COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Literatur: 16.6.2009, 19.30 Uhr ?Und Hermann, der Cherusker, endlich! ? Dichter erfinden die erste Leitfigur der Deutschen Eine Sendung von Paul Stänner Redaktion: Barbara Wahlster Regie Geräusche im Freien, im Hintergrund Fahrzeuge Erzählerin Bramsche-Kalkriese, wenige Kilometer nordwestlich von Osnabrück, ist ein sehr ruhiger Fleck. Auf der südlichen Seite liegt ein kleiner Berg von maximal 120 Meter Höhe. Nach Norden hin erstreckt sich eine abschüssige, flache Wiese über 2- bis 300 Meter bis zum Mittellandkanal. Die Wiese ist ein Museumspark. Türgroße Metallplatten liegen in einem weich geschwungenen S-Bogen auf dem Gras. Erzähler Vermutlich war dies der Weg, den die römischen Legionen gegangen sind. Die rostüberzogenen Metallplatten vermittelten eine ungenaue, aber spürbare Ahnung davon, dass man auf einem Boden geht, in dem Dinge aus der Vergangenheit vergehen; eine metallene Erinnerung an Menschen, die einmal hier gewesen waren. Hier begann, was als die Varusschlacht in die deutsche Geschichte und ins deutsche Gemüt eingegangen ist. Drei Tage verfolgten Germanen unter Arminius die römische Legionen und ihren Tross. Die 17., 18. und 19. Legion wurden vernichtet. Erzählerin Auf dem Feld von Kalkriese steht auf einer der türgroßen Tafeln ein Zitat des römischen Historikers Vellius Paterculus: Zitator Das römische Heer wurde von den Wäldern; Sümpfen und Hinterhalten eingeschlossen und von einem Feinde bis zur völligen Vernichtung niedergemetzelt, den es stets wie Vieh abgeschlachtet und über dessen Leben und Tod es einmal im Zorn; ein anderes Mal mit Nachsicht entschieden hatte. Regie Musik Ende Erzähler Recht so! dachte der gute Deutsche. Jetzt haben wir es den Römern mit gleicher Münze, nämlich ihrer Münze heimgezahlt. Dies ist der historische Punkt, an dem ? so der allgemeine Eindruck ? sich ein deutsches Selbstverständnis bildete. Es gab ein ?Wir hier?, das sich um der eigenen Freiheit willen gegen ein ?Die da? auflehnte. Und siegte. Erzählerin Irrtum, sagt die Geschichte, denn zunächst einmal dachte der gute Deutsche gar nichts. Die Germanen schrieben nicht. Was immer sie in ihrer mündlichen Überlieferung bewahrt haben mochten, es hielt nicht über die Jahrhunderte. Die freiheitliche Großtat geriet in Vergessenheit. Erzähler Damit auch ihre pikanten Details: dass Arminius ein Germane in römischen Diensten gewesen, dort zum Offizier ausgebildet worden war und sogar das Bürgerrecht erhalten hatte. Was ihn nicht hinderte, gegen seine Ziehherren vorzugehen. Andererseits hielten die Germanen den Helden von Kalkriese auf Distanz, sie misstrauten ihm. Am Ende war es die eigene Verwandtschaft, die ihn hinterrücks umbrachte. Erzählerin All dies war vergessen, fast eintausendvierhundert Jahre lang. Erst die Leser der Renaissance entdeckten die römischen Quellen, die über die Schlacht im Teutoburger Wald berichteten und vom Leben der germanischen Vorfahren. Tacitus etwa: Zitator (So) ist auch die äußere Erscheinung bei allen die gleiche: trotzige blaue Augen, rotblondes Haar und hoher Wuchs; doch reicht die Kraft ihres Körpers nur zum Angriff. Am wenigsten können sie Durst und Hitze aushalten, dagegen sind sie gegen Kälte und Hunger durch Klima oder Bodenbeschaffenheit abgehärtet. Erzähler Tacitus verlieh den germanischen Kriegern römische Tugenden wie die ?virtus?, die mannhafte, bewaffnete Kraft. Auch die ?simplicitas?, die Einfachheit und Gradlinigkeit, sieht er bei den Völkern aus dem Barbaricum. Erzählerin Damit musste doch was zu machen sein. Der erste, der auf die Idee kam, mit Arminius Meinung zu machen, war Ulrich von Hutten, der Mitstreiter Martin Luthers. Regie Musik, sanfte Laute Erzähler In Huttens Dialogerzählung, die den Totengesprächen des Dichters Lukian nachempfunden ist, muss Arminius sich vor einem Gerichtshof rechtfertigen. Die Streitfrage lautet, wer der beste Feldherr aller Zeiten gewesen sei. Alexander der Große, der Römer Scipio und Hannibal der Karthager stehen zur Auswahl. Dann kommt Arminius ? hier spricht er in modernem Deutsch: Zitator Doch ich möchte nicht den Ruf der anderen Feldherrn schmälern, mir ist es immer um die Tugend und weniger um Ruhm gegangen. Aber ich halte es für billig, dass auch ich vor der Geschichte berücksichtigt werde. 1. oton Münkler Also mit dem Aufkommen des europäischen Humanismus im 15. Jahrhundert wird die Zeit des römischen Reiches, der Antike, mit Bedeutung aufgeladen und alle europäischen Länder suchen in irgendeiner Weise, sich zu Rom und seiner Definitionsmacht in Beziehung zu setzen und die Italiener knüpfen in einer besonders nachhaltigen Weise an das römische Vorbild an, was ja nachvollziehbar ist Erzähler Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Berliner Humboldt Universität und Verfasser von ?Die Mythen der Deutschen?. Der Streit der Nachfahren schlammfüßiger, kulturloser Germanen mit den Nachfahren eleganter, gebildeter Römer hatte handfeste Gründe: Rom wollte Geld zum Ausbau des Vatikan. Erzähler Was nicht eben zur Entspannung beitrug. Der Hinweis, die Deutschen hätten alle kulturellen Wohltaten von Rom empfangen, wurde von den Humanisten auf dieser Seite des Rheins mit Missmut aufgenommen. 2. oton Münkler Und dann kehren sie das um und erzählen die Geschichte in der Weise, dass eigentlich ja Tacitus davon berichte, dass die Germanen treu, sittlich, und aufrecht und überhaupt anständige Menschen gewesen seien, wohingegen aus den urbanen Zentren Rom sozusagen das Gift der Zivilisation über die Alpen und in den Norden gekommen sei und man eigentlich bemüht sei, das abzuwehren. Also eigentlich eine ganz andere Geschichte, wenn Sie so wollen, eine Geschichte von antiimperialer Lauterkeit und Ehrlichkeit, die aus der Peinlichkeit und Not der Rückständigkeit, in den Wäldern gelebt zu haben und derlei mehr, einen Vorzug macht. Erzähler Was sich in der Folgezeit zu einem langlebigen deutschen Minderwertigkeitskomplex herausbildet: Das Gefühl, man sei in der kulturellen Entwicklung zurückgeblieben. Dieser Mangel wird dann in einer kühnen Rettungsaktion umgedeutet zu dem Grundsatz, dass ungeschliffene Natürlichkeit der einzig wahre Adel sei. Erzählerin Huttens Gerichtshof tritt in die Verhandlung, in der Arminius seine Taten mit denen der anderen Feldherren vergleicht. Notwendig ist Rom der Bezugspunkt und der Maßstab: Zitator Durch meinen Sieg habe ich das im Innersten niedergetretene und zerrissene Deutschland in kurzer Zeit wiederhergestellt. Als du vor Rom standst, Hannibal, hast du nicht bewirkt, dass die Römer mit Angst und Verwirrung reagierten. Ich habe dem römischen Staat ein solches Maß an Verzweiflung zugefügt, dass selbst Kaiser Augustus mit dem Kopf gegen die Tür stieß und an den Toren Posten und Schutztruppen aufstellen ließ. Regie Musik Ende Erzählerin Aus den nebligen Vorzeiten Germaniens taucht urplötzlich ein Kriegsheld auf, der es im internationalen Maßstab mit den Größten seiner Zunft aufnehmen kann. Erzählerin Eine Legende war geboren, die in den kommenden Jahrhunderten immer wieder dazu dienen sollte, deutsche Sehnsüchte nach einem nationalen Helden und nach einer nationalen, alle verbindenden Erzählung zu befriedigen. 3. oton Kösters Bei der Recherche, die hat ungefähr fünf Jahre gedauert, sind mir erhebliche Lücken in der Aufbereitung des Stoffes aufgefallen. Erzählerin Klaus Kösters ist wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Museumsamt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe in Münster, und hat anlässlich der ?Mythos?-Ausstellung in Detmold, die dem 2000jährigen Gedenken an die Varusschlacht gewidmet ist, eine überwältigend materialreiche Fleißarbeit zum Hermanns-Mythos in der europäischen Geschichte geschrieben. 4. oton Kösters Also wir haben alleine 250 Titel in Zusammenarbeit mit der lippischen Landesbibliothek herausgefunden, und ich denke, dass jetzt noch einige Dutzend dazu kommen und wahrscheinlich haben wir noch einige Dutzend vergessen und nicht gefunden. Regie Musik , Barock Erzähler Hermann ? oder Arminius - und kein Ende. Daniel Caspar von Lohenstein verfasste im 17. Jahrhundert einen Arminius-Roman von unglaublichen 3000 Seiten, Händel schrieb eine Oper, Scarlatti ebenso, Franz Ignaz Biber desgleichen, es gab Singspiele en masse, die Hermann oder seine Gattin Thusnelda feierten. Erzählerin Der im übrigen wir die wenig charmante Bezeichnung ?Tussi? verdanken ? so blieb auch die Ehefrau des Helden, die später in römischer Gefangenschaft verstarb, in einer ? wenn auch undankbaren - Rolle der Geschichte erhalten. Erzähler Hermann ging ein in die französische Theaterliteratur und wurde von dort wieder nach Deutschland re-importiert. War er zwischenzeitlich sogar Held der französischen Revolution, wurde Hermann nur wenig später in den Freiheitskriegen gegen Napoleon die Leitfigur der deutschen Patrioten. 5. oton Kösters Entscheidend bei dieser ganzen Hermann-Rezeption ist, dass er in Zusammenhang steht mit einer Konfliktsituation, Römer gegen Germanen, und diese Konfliktsituation, die durch seinen berauschenden Sieg gekrönt wurde, ließ sich auf alle möglichen politischen Situationen anwenden Erzähler Heinrich von Kleist, wie Ulrich von Hutten auch er ein ausgebildeter Militär, schrieb sein Drama ?Hermannschlacht? unter dem Eindruck der preußischen Niederlage bei Jena und Auerstädt 1806. Drei Tage später zog Napoleon in Berlin ein. 6. oton Puschner So lässt sich auf jeden Fall Kleists Hermannsschlacht interpretieren, weniger dass hier Arminius oder andere Figuren für eine bestimmte Person stehen, Erzähler Uwe Puschner, Freie Universität Berlin, Spezialist für völkische Bewegungen des 19. Jahrhunderts... 7. oton Puschner ... sondern sie stehen für Staaten, für Territorien, etwa eben Arminius als Hermann für Preußen, oder Marobodus steht für Österreich und natürlich steht dann Varus für Frankreich, den man dann natürlich wieder mit Napoleon identifizieren kann. Erzähler Österreich war die einzige deutsche Großmacht, die Napoleon noch Widerstand entgegensetzen konnte. Das übrige Deutschland, zersplittert in viele Königreiche, war Napoleon untertan ? die einen freiwillig, die anderen als Besiegte. Es gab ein Deutschland der gemeinsamen Sprache, aber ohne eigenes Selbstverständnis. Regie Eventuell Fanfare Zit Und Hermann, der Cherusker, endlich ! Erzählerin Sollte Deutschland von der Fremdherrschaft befreit werden, so dachte Kleist, wäre ein Guerillakrieg vonnöten ? ein Volkskrieg auch gegen die Interessen der politischen und militärischen Klasse. Erzähler Einheit ist dann auch der zentrale Begriff, um den sich Kleists Drama dreht. Ist Einheit geschaffen, sind auch die Germanen, oder die Deutschen im Kampf gegen Napoleon, zu Höchstleistungen bereit. Hermann beschwört die Germanenführer: Regie Zitat pathetisch, hohl Zitator Wenn sich der Barden Lied erfüllt, Und, unter einem Königsszepter, Jemals die ganze Menschheit sich vereint, So läßt, daß es ein Deutscher führt, sich denken, Ein Britt', ein Gallier, oder wer ihr wollt; Doch nimmer jener Latier, beim Himmel! Der keine andre Volksnatur Verstehen kann und ehren, als nur seine. 8. oton Puschner Kleists Hermannschlacht ist nicht von dem Hintergrund zu lösen der napoleonischen Eroberungspolitik, des Aufbaus des französischen Empire und hier ganz konkret sich wehren, Einheit anmahnen, den Befreiungsakt in die Wege leiten. Erzähler Kleists Hermann ist ein ausgebuffter, skrupelloser Taktiker. Die alte germanischen Tugenden aus dem Katalog des Tacitus: Aufrichtigkeit und Mannhaftigkeit, waren für Kleist nicht erforderlich ? er wollte siegen, wie auch immer. Täuschung, Verstellung, Lügen und Halbwahrheiten gegenüber Feinden wie Freunden, all das, was wir heute als skrupellose Kriegspropaganda kennen, ist Hermann geläufig. Dieser Cherusker ist nicht auf virtus oder simplicitas geeicht, sondern auf Effizienz. Seine Stimmungslage ist fanatisch. Zitator Kann ich den Römerhaß, eh ich den Platz verlasse, In der Cherusker Herzen nicht, Daß er durch ganz Germanien schlägt, entflammen; So scheitert meine ganze Unternehmung. 9. oton Puschner Kleists Hermannsschlacht hat hier appellativen und propagandistischen Charakter, also hier wird historische Vergangenheit in die Gegenwart zur Agitation und Propaganda hineingeholt, ohne dass sie natürlich Wirkung zeigte, Österreich hat abgelehnt, das Stück aufzuführen (lacht) Regie Preußische Militärmusik , Sieg über Napoleon Erzählerin Mit romantischem Stolz auf Hermanns Sieg gaben sich etliche unter den deutschen Patrioten einer verklärten Germanen-Liebe hin. Was aber für die einen reckenhafte Vaterlandsliebe war, erschien den anderen als Rumpelstilzchen-Posse für Erwachsene. Heinrich Heine war kein Freund der Germanen-Freunde. 10. oton Münkler Heinrich Heine ist ja vielleicht doch neben Richard Wagner der herausragende literarische Mythopoet in Deutschland im 19. Jahrhundert, und während Wagner das sozusagen in einen Gestus der Feierlichkeit gegossen hat, spielt Heine damit herum und wendet?s mal so und wendet?s mal so, so eindeutig ist es bei ihm nie. Zitator Das ist der Teutoburger Wald, Den Tacitus beschrieben, Das ist der klassische Morast, Wo Varus steckengeblieben. Erzähler War es der klassische Morast ? also: der Matsch an sich ? oder der Morast der deutschen Klassik ? oder gar beides: der Römer jedenfalls war untergegangen. Zitator Hier schlug ihn der Cheruskerfürst, Der Hermann, der edle Recke; Die deutsche Nationalität, Die siegte in diesem Drecke. Wenn Hermann nicht die Schlacht gewann, Mit seinen blonden Horden, So gäb es deutsche Freiheit nicht mehr, Wir wären römisch geworden. Erzähler Dann macht Heine sich über die vaterlandsseligen Hermannsjünger her: Turnvater Jahn wird latinisiert als ?Grobianus?, ein heute unbekannter Historiker wird als ?röm?scher Lumpiacus? niedergemacht. Heine war durchaus einverstanden mit dem Ausgang der Schlacht und der Freiheit der Deutschen, auch wenn er mit ein bisschen Wehmut der verpassten römischen Kultur nachtrauert. Zitator Wir blieben deutsch, wir sprechen deutsch, Wie wir es gesprochen haben; Der Esel heißt Esel, nicht asinus, Die Schwaben bleiben Schwaben. Erzähler Herfried Münkler sieht Heinrich Heine schwankend: 11. oton Münkler Als Düsseldorfer mit frankophilen Neigungen ? und auch wissend, dass diese Deutschtümelei ja letzten Endes eine wohl antisemitische Dimension haben dürfte, ist ihm dieser Hermanns-Arminius-Bezug doch nicht so ganz geheuer. Andererseits hat er natürlich selber vermutlich sogar einen Beitrag eingezahlt für die Errichtung des Denkmals und vielleicht hat er mit der Gestalt des Arminius auch die eine oder andere Sympathie verbunden und er hat sich mit bestimmten Charakterzügen der trotzigen, eigenwilligen Gestalt sehr anfreunden können, also Heine hat einerseits Sympathien und andererseits einen Schrecken und das kommt in seiner Art des Umgangs mit dieser Erzählung ganz schön zum Ausdruck. Regie Musik , ev Instrumental von ?Als die Römer...? Zitator Als die Römer frech geworden Zogen sie nach Deutschlands Norden Vorne beim Trompetenschall Ritt der Generalfeldmarschall Herr Quinctilius Varus Erzählerin Victor von Scheffels unverwüstliches Studentenlied, zu singen in vorgerücktem Zustand patriotischer Bierseligkeit, zeigt, dass vaterländische Gesinnung - und einige Reste aus dem Lateinunterricht - sich zu einer unterhaltsamen Mischung zusammenfinden können. Regie Gesungen im Chor, unterbrechen, dazwischen Erzählerin Musik Plötzlich aus des Waldes Duster Brachen krampfhaft die Cherusker Mit Gott für Fürst und Vaterland Stürmten sie sich wutentbrannt Auf die Legionen. Erzählerin In biedermeierlicher Wohlhäbigkeit sieht man die noch gertenschlanken Träger zukünftiger Philisterbäuche an langen Biertischen Humpen erheben auf die tapferen Germanen, wie sie mit Gott die Römer schlagen ? und auf die sportlichen Vorzüge der Reiterei, weil die am besten fliehen kann. Musik Weh! Das war ein großes Morden. Sie erschlugen die Kohorten; Nur die römische Reiterei Rettete sich noch ins Frei? Denn sie war zu Pferde. Regie ev leise weiterlaufen lassen oder instrumental Erzähler 1875 wurde nach jahrzehntelanger Planung und Bauzeit auf der Teutoburg oberhalb von Detmold das Hermannsdenkmal eingeweiht. Der Mythos hatte sich aus der Literatur, der Musik, der schlachtengewaltigen Malerei erhoben zu der monumentalen Größe von 53,46 Metern über Grund. Erzählerin Da stand er nun, auf den Höhen des Teutoburger Waldes, in überwältigender Größe und Nutzlosigkeit. Denn seine freiheitlichen Motive lassen sich mit der Neuausrichtung des siegreichen Kaiserreiches, das selbst um einen Platz unter den Kolonialmächten ringt, nicht mehr vereinbaren. Herfried Münkler interpretiert Wilhelm den Zweiten: 12. oton Münkler Jetzt bauen wir unser eigenes Imperium und das ist aber ein Imperium, das nicht in Form eines antiimperialen Verteidigungskrieges mit Gestalt von Waldschlachten und Partisanentechniken herzustellen ist, sondern das selber imperialer Kraftentfaltung bedarf, daran arbeitet ja das deutsche Reich, vor allen Dingen zu dem Zeitpunkt, als es auf die See geht und das ist etwas, was von diesem Hinterwäldler Arminius überhaupt nicht gedacht werden kann und was mit ihm auch nicht zu verbinden ist. Erzähler Hermann also überflüssig? Tote Geschichte ab 1875? Nicht für Klaus Kösters: 13. oton Kösters Dem widerspricht ganz vehement die Trivialliteratur, die in dieser Zeit ansteigt. Es ist natürlich klar, Arminius 1875 bei Einweihung des Hermannsdenkmals steht sozusagen als Vorgänger von Kaiser Wilhelm I., das Reich ist vollendet. Wilhelm I. hat das vollbracht, was Arminius angefangen hat. Das ist sozusagen die eine Traditionslinie. Aber in der Literatur des 19.Jahrhunderts, auch schon vor der Reichseinigung, ist die Uneinigkeit der Deutschen so eine Art traumatische Gebetsformel, die bei etwa 70 bis 80 literarischen Bearbeitungen am Ende immer wiederholt wird. Die Handlungen sind bei einer beschränkten Anzahl von immer gleichen Personen nicht sehr unterschiedlich, Arminius schlägt die Römer und zum Schluss wird er von seinen Verwandten ermordet und bevor er dann seinen letzten Seufzer tut, hat er dann noch Zeit, die Einheit der Deutschen anzumahnen, denn dieses Deutschland 1871 war ja kein einheitlicher Staat, ein Staat, der erst zu einer Einheit finden musste. Und da spielt dieser Arminius-Mythos eine große Rolle, sozusagen innenpolitisch als einheitstiftendes Band. Regie unterlegen Fanfare Sondermeldung NS-Rundfunk Erzählerin Die Nazis wussten nicht so recht: Hermann war ja der ihre, denn sie selbst waren als Edelarier die Blüte des Germanentums. Erzähler Aber da waren auch die italienischen Bundesgenossen, auf deren Gefühle man Rücksicht nehmen musste, und da war vor allem die Ermordung des Hermann durch seine eigene Sippe. Keine Option für Nazi-Führer. Uwe Puschner als Spezialist für völkische Bewegungen, meint: 14. oton Puschner Einerseits haben wir Figuren wie Heinrich Himmler und Rosenberg, die eben germanenideologisch geprägt sind und sich darauf beziehen können, aber sie haben andererseits auch wieder andere Helden, die für sie wichtiger sind, eben Heinrich Himmler, der auf Heinrich den Ersten und Quedlinburg bezieht oder eben Rosenberg mit seinem Neo-Paganismus, der sich auf Widukind bezieht und hier eben den Konflikt der Christianisierung in den Vordergrund stellt. Also das drängt damit Arminius in den Hintergrund, ohne dass aber die Idee Arminius ganz verschwunden war, aber sie steht nicht im Vordergrund der nationalsozialistischen Propaganda, um es so zu sagen. Regie Musik Ende Erzähler Zu den frustrierenden Erfahrungen teutomaner Mythofaxe gehört es, dass das Schlachtfeld, auf dem alles begann (!), die Geburtsstätte der deutschen Nation (!) , aus dem Kampfeswillen der alten Germanen (!) - nie gefunden wurde. Der Historiker Theodor Mommsen gab zwar sehr genaue Hinweise, aber entweder reichten sie nicht oder sie wurden nicht ernst genommen. Bis zu 700 Standorte rangen um die Ehre, die Wiege der Deutschen zu sein. Aber alles Wünschen half nicht. Erzählerin Ausgerechnet ein Offizier einer Besatzungsarmee fand den Ort der Deutschen. Der britische Major Tony Clunn war und ist begeisterter Hobby-Archäologe. 15. oton Tony Clunn auf englisch, darüber Erzählerin Erzählerin Jahrelang ist Major Clunn mit seinem Metalldetektor über die feuchten Wiesen und Abhänge des Teutoburger Waldes gezogen und hat getan, was sich die einheimischen Archäologen erspart haben. Er hat gesammelt: Viel deutschen Müll und einige römische Münzen. Dann eines Tages hat sich das Team der Denkmalpflege in Osnabrück seine Ausbeute angeschaut und gesagt: Sie haben hier drei Schleuderbleie! oton Clunn (letzter Satz frei) You?ve got three schleuderbleie! Erzählerin Und plötzlich war Kalkriese in aller Munde. Schleuderbleie sind tropfenförmige Bleigeschosse, die mit einer Schleuder, wie David sie gegen Goliath benutze, verschossen werden. Sie sind schnell, lautlos und reißen fürchterliche Wunden. Heute ist sich die Fachwelt weitestgehend sicher: Hier hat vor zweitausend Jahren die Schlacht Hermann gegen Varus stattgefunden. Regie ev. unterlegen Land of Hope and Glory Erzähler Die Entdeckung brachte Tony Clunn einen Orden seiner Queen ein und die Idee, aus seinen Erlebnissen einen Text zu machen. In seinem Buch ?Auf der Suche nach den verlorenen Legionen? mischt er die Zitate antiker Autoren über den Feldzug und das Schlachtgeschehen mit dem Bericht, wie er die Fundstücke fand und wie nach und nach ihr Potential immer deutlicher wurde. Erzähler Zentralfigur in Tony Clunns Erzählung ist nicht Varus selbst, sondern ein misstrauischer Offizier namens Marcus Aius, der versucht, den nicht eben cleveren Varus davor zu bewahren, den unsicheren Kantonisten aus den germanischen Hilfstruppen zu sehr zu trauen. Zitator Marcus? Einwände stießen auf taube Ohren. Er sah die germanischen Hilfstruppen nicht als eine mögliche Gefahr an, aber er war außerordentlich beunruhigt über die veränderte Marschformation. Als die 17. Legion das provisorische Lager verließ und sich durch die dichten und endlosen Waldtäler ihren Weg gen Norden bahnte, schickte Marcus eine Nachricht zu Numonius Vala, die ihn anwies, seine Reitertruppe von ihrer gegenwärtigen Position in der Mitte der marschierenden Truppen weiter nach hinten zu nehmen. Vala sollte sich zwischen der 18. und der 19. Legion einordnen, was der Reiterei einen größeren Spielraum zu unbehindertem Einsatz nach beiden Seiten geben würde, falls ein Angriff auf die Spitze oder die Flanken der 17. erfolgen sollte. Erzähler Bei Clunn merkt man, dass hier ein trainierter Offizier seine literarischen Truppen durch den Teutoburger Wald führt. Der militärische Aspekt, wie Arminius eine solche Falle aufstellte, wie er Varus hineinlockte und was dann, in den drei Tagen, die die Schlacht dauerte, geschah, macht den intellektuellen Reiz von Clunns Doku-Roman aus. Regie wdh Land of Hope and Glory Erzählerin Man glaubt immer auch die Erfahrungen der jüngeren britischen Geschichte mitzulesen. Ähnlich wie beim Imperium Romanum waren auch beim Niedergang des British Empire die militärischen und politischen Führer der Aufständischen zumeist Untertanen, die von den Kolonialmächten selbst ausgebildet worden waren ? nicht anders als der Germane Arminius in römischen Diensten. Aus der holprigen Übersetzung, die noch den englischen Satzbau erkennen lässt, hört man wie von ferne noch den wehmütigen Seufzer der früheren Weltmacht. Zitator ?Jetzt habe ich euch?, flüsterte er, ?jetzt habe ich euch, wo ich euch haben wollte, dich Varus und dich Marcus Aius, mit eurem überlegenem Gehabe. An diesem Tag werden wir euer beider Ende sehen.? Erzähler Die jetzt neuen Bearbeitungen scheinen sich wieder, in unserer mythenlosen Zeit, dem Geflecht der Affekte und Emotionen zuzuneigen, wie zum Beispiel Iris Kammerer in ihrem Roman ?Varus?. Erzählerin Hier steht ? wiederum aus römischer Sicht gesehen ? das Thema ?Verrat? im Zentrum der Handlung. Zum einen der Verrat des Arminius an seiner römischen Ziehnation. Und dann ? durch die Liebe einer germanischen Sklavin zu einem römischen Schreiber ? der Verrat der germanischen Sklavin an ihrem Volk, um den Tod der römischen Soldaten und vor allem der unschuldigen Zivilisten im Tross zu verhindern. Erzähler Was die im Rheinland, auf den Siedlungsresten der Römer, geborene Autorin doch letztlich auf die falsche Seite der Geschichte stellt ? aus der Sicht des vaterländischen Empfindens. Die Frage, wie wir Heutige überhaupt mit dem Mythos Hermann und der Varusschlacht umgehen, reflektiert der Ausstellungsmacher Klaus Kösters. 16. oton Kösters Ich denke, wenn wir heute an dieses Thema nationale Mythen herangehen, dann müssen wir das unter europäischem Kontext tun, um einfach zu verstehen, wie dieser Mechanismus des Nationalismus im 19. und auch im 20. Jahrhundert funktioniert hat, welche Rolle diese einzelnen Mythen gespielt haben, wie identitätsprägend sie auch für die einzelnen Nationen gewesen sind und ich betrachte eigentlich diese Ausstellung zu dem Mythos Hermann als Vorspiel zu einer größeren, die dann im europäischen Kontext stattfinden müsste. Wortende bei 28?44 17