COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Länderreport Wo mal die Mauer stand ... ... folgte viel Streit und manche Veränderung Autor Wolf-Sören Treusch Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 13.08.2012 - 13.07 Uhr Länge 18'30" Regie Jadwiga Korte Moderation Kaum war die Mauer obsolet geworden, da setzte gleich ein heftiger Streit ein. Nachvollziehbar, es ging ja schließlich um Landbesitz. Wem gehört der Boden jetzt? Wem das Haus? Wer hat noch gültige Ansprüche? Wie wird mit dem erklecklichen Bodengewinn umgegangen? Das waren die Fragen der Jahre nach dem Mauerfall. Die Frage heute : Gibt es dieser Tage noch Rechtsstreitigkeiten? Und wie wurde der plötzliche Zugewinn an Boden genutzt? Mal sehen, wie das Ergebnis der Nachfragen ausschaut. Wolf-Sören Treusch brachte einige Antworten mit. -folgt Script Beitrag Script Beitrag ATMO 1 (Audiostele) kurz frei, dann drunter Erläuterung zur Berliner Mauer auf chinesisch, bei 0:13 "Bernauer Straße" AUTOR Die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße an einem windigen Sommertag: mitten im Verkehrslärm lauscht eine Familie aus China den Tönen einer Hörstation, ein paar junge Spanier posieren vor dem "Fenster des Gedenkens", einer riesigen Bildergalerie mit Maueropfern. Etliche Besucher lugen durch die rostroten Stahlstangen, die den ehemaligen Verlauf der Mauer markieren. Hier und da herrscht dichtes Geschiebe. Ein kleiner Junge aus der Nachbarschaft spielt fast jeden Tag hier. (ATMO 1 weg) TAKE 01 (Junge) Hier hat man die Mauer gebaut. Dass die Leute nicht nach Ost- und West-Berlin gehen. Jetzt hat man die Berliner Mauer kaputt gemacht. ATMO 2 (Fotoklicken) kurz frei, dann ganz langsam weg AUTOR Die Gedenkstätte an der Bernauer Straße ist eine Freiluftausstellung. Es ist der einzige Ort in Berlin, an dem man die gesamte Abfolge der einstigen Sperranlagen und deren räumliche Tiefenstaffelung als Einheit erleben kann. Es gibt noch Originalreste der Grenz- und der Hinterlandmauer, sieben Grenzleuchten, einen Wachturm, etliche Original-Brandwände und den so genannten Kolonnenweg, auf dem die DDR-Grenzer patrouillierten. Vor zwanzig Jahren, als der erste Entwurf für die Gedenkstätte gemacht wurde, hieß es noch: viel zu abgelegen, da geht nie jemand hin, heute ist sie ein Publikumsmagnet. 670.000 Besucher im vergangenen Jahr, Tendenz steigend. Berlins Gedenkstättenreferent Rainer Klemke ist hörbar stolz auf das Ergebnis. TAKE 02 (Klemke) Wenn zur Eröffnung einer Open-Air-Ausstellung wie am 13. August letzten Jahres 30.000 Menschen kommen, dann ist es der größte Besucherandrang, den wir in Deutschland jemals für eine Museums- oder Gedenkstätteneröffnung hatten. Das Entscheidende ist doch, dass es vom Publikum angenommen wird. Und man sieht es noch an einem anderen Punkt, den ich sehr erstaunlich finde: es wird auch von denen angenommen, die eigentlich überhaupt keinen Respekt haben, nämlich von den Sprayern. Diese Sprayer respektieren diese Gedenkstätte. Einen Meter daneben wird gesprayt, und auf der Gedenkstätte haben wir so gut wie keinerlei Beschädigungen oder Beschmierereien. AUTOR Die Berliner Mauer ist ‚in' und für die Touristenhochburg Berlin ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. ATMO 3 (... und spielt mit Hund: "Komm mal hier, gib her! So ist fein!) schon drunter, weiter drunter ATMO 4 (Mann grüßt Frau ...) 0'03 frei, weg (aus dem Off) - Morgen, Lotti. AUTOR Abseits der üblichen Besucherwege ist das, was von ihr geblieben ist, gänzlich unspektakulär. Wenn noch etwas von ihr steht. (ATMO 3 weg) TAKE 03 (Thomsen) Zwei Meter hinter Ihnen, da war die Mauer. - Die Hinterlandmauer. - Hinterlandmauer nannte die sich, ja. Im Fachjargon, aber für uns war es eine Mauer. AUTOR Erzählt Sven Thomsen, seit 1969 Kleingärtner in der Kolonie ‚Bornholm', Luftlinie zwei Kilometer nördlich der Bernauer Straße. TAKE 04 (Thomsen) Die richtige Mauer lief oben auf dem Viadukt lang, die S-Bahn fuhr hier unten, wo es so grün ist. Die kam von der Schönhauser Allee und fuhr rüber bis zur schwarzen Brücke. Und hier oben haben sie noch mal richtig Gas gegeben und die Türen zugemacht, damit ja keiner raus springen kann, die sind mit Vollgas hier durchgefahren, hier unten. AUTOR Wo die Mauer mal stand, wächst heute Rasen. Auch der alte Posten- oder Kolonnenweg ist frisch asphaltiert und nun Teil des beliebten Mauerradweges. An Orten wie diesen sind es die Erinnerungen, die der Geschichte Glanz verleihen. TAKE 05 (Thomsen) Für uns war vielleicht auch die Mauer, in Anführungsstrichen, ein "Segen", die hat sich am Tag durch die Sonne aufgeladen. Und mir abends dann bis zehne, zwölfe Wärme abgegeben für meinen Garten. Ich konnte auf der Seite hier des Gartens alles vierzehn Tage eher ernten als auf der anderen Seite. ATMO 5 (Tourirummel Checkpoint Charlie) kurz frei, dann drunter Now it has been taken by german acting students ... AUTOR Ein paar Kilometer weiter südlich, in Berlins Mitte, ist die Erinnerung an die Mauer Massen-Folklore: ob am Checkpoint Charlie, wo sich die Touristen mit deutschen Schauspielstudenten in GI-Uniform ablichten lassen, ... ATMO 5 (Tourirummel Checkpoint Charlie) kurz hoch, wieder drunter und weg ... it is a fake ... AUTOR ... oder rund ums Brandenburger Tor, wo die Besucher in den Souvenirshops noch immer Mauersteine mit Echtheitszertifikat erwerben können. TAKE 07 (Verkäuferin) Da kann man sich das sicher sein, und bei den anderen sind die Steine bestimmt, also nach meiner Meinung, original, bloß die Farbe wurde im Nachhinein, weil so viel Farbe gab es ja damals nicht. Es war ja nur auf der einen Seite bemalt worden, nicht auf der anderen Seite. ATMO 6 (Baulärm Mitte) kurz frei, dann drunter AUTOR Es ist gerade mal drei Jahre her, da spottete ein hoher Kulturbeamter der Stadt, wohl keine andere europäische Hauptstadt leiste sich in ihrem Zentrum derart viel unattraktives Brachland, das allein als Hundeauslauffläche genutzt würde, wie Berlin. Nun ragen entlang und auf dem ehemaligen Mauerstreifen ähnlich viele Baukräne in die Höhe wie in den 90er Jahren. Es wird gehämmert, es wird gebohrt, auf riesigen Aufstellern wird der Bau - Zitat - "sensationeller Eigentumswohnungen" versprochen, zwischen Prenzlauer Berg und Treptow gibt es geschätzt zehn Großbaustellen. (ATMO 6 weg) Es lohnt sich wieder zu investieren. Glauben jedenfalls die Investoren. Ein wenig überrascht die rege Bautätigkeit, denn bis heute, fast 23 Jahre nach dem Fall der Mauer, sind immer noch nicht alle Grundstücksfragen im Zusammenhang mit dem Mauerstreifen geklärt. Laut Angaben der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben sind in Berlin immer noch 25 Fälle offen. Die Folgen der Teilung beschäftigen auch weiterhin Ämter, Gerichte und Anwälte. ATMO 7 (Mauerspecht-Collage) kurz frei, dann drunter AUTOR Rückblick: schon im November 1990, ein Jahr nach der friedlichen Revolution in der DDR, ist die Mauer im innerstädtischen Bereich Berlins quasi weg. Mehr als 200.000 Tonnen Beton, Schrott, Asbest und Kunststoffe werden in rasender Geschwindigkeit abgerissen, die Mauer wird geschreddert und findet Verwendung als Unterbau für neue Wege und Straßen. ATMO 7 kurz hoch, wieder drunter AUTOR Der Mauerstreifen bleibt. Er zieht eine 50 Kilometer lange Schneise durch die Stadt. Mal ist er nur 30 Meter, mal, wie am Potsdamer Platz, mehrere hundert Meter breit, durchschnittlich 60 bis 70 Meter. Um die so genannten Mauergrundstücke entbrennt eine heftige Debatte. Für den Bau seiner Grenzsicherungsanlagen hatte das DDR-Regime die Grundstücksbesitzer enteignet. Nach der Wiedervereinigung gehen die etwa 1.500 Grundstücke in den Besitz des Bundes über. Die Alteigentümer sollen leer ausgehen. Das Schlagwort von der ‚zweiten Enteignung' macht die Runde. ATMO 7 blenden AUTOR Der Bundesrat reagiert. Er entwirft ein Gesetz zur Einbeziehung der Mauer- und Grenzgrundstücke in das Vermögensgesetz. TAKE 08 (Alich) Die ganze Logik und der Zynismus der Regelung der Mauergrundstücke und der Verweigerung der Restitution lässt sich nachlesen in der Bundestagsdrucksache 12/8427 aus dem Jahre 1994. AUTOR Rechtsanwalt Karl Alich ist heute noch empört über die Argumentation des Bundes. TAKE 09 (Alich) Da wird ganz klar gesagt, dass es um die wirtschaftlichen Interessen des Fiskus in der Bundesrepublik geht und dass deshalb eine Restitution nicht in Frage gekommen ist. AUTOR Zitat aus besagter Drucksache: "Wenn diese Grundstücke an die Alteigentümer zurückgegeben werden, entstehen Einnahmeverluste dadurch, dass der Bund diese Grundstücke nicht mehr gegen Entgelt veräußern kann." Zitat Ende. Zwei Jahre später verabschiedet der Bundestag das Mauergrundstücksgesetz. Danach müssen Alteigentümer, wenn sie ihr Grundstück zurückhaben wollen, 25 Prozent des aktuellen Verkehrswertes bezahlen, oder sie werden mit 75 Prozent entschädigt. Edzard Schmidt-Jortzig, damals Bundesjustizminister, erklärt heute: TAKE 10 (Schmidt-Jortzig) Das ist ja eigentlich ein Schlag ins Gesicht, wenn die Eigentümer aufgefordert werden: ‚Ihr müsst euer Eigentum zurück kaufen'. In diesem Fall deutlich zu sehen: erst kommt das Geld und dann das rechtsstaatliche Gewissen. Die Moral. AUTOR Klar ist aber auch: ein anderes Gesetz hätte damals keine Mehrheit erlangt. TAKE 11 (Alich) Wirtschaftlich kann man mit dieser Regelung leben. Nicht leben kann man mit der Konsequenz dieses Mauergesetzes, nämlich der Anerkennung und Rechtfertigung des Unrechts, welches sich in der Enteignung dieser Mauergrundstücke zur Verteidigung der DDR verkörpert. Damit kann man nicht leben, und das ist eine Lebenslüge des wiedervereinigten Deutschlands, die noch geklärt werden muss. AUTOR Karl Alich hat etliche Klienten vertreten im Kampf um die kostenlose Rückgabe alter Grundstücke an der Mauer. Vergeblich. Er hat kein einziges Verfahren gewonnen. TAKE 12 (Alich) Ja, weil es keine Einzelfälle waren, es wurde auf das individuelle Unrecht abgestellt in der Rechtspraxis der Bundesrepublik Deutschland, das heißt nur individuelles Einzelfallunrecht wurde restituiert, und das waren die wenigsten Fälle, das war eine Enteignung, die Flächendeckend durchgeführt wurde, insbesondere an der Berliner Mauer, und deshalb hat der Bund sich auf den Standpunkt zurückgezogen: das war so häufig, diese Anwendung des Verteidigungsgesetzes auf die Mauergrundstücke, dass es kein Einzelfall mehr war, also je größer das Unrecht desto leichter die Ablehnung der Restitution. Meine grobe Schätzung wäre, dass etwa 60 bis 70 Prozent der Anträge abgelehnt wurden mit dieser Begründung. AUTOR Ein Klient ist dem Rechtsanwalt erhalten geblieben. Ihm gehört ein kleines Mauergrundstück am Rande Berlins. Der Streitwert ist so gering, dass sich der Weg durch die Instanzen lohnt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg muss nun entscheiden, ob eine Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland zulässig ist oder nicht. Seit März 2009 liegt sie dem Gericht vor. TAKE 13 (Alich) Wir können jetzt nur warten, wie Straßburg entscheidet, es gibt zwei Möglichkeiten, einmal dass die Beschwerde nicht zugelassen wird, dann dürfte das Thema erledigt sein, die zweite Möglichkeit ist die, dass die Zulassung erfolgt, und dann beginnt die Diskussion nach 20 Jahren Wiedervereinigung, die man im Jahre 1990 hätte führen müssen, und diese Diskussion wird sicher so geführt, dass es für die Bundesrepublik Deutschland kein Ruhmesblatt wird. AUTOR Laut Bundesanstalt für Immobilienaufgaben wurden für den Zuständigkeitsbereich Berlin bis Ende vergangenen Jahres insgesamt 583 Rückerwerbsanträge nach dem Mauergrundstücksgesetz gestellt. Ein Drittel der Antragsteller, exakt 193 Alteigentümer, kauften ihr Grundstück für 25 Prozent des Verkehrswertes zurück. 253 Anträge, also fast die Hälfte, wurden abschlägig beschieden. Die meisten dieser Mauergrundstücke fielen in den Besitz des Bundes, ohne dass er eine Entschädigung an die Antragsteller zu zahlen hatte. Wenn er sie nicht für eigene Infrastrukturmaßnahmen oder Regierungsbauten benötigte, verkaufte er sie gewinnbringend. Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums erwirtschaftete der Bund auf diese Art bis heute etwa 41 Millionen Euro. TAKE 14 (Sabine Omankowsky) Also ich meine, es fing ja damit an, dass alle diese Grundstücke zurück gekauft werden mussten. Wo ich gesagt habe: warum? Warum muss ich mein Land zurückkaufen, und 50 Meter weiter kriege ich es umsonst? Da steht sogar noch ein Haus drauf. AUTOR Auch Sabine Omankowsky gehört Anfang der 90er Jahre zu denjenigen, die dem Bund zähneknirschend Geld dafür geben, dass sie ihr Alteigentum zurück erhalten. Ein Mauergrundstück in Prenzlauer Berg, das einmal ihrem Urgroßvater gehörte. Umgerechnet 100.000 Euro bezahlt sie dafür. TAKE 15 (Omankowsky) Da ich damals gefragt habe, was geplant ist, bevor ich es gekauft habe, und mir gesagt wurde: es ist selbstverständlich Bauland, und so sind ja auch die Preise, und Sie können davon ausgehen, dass das auch bleibt und dass Sie da auch in zehn Jahren noch bauen können, nennen Sie mich blauäugig und blöd, aber ich habe das geglaubt, was man mir damals erzählt hat. AUTOR Die Ärztin wartet auf den Bebauungsplan, der ihr Grundstück als Bauland ausweisen soll. Vergeblich. Bis 2006. Da beschließt der Berliner Senat, die Gedenkstätte in der Bernauer Straße auszubauen. Für den Kernbereich werden keine Baugenehmigungen mehr erteilt. Das gilt auch für das Grundstück von Sabine Omankowsky, eine 500 Quadratmeter große Wiese. Ihr Frust ist gewaltig. TAKE 16 (Omankowsky) Weil ich auch nicht wirklich gedacht habe, dass man eine Mauer-Gedenkstätte macht. Man kann sich dieser Zeit auch in anderer Form erinnern. Man muss nicht unbedingt eine Mauer-Gedenkstätte haben, und man muss sie nicht in der Größe haben, und man muss sie nicht unbedingt an dieser Stelle haben. Mauer gab es überall und Mauerstreifen ist lang. Das ist ja auch ein Riesending geworden letzten Endes, in der Form hätte ich auch nie damit gerechnet. TAKE 17 (Klemke) Also erstens: die Berliner Mauer war kein punktuelles Ereignis, sondern ein Flächenereignis, und zwar das größte, was wir in Deutschland haben. AUTOR Erwidert Berlins Gedenkstättenreferent Rainer Klemke. TAKE 18 (Klemke) Und zweitens: um das zu erleben, braucht man Raum. Und wenn Sie sehen, welche Besuchermassen dort sind, dann ist es auch aus diesem Aspekt heraus sinnvoll, möglichst viele Angebote auf einer größeren Fläche zu machen, damit wir da nicht so einen Kumulus haben. Und schließlich: wir haben ja ganz klein angefangen. Mit der Gedenkstätte Berliner Mauer. Sie ist ja gewachsen aufgrund der Bedürfnisse der Menschen, denn sie wollten mehr Informationen haben. Der berühmte Satz ‚wo war denn eigentlich die Mauer' ist ja sprichwörtlich in Berlin, und genau das war ja auch der Auslöser, weshalb wir uns überlegt haben, was wir dort an diesem Ort und auch in der Stadt korrespondierend damit zu schaffen haben. AUTOR Sabine Omankowsky dreht den Spieß nun um. Sie weiß: will der Senat die Gedenkstätte an der Bernauer Straße ausbauen, braucht er auch ihr Grundstück. Sechs Jahre lang zeigt sie sich beinhart in den Verhandlungen. Ihr Grundstück ist eines der letzten, das noch nicht im Besitz der Stadt ist. Erst Anfang 2012 willigt sie ein - Verkaufspreis 450.000 Euro. TAKE 19 (Omankowsky) Irgendwann ist ein Kampf auch zu Ende... Ich hatte mir ein persönliches Limit gesetzt, ich habe gesagt: das Grundstück ist seinerzeit auf 400.000 geschätzt worden, unter 400.000 verkaufe ich es nicht. Und da der Bodenrichtwert etwas drüber lag von 2010 und sie dann bereit waren, diesen Bodenrichtwert von 2010 zu zahlen, habe ich es dann verkauft, weil ich dann auch irgendwann gedacht habe: okay, sie wollen ihren Park fertig kriegen, und ich kann dieses Spiel nicht endlos weiter treiben, ich wusste, es geht im nächsten Jahr vielleicht noch mal für 20, 30.000 Euro mehr, aber die Verhandlungen hätten wieder von vorne angefangen, weil: es sind so viele offizielle Stellen involviert, dieses Geld frei zu kriegen, das war auch für die Gegenseite unglaublich schwierig, diese Bereitstellung überhaupt noch zu erhalten. Und immer steht im Raum eine Enteignung trotzdem. AUTOR Im so genannten Erweiterten Bereich der Gedenkstätte, dort, wo nur der alte Postenweg erhalten bleiben oder wieder hergestellt werden soll, drum herum aber gebaut werden darf, dort nimmt der Streit um die Mauergrundstücke eine skurrile Entwicklung. ATMO 8 (verschlossene Türklinke) kurz frei, dann weg AUTOR Wer auf dem alten Postenweg spazieren geht, steht plötzlich vor einer verschlossenen Gartentür. Ein zwei Meter hoher Zaun versperrt den Zugang, dahinter ist vom alten Postenweg nichts mehr zu sehen. Hier haben die Anwohner ihre Gärten, und die wollen sie nicht hergeben. Berlin will ihnen die Grundstücke abkaufen, drei Eigentümer weigern sich aber beharrlich. Kulturstaatssekretär André Schmitz spielt die Angelegenheit herunter. TAKE 20 (Schmitz) Wir reden hier über ein Areal von 50.000 qm, 400 qm fehlen uns noch, und ich habe mich klar dazu bekannt, dass diese drei Grundstückseigentümer, die sich noch nicht dazu entschließen können, einen Teil ihres Gartens für den Postenweg abzutreten, jedenfalls nicht enteignet werden, wir sind mit denen im Gespräch, und im schlimmsten Fall wird es eine Lösung um diese Grundstücke herum geben, ich fände es schade, weil das Konzept baut eben darauf auf, dass man vom Beginn der Gedenkstätte bis zum Ende den Postenweg passieren kann, aber sei es drum. Für mich ist wichtiger, dass die Gedenkstätte insgesamt ein großer Erfolg ist. AUTOR Die Fronten sind verhärtet. Auch ein Mediator konnte den gordischen Knoten nicht lösen. Die Zeichen stehen auf "Umwegung", das heißt der Postenweg würde einen Schlenker machen. An anderer Stelle hat man das so schon praktiziert. Es wäre eine typische Berliner Lösung: improvisiert, unfertig, aber irgendwie auch charmant. TAKE 21 (Klemke) Insgesamt kostet das ganze Projekt 29 Millionen. Davon ist mehr als die Hälfte für die Grundstücke gezahlt worden, man merkt es immer wieder: bei solchen Infrastrukturmaßnahmen der öffentlichen Hand profitiert letztendlich der Private, weil damit natürlich auch die Grundstückspreise hoch gehen, und, was hier auch gerade in diesem Quartier zu verzeichnen ist: die Attraktivität dieses Stadtviertels. Weil Leute bewusst dahin gezogen sind. Wegen der Planung. Weil das ja nicht nur eine Open-Air- Ausstellung ist oder eine Gedenkstätte, sondern es ist ja auch ein Stadtentwicklungsprojekt. AUTOR Auf neudeutsch heißt das Verkaufsargument ‚pulsierende Urbanität'. Auf dem Mauerstreifen im so genannten Erweiterten Bereich der Gedenkstätte darf mittlerweile gebaut werden. Ein siebenstöckiges Gebäude steht schon. Wie zum Beweis, dass hier früher auch schon ein Haus stand, hängt ein riesiges Foto aus den 20er Jahren im hallenden Treppenhaus. ATMO 9 (Mann/Postbote) nur drunter und weg AUTOR Der Schauspieler Dominic Boeer hat sich in dem Neubau eine Eigentumswohnung gekauft. Seit kurzem wohnt er hier mit Frau und Kind. TAKE 22 (Boeer) Es ist tatsächlich ein bisschen seltsam, weil wir wirklich das einzige Haus sind weit und breit, und Leute, die vorbei kommen, gucken das Haus immer an, als sei es was ganz besonderes, dabei ist es architektonisch nicht so wahnsinnig aufregend, ganz viele Leute nehmen unsere Fassade als Spiegel, weil sie wohl sehr viel reflektiert und machen sich die Haare schön, bevor sie Richtung Mauerpark gehen, das ist schon spannend, im Moment sind wir so ein bisschen auf dem Präsentierteller, aber das wird sich bald ändern, und das ist auch in Ordnung. AUTOR Ja, es stimmt, ergänzt Dominic Boeer, so nah dran an einem Ort deutsch-deutscher Geschichte zu wohnen, das finde er aufregend. TAKE 23 (Boeer) Diese moralische Frage stelle ich mir auch oft: hai, darf man hier überhaupt bauen? Und man wohnt jetzt hier an einem Ort, der auch für viel Schrecken stand und der auch Deutschland geteilt hat? Da kann man natürlich in beide Richtungen gut argumentieren, man kann genauso sagen: gerade deswegen ist es wichtig, ein Zeichen zu setzen, dass hier heute eben keine Mauer mehr steht, sondern dass hier ganz normale Menschen aus Ost und West zusammen wohnen, weil es ist so in dem Haus. -ENDE Beitrag- 2