COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport vom 2.11.2011 Die CSU - zwischen Euro und Ude - Ein Stimmungsbild Autor: Michael Watzke ATMO GLOCKENSPIEL Donauwörth. Ein 18.000-Einwohner-Städtchen im bayerischen Schwaben. Das Glockenspiel des Rathauses am Marktplatz spielt die Melodie "Danke für diesen guten Morgen". ATMO GLOCKENSPIEL Doch der Morgen in Donauwörth ist alles andere als gut. Das kann man am Gesicht von CSU-Oberbürgermeister Armin Neudert ablesen. Neudert ist enttäuscht. Vor einer Woche hat die Bundeswehr entschieden, 1000 Soldaten aus dem Truppenstandort Donauwörth bei Augsburg abzuziehen. TAKE 1 - ARMIN NEUDERT "Das ist ein ganz massiver Einschnitt. Das hat natürlich bedeutende Auswirkungen. Das ist eine Herausforderung für uns. Wir werden die Ärmel hochkrempeln. Und wir werden massiv Kompensationen des Bundes einfordern im Rahmen von Konversions-Programmen. Da geht es um Gebäude, um Altlasten. Das alles muss auch gelöst werden, wenn wir hier eine Perspektive entwickeln wollen." Donauwörth ist doppelt betroffen von den Einsparmaßnahmen der Bundeswehr-Reform. Nicht nur durch den Truppenabzug, sondern auch, weil die Bundeswehr viel weniger neue Militär-Hubschrauber von Eurocopter kauft als geplant. In Donauwörth steht ein großes Eurocopter-Werk. 5000 Menschen arbeiten hier für den deutsch- französischen Hubschrauber-Hersteller. Viele haben nun Angst um ihren Job - und erinnern sich, dass es ein CSU-Minister war, der die schmerzhafte Bundeswehr-Reform anstieß: Freiherr Karl-Theodor von und zu Guttenberg, Ex-Verteidigungs-Minister. Er schleifte die Wehrpflicht, eine jahrzehntelange Bastion der Christsozialen. Inzwischen wohnt Guttenberg in einer Villa in Connecticut im fernen Amerika. Armin Neudert, der Donauwörther Oberbürgermeister von der CSU, denkt heute mit gemischten Gefühlen an den Freiherrn zurück. TAKE 2 - ARMIN NEUDERT "Sicherlich - wenn man berührt ist, sieht man das mit anderen Augen. Natürlich kann ich nicht sagen: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Aber man tut sich leichter, wenn man nicht berührt ist. Wir sind diejenigen, die leidtragend sind." Leidtragend ist vor allem der bayerische Südwesten. Aber auch andere Regionen im Freistaat kämpfen mit dem Abzug der Bundeswehr. Bayern verliert 40% der hier stationierten Truppen - viel mehr als CSU-Chef Seehofer angekündigt hatte. Das hat die Beliebtheit des Ministerpräsidenten nicht gesteigert. Schließlich ist es aus der Sicht des bayerischen Wählers Seehofers Aufgabe, in Berlin möglichst viel für Bayern herauszuholen. Die Sonderrolle der CSU auf Bundesebene ist das größte Pfund, mit dem der Ministerpräsident wuchert. Diese bajuwarische Extraposition muss sich daheim auszahlen, sonst ist die Stellung der CSU gefährdet. Doch bei immer mehr Bürgern zwischen Aschaffenburg und Zwiesel hat Seehofer den Ruf, zu häufig zu versprechen und nicht zu liefern. Sein Kurs ist vielen zu sprunghaft, seine Erfolge bescheiden. Professor Werner Weidenfeld, der Direktor des "Centrums für angewandte Politikforschung (CAP)" in München, analysiert die Entscheidungen des Ministerpräsidenten. TAKE 3 - PROFESSOR WERNER WEIDENFELD "Zu Seehofers Politik-Profil gehört natürlich, von Position zu Position zu springen. Ich darf sie daran erinnern: als Guttenberg die Bundeswehr-Reform ankündigte, hat Seehofer erklärt: Nein, das gibt es nicht. Das verletzt die Identität der CSU. Vier Wochen später, als er merkte, dass alle Guttenberg folgen bei dieser Reform, war er auch dafür. Die CSU hat die Reform mit verabschiedet. Jetzt aber, wo sie Konsequenzen in Bayern zu tragen hat, ist sie natürlich wieder ziemlich dagegen und will nichts davon wissen, dass sie dem ganzen ja zugestimmt hat. Also das ist schon ein gewisses Taumeln, in dem sich die CSU befindet. Und das macht sie schwerer kalkulierbar in diesem Kräftefeld." Horst Seehofer, der Taumler. Was anfangs wie schlafwandlerisch sichere Intuition im Umgang mit Wählerstimmungen wirkte, ist einer hektischen Zickzack-Linie gewichen. Nicht nur bei der Bundeswehr- Reform. Auch die Rente mit 67, die Studiengebühren und zuletzt der Atomausstieg und die Energiewende - mal ist Seehofer dafür, dann wieder dagegen. Den größten Glaubwürdigkeitsverlust allerdings hat Seehofer in der letzten Woche erlitten. Beim Thema Euro-Rettung. Denn der bayerische Ministerpräsident hatte sich vor dem EU-Gipfel weit aus dem Fenster gelehnt und jede Art von Finanz-Hebel für den Rettungsfonds EFSF kategorisch ausgeschlossen. TAKE 4 - HORST SEEHOFER "Nein! Und im Gegensatz zu dem, was gerne über mich verbreitet wird: wenn ich mal Nein sage, ist Nein gesagt. Ihr glaubt uns nie, wenn wir am Montag in München was erzählen, dass wir das dann draußen auch so machen. Dazu sind wir aber da." Eine rote Linie hatte Seehofer noch auf dem CSU-Parteitag in Nürnberg Anfang Oktober gezogen. Bis hierher und nicht weiter. Das Ausfallrisiko der deutschen 211-Milliarden-Euro-Bürgschaft dürfe nicht durch finanztechnische Mechanismen ausgeweitet werden. Genau das aber beschloss der Bundestag vor einer Woche. Mit den Stimmen der CSU. Viele konservative Wähler im traditionell eher europa-kritischen Bayern hatten auf Seehofers Standfestigkeit gezählt: TAKE 5 - UMFRAGE "... und leider, muss ich sagen, sagt uns die Politik da nicht die Wahrheit. Das ist nicht schick, sowas, von einem Ministerpräsidenten." TAKE 6 - UMFRAGE "Ich erwarte mir von dem gar nichts mehr. Weil der nichts drauf hat. Ich tät es besser finden, wenn man die Mark wieder einführen würde. Weil das die eigene Währung ist. Das ist unser eigenes, erwirtschaftetes Geld, da haben die anderen nix davon." TAKE 7 - UMFRAGE "Wir haben schon immer, das ganze Leben, haben wir die anderen mitziehen müssen. Von denen haben wir noch nie was bekommen. Wir haben immer nur geben müssen. Immer nur Deutschland als Zahlmeister zu nehmen, finde ich nicht gut. Man wird da vor Dinge gesetzt, da fragt man sich manchmal: wo bleibt unsere Politik?" Für die Euro-Skeptiker in der bayerischen Wählerschaft hatte die CSU bisher Peter Gauweiler. Der alte Münchner Polit-Haudegen und Ziehsohn von Franz-Josef Strauß füllt die Bierzelte von Oberfranken bis Niederbayern. Mit markigen Anti-Europa-Parolen und heftigem Greinen gegen die Griechen: TAKE 8 - PETER GAUWEILER "Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe gegen den Griechenland-Kredit gestimmt. Der vorgesehene Kredit tut die Kredit- Junkies nur ermutigen, dass es Stoff ohne Ende gibt. Das ist wie Schokolade für Zuckerkranke. Und wir weigern uns, dies durch die Hintertür des Brüsseler Apparates unter dem Druck von irgendwelchen Finanzgangstern jetzt zuzulassen." Die rote Linie bei der Euro-Rettung - für Peter Gauweiler ist sie eine scharfe und längst überschrittene Grenze. Für Horst Seehofer, so lästert Gauweiler gern hinter vorgehaltener Hand, muss eine rote Linie nicht zwingend eine Gerade sein. "Seehofer, die Wanderdüne" nennen sie den Parteichef in CSU-Kreisen hinter vorgehaltener Hand. Gauweiler dagegen heißt seit Jahren der "schwarze Peter". Er hat in der CSU viele Unterstützer - trotzdem haben ihn die Delegierten des Parteitages nicht zum stellvertretenden Vorsitzenden unter Horst Seehofer gewählt. Gauweiler hatte nach der knapp verlorenen Wahl gegen Peter Ramsauer geätzt, die Delegierten hätten sich zubetonieren lassen. Weil der Bundesverkehrsminister den Kommunalpolitikern Umfahrungsstraßen und Bahnverbindungen versprochen habe. Die CSU-Basis, glaubt Politik-Professor Werner Weidenfeld, habe Pragmatismus statt Leidenschaft walten lassen: TAKE 9 - PROFESSOR WERNER WEIDENFELD "Ich habe mit vielen Delegierten nach dem Parteitag gesprochen, da finden sie praktisch keinen, der Ihnen offen sagt: ich habe den Gauweiler nicht gewählt. Das signalisiert die innere Spannung in der CSU. Gauweiler steht für die Sehnsucht nach der alten, erfolgreichen Franz-Josef-Strauß-CSU. Dafür steht er. Deshalb ist er so populär. Und daneben steht die pragmatisch-machttechnisch sich organisierende CSU, also Seehofer und seine Mannschaft. Und diese Spannung war beim Nürnberger Parteitag dramatisch greifbar." Die Spannung innerhalb der CSU wächst mit jeder neuen Bundestags- Entscheidung zum Euro-Rettungsschirm. Aus den roten Linien in Seehofers Europa-Politik hat die Partei bisher keinen roten Faden spinnen können. Noch eine Erweiterung des Stabilitätspaktes, und die CSU könnte zerreißen. Das alte Mantra von Franz-Josef Strauß, dass sich rechts von den Christsozialen in Bayern keine Partei etablieren dürfe - es müsse weiterhin gelten, fordert der junge Münchner CSU- Landtags-Abgeordnete Markus Blume. TAKE 10 - MARKUS BLUME "Die Gefahr ist, dass man den einen oder anderen abhängt. Diese Gefahr sehe ich, sehen wir. Es ist in den letzten Wochen durchaus auch innerparteilich deutlich geworden, dass die Kollegen in Berlin und die Landtags-Abgeordneten hier in München durchaus in unterschiedlicher Verantwortung stehen. Ich würde mal behaupten, der bayerische Landtags-Abgeordnete ist natürlich sehr nahe an der Bevölkerung und auch an der Befindlichkeit, die hier herrscht. Und die ist schon von Sorge getragen, wie geht's denn weiter? Auf der anderen Seite stehen die Berliner Kollegen natürlich sehr stark unter dem Eindruck dessen, was in bundes- und europapolitischer Verantwortung notwendig ist. Dieser Spagat führt innerparteilich durchaus an einigen Stellen dazu, dass nicht so mit einer einheitlichen Stimme gesprochen wird, nicht so eine klare Ansage kommt, wie man das vermuten würde." Markus Blumes Aussage ist vorsichtig ausgedrückt. Andere CSU- Landtags-Abgeordnete zweifeln die intellektuellen Fähigkeiten der Partei-Kollegen in der Landesgruppe an. "Die in Berlin sitzen doch alle auf Muttis Schoß und fressen Angela aus der Hand", heißt es abfällig in München. Alle bis auf Gauweiler natürlich, den Münchner Bundestags-Abgeordneten. Der sollte nach seiner Wahlniederlage beim Parteitag eigentlich ein europa-politisches Amt bekommen. Das hatte Parteichef Seehofer angedeutet, um die Europa-Skeptiker in der CSU zu besänftigen und einzubinden. Manche fürchten nämlich, der schwarze Peter könnte wie beim gleichnamigen Kartenspiel am Ende auf einer ganz anderen Hand auftauchen. Markus Ferber allerdings, der Chef der CSU-Europa-Gruppe im EU-Parlament, sieht dafür keine Notwendigkeit: TAKE 11 - MARKUS FERBER "Auf dem Parteitag gab es viele Kandidatinnen und Kandidaten, die nicht in den Parteivorstand gewählt wurden. Genauso wie Dr.Peter Gauweiler. Und jetzt für jeden einen neuen Job zu finden, nur weil er sich einer Kandidatur unterzogen hat, ist nicht die richtige Lösung. Peter Gauweiler kann als Bundestags-Abgeordneter in ganz Bayern auftreten. Er hat über die Medien, über das Forum des Bundestages, genügend Auftritts-Möglichkeiten. Er ist ein versierter Politiker. Und im Jahr 2013 haben sich alle im Dienste der Partei einzubringen, damit wir ein möglichst gutes Wahlergebnis erzielen. Und ich gehe davon aus, dass Peter Gauweiler das auch ohne besondere Funktion tun wird." Dabei HAT Peter Gauweiler eine besondere Funktion, die ihn von fast allen anderen CSU-Politikern unterscheidet. Gerade mit Blick auf die bayerische Landtagswahl, die der CSU im Jahr 2013 bevorsteht: Gauweiler hat bereits einen Wahlkampf gegen den Mann hinter sich, den Horst Seehofer 2013 schlagen will. Christian Ude. Der SPD- Oberbürgermeister von München ist frisch gekürter Spitzenkandidat der bayerischen Sozialdemokraten. Gauweiler spricht mit viel Respekt von und über Ude. Er warnt: TAKE 14 - PETER GAUWEILER "Aufpassen. Nicht auf die leichte Schulter nehmen. Das ist eine ernste Herausforderung, und ich fände es ganz ungekonnt, wenn man da so täte, als ob man davon nicht beeindruckt wäre. Man sollte es Ude nicht zu leicht machen. Ich hab die Erfahrung gemacht, dass ich gegen Ude verloren hab." 1993 war das. Der populäre Gauweiler trat bei der Oberbürgermeisterwahl in München gegen den damals noch ziemlich unbekannten Ude an - und verlor. Nun hat Ude erneut einen fulminanten Wahlkampf-Start hingelegt, diesmal auf Landesebene. Mit Hilfe des beliebten Oberbürgermeisters hat die Opposition in Bayern aus dem Stand etwas geschafft, dass ihr im Freistaat seit Jahrzehnten nicht mehr gelungen war: in den neuesten Umfragen haben SPD, Grüne und freie Wähler rechnerisch eine Mehrheit vor der aktuellen Regierung aus CSU und FDP. Wären am Sonntag in Bayern Landtagswahlen, dann könnte Christian Ude Ministerpräsident Horst Seehofer ablösen. Manche sprechen schon von einer Christianisierung Bayerns. Zwar stehen die Oppositionsparteien untereinander noch vor gewaltigen Meinungsverschiedenheiten. Die erste Euphorie könnte bald verflogen sein. Und dennoch hat der Ude-Schock der CSU einen gehörigen Schrecken eingejagt, sagt der Münchner Politik- Wissenschaftler Professor Werner Weidenfeld. TAKE 12 - PROFESSOR WERNER WEIDENFELD "Die CSU ist innerlich mit sich nicht mehr im Reinen, weil sich zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Möglichkeit ergibt, dass sie künftig nicht mehr an der Regierung ist. Dass sind doch Abgründigkeiten in der Tradition bayerischer Politik, allein an so was nur zu denken!" Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, der bisher noch nie eine Landtagswahl gewonnen hat, könnte zum Abwickler von fast 6 Jahrzehnten ununterbrochener CSU-Herrschaft in Bayern werden. Die SPD tönt bereits, der CSU-Chef werde nervös. Das zeige sein emotionaler Zornes-Ausbruch im Steuersenkungs-Streit mit der Kanzlerin. In der CSU dagegen will man Seehofers forsches Auftreten als neue Ernsthaftigkeit interpretieren. Die Ankündigung von Udes Gegenkandidatur habe den Ministerpräsidenten diszipliniert. Das gelte für die gesamte Partei, sagt der CSU-Landtags-Abgeordnete Markus Blume: TAKE 13 - MARKUS BLUME "Es hat zu einer neuen Ernsthaftigkeit geführt bei uns in der CSU: wie wir uns aufstellen, mit welchen Themen wir strategisch in die nächsten zwei Jahre gehen. Es ist jedem klar, dass die restliche Legislaturperiode 2012, 2013 sowohl im Land als auch im Bund kein Spaziergang wird. Dass es nicht reicht, hier auf Halten zu spielen. Ich glaube, diese Ernsthaftigkeit tut uns selbst gut und führt auch zu besseren Ergebnissen." Wie genau sich Seehofers neue Ernsthaftigkeit auf die bayerische Politik auswirkt, ist noch offen. In den letzten Wochen hat der CSU- Chef in Berlin keine Gelegenheit ausgelassen, sich als Quertreiber aus dem Süden zu präsentieren. "So kann die Kanzlerin nicht mit uns umspringen", ließ der bayerische Ministerpräsident verbreiten, nachdem Bundesfinanzminister Schäuble, CDU, und FDP- Wirtschaftsminister Rösler einen Steuersenkungsplan vorgestellt hatten - angeblich ohne vorherige Absprache mit der CSU. Auch Horst Seehofer möchte die Steuern senken - allerdings anders als die Kanzlerin. Er will den Solidaritäts-Zuschlag verringern statt die Einkommenssteuer. Als Grund nennt Seehofer, dass die Senkung des Soli im Bundesrat keine Zustimmung braucht, eine Einkommenssteuer-Senkung dagegen schon. Und im Bundesrat würde die Koalition keine Mehrheit erreichen, erklärt Seehofer, der in dieser Woche den Vorsitz der Länderkammer übernimmt. Seehofer will die Senkung des Soli aber nicht nur aus Gründen der leichteren Machbarkeit. Er weiß, dass der Solidaritäts-Zuschlag die Steuerzahler in Bayern stärker trifft als in anderen Bundesländern. Auch deshalb ist der Soli in Bayern besonders unbeliebt. Gerade in den strukturschwachen bayerischen Grenzregionen zu Sachsen und Thüringen. Dort fragen sich auf bayrischer Seite viele Bürger, warum sie Geld für den Osten berappen sollen, obwohl es den Gemeinden jenseits der Grenze finanziell und wirtschaftlich oft besser geht als den Bayern. Seehofer könnte mit seinen Steuersenkungs-Plänen in Bayern stärker punkten als mit dem Kampf gegen die kalte Progression. Mancher Beobachter hatte in Seehofers steuerpolitischen Zornanfall schon Anzeichen dafür gesehen, dass Seehofer einen Ausstieg aus der Koalition in Berlin vorbereite. Professor Werner Weidenfeld vom Münchner Centrum für angewandte Politikforschung hält das für unwahrscheinlich: TAKE 15 - PROFESSOR WERNER WEIDENFELD "Also das wäre wirklich ein Harakiri-Vorgang. Wenn Sie Seehofer ein Harakiri zutrauen, dann ist ja überhaupt nichts auszuschließen. Aber würde man einen solchen Schritt ernsthaft angehen - und nicht nur so als taktisches Geplänkel ein wenig damit spielen - dann wäre das ein wirklicher Schritt zum Macht-Aus der CSU. Denn damit würden Sie eine neue Konstellation in Berlin herbeizimmern, und in dieser neuen Konstellation würde die CSU faktisch keine Rolle mehr spielen. Das kann nicht die Ambition der CSU sein." Derzeit muss sich CSU-Chef Seehofer ohnehin stärker um seine Regierung in München kümmern als um jene in Berlin. Nicht die Kanzlerin, sondern ein langjähriger Vertrauter aus der eigenen Partei bereitete dem bayerischen Ministerpräsidenten einen empfindlichen Rückschlag. Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon kündigte an, er werde sich für das Amt des Deutschen Sparkassen-Präsidenten bewerben. Seehofer hatte wochenlang versucht, das wichtigste Mitglied seines Kabinetts im Amt zu halten. Der erst 43jährige Fahrenschon, so hatte Seehofer mehrmals versichert, sei in der CSU für höhere Weihen geeignet. Denn der Münchner galt nicht nur als eines der kompetentesten Mitglieder des schwarz-gelben Kabinetts im Freistaat. Sondern auch als eines der beliebtesten - obwohl er oft mit harter Hand Bayerns ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung verteidigte - gegen die finanziellen Begehrlichkeiten vieler Kabinettskollegen. Und, wie es aus CSU-Kreisen heißt, auch immer häufiger gegen den Ministerpräsidenten selbst. Nun muss und wird Seehofer in Bayern eine Kabinetts-Umbildung vornehmen. Für Fahrenschons Nachfolge im Finanzministerium kommen mehrere Minister in Betracht. Besonders häufig fallen die Namen von Bayerns Innenminister Joachim Hermann und dem aktuellen Umweltminister Markus Söder. Die außerplanmäßige Kabinetts-Umbildung sorgt nicht unbedingt für Ruhe in der Partei. Außerdem fehlt der CSU langsam geeignetes Personal. Nach dem erzwungenen Abgang von Karl-Theodor zu Guttenberg ist mit Fahrenschon eine weitere Nachwuchs-Hoffnung abgesprungen. Hätte die CSU nicht so große Personalsorgen, wäre ein Mann wie Georg Schmid, genannt Schüttelschorsch, wahrscheinlich schon längst nicht mehr CSU-Fraktionsvorsitzender im Bayerischen Landtag. Der Schüttelschorsch gilt vielen CSU-Abgeordneten im bayerischen Maximilianeum als ein Grund für die derzeitige Schwäche der Landes-CSU. Die Zeiten, in denen die bayerische CSU-Fraktion die Herzkammer der Chrsitsozialen war, sind lange vorbei. Dabei ist diese Herzkammer besonders wichtig, erklärt Politikprofessor Werner Weidenfeld: TAKE 16 - PROFESSOR WERNER WEIDENFELD "Die CSU muss eine erfolgreiche Landespolitik betreiben und damit die Verkörperung dieses Freistaates sein. Und sie muss gleichzeitig eine kraftvolle handschrift in der Bundespolitik haben. Das macht den Erfol,g der CSU über die Jahrzehnte aus. Sie darf nie auf Bundesebene klein beigeben. Sondern kraftvoll dagegenhalten, egal ob sie in der Regierung oder der Opposition ist. Und gleichzeitig muss sie eine erfolgreich ausstrahlende Landespolitik machen. Das muss die Ambition der CSU sein, wenn sie mittelfristig erfolgreich bleiben will." Derzeit wirkt die CSU, als sei sie eingeklemmt zwischen Euro und Ude. Als seien Seehofers Bayern zwischen Berlin und Brüssel festgezurrt wie in einem Schraubstock. Das einzige, was derzeit für die CSU zu laufen scheint, ist der Faktor Zeit. Bis zur nächsten Landtagswahl in Bayern sind es 22 lange Monate. Der Glockenturm des Rathauses von Donauwörth spielt bis dahin noch genau 1623-mal "Danke für diesen guten Morgen".