COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Tatort Gedenkstätte Wo und wie gedenkt man in der Hauptstadt? Autor Treusch, Wolf-Sören Redaktion Stucke, Julius Regie Cossais, Clarisse Länge 19'58' Sendung 09.11.2012 - 13 Uhr 07 Der 9. November - ein geschichtsträchtiges Datum. Beginn der Novemberpogrome gegen die Juden in Deutschland (1938). Und Tag des Mauerfalls (1989). Ein Tag also, der vielerlei Anlass gibt zu gedenken - der Toten des Faschismus, der Toten der Berliner Mauer, der Opfer verschiedener deutscher Diktaturen. Ab wie gedenkt man - und wo? Wie gestaltet man Gedenkstätten? Berlin bietet mittlerweile, besonders im Zentrum, eine Reihe von Gedenkorten, Mahnmalen. Fußläufig für Touristen zu erreichen - wer fährt noch zu den Tatorten, etwa den Konzentrationslagern? Was bewirkt die Häufung von Gedenkstätten im Zentrum und was will man bewirken? Erinnern oder das Gewissen beruhigen? Ein Länderreport über die Frage des 'richtigen' Gedenkens bis hin zur Frage: Gibt es die perfekte Gedenkstätte? M A N U S K R I P T B E I T R A G Ein sonniger Herbsttag im Zentrum Berlins. Ein junger Spanier erklärt einer Besuchergruppe aus seiner Heimat, auf welch historischem Gelände sie sich gerade befinden - ,Topographie des Terrors' heißt die Freiluftausstellung. Zwischen 1933 und 1945 befand sich exakt hier, wenige hundert Meter vom Potsdamer Platz entfernt, die Schaltzentrale des nationalsozialistischen Terrors: das Geheime Staatspolizeiamt mit eigenem "Hausgefängnis", die Reichsführung-SS und während des Zweiten Weltkriegs auch das Reichssicherheitshauptamt. Ungläubig blicken die Besucher auf die steinernen Überreste der originalen Kellermauern. Dass diese Reste heute wieder zu sehen sind, ist unter anderem ein Verdienst von Christine Fischer-Defoy. In den 80er Jahren machte sie sich in einer Bürgerinitiative dafür stark, die Spuren der NS-Herrschaft an diesem Ort freizulegen. 1987 wurde das Gelände im Rahmen der 750-Jahr-Feier Berlins der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. (Fischer-Defoy) Das Wunderbare und gleichzeitig Erstaunliche, was aber auch Jahre lang Kraft gekostet hat, ist: das überhaupt zu erreichen. Dass in Berlin eben nicht nur an die Opfer gedacht wird, sondern dass wir eben auch die Stadt sind der Täter und der Taten, das hat man ja 40, 50 Jahre ignoriert, verdrängt, heute gehört es zur Political Correctness, dass man sich an Verfolgung, Widerstand und auch an die NS-Täterschaft erinnert, heute sind die Leute stolz, wenn an ihrem Haus eine Gedenktafel angebracht wird oder ein Stolperstein gelegt, noch nicht lange ist es her, dass man gesagt hat: das mindert den Wert meiner Immobilie, wenn da drauf steht, dass in diesem Haus Juden gewohnt haben, und noch nicht lange ist es her, dass solche Initiativen einfach auf die lange Bank geschoben wurden. ATMO (junge Besucherinnen) Bildungsurlaub. (Lachen) (Fischer-Defoy) Ich freue mich, wann immer ich da vorbei komme, dass da wirklich Tausende von Leuten jeden Tag, 800.000 im Jahr, dort sind und sich diese Tafeln und Texte angucken und sich mit diesem Thema der deutschen Täterschaft beschäftigen. Die ,Topographie des Terrors' ist das, was man einen authentischen Gedenkort nennt. Die originalen Gebäudereste garantieren: der Ort ist echt. Nicht nur Touristen aus aller Welt, auch viele junge Besucher aus Deutschland zieht er in seinen Bann. (Besucher) Man schaut ja auch, was die Vorfahren erlebt haben oder durchgemacht haben und ist dankbar, dass wir es jetzt nicht so haben. Für die Zeit, die wir jetzt erleben dürfen. Wenn man das so sieht. Hier sind wir jetzt in Berlin, gucken uns das vor Ort an, das ist auch noch mal etwas anderes. So viel Anschauungsmaterial hat man nicht im Geschichtsunterricht. Und deshalb ist das schon mal interessant. Zu Fuß kann man sehr viel davon wahrnehmen auch, ich denke, wir werden nachher auch noch übers Stelenfeld laufen, so die Achse schlagen, mal gucken. Kann nie zu viel sein. Finde ich. Also es ist immer wichtig, so Punkte zu haben, wo man dran erinnert wird. Also für die kurze Urlaubszeit ist es zu viel. Man schafft es in der kurzen Zeit nicht, sich alles anzuschauen. Aber ansonsten: wenn man die Zeit hat, sollte man sich schon alles anschauen. Zum Beispiel auch das Stelenfeld einen knappen Kilometer weiter nördlich. Das ,Denkmal für die ermordeten Juden Europas', kurz Holocaust-Mahnmal, ist ebenfalls ein großer Publikumsmagnet. Eine halbe Million Menschen besucht jährlich das Dokumentationszentrum, diejenigen, die einfach nur so durchs Stelenfeld spazieren, bleiben ungezählt. Die Besucherordnung des Mahnmals regelt, das Stelenfeld dürfe grundsätzlich nur zu Fuß und im Schritttempo durchquert werden. Doch das kümmert nicht jeden. Uwe Neumärker, Geschäftsführender Direktor der Stiftung ,Denkmal für die ermordeten Juden Europas', sieht es gelassen. (Neumärker) Das war von Anfang an ein Wagnis, wie wird das Denkmal angenommen, und es steht nirgendwo groß dran: ,dies ist ein Denkmal, das 6 Millionen ermordete Juden ehrt, du musst andächtig sein oder baren Hauptes durch dieses Stelenfeld wandern', genau das ist es nicht, und so verhalten sich diese Menschen eben sehr unterschiedlich. Natürlich gibt es viele Menschen, die sich darüber aufregen. Ich selbst habe auch schon Holocaust- Überlebende erlebt, die mir gesagt haben, gerade Kinderlachen, gerade Leben an einem solchen Ort, auch wenn er symbolisch ist, ist doch so was wie ein später Triumph. Und das gehört dazu, es ist kein Gräberfeld. Berlin verfügt über reichlich authentische Spuren der Erinnerung an Nazi-Diktatur und SED-Unrechtsstaat. Doch nicht jeder Gedenk-Ort ist authentisch, ist Tatort. Das Holocaust-Mahnmal ist dafür ein gutes Beispiel. Mehr als 30 Mahnmale, Denkmale und Gedenkstätten befinden sich im Zentrum der Stadt oder sind in Planung, in einem Umkreis von gerade mal zwei Kilometern. In Berlins Mitte ist es eng. (Klemke) Berlin ist nun mal das Rom der Zeitgeschichte, wir haben hier überall Orte, die eigene Geschichte haben, und zwar Geschichte, die weit über die Bedeutung einer Kommune hinausgehen, auch weit über die Bedeutung eines Landes hinausgehen. Das heißt: wir müssen uns konzentrieren und die Orte auswählen, die am besten geeignet sind, die richtige Geschichte zu erzählen. Rainer Klemke, frisch pensionierter Gedenkstättenreferent des Senats, hat einiges dafür getan, dass Berlin so etwas wie die Hauptstadt des Gedenkens geworden ist. Eines seiner wichtigsten Projekte war der Ausbau der ,Gedenkstätte Berliner Mauer' zum zentralen Erinnerungsort an die deutsche Teilung. Auf eineinhalb Kilometer Länge erstreckt sich die Freiluftausstellung über den ehemaligen Grenzstreifen in der Bernauer Straße. Einer seiner größten Kritiker ist der Stadtplaner und, so nennt er sich selbst, "Veteran der Erinnerungsarbeit" Dieter Hoffmann-Axthelm. Er hält den Ausbau der Mauer- Gedenkstätte für "Gedenkwahn". (Dieter Hoffmann-Axthelm) Was mich hier vor allem stört, ist, dass das Gedenken übergreift in ganz andere Kategorien, nämlich dass es Stadtplanung wird. Das heißt, dass wir Teile der Stadt in ein Freiluftmuseum verwandeln, also die Stadt ist dann gar nicht mehr für die Städter da, sondern sie ist dafür da, dass sie von anderen besichtigt wird. Und da fängt das ganze Konzept an zu kippen, eine Stadt, die im Wesentlichen nur für die Touristen da ist im Zentrum, so eine Stadt möchte ich nicht haben. Da ereifert man sich Jahrzehntelang über Rotenburg ob der Tauber und macht das hier mit einem anderen Konzept auf die gleiche Weise. (Klemke) Na, wenn Sie in Washington durch die Mall gehen, haben sie weit mehr Orte. Ich meine, wenn Sie in eine Stadt gehen, wollen Sie sie auch zu Fuß erschließen. Und wir erleben, dass die Besucherzahlen in zeitgeschichtlichen Einrichtungen, Gedenkstätten in der Zeit, in der ich das jetzt verfolge, von 400.000 auf 10 Millionen gestiegen sind. Das zeigt, dass der Besucher das auch goutiert. Wir bauen da nicht an irgendjemandem vorbei, sondern wir schaffen die Orte, die auch ihr Publikum finden. Tourismuswerber schätzen: 2017 werden 30 Millionen Menschen pro Jahr nach Berlin reisen, die Mehrzahl von ihnen wird einen oder mehrere Gedenkorte in der Stadt besuchen. (Hamann) Zweifelsohne ist Geschichte natürlich ein Standortfaktor für Berlin. Christoph Hamann, Gesellschaftswissenschaftler und Vorstandsmitglied von ,Lernen aus der Geschichte e.V.', einem Verein, der mit Hilfe eines umfangreichen Online- Bildungsportals eine lebendige Erinnerungskultur aufrechterhalten will. (Hamann) History sells, Berlin wird im Inland wie im Ausland in hohem Maße identifiziert mit Geschichte, mit Vergangenheit, die Frage ist, ob das illegitim ist, gewissermaßen diesen Standortfaktor - ich weiß, das ist ein etwas problematischer Begriff im Kontext der deutschen Diktaturgeschichte - diesen Standortfaktor natürlich auch zu nutzen, wenn es denn auch der Aufklärung dient. Und das können wir, glaube ich, sagen. Auf der anderen Seite ist es aber auch so: man muss auch verstehen, dass es Gedenkorte in der Mitte Berlins gibt, weil: es dreht sich bei solchem Diskurs auch immer um Anerkennung. Die Anerkennung ist natürlich umso höher, die politische Anerkennung, die gesellschaftliche Anerkennung ist umso höher je mehr so ein Gedenkort im politischen Zentrum situiert ist. ATMO (Geigenton Sinti & Roma-Mahnmal) (Neumann) Die Errichtung des Denkmals war ein langer und schwieriger Weg, aber es war richtig und wichtig, ihn zu gehen. In Berlin, der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, ist damit ein Erinnerungszeichen von besonderer Bedeutung entstanden. Vor Kurzem hat Kulturstaatsminister Bernd Neumann im Beisein von Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel einen weiteren wichtigen Gedenkort nahe dem Regierungsviertel eingeweiht: ,das Denkmal für die von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma Europas'. Zoni Weisz, ein Überlebender des Holocaust, dessen Eltern und Geschwister im so genannten Zigeunerlager von Auschwitz-Birkenau umgebracht wurden, appellierte auf der Gedenkfeier an die Gesellschaft, sie möge die Sinti und Roma endlich respektieren. (Weisz) Ich hoffe, dass mit der Einweihung dieses Denkmals, wie ich es nenne: der vergessene Holocaust nicht länger vergessen sein wird und die Aufmerksamkeit erhält, die er verdient. (Karavan) I'm very moved. May be, it's the greatest moment of my life. ... Auch der israelische Künstler Dani Karavan zeigte sich bei der Einweihung des Denkmals sehr bewegt, es sei nicht nur der größte Moment, sondern vielleicht auch die wichtigste Arbeit seines Lebens, sagte er. Das Mahnmal befindet sich auf einer kleinen Lichtung im Tiergarten, zwischen Reichstag und Brandenburger Tor: ein schwarzes, flaches, kreisrundes, mit Wasser gefülltes Becken. In der Mitte eine dreieckige Stele, auf der immer eine frische Blume liegt. Drum herum ein paar Stelltafeln, die über den Holocaust an den Sinti und Roma informieren. Aus Lautsprechern, die im Gebüsch versteckt sind, ertönt ein Geigenton. (Klemke) Ich bin der festen Überzeugung, dass die Hauptstadt nicht von Bonn nach Berlin hätte ziehen können, wenn nicht ein solches Zeichen gesetzt worden wäre. Wie das Denkmal der ermordeten Juden Europas und zwar auch an solch einem prominenten Ort. Rainer Klemke, 16 Jahre lang Gedenkstättenreferent des Berliner Senats.] (Klemke) Weil es das Stein gewordene Zeichen dafür ist, dass sich Berlin und Deutschland zu seiner Verantwortung bekennt. Deshalb war auch hier eine Abweichung von dem Gedenkstättenkonzept, was grundsätzlich eben den historischen Ort verlangt, notwendig. Aber: indem ich diesen Schritt gegangen bin, heißt es automatisch, dass ich auch für die anderen Opfergruppen an einem ähnlich prominenten Ort, und das heißt: im Zentrum der Stadt, etwas schaffen muss. Wer A sagt, muss auch B sagen. Auf engem Raum gibt es deshalb nicht nur das Holocaust-Mahnmal, sondern auch das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma, ein weiteres für die verfolgten Homosexuellen und bald auch eines für die Opfer der NS-"Euthanasie"-Morde. Manch Besucherin schwirrt da der Kopf. (Besucherin) Ich habe einige Gedenkstätten gesehen, die mich emotional sehr berührt haben. Und die ich verarbeiten muss und wo ich auch Emotionen zulassen möchte. Und wenn Gedenkstätten etwas überhand nehmen, und man läuft als unvorbereiteter Tourist durch die Stadt, ist das ein bisschen wie im Kino oder wie im Film: man sieht irgendwas, ,oh boh, guck ich mir an', und dann ist es schon wieder weg, weil schon das nächste Ereignis oder auf neudeutsch das nächste Event wartet wieder auf einen, und da bleiben mir persönlich die Emotionalität und der Tiefgang auf der Strecke. Ein weiterer, oft geäußerter Kritikpunkt: je mehr Mahnmale und Gedenkstätten es gebe, desto mehr würden die Menschen sie nur noch als Kranzabwurfstellen nutzen. Christoph Hamann sieht das nicht so. Dem Geschichtsdidaktiker kann es nicht genügend Spuren der Erinnerung geben, er ist ein großer Befürworter authentischer, dezentraler Gedenkkonzepte. Aber er versteht, dass es manchmal notwendig ist, sich davon zu lösen. (Hamann) Als es um die Diskussion zum Denkmal für die Sinti und Roma ging, ging es auch darum, ob man nicht im Lager Marzahn besser daran erinnert, und ich glaube, die konservative Seite hier in Berlin, der damalige Regierende Bürgermeister Diepgen hat sich kritisch geäußert über eine ,Gedenkmeile', ob es nicht besser wäre, am authentischen Ort zu erinnern, das läuft aber schnell in die Falle, als Abwertung, als Nicht-Anerkennung gewertet zu werden, und dass muss man natürlich mitdenken. Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität, führt einen weiteren Aspekt an, warum es zu einer, wie er es nennt, "Verdenkmalung des Zentralbereichs" gekommen ist, ja kommen musste. (Münkler) Interessanterweise hat es am Ende des 19. Jahrhunderts nach der Reichsgründung überall in Deutschland ebenfalls eine solche Verdenkmalung gegeben: vom Arminius im Teutoburger Wald über den Turm auf dem Kyffhäuser, Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, das Interessante ist nun, dass in Deutschland im Unterschied zu Frankreich und den Briten diese Denkmäler damals im Wald, in der Natur errichtet worden sind und nicht in der Hauptstadt, und jetzt könnte man sagen: in der Art und Weise, wie wir uns nun auf die Hauptstadt konzentrieren und damit auch eine Touristrecke für Denkmalsbegehung schaffen, haben wir gewissermaßen auch hier Anschluss an den Westen gewonnen, und das heißt: Verdenkmalung des Zentralbereichs. ATMO (Tourirummel Checkpoint Charlie) ... Now it has been taken by german acting students. ... Ortswechsel: am Checkpoint Charlie ist die Verdenkmalung Massen-Folklore geworden. An einem Ort, der, so meint man, über genügend authentische Spuren der Erinnerung verfügen sollte, lassen sich die Touristen mit Schauspielstudenten in GI-Uniform ablichten, bieten fliegende Händler Kalte-Kriegs-Devotionalien feil und verströmen Imbisswagen den Geruch von Currywurst und Döner Kebab. Über der Szenerie schwebt ein Hauch von Disneyland. (Hamann) Natürlich gibt es auch historische Orte, die sich nach meiner Auffassung zu wenig um Aufklärung kümmern, prominentes Beispiel ist der Checkpoint Charlie, ja, der Checkpoint Charlie ist ein Rummelplatz von verschiedensten Akteuren, die verschiedene Art und Weisen haben, mit Vergangenheit umzugehen, da geht es um kommerzielles Interesse, da geht es natürlich auch um Deutungshoheiten, die Wege dort sind sehr unterschiedlich, das zum Beispiel wäre für mich ein Ort, den man durchaus optimieren könnte. Mal vorsichtig formuliert. Die Politiker der rot-schwarzen Regierungskoalition streiten zurzeit, ob Berlin an dieser Stelle ein landeseigenes Museum des Kalten Krieges braucht. Rainer Klemke sagt: ,natürlich, Checkpoint Charlie brauche endlich einen seriösen Umgang mit seiner Geschichte'. Und der Investor, in dessen Neubau das Museum einziehen würde, hätte auch etwas davon. (Klemke) Wir bringen 200-400.000 Menschen da ins Haus, und: wer an diesem Ort eine solche Liegenschaft erwirbt, muss auch mit dem Begriff des Ortes arbeiten, weil es weltweit eine Adresse ist. Und das kann er nicht besser als durch die Tatsache, dass wir ein solches Museum dort einrichten. Wir werden einen Eingangsbereich im Erdgeschoss haben, werden in die beiden unteren Etagen in die Geschichte hinabsteigen, das sind also Flächen, die ohnehin nicht besonders attraktiv für ihn sind, man könnte natürlich Parkhaus machen oder sonst was, aber es ist nicht die Haupt-Profit-Etage, und insofern passt es auch für jeden anderen Investor. Das Museum des Kalten Krieges ist Zukunftsmusik. Solange müssen sich die Berlin- Besucher mit der Rummelbude des Museums am Checkpoint Charlie zufrieden geben. Oder neuerdings mit dem Panoramabild von Yadegar Asisi. ATMO (Panometer) 0'10 frei, dann drunter Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten. (pathetische Musik) 15 Meter hoch, 60 Meter lang zeigt es eine typische Mauersituation aus den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Vorne der Westen mit Autowerkstatt, Aussichtsplattform, Freaks am Lagerfeuer, hinter der Mauer der Osten mit monströser Grenzanlage und verfallenen Wohnhäusern, in denen hier und da ein Licht brennt. Der Künstler hat die Szenerie atmosphärisch verdichtet, sie ist nicht originalgetreu. Die Besucherinnen sind begeistert. (zwei Besucherinnen) Die Mauer gibt es ja nicht mehr, was ja gut ist, deswegen ist es ganz toll, dass man die sinnliche Erfahrung wirklich machen kann, als ob man über die Mauer schaut und sieht, wie es da aussah, was da passiert ist. Ich finde allgemein, in Berlin gibt es ganz viele sinnliche Gedenkstätten, es ist hier einfach sehr viel Geschichte sinnlich erlebbar, und das finde ich ganz toll. Da gehört das hier dazu. (Hamann) Zum historischen Lernen gehört natürlich eine kognitive Seite, also da gehört natürlich das Wissen dazu, da gehört natürlich eine rationale Urteilsbildung über Vergangenheit dazu, aber es gehört auch - durchaus legitim - eine affektive Seite dazu, insofern ist das Panometer, kann doch durchaus legitim sein, das einzige, was eben nicht legitim ist, ist eine Vereinseitigung. Also wenn man historisches Lernen oder die Auseinandersetzung mit Vergangenheit reduziert auf Emotionen oder auf Anschaulichkeit und den anderen Teil, also eine aufklärerische Durchdringung vergisst. (Besucherin) Die Stadt hat die Geschichte, die sie hat, und die darf auch nicht vergessen werden. Dafür ist es auch einfach noch zu frisch. Nein, das ist super. Dass man das alles erleben kann, nachlesen kann und anschauen. Ist total wichtig. Aber wer macht sich dann noch die Mühe, zu den Tatorten an der Peripherie zu fahren? Wer besucht noch das Zwangslager Berlin-Marzahn, in dem Sinti und Roma für den Transport nach Auschwitz-Birkenau versammelt wurden? Wer besucht das Konzentrationslager Sachsenhausen oder die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, die ehemalige Untersuchungshaftanstalt für politisch Verfolgte des DDR-Regimes? Doch: auch die Besucherzahl abgelegener Gedenkstätten steigt kontinuierlich an. Man profitiere vom stärker werdenden Berlin-Tourismus, heißt es dort. Allerdings besuchten immer weniger Schulklassen solche Orte. So sei die Zahl der Schülergruppen in der KZ- Gedenkstätte Sachsenhausen im Vergleich zu 2007 um die Hälfte zurückgegangen. Der Grund: die Schulzeit beträgt nur noch zwölf Jahre, deshalb sind die Lehrpläne enger gestrickt als früher, es bleibt immer weniger Zeit für Ausflüge. Gedenkstätten im Zentrum der Stadt haben da gewissermaßen einen Standortvorteil. Und: gibt es die perfekte Gedenkstätte? Christine Fischer-Defoy, Gedenkaktivistin der ersten Stunde und Vorsitzende des Museums für Faschismus und Widerstand, hat für sich eine Antwort gefunden. (Fischer-Defoy) Der perfekte Gedenkort ist ein Hauseingang in Berlin, vor dem ein Stolperstein liegt. Ich finde das das für mich wirklich überzeugendste Gedenkkonzept, was wir zurzeit haben, weil Gedenken immer etwas Individuelles ist. Man denkt nicht abstrakt an 6 Millionen Juden, sondern man denkt in diesem Fall bei den Stolpersteinen an den einen Mensch oder an die eine Familie, die in dem Haus gelebt hat, in dem ich jetzt lebe. -E N D E- 2