sie dich einsperren! Na ja, dann hat der Vogel gesagt: Jetzt kommen sie nach Plauen, da ist eine Befragung. Und heute abend rufen sie mich an, wie das abgelaufen ist. Aber nur Befragung, sonst nichts. Na ja, das waren ungefähr 2 h, die Befragung. Und dann war's das dann halt. ATMO Klicken mechanischer Fotoapparat Zitator 1 4.8.82 Leiter der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt An: Leiter der Kreisdienststelle Plauen Leiter der Kreisdienststelle Oelsnitz Es ist unbedingt zu gewährleisten, dass die Wiedereingliederung der 4 in die DDR zurückgekehrten Personen reibungslos verläuft und alle Umstände, die zur Verärgerung der Familien führen könnten, rechtzeitig und unverzüglich beseitigt werden. Nötigenfalls haben sie auch den 1. Sekretär der SED-Kreisleitung um Hilfe und Unterstützung für diese Familien zu bitten. Die Räte der Kreise sollten auch angehalten werden, Dorn, Endler, Schwabe und Büttner Arbeitsstellen zu vermitteln, wo gewährleistet wird, dass sie mindestens den selben Lohn wie in ihren früheren Arbeitsstellen erhalten. Sie haben dieses Fernschreiben umgehend dem 1. Sekretär der SED- Kreisleitung zur Kenntnis zu geben. Leiter der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt Gehlert, Generalmajor Hartmut Endler Na ja, dann waren wir erst mal daheim wieder, gearbeitet haben wir noch nichts. Dann kam ein Rechtsanwalt aus Chemnitz noch. Das eine Mal hat er uns 1000 Mark gebracht. Da habe ich gefragt: Wieso? Na ja, Wiedereingliederung! Dann: Welche Wünsche haben sie denn? Äußern sie einen Wunsch! Oder haben sie irgendwas ...? Sag ich : Na ja, ich warte eigentlich schon 6 Jahre auf Telefon! OK, da sind in dem Neubau eben 3-4 Telefone eingebaut worden; und eins davon habe ich halt gekriegt. Herr Schwab braucht ein Treppengeländer, für sein Haus oben drauf ... Kein Problem, krieg er halt ein Treppengeländer! Vera Endler Wie er wiedergekommen ist, wir hätten alles von denen kriegen können! Auto, des und des und des; die hätten alles gemacht. Aber das ist uns ja auch vorgehalten worden. Itze haben die auf einmal Telefon - also muss er jetzt bei der Stasi spitzeln! Das kann es nicht geben, wenn einer abhaut und wiederkommt und net eingesperrt worden ist, dann waren wir ja Spitzel! Also ER zumindest! Also das hast du gemerkt, dass sich alle a weng distanziert haben. Na ja. Hartmut Endler Wieso kommen die zurück und werden nicht eingesperrt? Das war nun mal so: Das Versprechen haben die gegeben und ... Und das war ja auch ein Prestige für die: Viere hauen ab und kommen wieder! Das ist ja das dann: Das ist nur für's Prestige! Zitator 2 IM-Bericht 24.7.82 Betrifft: Informationen zum Grenzdurchbruch Von den Mitarbeitern des MfS konnten folgende Informationen in den jeweiligen Bereichen eingeholt werden: IM Lorenz, Kemnitz: Er erfuhr, dass alle 4 Bürger wieder da sind. Im Kollektiv der Werkstatt wird erzählt, dass alles Scheiße ist, weil diesen 4 Bürgern nichts passiert ist für ihr Vergehen und andere dafür eingesperrt werden. IM Fleischer, Großzöbern: Es wird diskutiert, dass bei den 4 Grenzverletzern die Gutmütigkeit der DDR zum Ausdruck kommt. Es wird von einigen Einwohnern diskutiert, dass man mit solchen Bürgern härter vorgehen müßte, da darunter bereits Offiziere und einfache Soldaten leiden mussten. Führungs-IM "Steinmüller" ATMO Klicken mechanischer Fotoapparat Erzählerin Und während sich die reuigen Flüchtlinge wieder einleben, bereitet die Staatssicherheit in Chemnitz den Prozess gegen die Grenzer vor, die die Flucht durch ihre Nachlässigkeit erst ermöglicht hatten. Horst Riedel Dieser Prozess fand in Erfurt statt, im Divisionsstab Grenzkommando Süd. Das war schon eine Farce; mir wurde vorher die Höhe des Urteils mehr oder weniger suggeriert: § 262, Verletzung militärischer Dienstvorschriften und Dienstpflichten im Grenzdienst. Also 2/2, das ist so der Jargon bei den Verurteilungen, also 2 Jahre und 2 Monate. Da wußte ich das also vorher. Udo Unterdörfer Dem Richter wäre es ganz lieb gewesen, wenn sie uns auch noch militärischen Geheimnisverrat hätten noch mit unterjubeln können, damit es mehr wird. Aber: War nicht! Was aber einem nicht gesagt wurde, ist, dass die nach 6 Wochen wieder da waren! Ich hab's erfahren, von meinem Vater! Er hat mir das mal an einem Besuchstag durchgestellt, dass die alle viere wieder da sind. Man konnte es nicht fassen! Man brummt dort drinne und wird durch den Wolf gedreht, und die frönen hier schon wieder ihrer Hobbies und genießen ihr Leben - und ich sitz' für die drinne! Also, es war schon ein weng schockierend, würde ich sagen! Horst Riedel So, und das war das Problem mit dem Studium eben, dass ich dann 5 Jahre vorbestraft war. Da habe ich dann 1 Jahr den Facharbeiterlehrgang gemacht und bis ´88 im Pflegeheim in Klingenthal gearbeitet, 3 Schichten, Krankenpfleger; hatte zwischendrein den Gedanken an Studium längst aufgegeben. Und auf einmal ging's dann, Vorstrafe war weg, dann ging es ´88 noch mal los, also nach 7 Jahren! ´81 angefangen, und ´88 noch mal! Erzählerin Nach einem Jahr und zwei Monaten werden Udo Unterdörfer und Horst Riedel, die beiden Grenzsoldaten, nach Verbüßung etwa der Hälfte der Strafe vorzeitig entlassen. Auf Vorschlag der Stasi - gegen den Willen des Militärstaatsanwalts. Udo Unterdörfer (zündet Zigarette) Man hat den ganzen Tag nur Mauern um sich, und wenn man dann auf einmal in den Sonnenschein tritt, das war ein wunderbares Wetter am Tag meiner Entlassung, man kann wieder richtig durchatmen! Als erstes bin ich ein Bier trinken gegangen, ein schönes, kühles Bier! (lacht) Zitator 2 Plauen, den 29.9.1983 Heute erhielt ich von einem Mitarbeiter des MfS für meine Bereitschaft, das MfS in seiner verantwortungsvollen Tätigkeit im Kampf gegen die Feinde unserer Republik zu unterstützen sowie die bisher geleistete Zusammenarbeit und Auftragserfüllung und als Unterstützung für meinen Start ins Zivilleben eine Prämie in Höhe von 1.000 Mark. IM "Heinz", Udo Unterdörfer Udo Unterdörfer So viel? Na, könnte sein! Na, was heißt, eine ganze Menge? Ich mein, da haben andere mehr gekriegt! Aber ich war IM, was soll's? Wir waren, alle die bei der Grenze Vorgesetzte waren, von Haus aus IMs, ohne dass es bekannt war. Wir haben jedes Halbjahr einen Bericht schreiben müssen über unsere Soldaten. Also, der Ursprung war eigentlich noch während des Grenzdienstes. Da hat man mich in eine Sache mit reinziehen wollen, und das haben sie genutzt, mich unter Druck zu setzen. Ich sage mal: eine Wahl hatte ich eh nicht; es ging dann weiter, die Tretmühle. Wenn man denen zwangsverpflichtet war oder einmal ins Messer gelaufen ist, war so gut wie keine Chance rauszukommen. Ich hab eigentlich niemand hinter Gitter gebracht oder dazu beitragen wollen ... Wenn man sich zwei Mal die Woche melden muss - irgendwas muss man denen ja erzählen! Mitunter sind mir ja die Berichte auch diktiert worden. Und irgendwann bin ich wieder in Plauen gelandet. Am Oberen Bahnhof haben mich zwei ziemlich dumme Gesichter angeguckt: Schwabe und Endler! Die waren schon etwas überrascht, mich zu sehen! Es war eine kurze Begegnung; gebrummt hab ich, net die! Sie haben sich sichtlich unwohl gefühlt in ihrer Rolle. Ja, das war's. Zitator 2 Plauen, den 17.9.83 Am Dienstag traf ich zufällig auf dem Oberen Bahnhof die ehemaligen Angehörigen der Melioration Weischlitz, Endler Hartmut und Schwabe Bernd. Ich fragte, was Buettner und Dorn jetzt machen. Sie sagten, mit Dorn würden sie nicht mehr sprechen, weil er der erste war, der nach 2 Wochen "kalte Füße" hatte. Wegen ihm hätte es sich dann so entwickelt, wie es gekommen ist mit dem Wiederkommen. Man hätte ihnen gesagt, dass sie dadurch dem Riedel und mir helfen könnten und weil es mit der Familienzusammenführung Probleme gab. Sie durften alles, was sie sich dort angeschafft haben, mitbringen. Darauf sagte ich, wenn sie alles mitbringen konnten, können sie ja mal ein paar DM auspacken. Ich habe ja schließlich auch für sie mit gesessen. Im Auto gab mir Schwabe 20 DM. IM "Heinz", Udo Unterdörfer Udo Unterdörfer So, dann haben wir ein paar Worte gewechselt, und dann habe ich den auch nie wieder gesehen! Erzählerin Ende 1983, anderthalb Jahre nach Flucht und Rückkehr, dürfen zwei der vier Geflohenen und Zurückgekehrten auf ihren Antrag hin offiziell ausreisen. Hartmut Endler geht nun mit seiner Familie in den Westen. Stasi und Partei hatten vergeblich versucht, sie durch Geschenke und erhebliche Vergünstigungen in der DDR zu halten. Als dies nicht beeindruckte, versuchte die Stasi, Endlers Ehe zu "zersetzen" und ihm Straftaten anzuhängen. Sie benutzte dazu auch vergeblich Udo Unterdörfer, alias IM "Heinz", den die vier Männer durch ihre Flucht ins Gefängnis gebracht hatten. Udo Unterdörfer Das ist möglich. kann ich mich zwar nicht mehr dran erinnern. Aber wenn's da steht, muss es ja korrekt sein. Kurz danach sind die fort! Die waren vielleicht noch einen Monat da, da habe ich gehört, die sind beide offiziell ausgereist in die Bundesrepublik. Hartmut Endler Wo es soweit war, kam dann ein DEUTRANS-Auto, ich konnte alles mitnehmen, was ich hab'. Vera Endler Ich vergeß' nie, wie wir hier in Trogen reingefahren sein! Das Raiffeisen-, das blaue Raiffeisen-, das war beleuchtet! Das war früh, das war ja finster, wie wir hergekommen sind. Und dann sein unsere Möbel ja auch komme. Hartmut Endler Und dann war ich beim Herrn Vollert erst mal einquartiert, und nach einem viertel Jahr habe ich dann eine Wohnung gekriegt in Feilitzsch drüben, also eine gesucht dann eben dementsprechend. Joachim Vollert Wissen sie, ich hab die Familie aufgenommen für über drei Monate; die haben bei uns gewohnt! Ich war in der Arbeit, meine Frau war in der Arbeit, die Kinder waren in der Schule. Die hatten im Haus frei, die konnten machen, was sie wollten. Wer macht das? Und dann kamen eben die Enttäuschungen ... Siegfried Schmutzer Die Leute haben sich ja dann alle verändert und man hat sich nicht mehr gekannt. Dann von dem Herrn Dorn habe ich nie wieder was gehört, auch, nachdem die Grenze geöffnet war. Er war ja eigentlich der, der den ganzen Kontakt angeleiert hatte. Die Initiative ging ja eigentlich von dem aus. Der eine muss ja schon gestorben sein; aber von den anderen Leuten habe ich nie mehr einen getroffen. Joachim Vollert Ist vorbei die Sache, Geschichte - wie die DDR! Atmo "Wir sind das Volk!"/ "Macht das Tor auf!"/ Mauerspechte Horst Riedel Auf einmal: Ooh! Freiheit, Wahlen! Und ich weiß noch: 19. Dezember 1989 habe ich, sind wir mit Studienkollegen zusammen gefahren im Trabi, vier Mann, über diese Brücke in Potsdam - Wie heißt die gleich? Glienicker Brücke! -, sind wir drüber weg gelaufen. Und ich geh dort hin, über die Brücke, und etwa in der Mitte der Brücke traf sich ein Zöllner vom Westen und ein DDR-Grenzer, geben sich die Hand und unterhalten sich! Ich hab gedacht, ich seh' nicht richtig: Dafür haben sie mich 63 Wochen eingesperrt! Und sieben Jahre später war es alles nix, ne! Joachim Vollert Ich habe den Riedel ja noch mal getroffen durch Zufall, zwischen Heinersgrün an der Autobahn. Da hat er mich gleich erkannt, obwohl ich in Zivil war. Horst Riedel Und dann hat er mir erst mal die ganzen Stories erzählt, mit Rückkehr und wer, wann, wo ... Und ich war erst mal wie schockiert ´89 beim ersten Treffen, als mir der Herr Vollert dann gesagt hat: Ja, die sind da rüber - und wieder zurück! Da dachte ich: Ah! Irgendwo hat mir da der Verstand ausgesetzt! Das heißt ja, dass ich wirklich für, für, für, für nichts die ganze Sache dort durchmachen musste! Joachim Vollert Den hat man kräftig am Arsch gehabt, wie man so schön sagt! Wenn man so verhaftet wird aus dem Hörsaal raus, wie ein Schwerverbrecher ... Wegen so einer Lappalie, das sind ja Lappalien! Und ich hätte auf der anderen Seite kein Kompaniechef sein wollen bei einer Grenzkompanie! Horst Riedel Wenn die Herren abgehauen wären und drüben geblieben wären, und mit dem DDR-System nicht zurechtgekommen wären, wäre ich auch ohne weiteres dort nach der Verurteilung im Gefängnis geblieben und hätte gesagt: Gut, ok, kein Problem, gehst für die ins Gefängnis! Aber, was ich absolut nicht verstehen kann, dass die da möglichst noch als Helden ..., möglichst jetzt noch irgendwie dargestellt werden oder sich darstellen. Dann bin ich auch sehr enttäuscht, dass ich für so einen Jux und eine Dollerei von den vier Mann 63 Wochen oder 461 Tage im Gefängnis war. Udo Unterdörfer Ich hoffe - in dem Punkt bin ich ein bisschen gehässig geblieben -, ich hoffe, sie sind ordentlich auf die Schnauze geflogen! Dass sie wenigstens was davon haben. Mir haben unsere Suppe ausgelöffelt, und die war hart genug! Ich hoffe, dass die nicht unbedingt auf Rosen gebettet wurden! Siegfried Schmutzer Nee, das war eine spontane Geschichte gewesen! Ich hab immer gesagt: Das war eine überstürzte Angelegenheit, nehme ich mal an. Der Bewacher, der kam ja nicht mehr raus, weil, der war ja sicher: Wenn die abhauen, dass er dann für die die Katzen halten muss! Udo Unterdörfer Ich bin froh, dass ich meine Entscheidung getroffen habe in dem Moment, weil: Dann hätten sie mich nach der Wende gehabt! Und ich stehe nach wie vor dazu: Jemanden von hinten zu erschießen, ist keine Kunst, das ist Mord! Und damit habe ich meinen Frieden. Musik Horst Riedel Und die Frage ist halt immer: Irgendwelche Politiker sagen: Jetzt ist hier eine Grenze; ihr dürft das nicht, ihr dürft das nicht ... Und 10 Jahre später oder 15 Jahre später war das alles nichts! Denn, wenn sie in einer Diktatur sind, ob beim Hitler oder beim Honecker: Sie sind immer Zwängen unterworfen - und was dabei rauskommt, sieht man ja! Joachim Vollert Es ist so, wenn man das im nachhinein betrachtet: Es war die Sache gar nicht wert! Das ist meine Meinung. Denn, Kontakt habe ich mit keinem mehr von denen. Absage Skat unterm Stacheldraht Ein Kleiner Grenzverkehr im Vogtland Ein Feature von Henry Bernhard Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks, 2007 Es sprachen: Frauke Poolman, Axel Gottschick und Simon Roden Ton und Technik: Hans-Martin Renz und Jürgen Hille Regie: der Autor Redaktion: Marcus Heumann XIV 1953/82, Karl-Marx-Stadt, S. 163 XIV 1975/82, Karl-Marx-Stadt, Bd. 3, S. 134 XIV 2411/82, Karl-Marx-Stadt, OV ?Sprung?, Bd. I, S. 54 XIV 2411/82, Karl-Marx-Stadt, OV ?Sprung?, Bd. I, S. 105f. XIV 2411/82, Karl-Marx-Stadt, OV ?Sprung?, Bd. I, S. 129f. XIV 1871/83, Karl-Marx-Stadt, Bd. I, I, S. 12 XIV 1871/83, Karl-Marx-Stadt, Bd. I, II, S. 8f. 27