COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport: Polski Berlin Sendetermin: 05.08.2011 Länge: 18'43 Autorin: Johanna Herzing Redaktion: Heidrun Wimmersberg ___________________________________________________________ Vorschlag zur Anmod: Knapp 41.000 Polen sind in Berlin offiziell gemeldet. Damit stellen sie - wenn auch mit großem Abstand - neben den Türken die zweitgrößte Migrantengruppe in Berlin. Das ist wenig bekannt. Während die Öffentlichkeit lautstark darüber debattiert, wie Integration und Zusammenleben mit den türkischen Einwanderern funktionieren kann, stehen die polnischen Berliner selten im Mittelpunkt des Interesses. Kein Wunder, führen sie doch ein verhältnismäßig unauffälliges Leben in der Hauptstadt: in der Regel gut integriert, leben sie über ganz Berlin verteilt und sehen dabei auch noch aus wie Müller, Meier, Schmitt. Aber gibt es die Polen in Berlin überhaupt? Der Länderreport hat nachgefragt. Beitrag Musik: Gesang: Pierogarnia, Pierogarnia O 1 Lidia So eine Pierogarnia, so ein Ort, wo man sich gut fühlt, wie zu Hause - sowohl für die Deutschen als auch für Polen. Polnische Begrüßung Lidia und Atmo Küche O 2 Lidia Also das war hier so Alt-Berliner Kneipe - das heißt, man kann hier nicht viel machen... Die fragen mich nach Koteletts, nach anderen Sachen, aber das kann man hier nicht machen... ist ziemlich klein... Autorin Die Idee mit der Pierogarnia kam Lidia Kozlowska und ihrem Mann Marek, als die 3 Kinder aus dem Haus waren. Er wollte raus aus seinem alten Job, sie, die gelernte Informatikerin, raus aus der Hausfrauenrolle. Also eröffneten sie ein Lokal. Alleinstellungsmerkmal: Pierogi, und zwar die besten weit und breit, so der Anspruch. Kein Pole, der nicht auf die gefüllten Teigtaschen schwören würde - und an den Deutschen, da arbeiten Lidia und ihre Familie gerade. Atmo Gespräch innen unter Autorentext einblenden Heute wird Geburtstag gefeiert mit Freunden und Stammgästen: 1 Jahr gibt es sie jetzt, die Pierogarnia. In Berlin leben die Kozlowskas schon deutlich länger, genauer gesagt gut 30 Jahre: O 3 Lidia Also mein Mann hatte eine Großmutter, die in Berlin gewohnt hat. Und endlich kam die Zeit, wo er einen Pass bekommen hat - normalerweise hat er immer Absagen bekommen und dann endlich mal hat er eine Zusage bekommen und da hat er von den Leuten gehört, dass die Grenze zu Polen geschlossen sein sollte - das war kurz vor dem Kriegszustand in Polen - Dann hat er mich angerufen und gesagt: mach die Papiere fertig, du kannst vielleicht ausreisen und dann hab' ich auch meine Papiere bekommen; einen Monat später bin ich nach Berlin gekommen. Autorin Viele der polnischen Gäste, die nach und nach das kleine Lokal im Berliner Stadtteil Wedding füllen, und mit einem polnischen Bier von der Theke in den hinteren Gastraum zu den Musikern wandern - viele von ihnen sind seit den 80er Jahren in Berlin. Der Westen war attraktiv und Westberlin lange Zeit der einzige Ort, der für Polen ohne Visum zugänglich war. Es war eine Anordnung der Alliierten, die Polen erlaubte, sich bis zu 30 Tage als Touristen oder Dienstreisende in Westberlin aufzuhalten. Als die Volksrepublik Polen im Dezember 1981 das Kriegsrecht verhängte und die Grenzen schloss, blieben etliche Polen in Westberlin. Und auch später, als das kommunistische Regime die Reisebeschränkungen wieder lockerte, zog es viele Polen in den Westen. O 4 Lidia Damals in Polen gab es gar nichts zu kaufen, na! Da stand Essig, alle Regale waren voll mit Essig und hier konnte man kaufen: Joghurt und solche Sachen und die Kleidung... Ich dachte, das ist alles so voll, so viele Sachen, die ich noch nicht kannte. Und wir haben - klar - Kadewe besucht, alle Etagen ((lacht))... Autorin Lidia und ihre Familie kamen als Aussiedler, erhielten also die deutsche Staatsbürgerschaft. Andere Polen beantragten Asyl, manche blieben als illegale Einwanderer in der Stadt. Wieder Andere planten die Weiterreise, blieben aber hängen in Berlin. So wie Marek; der runde Mann mit Brille, heute Abend Gitarrist und Sänger, sonst Unternehmensberater und Jurist. Die Band macht Pause, Marek steht auf der Straße vor Lidias Laden: O 5 Marek (pl) mit OV Ich wollte nach Australien, wollte aus Polen auswandern. Deutschland, Westberlin, das war in der Nähe. Von hier wollte ich dann weiter nach Australien, aber dann bin ich geblieben. Warum? In Australien wollten die mich nicht, aber hier haben sie mich genommen. Autorin: 1988 war das, vor mehr als 20 Jahren. Inzwischen hat Marek sich eingelebt, kaum vorstellbar für ihn, hier wieder wegzugehen. Wäre da nicht seine Frau. Die ist wieder nach Polen gezogen, den Sohn hat sie mitgenommen. Seither pendelt Marek und - denkt über einen Umzug nach. Hört sich kompliziert an. O 6 Marek (pl) ohne OV Caly zycie jest skomplikowane. Autorin Das ganze Leben ist kompliziert, meint Marek. (weiter O-Ton Marek, wechselt ins Deutsche) - Moja Zona - Meine Frau hat sich nie richtig hier integriert und sie wollte immer wieder nach Polen zurückkehren. Sie hat sich hier nicht wiedergefunden.... Autorin Mit der Integration in die deutsche Gesellschaft ist es so eine Sache. Einerseits fällt sie den Polen nicht schwer: äußerlich sind sie nicht als Fremde zu erkennen, ein Großteil ist katholisch. Viele haben schnell Deutsch gelernt. Andererseits standen Polen auch unter starkem Assimilationsdruck. In den 80er Jahren war man als Pole in Deutschland nicht unbedingt gut angesehen. O 7 Marek (pl) mit OV Die West-Deutschen schauten auf die Polen genau wie auf ihre Angehörigen in der DDR: Sie haben die Polen wie arme Nachbarn behandelt. Naja, aber natürlich hängt das auch davon ab, mit welchen Leuten man sich abgibt und mit wem man Kontakt hat. Autorin Marek hält nicht viel von Pauschalurteilen und Stereotypen. Typisch Polnisch, typisch Deutsch - das gibt es doch gar nicht. Für ihn steht fest: Polen und Deutsche lachen über die gleichen Witze und - essen die gleichen Schnitzel... ((Atmo Cafe einblenden)) Humor hilft über Vieles hinweg - über Verachtung, über Gleichgültigkeit, über Launenhaftigkeit. O 8 Meister Die deutsche Geschichte ist über die Jahrhunderte hinweg immer ein Wechselbad der Gefühle was die Polen anbetrifft. Entweder es oszilliert zwischen den heldenhaften Freiheitskämpfern, die gegen die Russen, gegen wen auch immer, gegen die Türken vor Wien, uns retten und zwischen den faulen, chaotischen, desorientierten Polen, die uns irgendwas wegnehmen wollen. Also das oszilliert immer je nach Gefühlslage. ((Atmo Cafe weiter)) Autorin Hans-Peter Meister sitzt in einem Cafe am Potsdamer Platz. Er arbeitet im IT-Bereich eines großen Unternehmens. Seine Biografie ist - sagen wir - vielseitig. Er ist Islamwissenschaftler, hat längere Zeit in arabischen Ländern gearbeitet, ist zwischendurch Journalist, Taxifahrer und arbeitslos gewesen. In den 80er Jahren hat er den Polnischen Sozialrat in Berlin unterstützt, einen Verein, der Polen bei allem Möglichen hilft: bei Amtsgängen, bei sprachlichen Problemen, bei Geldsorgen, seelischer Not und Gebrechlichkeit. Der Sozialrat hat seinen Sitz im links-alternativen Berlin-Kreuzberg, direkt an der Oranienstraße; das selbst gewählte Wappen: Hammer und Sichel, ach nein: Sichel und Banane. So viel Ironie war den linken Berlinern wohl suspekt, wie auch die Polen generell: O 9 Meister Sie flüchteten vor dem real dahinsiechenden Kommunismus, sie waren antikommunistisch, sie waren Mitteleuropäer, nicht besonders exotisch, sie waren konservativ, zum Teil wirklich christlich orientiert, also das, was viele als spießig empfanden und waren also nicht die Flüchtlinge, die man sich vorgestellt hat. Autorin Trotz allem sei die Integration der Polen in Berlin und in Deutschland gelungen - eine Erfolgsgeschichte, so Hans-Peter Meister. Weshalb es doch eigentlich gegenwärtig spannender sei, sich mit den Türken und Arabern in Deutschland zu beschäftigen. Polen, mit dem Thema sei er irgendwie durch. Es ist Lidia, die Besitzerin der Pierogarnia, die sagt, warum es eben doch nicht durch ist, das Thema: O 10 Lidia Es gibt auch Unterschiede. Weil die, die hierher gekommen sind, um zu arbeiten, die haben Gewerbe angemeldet. Die sind eigentlich immer nur damit beschäftigt, Geld zu verdienen. Das ist nicht so einfach, das heißt vieles bleibt auf der Strecke - auch die Kindererziehung, die Pläne von den Kindern. Da ist man eigentlich immer nur beschäftigt, Geld zu haben, Geld zu machen. Die, die so wie wir sind, schon so viele Jahre, die haben eine ganz andere Sichtweise. Autorin "Die Polen in Berlin", gibt es ja genau genommen gar nicht. Es gibt Aussiedler, Wirtschaftsflüchtlinge, ehemalige Asylanten, illegale Migranten, ehemalige Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die geblieben sind, Saisonarbeiter, Werkvertragsarbeitnehmer. Es gibt reiche und es gibt arme Polen, es gibt Aufsteiger und Verlierer. Es gibt Täter und es gibt Opfer. O 11 Böning: ((Telefon klingelt)) Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte, Böning.... ((redet Polnisch, unter Autorentext blenden)) Autorin: Herr Kazimierz mal wieder. Eigentlich ist Marta Böning gar nicht zuständig. Schließlich sitzt Herr Kazimierz in Norddeutschland, Marta Böning hingegen im grau-blauen Gebäude des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin. Aber weiterhelfen will sie trotzdem, und so verweist sie Herrn Kazimierz an eine Anwältin, die sich in solchen Angelegenheiten auskennt. Vielleicht kann sie den riesigen Steuerschlamassel entwirren, in den Herr Kazimierz und seine Kollegen geraten sind. ((((O 12 Böning: 4 Menschen, wo man sieht, die stecken in Problemen bis zum Hals. Gleich müssen sie 5-6000 Euro Steuern nachzahlen. Sie haben das Geld nicht, sie haben das Geld auch nie verdient, also nicht in der Höhe von der sie diese Summe abführen müssten, haben sich also absolut reinlegen lassen.)))) Autorin: Polnische Arbeiter in Berlin, die nicht oder zu gering bezahlt werden, die übermäßig lang arbeiten müssen oder unwissentlich als Selbstständige angemeldet wurden und jetzt - wie Herr Kazimierz - mit immensen Steuerforderungen konfrontiert sind. Das ist die Klientel von Marta Böning. In ihrem Büro, das der Berliner Senat finanziert, berät die junge Frau so genannte mobile Arbeitnehmer aus Ost- und Mitteleuropa. Menschen, die gekommen sind, um hier nach Jobs zu suchen oder von ihren polnischen Firmen geschickt wurden, so genannte entsandte Arbeitnehmer oder Arbeitnehmer mit Werksvertrag. Für polnische Arbeiter, die sich nur kurze Zeit in Deutschland aufhalten, vielleicht sogar pendeln, ist Berlin ein beliebtes Ziel, schließlich ist es nur gut 80 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Nach europäischem Recht haben diese Beschäftigten die gleichen Rechte und Pflichten wie die inländischen Arbeitnehmer. Oft genug werden diese Regelungen aber umgangen. Nicht unbedingt von den Arbeitern selbst, sondern von skrupellosen Geschäftsleuten, meint Böning: O 13 Böning: Ich könnte Ihnen stundenlang von den Missbrauchs-Möglichkeiten oder von den Umgehungsmöglichkeiten erzählen (...) Es werden Handbücher und Zeitungen herausgegeben von diesen Firmen für diese Firmen, die in Polen tätig sind, mit Empfehlungen auf juristisch hohem Niveau, wie man die Steuerzahlergemeinschaft und den Fiskus und die Sozialversicherungsträger und die Sozialversichertengemeinschaft betrügt. Autorin: Vor dem 1. Mai dieses Jahres war die Gewerbeanmeldung ein besonders beliebtes Modell. Ließen sich doch auf diesem Wege die Beschränkungen umgehen, mit denen Deutschland bestimmte Branchen vor der Konkurrenz aus den neuen osteuropäischen EU-Staaten schützen wollte. Aber auch nach der vollständigen Umsetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in diesem Jahr lohnt der Kniff: Mindest- und Tariflohn werden auf diesem Weg ausgehebelt, die deutsche Sozialversicherungspflicht vermieden. Die polnischen Arbeiter wissen oftmals gar nicht, dass sie als Selbstständige bzw. Scheinselbstständige beschäftigt werden. Oft beherrschen sie kein Deutsch, unterschreiben dann ein Papier, das sie für einen Arbeitsvertrag halten, das aber in Wirklichkeit eine Vollmacht zur Anmeldung eines Gewerbes ist. Mit dem Ergebnis, dass sie weniger verdienen, als ihnen nach dem jeweils geltenden Mindestlohn zustehen würde. Betroffen sind vor allem die Branchen: Gebäudereinigung, Pflege und Bau. O 14 Böning: Das Gewerbeamt nimmt diese Anmeldungen auf Grundlage der Vollmachten entgegen und meldet die Gewerbe an und fragt nicht, wie eine selbstständige Tätigkeit unter diesen Bedingungen überhaupt möglich ist. Aber sie ist nicht möglich: also man kann nicht von einem 6- Personen-Zimmer aus sein Büro betreiben; also man braucht wenigstens einen Computer, einen Schrank, einen Schreibtisch usw. um ein Solo- Unternehmen zu führen, um das Ganze bürokratisch zu begleiten, um irgendwelche Rechnungen zu sammeln uns zu katalogisieren usw was man alles machen muss. Autorin: Büro- und Wohnraum sind in diesen Fällen oftmals identisch. Manchmal sind es Baucontainer, manchmal Mietwohnungen, manchmal sogenannte Arbeiter-Hostels... Atmo Stralau Kinderspielplatz-Lärm (4'20) ... mitunter in den schönsten Gegenden Berlins. Eine Landzunge im Osten der Stadt, direkte Wohnlage an der Spree. Viele Neubauten stehen hier, Häuser, die sich Stadtvillen nennen. Abgesehen von den Kindern auf dem Spielplatz sind nur wenige Menschen in den Straßen zu sehen. Atmo Stralau Blätterrauschen (ab 0'00) Hier soll es ein Arbeiter-Hostel geben, hat Marta Böning gesagt. Eine Gruppe von über 20 Bauarbeitern, die dort lebten, hatte sich vor einiger Zeit bei ihr gemeldet, weil sie nicht bezahlt wurden. Böning verständigte die Bau-Gewerkschaft, die wiederum die Arbeiter in ihrem Hostel aufsuchte. Dort soll es zu unschönen Szenen gekommen sein. Die Mittelsleute hatten Wind von der Sache bekommen und wollten den Gewerkschaftern den Zutritt verwehren. Atmo Schritte Das Haus, von dem Marta Böning gesprochen hat, passt tatsächlich nicht in diese Gegend: Ein Plattenbau aus grauem Waschbeton, in den Fenstern beige Lamellen-Vorhänge. Ein Büro-Gebäude könnte man meinen. Ein Schild jedoch weist eine Immobilien-Verwaltung und ein Hostel aus, das seinen Kunden "Magical moments" verspricht. Die Rezeption allerdings: nicht besetzt. Atmo Stralau Klopfen (2'51) Auch die Haus-Verwaltung ist nicht anzutreffen. Der Flur leer bis auf eine schmutzig-pinke Sitzgruppe. Polnische Arbeiter sind auch nicht zu sehen. Atmo Tippen Zurück in der Redaktion ergibt eine kurze Internet-Suche, dass beide Unternehmen immerhin existieren. Ein Zimmer im Hostel gibt's ab 15 Euro, für Monteure und Bauarbeiter noch mal 10 Prozent Rabatt. Etwas dunkle Fotos zeigen spärlich eingerichtete und wenig einladende Räume. Ein Bericht in einem Internet-Forum: Zitat: Kennt ihr einen Menschen den ihr überhaupt nicht leiden könnt? Ja? Dann schenkt ihm eine Reise in dieses Hostel! Zu den harten Fakten: Der Zustand: Es war dreckig, nochmals dreckig und wir bekamen nicht das geboten, was uns auf der Internetseite suggeriert wurde. Das gebuchte Zimmer war ein altes Bürozimmer, in das defekte Möbel gestellt wurden. Der Schrank fiel halb auseinander, der Spiegel hatte einen großen Sprung, der Tisch war wackliger als der Stuhl & das defekte Bett wurde mittels Kabelbindern & Steinen zusammengehalten. Das einzig heile in diesem Raum war das Medizini-Apotheken-Kinderposter an der Wand. Autorin: Ein runtergekommenes Hostel also. Und die Arbeiter? Die Stadt Berlin betreibt eine elektronische Datenbank, in der alle Gewerbetreibenden gelistet sind, nach Adresse sortiert. Für den kleinen Plattenbau in Ostberlin sind es exakt: 76. Von B wie Baniewski bis Z wie Zowicki - alles selbstständige Fliesenleger, Baugehilfen, Rohrleger, Tür- und Zargen- Monteure. Wie viele von ihnen tatsächlich dort wohnen, bleibt unklar. Von der IG Bau ist zu hören, dass im Fall des Bauarbeiter-Trupps, der sich gegen seine Ausbeuter zur Wehr setzte, ermittelt wird. Das Hostel wird aber wohl weiter bestehen bleiben. Atmo Kreuzberg Straße mit Atmo Baustelle Die Situation der Bauarbeiter, der Putzkolonnen und Pflegekräfte - sie ist nur ein Detail in einem großen bunten Gemälde. Das polnische Berlin hat viele Facetten. Es hat eine reiche Kulturszene mit eigenem Film-Festival, Clubs und Kunst-Galerien, mit wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen, deutsch-polnischen Verbänden und Kultur- Treffs. Und: es hat eine große Anzahl von jungen Menschen, die zwischen den Kulturen stehen, zwischen der deutschen und der polnischen. O 15 Sozialrat: Mateusz?! Johanna fragt, ob bist du ein Pole bei uns... Ja, ja - ich bin einer dieser Polen, die schon lange hier sind - seit genau 23 Jahren ... Autorin: Mateusz ist 27 Jahre alt, die ersten 5 Jahre seines Lebens ist er in Polen aufgewachsen, dann kam er mit seinen Eltern nach Norddeutschland. Zum Politikstudium ist er nach Berlin gezogen - die Stadt hat ihn einfach interessiert. Mateusz fühlt sich in Deutschland zuhause, hat sich gut akklimatisiert wie er sagt. Jetzt, während der Semesterferien, macht er ein Praktikum beim Polnischen Sozialrat, übersetzt Formulare und Anträge, hilft polnischen Landsleuten, die sich weniger gut zurecht finden als er. Mit Mateusz' eigener Realität hat das nichts zu tun. Er spricht perfekt Deutsch, ist integriert, lebt ein typisches Berliner Studentenleben. Kann sich gar nicht mehr vorstellen, woanders zu leben. Mehr Deutscher als Pole also? O 16 Mateusz: Wie wär's damit: Ich bin Kosmopolit! Ich fühl mich weder als Deutscher noch als Pole. Es ist wirklich schwierig, wenn man aus 2 Ländern stammt, eine Identität aufzubauen. Es reicht einfach nicht aus, um zu sagen: ich bin ein 100-prozentiger Pole, genauso wie es nicht ausreicht zu sagen, ich bin ein 100-przentiger Deutscher, weil man doch sehr viele Unterschiede noch immer feststellt aufgrund der polnischen Mentalität, die man von den Eltern mitbekommen hat. Autorin: Ein typisches Dilemma, meint Katharina Blumberg-Stankiewicz, aber auch ein Potential. Die junge Wissenschaftlerin von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder schreibt gerade an ihrer Doktorarbeit. O 17 B-St: Also ich hab' sie betitelt mit "Uneindeutige Andere" und es geht um Migranten der 2. Generation, die ich hier in Berlin treffe, die ich hier interviewe, die hier leben praktisch... Autorin: ... und die mitunter ziemlich unschlüssig sind, was die eigene Identität angeht. O 18 B-St: Die Überlegung: bin ich Migrant, soll ich mich Migrant nennen, so stell ich mich sonst nicht vor. Bin ich Deutsche, bin ich Polin? Vielleicht am liebsten Europäerin... Autorin: Eine Frage, auf die auch sie selbst noch keine Antwort hat. O 19 B-St: Was ist polnisch an mir? Pfff, vielleicht ein gewisses Chaos, aber dann würde ich sagen: Perfektionismus hab' ich auch als Deutsche; wer weiß, ob ich das so zuordnen kann. Das ist oft einfach ein Fallstrick. Also ich kann damit spielen; ich kenn ja auch die Stereotype und lach' auch selbst drüber, aber eigentlich geht's mir darum, dass ich meine eigene Persönlichkeit in diesem Mischmasch versuche zu finden....ja? ------ Schluss ----- 1