Deutschlandradio Kultur Nachspiel, 5. Mai 2013 "National befreite Kurve" - Neonazis nutzen Fußballstadien zur Selbstaufwertung Autor: Ronny Blaschke Redaktion: Jörg Degenhardt Es war ein kalter Tag im Januar, als die Aachen Ultras noch einmal ihre Stimmen erhoben. Sie schwenkten ihre Fahnen, sie sangen, protestierten und feierten, obwohl es keinen Grund zum Feiern gab. Für die Aachen Ultras war jenes Pokalspiel bei Viktoria Köln Strafe und Erleichterung zugleich. Nach dem Abpfiff beendeten sie ihre aktive Unterstützung der Alemannia, einem hoffnungslos verschuldeten Drittliga-Verein. Die Fans wollten nicht mehr ins Stadion gehen, Fußball war für sie zu gefährlich geworden. "Es wurde immer schwerer, sich in der Stadt frei zu bewegen. Auf dem Weg zur Uni oder zur Arbeit, die Drohungen und Angriffe häuften sich, der private Raum hatte keinen Schutz mehr geboten. Irgendwann haben wir keine Möglichkeit mehr gesehen, um sich im Stadion gegen Diskriminierung zu positionieren." Simon gehört zu den Aachen Ultras, seinen wahren Namen möchte er nicht nennen, seine Aussagen werden an dieser Stelle von einem Sprecher wiedergegeben. Simon ist Mitte zwanzig, wie die gesamte Gruppe interessiert er sich für Fußball - und für Politik. Die Aachen Ultras setzen sich für eine kreative Fankultur ein, für sie ist auch die Würde des sportlichen Rivalen unantastbar. Die Gruppe sammelt Spenden für Flüchtlinge und hilft Obdachlosen, organisiert Debatten über Homophobie oder Sexismus. Zu viel des Politischen, schimpfen ihre Gegner. Ihre Gegner aus demselben Verein. "Wir wurden gegen Aue von vermummten Fans im eigenen Block angegriffen. In Saarbrücken haben sie auf Leute eingetreten, die schon am Boden lagen. Auf einer Raststätte in Pforzheim haben sie ein Auto von uns verfolgt, in dem Leute saßen, die noch nicht mal volljährig waren. Einen Spruch haben wir immer wieder zu hören bekommen: Fußball ist Fußball und Politik ist Politik. Ein unsinniger Versuch, sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung zu entziehen. Dieser Spruch offenbart eine unausgesprochene Toleranz mit Neonazis. Die ach so Unpolitischen haben unsere Vertreibung geplant. Und niemand hat uns in Aachen geholfen." Die Region Aachen gilt als eine Hochburg der Rechtsextremen, das Netzwerk aus Neonazis, Hooligans und Rockern ist eng geknüpft. Auch die Aachen Ultras haben sich nach ihrer Gründung 1999 nicht von dieser Allianz distanziert. Erst mit neuem Zulauf setzte sich eine differenzierte Selbstbetrachtung durch, Fraktionen bildeten sich heraus. Sie stritten um die Melodien der Gesänge, das Erscheinungsbild der Choreografien und: um die politische Ausrichtung. 2010 verließen einige Mitglieder die Gruppe und gründeten die Karlsbande. Offiziell unpolitisch, aber offen für Neonazis und Schläger, sagt Simon. "Die Lage eskalierte, es gab Hetzjagden gegen uns, rassistische und antisemitische Rufe. Der Einsatzleiter der Polizei sagte, er habe so etwas in 25 Jahren noch nicht erlebt. Hooligans haben im Stadion verbotene Kleidungsstücke zur Schau getragen. Abseits des Stadions halfen sie bei der Organisation von Rechtsrockkonzerten. Es ging so weit, dass Leute im eigenen Hausflur attackiert wurden. Wir haben auf Unterstützung gewartet, aus der Fanszene oder dem Fanprojekt - leider vergeblich. Der Verein hat sich nie konstruktiv um das Nazi- Problem gekümmert, es blieb bei plakativen Aktionen. Hilfe von externen Experten wurde ausgeschlagen." Zum Kreis der Aachen Ultras gehören etwa 100 Fans. Die "unpolitischen" Ultras der Karlsbande zählen 300 Sympathisanten, mit dabei: die Hooligangruppen "Westwall Aachen" und "Alemannia Supporters"; der stadtbekannte NPD-Funktionär Sascha Wagner und frühere Mitglieder der verbotenen Kameradschaft Aachener Land. Ihr Ziel: die "national befreite" Kurve. Diese gewaltbereite Allianz erschien den studentisch geprägten Aachen Ultras auf Dauer zu übermächtig zu sein. "Bei den Nazis haben bestimmt die Sektkorken geknallt, als wir uns aus dem Stadion zurückgezogen haben. Doch wir haben uns nicht aufgelöst. Unsere Liebe zum Verein ist erkaltet. Aber wir haben viel Resonanz aus ganz Deutschland erhalten, wir wollen nun auf anderen Wegen weiter machen." Politik, Zivilgesellschaft und Medien positionieren sich gegen Rechtsextremismus, debattieren über die Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds NSU und ein Verbotsverfahren der NPD. Trotz dieser Öffentlichkeit sieht eine junge Fußballgruppe nur einen Ausweg: den Rückzug. Ein Einzelfall, möchte man meinen, ein lokales Phänomen? Keineswegs. Beispiel Rostock: Die Gruppe "Unique Rebels" sprach sich für eine kreative Unterstützung ihrer Mannschaft aus, ohne Herabwürdigung der gegnerischen Anhänger. Vielen Fans des FC Hansa erschien diese Haltung zu "links" zu sein. Sie duldeten keine "politischen" Äußerungen, und zwangen die "Unique Rebels" Anfang 2011 zur Auflösung. Auch in anderen Städten wurden Gruppen kritisiert, sie bezeichnen sich nicht immer als links, aber als antirassistisch. Gruppen in Dresden, Duisburg oder Düsseldorf, in Essen, Leipzig oder Braunschweig. "Man kann es am Beispiel Aachen sagen. Was aus meiner Sicht der große Fehler war, dass Aachen Ultras immer als Linksextremisten abgestempelt wurden." Jonas Gabler, Politikwissenschaftler aus Berlin, Autor von zwei Büchern über die Ultra-Kultur und Mitarbeiter der Universität Hannover. "Wir haben es hier aber nicht mit Linksextremismus und Rechtsextremismus zu tun. Sondern wir haben es hier mit einer Gruppe zu tun, deren erstes Anliegen es ist, im Stadion die EU-Antidiskriminierungsnorm durchzusetzen. Die wollen die Nazis nicht in Gulags stecken, und die wollen auch nicht den Tivoli enteignen und in eine Volksgenossenschaft überführen. Das sind einfach junge engagierte Menschen, die sich gegen Rassismus, gegen Diskriminierung engagieren, und die diesen gesellschaftlichen Anspruch eben auch aufs Stadion übertragen. Und da kann ich nicht als Verein, oder als Polizei, oder als Stadt hingehen und die als Linksextremisten abstempeln. Weil ich dadurch das Koordinatensystem unzulässig verschiebe." Die Ultras sind die Meinungsführer in den Kurven, eine Bewegung, die in den neunziger Jahre aus Italien nach Deutschland kam. Dutzende Gruppen bildeten sich, ihr Antrieb: die Liebe zum Verein. Als Ausdruck von Patriotismus, Zusammenhalt, Treue. Nun, nach fast zwanzig Jahren, gibt eine neue Generation den Ton an. Und so verändern sich Strukturen und Debatten der Ultras, sagt Gerd Dembowski, Sozialwissenschaftler und Fanforscher seit bald zwanzig Jahren. "Was eindeutig ist, dass vor allem Aachen die Spitze einer Bewegung ist, die gerade in vielen Stadien passiert, über zehn Stadien, in denen es Ausdifferenzierungsprozesse gibt, wo Leute sagen: wir wollen diesen unpolitischen Konsens nicht mehr mittragen, wir wollen offensiv was machen gegen Homophobie, gegen alle Formen von Diskriminierung. Und die Sicherheitsdebatte, die nun dazu geführt hat, dass sich vor allem auf Sicherheit fokussiert wurde, wo Dialoge verloren gingen nach dem Empfinden der Ultras heraus, das macht die Hardliner wieder stärker. Nicht nur die Hardliner im Bereich Gewalt, die auch im politischen Bereich die einfachen Lösungen bringen, und die stehen nun mal eher rechts." Politisch oder unpolitisch? Ein Bekenntnis zum Antirassismus oder der Fokus auf Fußball? Der Wandel der Ultra-Bewegung fällt in eine Zeit, in der öffentlich ganz andere Themen diskutiert werden: Gewalt und Pyrotechnik. Laut Polizeistatistik ist es wahrscheinlicher, beim Münchner Oktoberfest durch einen Angriff verletzt zu werden und nicht in einem Fußballstadion. Ultras wurden dennoch pauschal als Randalier bezeichnet. Dieser Populismus haucht einer Subkultur neues Leben ein, die ausschließlich an Gewalt interessiert war: den Hooligans, der rebellischen Fußballelite aus den achtziger und frühen neunziger Jahren. "Der Familienvater liegt nach wie vor im Koma, ob ihn die Ärzte in Lille retten können, wissen sie derzeit nicht......Es ist eine Schande, eine wirkliche Schande für unser Land." 1998 hatten deutsche Schläger während der WM in Frankreich den Polizisten Daniel Nivel fast zu Tode geprügelt. Danach zogen sich viele Hooligans zurück, andere verlegten ihre Kämpfe. Ganz verschwunden sind die Hooligans nie, sagt der Fanforscher Gerd Dembowski. "Generell ist, glaube ich, zu sagen, dass es immer so eine Art subtiles Gewaltmonopol von den alten Hooligangruppen auch weiterhin gab. Die waren eigentlich immer irgendwo vorhanden, sie tauchten halt weniger stark auf wie früher, sie sind auch älter geworden. Sie tauchen bei großen Derbys auf oder bei ganz persönlichen Feindschaften immer wieder. Sondern was ich viel bemerkenswerter finde, dass sich bei vielen Gruppen so genannte Ackergruppen, so bezeichnen sie sich selber, herausbilden. Wo sich 20 bis 40 Leute eben auch mit anderen Gruppierungen von Ultras auf dem Feld treffen. Das passiert völlig abgelöst von den eigentlichen Ultra-Bestrebungen. Und es wird tatsächlich zu beobachten sein, inwieweit diese Ackergruppen vielleicht einen Nachwuchs stellen." Beispiel Kaiserlautern. Ältere Hooligans der Rotfront legten jungen Ultras des FCK ein Verbot auf: Die Ultras dürfen sich nicht antirassistisch positionieren, auch ihre Fanfreundschaft zu den linken Anhängern des FC Metz müsse im Stadion ruhen. Ansonsten drohe Gewalt. Die Einschüchterung ging so weit, dass die meisten Ultras Aufklärungsabenden zum Thema Rechtsextremismus fernblieben. Nicht nur für die Hooligans in Kaiserslautern zählt das Gesetz des Stärkeren. Brachiale Männlichkeit, Überlegenheitsdenken, Gewaltverherrlichung. Ein Gemisch, das anschlussfähig ist für Neonazismus und Jugendliche verunsichern kann. Ein Gemisch, dass rechtsextreme Vordenker anlocken kann: So hatte in den achtziger Jahren der Neonazi Michael Kühnen die Strategie entworfen, gewaltbereite Fans für seine Bewegung zu rekrutieren. " Das fordere ich von jedem Einzelnen, der sich mir anschliesst. Sich zu bekennen als das, was wir sind. Als nationale Sozialisten in der Tradition der NSDAP und in der Tradition der SA" Sein Plan ging nicht wirklich auf, doch die rechtsoffenen und rechtsextremen Hooligangruppen sind nicht verschwunden. In mehreren Städten werden sie wieder auffällig. Die "Division" in Duisburg, die "Standarte" in Bremen oder die "Borussenfront" in Dortmund. "Ich habe sofort einen Schlag ins Gesicht bekommen und war erst mal konsterniert. Und dann habe ich immer weitere Schläge abbekommen. Während auf mich eingeschlagen wurde, kamen Rufe wie: Wir sind Dortmund und Ihr nicht', ,Ihr Schweine wollt uns Ihr raus haben' und ,Dortmund bleibt rechts'." Thilo Danielsmeyer, seit mehr als zwanzig Jahren Mitarbeiter im Fanprojekt Dortmund. "Ich habe dann irgendwann versucht zu reden, aber das hat auch nichts genützt. Dann habe ich um Hilfe geschrien. Und ich habe das Glück gehabt, dass jemand aus der Szene meine Stimme kannte und mich mit Gewalt da rausgeholt hat. Und dann ist mir erst klar geworden, dass ich in dem Moment quasi fürs System gestanden habe." Während des Champions-League-Spiels in Donezk Mitte Februar wurde Thilo Danielsmeyer von Rechtsextremen überfallen. In Dortmund leben viele Autonome Nationalisten, organisiert in losen Strukturen, unauffällig, meist gewaltbereit. Dieser Einfluss ist auch im Umfeld der Borussia zu spüren. So bekundeten Fans auf einem Transparent ihre Solidarität zum "Nationalen Widerstand Dortmund". Die neonazistische Gruppierung war zuvor verboten worden. Thilo Danielsmeyer: "Die wollen im Stadion etwas darstellen, deshalb wollen sie natürlich keine Stadionverbote haben. Sicherlich wollen sie den Raum Stadion auch nutzen. Und gerade deshalb war ich mir sicher, von den Leuten nie - platt gesagt - einen vor den Kopf zu kriegen. Andererseits ist es natürlich so: In ihren Foren und Medien agitieren sie natürlich. Und gerade wir vom Fanprojekt Dortmund arbeiten seit zwanzig Jahren auch mit rechten Jugendlichen. Wir haben uns da viele Ohrfeigen eingehandelt in den letzten Jahren, aber wir haben immer gesagt: Wir sprechen mit den Leuten, wir sind auch für sie da und wir versuchen, sie in die Fanszene zu integrieren. Und das ist uns in den letzten Jahren auch immer wieder gelungen. Natürlich nicht mit 40-Jährigen aus der Naziszene, sondern wir haben viele junge Mitläufer integriert, die ein ganz normales bürgerliches Leben führen und immer noch zum Fußball gehen." In keiner Stadt Nordrhein-Westfalens werden so viele rechtsextrem motivierte Straftaten gemeldet wie in Dortmund. Die Grenzen zwischen Neonazis, Kampfsportlern und Ultras verschwimmen, vor allem in den Fan- Gruppierungen "Desperados" und "Northside". Viele von ihnen schauen zur dreißig Jahre alten Borussenfront und ihrem Kopf Siegfried Borchardt auf, bekannt als SS-Siggi. Zuletzt sind Kleidungsstücke der Borussenfront wieder häufiger gesichtet worden, doch erst nach dem Angriff auf den Sozialarbeiter Thilo Danielsmeyer in Donezk begann eine breite Debatte über Rechtsextremismus. Doch wie lange hält diese Debatte an? Eine Interview-Anfrage an BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke lehnte die Pressestelle ab, ohne Begründung. Antirassistische Ultras der Gruppe "The Unity" werden in Dortmund bedroht. Kein Einzelfall: In 16 Fanszenen der drei Profiligen gibt es Überschneidungen zwischen gewaltbereiten Fans und Rechtsextremen, so die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze. Der Sozialwissenschaftler Gerd Dembowski: "Ich glaube sagen zu können, dass wir uns zu stark mit diesen 50 bis 150 Neonazis und ihren Sympathisierenden beschäftigen. Aber Heitmeyer, und das ist sehr viel wichtiger, analysiert Menschen, die sich nicht als Rassisten oder Neonazis bezeichnen, aber die immer wieder eine Rolle dabei spielen, neue 50 bis 150 Neonazis zu ermöglichen. Weil sie eben einzelne Puzzlestücke von Gedanken spielen und im Notfall mitsingen im Stadion. Und das beobachte ich sehr stark, dass sich Leute wieder trauen, sich in so einem Umfeld wieder offen neonazistisch zu positionieren." Nicht erst Hitlergruß oder Hakenkreuz offenbaren rechtsextreme Einstellungen. Gerd Dembowski lenkt den Blick auf die Langzeitstudie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit: Darin hat der Bielefelder Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer nachgewiesen, dass Abwertungsmuster wie Rassismus, Homophobie, Sexismus tief in der Gesellschaft verankert sind. So vertreten fast fünfzig Prozent der Bevölkerung die Meinung, dass in Deutschland zu viele Ausländer leben. Für den Politikwissenschaftler Jonas Gabler wirkt das Stadion wie eine Art Lupe, unter der sich Ressentiments verdichtet entladen können. Dass in den Klubs selbst zahlreiche Migranten spielen, blenden viele Fans aus, es geht ihnen um den Bezug zu Stadt und Region. "Und wenn man dann noch eine Historie des Fußballs hat, der vor allem seit hundert Jahren männlich geprägt war, dann können wir eben da auch erleben, dass bestimmte typische männliche Verhaltensweisen, also hierarchisierendes Denken, auch ein Freund-Feind-Denken, und eben die Vorstellung, dass man Dominanz ausstrahlen muss, kombiniert mit einer angenommenen Mehrheitsnorm der Fußballfankultur, nämlich dass die Fußballfans männlich, heterosexuell und autochthon sind, also das heißt, aus der Stadt des Vereins oder der näheren Umgebung kommen, und dann ist es nur ein Tippelschritt, all das als Beleidigung zu verwenden, was nicht deiner eigenen Mehrheitsnorm entspricht." Den Begriff "Unterwanderung" hält Jonas Gabler für missverständlich, er würde eine Strategie von außen vermuten lassen. Vielmehr können Rituale und Normen des Fußballs Menschenfeindlichkeit bei Jugendlichen schüren. Nicht nur in der Anonymität des Stadions, sondern im Umfeld: in Zügen, Kneipen, Internetforen. "Es gibt einen alten regionalen Konflikt zwischen Baden und Schwaben, spätestens seitdem es das Bundesland Baden-Württemberg gibt, kann dieser Konflikt nicht mehr offen ausgetragen werden. Ein schwäbischer Bauunternehmer kann jetzt nicht sagen: ich beschäftige keine Bauarbeiter aus Karlsruhe. Diese Konflikte haben sich eigentlich übertragen, die werden im Fußball immer noch rituell ausgetragen. Auch medial transportiert, also ein Derby wird schon eine Woche vorher behandelt. Und dadurch haben wir in der Fußball-Fankultur ein stark ausgeprägtes Freund-Feind-Denken, noch viel stärker ausgeprägt als in anderen Sportarten. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern überall in Kontinentaleuropa so." Ein Nährboden für Neonazismus. Doch dieser langsame Prozess ist für Politik, Funktionäre und Medien schwer zu begreifen. Schließlich gibt es selten Fernsehbilder zum Beispiel von pyrotechnischen Gegenständen zu sehen. Die wiederkehrende Mediendebatte erzeugt einen Handlungsdruck auf Politik und Verbände. Eine Konsequenz: Im neu aufgelegten Sicherheitskonzept der Deutschen Fußball-Liga DFL fand das Thema Rechtsextremismus nur am Rande Erwähnung. Die Ultras haben im Herbst bundesweit Proteste gegen die Kriminalisierung ihrer Kultur organisiert. Auch über alte Rivalitäten hinweg. In diesem Bündnis durften Gruppen mitmischen, deren Entwicklung ins rechte Spektrum tendiert, zum Beispiel die Karlsbande aus Aachen. Gerd Dembowski glaubt, dass durch diesen Schulterschluss die antirassistischen Gruppen auf noch mehr Widerstand stoßen können, vor allem auf den Widerstand der erstarkenden Hooligans. "Dann hat man keine Zeit mehr, um diesen kleinen Kampf gegen Diskriminierung im Alltag durchzusetzen, weil das große Thema ein anderes ist. Denn wenn so eine Gruppe wie die Karlsbande aus Aachen mit am Tisch sitzt, und noch einige andere, dann finde ich das schwierig. Dann kommen Neonazis wieder auf dieses politische Trittbrett, dass sie sagen können: Ok, wir engagieren uns ja gesellschaftlich und wir sind hier in Nadelstreifen unterwegs. Aber das ist natürlich ein Zeichen für die Gruppen, dass sie nicht mehr so marginalisiert sind und dass sie sich auf wieder stärker äußern können - eben auch auf der ganz alltäglichen politischen Bühne." Im Fußball ist eine Atmosphäre entstanden, die Dembowski als Moralpanik bezeichnet. Und die will sich die NPD zu Nutze machen, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands. Oft ist Fußball für die rechtsextreme Partei eine Bühne, auf der sie leicht Propaganda verbreiten kann. Gegen Polizei im Stadion - damit gegen den Staat. Für heimische Talente - also gegen Migranten. Gegen Kommerz - gegen Globalisierung. Immer wieder nutzen Parteikader Schlagworte, die zum Vokabular des Fußballs gehören: Kampfkraft, Ehre, Heimat. Die NPD in Thüringen wandte sich im Februar mit einem Schreiben an die Fanklubs von Rot-Weiß Erfurt und Carl Zeiss Jena. Der Titel des Papiers: "Sport frei! Politik raus aus dem Stadion - Für eine lebendige, selbstständige und vielfältige Fankultur im Fußball". Die Vereine distanzierten sich, doch bei vielen Unbeteiligten dürfte ein negativer Eindruck haften bleiben. Das Beispiel verdeutlicht, wie machtlos sich Klubs und Verbände fühlen. Das gilt auch für den Deutschen Fußball-Bund und dessen Präsidenten Wolfgang Niersbach. "Bei der Aufarbeitung haben wir als DFB zunächst keine aktive Rolle im Sinne von Sanktionen. Wir können als Verband, und werden das auch tun, unsere Grundhaltung deutlich machen. Dass wir nicht nur über die Satzung, sondern aus voller Überzeugung gegen jede Bewegung nach rechts sind, dass dieser Fußball- Bund, offen sein soll für alle. Und wir haben jetzt ganz konkret unsere Vereine über die Landesverbände aufgefordert, ihre Satzungen möglichst so zu ändern, dass man mit diesem Argument, der Fußball ist per Satzung offen für alle, auch für Ausländer und Migranten in diesem Land, dass man da die Andersdenkenden auch ausschließen kann." Unter seinem Vorgänger Theo Zwanziger hat der DFB viele Kampagnen angestoßen. Fans und Medien fragten sich, ob Niersbach diesen Kurs fortführen würde. Der 62-Jährige, so der Vorwurf, pflege vor allem seine Kontakte zu den Spitzenvereinen. Kritische Aktivisten sagen, ihr Dialog mit dem DFB sei unter Niersbach eingeschlafen. Der Sozialwissenschaftler Gerd Dembowski ist Mitglied einer Kompetenzgruppe an der Universität Hannover, auch er berät den DFB. "Der DFB hat keinen Antidiskriminierungs-Beauftragten, hat keinen Gleichstellungs-Beauftragten. Jeder große Betrieb leistet sich einen Gleichstellungs-Beauftragten. So etwas einzusetzen, wäre meiner Meinung nach ein großer Schritt. Einen Ansprechpartner zu schaffen, und das auch herunter zu delegieren an die einzelnen Landes- und Regionalverbände. Zu sagen: Wir brauchen Ansprechpartner für dieses Thema Antidiskriminierung." Wolfgang Niersbach sagt, die Strukturen des DFB seien ausreichend: Im Hintergrund arbeiten Wissenschaftler, Experten und Fanbetreuer an Konzepten, zum Beispiel an einem Leitfaden für ein Coming-out eines schwulen Profispielers. Niersbach rückt die Prävention in den Vordergrund: die Vergabe des Julius-Hirsch-Preises an antirassistische Initiativen und die finanzielle Unterstützung der fünfzig Fanprojekte. Sozialarbeiter nutzen seit mehr als drei Jahrzehnten das Medium Fußball, um Fans für die Jugendhilfe zu gewinnen. In der Hoffnung, dass rechte Einstellungen gar nicht erst entstehen. Der angestrebte Jahresetat eines Projekts liegt bei 180000 Euro, für drei Sozialarbeiter und eine Verwaltungskraft. Diesen Mindeststandard weisen aber nur fünf von fünfzig Fanprojekten auf. Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte in Frankfurt, der KOS: "Was ich gerne anführen würde, ist, dass wir große Sorge haben, weil wir im Moment spüren, dass diese gestiegene Erwartungshaltung des Fußballs, der Politik, der Polizei, auch der Fanszene, mit den Konfliktlagen, die es gibt, Thema Rechtsextremismus, Rassismus, aber auch das Thema Sicherheit, das Thema Pyrotechnik: dass das so einen hohen Erwartungsdruck auf die Kolleginnen und Kollegen in den Fanprojekten ausübt, die in der Regel schlecht bezahlt sind, wahnsinnige Arbeitszeiten haben, viel zu schlecht ausgestattet sind. Uns sind in den letzten anderthalb Jahren 25 Leute weggebrochen, aufgrund von Krankheit, aber auch weil sie sich auf für andere Stellen beworben haben. Viele Kollegen in den Fanprojekten, aber auch bei den Fanbeauftragten haben Gewalt-Erfahrungen gemacht, in Ausübung ihres Berufs. Dass eine politische Konnotation jetzt dazu kommt, also dass Kolleginnen und Kollegen von Rechtsextremen angegriffen werden, das tritt verstärkt auf. Wenn es zu einem Konflikt kommt, hält das eine solche Struktur nicht aus." Die Sozialarbeiter klären auf: über Codierungen, Internethetze, Kleidermarken oder über die rechte Fußballband Kategorie C. Und sie leisten Akzeptierende Sozialarbeit: Integration statt Ausgrenzung - auch von Jugendlichen mit einem diffusen rechten Weltbild. Das Niveau in den Fan-Betreuungen der Vereine ist unterschiedlich, sagt Philipp Markhardt, Sprecher des bundesweiten Bündnisses ProFans. "Der Verein kann die Fans nicht allein lassen, das darf er auch gar nicht, denn Fans können nicht Recht und Gesetz in die eigene Hand nehmen. Es reicht ganz einfach nicht, wenn ein Verein sagt: wir positionieren uns gegen Rechtsextremismus, oder noch besser gegen Extremismus jeder Art. Das ist ja diese typische Aussage, wenn man es allen recht machen möchte. Ich wüsste jetzt nicht, dass es einen Verein gibt, wo konsequent ein Kurs gegen Rassismus gefahren wird, gemeinsam mit den Fans, in Absprache mit den Fans." Ohne Unterstützung ihrer Vereine nehmen es kritische Fans meist selbst in die Hand. Sie gründen Initiativen, suchen externe Experten, knüpfen Netzwerke. Zum Beispiel die "Löwenfans gegen Rechts" in München, die Schalker Fan-Initiative in Gelsenkirchen oder die Ultras des SV Werder: Anfang 2007 war die antirassistische Gruppe "Racaille Verte" während einer Feier im Weser-Stadion von Hooligans angegriffen worden. "Es ist nach dem Ostkurvensaal-Überfall, nach diesem Angriff von rechten Hooligans auf die antirassistische Ultra-Gruppe Racaille Verte, lange nichts passiert." Pavel Brunßen, Fan von Werder Bremen, Kenner der Fankultur und seit mehr als zehn Jahren Autor von antirassistischen Fanzines, also Heften von Fans für Fans. "Das ging etwa einen Monat, bis eine Sonderseite im Weser-Kurier erschienen ist, die aufgedeckt hat, was da passiert ist, welche Leute da involviert waren. Und das richtig eingeordnet hat: dass erwachsene Nazi-Hools versucht haben antirassistische Ultras mit Gewalt mundtot zu machen. Und nach diesem Zeitungsartikel ist dann ganz vieles erst angestoßen worden. Der Verein ist unter Druck geraten durch die Öffentlichkeit. Das Fanprojekt hat angefangen, sich deutlicher zu positionieren. Und auch in der Fanszene hat sich mehr bewegt. Und es wurde irgendwie noch mal deutlicher, dass es auch ein öffentliches Interesse daran gibt und dass man vielleicht auch nicht alleine dasteht mit seinem Problem." Der SV Werder öffnete sich für Hilfe von außen, diskutierte mit Zivilgesellschaft und Parteien. Erweiterte seine Fanbetreuung und blieb im Dialog mit den Ultras. Auch aus dieser Entwicklung hat Pavel Brunßen gelernt, dass die Öffentlichkeit besonders wichtig im Kampf gegen Rechtsextremismus ist. Jahre lang hatte er auf einer Internetseite über Hintergründe des Fußballs geschrieben, später in einem Fanzine. Die Idee für ein überregionales Hochglanz-Magazin hatte Brunßen seit langem - konkret wurde es Anfang 2011. Junge Autoren und Studenten mit einem Bezug zur Fankultur entwickelten ein Konzept. Ihre Herkunft und Qualifikation: Höchst unterschiedlich. Sie nahmen einen Kredit auf, gründeten einen Verlag, schrieben Ultra-Gruppen, Fanprojekte, Buchläden an. Sie hielten Konferenzen in ihren Wohnungen ab, entwarfen ein Layout, fanden Unterstützung für Vertrieb und Lektorat. Die erste Ausgabe von "Transparent" erschien im Frühling 2012, nun ein Jahr später kommt Ausgabe fünf auf den Markt. "Ich glaube schon, dass wir auch Gedanken anstoßen, neue Thesen und Ideen reinbringen, die vielleicht so noch nicht diskutiert worden sind. Ich finde es total wichtig, dass Öffentlichkeit hergestellt wird. Dass rechte Neonazis in Fanszenen auch aus der Deckung geholt werden, sie treten ja nicht unbedingt als Neonazis auf, man sieht es ihnen ja nicht auf der Stirn geschrieben an. Und da haben natürlich Magazine, aber auch ganz normale Tageszeitungen, die nicht Fußball oder Fankultur im Schwerpunkt haben, eine Rolle, eine Verantwortung oder auch: eine Chance." Sechs Jahre nach dem Angriff auf die Bremer Ultras bietet das Bewusstsein des SV Werder eines von wenigen positiven Beispielen. Die Alemannia aus Aachen hat ihre antirassistischen Ultras nicht ausreichend geschützt gegen Rechtsextreme. Auch die Führung von Eintracht Braunschweig hat Probleme verdrängt, nachdem kritische Ultras Verstrickungen zwischen Fans und Neonazis aufgedeckt haben. Wie wird die Entwicklung weitergehen? Die Ultras befinden sich am Scheideweg, sagt der Politikwissenschaftler Jonas Gabler. Es reiche nicht, nur Stadionverbote und die Auflösung von rechten Gruppen zu fordern. "Wenn ich das immer alles verbiete, sehe ich immer auch ein bisschen die Gefahr, dass die Einstellungen fortleben, weiterbestehen. Besser als das Verbot ist immer das zivilgesellschaftliche Engagement. Wirksamer ist es, wenn die Fans selber durch Sensibilisierung und das persönliche Gespräch darauf hinwirken, dass zum Zeigen solcher Symbole und zu rassistischem Verhalten nicht mehr kommt, als wenn der Verein von oben praktisch was aufdrücken muss, weil das aus meiner Sicht immer nachhaltiger ist." Rechtsextreme haben ihre Bewegung immer wieder modernisiert. "Wir sind keine Palverpartei, sondern wir sind die radikale Kampforganisation in der Bundesrepublik zur Erneuerung unseres Vaterlandes." Friedhelm Busse bei einer seiner Hetzreden Anfang der neunziger Jahre. Busse stand der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei vor, bis diese 1995 verboten wurde. Die FAP verschwand, viele Mitglieder schlossen sich militanten Kameradschaften an, heute sind die unauffälligen Autonomen Nationalisten prägend. Neonazis haben mehrfach neue Wege gesucht und gefunden. Aktuell stehen sie wieder im Blickpunkt, durch den NSU-Prozess und ein mögliches NPD-Verbot: Rechtsextreme werden weiter den öffentlichen Raum nutzen, um ihre Ideen weiterzutragen. Die Stadien bleiben dabei eine reizvolle Bühne. 1