COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Nachspiel am 20.05.2012 Im Rausch der Erschöpfung Extremathleten suchen ihre Grenzen Autor: Günter Herkel Take 1 (0:20) Frenz: Okay, meine Lieben, es gibt den magic countdown. Wir haben noch 10, 9, 8 etc. ...Start!! Autor: Schauplatz: Osterode im Harz. Es ist Freitag Mitternacht, letztes Aprilwochenende. 28 Läufer und Läuferinnen setzen sich langsam in Bewegung. Sie sind angetreten zum Hexenstieg Ultralauf, ein privat organisiertes Rennen entlang des Premiumwanderweges Harzer-Hexen- Stieg. Vor den Teilnehmern liegt eine Strecke von 200 Kilometern. 200 Kilometer, die sie innerhalb des vorgegebenen Zeitlimits von 48 Stunden bewältigen müssen. Bis zum Ortsausgang läuft die Gruppe geschlossen, dann erst geht es vom Asphalt auf den Wanderweg. Take 2 (0:26) Frenz: Einen guten Km habt ihr hinter euch. Ab hier geht's jetzt in eurem eigenen Tempo. Meine ganz herzliche Bitte: Bei allem sportlichen Ehrgeiz: Seid vorsichtig! Habt viele Erlebnisse auf den kommenden 200 Km. Wir sehen uns alle im Ziel! Macht euch auf! Ciao! Viel Spaß! Autor: Der Mann, der die 25 Männer und drei Frauen auf die Strecke schickt, ist Michael Frenz. Als Organisator des Rennens läuft er selbst nicht mit. Ihm steckt noch der Jurasteig-Lauf in den Knochen, den er zwei Wochen zuvor absolviert hat. Der Jurasteig Nonstop ist mit 230 Kilometern der längste sogenannte Ultratrail Deutschlands. An diesem Wochenende begibt Frenz sich in die Rolle des Beobachters und Betreuers. Take 3 (0:23) Frenz: Ich finde den Harz wunderschön, habe den Hexenstieg kennengelernt in Teilabschnitten und hab mir gesagt: Da muss du hin, das musst du machen. Das ist einfach sone wundervolle Gegend, so abwechslungsreich, so klasse, dass ich mir gesagt hab, da n Ultralauf zu machen, ist mein Traum. Und dann hab ich angefangen, das Ding zu planen, und das hat dann eigentlich zwei Jahre gedauert, bis ich's fertig hatte, und dann hab ich gesagt: Jetzt oder nie! Autor: Was sind das für Menschen, die der Einladung von Frenz in den Harz gefolgt sind? Die jüngsten Teilnehmer sind Ende 20, der älteste 62 Jahre alt. Alle verfügen über reichlich Lauferfahrung. Da ist auch nötig: 200 Kilometer lassen sich nicht ohne entsprechende Vorbereitung bewältigen. Die meisten sind seit Jahrzehnten auf der Piste. Zum Beispiel René Strosny, 39 Jahre, von Beruf Sanitärinstallateur. Seine erste Liebe war das Turnen, dann packte ihn die Lust am Laufen. Take 4 (0:21) Strosny: Meine Laufleidenschaft beginnt recht zeitig, nachdem ich die aktive Laufbahn als Leistungsturner an den Nagel gehängt hab. Ich hab mit 16 Jahren aufgehört, hab gleichzeitig mit der Lauferei angefangen und bin auch gleich mit 100 Km gestartet, damals noch bei ner Wanderung. Also ich hab schon mit 16 Jahren meinen ersten Ultra gemacht. Autor: Ein Ultramarathon ist ein Lauf über eine Strecke, die länger ist als die klassische Marathondistanz von 42,195 Kilometer. In diesem Jahr hat Strosny bereits drei solcher Läufe absolviert: zwei 50-Km-Ultras in Rodgau und Marburg sowie den Trail Paris-Ile de France über 80 Km. Für seine Verhältnisse nicht sonderlich viel. Take 5 (0:16) Strosny: Es gibt viele Laufereignisse, die ich einfach nur aus Spaß mach, auch ohne Ambition, aber ich bereite mich durchaus immer wieder auf Wettkämpfe vor, wo ich auch mal - auf gut deutsch - die Sau rauslassen möchte und dann auch mal meinen Leistungszenit wieder n bisschen ausloten. Autor: Vor zwei Jahren lief Strosny bei einem 24-Stunden-Lauf knapp 237 Km am Stück. Ein Jahr zuvor kam er beim legendären Transeuropa-Lauf von Bari bis zum Nordkap, einem 64tägigem Etappenlauf über 5.400 Km als Drittbester ins Ziel. Zu den Veteranen der Szene gehört auch Heike Pawzik, 48, Polizeibeamtin aus Rostock. Sie ist seit über 20 Jahren auf langen Strecken unterwegs. Ultra-Klassiker wie den Spreelauf oder den Spartathlon hat sie schon mehrfach absolviert. Selbst beim berühmt-berüchtigten Badwater-Race im "Death Valley" im US-Bundesstaat Arizona war sie schon mal dabei. Take 6 (0:13) Pawzik: Ich mag das auch, so Nonstop-Rennen. Alles, was so über 100 Km rüber ist, wo dann für die meisten schon wieder Schluss ist, wo's dann aber wirklich darum geht, wirklich auch anzukommen in der Zeit, die einem gesetzt werden. Das mag ich am liebsten. Autor: Rekorde zu laufen ist nicht unbedingt ihr Ding. So verrückt es für Laien auch klingen mag. Heike begreift sich als Genussläuferin. Take 7 (0:19) Pawzik: Ich bin son Läufer, der einfach Spaß haben will, ins Ziel kommen will und vor allen Dingen gesund bleiben will. Ich will mich nicht verletzen und will auch nicht im Ziel einfach zusammenbrechen, und ich möchte mich auch nicht auspowern, sondern ich möchte einfach dann auch noch im Ziel normal aussehen. Also jetzt nicht so, dass alle sagen: Oh Gott, Ultrasport, was ist das denn? Die macht sich ja total kaputt. Autor: Gleiches gilt für Jörg Finkbeiner, 48, Ingenieur aus Stuttgart. Lange begnügte der vierfache Vater sich mit Volksläufen zwischen 10 und 25 Km. Allmählich arbeitete er sich in den Ultrabereich vor. Im vergangenen Jahr bestritt er in Kraichgau erfolgreich seinen ersten 100- Meilen-Lauf. Damit erfüllt der die Voraussetzung für die Teilnahme am Harzer Hexenstieg- Event. Take 8 (0:09) Finkbeiner: In zwei Tagen, wenn das klappen sollte, hab ich nen Film über diese Gegend und Natur, und das Erlebnis so intensiv erlebt, das ist ein Abenteuer und Erlebnis, was mir keiner nehmen wird. Atmo 1 Laufgeräusche Autor: Die Bedingungen auf der ersten Etappe über die Nordroute des Hexenstiegs sind nicht einfach. E s ist stockfinster, die Temperatur liegt bei fünf Grad plus. Die schnellsten Läufer erreichen nach drei bis vier Stunden den Verpflegungspunkt in der Nähe von Torfhaus. Die Stimmung ist gut. Take 9 (0:10) Läufer: Bisher kann ich nicht klagen, aber dat ändert sich ja schnell. Jetzt lächelt man noch, und 10 Km später verflucht man schon allet. Lassen wir uns mal überraschen. - Ja, weiterhin viel Glück. Autor: Betreut wird der Verpflegungspunkt von Stefan Zirbel, dem Wirt des "Harzer Hofs". Ein summender Generator erzeugt fahles Licht für den provisorisch aufgebauten Tisch, auf dem diverse Stärkungen für die Läufer warten. Take 10 (0:35) Zirbel: Ja, jetzt ham wer ja so kurz nach vier, es sind drei schon durchgelaufen, der erste bereits schon nach 3:40 Stunden, da sind also 33 Km hier. Wir sind auf 900 Meter Höhe, der Brocken, der dann gleich kommt in acht Km, ist 1.140. Die ham sich hier gar nicht viel aufgehalten, die drei, die hier waren. Haben ihre Getränke aufgefüllt und wirklich nur Kleinigkeiten gegessen. Wir haben hier wirklich alles so mit Süßigkeiten, Obst, Schokolade und natürlich Wasser. Coca Cola ist ne Sache, die die Leute gern trinken, aber auch Heißgetränke. Die werden sehr gern genommen... Autor: Stefans eigener läuferischer Ehrgeiz hielt sich bislang in Grenzen. Seine Leidenschaft gilt eher den Motorrädern. Den "Harzer Hof" hat er als eine Art Biker-Treff etabliert. Zugleich eignet sich das 3-Sterne-Haus aber auch als Ausgangspunkt für Harz-Wanderungen, speziell auch auf dem Hexenstieg. Michael Frenz' Ultralauf-Idee gefiel Stefan so gut, dass er für das gesamte Wochenende sein Hotel als Basecamp zum Freundschaftspreis zur Verfügung stellte. Take 11 (0:25) Zirbel: Ich bin sowas noch nie mitgelaufen. Ich bin den Oxfam-Trail mitgelaufen über 100 Km, wobei man sagen muss, das ist n bisschen langsamer. Da sind mehr Hobbyläufer dabei. Hier hat man so das Gefühl, das sind schon die Profis am Werk. Ich würde aber auch gerne das mal machen, vielleicht so 2013, 2014, mal kucken. Man muss sich natürlich gut auf sowas vorbereiten. So auf der kalten Hose geht das glaube ich nicht. Autor: Wohl wahr. Die Anzahl der Verpflegungspunkte ist begrenzt. Die Strecke führt teilweise durch menschenleere Natur. Zunächst wird der Brocken angesteuert, dann geht es über Königshütte nach Thale und wieder zurück. Unterwegs müssen die Läufer 4.500 Höhenmeter bewältigen. Die Witterungsbedingungen sind gerade in höheren Lagen oft unberechenbar. Eine solide Grundausrüstung gehört daher zum Pflichtgepäck. Take 12 (0:29) Frenz: Hier sind Rucksäcke vonnöten, die einmal entweder Flaschen haben vorn, so dass man schnell Zugriff hat. Das ist das, was ich am liebsten mag. Es gibt noch die Variante mit Wasserblasen, die hab ich aber nicht so gern, weil die halt hinten im Rucksack drin ist, und da ist ja alles drin. Da läuft man rum wie sone Schildkröte, weil ja hinten die Regenjacke, die Regenhose drin ist, das Handy, die Notfalldecke, die Ärmlinge, die Handschuhe, die Mütze, die Sonnenbrille. Und wenn alles hintendrin ist, ne - also hab ich dann lieber auch n paar Sachen vorn. Autor: Damit nicht genug. Wer lange Strecken läuft, muss auch eine Mindestreserve Proviant mit sich führen. Hoher Energieverbrauch führt nicht selten zu plötzlichen Hungerattacken. Take 13 (0:31) Frenz: Man braucht auf jeden Fall etwas Notverpflegung, die man immer extra dabei hat, sei es n Wurst-Käse-Brot oder irgendwas zur Stärkung, können auch Müsli-Riegel sein, die man aber nicht anrührt. Weil man weiß, die schleppt man eigentlich nur mit für den Fall, dass es einem nicht gut geht. Vielleicht sogar ne Extraportion Wasser, wirklich ne Notration. Ansonsten Handschuhe, Ärmlinge, zwei Lampen. Eine Lampe kann immer mal kaputt gehen, dann steht man plötzlich im dustern da. Und wenn man dann einen Trail hat, wo Steine und Wurzeln liegen, ist das kein Spaß mehr. Atmo 2 Nachtlauf zum Brocken - Rast beim Brockenwirt Autor: Steine, Wurzeln, sogar vereinzelte Schneeflecken und vereiste Wege machen heute Nacht beim Anstieg auf den Brocken den Läufern zu schaffen. Jürgen Baumann erlebt dabei eine böse Überraschung. Auf dem Gipfel, beim Brockenwirt, betastet er vorsichtig seinen linken Fuß. Take 14 (0:21) Baumann: Ich hab mich auf den Weg konzentriert, einfach aus Unsicherheit, irgendwann sind mir dann die Augen glasig geworden, hab dann den Weg nimmer richtig gesehen, über ne Wurzel gestolpert, und dann umgeknickt und gestürzt. Und jetzt ist einfach der Knöchel so dick, da kann ich mich nicht mehr abdrücken, und ja, das isch einfach vorbei. Autor: Seine Sportkameraden schauen mitfühlend auf Jürgens mächtig geschwollenen Knöchel. Auch sein linkes Knie blutet aus einer klaffenden Fleischwunde. Wie es aussieht, dürfte der Lauf für ihn vorbei sein. Take 15 (0:10) Baumann: Echt schade, ich war eigentlich relativ gut drauf, sehr gut drauf, aber - mein Gott! So ist's halt. Klappt nit immer. Autor: Auch Simone, eine der drei gestarteten Frauen, muss auf dem Brocken aussteigen. Sie laboriert offenbar an einem Schienbeinkantensyndrom - auch shin splint genannt. Die beiden anderen beschließen, zusammen weiter zu laufen. Das stärkt die Moral. Atmo 3: Brocken, Gezwitscher Autor: Vermutlich gab es schon immer Menschen, denen extrem lange Läufe ein spezielles Vergnügen bereiteten. Als organisierter Sport ist der Ultralauf hierzulande eine vergleichsweise junge Erscheinung. Erst 1985 schlossen sich 22 Pioniere dieser Disziplin zur Deutschen Ultramarathon-Vereinigung (DUV) zusammen. Satzungsgemäßes Ziel ist es, den über den Marathonlauf hinaus gehenden Langstreckenlauf zu fördern und zu pflegen. Sprecherin ist Gabriele Gründling: Take 16 (0:10) Gründling: Wir sind ja kein Sportverein, wir sind auch kein Verband, wir sind einfach ne Interessenvereinigung... Autor: Mit derzeit rund 1.600 Mitgliedern gilt die DUV als weltweit größte Organisation der Ultramarathonläufer. Die Zahl derer, die den größten Teil ihrer Freizeit in den Laufsport stecken, dürfte indes weitaus höher liegen. Mit finanziellen Anreizen hat das aber nichts zu tun. Take 17 (0:26) Gründling: Man läuft da mehr so für die Ehre. Geld verdienen kann damit schon überhaupt keiner. Im Marathon oder auch unten drunter gibt's immer mal n paar Läufer, die wenigstens von der Sporthilfe gefördert werden oder tatsächlich auch mit dem Marathon n bisschen Geld verdienen, zum Teil ihren Lebensunterhalt auch, weiß nicht, vielleicht oft auch mehr schlecht als recht damit bestreiten können. Im Ultramarathonbereich gibt's des gar nicht. Die Leute sind alle komplett berufstätig. Die haben normale Jobs und trainieren nebenbei. Autor: Das gilt auch für Gründling selbst. Sie betreibt in Ludwigshafen ein Steuerbüro. Wie kam sie ausgerechnet zum Ultralauf? Take 18 (0:40) Gründling: 1999 war ich so Ende 30, 20 Jahre null Sport, viel Arbeit, viel am Schreibtisch gesessen. Und dann war mir irgendwann klar, das geht jetzt nicht, irgendwas musst du tun. Ich hab aber damals sehr viel gearbeitet, noch mehr als heute. Und war auch klar, irgendwo n Vereinssport, wo ich so gebunden bin, das geht auch nicht so wirklich. Und ich wohnte in Frankfurt nur so 200 Meter von der Nidda weg, wo man einfach am Fluss entlanglaufen kann, schön flach, und dann hab ich's einfach mal probiert. Und dann bin ich so da reingerutscht, muss ich sagen. Was gibt Ihnen das Laufen? Entspannung. Vor allem Entspannung. Kopf frei! Ja. Autor: Vor knapp zehn Jahren bewältigte Gründling sogar den mythischen 100-Km-Lauf im schweizerischen Biel. Eine Leistung, die Frauen lange Zeit nicht zugetraut worden war. Mittlerweile ist das schöne Geschlecht auch bei den Ultraläufern auf dem Vormarsch. Take 19 (0:11) Gründling: Erst 1968 durften die ersten Frauen in Deutschland überhaupt erst Marathon laufen. Ist ja alles nicht so lang her. Und wenn ich mir jetzt die Zugänge ankuck, sind das doch deutlich über 15 Prozent, die so im Jahr an Frauen bei uns eintreten. Autor: Wohlgemerkt Frauen, für die die eigentliche Herausforderung erst jenseits der üblichen 42.195 Meter beginnt. Den in den letzten Jahren so populär gewordenen Stadtmarathons vermag die Rostocker Polizistin Heike Pawzik rein gar nichts abzugewinnen. Take 20 (0:22) Pawzik: Viele wollen nur so Läufe haben, wo viele Zuschauer sind, die dann "ey" und "super" und "klasse" und so. Aber da geht's ja nur um die Schnellen. Das brauch ich eigentlich nicht. Ich mag eigentlich diese ganzen Massen-Marathons gar nicht , wo dann - dann steht der da, der raucht, der steht da und säuft und bequatscht dich da blöd, das will ich gar nicht. Deswegen mach ich lieber sone Landschaftsläufe, die sind viel schöner. Oder solche Läufe, wo nicht viele sind. Autor: Ein Grund mehr, weshalb sie zum Harzer Hexenstieg-Ultra angetreten ist. Take 21 (0:14) Pawzik: Ich laufe sehr gern solche langen Sachen, wo man auf sich selber angewiesen ist. Besser wär's natürlich, wenn das alles ausgeschildert wäre, dann bräuchte man gar keine Hilfen so wie Karte, GPS-Geräte - hatte man ja früher auch nicht, und ist ja auch irgendwie angekommen, ne? Atmo 4: Laufgeräusche Autor: Km 60: Der nächste Verpflegungspunkt bei Königshütte ist erreicht. Das Läuferfeld ist mittlerweile weit auseinandergezogen. Nach der nächtlichen Kälte macht den Teilnehmern nun eher die unerwartete Tageshitze von mehr als 25 Grad zu schaffen. Umso gründlicher werden die Pausen zur Erholung genutzt. Jörg König, 62, Speditionskaufmann aus Stade. Take 22 (0:28) König: Man hat einfach Zeit. Man braucht keine Uhr, man kann an den Verpflegungsstellen stehen bleiben, man kann mit Kollegen quatschen, man kann zwischendurch fotografieren. Du kannst dich mit Passanten, die draußen im Garten arbeiten, unterhalten. Du wirst auch oft angesprochen. Ja, es ist einfach schön. So von A nach B zu laufen, und dann hinterher zu kucken auf der Karte, ja das haben wir jetzt gemacht. Du hast überhaupt keinen Zeitdruck, das ist eigentlich das Schöne daran. Autor: Vor drei Jahren leistete sich König sein bislang größtes Laufabenteuer. Gemeinsam mit 67 anderen Läufern startete er beim Transeuropalauf von Bari bis zum Nordkap - 5.400 Km in 64 Tagesetappen. Noch heute wurm ihn, dass er vom Veranstalter zunächst nicht als Finisher anerkannt wurde. Wegen eines Kreislaufkollapses wenige Tage vor dem Zieleinlauf war er 30 Km der Strecke nicht mitgelaufen. Im August dieses Jahres findet der nächste Transeuropalauf statt. Diesmal führt er von Skagen nach Gibraltar. Jörg wird nicht dabei sein. Take 23 (0:21) König: Ich denke, so was kann eigentlich nur einmal im Leben machen. Das kostet sehr viel Zeit, das kostet sehr viel Geld. Und der Trainingsaufwand, das ist eigentlich das Allerschlimmste dabei -wir haben ja mehr trainiert als n Profi, als Fußballprofis oder als - ich hab bis zu 25 Stunden pro Woche neben der Arbeit trainiert, ne, und das möchte ich nie wieder machen. Das ist nicht schön. Autor: Anders als Jörg König hat Heike Pawzik sich das Startticket für den Transeuropalauf 2012 erneut gesichert. Wie vor drei Jahren wird sie angehäufte Überstunden und Resturlaub einsetzen, um Tausende von Kilometern durch den alten Kontinent traben zu können. Und das soll Vergnügen bereiten? Wer daran zweifelt, ist bei Heike an der richtigen Adresse. Take 24 (0:23) Pawzik: Wie andere immer schreiben in den Zeitungen "die Tortour", nur weil du durch Europa gelaufen bist. Das heißt doch nicht, dass ich mich da durch gequält habe. Im Gegenteil. Ich hatte da nur Spaß. Also, ich hab's geschafft und war immer im Zeitlimit, und die Plätze und die Zeiten sind mir total egal. Hauptsache dabei sein. Wenn ich 6.000 Euro dafür bezahle, dann möcht ich ja auch nicht nach dem dritten Tag nach Hause fahren. Dann möchte ich alles voll mitnehmen. Autor: Beim Transeuropalauf 2009 ging auch eine Crew von Ärzten und medizinischen Mitarbeitern der Uniklinik Ulm mit auf die Reise. Mit modernster Technik, mitgeführt wurde unter anderem ein tonnenschwerer Kernspintomograph, sollte nach jeder Etappe untersucht werden, wie die Körper der Läufe auf die extreme Belastung reagierten. Die Ergebnisse fielen einigermaßen überraschend aus. Wie erwartet bekamen zwar einige Läufer Probleme mit Muskeln und Sehnen an den Beinen, plagten sich mit Entzündungen an Waden, Schienbein und Achillessehnen. Doch die Aussteigerquote hielt sich in Grenzen. Es zeigte sich, dass die Ultraläufer eine überdurchschnittliche Schmerztoleranz besaßen. Zur Überraschung der Ärzte gingen die Entzündungen bei den meisten Läufern nach einigen Tagen zurück oder verwanden ganz - trotz anhaltend hoher Laufleistung. René Strosny beendete den Transeuropalauf als Dritter. Die Klassiker der Ultralaufszene hat er fast alle absolviert, einige davon mehrfach. Die DUV-Statistik weist für ihn seit 1995 knapp 22.000 Laufkilometer nach. Strecken, die er bei 148 Laufveranstaltungen zurückgelegt hat. Trainingsstrecken sind dabei gar nicht berücksichtigt. Strosny sieht seine Leidenschaft durchaus ein wenig selbstkritisch. Take 25 (0:12) Strosny: Es ist sicher ne Sucht dabei, sonst würde man sich nicht ständig wieder zu solchen Veranstaltungen anmelden. Man will, obwohl man's schon zigmal gemacht hat, immer wieder wissen, wo die Grenze liegt. Autor: Nicht viel anders sieht es Jörg Finkbeiner: Take 26 (0:15) Finkbeiner: Das ist schon, also ich würd's ehrlich zugeben, a Sucht. Kann man das bezeichnen, das geht dann schon. Dieses Gefühl, was da für Hormone ausgeschüttet werden, die dazu führen, nachdem man sich wieder regeneriert hat, ein erneutes Ziel in Angriff zu nehmen. Autor: Auch für Hexenstieg-Ultra-Organisator Frenz spielt das Ausloten der körperlichen Belastbarkeit eine zentrale Rolle. Take 27 (0:21) Frenz: Dieser Kitzel zu sagen, wo ist meine Grenze, kann ich das noch - ich glaub schon, dass das jeder hat. Sonst würde man solche Extremstrecken nicht auf sich nehmen. Aber es ist auch die Faszination, wozu der menschliche Körper in der Lage ist. Der älteste Teilnehmer jetzt am Jurasteig, 76 Jahre, ist außer Konkurrenz gewandert, in 60 Stunden. Autor: Jeder Suchtanfällige neigt dazu, die Dosis permanent zu erhöhen. Auch bei den Ultrasportlern scheint dieses Gesetz zu gelten. Take 28 (0:23) Frenz: Wenn ich überlege, ich hab mal angefangen mit 100 Km, hab mich dann an die 100 Meilen rangetraut, mittlerweile bin ich bei 230 Km, und im nächsten Jahr gibt es den WieboLT, das ist der Lauf von Wiesbaden nach Bonn. Das ist ein Lauf auf dem Rheinsteig, 320 Km nonstop, das wird dann die nächste Grenze werden. Wo sie endet - keine Ahnung. Autor: Das Wort Extremsportler hören viele Ultraläufer gar nicht gern. Im Gegensatz zum klar definierten Begriff Ultra ist das, was jemand für extrem hält, eine höchst subjektive Angelegenheit, findet Frank Niklesch. Der 47jährige läuft seit zehn Jahren Marathon und Ultra. Ursprünglich wollte er im beim Hexenstieg Ultra mitmachen, musste aber verletzungsbedingt absagen. Jetzt ist er als Betreuer dabei. Take 29 (0:18) Niklesch: Da, wo die Vorstellungsgrenze des Betrachters endet, fängt extrem an. Das ist natürlich immer sehr unterschiedlich. Jemand, der Marathon läuft, wird sagen: Marathon ist nicht extrem. Derjenige, der Schwierigkeiten hat, zum Geschäft an der Ecke zu Fuß zu laufen, findet Marathon nen Extremsport. So schaukelt sich das hoch, und letztlich ist das sehr, sehr subjektiv. Autor: Niklesch selbst legt die Latte für das, was er als extrem ansieht, einigermaßen hoch. Take 30 (0:14) Niklesch: Läufe im Bereich von 200, 300 Km finde ich - wenn auch hart - aber realistisch. Und alles, was drüber hinaus geht, kann ich mir momentan für mich nicht vor, und da ist dann meine subjektive Betrachtung, dass ich sage, da fängt bei mir dann langsam extrem an, wo ich's nicht mehr nachvollziehen kann. Autor: Einer, der die dunklen Seiten der Sucht am eigenen Körper erlebt hat, ist Detlef Vetten. Take 31 (0:28) Vetten: Es gab Wettkämpfe, da bin ich durch's Ziel gelaufen und musste sofort an den Tropf gehängt werden, und war zwei, drei Monate krank. Konnte nur sehr verhalten joggen. Ich hab einfach den ganzen Körper so lange malträtiert, solange er das ausgehalten hat und n Stück darüber hinaus, und das hat er mir zurückgezahlt. Autor: Der 55jährige Vetten ist seit gut einem Jahr Sport-Chefreporter bei der Nachrichtenagentur dapd. Ein halbes Leben widmete er dem Leistungssport. Seine Faszination für schnelle und gefährliche Bewegungsarten brachte ihn erst zur alpinen Abfahrt und zum Klettern, später zum Ultrasport. Er absolvierte alle wichtigen Ironmen-Triathlon-Wettbewerbe, nahm per Rad am "Race across America" teil, begann mit 100 Km-Läufen und testete seine Grenzen beim Spartathlon. Take 32 (0:48) Vetten: Da läuft man in Athen los und kommt in Sparta an. Dazwischen gibt's einen Bergzug, und dazwischen liegen 250 Kilometer. Die letzten 70 Kilometer läuft man quasi bergab. Man kommt in Sparta auf eine breite Straße, nach 250 Kilometern, läuft auf ein Denkmal zu, klatscht ab, kriegt einen Lorbeerkranz auf den Kopf und wird sofort in den nächsten Krankenwagen geschafft. Das ist obligatorisch, jeder kommt ins Krankenhaus, dort werden einem die Schuhe ausgezogen. Man wundert sich über seine Füße, die sofort aufquellen. Dann werden die Blasen aufgestochen und man wird ins Hotel gebracht. Dort können schon, ich würde sagen, zwei Drittel der Teilnehmer nicht mehr vorwärts laufen. Die laufen rückwärts die Treppen hoch. Das ist das Gesunde an dem Sport. Autor: Eine seiner härtesten Prüfungen war der "Iditarun", ein alljährlich in Anchorage/Alaska ausgetragener100-Meilen-Lauf. Dort, so sagt Vetten, dürfen nur die nachgewiesen harten Hunde an den Start. Take 33 (0:23) Vetten: Man muss sich dann qualifizieren für dieses Rennen, das geschieht vor Ort am Tag vor dem Rennen. Da läuft man einen Marathon bei minus 30 Grad, den Marathon muss man unter viereinhalb Stunden laufen. Dann muss man im Ziel sofort sich ausziehen bis auf die Unterhose - immer noch minus 30 Grad - und ein Feuer machen. Wenn man das schafft, dann darf man am nächsten Tag starten. Autor: Vetten qualifizierte sich, ebenso der Musiker Joey Kelly, auch so ein Liebhaber extremer Wettbewerbe, mit dem Vetten eine Art Lauffreundschaft verbindet. Beide kamen nach ungeheuren Strapazen kurz hintereinander ins Ziel: Vetten völlig dehydriert, Kelly dagegen mit einem speziellen Problem. Was dann passierte, schildert Vetten so: Take 34 (0:31) Vetten: Dann zog man ihm die Unterhose aus, und mit der Unterhose auch den letzten Rest Haut zwischen den Beinen. Der hatte sich - das nennt man einen Wolf - gelaufen, da war die Haut bis zum Muskel abgeschält. Und das bei jedem Schritt ist der quasi auf dem bloßen Nerven gelaufen. Und er sagte: "Es tut sehr weh." Wir lagen da, jeder hatte sein Bier, wir kuckten uns an, vorne die besten Deutschen, und dann sagte er, und wir hatten beide gut Schmerzen: "Was machen wir als nächstes?" Autor: Vor zwei Jahren beschloss Vetten, den leistungsorientierten Wettbewerben adieu zu sagen. Künftig will er beim Laufen nur noch genießen, nicht mehr leiden. DUV-Sprecherin Gabi Gründling hat solchen Selbstkasteiungen eh nichts am Hut. Das Wort "extrem" will ihr aber partout nicht über die Lippen. Take 35 (0:19) Gründling: Ich denk immer, der Mensch ist zum Laufen gemacht. Und was die da machen in der Wüste oder auch im Eis rumzurennen käme für mich überhaupt niemals in Frage. Das find ich schon n bisschen strange. Aber ungesund? Es heißt ja schon, Marathon ist schon ungesund. Und ich find's viel schlimmer, in den Boxring zu steigen und mir die Fresse polieren zu lassen, um das mal krass zu sagen. Autor: Sonntagmorgen im Hotel Harzer Hof: Der erste, René Strosny ist schon im Ziel. Um 7:44 Uhr, nach knapp 32 Stunden, war er zurück am Ausgangspunkt. Kaum jemand bekommt das mit. Einen großen Bahnhof, einen Zieleinlauf im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Ein Foto mit den Organisatoren vor dem Hexenstieg-Ultra-Transparent, ein Schulterklopfen - das war's. Ehe die beiden Zweitplatzierten eintreffen, werden fast fünf Stunden vergangen sein. Dann ist Strosny schon wieder auf dem Weg in den heimatlichen Odenwald. Für Jörg König dagegen war nach 160 Km Schluss. Spätestens nach dem Wendepunkt bei Thale, so berichtet er, habe es mit Kondition und Moral nicht mehr zum Besten gestanden. Bis Königshütte kämpfte er sich noch durch, dann ging nichts mehr. Helfer brachten ihn mit dem Auto ins Basislager Harzer Hof. Take 36 (0:37) König: Ich hatte einfach keine Kraft mehr. Nach dem Stop bei 104 Km ging's ja gleich zum Hexenplatz hoch, und das hat mir schon fast die ganze Kraft wieder genommen. Und dann paar Stunden später noch mal ne ganz schwierige Strecke. Dann taten die Füße weh, dann haben sich Druckstellen gebildet oder Blasen fingen an, sich zu bilden. Und meine Stärke ist eigentlich das schnelle Marschieren. Ich kann normalerweise 6 oder 7 Km in der Stunde, das ist kein Problem. Aber wenn ich das nicht mehr kann, dann brauch ich solche Strecke gar nicht laufen. Atmo 5: Laufgeräusche: Autor: Für die verbliebenen Läufer geht es in die Schlussetappe. Der letzte Verpflegungspunkt liegt am Ortsausgang Clausthal-Zellersfeld - betreut wird er von Funsport-Veranstalter Adrenalintours und einer Sanitätsschule. Michael Teinert und Udo Ziem sind jetzt seit fast 35 Stunden auf den Beinen. Noch 13 Kilometer, dann haben sie es geschafft. Take 37 (0:30) Autor/Teinert/Ziem : Was macht am meisten Schwierigkeiten? Die Füße, Blasen und die Knie - aber das ist normal! Habt ihr unterwegs auch mal regeneriert, ne Mütze Schlaf gekriegt? Ja, wir haben in Königshütte ne halbe, Dreiviertelstunde geschlafen. Jetzt auf dem Rückweg? Ja, ja. Wo ist dein Hauptproblem? Auch Füße. Fußsohlen untendrunter, Blasen wahrscheinlich auch. Hab gar nicht erst nach gekuckt. Muss man ignorieren, irgendwann. Hilft ja nix. - Wenn's so heiß gewesen wär wie gestern, wärn wir vielleicht noch nicht hier. Autor: Teinert und Ziem kommen nach 38 Stunden und 32 Minuten als fünft und sechste der Gesamtwertung gemeinsam ins Ziel. Gute sechs Stunden mehr benötigen die beiden einzigen verbliebenen Frauen des Teilnehmerfeldes. Beide machen - nach einer Strapaze von knapp 45 Stunden - einen erstaunlich frischen Eindruck. Routinemäßig müssen alle Läufer sich von Sanitätern des Roten Kreuzes untersuchen lassen. Take 38 (0:17) Sani: 99 Prozent Sauerstoff hamse im Blut, 100 Prozent geht nicht, und Puls ist 87/88, alles im normalen Bereich. So, und damit sindse erlöst. Wennse mich inner halben Stunde nochmal besuchen würden...Ja, hier wieder, okay! Autor: Heike Pawzik hat - abgesehen von diversen Blasen, die sie teilweise unterwegs selbst verarztet hat - keine Beschwerden. Ob sie und ihre Mitstreiterin Petra sich denn wenigstens ein Stündchen Schlaf gegönnt hätten in den vergangenen zwei Nächten? Heike winkt ab. Take 39 (0:14) Pawzik: Nee, also zum Schlafen ham wir ja gar keine Zeit, und außerdem laufen wir so langsam, dass wir es gar nicht brauchen. Wenn man sich dann hinsetzt, ist klar, dann fallen einem auch die Augen zu. Also ich hab keinen Bock, mich da hinzulegen. Ist kalt, zieh ich mir was an, trink nen heißen Tee und dann geht's weiter, ne. Autor: Sonntagabend 23 Uhr. Einige Teilnehmer schlafen bereits, andere warten noch auf einen Nachzügler. Organisator Michael Frenz zieht eine erste Bilanz. Take 40 (0:16) Frenz: Wir haben tolle Tage erlebt, viele Eindrücke gesammelt, wir sind als Gruppe, als Gemeinschaft zusammen gewachsen innerhalb dieser 48 Stunden. (...) Ich muss das Ganze erstmal verdauen, für mich hätte es schöner nicht sein können. Autor: Auch die Statistik kann sich sehen lassen, resümiert Frenz. Beim Jurasteig-Nonstop über 230 Km, den er selbst vor zwei Wochen mitlief, hätten nur 11 von 38 Teilnehmern das Ziel erreicht. Beim Hexenstieg-Ultra dagegen fällt die Bilanz wesentlich positiver aus. Zwei Drittel der Teilnehmer können als Finisher gewertet werden. Take 41 (0:10) Frenz: 28 sind dann tatsächlich an den Start gegangen, wovon jetzt 19 ins Ziel kommen, und der Letzte kommt jetzt gerade! Autor: Tatsächlich: Der Schwabe Jörg Finkbeiner ist im Ziel - nach 47 Stunden! Eine Stunde vor Ablauf des vorgegebenen Zeitlimits trifft er ein - erschöpft, aber überglücklich. Klar habe er unterwegs in der einen oder anderen Schwächephase gelegentlich ans Aufgeben gedacht, bekennt er. Take 42 (0:15) Finkbeiner: Ja, ich hab da so auf nem Stuhl gelegen, auf vier Stühlen gelegen. Dann dacht ich, da renni weiter, was machste sonscht mit dem Tag? Der Wille, das ist scho...man kann viel machen, das ist interessant. (...) Doch, war klasse, jetzt muss ich's erst mal realisieren. Autor: In der folgenden Walpurgisnacht tanzten die Hexen auf dem Brocken. Die Absolventen des 1. Hexenstieg Ultra leckten zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch ihre Wunden. Im nächsten Jahr soll es eine Neuauflage des Laufes geben. Atmo 6: Hexengekicher Musikabspann 2