COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 03.06.2013, 19.30 Uhr Legal Highs und Crystal Meth Die schöne neue Drogenwelt Von Adama Ulrich Atmo Technobeats 01 O-Ton: (Jens Müller, Suchtkranker) Speed, Crystal, Kokain, Pillen 01a O-Ton: (Volker Auwärter, forensische Toxikologie Freiburg) Diese synthetischen Wirkstoffe sind ... aufgrund dieser stärkeren Aktivität die sie haben, einfach akut gefährlicher als Cannabis. 01b O-Ton: (Lisa, gelegentliche Konsumentin) Ich habe in der ersten Zeit ziemlich viel Ecstasy probiert und genommen. Das hat mir sehr viel Freude bereitet, weil, man ist irgendwie glücklich, das macht einen irgendwie froh. 01c O-Ton: (Matthias Horwath, Suchtberatungsstelle "Löwenzahn") Eine gute Prävention würde den Konsumenten nicht daran hindern zu konsumieren. Drogenkonsum ist ein Teil der Probierkultur. Es würde vielleicht verhindern, dass das Umfeld so lange weg guckt. 01d O-Ton: (Mario, Suchtkranker) Man probiert es halt mal aus und wenn man es ausprobiert hat, dann bleibt man halt drauf hängen beim Crystal. 01e O-Ton: (Mechthild Dykmanns, Drogenbeauftragte der Bundesregierung ) Das ist ganz schwierig, gerade junge Konsumenten davon zu überzeugen, wie gefährlich diese Substanzen sind. Musik hoch Sprecher/in vom Dienst: Legal Highs und Crystal Meth Die schöne neue Drogenwelt Von Adama Ulrich 02 O-Ton Hans Die Droge ist quasi nur ein Fahrzeug. Fortbewegen kann sich jeder. Sprecherin: Drogen, auch verbotene, sind Teil der Alltagskultur. Jeder vierte in Deutschland lebende Erwachsene hat laut Sucht- und Drogenbericht 2013 schon einmal illegale Substanzen zu sich genommen. Meistens Cannabis, das in den 60er Jahren seinen weltweiten Siegeszug antrat. Zusammen mit LSD, der ersten populären Droge aus dem Labor, prägte es zwei Jahrzehnte Drogenkonsum, der durchaus Schwankungen und Moden unterworfen ist. Die 60er und 70er Jahre gehörten den "bewusstseinserweiternden" Drogen, als solche galten auch LSD und Cannabis. Die leistungs- und partyorientierten 80er/90er Jahre waren von stimulierenden Drogen wie Kokain und Ecstasy geprägt. Heute gibt es Mittelchen mit denen sich praktisch jeder gewünschte Geistes- oder Körperzustand herstellen lässt. Sie kommen aus illegalen Laboren, sind billiger und um ein vielfaches stärker, als alles was früher auf dem Markt war. Die Präparate lassen sich auch kombinieren und dies ist laut Drogenbericht gängige und besorgniserregende Praxis. 03 O-Ton: (Hans) Das fängt natürlich mit Alkohol an, Marihuana, also der Wirkstoff THC, dann gibt es das Ecstasy, Kokain, Ketamin, MDMA, einer der Wirkstoffe von Ecstasy, seit einigen Jahren gibt es Tucibi-Pillen, Amphetamine und Methamphetamine, Opiate werden ab und zu auch gebraucht und LSD natürlich auch noch. Sprecherin: Viele dieser Drogen hat Hans, wie der junge Mann genannt werden möchte, selber schon konsumiert. Hans gehört seit Jahren zum inner circle der Berliner Partyszene. Er sitzt entspannt auf einer Holzbank am Spreeufer im Chilloutbereich seines Lieblingsclubs. Es ist Sonntag, 23.00 Uhr. Noch ist nicht viel los. Aber in wenigen Stunden, wird hier die Hölle los sein - obwohl Sonntag ist. Von den verschiedenen Dancefloors sind hier draußen nur leise Techno- oder Minimalrhythmen zu hören. In Hans' Begleitung darf man hier sogar Tonaufnahmen machen, ansonsten sind Aufnahmen jeglicher Art im Club strengstens verboten. Hans konsumiert Drogen ganz gezielt. Für jeden Zustand gibt es das passende Mittel. Wenn er mal so richtig feiern will oder auf größere Festivals fährt, überlegt er sich genau, welche Substanzen er mitnehmen will. 04 O-Ton: (Hans) So ich brauche 5 Gramm Haschisch, 2 Gramm Kokain, 3 Gramm Speed, Ketamin, vielleicht auch ein bisschen MDMA oder ähnliches. Sprecherin: Darüber, dass Drogen nun mal zur Jugendkultur und in die Clubszene gehören, ist sich auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Mechthild Dyckmans im Klaren. 05 O-Ton: (Dyckmans) Es ist ja zum Teil auch ein Aufputschmittel, so dass man z.B. in der Techno-Szene die ganze Nacht durchtanzen kann und nicht müde wird. Das ist bei vielen ein Grund, weshalb sie solche Mittel nehmen. Oftmals ist es auch schlicht die Neugier, mal etwas auszuprobieren. Es sind auch oftmals Menschen, die das Risiko nicht scheuen und bewusst riskant etwas konsumieren. Oftmals wird es mit Alkohol oder anderen Drogen gemixt. Wenn man z.B. den Rauschzustand von Cannabis noch erhöhen will, indem man dann noch etwas anderes dazu konsumiert. 06 O-Ton: (Hans) Ne tolle Wirkung wäre, ich könnte Alkohol trinken ohne Ende aber nie richtig besoffen sein, bzw. nur dann, wenn ich es gerade will. Sprecherin: Hans ist auch vorsichtig. Er weiß, dass beim Drogenkonsum schnell mal was schief gehen kann, vor allem, wenn es sich um synthetische Drogen handelt. 07 O-Ton: (Hans) Ich würde mir nicht von irgendjemandem eine Pille geben lassen, und die würde ich dann nehmen. Das würde ich nie machen. Abgesehen davon, würde ich auch jedem grundsätzlich raten, mit ´nem Viertel anzufangen und dann langsam zu steigern. Bevor man zu viel intus hat und das nicht mehr rückgängig machen kann. ... Mehr nehmen kann man dann immer noch. Sonst kann so eine Party auch schnell mal in die Hose gehen. Vielleicht im wahrsten Sinne des Wortes:o) Musik Acid Sprecherin: Die Partydroge schlechthin ist Ecstacy - auch als MDMA bekannt. Die Abkürzung steht für die chemische Verbindung 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin. Aus den USA kommend, wurde Ecstacy erstmals Ende der 1980er Jahre in Europa im Rahmen der britischen Acid-House-Bewegung populär und entwickelte sich schnell zur Droge der aufkommenden Ravekultur. Keine Droge hat sich je so rasant verbreitet wie die kleinen, bunten Pillen. 08 O-Ton: (Lisa) Die Musik klingt anders, intensiver, die Farben leuchten mehr, in `nem Facettenreichtum, welcher mir davor nicht bekannt war. ... Dann kommt Techno richtig laut und die Nebelmaschinen werden angeschaltet, im besten Fall gibt es dann noch Strobo. Dann bist Du einfach so überwältigt von allem. Aber das ist nicht mal zu viel, sondern das passt. Man taucht da so ein und will da auch gar nicht mehr so richtig raus. Sprecherin: Lisa ist vor sieben Jahren aus einer Kleinstadt in Baden-Württemberg nach Berlin gezogenen und gleich in der Clubszene gelandet. Fünf Jahre hat sie kräftig gefeiert und Ecstacy genommen. Dann hat es ihr gereicht. 09 O-Ton: (Lisa) Wenn dann die Party vorbei ist, bist du zurück in der Realität und das fühlt sich kalt und böse an. ... Dann gehst du raus und bist halt nicht mehr so froh, weil der ganze Serotonin- und Endorphinhaushalt total durcheinander ist und man schnell auf den Boden der Tatsachen kommt und sich alles gar nicht mehr gut anfühlt. Sprecherin: Grob lassen sich legale und illegale Drogen in stimulierende, dämpfende und bewusstseinsverändernde Substanzen einteilen, wobei die Übergänge je nach Substanz und Dosierung fließend sein können. Zu den stimulierenden legalen Drogen gehören unter anderem Koffein und Nikotin, wohingegen Alkohol in der Regel eher dämpfend wirkt. Volker Auwärter kennt sich sowohl mit legalen als auch mit illegalen Drogen bestens aus. 10 O-Ton: (Volker Auwärter) Im Klassischen haben wir es zu tun mit Opiaten, Opioiden, das sind Stoffe die an die Opioidrezeptoren binden, der Klassiker wäre das Morphin ... Dann haben wir die Cannabinoide. Das wäre allen voran das Cannabis, Mariuhana, Haschisch usw., inzwischen wurde diese Klasse erweitert durch die vielen synthetischen Analoga die hergestellt und verkauft werden. Dann haben wir Kokain, Amphetamin, Ecstacy. Die kann man unter den Stimulanzien zusammenfassen. ... Dann gibt es noch eine Klasse, die könnte man als Halluzinogene bezeichnen. ... Darunter fällt z.B. LSD. ... Sprecherin: Auwärter leitet am Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik Freiburg die forensische Toxikologie. Er ist einer DER Drogenexperten Deutschlands und hat sich vor allem auf synthetische Drogen spezialisiert. 11 O-Ton: (Volker Auwärter) Historisch kann man eigentlich sagen, dass (...) eine Droge, die synthetisiert wird, um gesetzliche Vorschriften zu umgehen, das geht eigentlich zurück in die 20er Jahre. Da wurden die ersten synthetischen Analoga hergestellt, um Heroin zu ersetzen. Die zweite große Welle mit Designerdrogen war dann im Zuge der Ecstasywelle festzustellen. Ecstacy, also MDMA als Hauptwirkstoff, wurde ja dann relativ schnell verboten, nachdem die Partyszene sich darauf gestürzt hat. Vorher war das ja eher im therapeutischen Bereich angesiedelt, da wurde z.B. Psycholyse damit gemacht. Es wurde im psychotherapeutischen Bereich eingesetzt. Die nächste große Welle kam dann eigentlich 2008/2009 mit dieser Spice-Geschichte. Das waren dann die Cannabinoide, die damals erstmals aufgetreten sind, also die synthetischen Cannabinoide. ... Die gabs zwar auch schon länger, aber die sind nur in der pharmazeutischen Forschung verwendet worden. Sprecherin: Diese synthetischen Cannabinoide sind auch als "legal highs" bekannt. Seit fünf Jahren drängen sie verstärkt auf den Markt. Sie tragen so klangvolle Namen wie Spice, Lava Red, Vanilla Sky oder Maya. Man kann sie als Räuchermischung oder Badesalz getarnt problemlos online kaufen. Die Badesalze werden entweder geschnupft oder aufgelöst und injiziert. Die Räuchermischungen werden geraucht oder inhaliert. Auwärter ist vor etwa sechs Jahren zum ersten Mal auf die so genannten "legal highs" aufmerksam geworden. 13 O-Ton: (Auwärter) Verkauft wurde das ja als Kräutermischung, mit seltenen Kräutern, die eine ähnliche Wirkung hervorrufen sollten wie Cannabis. Das war die Story dahinter. Wir wollten uns das angucken und eigentlich prüfen, ob das Ganze nur auf einem Placeboeffekt beruht oder ob es tatsächlich irgendetwas macht. Sprecherin: Da die Toxikologen keine Proben von Patienten mit gesichertem Konsum zur Verfügung hatten, unternahmen sie kurzerhand einen Selbstversuch. 14 O-Ton: (Auwärter) Die kleine Menge, die wir zu zweit geraucht haben, hat deutliche Effekte hervorgerufen, dass es für uns nicht vorstellbar war, dass es von harmlosen Kräutern hervorgerufen werden konnte, wie da auf dem Päckchen deklariert worden war. Die Wirkungen, die wir verspürt haben, kann man schon als cannabisartig beschreiben. ... Das fängt an mit der Erhöhung der Herzfrequenz, Herzrasen, typische rote Augen, die man bekommt, der trockene Mund und Veränderungen in den Wahrnehmungen im Wesentlichen. Sprecherin: Darüber, ob ihm das Experiment auch Spaß gemacht hat, schweigt der Experte. Aber auf jeden Fall ist es Auwärter und seinem Team gelungen, einen der Hauptwirkstoffe von Spice zu entschlüsseln und herauszufinden, wie die chemische Substanz in die Räuchermischung gekommen ist. 15 O-Ton: (Auwärter) Bei den synthetischen Cannabinoiden ist es z.B. so, dass die in der Regel in einem Lösungsmittel aufgelöst werden, die Substanzen, und dann aufgesprüht auf eine Kräuterbasis, das kann irgendeine Kräutermischung sein, die man günstig im Großmarkt kaufen kann, und trocknet das Lösungsmittel ab, verdampft. Dann hat man fein verteilt diese Wirksubstanz, die praktisch so eingezogen ist in diese Kräuterbasis. Das kann man dann in den Internetshops als Endprodukt bestellen und so konsumieren, wie man sonst vielleicht Marihuana konsumieren würde. Sprecherin: Allerdings oft mit einer viel stärkeren Wirkung als erwartet. Rund 400.000 Erwachsene haben Untersuchungen zufolge schon einmal die so genannten "legal highs" probiert. Die meisten bestellen sie im Internet und tauschen in speziellen Foren ihre Erfahrungen, die sie damit gemacht haben, aus. Musik Psychedelic Atmo Computertastatur Stimme 1: Moon extreme. 3g, 22,00 Euro Stimme 2: Meiner Meinung nach 100% DER STOFF AUS DEM PSYCHOSEN SIND!" Stimme 3: After Dark, 2g, 19,90 Euro Stimme 1: Eine Welle der Euphorie ist deutlich zu spüren, diese hält mit einem uplifting high zarte 60 Minuten und es klingt smooth ab. Stimme 4: Astro, 2g, 22,99 Euro Stimme 5: Ich habe jetzt auch noch Atemnot und einen sehr schlechten, nicht rhythmischen Herzschlag. Stimme 2: Lava Red, 3g, 24,80 Euro Stimme 6: Das es ungesund ist und dem Körper ernsthaft schadet, war mir natürlich klar!" Musik hoch Sprecherin: Ein Grund dafür, warum so viele, trotz der gesundheitlichen Risiken, zu synthetischen Drogen greifen, ist sicher, dass sie oftmals stärker wirken als herkömmliches Cannabis. Volker Auwärter vermutet jedoch, dass auch noch andere Gründe dahinter stecken. 16 O-Ton: (Auwärter) In Deutschland kann man sagen, sind die Cannabinoide vielleicht deswegen so interessant, weil Cannabis, wie in vielen anderen Ländern, eine große Rolle spielt - nach Alkohol gleich Droge Nummer zwei ist, wenn man Nikotin jetzt mal außen vor lässt. Gleichzeitig wird aber ein relativ starker Druck ausgeübt von Gesetzesseite, was auch führerscheinrechtliche Fragen angeht. So dass eine nicht unerhebliche Anzahl von Leuten aus diesen Erwägungen heraus Cannabiskonsum ersetzt durch die synthetischen Cannabinoide, die zum einen erstmal "legal" sind, wobei diese Legalität mit einem großen Fragezeichen behaftet ist und auf der anderen Seite durch diese Schnelltestverfahren nicht festgestellt werden können. Bei einer Polizeikontrolle z.B. im Straßenverkehr. Das sind Argumente, die manchen bewegen, zu diesen Drogen zu greifen. 17 O-Ton: (Dykmanns) Das bedeutet für viele auch: ,Na dann können sie ja nicht so gefährlich sein.' Sprecherin: Mechthild Dykmanns, Drogenbeauftragte der Bundesregierung. 17 O-Ton: (Dykmanns) Fortsezung Tatsächlich sind sie aber genauso gefährlich wie viele unter das Betäubungsmittelgesetz fallende Substanzen. Musik Atmo Computertastatur Stimme 1: Lava Blue, 3g, 24,80 Euro Stimme 3: Hab noch nie so schlimme gesundheitliche Probleme gehabt wie bei den Kräutermischungen. Stimme 4: Der ganze Scheiß nur, weil nix zu kiffen da war. Stimme 2: Pure Gold, 3g, 24,80 Stimme 5: Das Zeug macht alles kaputt! Mein Leben ist zeitweise die Hölle!" Stimme 6: Gebt das Hanf frei - dann bräuchte niemand mehr diesen Scheiß. Musik und Telefonklingeln A 01 Atmo-Ton Telefonat Hermanns-Clausen Vergiftungsinformationszentrale, Hermanns ... Also zwei Tabletten Ecstacy und das ist ein Jugendlicher, 17 Jahre alt, männlich. ... vor 4 Stunden. ... Der hat richtig akut tonisch, klonisch gekrampft? ... Sprecherin: Maren Hermanns-Clausen arbeitet in der Vergiftungsinformationszentrale in Freiburg. 19 O-Ton: (Hermanns-Clausen) Wir bestehen seit 1968 und geben Laien wie auch Fachpublikum, Ärzten v.a., Auskunft, wenn es zu Vergiftungen gekommen ist oder Vergiftungsverdacht besteht. Sprecherin: 2/3 der Anfragen betreffen Kleinkinder, die zum Beispiel Geschirrspülmittel getrunken oder im Garten unbekömmliche Beeren gekostet haben. Auch viele ältere Menschen wenden sich an die Vergiftungsinformationszentrale, wenn sie beispielsweise versehentlich Entkalker statt ihrer Arznei geschluckt haben. 2008 gab es die ersten Nachfragen zu synthetischen Drogen. 20 O-Ton: (Hermanns-Clausen) Bei uns ist es so, dass wir häufig die Trends abbilden, also wenn Substanzen neu auf den Markt kommen. So war es auch, als wir die ersten Anrufe zu Spice hatten. Damals, als man noch gar nicht wusste, dass da ein synthetisches Cannabinoid enthalten ist. Das fing 2008 an, da kamen die ersten Anrufe. .... 2009/10/11 gab es einen Peak von schweren Vergiftungsfällen, die dann auch im Krankenhaus gelandet sind, nach dem Konsum dieser Drogen. Sprecherin: Zusammen mit anderen Institutionen, wie der forensischen Toxikologie in Freiburg, arbeitet die Vergiftungsinformationszentrale in einem EU-Forschungsprojekt über synthetische Drogen mit. 21 O-Ton: (Hermanns-Clausen) Von Seiten der Vergiftungsinformationszentrale (...) wollen wir sehen, wie verlaufen die Fälle? Welche Nebenwirkungen treten ein? Welche Komplikationen treten auf? (...) Aber es soll auch von den Betroffenen erfragt werden, wie war das Setting, wie waren die Umstände unter denen konsumiert wurde? (...) Also gucken, gibt es Faktoren des Konsums, die zu einem erhöhten Risiko führen. Musik Sprecherin: Obwohl diese synthetischen Drogen also durchaus gefährlich sind, fallen sie oft nicht unter das Betäubungsmittelgesetz, denn der Gesetzgeber kommt mit den Verboten nicht hinter der Entwicklung her, wie Mechthild Dyckmanns erklärt. 22 O-Ton: (Dykmanns) Jede Substanz muss ausdrücklich genannt werden. Bei diesen Substanzen ist es so, dass sie chemisch hergestellt werden (...) können. Indem sie die Substanz ganz gering chemisch verändern, haben sie eine neue Substanz, die wieder neu unter das Betäubungsmittelgesetz gestellt werden müsste. Sprecherin: Das Verfahren, bis eine Substanz unter das Betäubungsmittelgesetz fällt, kann bis zu einem Jahr dauern. 23 O-Ton: (Dykmanns) Immer dann, wenn es uns gelungen ist, haben die Chemiker schon wieder eine neue Substanz entwickelt und wir fangen das ganze Spiel wieder von vorne an. Sprecherin: Um die Substanzen analysieren zu können, kauft das Institut von Auwärter die Produkte online, wie alle anderen Konsumenten. Dann werden sie Molekül für Molekül auseinander genommen, um herauszufinden, um welche chemische Verbindung es sich handelt, ob sie die schon kennen und ob sie unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. 24 O-Ton: (Auwärter) So wie im letzten Jahr waren es über 70 Substanzen, die entdeckt wurden, im Jahr davor waren es 50. Wenn das so weitergeht, kann man damit rechnen, dass jede Woche im Schnitt eine Substanz neu dazu kommt, also wirklich erstmalig neu auftritt. 25 O-Ton: (Dykmanns) Das ist quasi wie so ein Hase-und-Igel-Spiel. Wir sind immer die Verlierer. Deshalb sind wir am Überlegen und Prüfen, ob man nicht ganze Substanzgruppen unter das Betäubungsmittelgesetz stellen kann. Sprecherin: Ob es wirklich notwendig ist, das Betäubungsmittelgesetz zu ändern, bezweifelt Volker Auwärter. 26 O-Ton: (Auwärter) Im Grunde genommen kommt man der Sache auch über das Arzneimittelgesetz bei, weil die Definition auch anwendbar ist auf die "legal highs". Legal sind sie nur für denjenigen, der sie besitzt, für sich konsumiert. Sobald man diese Drogen abgibt an andere, egal ob endgeldlich oder unendgeldlich, macht man sich strafbar nach dem Arzneimittelgesetz, weil es nicht erlaubt ist, pharmakologisch wirksame Substanzen zum Zwecke des Konsums an andere abzugeben, ohne über eine entsprechende Erlaubnis zu verfügen. Musik 27 O-Ton: (Vivienne) Mit 16 habe ich angefangen Crystal zu nehmen. Das war auch meine Einstiegsdroge. Wie es dazu kam: Durch den Freundeskreis. 28 O-Ton: (Mario) Ich hatte mit Crystal mit 14 Erstkontakt und habe mit 15 angefangen, Crystal täglich zu konsumieren, durch den Tod von meinem Vater. 29 O-Ton: (Jens) Am Anfang hab ich´s ausprobiert, Neugier. Dann ging's nicht mehr ohne Drogen. Beim Weggehen, Feiern, und das hat sich über die Jahre dann aufgebaut. Es ist immer schlimmer geworden und dann kam es zum Eklat. Musik kurz hoch Sprecherin: Vivienne, Mario und Jens, die Namen haben sie sich ausgedacht, haben umfangreiche Erfahrungen mit Crystal Meth gemacht. Der Konsum dieser synthetischen Droge hat in den letzten Jahren enormen zugenommen. Die eigentliche Wirksubstanz ist Methamphetamin. Sie unterdrückt Müdigkeit, Hungergefühl und Schmerz. Sie verleiht kurzzeitig Selbstvertrauen und gibt dem Leben eine ungewohnte Schnelligkeit. Die Wirkung von Crystal setzt nach etwa 15 Minuten ein und hält zirka 20 Stunden an - im Extremfall sogar bis zu 70 Stunden! Das Resultat: Totale Erschöpfung. Musik Sprecherin: In Japan bereits Ende des 19. Jahrhunderts erstmals synthetisiert, wurde in Deutschland ab Mitte der 1930er Jahre an einem Verfahren zur Herstellung von Methamphetamin geforscht, das Ende 1937 patentiert wurde. Im 2. Weltkrieg ist es als Wachhalte- und Aufputschmittel Soldaten in Form von Pillen oder sogenannter "Panzerschokolade" verabreicht worden. Dabei lag der Wirkstoffgehalt bei etwa zehn Prozent. Beim heutigen Crystal Meth ist er acht mal so hoch. Musik Sprecherin Sachsen ist neben Bayern das Bundesland, in dem sich Crystal Meth besonders stark ausgebreitet hat. Der Grund dafür ist die Nähe zu Tschechien, meint der Präsident des Landeskriminalamts Sachsen Jörg Michaelis. 30 O-Ton: (Michaelis) Wenn sie sich hier die Grundstoffe in der Größenordnung, die erforderlich ist, beschaffen wollen, fallen sie wesentlich eher auf, als das in Tschechien der Fall ist, wo es unproblematisch ist, die Grundstoffe z.T. aus Polen zu beziehen und zu Crystal zu verarbeiten. Sprecherin: Der Hauptumschlagplatz für Crystal Meth sind die Asiamärkte gleich hinter der tschechischen Grenze. Hier verkaufen vor allem in Tschechien lebende Vietnamesen alles, was das Herz begehrt zu günstigen Preisen - auch Drogen. 31 O-Ton: (Mario) Es ist echt leicht da ran zu kommen. Du brauchst nur über die Grenze fahren und 200 Meter weiter, im ersten Laden, da stehen sie schon da und fragen, ob du was haben willst. Es ist auch enorm billiger als in Deutschland. Deshalb wird es heutzutage auch zu ´nem Ameisenprinzip, dass halt viele fahren und sich Eigenbedarf holen. Dort bezahlste zwischen 15 und 30 Euro ... und in Deutschland bezahlste manchmal zwischen 60 und 100 Euro. Sprecherin: Crystal, wie das Methamphetamin umgangssprachlich genannt wird, ist ein hochwirksames Stimulans auf Amphetaminbasis. Es macht schnell süchtig und hat schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen zur Folge. 32 O-Ton: (Vivienne) Ich wusste, dass es gefährlich ist, dass man schnell altert und so. Aber in dem Moment war es egal. Man hat es auch selber gar nicht so mitgekriegt. Wenn, dann andere Leute, die einen lange nicht gesehen haben, sagen: ,Oh Gott, bist Du dünn geworden', das fällt einem selber gar nicht auf. Musik Techno A 02 Atmo-Ton: (Vivienne und Mario) Das ist die Arztsprechstunde. Hier haben wir so einen kleinen Kiosk mit Zigaretten und Süßigkeiten und so was. Hier haben wir `nen Schulraum. Da sind die Realschüler drinne.... Hier haben wir den Hauptschulraum. Vivienne: Die haben gerade, wie heißt das noch mal? Hausaufgabenzeit eine 3/4 Stunde und dann haben wir frei. Sprecherin: Vivienne und Mario führen durch die Reha-Klinik "Alte Flugschule" in Großrückerswalde, einem Dorf im Erzgebirge unweit der Tschechischen Grenze. Sie haben den Entzug hinter sich. Ihr Tagesablauf ist nun streng geregelt. 33 O-Ton: (Wicha) Wir haben sehr enge Strukturen und klare Vorgaben, weil wir es meist mit Klienten zu tun haben, die ohne Strukturen und ohne Regeln gelebt haben und man muss das wieder einführen und das geht nur, wenn man das sehr deutlich macht.. Sprecherin: Uwe Wicha hat die Reha-Klinik im Jahr 2000 gegründet. Seit dem hat sich die Drogenszene verändert. 34 O-Ton: (Wicha) Wir haben vorher mehr Leute gehabt, welche Heroin oder Ecstasy konsumierten und an die Stelle ist Crystal gerückt. Wir merken an den Drogenberatungsstellen als auch an der Nachfrage nach Therapieplätzen, dass es insgesamt eine ansteigende Nachfrage gibt, offensichtlich ist es so, dass mehr Menschen anfangen, illegale Drogen zu konsumieren. Sprecherin: Das macht sich auch in der Kriminalitätsstatistik bemerkbar, wie der Präsident des LKA Sachsen Michaelis betont. 35 O-Ton: (Michaelis) Insbesondere im Leipziger Raum gibt es Erkenntnisse, dass etwa 30% der Täter, die in Diebstähle verwickelt sind, diese nutzen, um ihren Rauschgiftkonsum zu finanzieren. Sprecherin: Rauschgiftdelikte in Zusammenhang mit Crystal Meth haben in Sachsen enorm zugenommen. Waren es 2008 noch 1771 Fälle, ist die Zahl 2012 auf 4763 gestiegen. Auch Vivienne hat Kupferkabel gestohlen und selbst gedealt, um ihre Sucht zu finanzieren. Vor zweieinhalb Jahren, hat ihr das Jugendamt dann ihren damals 4jährigen Sohn weggenommen. 36 O-Ton: (Vivienne) Ich habe mehr gebraucht. Von Tag zu Tag mehr. Ich hatte das ja auch gespritzt. ... Es hat jeden Tag genervt, jeden Tag dasselbe. Jeden Tag musst du das Geld auftreiben, um Drogen zu kaufen. Das hat mich richtig angenervt. Das macht auch fertig. Wenn man nur für das Eine lebt, das macht keinen Spaß mehr. Sprecherin: Ein Freund hat Vivienne in den Entzug gebracht, bevor sie in die Reha-Klinik "Alte Flugschule" kam. Neben der üblichen medizinischen und psychologischen Betreuung, besteht für die Klienten hier zusätzlich die Möglichkeit, sich auf einen Schulabschluss vorzubereiten oder Teilabschlüsse in den Berufsfeldern Tierwirt, Landwirt, Schreiner, Zimmermann oder Koch zu machen. Vivienne möchte sich während ihres sechsmonatigen Reha-Aufenthalts auf ihren qualifizierten Hauptschulabschluss vorbereiten. Überhaupt hat sie viel vor in Zukunft. 37 O-Ton: (Vivienne) Ich will auf jeden Fall mein Kind wieder haben. (...) Ich möchte auf jeden Fall eine Wohnung haben. In der Adoption Leipzig werde ich wohnen. Dort möchte ich auch ein Praktikum machen. Mein Vater hat mir sogar gesagt, dass ich den Führerschein machen soll, woran ich noch gar nicht gedacht habe. Da habe ich jetzt zugesagt, weil er mir den bezahlt. ... Ich habe viele Pläne. Musik Techno 38 O-Ton: (Wahode) Wie war es denn früher? Früher gab es kein Crystal aber wir hatten auch Kontakt: erste Zigarette, Alkohol. Konnten wir damit richtig umgehen? Haben wir sofort nein gesagt? Nein, es gab dieses jugendtypische Verhalten. Man hat probiert, man hatte bedenken, in der Gruppe nein zu sagen. Sprecherin Polizeioberkommissarin Marlene Wahode von der Zentralstelle für polizeiliche Prävention beim LKA Sachsen und ihre Kollegen setzen vor allem auf Vorbeugung. Sie gehen in Schulen und reden mit 7., 8. und 9. Klässlern über Drogen. Dass diese Art der Aufklärung nicht ausreicht, ist klar. Wichtig sei vor allem das soziale Umfeld des Kindes und noch wichtiger, dass es mit seinen Eltern kommunizieren kann. 39 O-Ton: (Wahode) Man soll sich Zeit nehmen für sein Kind. Wenn es Probleme mit nach Hause bringt, sollen die Eltern zuhören, ... Hilfsangebote geben, sich vielleicht auch mal den Freundeskreis angucken. Mit wem kursiert denn mein Kind? Wie sind die Eltern des Kindes drauf? Sprecherin: Aber was, wenn das Kind, trotz aller Zugewandtheit, doch zu illegalen Drogen greift? Der Toxikologe Auwärter meint, dass man gerade dann versuchen sollte, mit den Konsumenten ins Gespräch zu kommen. Eine Möglichkeit dafür sieht er in so genannten Drugchecking-Kampagnen, wie es sie beispielsweise in der Schweiz gibt. Eine Art Drogen-TÜV. Da können Konsumenten in den Clubs ihre Drogen von Experten analysieren lassen. Für sie hat das den Vorteil, dass sie geprüfte, sozusagen "sichere" Drogen zu sich nehmen können. Das stößt nicht überall auf Begeisterung. In Deutschland wurde diese Vorgehensweise bislang abgelehnt. 40 O-Ton: (Auwärter) Die Idee hinter solchen Drugchecking-Kampagnen ... ist ja, dass man über die Analyse, die man als Dienstleistung anbietet, mit den Leuten ins Gespräch kommt. A. ins Gespräch kommt über die Substanzen, die konsumiert werden von der Person und dann aber auch, dass man über Konsummuster spricht, über Gefahren. ... Es geht ja hier auch um Fragen, driftet ein Konsument von einem Gelegenheits- Probierkonsum ab in ein Konsummuster, was mit höheren Risiken verbunden ist. Da ist es wichtig, dass geschultes Personal den Kontakt herstellen kann. Musik Sprecher/in vom Dienst Legal Highs und Crystal Meth Die schöne neue Drogenwelt Von Adama Ulrich 41 O-Ton: (Lisa) Ich habe einfach nur gemerkt, dass ich von diesen Substanzen weg möchte, also von diesem Missbrauch. ... Aber - das klingt jetzt vielleicht ein bisschen komisch - aber ich bin auch froh, dass es so etwas gibt. Ich hatte da meine besondersten Erlebnisse aber auch meine düstersten. Alles hat halt so zwei Seiten. Musik Es sprach die Autorin Ton: Christiane Neumann Regie: Roswitha Graf Redaktion: Martin Hartwig Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 Die Zeitfragen können Sie nachhören und nachlesen unter: www.dradio.de 1