Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 21. Februar 2011, 19.30 Uhr Dämmst du schon oder lebst du noch? Das Reizthema Gebäudesanierung Von Wolf-Sören Treusch GERÄUSCH 1 (Styropor, Wärmedämmplatten quietschen, klopfen, trommeln) MUSIK 1 TAKE 1 (Bomba) Also ich sag immer: man kann nicht alles in Styropor packen. TAKE 2 (Streuffert) Von außen sieht man das ja eigentlich gar nicht, das ist ja abgeputzt, und wer nicht weiß, dass darunter Styropor ist, das stört mich gar nicht, ... SPR. VOM DIENST Dämmst du schon oder lebst du noch? Das Reizthema Gebäudesanierung. TAKE 3 (Roswag) Ja, ich konnte mir schlecht vorstellen, dass man da gut drin leben kann, weil ich so ein Mensch bin, der gern Tür und Fenster aufreißt ... TAKE 4 (Stücke) Das sind die Bausünden von morgen, und der Sondermüll mit dem ganzen Styropor wird noch Jahrzehnte uns beschäftigen. SPR. VOM DIENST Eine Sendung von Wolf-Sören Treusch TAKE 5 (Dachmann) Energetische Sanierung ist nichts für Schlüsselfertig: ,mach mal, und ich komme dann mal in einem halben Jahr wieder', sondern man muss schon immer wieder gucken, was passiert und was machen die da eigentlich. Geräusch-Musik-AKZENT AUTOR Fünf Monate ist es her, da verabschiedete der Bundestag das neue Energiekonzept der schwarz-gelben Regierungskoalition. Darin enthalten unter anderem die längeren Laufzeiten für Deutschlands Atommeiler, aber auch die Absichtserklärung, bis zum Jahr 2050 den Wärmeverbrauch in Gebäuden um 80 Prozent zu senken. Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden sollen, darüber steht in den zwei Seiten des Kapitels über die energetische Gebäudesanierung im Energiekonzept kein Wort. Mehrere Bundestagsausschüsse beschäftigen sich seitdem mit den Detailfragen. Mittelfristig, und zwar bis zum Jahr 2020, will die Bundesregierung erreichen, den Wärmebedarf um 20 Prozent zu reduzieren. Völlig illusorisch, sagen die einen. Ein ambitioniertes, aber realistisches Ziel, sagen die anderen. Dass etwas geschehen muss, darüber sind sich fast alle einig. Deutschlands Gebäude, vor allem die, die in den ersten drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurden, gelten als Energieschleudern, auf sie entfallen etwa 40 Prozent der klimaschädlichen Treibhausgas-Emissionen. Eine Studie hat ergeben: von 18 Millionen Gebäuden müssen 12 Millionen saniert werden. Geräusch-Musik-AKZENT TAKE 6 (Dachmann) Das Ökologische war uns wichtig, dass wir weg von den fossilen Brennstoffen kommen, dass wir CO 2 einsparen wollen und dass wir in diese Richtung etwas realisieren wollen. Dass es letztendlich diesen Umfang genommen hat, das hat sich entwickelt mit dem Architekten zusammen. AUTOR Jochen Dachmann. Nach langer Suche fanden er und seine Ehefrau Anke Roswag für sich und die drei Söhne 2007 endlich ihr Traumhaus, ein Einfamilienhaus im Berliner Süden, Baujahr 1965. TAKE 7 (Roswag) Im Prinzip haben wir aus dem vorhandenen Haus einen Rohbau hergestellt als erstes, und haben dann Fenster raus, Türen raus, die Hülle komplett gedämmt, haben eine Fußbodenheizung eingebaut, haben eine Lüftungsanlage eingebaut, weil wir das eben thermisch abgeschlossen haben, also winddicht gemacht haben, und haben diese Dämmung, die wir außen aufgebracht haben auf die Hülle, mit Zellulose gemacht, haben die dann eingeblasen sowohl an den Wänden als auch am Dach. Nur die Kellerdecke ist konventionell von unten gedämmt, weil man einfach nicht so viel Platz hatte, um da jetzt riesige Zellulose-Pakete reinzupacken. AUTOR Der Umbau dauerte ein knappes Jahr. Auch die Haustechnik ließ das Ehepaar komplett ersetzen und auf den neuesten energetischen Stand bringen. Für die Wärme im Haus sowie die Warmwasserbereitung sorgt nun eine Erdwärmepumpe, für frische Luft und energetisch sinnvollen Klimakomfort eine kontrollierte Wohnraumlüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. TAKE 8 (Roswag) Ich konnte mir schlecht vorstellen, dass man da gut drin leben kann, weil ich immer so ein Mensch bin, der gern Tür und Fenster aufreißt und so ne Dinge tut. Durch diese Lüftungsanlage ist das Problem aber völlig aus der Welt. Man steht auch morgens auf aus seinem Bett und es ist nicht der typische ,ich habe jetzt hier geschlafen'-Geruch in dem Zimmer, sondern es ist eben immer frische Luft, und die Lüftungsanlage vermittelt andererseits aber auch nicht das Gefühl, dass man so weg gepustet wird oder so etwas oder dass man überhaupt Windzug wahrnimmt, sondern das geht eben einfach ungeschehen, wie Heinzelmännchen. AUTOR Und einen Pollenfilter können sie in die Anlage auch einsetzen. Der Ehemann und zwei der drei Söhne sind Allergiker. Insgesamt 200.000 Euro haben die Umbaumaßnahmen gekostet, ein Großteil davon, 130.000 Euro, floss in die energetische Sanierung, vom Staat gab es ein paar Tausend Euro an Zuschüssen. Ein kostspieliges Vergnügen, dennoch, sagt Jochen Dachmann, habe sich die Investition gelohnt. TAKE 9 (Dachmann) Wir haben grob mal gerechnet: die Heizkosten belaufen sich im Moment bei den jetzigen Strompreisen auf 500 Euro für 230 Quadratmeter, vergleichbar der Ölbedarf läge sicher bei 3- bis 3.500 Euro, das heißt man hat ein Puffer pro Jahr von gut gerechnet 3.000 Euro, 3.500 Euro, das auf zehn Jahre, na gut es amortisiert sich vielleicht erst in zwanzig Jahren vollständig. Aber das wäre es uns auch wert. AUTOR Besonders stolz ist das Ehepaar auf das Gütesiegel der Deutschen Energie-Agentur, das an der Hausfassade neben der Eingangstür prangt. Es weist ihr Gebäude als "Effizienzhaus 55" aus, das heißt ihr Haus verbraucht nur 55 Prozent der Energie, die für einen Neubau gleicher Größe gesetzlich maximal zulässig ist. Zudem hat man errechnet, dass die CO-2-Bilanz des Gebäudes um über 80 Prozent verringert wurde. Geräusch-Musik-AKZENT AUTOR Wer sein Haus energetisch modernisieren und sich darüber informieren will, kommt am Beratungsangebot der Deutschen Energie-Agentur nicht vorbei. Geschäftsführer Stephan Kohler ist überzeugt: die Reduzierung des Wärmebedarfs der Gebäude in Deutschland um 20 Prozent in den nächsten neun Jahren ist kein Problem. TAKE 10 (Kohler) Seit fünf, sechs Jahren machen wir ein Programm: das heißt ,Niedrig-Energie-Haus im Bestand'. Wo wir mit der KfW zusammen, zusammen mit dem Bauministerium Leute auffordern, energieeffiziente Gebäude zu sanieren, und wir haben eine durchschnittliche Energieeinsparung von 85 Prozent. Die Zahlen basieren auf realisierten Projekten, über 350 Gebäude sind saniert, und ich denke: solchen Zahlen kann man schon trauen. Es ist ein repräsentativer Querschnitt über alle Gebäudetypen, und jetzt mal ganz klar gesprochen: wenn wir nicht überall 85 Prozent hinbekommen, allein schon 60, 70 Prozent ist immer erreichbar. AUTOR Die Haltung der DENA ist klar: nirgendwo ist es so einfach, die Klimaschutzziele der Bundesregierung zu erreichen wie bei der energetischen Gebäudesanierung. Neun Millionen Gebäude, und zwar die, die nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurden, müssten sowieso demnächst modernisiert werden, sagt Stephan Kohler, da könne man energetische Maßnahmen gleich mit erledigen. Aber wer bezahlt das alles? Ist das überhaupt noch wirtschaftlich? TAKE 11 (Kohler) Deshalb muss man sehr genau differenzieren: welche Kosten fallen sowieso an, wenn ich an meinem Gebäude die Fassade renovieren muss? Welche Zusatzkosten habe ich für Energieeffizienz? Und welche Kosten habe ich für die Modernisierung wie neue Bäder oder neue Küche oder solche Sachen? So, und wenn man das differenziert, kommen wir zu dem Ergebnis, dass eben die Energieeffizienzkosten im Bereich liegen - jetzt kommt es darauf an: Mehrfamilienhäuser oder Einfamilienhäuser - aber in der Größenordnung ungefähr zwischen 80 und 230 Euro, je nach Effizienzstandard. Also bei 230 Euro Sanierungskosten, Energieeffizienzkosten können Sie ungefähr die 85 Prozent Energieeinsparung erreichen, wenn Sie nur 80 Euro investieren, liegen sie ungefähr bei 65 bis 70 Prozent Energieeinsparung. AUTOR 80 bis 230 Euro pro Quadratmeter wohlgemerkt. Da können sechsstellige Investitionssummen zustande kommen. Wer sein Eigenheim oder Mehrfamilienhaus so energieeffizient modernisieren will, dass er das gleiche DENA-Gütesiegel erhält wie Familie Roswag-Dachmann, muss tief in die Tasche greifen. Zu tief, kritisiert Andreas Stücke, Generalsekretär der Eigentümerschutz-Gemeinschaft Haus und Grund Deutschland. TAKE 12 (Stücke) Die DENA orientiert sich an den zehn Prozent des Bestandes, die die schlechteste energetische Bilanz aufweisen, also richtige Energieschleudern. Die DENA-Beispiele rechnen sich häufig schon nach wenigen Jahren, während wir in unserer Beratungspraxis feststellen müssen, dass viele Maßnahmen einen Amortisationshorizont von über 20, 25, zum Teil 30 Jahren haben. Das ist der Grund, warum das Sanierungstempo nicht so ist, wie sich viele in der Politik das gerne wünschen, abgesehen davon, dass wir glauben, dass dort auch falsche Vorstellungen herrschen, es wird hier immer behauptet, dass gerade mal ein Prozent des Gebäudebestandes modernisiert werden pro Jahr. Wir halten diesen Wert für viel zu niedrig, er ist wahrscheinlich zwei bis drei Mal so hoch. AUTOR Das Spiel mit den Zahlen. Wer mit seinen Argumenten überzeugen will in der Diskussion um Sinn und Unsinn energetischer Gebäudesanierung, hat immer die passenden parat. Getreu dem Satz: ,traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast' werfen die verschiedenen Vorkämpfer ihre Erkenntnisse in die Runde wie Jetons auf den Roulettetisch. Wer von ihnen letztlich Recht hat und das Spiel macht, ist für den Beobachter unmöglich zu entscheiden. Ein weiteres Beispiel: Die DENA hat soeben eine Studie veröffentlicht, nach der sowohl Vermieter wie Mieter gleichermaßen von der energetischen Sanierung von Mehrfamilienhäusern profitierten. Denn, so heißt es in der Studie, der Energiebedarf bei Gebäuden, die ohnehin saniert werden müssten, könne um bis zu 75 Prozent gesenkt werden, und zwar ohne Mehrbelastungen für Eigentümer oder Mieter. Stephan Kohler: TAKE 13 (Kohler) Wir können nachweisen: wenn wir die 80 Euro unterstellen energetische Sanierungskosten pro Quadratmeter, dass wir dann eine warmmietenneutrale Sanierung hinbekommen. Der Mieter muss ja dann zukünftig weniger für Öl oder Gas bezahlen, also kann die Kaltmiete höher sein, und wenn wir bei dieser Zahl sind, 80 Euro, können wir das warmmietenneutral darstellen. Die Gesamtmiete erhöht sich nicht. AUTOR Umgekehrt hat die Eigentümerschutz-Gemeinschaft Haus und Grund unabhängige Experten errechnen lassen, dass bei einem 600 Quadratmeter großen Mehrfamilienhaus energiebedingte Investitionskosten in Höhe von 550 Euro pro Quadratmeter anfielen. Das ist nahezu das Siebenfache von dem, was die DENA errechnet hat. Andreas Stücke. TAKE 14 (Stücke) Wir haben neueste Angaben des Statistischen Bundesamtes gern zur Kenntnis genommen, nachdem der Heizenergieverbrauch in den vergangenen fünf Jahren um nahezu zehn Prozent gesunken ist. Das hat eben auch damit zu tun, dass die Immobilien-Eigentümer jährlich schon über 70 Milliarden Euro an Instandsetzung und Modernisierung ihrer Immobilien investieren, also warum diese Ungeduld? Es passiert doch genau das, was sich die Politik vorstellt: CO2-Reduktion, vielleicht muss man sich realistischere Ziele setzen, als das die internationale Politik macht auf internationalen Konferenzen. Wir empfehlen also dringend, uns an der finanziellen Kraft dieser Menschen zu orientieren und dann dabei die Kirche im Dorf zu lassen. AUTOR Und die Bundesregierung? Sie wartet die verschiedenen Kabinettsvorlagen ab, mit denen demnächst zu rechnen ist, und vertraut ansonsten auf die unternehmerischen Fähigkeiten der Hauseigentümer. Rainer Bomba, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. TAKE 15 (Bomba) Es muss im Selbstinteresse des Eigentümers liegen, dass er sagt: ,aha, wenn ich mein Haus CO2-mäßig saniere, verbrauche ich natürlich auch wesentlich weniger Energie, habe wesentlich weniger Kosten und nehme damit auch noch die Förderung des Staates in Kauf, das rechnet sich für mich auf so und so viele Jahre'. AUTOR Des weiteren versichert die Bundesregierung, dass bei allen energetischen Modernisierungsmaßnahmen selbstverständlich das geltende Wirtschaftlichkeitsgebot einzuhalten sei. Im Energiekonzept heißt es deshalb auch, der Ersatz-Neubau solle förderfähig werden. Die so genannte Abwrackprämie für Häuser ist noch nicht vom Tisch. TAKE 16 (Bomba) Wir müssen natürlich jetzt abwägen: bringt es uns unserem Ziel, diese 80 Prozent Energieeinsparung, 80 Prozent CO2-Reduzierung, schneller näher, wenn wir eine Art Abwrackprämie für Häuser zahlen, oder aber bringt es uns dem Ziel nicht näher? Das muss ganz genau untersucht werden, denn Abwrackprämie für Häuser ist etwas anderes als Abwrackprämie für Autos. Wir sprechen hier über ganz andere Größenordnungen, Es ist definitiv noch nichts zu Ende entschieden, es könnten hier sehr schnell zweistellige Milliardenbeträge zustande kommen, und unsere Aufgabe ist es natürlich auch, mit Steuergeldern sinnvoll umzugehen. ATMO 1 (Baulärm Märkisches Viertel) kurz frei, dann drunter TAKE 17 (Beck) Also hier sieht man Abbruch für die Strangsanierung, die Bäder werden komplett neu gemacht, zum Teil neu aufgeteilt, und die Rohre werden dann durchgezogen und eben energetisch saniert, sprich gedämmt. Wir können das auf der anderen Seite ein bisschen besser sehen, ... AUTOR Berlin, Märkisches Viertel. Christa Beck, Projektleiterin im Bereich Investitionsmanagement der Gesellschaft für sozialen Wohnungsbau, kurz GESOBAU, kontrolliert den Fortgang der Bauarbeiten im ,Langen Jammer'. Mit insgesamt 977 Wohneinheiten ist er das längste Wohnhaus Deutschlands. Bald wird er komplett in 16 Zentimeter dicke Dämmplatten aus Styropor eingepackt sein, die Leitungen werden erneuert, neue Heizungsanlagen installiert und neue Fenster eingebaut. TAKE 18 (Beck) Normalerweise hat man von der Architektur her dicke Probleme, wenn man so eine dicke Dämmung aufbringt, 16 cm ist ja sehr viel, man kriegt ganz schnell diese Schießschartenarchitektur, das Problem haben wir hier dadurch lösen können, dass wir die Fenster weiter nach außen gesetzt haben, so dass die Außenansicht etwa gleich geblieben ist, also geringfügig tiefer geworden ist, und innen der Vorteil entstanden ist, dass jetzt Fensterbänke da sind, die vorher nicht da waren. AUTOR Insgesamt 13.000 Wohnungen wird die GESOBAU bis zum Jahr 2015 energetisch modernisieren lassen, das Märkische Viertel im Norden Berlins, in den 60er Jahren entwickelt, wird zur größten Niedrigenergiesiedlung Deutschlands umgebaut. Investitionsvolumen: 440 Millionen Euro. An alles sei gedacht, sagt die GESOBAU- Projektleiterin, auch daran, dass die neuen, großen Zwei-Scheiben-Isolierglas- Fenster über eine Art Zwangslüftung verfügten. (ATMO 1 langsam weg) TAKE 19 (Beck) Wir haben ja eine sehr dichte Gebäudehülle und eine sehr hochwertige, aber zu dicht darf es auch nicht sein, man muss auch einen gewissen Mindestluftwechsel als Feuchteschutz gewähren. Das machen wir in Form dieses Fensterfalzlüfters im oberen Blendrahmen, da geht immer ein kleines bisschen gesteuert Luft durch diesen Rahmen, dann in den Rahmen, in den Raum. Das haben alle Fenster. TAKE 20 (Streuffert) Natürlich muss man sein Lüftungsverhalten auch darauf einstellen, da haben wir genug Broschüren nun an die Hand bekommen und Tipps, wie man das macht, also wer nicht weiß, wie es geht, der ist dann selbst Schuld, weil er sich einfach nicht dafür interessiert, die ganze Fensterfront sieht natürlich viel eleganter aus, weil die Fenster bis zur Erde gehen, es ist heller, es ist lichter, auch das Küchenfenster ist viel moderner, also für mich eine gewisse Wertsteigerung bedeutet das schon. AUTOR Barbara Streuffert wohnt seit mehr als 42 Jahren im Märkischen Viertel, sie hat eine knapp 50 Quadratmeter große Ein-Zimmer-Wohnung mit Küche und Bad gemietet, ein paar hundert Meter vom ,Langen Jammer' entfernt in der Siedlung am Eichhorster Weg. Hier begann die GESOBAU 2007 mit der energetischen Sanierung. Frau Streuffert nahm sozusagen am Pilotprojekt teil. Natürlich sei das eine nervenaufreibende Zeit gewesen, sagt sie, aber das Ergebnis könne sich sehen lassen, auch finanziell. TAKE 21 (Streuffert) Zum Beispiel bei der Nebenkostenabrechnung gerade unter der Rubrik Heizungskosten habe ich eine Menge Geld gespart und habe für 2009 insgesamt 309 Euro zurückbekommen. Und im Grunde, wenn man es überlegt: die Mieterhöhung von 20 Euro für mich in diesem Fall hier monatlich - allein das Bad: da hätte man vier-, fünftausend Euro für ausgegeben - für mich hat es sich richtig gelohnt. AUTOR Die Mietenentwicklung im Märkischen Viertel beweist die These der Deutschen Energie-Agentur, man bekomme energetische Sanierungsmaßnahmen warmmietenneutral hin. Die Nettokaltmiete ist zwar um etwa 35 Prozent gestiegen, elf Prozent der Modernisierungskosten können auf die Miete umgelegt werden, aber die Energiekosten sind um etwa den gleichen Anteil gesunken. Kein Wunder, gelten doch die Hochhäuser im Märkischen Viertel bisher als Energieschleudern ersten Ranges. Insgesamt müssen die Bewohner im Durchschnitt nur etwa vier Prozent mehr Miete zahlen. Auch Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, bezeichnet dieses Projekt als erfolgreich. TAKE 22 (Wild) Allerdings muss man wissen, dass die GESOBAU für die Durchführung dieser Maßnahme in erheblichem Umfang öffentliche Fördermittel hat in Anspruch nehmen können, die bei der Mieterhöhung ja berücksichtigt werden müssen, das heißt für diese öffentlichen Fördermittel darf der Vermieter keine Mieterhöhung geltend machen, und das wirkt sich natürlich positiv bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung für den Mieter aus. AUTOR Komplett anders verhält es sich mit einer weiteren Baumaßnahme der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GESOBAU. Hier, so scheint es, wird man die energetische Sanierung aufgrund der Siedlungsstruktur - viele kleine Gebäude, die alle separat gedämmt und mit neuer Haustechnik versorgt werden müssen - nicht warmmietenneutral hinbekommen. Pressesprecherin Kirsten Huthmann. TAKE 23 (Huthmann) In unserer Siedlung in Pankow, die aktuell auch in die Modernisierung geht, was jetzt angekündigt ist, ist es so, dass wir eine Bruttowarmmietenerhöhung von 41 Prozent haben. Das ist natürlich immer noch deutlich mehr, als wir hier im Märkischen Viertel haben, wo wir von vier Prozent und Warmmietenneutralität reden, aber es sind nicht die 100 oder 120 Prozent der Nettokaltmiete, das ist für uns nicht aussagekräftig. AUTOR Später wird die Unternehmenssprecherin richtig stellen, dass es sich bei den 41 Prozent um einen Einzelfall handele und die Bruttowarmmiete in der Siedlung im Durchschnitt lediglich um 15 Prozent erhöht würde. Aber die entscheidende Frage bleibt: wie können die Kosten für den Öko-Umbau zwischen Vermietern, Mietern und öffentlicher Hand fair und gerecht aufgeteilt werden? TAKE 24 (Huthmann) Es tut uns auch leid, es ist ja auch schade, wenn jemand zum Beispiel ein kleiner Rentner ist, kleines Einkommen hat und sich dann so eine Wohnung womöglich nicht mehr leisten kann, das ist natürlich schade. Es gibt aber sicher auch Leute, die wohnen da und haben ein höheres Einkommen, und die subventionieren Sie genauso auch mit den 2 Euro 99 kalt wie den kleinen Rentner. Ich bitte nur, das ganze System zu erfassen. Wir haben auch eine Pflicht zum Werterhalt, das ist eine Immobilie, die dem Land Berlin gehört. Wenn ich nicht investiere in die Immobilie, habe ich da auch Wertverlust langfristig. AUTOR Auch die Mieterverbände sind grundsätzlich vollkommen damit einverstanden, dass der Öko-Umbau vorangetrieben wird. Nicht umsonst spreche man wegen der gestiegenen Heiz- und Energiekosten längst von zweiter Miete, sagt Reiner Wild vom Berliner Mieterverein. Aber man müsse darauf achten, dass die energetische Sanierung die Mieter nicht überfordere. TAKE 25 (Wild) Im Moment ist es für Vermieter möglich, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen des Mietrechtes elf Prozent der Investitionskosten auf die Miete umzulegen. Das bedeutet nach einer statistischen Erhebung des Berliner Mietervereins, dass im Schnitt allein für energetische Sanierung im Moment in Berlin ungefähr 1 Euro 50, 1 Euro 70 pro Quadratmeter an Mieterhöhung monatlich zustande kommt. Das ist für viele Haushalte eindeutig zu viel, zumal eine Heizkostenersparnis aufgrund der energetischen Maßnahmen lediglich in Höhe von durchschnittlich 50 Cent dem gegenüber steht. Es bleibt also eine Netto-Mehrbelastung von ein Euro pro Quadratmeter, nach der Erhebung, die wir durchgeführt haben, und das verkraften Haushalte mit geringem Einkommen nicht. AUTOR Nach Meinung der Mieterverbände müsste das Mietrecht so geändert werden, dass nur noch neun Prozent der Modernisierungskosten auf die Miete umgelegt werden dürften. TAKE 26 (Wild) Das Horrorbild, was wir vor Augen haben, ist, dass irgendwann die Ärmsten der Stadt in den Dreckschleudern wohnen und die höchsten Heizkosten haben. Das ist im Prinzip ein Ergebnis, mit dem auch der Staat nicht zufrieden sein kann, weil in vielen Fällen diese Mieter ja unterstützt werden durch Wohngeld, und in diesen Fällen muss ja auch der Staat die Kosten tragen, also deswegen unsere Forderung, hier zu einer Dämpfung zu kommen. AUTOR Auch das Energiekonzept der Bundesregierung sieht eine Änderung des Mietrechts vor - allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: energetische Sanierungen sollen investitionsfreundlicher gestaltet werden. TAKE 27 (Merkel) Hier geht es darum, die Anreize so zu setzen, dass für Eigentümer von Häusern oder Wohnungen es sich lohnt, diese Wärmedämmung durchzuführen und gleichzeitig darum, dass klar wird, dass der Mieter dadurch, dass er weniger Energiekosten hat, auch insgesamt eine geringere Warmmiete hat. AUTOR Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte an, die Mieter stärker zur Kasse zu bitten. Es sei doch verständlich, sagte sie, dass sich eine Investition in die Zukunft für beide lohnen müsse: für den Vermieter wie für den Mieter. Applaus von Seiten der Eigentümerschutz-Gemeinschaft Haus und Grund. Generalsekretär Andreas Stücke: TAKE 28 (Stücke) Das Mietrecht weist ja gleich mehrere problematische Hürden auf, die angegangen werden müssten, wenn wir im vermieteten Wohnungsbestand Fortschritte bei der energetischen Modernisierung erleben wollen: das betrifft zum einen das Recht von Mietern, in Phasen des Umbaus die Miete mindern zu können, für den Investor ist das das Signal, zunächst mal bestraft zu werden für energetisches Engagement, hier muss, wenigstens für einen begrenzten Zeitraum, die Politik dafür sorgen, dass Maßnahmen für die energetische Qualität nicht sofort zu horrenden Mietausfällen führen können. AUTOR Die Bundesregierung lässt zurzeit prüfen, ob und wie die Vergleichsmietenregelung im Mietrecht geändert werden und ob zum Beispiel die energetische Beschaffenheit von Gebäuden in den Mietspiegeln berücksichtigt werden kann. Reiner Wild vom Berliner Mieterverein hat dafür Verständnis. TAKE 29 (Wild) Ein Vermieter, der energetisch saniert hat, übersteigt ja mit seiner Mieterhöhung in der Regel die ortsübliche Vergleichsmiete. Und das bedeutet, dass er von zukünftigen Mieterhöhungen zunächst einmal ausgeschlossen ist. Das heißt schon nach fünf, sechs Jahren ist ein Vermieter, der nicht energetisch saniert hat, genauso gut gestellt wie ein Vermieter, der energetisch saniert hat. AUTOR Die Novellierung des Mietrechts soll dieses Jahr noch Thema im Kabinett sein. Unter dem Strich bleibt allerdings die Frage, ob der Bund nicht viel stärker in die Pflicht genommen werden soll: für ein dauerhaft angemessenes Fördervolumen für energetische Gebäudesanierungen. Die DENA fordert fünf Milliarden Euro im Jahr, der Bund gibt für 2011 nicht ganz ein Fünftel, 950 Millionen. Rainer Bomba, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, und Andreas Stücke, Generalsekretär der Eigentümerschutz- Gemeinschaft Haus und Grund. TAKE 30 (Bomba) In einer schönen Stadtvilla zu wohnen, die energetisch saniert ist und die einwandfrei mit Haustechnik belegt ist, das hat seinen Preis. Und der Preis ist höher als in einer energetisch sanierten Plattensiedlung zu wohnen. Das heißt ich bekomme das über den Mietpreis auch wieder zurück. Also: nur nach dem Staat zu rufen, nur danach zu rufen, jetzt muss der Staat das machen und das machen, da hätte ich gern noch was und da was, das geht auch nicht. Da ist der Häuslebauer bzw. der Vermieter auch in der Pflicht des Unternehmers. TAKE 31 (Stücke) Das wird aber nur eine Minderheit so betrachten, für viele wird das schlicht nicht möglich sein, weil sie das Mehrfamilienhaus, das sie gebaut haben, für ihre Altersvorsorge vorgesehen haben, und wenn diese Altersvorsorge jetzt ein Mühlstein um ihren Hals wird, dann wird sich die Politik die Ergebnisse in den Wahlen abgucken können, was das zur Folge hat. Geräusch-Musik-AKZENT AUTOR In der ,Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung' hieß es vor kurzem, kein Thema sorge für mehr Erregung als die Wärmedämmung für Gebäude. Streitpunkt sei dabei nicht die Höhe der Fördermaßnahmen, sondern vielmehr ihre ästhetische Qualität. Horrorszenarien haben Hochkonjunktur. TAKE 32 (Stücke) Wir sind ja dabei, ganze Städte einzupacken, die sich früher durch ihre ganz unterschiedlichen Baukulturen auszeichneten, während wir uns jetzt bemühen, möglichst uniform auszuschauen. Das sind die Bausünden von morgen, die eine neue Generation, die nach uns kommt, wieder beseitigen wird, und der Sondermüll, den wir hinterlassen, mit dem ganzen Styropor wird noch Jahrzehnte uns beschäftigen. AUTOR Andreas Stücke ist nur einer von vielen, die die "Käseglockenideologie" der Verpackungsfetischisten anprangern. Andere kritisieren, mit den Dämmplatten- Verbund-Systemen entstünde eine "Baumarkt-Ästhetik aus dem Ramsch-Regal". Und die Denkmalschutzverbände fordern mehr Sensibilität bei der energetischen Sanierung beispielsweise von Gründerzeitbauten. TAKE 33 (Brendel) Die haben schon Recht, ich sehe das ähnlich. AUTOR Michael Brendel ist ein Mann der Praxis. Er führt einen alteingesessenen, mittelständischen Malereibetrieb in Berlin und hat sich in den vergangenen Jahren auf das Dämmen von Gebäuden spezialisiert. Aber eben mit Ausnahmen. TAKE 34 (Brendel) Wir haben so Anfragen gehabt von Mehrfamilienhausbesitzern oder auch Angebote, die wir gehabt haben von schönen, wunderbaren Kreuzberger Fassaden, bei uns in Kreuzberg diese herrlichen Altbaufassaden: ,ich möchte jetzt Wärmedämmung haben', also schlimm, teilweise waren da auch Stuckfassaden bei, die wir dann aber zum Glück abwenden konnten, da sind die Mauerwerkstärken noch so dick, dass das eigentlich nicht notwendig ist. AUTOR Viele seiner Kunden seien Wohnungseigentümergemeinschaften, so genannte WEG, die inzwischen eine üppige Instandhaltungsrücklage angespart hätten und das Geld nun in die Wertsteigerung ihrer Immobilie investieren wollten. Energetische Sanierungsmaßnahmen stünden oft ganz oben auf der Wunschliste. Glücklicherweise, so Michael Brendel, seien auch ästhetische Kompromisse möglich. TAKE 35 (Brendel) Wir haben jetzt gerade eine Fassade gemacht oder werden eine machen, wo wir einfach eine Stufe reinsetzen. Das ist ein 60er Jahre Bau, der kriegt eine Wärmedämmung, wir müssen dort 16 Zentimeter dämmen, hinterher haben die also eine rund 30 Zentimeter tiefe Laibung, das ist diese berühmte Schießscharte, jetzt werden wir so eine Stufe einsetzen. Wie so im Stuckbau, einfach so eine Stufe, dass die also eine Schräge haben, dass das Licht so seitlich reinfällt. Jetzt kann man darüber streiten, ob das optisch in der Ansicht gut aussieht oder nicht, hat so ein bisschen russisch-venezianischen Charakter, der WEG hat es in diesem Fall gefallen, und wir werden es da so bauen, aber das ist eigentlich nur ein Mittelweg. GERÄUSCH 1 (Styropor, Wärmedämmplatten quietschen, klopfen, trommeln) Kombinieren mit GERÄUSCH 2 (Specht hackt in den Baum/Wärmedämmplatte) AUTOR Wie auch immer man es mit der energetischen Gebäudesanierung hält: ein Problem wird man nicht aus der Welt schaffen können: den Specht. TAKE 36 (Brendel) Specht: das ist Natur, da kann man gar nichts machen. AUTOR Mit bis zu 20 Hieben pro Sekunde hämmern Spechte auf die Fassaden ein, und es sind nicht wenige. Wärmedämmplatten finden Spechte toll. Der morsche Sound der feinporigen Styrodur-Schicht habe es ihnen besonders angetan, heißt es beim Fachverband Wärmedämmverbundsysteme. TAKE 37 (Brendel) Alles, was wir repariert haben, wieder zugemacht haben, auch teilweise mit Karbonmörtel zugespachtelt haben, knallhartes Zeug, der Specht war einfach stärker. SPRECHER v. Dienst Dämmst du schon oder lebst du noch? Das Reizthema Gebäudesanierung. Eine Sendung von Wolf-Sören Treusch Es sprach: der Autor Ton: Alexander Brennecke Regie: Gabi Brennecke Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2011 18