COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur - Nachspiel, 1. Mai 2011 Rukeli Trollmanns später Sieg Die Rehabilitierung des von den Nazis ermordeten sintodeutschen Boxers Autor: Thilo Schmidt Musik :Er war ein Boxer, der tanzte / wendig , trickreich, schnell und schlank / die linke Extraklasse / gefürchtet und bekannt / sie riefen ihn Rukeli / auch Gipys genannt / wenn er boxt klingeln Kassen / wenn er kämpft jubeln Massen / umschwärmen ihn Frau'n / wegen seiner Locken und dunk'len Augen ... Repplinger: Er war ein Star, er hat mit Schauspielern verkehrt, es gibt Fotos, wo er mit berühmten Filmschauspielern seiner Zeit abgebildet ist, mit berühmen anderen Boxern, beispielsweise mit Max Schmeling, Hans Albers hat Kämpfe von ihm gesehen, natürlich aus dem Grund, weil er spektakulär anders geboxt hat, als es damals üblich war. Musik :Er stand als strahlender Sieger / mit Tränen im Sportpalast / für die Jubelnden ein König / von anderen gehasst / um den Titel betrogen / nach fünf Tagen aberkannt / er war nur zu besiegen / mit miesen Tricks vom Verband / er war nur zu besiegen / mit miesen Tricks vom Verband ... Repplinger:... und wenn ein Angehöriger einer angeblich minderwertigen Rasse ständig die Arier durch den Ring prügelt, und das auch noch auf eine Art und Weise, dass er dem Publikum und dem gegnerischen Boxer seine Überlegenheit genau vorführt, und zwar auf allen Ebenen, intellektuell und boxerisch, dann kriegen Leute, die Anhänger einer Rassentheorie sind, große Schwierigkeiten. Musik : ... denn ein Sinto war viel zu gering / kein Zigeuner in einem deutschen Ring / denn ein Sinto durfte kein / kein Sinto darf / Meister sein ... Er hätte ein Weltstar werden können. Johann Rukeli Trollmann.1933 wurde er Deutscher Meister im Halbschwergewicht. Die Nazis brachten ihn jedoch nicht nur um seinen Titel und beendeten seine Karriere. Wie viele andere Sinti ermordeten sie ihn im KZ. Für lange Zeit geriet sein Schicksal in Vergessenheit. Manuel Trollmann, Rukelis Großneffe: Trollmann: Also es wurde bei uns in der Familie eigentlich totgeschwiegen. Als kleines Kind hab ich immer schon mitbekommen, dass wir einen deutschen Meister im Boxen in der Familie hatten, und wenn jetzt irgendwelche Feiern gewesen sind, wurde auch viel drüber gesprochen, und auf einmal war es wieder abrupt Ende und es wurde wieder nichts gesagt. 2003, erst 70 Jahre später, wurde Rukeli Trollmann der Meistertitel aus dem Jahre 1933 wieder zuerkannt. Seitdem befasst sich Manuel Trollmann intensiv mit der Geschichte seines Großonkels. Auf allen Ebenen. Trollmann: Also mittlerweile ist es ja so, ich hab mich jetzt solange mit Rukeli befasst, dass ich fast meine, ihn persönlich gekannt zu haben. Was natürlich nicht geht, weil ich ja viel jünger bin, später geboren wurde, aber Rukeli ist, was sie gerade angesprochen haben, dieser typische Humor, dieser typische Trollmann-Humor, bei uns in der Familie, den hat er natürlich auch gehabt, und er ist ein sehr höflicher Mensch gewesen, und, was mir von damals noch die Kinder, die heute natürlich auch alt sind, erzählt haben, er ist sehr sehr kinderlieb gewesen. Er hat sich sehr für Kinder eingesetzt. Er hat Süßigkeiten gekauft, wenn er aus Berlin kam, und und und. Also er ist eigentlich ein toller Mensch gewesen, ja. Musik: Johann Trollmann aus Hannover / Spitzenboxer seiner Zeit / er gewann `32 / so gut wie jeden Fight / er war deutscher Meister / im Halbschwergewicht / in der offiziellen Liste stand sein Name nicht / in der offizielen Liste stand sein Name nicht ... Johann Wihelm Trollmann, genannt Rukeli, geboren 1907, wächst in Hannovers Altstadt auf, dort, wo große Familien in viel zu kleinen Wohnungen leben. Der freie Autor Roger Repplinger befasst sich seit Jahren mit dem Leben Trollmanns. 2008 erschien sein Buch "Leg dich, Zigeuner", eine Doppelbiographie von Rukeli Trollmann und Tull Harder, beide Sportidole ihrer Zeit. Beide waren zeitgleich im KZ Neuengamme. Tull Harder, Fußballprofi beim HSV, als Aufseher, Trollmann als Häftling. Die Rekonstruktion von Trollmanns Biographie und besonders seines Boxstils, wurde vor allem dadurch erschwert, dass anscheinend weder Ton- noch Bildaufnahmen erhalten sind. Repplinger stützt sich auf Fotos und Zeitungsberichte. Repplinger: Wenn man heute versuchen würde, sich vorzustellen, wie Rukeli geboxt hat, dann muss man sich Muhammad Ali vorstellen vor allem in den frühen 60er Jahren. Also die Kämpfe ganz am Anfang, Floyd Patterson, Sonny Liston, und so weiter, dieser Ali, der ganz schlanke, hagere Jüngling, knapp über 20, wenn man sich den vostellt, dann liegt man, glaub ich, nicht schlecht. So ähnlich muss Rukeli geboxt haben, ja. Mit seinen schwarzen Locken, seinen dunklen Augen, dem sportlich-schlanken Körper ist er die Attraktion in der Hannoveraner Altstadt. Boxen wird zunehmend modern. Rukeli macht keine Berufsausbildung, er glaubt, mit dem Boxen irgendwann Geld verdienen zu können. Repplinger: Rukeli war ein Boxer, der fintiert hat, den Gegner ausgerechnet hat, der aus der Rückwärtsbewegung schlagen konnte, der aus der Rückwärtsbewegung treffen konnte, der mit der Rechten und der Linken in der Lage war, einen Gegner niederzuschlagen, also entscheidend zu treffen, der sehr gut in der Defensive war, das Tänzeln kommt dazu, also ne sehr sehr gute Beinarbeit hatte, der sehr schnell war ... Seine Gegner nannten das "Flitzen", sowas kann man natürlich immer als Feigheit auslegen, aber das ist natürlich Quatsch ... Noch stört es scheinbar niemanden, dass Rukeli Sinto ist. Obwohl ihm schon Jahre vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten nachgesagt wird, dass er anders boxt als andere, manch einer nennt es "undeutsch". Repplinger: Die wenigen Aussagen, die es gibt, was man sich unter deutschem Boxen vostellen muss: Ungefähr so, dass die beiden Männer Fuß an Fuß stehen und aufeinander einschlagen, und der, der am Ende stehenbleibt, der hat gewonnen. Und Rukelis Stil war natürlich völlig anders. Theater: Wer bist du? Bist du ein Sinto? Bist du ein Boxer? Bist du ein Weichei? Bist du ein Kämpfer? Bist du der Schreihals vom Tiefenthal? Bist du der Sieger? Bist du der Stolz der Altstadt? Bist du der Frauenheld? Bist du ein Deutscher? Katholik, Protestant, Zigeuner? "Trollmans Kampf - mer zikrales" heißt eine Theaterinszenierung des Staatsschauspiels Hannover, uraufgeführt im Frühjahr 2010. Fast alle Schauspieler sind Laien: Junge Sinti aus Hildesheim. Theater: Bist du arm, bist reich? Bist du Vater, bist du Sohn? Bist du Gipsy, bist du Madonna? Bist du Sieger? Bist du arm? Bist du weiß, bist du braun, bist du schwarz, bist du Opfer? Regisseur Marc Prätsch: Prätsch: Wir haben einfach gesagt: Wir haben zwei Linien, wir haben die Lebensgeschichten der Sinti, mit denen wir das Stück gemeinsam entwickeln, und die an diesem Abend das Maß der Dinge sind. Also dieses Stück wäre jetzt mit, ich sage mal, weißen Oberschichts-Schauspielern undenkbar gewesen, sondern es geht darum, dass die Sinti auf der Bühne stehen und an diesem Abend das über sich erzählen,was sie erzählen möchten. So. Und dann haben wir gesagt: Okay, und was wir gemeinsam haben, ist die Geschichte von Rukeli Trollmann, und die interessiert uns. Und wir würden gerne diese beiden Geschichten nebeneinander halten und gucken, was ergeben sich vielleicht für Überschneidungen, welche Formen der Diskriminierung sind immer noch aktuell. So, das war die Ausgangsbasis für das Stück. Theaterdarsteller:... das ist heute noch so. In der Schule geht's los, da sagen die heute noch "Zick, zack Zigeunerpack", oder "die dreckige Zigeunerin", oder keine Ahnung, oder auch wenn irgendwas im Sportunterricht weggekommen ist, da hat man schon Angst, dass die da irgendwie an dir selber rankommen oder so. Die jungen Sinti müssen sich tagtäglich damit auseinandersetzen, angefeindet zu werden. Die Angst ist geblieben unter deutschen Sinti - nach der Verfolgung durch die Nazis, die auch den jungen Theaterdatstellern immer noch vor Augen ist. Theaterdarsteller:...also mein Opa der war auch im KZ, hat gottseidank überlebt, aber die Spuren, die sind geblieben. Misstrauen und so, das war immer da. // Meine Oma, die war auch im KZ, und die hat dort ihre ganzen Geschwister verloren, und sie hat noch überlebt, gottseidank ... // Mein Opa seine drei Geschwister wurden verbrannt, und seine Mutter wurde auch verbrannt. In Auschwitz. Theater: Bist du der Scheißerl, der Zigeuner? Der Dieb? Bist du der mit der guten Technik? Bist du der Tänzer, der Mädchenschwarm, in Hannover, in Berlin? Bist du der Kussmund, der Schmollmund? Der schöne Mann? // Weinst du? Bist du der Held? Bist du deutscher Meister? Bist du der, den sie totgeschlagen haben? // Bist du Johann? Bist du Rukeli? Bist du Trollmann? Wer bist du? Rukeli boxt zunächst für den Boxclub Heros. Er wird eine lokale Berühmtheit. 1925 wird er hannoverscher Meister. Die nächsten drei Jahre verteidigt er diesen Titel. Repplinger:Er hatte auch einige Tricks auf Lager, mit denen er den Gegner irritieren konnte, er hat mit dem Publikum geredet, er hat mit seinem Gegner geredet, während des Kampfes, was damals durchaus unüblich war, er hat Kusshände ins Publikum geworfen, und so weiter, das waren alles Dinge, die für damalige Verhältnisse sehr ungewöhnlich waren und sehr spektakulär. Obwohl er bislang nur Amateurboxer ist, kann er sich durchschlagen, irgendwie. 1928 wird er nordwestdeutscher Meister im Mittelgewicht. Repplinger: Bei der Nominierung zu den olympischen Spielen 1928 in Amsterdam, wo er eigentlich in seiner Gewichtsklasse der Boxer war, der hätte fahren müssen, er ist dann nicht gefahren, und dann gabs in dern Verbänden Diskussionen darüber. Es wurde nicht offen gesagt, das der Grund ist, dass er Sinto ist, oder, wie der damalige Jargon war, Zigeuner, aber es kann im Grunde nichts anderes gewesen sein. Und das war wahrscheinlich seine erste Erfahrung mit einer Form von Diskriminierung, die Auswirkungen auf seine Karriere hatte. Trollmann zieht die Konsequenzen: Zuerst wechselt er zum Arbeitersportclub Sparta Linden, 1929 entscheidet er sich für eine Profi-Karriere. Während die Weimarer Republik in den frühen dreißiger Jahren ins Wanken gerät, kommt Rukelis Karriere richtig in Schwung. Bis 1933. Die Nationalsozialisten haben die Herrschaft übernommen, und Rukeli steht in seinem ersten Kampf um die Deutsche Meisterschaft. Im Juni 1933. Theater: Wir müssen die Schlagzahl erhören! (... Boxgeräusche ...) Du fragst wie du das schaffen sollst? Einfach boxen und Klappe halten! Wie sie über dich schreiben, ja das habe ich gelesen. Sie schreiben Gibsy Trollmann, sie schreiben Zigeunerbub, na und? Was? Ich soll denen sagen, dass du nicht willst, dass sie schreiben, dass du ein Zigeuner bist? Du bist Deutscher, dass soll ich denen sagen ... Ja, hallo, du hast einen Pass, da stehts doch schwarz auf weiß, du bist deutscher, was sollst du denn sonst sein? Lass den Kopf nicht hängen, was soll die Scheiße! Aber du musst boxen, ich schau,was sich machen lässt! Aber du musst boxen! Okay? Repplinger: Die Verfolgung in Hannover beginnt sukzessive in den 30er Jahren, und er wird aufgefordert dazu, entweder deutscher zu boxen, was immer das heißt, oder er verliert seine Lizenz ... Theater: Gutes Frühstück, weißes Hemd schwarze Hose. So ein Tag fängt an mit dem Gedanken an den Gegner. Ich hab ihn schon dreimal gehabt. Witt. Adolf Witt. Der schönste Tag in meinem Leben. Ich werde deutscher Meister. Ich habe die Haare gewaschen, ich war zum Rasieren. Ich spring in den Ring. Wir sind in Berlin. Guten Abend Berlin! Und ich spring über die Seile, wie immer! Warum machen Sie das? Weil man den Leuten was bieten muss! Weil ich kein Fettsack bin, der durch die Seile kriecht! Repplinger: Wenn man den "Boxsport" liest, dann kannst du sehen, dass Journalisten, die 1932 seinen Boxstil gelobt haben, und ihn unterhaltsam fanden, und witzig, und offenbar gerne zu seinen Kämpfen gegangen sind, plötzlich ab 1933 sozusagen, ab Februar, das alles ganz schrecklich fanden, ja? Das Publikum macht natürlich diesen Schritt nicht mit,die finden ihn auch 1933 noch gut. Und das bringt dann die gleichgeschalteten Funktionäre des Boxverbandes, und die gleichgeschalteten Journalisten des Boxsports und die Ringrichter und so weiter in Schwierigkeiten. Theater: Da geht's schon los. Die Leute toben, wenn ich springe! Ich seh die Uniformen. Ich seh die Leute, die nicht klatschen. Ich verlier die erste Runde. Witt schlägt hart. Witt ist klein. Unter uns: Witt sieht aus wie ein dicker Hund. Witt hat kurze Beine. Aber spätestens nach der fünften Runde weiß ich bescheid. Sechste Runde. Da ist ein Funktionär, der ist nervös. Der tuschelt mit dem Ringrichter! Was ist da los? Was machen die da? Die bringen ... die bringen den Siegerkranz weg! Neunte Runde ... Witt steckt ein. Ich habe gewonnen. Wenn er mich jetzt nicht mehr trifft, habe ich gewonnen! Nach Punkten! Sieg ist Sieg, egal! Und das Adrenalin schießt mir in die Adern ... Repplinger: Die Punktzettel wiesen ihn als Sieger aus, aber vom Ringrichter Griese wurde der Kampf als unentschieden gewertet, trotz dieser Punktzettel, weil Druck vom Boxsportverband ausging, auf Griese, dann gabs einen riesigen Tumult, im Publikum, und die Boxsportfunktionäre hatten Angst um ihre Gesundheit, Georg Raddam hatte Angst, dass er vielleicht ein Bierglas oder ne Faust an die Birne kriegt ... Theater: Zirzow reißt den Punktrichtern die Zettel von den Tischen. Es ist eindeutig. Rukeli hat gewonnen. Hier steht es. Auf jedem einzelnen Zettel steht es drauf: Rukeli hat gewonnen! Und Griese hat gesagt: Unentschieden! Griese hatte Angst. Alle hatten Angst! Und jetzt haben sie Angst vor den Leuten. Die toben! Die werden sie lynchen, die Punktrichter! Repplinger: Und der Lorbeerkranz, den sie haben verschwinden lassen, der war plötzlich wieder da, Rukeli war schon in der Kabine, weinte, weil er sich um die große Chance seines Lebens betrogen sah, und dann hat man ihn aus der Kabine zurückgeholt, und dann hat Griese Trollmann als Deutschen Meister verkündet, das Publikum hat sich beruhigt, und er war dann, ich glaube für eine Woche Deutscher Meister. Nach einer Woche erkennt der Verband ihm den Titel wieder ab. Wegen "ungenügender Leistungen", wie es heißt. Rukeli ahnt, dass es schwierig werden wird, in Zukunft mit dem Boxen Geld zu verdienen. Zumal ihm immer deutlicher gemacht wird, dass sein erfolgreicher, tänzelnder Stil nicht erwünscht ist - und er "deutsch" zu boxen hat. Das Ende seiner Karriere markiert ein Kampf gegen Gustav Eder im Juli 1933. Rukeli Trollmann betritt den Ring als Karikatur. Mit blondierten Haaren und geweißter Haut. Repplinger: Also es wird von ihm deutsches Boxen verlangt, und dann verkleidet er sich sozusagen auch als Deutscher, und er hat dann auch tatsächlich versucht, in diesem Stil zu boxen, das war eine Schlacht, dieser Kampf! Die haben sich gegenseitig Schläge an die Köpfe getrommelt, beide waren mehrfach vorm K.O., auch Eder ... Theater: Er steht in der Mitte des Rings. Und kämpft. Er schlägt. Er bewegt sich nicht! Warum bewegst du dich nicht? Los, Rukeli, fang an zu tanzen! Beweg dich endlich! Rukeli! Mach schon! Er kämpft! Er schlägt. Er spielt deutsch! // Chor: Sag dem Zigeuner: Kämpf deutsch! Oder gar nicht! Repplinger: ... beide haben geblutet, im Gesicht, beide waren schwer gezeichnet, und als Rukeli dann gemerkt hat, dass er so auf Dauer nicht boxen kann, also nicht mehr als fünf oder sechs Runden, und dann versucht hat, seinen Stil wieder zu boxen, war er schon zu kaputt und ist dann gegen Gustav Eder k.o. gegangen. Theater: Ein Schlag - und eins- und zwei- und drei - und vier - und fünf - und sechs - und sieben - und acht - und neun. Und aus. Der Kampf ist geschlagen. Und aus ist der Kampf, aus. Im Ring steht ein Boxer mit blondem Haar. Das Gesicht blutet. Die Brauen sind aufgesprungen, die Augen geschwollen, die Lippe pocht ... Der Trollmann geht hin zu Eder und reicht ihm die Hand. Und alle klatschen. Und einer, und einer weiß genau: Jetzt ist alles aus. Repplinger: Er hat dann noch ein paar Kämpfe gemacht, hat dann gegen Leute verloren, gegen die er vorher drei oder vier mal gewonnen hat, wir wissen, dass dann sehr viel SA im Saal war, und "Leg dich, Zigeuner" gerufen hat, und dann war er auch irgendwann, nach so vielen Niederlagen, als Profi-Boxer erledigt. Und hat dann auf dem Pöttemarkt in Hannover als Kirmesboxer Geld verdient und dann seine Lizenz verloren, weil man das als Berufsboxer mit Lizenz nicht machen darf. Rukeli nimmt Gelegenheitsjobs an, kellnert in Altstadtkneipen. Zeitweise versteckt er sich, im Teutoburger Wald oder auch in Berlin bei seinem Mädchen, Olga Bilda. Im März 1935 bringt sie die gemeinsame Tochter Rita zur Welt, im Juni heiraten sie. Olga ist keine Sintiza. Die Nationalsozialisten wissen nicht so recht, wie sie mit den Sinti umgehen sollen; verfolgen sie - noch - nicht mit der gleichen Härte wie die Juden. Dennoch verschwinden die ersten Sinti aus Hannover. Spurlos. Rukeli hat nicht mehr viele Möglichkeiten. Repplinger: Wir wissen, dass er dann in der Wehrmacht war, wie viele Sinti, und dann sind die 1942, nachdem die Nazis auch lange unsicher waren, was sie denn nun mit den Sinti anstellen sollen, sind alle Sinti unehrenhaft aus der Wehrmacht entlassen worden, Rukeli war verwundet an der Ostfront - mit der Entlassung aus der Wehrmacht waren die jeden Schutzes beraubt. Und so bald er da raus war, waren die hinter ihm her, und beim zweiten oder dritten Versuch haben sie ihn unter schlimmsten Bedingungen in der Wohnung seiner Schwägerin verhaftet. Theater: Wo sind meine Kinder? Stabeli, der dünne Hering? Wo ist der Rukeli? Ist der im Krieg? Ist der bei dieser Frau? Bei dieser deutschen Frau? Olga? Was macht der Rukeli? Wie geht es meinen Töchtern? Ich will wissen, wie es meinen Töchtern geht! Rukeli ist im Konzentrationslager. Er sieht in den verschiedenen Außenlagern des KZs Neuengamme, wie Menschen verhungern, von SS-Leuten wahllos erschlagen werden. Er sieht, wie Kinder sterben, wie ausgemergelte Häftlinge in eiskalten Wässern ertränkt werden. Auch Rukeli magert ab, nimmt alles zu sich, was Sättigung verspricht. 1944 wird er im Außenlager Wittenberge des KZs Neuengamme erschlagen, von einem Kapo - einem Mithäftling. Repplinger: ... ein sogenannter grüner Häftling, ein Krimineller, ein Quäler der Häftlinge, der auf der Seite der SS stand und versucht hat, sein Leben zu retten, in dem er halt die Befehle der SS befolgt hat und die Häftlinge zugrundegerichtet hat und gequält hat ... Der Kapo fordert Rukeli zu einem Boxkampf heraus. Immer wieder wird er von Aufsehern provoziert. Rukeli weiß, dass er bei dieser Art von Kampf nur verlieren kann ... Repplinger: Rukeli wollte nicht boxen, weil er, das war 1944, und ein Ende des Nationalsozialismus war abzusehen, da sind die Flieger der Alliierten schon ständig Bombenangriffe geflogen, und dann kams aber doch zu diesem Boxkampf, und Rukeli hat natürlich diesen Kapo niedergeschlagen, und der Kapo hat ihn dann bei der nächsten Gelegenheit so gequält, bis der völlig fertig war, und hat ihn dann mit nem Knüppel erschlagen. Rukeli Trollmann wäre ein großer Boxer geworden, vielleicht ein Weltstar. Doch es war lange still um ihn. Das hat sich erst vor wenigen Jahren geändert. Das "Tiefenthal" in Hannovers Altstadt, die Gasse, in der er aufgewachsen ist, heißt jetzt Johann-Trollmann-Weg. In Hamburg und Hannover erinnern Stolpersteine an ihn. In Berlin wurde ein Boxcamp nach ihm benannt, nur einen Katzensprung entfernt vom Sommergarten der Bockbierbrauerei, wo er 1933 den Titelkampf um die Deutsche Meisterschaft im Halbschwergewicht austrug. Ansagerin: Wir haben unserem Boxcup den Namen gegeben, um einen Teil dazu beizutragen, dass die Geschichte von Rukeli Trollmann nicht vergessen wird, beziehungsweise erhalten bleibt. Und ihm endlich den Respekt entgegenzubringen, den er schon lange verdient hätte. Der Hamburger Boxclub Hanseat hat einen "Rukeli-Trollmann-Boxcup" ins Leben gerufen. Ein Turnier für Nachwuchs-Boxer. Ernst Matthiesen vom BC Hanseat: Matthiesen: Also wir haben angefangen mit der Stolpersteinverlegung für Rukeli Trollmann, vor der Roten Flora, da hat er mal geboxt ... Boxen hat ja was mit Integration zu tun, wir haben unheimlich viele ausländische Boxer, mit sogenanntem Migrationshintergrund, und da haben wir gedacht, da müssen wir was tun, und das ist ein toller Typ gewesen, der hat gut geboxt, da haben wir gesagt, okay, da müssen wir was machen, damit der Mensch nicht in Vergessenheit gerät. Unter den jungen Sportlern sind Migranten aus den verschiedensten Ländern. Der Mythos des Boxens ist beständig. Sich durchkämpfen, rauskommen, von ganz unten ... Junge Boxer: Man steht alleine, mit sich selbst, und seinen Händen gegeneinander, eins gegen eins. Ist einfach ne Leidenschaft. Und ne Möglichkeit, aus dem rauszukommen, wo wir gerade drinsind. TS: Wo seid ihr denn drin? Asylantenheim. Wir haben keinen deutschen Pass. Und deswegen, vielleicht erhoffen wir uns was vom Boxen. Erfolg ... deswegen .. Es ist ein klassisches Turnier, bei dem es einen klassischen Sieger gibt - aber auch einen besonderen Sieger: Mit dem Trollmann-Pokal wird der Boxer mit dem ungewöhnlichsten Boxstil ausgezeichnet. Der vielleicht einmal Maßstäbe setzt, so wie es Trollmann auch hätte tun können. Wenn man ihn gelassen hätte Ansagerin: Nun hoffen wir, dass Sebastiano Lo Zito von der Nordschmiede noch hier ist, weil er der Pokalgewinner ist. Sebastiano Lo Zito von der Nordschmiede bitte zum Ring ... (Applaus ...) Lo Zito: Für mich is das als allererstes ne Ehre, weil dieser Mann halt nicht sein Leben zu Ende leben konnte so wie er wollte ... ich denke, er war ein guter Boxer, ich hab auch noch nie ein Kampf von ihm gesehen, ist ja auch sehr lange her jetzt, aber seine Geschichte ist traurig, und ich finds gut, dass man an sowas in Deutschland heute noch denkt, heutzutage ... Seit 2003 ist Johann Trollmann wieder offiziell Deutscher Meister im Halbschwergewicht 1933. Es dauerte 70 Jahre, bis der Boxverband ihn wieder in die Liste der Deutschen Meister aufnahm. Mehr als ein Blatt Papier hat Großneffe Manuel vom Bund Deutscher Berufsboxer nicht erhalten. Trollmann: Also ein offizielles Schreiben vom BdB, wobei der Präsident das noch nicht mal unterschrieben hatte. Es fehlten glaub ich zwei Unterschriften drauf. Aber es ist anerkannt,und das ist ja das Wichtige. Auch für die Anfertigung eines Meistergürtels sah der Boxverband offenbar keinen Anlass, denn das mache ihn ja auch nicht wieder lebendig, berichtet Manuel Trollmann. Der privaten Initiative der Berliner Boxpromoterin Eva Rolle ist es zu verdanken, dass 2003 ein solcher Gürtel an Rukelis Nachfahren übergeben werden konnte. Manuel Trollmann: Trollmann: Man hat diesen Gürtel unter den Klängen der deutschen Nationalhymne übergeben. Ich hab ganz wackelige Knie bekommen, das kam mir vor, als ob ne Stunde diese Musik lief. Ich hab versucht, mich in ihn reinzuversetzen. Wie muss er sich gefühlt haben? Er hat doch nichts getan! Er ist ein super Sportler gewesen. Mit welcher Berechtigung hat man ihn aus dem Ring rausgedrängt? Wie auch immer, das ging mir alles in dem Moment durch den Kopf ... und ich habe einmal es geschafft meinen Kopf zu heben, nachdem ich den Gürtel bekommen habe, und habe mal rumgeguckt, dort waren Menschen unterschiedlicher Altersgruppen, und die haben fast alle geweint. Und dann habe ich nach links rübergeguckt, und da waren die noch damals lebenden KZ-Überlebenden, und die haben geschrien: Rukeli, Rukeli! Das war so bewegend und beeidruckend, da bekomm ich jetzt beim Erzählen noch Gänsehaut! Von seiner Frau ließ sich Rukeli 1938 scheiden - zu ihrem Schutz. Olga Bilda und Rita, die Tochter, überlebten den Nationalsozialismus. Rukelis Bruder Julius, genannt Mauso, stirbt nach Kriegsende an den Misshandlungen, die ihm im Arbeitslager zugefügt wurden. Sein Bruder Stabeli stirbt 1943 in Auschwitz, nachdem er über Nacht in eine Wassertonne gestellt wurde. In Deutschland gibt es noch bis in die Siebziger Jahre hinein eine Sondererfassung der Sinti und Roma durch die Polizei. Teilweise sogar mithilfe der in Auschwitz eintätowierten KZ- Nummern - als erkennungsdienstliches Merkmal. Der Mörder von Johann Rukeli Trollmann wurde für seine Tat nie bestraft. Gema-Angaben: Titel: Der zu späte Sieg Interpret: Spätlese Text: Dieter Schaefer Komponist: John Hiatt LC: 14596 Lilli Records Titel: Echoes of Elvin Interpret: Will Calhoun Komponist: Will Calhoun LC: 10386 enya