KULTUR UND GESELLSCHAFT Reihe : Literatur Ko Titel der Sendung : „21. Open Mike 2013“ Wettbewerb junger deutschsprachiger Literatur in der Literaturwerkstatt Berlin Autorin : Vanja Budde Redakteurin : Dorothea Westphal Sendetermin : 17.11.2013 Regie : Roswitha Graf Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig © Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503- =================================================== ANMODERATION: Der Nachwuchswettbewerb „Open Mike“ hat sich zu einer der größten Manegen des Literaturzirkus entwickelt: Wer hier liest, fällt auf. Agenten und Lektoren aus dem ganzen Land reisen an, die neue Generation der Autoren in Augenschein und vielleicht unter Vertrag zu nehmen. Immer öfter kommen die Finalisten und Preisträger aus den drei so genannten Schreibschulen, den Literaturinstituten in Leipzig, Hildesheim und Biel in der Schweiz. Doch kann man das Schreiben wirklich lernen? Und führt die Professionalisierung der Schreibkunst nicht zu Gleichmacherei und Austauschbarkeit der „Diplomschriftsteller“? Diese Fragen werden auch immer wieder beim „Open Mike“ gestellt. Vanja Budde ist ihnen nachgegangen und dafür erst einmal ans Deutsche Literaturinstitut nach Leipzig gereist. =================================================== Sprecher: „Glück“, von Jens Eisel Lesung: Er stand im Neonlicht eines Wettbüros, sein Herz hämmerte in seiner Brust, und er blickte gebannt zu einem der Bildschirme hinauf. (…) Jeder Muskel in seinem Körper war angespannt. Er hatte eine beträchtliche Summe auf Sieg gesetzt, und wenn er verlieren würde, wäre er auf eine der Suppenküchen angewiesen.“ Sprecher: „Inseln“ von Paula Schweers Lesung: „Die Wellen wiederholen sich an Felsen, deren Zerklüftung abgeschwächt in der Landschaft fortläuft, über flache Hügel, die von Schatten überzogen, überwölkt, nicht rosa, sondern rostig sind, die Landschaft trägt Lichtverhältnisse aus Erzählungen von Marseille und Napoli mit, zu meinen Füßen liegt Plastikauswurf in der Gischt.“ Sprecher: „Gedichte“ von Janin Wölke Lesung: tierchen mein tierchen „ich such’ dein herz unterm schlafanzug mit drei fingern höre ich, wie es schlägt“ Atmo: Friedliche Villenstraße, in der Ferne rauscht vierspuriger Verkehr Text Leipzig im November, drei Tage vor dem „Open Mike 2013“ in Berlin. Das Deutsche Literaturinstitut liegt in der Nähe vom Simsonplatz, auf dem im November 1989, wie Gedenktafeln erklären, 10 000 Menschen nach Freiheit riefen. In Leipzig ist es seitdem ruhiger geworden. Friedliche Stille liegt über der Wächterstraße. Hier hat die Schreibschule das ehemalige Gästehaus der Volkspolizei bezogen: eine weiße Jugendstilvilla mit Garten. Die Hochschule für Grafik und Buchkunst liegt in schöner Symbolik gleich gegenüber. Atmo: Cafe in der Hochschule, steht ganz kurz frei, dann unter Text Dort im Café sitzt Jens Eisel, 33 Jahre alt, Absolvent des Deutschen Literaturinstitutes Leipzig. Ein langer Schlacks mit dunklem Bart und großen, dunkelbraunen Augen. Eigentlich wollte er sich gar nicht bewerben beim „Open Mike“. Den sehr zurückhaltenden Jens Eisel schreckte der Rummel auf der größten Castingshow des deutschsprachigen Literaturbetriebes. Zurückhaltend ist auch sein Schreiben: gradlinig und angenehm uneitel. Doch sein Agent hatte ihn zur Teilnahme am wichtigsten Nachwuchswettbewerb nach den Klagenfurter Literaturtagen gedrängt. Und siehe da: Mit der Geschichte vom glücksspielsüchtigen Bürgerkriegsflüchtling Samir hat es prompt geklappt. O-Ton Jens Eisel „Irgendwann wollte ich, dachte ich, ich wollte schreiben und habe dann einfach angefangen. Ich bin, glaube ich, unerträglich, wenn ich nicht schreiben kann. Schreiben ist für mich auch Arbeit, es ist hauptsächlich Arbeit. Es ist jetzt nicht ein Hobby, es ist nicht eine Tätigkeit, die ich unbedingt sehr gerne mache. Also es gibt Sachen, die ich lieber mache. Also ich muss das irgendwie machen. Ich habe keine Ruhe, wenn ich nicht schreibe, aber es ist Arbeit einfach.“ Text Mit harter Arbeit ist Eisel vertraut: Er ist gelernter Schlosser, hat auf dem Bau geschafft, Garagentore eingebaut, Zirkuswagen zusammengeschraubt und fast zehn Jahre auf Sankt Pauli Trinker und Obdachlose betreut. In diesem Jahr ist er Vater geworden. Lebenserfahrung, die den Stoff fürs Schreiben liefert: Die hat Eisel vielen anderen Teilnehmern des „Open Mike“ voraus, die oft in sehr jungen Jahren Literatur studieren an den Universitäten von Leipzig, Hildesheim oder im schweizerischen Biel. Für Jens Eisel war das Deutsche Literaturinstitut auf der anderen Straßenseite vor allem ein Schutzraum, in dem er sich seiner Kunst versichern konnte. Derzeit schreibt er an einem Erzählband mit dem Arbeitstitel „Am Fluss“. O-Ton Jens Eisel „Es war vor allen Dingen für mich so ein Ding, dass ich jetzt die Rechtfertigung hatte, schreiben zu können. Das Ding ist: Ich habe immer gearbeitet, seit ich 16 bin. Und ich habe auch vorher schon geschrieben und habe auch schon Geschichten veröffentlicht in Zeitschriften, aber ich hatte einfach nicht so die Zeit und konnte mir auch irgendwie die Zeit nicht nehmen, weil ich Geld verdienen musste und weil ich auch immer ein bisschen unsicher war, ob das, was ich da mache, überhaupt gut ist, ob das Talent da ist.“ Text Aus dieser Unsicherheit heraus hat er einige Erzählungen an einen Agenten geschickt und sofort einen Vertrag bekommen. Und nach diesem „Open Mike“ werden die Selbstzweifel wohl noch leiser geworden sein. Atmo Café weg blenden Sprecher: Paula Schweers: „Inseln“ Lesung: (…) „Das Manuskript ist kaum lesbar, weil die Tinte auf der Rückseite des Blattes sich neben und in die Schriftzüge auf der Vorderseite eingeschrieben und mit ihnen verbunden hat. Ideale Fraktale lassen sich beliebig stark vergrößern, ohne das ihre Struktur verloren geht und sie zu glatten Figuren werden.“ Atmo, Deutsches Literaturinstitut, Villa, schwere alte Eingangstür, knarzende Holztreppen, steht kurz frei, dann unter Text Paula Schweers, 21 Jahre alt, zierlich, langes, rot-braunes Haar, braune Augen, hat schon als Kind Bildergeschichten mit spiegelverkehrten Texten geschrieben. Gleich nach dem Abitur in Bremen vor zwei Jahren ging sie ans Deutsche Literaturinstitut Leipzig. Sie hat im Sekretariat den Schlüssel zu einem Besprechungsraum besorgt und führt durch das Eingangsfoyer, wo wie zum Ansporn der Studenten in wandhohen Glasvitrinen die Bücher von berühmten Absolventen wie Julie Zeh und Clemens Meyer ausgestellt sind. Über graue Teppiche und knarzende Holztreppen geht es hinauf unters Dach. Hier könnten auch Sonderpädagogen oder Betriebswirtschaftler studieren: Keine Exzentrik weit und breit. Hunderte hoffnungsvoller Bewerbungen gehen jedes Jahr ein, nur etwa 20 werden genommen, ähnlich wie beim „Open Mike“. O-Ton Paula Schweers „Ich glaube, ich hatte drei kurze Texte, sogar weniger, als eigentlich verlangt wird, weil ich nicht mehr hatte. Und ich habe mich auch nur hier beworben. Also ich hatte richtig doll Glück und bin auch noch ganz aufgeregt irgendwie zum Gespräch gekommen und war auch ganz … stand irgendwie neben mir an dem Tag und habe mich dann aber hier gleich auch gut gefühlt so. Und dann eben Fragen zu Einflüssen, Gründen, weshalb ich überhaupt schreibe, wie ich schreibe, ob mir Schreiben noch passiert oder ob ich versuche, da irgendwas quasi immer herzustellen so. Ja, auch mein technischer Zugang dazu, der zu dem Zeitpunkt eigentlich noch gar nicht vorhanden war, weil ich ja für die Schublade und für mich geschrieben habe. Der Versuch war eigentlich, herauszufinden: Wie stark stehe ich dahinter und bin ich kritikfähig und habe ich Lust, auch wirklich zu arbeiten daran. “ Text Das Bachelor-Studium „Literarisches Schreiben“ soll den Studierenden laut Universität „literaturpraktische Fähigkeiten“ vermitteln, die… Sprecher „…der Erarbeitung und Entwicklung einer individuellen Schreibfähigkeit und Stilsicherheit dienen und die Studierenden befähigen soll, selbständig literarische Texte zu verfassen.“ Text Es gilt, in sechs Semestern Leistungsscheine in Prosa, Lyrik, Dramatik und Neue Medien zu erwerben, in theoretischen und praktischen Seminaren. Für diese Werkstattseminare schreiben die Studenten Texte zu einem Thema oder in einem Genre. Die Geschichten, Gedichte und Theaterstücke werden dann in ihre Einzelteile zerlegt - von den Kommilitonen und den Dozenten, darunter so illustre Namen wie Sten Nadolny, Thomas Hürlimann, Burkhard Spinnen und Herta Müller. Es werden Lesereihen organisiert und eigene Anthologien herausgegeben. O-Ton Paula Schweers „Ich habe eigentlich früher, glaube ich, eher aus Notwehr geschrieben, also in der Zeit, in der ich noch in diesen starren Schulstrukturen und auch in diesen Freundeskreisen war, in denen so ein individueller Ausdruck, glaube ich, sonst gar nicht so möglich war. In der Zeit habe ich eigentlich angefangen, zu schreiben. Was halt für mich eine Möglichkeit war, eben nicht ständig in Beziehung treten zu müssen oder nicht ständig mich konsumierbar erklären zu müssen, sondern eben halt wirklich was ganz, ganz Eigenes schaffen zu können. “ Text Den Schreibschulen wird aber oft vorgeworfen, den Studenten einen marktkompatiblen, austauschbaren Einheitsstil aufzudrängen. Direktor Hans-Ulrich Treichel kann das böse Wort von der Institutsprosa schon nicht mehr hören. O-Ton Hans-Ulrich Treichel „Völlig absurd, komplett. Also wenn Sie unten in unsere Halle treten, in den Eingang, da sehen Sie Glasvitrinen mit sehr, sehr viel Publikationen. Und bisher hat noch niemand, der das Wort Institutsprosa benutzt hat, uns das mal nachweisen können, an den Publikationen, dass die alle gleich geschrieben sind. Und das kann man ja, man muss ja nur die Bücher sich anschauen und aufschlagen, da sieht man, was so für verschiedene Stimmen da sind.“ Text Das Deutsche Literaturinstitut Leipzig bietet eine der ganz wenigen Universitätsausbildungen für Schriftsteller im deutschen Sprachraum - neben dem Studiengang „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ der Universität Hildesheim und dem Studiengang „Literarisches Schreiben“ am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Wobei alle drei Schreibschulen sich auch immer wieder grundlegenden Zweifeln stellen müssen, ob das literarische Schreiben überhaupt erlernbar sei. O-Ton Hans-Ulrich Treichel „Na ja, es ist so, dass es ja eigentlich keine Besonderheit ist. Es ist künstlerische Ausbildung an Hochschulen. Erstaunlicherweise gehörte das Schreiben immer nie dazu in Deutschland, speziell in Westdeutschland. Und es gab nur in der DDR das Johannes R. Becher-Institut, wo literarisches Schreiben gelehrt wurde, eingeführt nach dem Vorbild des Moskauer Gorki-Instituts. Und in den USA. Da ist es eine eingeführte Hochschulausbildung, das Creative Writing, nur in Westdeutschland eben nicht, in der Bundesrepublik. Manche sagen, es liegt daran, dass es da ein Verhaftetsein an die Genietradition gibt und eine Überzeugung, dass man eben entweder die Begabung und das Genie zum Schreiben hat oder auch nicht.“ Sprecher: Janin Wölke, „Gedichte“ Lesung: tierchen, mein tierchen du funkelst hinter den ohren/wenn die sonne durchscheint du glänzt mir in den händen/wie ein steinchen im bach bald wachsen dir federn/maiweiche/wolkenleichte/weidenkätzchen, du – tierchen, mein tierchen, mein kind – ich zähl’ die hubschrauber auf deinem schlafanzug dass deine tierwärme mir immer bleibt. Atmo: In der Küche von Janin Wölke, sie kocht Tee, schenkt Wein ein, kramt in Schränken, Kühlschrank auf und zu etc., steht kurz frei, dann unter Text Janin Wölke, geboren 1982 in Berlin, studiert erst seit diesem Semester am Literaturinstitut Leipzig. Mit ihren Gedichten war sie schon vor zwei Jahren beim „Open Mike“ eingeladen, aber die Geburt ihres Kindes kam ihr dazwischen. Sie hat geheiratet, ist zu ihrem Mann in dessen Heimatstadt Leipzig gezogen, in eine gemütliche Altbauwohnung, nur ein paar Minuten zu Fuß vom Literaturinstitut entfernt. O-Ton Janine Wölke „Also ich glaube auf jeden Fall, dass diese Schule auf jeden Fall ihre Vorteile hat. Nicht unbedingt darin, dass man jetzt ein Seminar belegt, sich da reinsetzt und einen Dozenten hat, der einem da was vordoziert, weil, so ist es ja nicht. Also man wird ja da nicht anderthalb Stunden beschallt und lernt dadurch das Schreiben, sondern man lernt es dadurch, dass man sich mit anderen austauscht, andere Texte hört und dass man selber immer wieder zum Schreiben angeregt wird. Ich glaube, das kann schon ganz viel anschubsen, was vielleicht sowieso da ist und dann dadurch einfach bekräftigt wird, bestärkt wird und sich entwickeln kann. Ich glaube, das ist was ganz Wichtiges, was tatsächlich passiert, bei ganz vielen.“ Text Als Lyrikerin muss Janine Wölke um ihre eigene, individuelle Stimme nicht so bangen, aber ihr ist etwas aufgefallen: O-Ton Janine Wölke „Was man echt bemerken kann, am DLL auch, ist, dass eigentlich fast nur noch ganz, ganz junge Studenten genommen werden. Das heißt, sie sind da 18, 19, 20, 21, also größere Ausbrüche gibt’s nicht, ich bin jetzt mit die Älteste in meinem Studiengang mit 31 Jahren. Und das war früher zum Beispiel nicht so. Und da könnte man vielleicht schon darüber munkeln, warum das so gemacht wird.“ Text Direktor Treichel sagt, dass er nicht bewusst nach jungen Studenten Ausschau halte, weil man die besser formen könne. Tatsache ist aber: Das Durchschnittsalter ist seit dem Gründungssemester 1995 rapide gesunken. Das liegt aber auch daran, dass die Zahl jüngerer Bewerber schlicht gestiegen ist, die ihren Stoff nicht im Leben sondern im Handwerk suchen. Eine Folge des "Pop" und dessen zu Stars hochgejazzten Jungautoren. Beim „Open Mike“ waren die Teilnehmer in diesem Jahr im Durchschnitt 28 Jahre alt. Und sieben der 20 kamen von einer Schreibschule. Kurz vor dem Start blickt Janine Wölke voller Hoffnungen auf den Wettbewerb. O-Ton Janine Wölke „ Also weiterzukommen, auch dass sie einen irgendwie mehr kennen, dass man vielleicht mehr Veröffentlichungsmöglichkeiten bekommt, nicht unbedingt jetzt in der Form von einem Buch, aber dass, wenn man sich bei Zeitschriften bewirbt, die einen dann auch nehmen oder sogar selber fragen, dass man zu Lesungen eingeladen wird, dass man auch die Leute aus der Szene kennenlernt, nicht nur Agenten, sondern auch andere Schriftsteller. Ich glaube, das war so meine Intention, dass ich unbedingt zum Open Mike wollte, aber natürlich auch, Publikum zu haben, klar, oder vor Publikum zu lesen. Applaus zu bekommen, ist immer toll.“ Musik: „Perfect Darkness“ Interpret: Fink Komponist: Fink u. M.Kelly Label: Ninja Tune Records, LC-Nr. 12885 Atmo „Open Mike“ kurz vor dem Start, Musik im Saal, Gemurmel einer Menschenmenge, steht kurz frei, darauf Text Samstag, 9. November, 14 Uhr: An diesem deutschen Schicksalstag strömen sie zu hunderten in den großen Saal des Heimathafens Neukölln in Berlin: Fans, Verwandte und Freunde der Kandidaten, Lektoren und Agenten, Verleger und der eine oder andere Leser. Der „Open Mike“ hat sich zu einem wichtigen Branchentreffen entwickelt. Für den Nachwuchs bietet sich hier eine der raren Chancen, einen Fuß in die Tür des Literaturbetriebes zu setzen. Viele Karrieren haben beim „Open Mike“ ihren Anfang gefunden: Die von Karen Duve zum Beispiel, von Judith Hermann, Julia Franck, Zsuzsa Bánk, Tilman Rammstedt und Jenny Erpenbeck. Letztere bildet dieses Mal, zusammen mit Ulrich Peltzer und dem Lyriker und Präsidenten des Schweizer Autorenverbands, Raphael Urweider, die Jury. Der prächtige Ballsaal ist voll, die Türen werden geschlossen, Thomas Wohlfahrt von der Literaturwerkstatt Berlin, die zusammen mit der Crespo-Stiftung den Wettbewerb ausrichtet, erklimmt die Bühne. Atmo-O-Ton Thomas Wohlfahrt „Herzlich willkommen, meine sehr verehrten Damen und Herren, zum nunmehr 21. „Open Mike“, Förderwettbewerb für junge deutschsprachige Prosa und Lyrik. Herzlich willkommen vor allem aber den Autorinnen und Autoren, die von ihren Lektorinnen und Lektoren – wir kommen noch dazu – gefischt wurden, gewünschelrutet wurden, aus doch beinahe 700 Textbewerbungen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum – fast 700. Das heißt, die 20, die heute und morgen hier lesen, sind schon einmal Gewinner. Herzlichen Glückwunsch und herzlich willkommen hier zum 21. Open Mike.“ Atmo, Applaus, darauf Text Die Lektoren aus renommierten Verlagen hatten es dieses Jahr schwer, in ihren Stapeln brauchbare Texte auszumachen. Nur wenige Perlen fanden sich im Textgeröll. Deren Verfasser dürfen nicht älter als 35 sein, noch kein Buch veröffentlicht haben und müssen ihren Text in genau 15 Minuten vortragen. Die nicht minder nervösen Lektoren präsentieren ihre Schäfchen jeweils auf der Bühne. Lektor Thomas Tebbe vom Piper Verlag stellt vor: Atmo-O-Ton Thomas Tebbe „Ja, hallo. Es ist mir ein großes Vergnügen, Ihnen heute Jens Eisel vorzustellen, der seine Erzählung „Glück“ lesen wird. „Glück“ erzählt die Geschichte von Samir, einem bosnischen Kriegsflüchtling, der auf der Suche nach dem Glück ist und mit der Leere in seinem Leben zurechtzukommen versucht oder eigentlich nicht versucht, sondern ratlos davorsteht. Es ist ein Text, der wie ein kurzes Musikstück ist, eigentlich, mit sehr eigenem Ton, mit viel Gefühl für Rhythmus und was mich an dem Text so überzeugt hat oder die Qualität dieses Textes liegt auch darin, dass der Autor immer sehr genau weiß, was er erzählen darf und was er verschweigt. Es ist ein Text, der mit Auslassungen arbeitet, sehr gekonnt arbeitet. Mehr will ich gar nicht sagen. Viel Vergnügen.“ Atmo, Applaus, Lesung: „Fünftausendvierhundertdreißig Euro. Samir hatte noch nie so viel Geld auf einmal gewonnen. Er lief über die Reeperbahn, durch das dichte Gedränge der Menschen, die vor Kneipen standen, lachten, tranken und grölten. Er hörte die Sirenen von Rettungswagen und das Hupen der Taxen, und er spürte, wie sich der Nebel als dünner Film auf seine Haut legte. (…) Samir bewegte sich langsam durch das trübe Licht der Neonschilder. Er musste an Sarajevo denken; an die Berge und den Geruch und daran, wie er als junger Mann durch die Straßen und Gassen der Stadt gezogen war. Er hatte damals studieren wollen, um später als Lehrer zu arbeiten, und er hatte die Stadt geliebt – die milden klaren Sommernächte. Atmo Applaus, darauf Text Eine schlichte Geschichte, ohne sprachliche Raffinesse, deren Autor sich selbst nicht toll findet, weil er schreibt, sondern sich für seine Figur interessiert. Jens Eisel ist erleichtert und zufrieden: Kein Blackout, kein grober Versprecher, alles lief glatt. Gleich zu Beginn des „Open Mike“ zu lesen hat den großen Vorteil, den eigenen Auftritt dann schneller hinter sich zu haben und relativ entspannt den anderen Kandidaten lauschen zu können. O-Ton Jens Eisel „Ich bin ja das erste Mal hier, in diesem Jahr, und ich fühle mich hier sehr wohl. Ich mag die Stimmung, und ich bin gespannt auf die Texte, die noch kommen werden.“ Sprecher: Kenah Cusanit: Der Fluß (spr. Cusánit) Lesung: (Auszug aus »Versuche über Dr. K.«) Mesopotamisches Gelb, wie gemacht zum Davorstehen, Hinsehen. Aquarellieren – seine Lieblingsart, diese Gegend zu kartieren. Schlamm als Impression, Lehm, der sich im Wasser fortbewegt, indem er sich dreht.“ leise weiter unter Text Die Anthropologin Kenah Cusanit stellt einen Auszug aus ihrem Romanprojekt vor: über einen deutschen Forscher und Ausgrabungen im Orient um das Jahr 1900 herum. Einer der wenigen Texte, die nicht in unserer Gegenwart spielen. In großen, ruhigen Schleifen mäandert ihre Sprache dahin, wie der Euphrat oder der Tigris. Sprecher: Stephan Reich, Orte Lesung: „& in der ferne entzünden sich fische wie lampions pulsieren quallen & du möchtest krill sein, ein ablauf aus nichts zieh an der kordel. lösch das licht.“ Sprecher: Christian Schulteisz, Satt Lesung: „Die Tupperdosen blühten im Küchenlicht, außen knallbunt, aber innen! Gulaschbraun bis sahnigbeige. Gelblich die Suppen. Und was alles auf den Deckeln stand, auf den Klebeetiketten in ihrer kleinen Schrift: Pfundstopf vom Dezember 2009, ein Jahr älter als sein Mietvertrag, schon älter, als man wissen will. Bestimmt ruft sie gleich wieder an.“ Text Christian Schultheisz, der übrigens auch am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert hat, ignoriert den Wecker und liest nach 15 Minuten einfach weiter. Beim „Open Mike“, dem geschmeidig organisierten Wettbewerb des wohlerzogenen Nachwuchses, ist das fast schon ein Eklat. Atmo, im Saal, Gang in die Pause, kommt kurz hoch, dann darauf Text In der ersten Pause strömt die Menge aus dem Saal. Die Blogger in der hinteren Ecke können ihre Finger ausruhen. Das Internet hat Einzug gehalten in den „Open Mike“: Smartphones, Mails und google kommen dieses Jahr häufig in den Texten vor, und auch der Wettbewerb selbst twittert und bloggt live auf einer eigenen Website. Bloggerin Elena Philipp ist Literaturwissenschaftlerin: O-Ton Bloggerin Elena Philipp „Der Eindruck ist: ganz schön durchwachsen. Also ich fand, das war gerade im ersten Block relativ auffällig, dass das ja Kenah Cusanit relativ stark begann und auch Stephan Reich war ja eine starke lyrische Stimme. Und dazwischen gibt es aber auch immer wieder Texte, die ich für Ausfälle halte. Inhaltlich vielleicht zu einfach, zu simpel gestrickt. Also wenn man an so eine Geschichte wie „Satt“ denkt, dann ist irgendwie von vornherein klar, worauf der Konflikt rausläuft und was da in dieser Figur passiert. Das interessiert mich dann einfach nicht, weil es am Anfang absehbar ist und es relativ bruchfrei ist.“ Text Und was sagt sie zu Jens Eisel? O-Ton Bloggerin Elena Philipp „Glück“ finde ich einen sehr unaufgeregten, verhaltenen Text, der aber sehr sauber ist und in dem eigentlich genau das passiert, also klassische Erzählstruktur: Es gibt den Knackpunkt, den Wandel, den Wendepunkt – finde ich sehr schön, auch wenn das nichts ist, was einen jetzt sofort anspringt.“ Atmo, Menge murmelt im Foyer, steht kurz frei, dann darauf Text Den Programmleiter Belletristik des Piper Verlags dagegen, Thomas Tebbe, hat Eisels Geschichte über den Glückspieler Samir elektrisiert. O-Ton Thomas Tebbe „Weil der Text so präzise gearbeitet war, so eine eigene Sprache hatte, so einen unverwechselbaren Rhythmus, Gefühl für Tempo, eine Pointe, die nicht überorchestriert war. Das ist einfach ein sehr, sehr guter Text, auch viel Leben drin. Man merkt: Der Mann ist nicht mehr 20, der hat auch schon was gesehen, der kennt sich aus in dem Milieu, der nimmt sich selber als Autor nicht wichtig, sondern schaut sich seine Figuren und sein Milieu an – ist einfach außergewöhnlich gut. Text Hat Eisel nun einfach Talent – oder hat er das Schreiben am Literaturinstitut gelernt? O-Ton Thomas Tebbe Ich glaube, Beobachtung kann man nicht unbedingt lernen oder Sensibilität oder Umgang mit Sprache. Narrative Strukturen kann man lernen. Ich glaube, es hat ihm sehr gut getan, da hinzugehen. Er hat sich ja beworben mit der Ausbildung einer Schlosserlehre. Die haben ihn genommen – das finde ich sehr respektabel – obwohl er kein Abi hat, keine weiterführende Ausbildung. Die haben ihn genommen und haben ihm das Handwerkszeug geliefert, und das ist sicher eine Abkürzung für zukünftige Autoren.“ Text Obwohl Erzählbände schwieriger zu vermarkten sind als Romane und nicht so viel einbringen, hat Thomas Tebbe den Autor schon vor Beginn des Wettbewerbs unter Vertrag genommen. Wohl auch, damit ihm das Talent nicht abgeworben wird: Es wimmelt beim „Open Mike“ nur so von Scouts der Verlage. O-Ton Thomas Tebbe „Es ist der Schritt durch die großen Tore des Literaturbetriebs. Alle Kollegen sind hier, alle Verlage, Agenturen, Autorenkollegen, das ist Netzwerken frei Haus.“ Musik: „Monte Rosa“ Interpret: Fritz Kalkbrenner Komponist: Fritz Kalkbrenner Label: Suol Music GmbH, LC-Nr. 24407 Text Die Kandidaten im nächsten Leseblock kommen sämtlich aus den Schreibschulen von Leipzig und Hildesheim. Letztere sind mit einem Fanclub angereist, dessen anpreisendes Gejohle aber eher unangenehm auffällt. Sprecher: Karl Wolfgang Flender, Greenwash Incorporated Lesung: „Regentropfen rinnen die Scheiben des Busses herab. Christoph ist eingenickt. Seine muskulöse Brust hebt und senkt sich regelmäßig unter seinem marinen Maßhemd aus Organic Cotton. Ich schätze, dass er einen Vorsprung von etwa sechs Monaten im Fitnessstudio hat. Aber ich hole auf.“ Atmo, voller Saal O-Ton Bloggerin Elena Philipp „Also an so einem Text wie dem von Karl Wolfgang Flender merkt man, dass das natürlich auch ein Nachteil sein kann, wenn jemand so extrem in diesen Tonfällen geschult ist, aus der Popliteratur kommt. Aber ich glaube, da ist es wie mit jeglicher Kunst, wer gut ist, der wird den eigenen Ton auch finden, egal, ob er jetzt geschult ist oder nicht. Und dem einen bringt es was und dem anderen nicht“ Text Elena Philipps Blog-Kollegin Lea Beiermann sieht das kritischer, obwohl die Lyrikerin selber an der Hildesheimer Schreibschule studiert. Anders als der Leipziger Direktor Hans-Ulrich Treichel hält Lea Beiermann den Vorwurf der Institutsprosa nicht für aus der Luft gegriffen. O-Ton Bloggerin Lea Beiermann „Wenn man davon überzeugt ist, dass man Schreiben lernen oder lehren kann, dann muss man sich ja auf bestimmte Kriterien einigen, nach denen dann Texte eben auch beurteilt werden. Und dadurch haben dann die Dozenten oder dann irgendwann eben auch wir bestimmte Vorstellungen davon, wie ein Text auszusehen hat und das kann dann teilweise relativ gleich werden. Das ist dann schade, dass man zum Beispiel sehr allergisch auf alles reagiert, was Richtung Kitsch geht oder so, und dass Texte dadurch auch an Wärme verlieren, manchmal, finde ich. Es ist schwierig, wenn man die gleichen Seminare besucht und da ähnlichen Vorstellungen halt auch genügen muss, dann da noch was Eigenes zu machen. Manchen gelingt das und das ist dann natürlich umso toller, aber ich glaube schon, dass es in Hildesheim so eine Tendenz zu Pop-Romanen, so à lacht Kracht oder so gibt und Leipzig so … Also wir sagen: Dass es tendenziell so sehr atmosphärisch aufgeladen ist. Das sind dann so die typischen Leipzig-Texte irgendwie.“ Text Auch Paula Schweers und Janin Wölke lesen schon am ersten Tag. Die für Lyrik zuständige Lektorin ist in diesem Jahr Julia Graf im Verlag Hanser Berlin. Sie mochte Janin Wölkes Gedichte, weil sie mutig sind und stark. O-Ton Julia Graf „Ja, ich finde, die haben eine ganz ungewöhnliche Kraft. Die sind ja eher fast gerufen und geschrien, diese Gedichte. Und das hat mich einfach sehr berührt, weil unter dieser gewissen Härte, die sie auch in der Sprache und im Duktus hat, so eine ganz große Zärtlichkeit auftaucht und das hat mich fasziniert.“ Text Die Lektorin hat nichts gegen Literaturstudiengänge, Handwerkszeug könne nicht schaden. Die Kritik an den Instituten beruhe auf romantischen Vorstellungen. O-Ton Julia Graf „Ich glaube tatsächlich, dass gerade in der Literatur, vielleicht sogar besonders in der deutschen Literatur, durch die Literaturhistorie dieser Gedanke des Originalgenies eben sehr verbreitet ist und eigentlich immer noch in den Köpfen ist. Dieser Poet, der in der Nacht aufsteht und irgendwas an die Wände kritzelt – so stellt man sich das, glaube ich, immer noch vor.“ Musik: „Monte Rosa“ Interpret: Fritz Kalkbrenner Komponist: Fritz Kalkbrenner Label: Suol Music GmbH, LC-Nr. 24407 Atmo-O-Ton Julia Graf „Jetzt wird Janin Wölke lesen. Sie ist 1982 in Berlin geboren. Die Gedichte haben etwas Kriegerisches, Kämpferisches geradezu, an sich – finde ich. Hier behauptet sich ein lyrisches Ich in einer harten Welt und lässt sich – den Schorf auf den geschlagenen Wunden – aber nicht davon abhalten, das Leben zu genießen und Glück zu empfinden.“ Atmo, Applaus, Lesung „Gedichte“ von Janin Wölke: „wir sind nicht exakt/wir sind wie mit schwämmchen in farbe gedrückt wir treffen uns in clubs mit spielzeugnamen/kellner drehen schwarze scheiben auf ihren weißen fingerspitzen/unten wird gefickt/leere plastikflaschen rollen über die straßen/keiner denkt mehr an uns/der anorak kaputt/die schnürsenkel offen wir sind nicht exakt/wir sind wie mit schwämmchen in farbe gedrückt wir wollen dir nichts erzählen, stadt! november, richtung fluss/ich laufe langsam/bin müde/grundlos/brunnenvoll ich frage immer: stein oder schere? stein oder schere?/schwarze tiere hängen in den bäumen/sind blätter und können nicht fliegen/dort das haus/sehr hoch hat zwei türme/in die man nicht kommt/jemand öffnet ein fenster/als stießen sich vögel ab (in flügel geschnürtes) und fielen nach oben/wie in ein sieb. Atmo, Applaus, darauf Text Die Aufregung lässt sich zwar kaum einer aus der Generation der Facebook-Selbstoptimierer anmerken, doch für die Teilnehmer sind diese Auftritte emotional extrem stressig. Das Publikum ist zwar sehr wohlwollend, aber auch zahlreich: Mehr als 500 Leute sitzen im Saal. O-Ton Janin Wölke „Also es war wirklich sehr schwierig für mich, da hochzugehen und zu lesen, weil es sehr persönliche Texte sind, und dann ist man noch so aufgeregt wegen den ganzen Leuten, und da sitzt eine Jury und alle gucken einen an und so, das ist … Also ich finde das ganz schrecklich. Aber ich habe versucht, mich ganz doll zu konzentrieren und die Texte so gut wie möglich zu lesen, wie ich es machen kann.“ Text Draußen ist es dunkel geworden, der erste Tag des „Open Mike“ neigt sich dem Ende zu. Paula Schweers ist noch dran. Ihr Lektor Christian Ruzicska vom kleinen Züricher Secessions-Verlag gilt in diesem Jahr als der Spezialist für die rare experimentelle Prosa. O-Ton Christian Ruzicska „Der Text von der Paula liegt mir tatsächlich besonders am Herzen, weil ich bei ihr gesehen habe, dass sie etwas phänomenal Gutes kann. Es gelingt ihr, in ihrer poetischen Handhabung von Sprache eine sinnliche Wahrnehmung zu abstrahieren und aus einer abstrakten Wahrnehmung bis tief unter die Oberfläche des Körpers zu gelangen. Und in einer sehr kurzen, sehr prägnanten Form entwirft sie eine Bildwelt, in der eine Suchbewegung stattfindet, die Sprache tatsächlich als Instrument verwenden kann, um Wahrnehmungen zu steuern. Das ist ein hochgradig poetischer Vorgang, finde ich, der vielen Texten mangelt.“ Atmo, Applaus Atmo-O-Ton Christian Ruzicska „Ja, schönen guten Abend, meine Damen und Herren, Christian Ruzicska mein Name. Ich freue mich sehr, dass ich Ihnen heute Paula Schweers vorstellen kann, mit ihrem Text „Insel“. Und ich würde mich mal vorher noch ganz herzlich bedanken wollen für die großartige Konzentration, die in diesem Saal herrscht. Sie sind ein tolles Publikum, das möchte ich gesagt haben. Ich freue mich sehr und wünsche viel Erfolg mit dem Text „Insel“. Jetzt.“ Lesung Paula Schweers, „Insel“ (…) In halbstündigen Intervallen setzt mit der Heizung auch mein Schlaf aus und ich drehe mich wieder im Bett, fiebrig, verschwitzt, zum vertrauten Körper der Anderen, den ich fortschiebe, durch einen beliebigen Frauenkörper ersetze, dessen Geruch und Geschmack ich im Badezimmer abspüle und ausspucke. Ihre Hände in meinem Haar, Speichel am Hals, ihre Haut, die weichen Lederriemen, die den Dildo zwischen ihren Beinen fixieren, einen lächerlichen glänzenden Fetisch aus Silikon. Ich stehe auf und öffne die Balkontür. Von der Straße dringt Geschrei, Gelächter, das Pfeifen der Güterzüge herein, ein Mischklang aus menschlichen und mechanischen Stimmen, der stetig an- und abschwillt, aus mehreren Richtungen und Stadtteilen zu kommen scheint; Viertel, die sich als weiße, blaue, gelbe Kompartimente voneinander abheben, als wiederholte Farbfolgen, durchzogen von Wäscheleinen und Stromkabeln.“ Atmo, Applaus Atmo-O-Ton Thomas Wohlfahrt „Herzlichen Dank den 12 Autorinnen und Autoren, die uns haben teilnehmen lassen und teilhaben lassen an dem, was sie geschaffen haben. Danke für die vielen, vielen guten Texte. Wir sehen uns alle morgen wieder, für den vierten und den fünften Leseblock, morgen um 12 Uhr, 12:15 Uhr spätestens Beginn wieder hier. Kommen Sie gut nach Hause, danke schön.“ Atmo, allgemeiner Abgang, Rumoren und Gemurmel im Foyer, steht kurz frei, dann darauf Text Ein guter erster Tag war das, die Texte sind stärker als im vergangenen Jahr, böser, gesellschaftskritischer, weniger biographisch, nicht so verzagt. Und es kommt viel Sex vor diesmal, um dessen Schilderung der voran gegangene Jahrgang in seltsamer Prüderie einen großen Bogen gemacht hatte. Der starke Einfluss des Kinos zeigt sich in der Tendenz, im Präsens zu schreiben. Es geht viel um Liebesschmerz, Freundschaft und übergriffige Mütter, aber das ist bei jungen Autoren ja häufig so. Der Verleger Joachim Unseld ist zufrieden. O-Ton Joachim Unseld „Da die Frankfurter Verlagsanstalt sich jetzt immer mit Debüts natürlich auch befasst, ist es für mich ein großes Vergnügen, hier anwesend zu sein. Es sind neue Autoren, die noch keine Veröffentlichung haben. Dann gibt es ein hochkarätiges Lektoratsteam, die natürlich auch hervorragend schon aussieben, deswegen bekommt man dann eine ganz sehr gute Qualität und auch schon die Ersten, die ich jetzt gehört habe, sind handwerklich sehr gut. Ich bin gespannt auf das Weitere.“ Text Und seine Meinung zu Leipzig, Biel und Hildesheim? O-Ton Joachim Unseld „Schreiben ist, wie ein berühmter deutscher Autor mal gesagt hat: Handwerk plus persönlicher Abgrund. Das Handwerk können sie in Schreibschulen lernen, den persönlichen Abgrund müssen sie selbst mitbringen.“ Musik: „Warm Shadow“ Interpret u. Komponist: Fink Label: Ninja Tune Records, LC-Nr. 12885 Text Sonntag, 10. November, zwölf Uhr mittags. Der prächtige Ballsaal ist voll, der Andrang noch größer als am Vortag, denn bald werden die Sieger gekürt. Atmo-O-Ton Dr. Christiane Lange „Guten Morgen, herzlich willkommen zum 21. Open Mike, zum zweiten Lesetag hier im Heimathafen Neukölln. Ich freue mich, dass Sie so zahlreich zu so unberlinisch nachtschlafener Zeit hier schon angekommen sind und aufmerksam und gespannt hier sitzen. Um Ihnen den gestrigen Tag noch kurz wieder vor Augen und Ohren zu führen, ein nicht belastbares Resümee des Tages. Wir haben 12 Autoren gehört und wer waren die Helden? Ich natürlich, du, er, sie, manchmal wir. Es waren Piraten, Architekten, es ging um Jan, um Jans Mutter, um Koldewey, um Marcel, um Marina, Tristan, Samir, Shola, um Frauen, die sich selbst verletzten, Männer, die sich schlagen, Männerbünde, ein dicker Mann, ein Großvater im Rollstuhl und Männer, die in Dünen pinkeln. Am Ende lachen alle ihr Lachen und fragen: Wissen Sie, wo es langgeht? Bitte wenden! Und damit geht es los.“ Atmo, Applaus Sprecher: „Bob“, von Sabine Gisin Lesung: „Als ich heimkomme, ist das Haus dunkel, nur in dem Atelierschuppen meines Mannes brennt Licht. Den ganzen Tag lang haben wir gearbeitet wie die Tiere, ruft Bob und rennt mir mit ausgebreiteten Armen entgegen. Ich klopfe ihm auf die Schulter; Bob rückt seine Brille zurecht. Ich sage: Das ist schön. Seine Sprache ist einem Sechsjährigen unangemessen, denke ich, Bob verbringt zu viel Zeit mit meinem Mann.“ Leise weiter unter Text Die Geschichte über ein biestig hochbegabtes Kind beginnt schön abgründig, aber die Autorin macht leider nicht in dieser Weise weiter. Lesung „Bob“ kommt wieder hoch „Doch kaum war eine Woche vergangen, hatte er darauf bestanden, von uns nach Hause geholt zu werden. Er hasse Steine, sagte Bob, und er hasse dumme Kinder, die nach sieben Tagen Trainings noch immer keinen Satz auf Norwegisch sagen könnten.“ Atmo, Applaus Sprecher: Trabanten, von Artur Dziuk Lesung: „Nachts liege ich wach und höre die Fahrstühle in den Schächten gleiten, es müssen Hunderte sein. Sie oszillieren zwischen den Etagen und bringen die Angestellten der Nachtschicht aus den Schlafsälen in die Gemeinschaftsbüros. Tageszeiten sind im Inneren des Mondes nur ein Konzept, und doch ist die Arbeit nach ihnen getaktet. Einer der Fahrstühle fährt die Versetzten zur abgewandten Seite. Es heißt, die Unternehmensleitung will kultische Rituale vermeiden: mit Kerzen gesäumte Korridore, Trosse trauender Familienmitglieder, Gesänge von Kollegenchören. All das soll es früher gegeben haben, aber das sind Geschichten. Angestellte werden nachts lautlos geholt, sobald sie das dritte Stadium erreichen. Nur sie kennen Zeitpunkt und Umstände. Und es ist ihnen verboten, davon zu erzählen.“ Text Wow, Science Fiction. Endlich mal ein anderes Genre. Und dann traut sich sogar jemand, mit Sprache zu spielen und dem Literaturbetrieb den Spiegel vorzuhalten. Mit solchen Frechheiten hat hier schon einmal jemand gewonnen: Christina Böhm, vor zwei Jahren. Sprecher: Schaukelgestühl ganse en bräune von Dimitrij Gawrisch Lesung: „Bist du nicht bei Trost? Er machte auf, strich mit dem Zeiger über die Blätter und entlud sie explosiv auf meiner Schreibstütze. Wie kommst du mir nichts, dir nichts dazu, sowas zu schreiben?, war Fred laut. Und hat enzyklopädiert wie ein kommunistischer Großvater, dass meine neuen Lektüren meinen Lektürern nicht mehr in die Hirne wollen, dass meine Lektürer über meine Lektüren sogar nur noch die Hirne schwenken und meinen Lektüren den Rücken kehren. Dass ich mich wieder im Bewährten über Mannweibliches und Berlinerisches üben solle statt bei der Vorhut anzuheuern. Atmo, Applaus, darauf Text Bravo! Da erfindet jemand eine neue, charmant altmodische Sprache, die mühelos auch für Außenstehende Sinn ergibt, jagt einen „Mistflügler“ statt einer Fliege, hat einfach Freude am Schreiben und kann die mit seinem Vortrag dem Publikum vermitteln. Atmo Pause, im Hof, steht kurz frei, darauf Text Nach all dem Mannweiblichen und Berlinerischen ein literarisches Experiment, die große Ausnahme beim „Open Mike“. Und das von einem Vertreter der langsam zahlreicher werdenden Kandidaten, deren Eltern aus anderen Kulturen kommen. Jurorin Jenny Erpenbeck ist angetan. O-Ton Jenny Erpenbeck „Ich mag auch wirklich Leute gern, die mit Sprache was anfangen, die Spiele machen mit Sprache, die Spaß haben, aber auch das ist selten. Also auch jemand, der sich mit einem sagen wir mal sinnlichen Vergnügen in dieses Material so reinwirft, auch diese Sinnlichkeit fehlt mir manchmal ein bisschen. Und es ist mir manchmal ein bisschen zu ordentlich, also dass ich denke, die sind doch jung! Die könnten ja noch ein bisschen unverschämter sein und … also manche Texte haben mir gut gefallen, aber so in der Menge vermisse ich so ein bisschen die Geschichten, die aus dem Leben kommen.“ Text Lieber etwas erleben statt Literatur zu studieren? Ist das Jenny Erpenbecks Rat für angehende Schriftsteller? O-Ton Jenny Erpenbeck „Ich finde eigentlich, die wirklich wichtige Sache ist – und das merke ich auch hier bei dem Wettbewerb – die Lebenserfahrung ist wichtig und wirklich Dinge machen, die real sind, die mit den grundlegenden Dingen zu tun haben, mit Tod, mit Leben, mit Alter. Also ich denke, wenn jemand als Krankenpfleger arbeitet, hat der vielleicht eine bessere Ausbildung, um später gute Bücher zu schreiben, als wenn er am Literaturinstitut studiert hat, weil das Literaturinstitut natürlich etwas Selbstbezügliches auch ist. Ich finde, gerade in einer Zeit, wo man selber noch jung ist, sollte man die Zeit benutzen, um zu leben erst mal, um Brüche zu erfahren, um zu scheitern, um Sachen auszuprobieren, um in andere Länder zu gehen, zu schauen, wie leben die Leute.“ Lesung „das problem ist, man kann leuten nicht immer träume in den arsch schieben und hoffen, dass sie irgendwann im kopf ankommen. das ist wie mit dem mittwoch: meistens sieht man ihn kommen und tut trotzdem nichts.“ Sprecher: Lea Schneider, Gedichte. O-Ton Raphael Urweider „Es gibt natürlich schon so eine Art Verflachung, also man merkt, dass es immer weniger Autodidakten in dem Literaturzirkus gibt.“ Sprecher: Jenny Erpenbecks Jury-Kollege, der Schweizer Lyriker Raphael Urweider. O-Ton Raphael Urweider „ Der Betrieb ist immer schon in diesen Schulen, der Literaturbetrieb, also die Augen der Lektoren, der Verlage, der Zeitschriften, die sind schon immer auf diesen Schulen. Also die Leute wissen, wann, wo ihre Texte einschicken, was für ein Publikum, Zielpublikum es gibt und so weiter. Natürlich ist Handwerk eine feine Sache, aber es gibt kein Handwerk, das sich für alle Texte eignet. Man muss jeden Text mit einem eigenen Handwerk angehen, denke ich.“ Musik: „Monte Rosa“ Interpret: Fritz Kalkbrenner Komponist: Fritz Kalkbrenner Label: Suol Music GmbH, LC-Nr. 24407 Text Es ist kurz vor der Preisverleihung, der Saal füllt sich, angespannt suchen sich die 20 Kandidaten Plätze vor der Bühne, umklammern ihre Manuskripte, hoffen, dass sie als Sieger noch ein Stück aus ihrem Text lesen werden. Doch die Jury lässt sich Zeit. Literaturagentin Astrid Poppenhusen: O-Ton Dr. Astrid Poppenhusen „Die Texte waren fast alle sehr gut durchgearbeitet, auch schon sprachlich sehr gut. Die waren sehr, sehr professionell vorgetragen und das fällt schon fast ein bisschen auf, dass man merkt, wie gründlich sie geglättet worden sind – das ist schon ganz wörtlich zu verstehen. Es ist nicht unbedingt negativ, aber manchmal darf es durchaus ein bisschen rauer sein und hier ist schon sehr, sehr viel sehr professionell von ganz jungen Autoren. Ich habe manchmal die Befürchtung, dass die jungen Autoren dann denken, sie müssten so schreiben und da geht aber manchmal vielleicht etwas verloren. Und das darf, von mir aus dürfte es ruhig ein bisschen rauer sein.“ Atmo voller Saal, darauf Text Die Jury ist zu einer Entscheidung gelangt, es geht los. Doch zuerst vergibt die Publikumsjury der taz einen Preis – und zwar für Lyrik, zum ersten Mal in der Geschichte des „Open Mike“: Atmo-O-Ton taz Publikumspreis „Die Entscheidung changierte zwischen gutem Handwerk und Innovation. Gewonnen hat ein Text mit wechselnden Geschwindigkeiten, mit übergreifenden Motiven und nachhallenden Klängen. Wir vergeben dieses Jahr 2013 den taz-Publikumspreis an Maren Kames.“ Atmo, Applaus, darauf Text Da jubeln die Hildesheimer: Maren Kames mit ihren der Prosa zugeneigten Gedichten ist eine von ihnen. Lesung: Shutter Island „zigmal stinkts dir weil du nix putzt guckst du blindlings stehn die Spiegel. Und du kotzt x-mal im Trapez. Kappst Strippen über Land kippst Brücken. Klappst dich rittlings zum Quadrat bis’ knittert. Passt dich zittrig ins Format, kickst Start klickst ja und sag mal, spinnst du?“ Atmo-O-Ton Raphael Urweider „Wir hätten am liebsten mehr als vier Preise vergeben, am liebsten 20, aber wie schon gesagt wurde: Es ist eine riesige Auszeichnung, überhaupt hier hin eingeladen zu sein. Und ich denke, ihr wurdet alle gehört. Wir möchten mit dieser Empfehlung das Talent und die erstaunliche künstlerische Reife einer Autorin honorieren und werden mit Spannung und Freude ihre literarische Laufbahn verfolgen. Die Empfehlung geht an Paula Schweers.“ Atmo, Applaus, darauf Text Drei Hauptpreise kann die Jury vergeben, für Prosa und für Lyrik, mit insgesamt 7500 Euro dotiert und mit einer Lesereise nach Bern, Wien und Frankfurt. Atmo-O-Ton Ulrich Peltzer „Ein Preis geht an einen Autor und eine Geschichte, die von einem profunden Interesse für andere Menschen zeugt. Wir glauben, dass die Lebenserfahrung des Autors ihn befähigt, Probleme und Realitäten ohne Sentimentalität und aufgesetztes Mitleid in eine Narration zu übersetzen, die in klassischer Manier welthaltig ist und Protagonisten eine Stimme gibt, die normalerweise keine haben. Dieser Open Mike Preis geht an Jens Eisel.“ Atmo, jemand schreit „Ja!“, Applaus, Jubel, Lesung: „Samir wettete auf alles, auf Boxkämpfe, Pferderennen und Fußballspiele. Er wettete auf Eishockey und amerikanischen Baseball. Manchmal gewann er, aber verglichen mit den Einsätzen waren die paar Euros ein Witz, und meistens verspielte er das Geld noch am selben Abend in einer der Automatenspielhallen auf der Reeperbahn. Seine Frau war ihm weggelaufen, er schuldete einer Menge Leute Geld, er hatte sein Auto verkauft, seinen Job verloren, und manchmal kam es ihm vor, als wäre das Glück sein persönlicher Gegner. Aber all das hinderte ihn nicht daran weiterzumachen.“ Atmo, Gelächter, Applaus, darauf Text Für Jens Eisel hat sich der „Open Mike“ gelohnt: Vom Schlosser zum Schriftsteller, den Verlagsvertrag schon in der Tasche. Und sein Lektor Thomas Tebbe ist froh, denn ein „Open Mike“-Preisträger verkauft sich besser. Deutschsprachige Debütanten sind schwer genug unterzubringen. Atmo-O-Ton Jenny Erpenbeck „Also der nächste Preis geht an einen Autoren, der sprachlich viel wagt und einen ungewöhnlichen und inspirierenden Blick aufs deutsche Vokabular wirft, dabei auch durchaus in selbstironischer Weise mit seiner Stellung im gängigen Literaturbetrieb umgeht. Es ist ein Autor, dessen – im schönsten Sinne – jugendlicher Spieltrieb eine hochartistische Sprache mit Leben erfüllt. Der Preis geht an Dmitrij Gawrisch.“ Atmo, Applaus, Dimitrij Gawrisch weiß erst nicht, was er lesen soll, Zuruf aus dem Publikum: „Den Schluss!“, gut, sagt er, liest aus „Schon ist der Stern abgetaucht und ich muss den Dochtstummel anwärmen, um den Kammern Helligkeit zu lehren. Ich platze das entjungferte Heft in den Roller zurück, entsorge die angestumpfte Kohle und den Findrich und melde mich zur Rast zurück. Doch zuvor krankt eine Beschwerde: der Schaukelstuhl, der meinen Weg sperrt, meinen Großen Zeh breit, wenn ich keine Acht spende, und mich übergiebig macht, selbst wenn ich mich besinne, in ihm sachte hin und her zu kippen. Ich lüpfe ihn aus meiner Kammer ins Jenseits, packe einen Hacker aus dem Verschlag an und verkleinere das Ding maßstabsgetreu zu Futter für die Glut. Atmo Applaus, darauf Text Den Lyrikpreis vergibt die Jury ebenfalls an Maren Kames aus Hildesheim. Kreuzblende zu Atmo Gang zum Pressegespräch, darauf Text Zum Sieg beim „Open Mike“ gehören auch die Presseinterviews. Jens Eisel, der sich ohnehin ungern in den Vordergrund drängt, wünscht sich, er wäre schon zu Hause in Leipzig bei Freundin und Tochter. Doch er müht sich tapfer, die Fragen nach dem Ursprung seiner Story zu beantworten. O-Ton Jens Eisel „Ich komme aus Sankt Pauli, weil ich sehr lange bei der Diakonie Sankt Pauli gearbeitet habe und da Alkoholiker und Junkies betreut habe. Und da kommt viel Stoff her. Keine Geschichte ist eins zu eins aufgeschrieben, da kamen einfach Ideen her. Also ich habe halt einfach sehr lange mit Menschen gearbeitet, die nicht viele Chancen hatten, und irgendwie musste das raus.“ Text Der lässige Sprachspieler Dimitrij Gawrisch, in Kiew geboren, in Bern aufgewachsen, hat in der Schweiz Wirtschaft studiert und lebt jetzt in Berlin. Er spricht Ukrainisch und Russisch und schreibt auf Deutsch. O-Ton Dimitrij Gawrisch „Ich glaube, jeder, der schreibt, spielt mit Sprache. Ich glaube, schreiben ist eine Auseinandersetzung mit der Sprache, eine Beschäftigung mit der Sprache, auch eine Veränderung von Sprache. Ich glaube, zu diesem Text, den ich heute geschrieben habe, der überhaupt nichts zu tun hat mit meiner Herkunft, hat doch so ein Interesse, das aber aus meiner Herkunft kommt. Der Beginn vielleicht einer Suche, was Sprache ist und wie sich Sprachen ineinander transportieren können. Weil ich es total interessant finde, wie Sprachen funktionieren, wie Sprachen klingen und wie Sinn in die Worte geladen wird und wie zufällig dieser Sinn auch ist.“ Text Dimitrij Gawrisch war an keiner Schreibschule, vielleicht hat er deswegen einfach Spaß mit seinem Text. Das Handwerk für Prosatexte mag man ja an solchen Instituten lernen können, aber das Gedichteschreiben doch wohl eher nicht? O-Ton Maren Kames „Doch, doch, das kann man schon. Also ich bin nach Hildesheim vor drei Jahren gekommen und hatte mit Lyrik nichts am Hut und habe aber schon immer sehr sprachlich gearbeitet und bin in Hildesheim immer kürzer geworden, bis man es irgendwann nicht mehr Prosa nennen konnte, so. Darüber bin ich zum Gedicht gekommen. “ Text Maren Kames‘ dichtende Kollegin Janin Wölke aus Leipzig trinkt drinnen im sich leerenden Saal erst einmal einen Schnaps auf die Enttäuschung. O-Ton Janin Wölke „Also ich war jetzt die zwei Tage total angespannt. Also für mich war das ein unglaublicher Schritt, das zu machen. Deswegen wäre es natürlich auf jeden Fall toll gewesen, wenn man das noch irgendwie honoriert bekommen hätte, so fällt man jetzt unter – einfach weg, so, unter die anderen 15, unter die anderen 16, unter die anderen 17, die nichts gewonnen haben.“ Atmo, Gespräch Lektor Ruzicska mit Paula Schweers Text Paula Schweers kann mit der Empfehlung der Jury in diesen ersten Momenten nicht viel anfangen. Doch der Wettbewerb hat sie weiter gebracht: Lektor Christian Ruzicska will mit ihr zusammen arbeiten. O-Ton Paula Schweers „Es ist natürlich auch eine tolle Auszeichnung erst mal, ne? Also ich glaube, ich brauche jetzt erst mal ein bisschen Ruhe und dann kann ich das mit ein bisschen Abstand, glaube ich, auch gut annehmen, so wie es ist. Also natürlich, es ist so ein bisschen merkwürdig, da noch zusätzlich genannt zu werden, aber trotzdem. Und dann wird man sehen. Wir bleiben jetzt in Kontakt, das ist auch eine super, super Chance und da freue ich mich ganz doll drüber, also bin ich echt glücklich, dass das jetzt so funktioniert hat bisher.“ Text Denn beim „Open Mike“ geht es nicht nur darum, die Preise zu ergattern, sondern sich zu präsentieren, Kontakte zu knüpfen zu Agenten und Lektoren, im Literaturbetrieb Fuß zu fassen. Wer dann letztlich gewinnt, ist nicht unbedingt entscheidend für den weiteren Werdegang eines Autors. 4