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Oton ... es gibt ja andere Fische auch hier im Bodensee, wir fangen vom Aal bis zum Zander, natürlich ist das Felchen der Hauptbrotfisch der Berufsfischer und wenn man die Jahre zurückblickt, ist für alle der Haupterwerb das Felchen. Regie Kennungsmusik 4. Oton Zum Beispiel sagen wir "xxx" (keine Transkription denkbar) - das heißt auf hochdeutsch ungefähr: Ist das möglich? Regie Kennungsmusik Sprecher v. Dienst Altes Gemäuer und junges Gemüse Reichenau im Bodensee Eine Deutschlandrundfahrt mit Paul Stänner Autor Ein Blick ins Telefonbuch gibt eine erste Vorstellung von der Region, in der wir uns befinden. Die Menschen hier tragen Namen wie Bärthele, Joachim, oder Fröhle, Friedrich - der ist Arzt. Sie heißen Gensele, Häusle, Heberle oder Häberlein - der macht in Fensterbau. Nun gut, es gibt auch eine Nancy Walker Gilmore, aber weiter geht es mit Möhrle, Nägele, Sättele und Vögtle und dem Wedele, Helmut - der baut Gemüse an. Wir sind im äußersten Südwesten der Republik, unter Alemannen. Das erklärt die Namen. Wir sind auf der Insel Reichenau, das erklärt das Gemüse. Musik 1 unterlegen Titel: Mountain Path Interpret: Badmarsh & Shri Komponist: Akber Ali, M. / Sriram, Shrikanth Verlag: Clubstar, LC 0877 Autor Man verlässt den wenig schönen Industriebezirk von Konstanz in westlicher Richtung auf der B 33. Linkerhand liegt der Bodensee. Dann - nach einigen Kilometern - biegt man links ab und kommt auf eine endlos erscheinende Allee aus drei Reihen lotrecht stehender Pappeln. Die Luft wird feucht und riecht modrig, das muss von dem Röhrich kommen, das zu beiden Seiten des Dammes im Bodensee wächst. Dann rollt man über eine kleine Brücke, ganz kurz nur. Die Brücke überspannt einen Wasserlauf von fünf, sechs Metern Breite, und dann ist man auf der Insel Reichenau. Nachdem 1839 die Insel Reichenau mit einem Damm an das feste Land gebunden wurde, begründet das Wässerchen unter dem Brückchen den Anspruch der Reichenau, noch immer eine Insel zu sein, Musik 2: Titel: Mountains o' things Interpret u. Komponist: Tracy Chapman Verlag: Elektra, LC 0192 5. Oton Wir sind jetzt hier auf dem höchsten Punkt der Insel, auf der Hochwart, also auf der Hohen Warte und haben hier einen wunderbaren Rundblick über die ganze Insel natürlich, aber auch über die ganze Unterseelandschaft. Atmo unterlegen Autor Karl Wehrle lehnt gemütlich an der Balustrade auf der Hochwart, schwindelerregende 40 Meter über Normalnull, und schaut über die Insel Reichenau. Er ist Leiter des Museumsvereins der Insel, managt den Tourismus und hat am Donnerstag keine Zeit, weil er in die Weinlese muss. Immer wieder trifft man auf Leute, die in den Wein müssen. Heute ist Montag, da ist Zeit für einen Rundblick. 6. Oton Der Bodensee hat ja drei Seeteile, den Obersee, den Überlinger See und den Untersee. Und durch den Untersee - durch den Obersee natürlich auch, aber durch den Untersee fließt der Rhein zum Rheinfall nach Schaffhausen und bei Stein am Rhein endet der Bodensee und beginnt der Rhein. ...Wir haben hier links die Schweizer Seite und rechts eben Deutschland, im Hintergrund die Halbinsel Höri und wiederum im Hintergrund gegen Westen die Hegau Berge, die Hegau-Vulkane. Autor Die Vulkane im Westen haben ihre spitzkegeligen Silhouetten in frühmorgendlichen Dunst gehüllt. Wie hintereinander gestaffelt stehen sie vor dem Horizont und geben sich geheimnisvoll, so als hätten sie etwas, was noch keiner ergründet hat. 7. Oton Auf der anderen Seite, gegenüber der Schweiz in der Mitte immer die Reichenau, ist der so genannte Bodanrücken mit Allensbach, Allensbach ist ja auch deutschlandweit bekannt mit dem Institut für Demoskopie und Osten, wenn wir den Blick nach Osten lenken, sehen wir dann im Hintergrund Konstanz. Autor Der Blick kehrt zurück zur Reichenau, das Wort "Insel" spricht man nicht, "Insel" versteht sich von allein. Die Reichenau fällt - und damit fängt alles an - im 8. Jahrhundert dem Wanderbischof Pirmin ins Auge. 8. Oton Und er gründet dann mit 40 Mönchen ein Kloster hier auf der Reichenau und zwar im Jahr 724 ist diese Klostergründung. Und dieses Kloster entwickelt sich dann relativ schnell im achten Jahrhundert, dann unter dem Schutz der Karolinger, Karl der Große spielt eine wichtige Rolle hier auf der Reichenau, entwickelt sich das Kloster dann tatsächlich zu einem geistigen Zentrum des damaligen karolingischen Großreichs, das macht ja einen großen Teil des heutigen Europas aus. Und so nennt man die Reichenau auch Wiegestätte abendländischer und wenn man so will europäischer Kultur. Die Reichenau war vor allem unter den Karolingern ein Zentrum, große Bibliothek, größte Schule des Reichs, Karl der Große lässt seine Führungskräfte hier auf der Reichenau ausbilden, Kaderschmiede, Harvard auf der Reichenau im achten, neunten Jahrhundert. Autor Zu unseren Füßen liegen Weinberge, die zum Schutz gegen Vögel mit blauen Netzen überspannt sind. In alle Richtungen erstrecken sich Gewächshäuser, in denen Gemüse gezogen wird. Und das hier soll einmal das Harvard der Karolinger gewesen sein? Aus dieser Zeit jedenfalls erklärt sich die Bezeichnung "Klosterinsel Reichenau", denn die Reichenau war nicht eine besiedelte Insel, auf der ein Kloster gegründet wurde, sondern sie war ein wüster Ort, der durch ein Kloster erstmals bewohnt wurde. Es spross der Wein und es sprossen die Gotteshäuser. Die drei Ortsteile Oberzell, Mittelzell und Niederzell gehen auf diese mönchischen Gründungen zurück - cella ist die kleinste Gründungseinheit eines Klosters. Alles Vergangenheit! Die Gegenwart der Vergangenheit ist das Prädikat "Weltkulturerbe", mit dem im Jahr 2000 die UNESCO die Insel bedacht hat. 9. Oton Und die Geschichte und die Kirchen und so, dass ist eben, was es ausmacht, die Tradition auf der einen Seite mit der Landwirtschaft mit dem Weinbau, und dann die moderne Tradition, kann man sagen, der Gemüsebau, der sich etabliert zu Beginn des 20 Jahrhunderts, und wiederum die neuere Form des Gemüsebaus, die Glasgewächshäuser. Da kann man natürlich sehr darüber streiten, in wieweit die schön sind für die Landschaft und für den Anblick der Reichenau - nur muss man wissen, es geht alles weiter. Und man hat damals, als die UNESCO ausgezeichnet hat, das durchaus berücksichtigt, indem man gesagt hat, na ja zu Klosters Zeiten hat man ja auch anders Weinbau betrieben wie heute und die Entwicklung muss weiter gehen, die Leute müssen ein Überleben haben, und dafür möchten wir auch Sorge tragen. Autor Man muss einräumen, dass endlose Glashäuser kein Anblick sind, der eine Landschaft schmückt, aber gäbe es nicht den Gemüse- und den Weinanbau, dann wäre sie wohl voll gebaut mit Wohnhäusern, und die können auch hässlich sein. Zur Pflege des Weltkulturerbes gehören drei kleinere Museen, die die Geschichte der Insel erläutern sollen. Wir stehen im Museum am "Alten Rathaus", in dem in einem beleuchteten Schrein ein schweres Buch liegt. Es ist das Faksimile eines Meisterwerks der Reichenauer Schule. 10. Oton Das ist hier das Buch Nummer 1 und eigentlich das älteste dieser großen Zeit ist der Egbert Codex, der heute in der Stadtbibliothek in Trier liegt, also ein Evangelienbuch für den Erzbischof Egbert in Trier. Etwa entstanden um das Jahr 980, dann ein ganz berühmtes Werk, das Evangeliar für Kaiser Otto den Dritten, in diesem Buch ist diese berühmte Szene, die Sie in jedem Lexikon der Welt finden, nämlich die Darstellung von Kaiser Otto III. vornedrin und die Huldigung der Provinzen an den Kaiser. Autor Otto III. sitzt auf einem roten Thronsessel, rechts von ihm die Priesterschaft, links die bewaffneten Ritter. Den Blick ein wenig in die Ferne entrückt, nimmt er die Huldigungen entgegen, die ihm die Vertreter der Provinzen darbringen. Die Kunst des Bücherschreibens und -illustrierens machten die Reichenau berühmt und auch reich, denn die dicken Wälzer kosteten ein Vermögen. Zwölf Jahrhunderte später war diese untergegangene Meisterschaft der Grund, der Reichenau den Titel "Weltkulturerbe" zu verleihen. In einem Zeitungsartikel war zu lesen, die Reichenauer hätten sich dieser Auszeichnung durch die UNESCO zunächst sehr zögerlich genähert, weil sie internationalen Institutionen misstrauten. 11. Oton Die Reichenauer sind so, die sind vielleicht nach außen hin sehr vorsichtig Was passiert da jetzt? aber wenn sie dann unterwegs und vielleicht Freunde besuchen in einem anderen Ort, dann schlagen sie schon mit der Hand auf die Schulter und sagen, wir sind was Besonders und sagen, wir sind jetzt UNESCO-Weltkulturerbe. Musik 3: Titel: Two Silver Trees Interpret u. Komponist: Calexico Verlag: City Slang, LC 06853 Atmo Schlüssel, Tür öffnet 12. Oton Der Raum wird als Schatzkammer bezeichnet, weil hier sehr viele Gegenstände aufbewahrt werden, die zunächst einmal aus der Liturgie stammen, das sind Messkelche, es sind Vortragskreuze hier zu sehen aber vor allem ein riesiger Reliquienschatz, den wir seit vielen Jahrhunderten besitzen. Autor Das Wort "Schatzkammer" hat hier - im Münster der Insel Reichenau - einen doppelten Klang. Zum einen meint es die kostbaren Behältnisse aus Silber und Gold in filigraner Handarbeit - zum anderen meint es deren Inhalte, die für Gläubige einen äußerst hohen ideellen Wert besitzen. Manfred Müller ist der Messner des Münsters auf der Insel Reichenau, seine Aufgabe ist es, alles zu verwahren und bereit zu legen, was zum Gottesdienst gebraucht wird, auch die berühmten Reliquien. Musik 4: Titel: Salve Regina Interpret: Konrad Philipp Schuba Komponist: trad. Verlag: Freiburger Musik Forum, LC 5152 Autor In der Münsterkirche St. Maria und Markus nimmt naturgemäß die Reliquie des Namenspatrons eine besondere Stellung ein. Ihr Behältnis ist geformt wie ein kleines Haus mit Satteldach, reich verziert auf allen Flächen. 13. Oton Wir stehen jetzt hier vor dem Markusschrein, der stammt aus dem Jahr 1305 und das zwei Goldschmiedemeistern gelungen, ihn nach jahrelanger Arbeit herzustellen, er ist aus getriebenem Silber, ist nach der Fertigstellung dann vergoldet worden, mit Edelsteinen war er auch reich verziert - auf den Längsseiten zum Beispiel sind verschiedene Stationen aus dem Leben Jesu gezeigt, auf der einen Seite zum Beispiel die Jugend beginnend mit der Verkündigung, da sehen wir den Erzengel Gabriel und die Jungfrau Maria dargestellt, also alles, was sich mit der Jugend Jesu beschäftigt. Autor Wie schon beim Buch im Museum, sehen wir auch hier nur ein Faksimile - so ist das eben mit alten, kostbaren Sachen. Seit dem 9. Jahrhundert wird auf der Reichenau die Markus-Reliquie verehrt. Wichtig ist vielleicht die Idee der UNESCO, auf Reichenau nicht etwa - wie in Dresden - ein Gebäude oder ein Stadtbild als bewahrenswert zu bezeichnen, sondern eine Tradition. 14. Oton Es gibt ja auf der Insel Reichenau die so genannten Inselfeiertage, das sind zum Teil die Patrozinien dieses Gotteshauses, nämlich das Markusfest am 25. April, am 15. August Maria Himmelfahrt, dann der höchste Inselfeiertag, ist das Heilig-Blut-Fest immer am Montag vor Fronleichnam. Diese Inselfeiertage, die sind keine folkloristische Kuriosität hier auf dieser kleinen Bodenseeinsel fernab in der Provinz, diese Inselfeiertage sind ausdrücklich Bestandteil des Weltkulturerbes. Atmo außen Autor Ein wenig abseits der Kirche St. Maria und Markus liegt im Schatten einer Mauer ein kleiner Kräutergarten, der im Moment so aussieht, als lebe er seine anti-autoritäre Phase aus. Von keinem Gärtner behindert hat er sich hemmungslos den guten Wachstumsbedingungen des vergangenen Sommers hingegeben. 15. Oton Der Hortulus, das ist auch wieder ein lateinisches Wort, heißt übersetzt das Gärtlein und dieses Gärtlein hat auf der Insel Reichenau eine besondere Bedeutung, und zwar, wenn wir das auf Walafried Strabo beziehen. Autor Und ab in die Geschichte: Walafried Strabo gehört in die Klostertradition, die mit dem Weltkulturerbe-Titel geehrt wurde. Strabo war Abt auf der Reichenau und außerdem Erzieher von Karl dem Kahlen in Aachen. Er gilt aber auch als einer der ersten Dichter im deutschsprachigen Raum - der leider nicht auf deutsch, sondern auf lateinisch dichtete. Atmo Hubschrauber weit weg, Auto, 16. Oton ... und das letzte Gedicht von Walafried Strabo ist ebenfalls sehr berühmt und bedeutsam vor allem für die Insel Reichenau selbst vor allem in ihrer Rolle als Gemüseinsel, dieses Gedicht trägt den ebenfalls lateinischen Titel "de cultura hortorum". Sie merken, ein sehr langer Titel, aber ein noch längeres Gedicht. Walafried beschreibt da in 444 lateinischen Versen 24 Pflanzen und Kräuter aus dem Garten, beschreibt ihren Anbau, die Pflege der Pflänzchen und die Wirkung, die ihnen innewohnt. Und dieses Gedicht gilt als die älteste Kunde des Gartenbaus in Deutschland und die Originalschrift, die befindet sich heute in der Vatikanischen Bibliothek in Rom. Autor Im Kräutergarten, im Hortulus, der vor fast zwanzig Jahren nach dem Muster des Strabo angelegt wurde, stehen wir eben jetzt und sehen: einige pflegebedürftige Beete mit Pflanzen, die offenkundig ins Kraut geschossen sind - was man auf der Gemüseinsel Reichenau eigentlich so nicht erwartet hätte. Die Kräuter hier sind sowohl Küchengewürze als auch Heilpflanzen - den Unterschied zwischen beiden macht oft nur die Dosis aus. Wir ziehen los und suchen... Atmo Gemurmel, Schritte Lilie...die Meditation der Lilie, also als Heilmittel, dass man meditiert, das ist jetzt etwas zu abgehoben, oder? Die Lilie als Symbol der Keuschheit...Heilwirkung wenig...blutstillend...fördert die Vernarbung von Wunden, hat also auch mit dieser Wundversorgung zu tun...Frauenminze, Balsamkraut... Autor (über der Atmo, dann wird die Atmo Oton) In den Beeten stehen Gewächse und hinter ihnen erklärende Schilder. So sollte man zur Pflanzen- auch die Heilkunde beschrieben bekommen. Aber so einfach ist das alles nicht. 17. Oton was steht denn da: ... der Rettich ist ja sehr bekannt auf der Reichenau und ... war eben in früherer Zeit als Heilpflanze sehr begehrt... (abblenden) Zitator (ev. mit Hall) Hier der Rettich mit mächtiger Wurzel und von seiner Blätter Breitem Dach überhöht, ist im letzten der Beete zu sehen. 18. Oton aufblenden wird in dem Gedicht "Der Hortulus" auch zitiert und zwar als ein altes Hausmittel gegen den Husten. Zitator Ziemlich scharf ist die Wurzel, gegessen besänftigt sie aber Husten; der dich erschüttert, und Tran aus zerriebenem Samen Heilt oft gar das Leiden derselben verderblichen Krankheit. Autor Ein paar Schritte weiter steht ein alter Bekannter im Beet, den man nun wirklich nicht unter den Heilkräutern gesucht hätte - der gefürchtete Wermut, eigentlich ein hochpotenter Blaumacher. 19. Oton Er wird auch dann als Heilmittel angewendet, wenn man zuviel des Wermuts genossen hat, dann sollte man ihn vielleicht in einer kleineren Dosis anwenden und es heißt im Text dann weiter "Wende an ihn Dich um Hilfe und koche des laubigen Wermuts bitteres Grün, überspüle damit den Scheitel des Hauptes - also das heißt, nicht inhalieren, sondern den Scheitel des Hauptes überspülen... Zitator Hast du mit dieser Brühe die feinen Haare gewaschen, Lege dir auf, daran denke, zusammengebundene Blätter Und eine mollige Binde umschlinge das Haar nach dem Bade. Ehe noch zahlreiche Stunden im Laufe der Zeit verrinnen, Wirst du dies Mittel bewundern nebst all seinen anderen Kräften. 20. Oton ...neben diesen bewährten Hausmitteln Walafrieds gilt eben der alte Merkvers "Was bitter dem Mund, ist dem Magen gesund" - also so hat man immer einen Merkspruch dabei und den vergisst man so schnell nicht wieder und beim nächsten übermäßigen Genuss von Alkoholika ist dann die Pflanze des Wermut angesagt, wie gesagt als Heilmittel. Musik 5: Titel: In a garden of Eden Interpret: Joe McBride Komponist: Doug Ingle Verlag: Heads Up Record, LC 06488 Atmo Geräusche, der Fischer bereit sich vor, darüber Autor Fischer zu sein ist ein früher Beruf. Es ist sechs Uhr morgens auf der Insel Reichenau. Werner Keller räumt die Gerätschaften in sein Boot mit dem Außenbordmotor und macht sich fertig für die Ausfahrt. Es ist noch dunkel, in einem Eimer liegt ein Kompass, der hilft, Kurs zu halten. Irgendwo dort hinten muss Allensbach liegen und die B 33, aber dort schläft noch alles. Atmo Motor startet, Fahrt im Wasser, abblenden Autor Werner Keller, Mitte 60, steht aufrecht in seinem schwankenden Boot oder er turnt so artistisch über die Sitzbretter, dass man sich nur wundern kann. In dem Wasser vor uns hängt ein Netz, das er jetzt Hand über Hand einholt. 21. Oton Wir haben verschiedene Möglichkeiten, unser Netze auszulegen. Eine davon ist, jetzt die Netze an Schnüren aufzuhängen und die Tiefe einzustellen und da muss ich natürlich die Netze beidseitig verankern, damit sie nicht abtreiben, weil unser See ist relativ klein gegenüber dem großen Obersee, nämlich die Gesamtfläche vom Untersee von allen drei Seeteilen sind 6400 ha, während der Obersee 490 Quadratkilometer hat. Autor Der See ruht still, kein Lüftchen bewegt sich, es ist einer der letzten schönen Tage des Sommers. Fischer Keller trägt Hose, T-Shirt und Gummischürze, sein Besucher trägt Pullover und Anorak und ist am Ende der Fangfahrt durchgefroren bis auf die Knochen. Was muss ein Fischer bei Regen und im Winter ertragen? Fischer ist aber nicht nur ein kalter Beruf. Die meiste Arbeit, wie jetzt das Einholen der Netze und Auslösen der Fische aus den Maschen, wird getan in stark vorgebeugter Haltung. Der Besucher bekommt Rückenschmerzen schon beim Zusehen. 22. Oton Ich habe jetzt den Anker reingeholt, habe jetzt die Beischnur zum Netz und jetzt kommt die Spannung, wo sind die Fische, wo halten sie sich auf, in was für einer Tiefe, immer ist am Dienstag, dem ersten Fangtag der Woche, der Nervenkitzel, jetzt sind sie noch standorttreu geblieben oder wo sind die Fische hingewandert? Autor Nachmittags werden die Netze ausgelegt, am Morgen eingeholt. Dann ist das Wasser noch kühl, und die Fische bleiben frisch. Jeder Morgen hält eine neue Überraschung bereit - sind Fische da? Und hat sich der Aufwand gelohnt? Das ganze Jahr über geht das so. 23. Oton (Geräusche, holt ein) Das ganze Jahr über immer entsprechend der Jahreszeit, auf Felchen oder jetzt haben wir Ende September, ab 15. Oktober beginnt die Felchenschonzeit, da muss man sich natürlich anders orientieren, weil es gibt ja auch andere Fische im Bodensee, wir fangen vom Aal bis zum Zander, natürlich ist das Felchen der Hauptbrotfisch der Berufsfischer und wenn man die Jahre zurückblickt, ist ein das Felchen der Bekanntheitsgrad und der Tourist weiß das zu schätzen, und das ist für alle der Haupterwerb das Felchen. Atmo Anlanden, Ausladen Autor Damit überhaupt genügend Fisch für die 38 Berufsfischer um die Reichenau nachkommt, züchten die Fischer in einer Fischzuchtanstalt den Nachwuchs selbst. Ist er dann im Bodensee ausgesetzt, kann er in Ruhe wachsen. Die Qualität des Wassers ist in den letzten Jahren kontinuierlich besser geworden, das hat auch dem Fisch gut getan. Atmo Küche Autor Der Fisch, der aus dem Wasser kommt, muss in die Küche. Wir nehmen die Küche des Strandhotels Löchnerhaus, weil Werner Keller dorthin seit mehr als dreißig Jahren seine Felchen, Welse, Hechte und Aale liefert. Axel Rühmann heißt der Koch, drei Vitrinen in der Hotellobby zeigen die Auszeichnungen eines langen Berufslebens. 24. Oton Zwo Drittel sind gar nicht ausgestellt, ich war zwischen 1980 und 2000 sehr viel unterwegs, und habe weltweit gekocht, also auf Kochkunstausstellungen in Südafrika, in Singapur, in Basel, also auf allen großen Schauplätzen, wo es um Kochkunst ging, war ich - hab viel gesehen und viel gemacht. Autor Axel Rühmann ist eine agile, korpulente Figur, er erinnert ein wenig an den Schauspieler Mario Adorf. Gerade sind mehr als zweihundert Essen aus der Küche gegangen, es ist die Saison der Reisebusse. Es geht um den Fisch: 25. Oton Der Hauptfisch oder der Brotfisch, wie wir auch sagen, ist das Felchen, das Bodenseefelchen, gehört zur Familie der Salmoniden, also ist ein Forellenfisch, ganz typisch, und ein Fisch entwickelt sich ja immer entsprechend in seinem Lebensraum, also das , was er an Wasser , Untergrund und Nährstoffen hat und deswegen ist auch jeder Fisch in jeder Region ein bisschen anders. Autor Der tote Fisch, das sagte schon Fischer Keller, muss ruhen. Er muss einen halben Tag entspannen, was irgendwie makaber klingt, aber dann sei er besser zu verarbeiten. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass beim Braten die Haut aufplatze und das Fleisch nachher zu einem unansehnlichen Klumpen schrumpfe, den der Gast leider nicht als Beweis von Frische ansehe, sondern von schlechtem Kochhandwerk. 26. Oton Das Felchen ist feinfleischig, ist etwas stabiler als eine Forelle, es ist in der Haut etwas fester man kann es deshalb auch wunderschön braten, nicht nur, dass man es pochiert, also nur in Wasser gart, es ist für uns als Köche ein dankbarer Fisch... (bleibt oben, abfangen durch Küchengeräusch) Atmo Fisch gerät in heißes Fett 27. Oton Die beliebteste Art des Felchen ist der Felchen gebraten, also in Butter gebraten, in geklärter Butter gebraten, wir würzen ihn vor her mit etwas Zitrone, mit wenig Salz und ein paar Kräutern, zu den Kräutern gehört Kerbel, Estragon, Petersilie, Dill, und Säure ist wichtig, Säure hebt den Geschmack, stabilisiert den Eigengeschmack, dann wird's mehliert, die dünne Mehlschicht dient im Prinzip als Hülle, zum Schutz des Fisches vor zu großer Hitze...damit er gleichmäßig gart. Musik 6: Titel: Thunder on the mountain Interpret u. Komponist: Bob Dylan Verlag: Columbia, LC 00162 (über der Musik) Autor Die Sprache ist schon gewöhnungsbedürftig. Die Reichenau war - bis in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Damm gebaut wurde - eine Insel in glücklicher Einsamkeit. Dementsprechend entwickelten die Reichenauer ihre eigene Sprache. Herbert Koch hat ein Lexikon der lokalen Begriffe zusammengetragen, man muss sie lernen wie Vokabeln. 28. Oton Also das mit dem D und t - wir sage nicht Sonntag, sondern Suntig, mir sage nicht Tannenbaum sondern Dannebaum, Werther und Kittel und so weiter, oder laufe, rede, sage nit reden sondern rede, das ist ein Zwischending zwischen e und ä... Autor Das n ist weg, dafür gibt es ein Mischgeräusch aus e und ä - für Nicht-Alemannen ist das allenfalls versteh-, aber kaum erlernbar. Mittlerweile drohen viele der eigentümlichen Wörter unterzugehen, weil die Jugendlichen nach Konstanz eingeschult werden und dort auf eine andere Sprachen treffen. Ob das dann gleich als Hochdeutsch durchgeht, würde man aus der Sicht eines Norddeutschen nicht vorbehaltlos bejahen, aber auf jeden Fall ist es so, dass sich der ganz eigene Klang allmählich verliert. Zum Beispiel: 29. Oton Zum Beispiel sagen wir "xxx" (keine Transkription denkbar) - das heißt auf hochdeutsch ungefähr: Ist das möglich? Autor Sagen Sie das noch mal? 30. Oton "xxx" Autor Da müsste man lange üben. Lange! Üben! 31. Oton (Das eigenartige Wort "xxx" als Endlos-Schleife, verliert sich unter der Musik) Musik 6 frei Bob Dylan, Thunder on the mountain Autor Die Reichenau trägt den Beinamen: Gemüseinsel. In früheren Zeiten galt die Reichenau als Weinanbaugebiet. Doch in den Jahren 1929 und dann noch einmal 1940 verursachten starke Fröste so herbe Schäden an den Weinstöcken, dass sich der Weinbau nicht mehr lohnte. Man stellte um auf Gemüseanbau. Und der Technologie des Gemüseanbaus folgend gingen viele Äcker unter Glas. Für das Landschaftsbild nicht unbedingt eine Verbesserung, wohl aber für Gemüsegärtner wie Matthias Keller. 32. Oton Meine Betriebsgröße sind 9500 Quadratmeter unter Hochglas, ist ein reiner Glasbetrieb. Autor Sein Gewächshaus ist eine veritable Halle, könnte von der Höhe her als zweigeschossiges Wohnhaus durchgehen. Mannshoch stehen die grünen Büsche in exakten Reihen, aufrecht gehalten durch Schnüre, die dafür sorgen, dass die Stengel nicht unter der Last der Paprika in die Knie gehen. 33. Oton Paprika wird in Gewächshäusern aufgezogen an Juteschnüren, der Vorteil ist, die sind kompostierbar, wenn die Paprika geräumt werden, kann die Schnur, da sie aus organischem Material besteht, gleichzeitig kompostiert werden. Autor Ein Mann und eine Frau schieben Schubkarren mit Plastikkörben durch die Reihen und ernten leuchtend rote Paprika. Sie stammen beide aus Polen, ihr Deutsch ist minimal, das Polnisch des Besuchers noch geringer, das Gespräch fällt aus, ein Lächeln muss reichen. Atmo Ernte 34. Oton Es ist relativ wenig qualifiziertes Personal, weil es ist doch eine auch anstrengende Arbeit und muss doch genau ausgeführt werden, und da gibt's auf dem deutschen Arbeitsmarkt doch wenig Arbeitskräfte, die da dazu bereit sind. Autor Im Sommer sammeln sich unter dem Glasdach schnell einmal 38 Grad und mehr. Die Arbeit muss von Hand erledigt werden, ohne kühlenden Wind, bei hohem Arbeitstempo - das ist nicht ohne. Die Produktion läuft im Wechsel unterschiedlicher Früchte das ganze Jahr über. Der See dient als Wärmespeicher, der das Klima vor Extremen schützt, und die hohen Humusgehalte der Böden, die mit Ernterückständen und Schilf durchmischt werden, sorgen dafür, dass die Bauern mit wenig Dünger auskommen. 35. Oton Es gibt so 60 - 70 Vollerwerbsbetriebe und so 70 bis 80 Nebenerwerbsbetriebe, und die Fläche insgesamt auf der insel Reichenau sind so 150 ha Freiland und 45 ha unter Glas. Autor Ca 90 Prozent der Ernte, schätzt Matthias Keller, werden von der Genossenschaft der Gemüsebauern vermarktet, vor allem im süddeutschen Raum bis nach Stuttgart hin. Diese Genossenschaft hat die gesamte Insel mit einem Beregnungsnetz überzogen, um so für jeden der Betriebe ausreichend und bequem Wasser zur Verfügung zu stellen. Die Reichenau heißt nicht nur Kloster- und Gemüseinsel, sondern auch Insel der 1000 Brunnen - was vermutlich wieder ein poetischer Titel ist, die Zahl muss nicht unbedingt stimmen. 36. Oton Wir haben im Bio-Bereich auf zehn bis 15 Prozent jetzt dieses Jahr ausgeweitet die Produktion im Bio-Bereich, der Rest Produktion ist herkömmlich, das heißt wir arbeiten trotz allem mit natürlichen Gegenspielern, mit Nützlingen, wir haben für jede Laus oder für jede Milbe einen Nützling, wo diesen bekämpft. Autor Was nicht ganz richtig "Bio" ist, aber dafür sorgt, dass die Gemüsezüchter mit einem Minimum an Chemie auskommen. Die Umstellung auf reine Bio-Produktion wäre betriebswirtschaftlich kaum zu leisten, der Kunde ist nicht bereit, in dem Maß höhere Preise zu akzeptieren, wie es nötig wäre. Die erwähnten Nützlinge sind mit spielkartengroßen Pappkarten an den Paprikastengeln befestigt. All dies muss einzeln und mit Sorgfalt erledigt werden. 37. Oton Diese Nützlinge sind auf Kärtchen zum Beispiel aufgetragen, die schlüpfen denn je nach Art nach drei bis zehn Tage und parasitieren dann die Schädlinge. Autor So wird die Paprika zum Schlachtfeld. Der Blick von der Hochwart, dem höchsten Punkt der Insel, hatte gezeigt, dass ein großer Teil der Insel unter Glas liegt. Die Glashäuser bilden jedoch keine geschlossene Fläche, sondern in der Sonne glitzernde Rechtecke inmitten der kleinen Weinberge und offenen Gemüseäcker. Und da liegt das Problem. 38. Oton Die größten Probleme eigentlich sind die Strukturen auf der Insel Reichenau, das Kleinparzellige, die kleinen Betriebe, der Durchschnitt eines Betriebes auf der Bundesrepublik ist im Schnitt 10mal größer als auf der Insel Reichenau. Das heißt, wir müssen mit diesen kleinen Betrieben relativ gut wirtschaften, so dass wir über die Runden kommen können. Autor Aus der geringen Größe der Betriebe ergibt sich, dass man nur wenig mit Maschinen arbeiten kann, also weiterhin auf Arbeitskräfte angewiesen ist und infolgedessen mit relativ hohen Lohnkosten rechnen muss. Kein Wunder, dass die Familienbetriebe auf weitere Einkünfte angewiesen sind. 39. Oton Der Tourismus - jeder zweite, glaub ich, wo hier einen Gemüsebaubetrieb hat, lebt vielleicht zu dreißig oder vierzig oder fünfzig Prozent auch vom Tourismus, indem er vielleicht Ferienwohnungen oder Gästezimmer hat und somit auch ein zweites Standbein irgendwo hat, im Fremdenverkehr. Musik 7: Titel: Goin' up the country Interpret: The Blazers Komponist: Alan Wilson Verlag: MCA Records, LC 01056 Autor Auf der westlichen Spitze der Insel Reichenau, im Ortsteil Niederzell, steht die Kirche St. Peter und Paul. Der Gebetsraum der Benediktiner ist eine kleine Seitenkapelle. Die Kapelle hat weiß verputzte Wände. An einigen Stellen scheinen Rötelskizzen durch, Striche und Figuren, deren Zweck man zunächst nicht erschließen kann. Pater Stephan erklärt, dass es sich um Vorstufen zu Wandmalereien handelt, die dann über die Skizzen gemalt worden waren. Die Gemälde selbst sind verschwunden, geblieben sind die geheimnisvollen Vorzeichnungen. Pater Stephan hat für das Mittagsgebet die Psalter aufgestellt. Sie ruht auf einem Untergestell und erinnert an eine Zither aus der bayrischen Wirtshausmusik, hat aber einen wesentlich weicheren und volleren Ton. Atmo Psalter 40. Oton Wir begleiten die Psalmen mit einem so genannten Psalter, einem harfenähnlichen Instrument, dieses Instrument ist speziell entwickelt von einem französischen Benediktiner, speziell für die Liturgie, ein sehr zurückhaltendes Instrument, was und hilft dabei, in die Gebetsatmosphäre hineinzukommen, was einen sehr sphärischen Klang hat, und was eine sehr beruhigende Wirkung auf unsere Teilnehmer der Gottesdienste hat und von daher ist es ein bisschen zu vergleichen mit einer Harfe. Autor Einige Minuten vor dem Gebet versammeln sich sechs bis acht Gläubige, augenscheinlich Touristen, die ihre Fahrradtour unterbrochen haben. Zusammen mit den beiden Benediktinermönchen in ihren schwarzen, bodenlangen Habit mit den steifen Kapuzen, füllen sie das Chorgestühl. Es herrscht völliges Schweigen. Die Gläubigen stimmen sich auf das Gebet ein. Das Schweigen und die Bewegungslosigkeit werden durch die Höhe der Kapelle und ihre spartanische Ausstattung noch verstärkt. Man empfindet, als würde man sich in dem kühlen, weiten Raum ausdehnen. Man spürt, wie der Pulsschlag in der Stille nachlässt, die Atmung ruhiger und tiefer wird, die Muskeln sich entspannen. Nichts könnte jetzt wichtiger sein als das bewegungslose Sitzen im Chorgestühl. Ruhe. Um 12.15 beginnt mit dem Schlag der Glocke das Gebet. Atmo Glocke Atmo Gebet (darüber Autor und der Rest) Autor Noch vor einer halbe Stunde saß Pater Stephan in der kleinen Bibliothek. Es ging darum, warum auf der Reichenau eine neue Cella, eine neue Niederlassung des Ordens, gegründet wurde. 41. Oton 1992 war ich als Student damals auf den Spuren der Annette zu Droste-Hülshoff auf der Meersburg und bin hier als Benediktiner hingegangen auf die Reichenau, um mir diese alte Stätte anzuschauen und da habe ich sehr bedauert, dass hier keine Mönche mehr leben und dieser Gedanke in meinem Herzen über zehn Jahre geblieben und erwachsen. Autor Die drei Benediktiner, die in der Cella in Niederzell leben, arbeiten als Priester in der Gemeinde und in der Schule. Und auch im Tourismus - immer häufiger bitten Menschen um ein Gespräch, die in der Muße des Urlaubs endlich einmal dazu kommen, über sich und ihr Leben nachzudenken. 42. Oton Als wir hier hinkamen, was es dann in der Tat was Neues und was Unbewohntes, dass auf mal hier wirklich lebendige Benediktiner hier wieder vor Ort sind, was dann zunächst ein bisschen Misstrauen hervorgerufen hat Was machen die dort? Wollen die uns was wegnehmen? Mischen die sich in die Gemeindeliturgie ein oder wollen sie irgendwas Besseres sein? Mit all dem wurde ich in den ersten Monaten stark konfrontiert, musste mich damit auseinander setzen, habe aber immer mehr den Geist, das Herz der Menschen verstanden und bin mit ihnen ein Stück zusammengewachsen. (bleibt oben) Autor Und da Pater Stephan den Menschen hier schon einige Zeit in die Seele geschaut hat, wäre er vielleicht der Richtige, um eine drängende Frage zu beantworten: Lebt man auf einer Insel glücklicher als auf dem Festland? 43. Oton Ich glaube, es geht in jedem Menschenleben sehr ähnlich zu. Wir haben glückliche Tage, wir haben mal schwere Stunden, traurige Stunden und das genau haben auch unsere Insulaner. Ich glaube nicht, dass die Insel ein ganz weltfremdes Eiland ist, sondern dass hier das Leben in Fülle ist - alle Dimensionen werden hier genauso gelebt wie in einer Großstadt, zum Beispiel in Berlin. Musik 8: Titel: Summer wine Interpret: Nancy Sinatra & Lee Hazlewood Komponist: Lee Hazlewood Verlag: Granite Music, LC 03708 44. Oton Also ich bin Kellermeister hier seit '96 und vorher war es mein Vater, 40 Jahr lang und der het noch viel mit Holzfässer gschafft und ich bin eher son Edelstahlküfer. Autor Thomas Sättele - noch einmal : der Herr Sättele - ist Kellermeister des Winzervereins der Insel Reichenau im Bodensee. Und er ist sehr zufrieden mit dem Jahr 2009: 45. Oton Also dieses Jahr haben wir ein extrem gutes Jahr, die letzten vier Wochen keinerlei Niederschläge nur Sonnenschein fast, die gesamte Vegetationsperiode war sehr gut, da waren die Niederschläge schon verteilt, dass die Rebe nie in Stress gekommen ist ...und wir liegen jetzt eigentlich zu 100 Prozent im Prädikatsbereich... Autor Die Reichenau ist wieder zur Weinlandschaft geworden durch eine Flurbereinigung in den 70er Jahren. Plötzlich lagen die neu sortierten Flächen wieder günstig in der Sonne und der Anbau lohnte sich. Viele Flächen sind klein und in Familienbesitz, deswegen übernimmt der Winzerverein die meisten Aufgaben in Anbau und Pflege der Reben. Atmo Reinigen, darüber: 46. Oton Wir sind hier an der Traubenannahme, wo unsere Winzer bringe, vorne werden sie zuerst abgefertigt, jetzt sind wir gerade am Reinigen, und die ersten Winzer werden - denke ich - in einer halben Stunde kommen, dass dann alles picobollo sauber ist, weil Sauberkeit ist unser erstes Gebot... dann mach das mal zu, (Geräusch) können wir das so machen... Atmowechsel, darüber Autor Na gut - dort, wo gereinigt wird, ist es doch ein wenig laut, wir treten zurück. Der Winzerverein ist in den Gewölben unterhalb des ehemaligen Klosters untergekommen, an traditionsreicher Stelle. In der Luft hängt ein schwerer Duft von Most und Alkohol. Die Beeren werden im Verlauf des Tages von den Winzern abgeliefert und über einen Rütteltisch in den kühlen Keller befördert. 47. Oton ...der Rütteltisch ist ein sehr schonendes Gerät, über Schwingungen werden die Trauben zu der Abbeermaschine transportiert , die Abbeermachine trennt die Stiele von den Beeren, von da geht es direkt auf die Presse oder die Vorratsbehälter und wir denn so schnell wie möglich verarbeitet. ... die Gärung im Vergleich zu früher sehr kühl, modern mit Regelautomaten, die Weisweine werden dadurch sehr fruchtig, und wir haben eine sehr fruchtige, teilweise exotische Gäraromatik, und das ist das, was im Moment einfach die Kundschaft auch will. Autor Die Reichenau hat einige Rekorde - sie hat die kleinste Winzergenossenschaft Deutschlands und bewirtschaftet das südlichste Anbaugebiet. Wieder stehen wir auf der Hochwart, jenem alles beherrschenden 40-Meter-Massiv, und blicken über die Weinberge unter uns. Atmo Beerenschneiden, Gerede ohne Ende, Geräusche, Gelächter 48. Oton Wir gehen mal weg, das ist mein Bruder, der macht immer Blödsinn.... Autor Gerhard Deggelmann ist ein gemütlicher Endfünfziger mit verschmitzten Gesichtszügen und außerdem Geschäftsführer des Winzervereins. Die blauen Netze, die die Rebstöcke vor Vögeln schützen sollen, sind zurückgeschlagen. Zwischen den Reihen laufen ein paar Männer und Frauen, in gleichmäßigen Abständen liegen gelbe Plastikbehälter bereit. Die werden nach und nach mit Trauben gefüllt. 49. Oton Jetzt sind wir an der Sorte Kerner. Kerner ist eine Kreuzung zwischen Riesling und Trollinger, das ist eine schwäbische Sorte, gibt es seit ungefähr 30 Jahren. Der Kerner ist bei unserem Kellermeister sehr beliebt, weil er einfach dauernd gute Ergebnisse bringt in der Qualität und in der Menge. Bei uns Winzern ist er nicht beliebt, weil er im Wachstum fürchterlich ist. Sie müssen beim Kerner im Sommer jede vierzehn Tage rein und müssen die Geiztriebe ausbrechen und so weiter. Aber jetzt sind wir an der Ernte, da tut uns der Kerner alles vergüten, was er im Sommer an Arbeit kostet. Autor Wer den Schnittern bei der Arbeit zusieht, stellt fest, dass ein nicht unerheblicher Teil der Trauben entweder gleich gegessen wird - der Bruder von Herrn Deggelmann tut sich hier besonders hervor - oder auf dem Boden landet. Wodurch am Ende der Saison die Vögel doch noch auf ihre Kosten kommen. 50. Oton Da schneiden wir die Traube und wir selektieren sie auch gleich, wenn also Traube dabei sind, wo wir der Meinung sind, dass die nicht reingehören, dann schmeißen wir die einfach auf die Erde, und dann sind sie weg, weil die Ansprüche an unsere Weine sind natürlich ganz deutlich gewachsen, und drum müssen wir auch bei der Ernte sehr selektiv vorgehen, wir tun alles von Hand ernten. Autor Die vollen Kästen werden von Traktoren abgeholt und in den Weinkeller im ehemaligen Kloster gebracht. Noch einmal sind zwei Fremdwörter zu lernen: "ei Teppich" ist nichts anderes als eine Decke, und "ahnihogge" heißt hinsetzen: Decke - hinsetzen: Das ganze Geschnipsel an den Weinbeeren läuft auf ein Picknick hinaus. 51. Oton Sind alles Freunde der Familie, die wir da haben, und wir bezahlen die auch gar nicht, die kriegen ein paar Flaschen Wein und dann tun wir vespern und mittags kommt hoffentlich wieder die Sonne, dann stellen wir da vorne Tische auf, meine Frau ist zu Hause, die macht jetzt Brötchen, dann macht sie Zwiebelkuchen und wir trinken Wein und dann gibt's Kaffee und Kuchen hinterher und vespern wir halt so lang wie wir Lust haben hier. Autor Was vielleicht nicht die Art von Wirtschaft ist, die sich ein Wirtschaftsminister vorstellt, aber es ist offensichtlich eine Art von Arbeit, bei der man das Leben genießen kann. Und dem Wein scheint es auch zu bekommen. Atmo wechselt über in Schlussmusik Sprecher(in) v. Dienst Altes Gemäuer und junges Gemüse Reichenau im Bodensee Eine Deutschlandrundfahrt mit Paul Stänner 1