COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Die Reportage Unser Kabinett: Der falsche Pfälzer in Berlin - Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle A 1 Fotoalarm ?Herr Brüderle, schauen Sie einmal zu uns! Schenken Sie mir mal bitte den Blick!  Danke schön!? O 1 Brüderle 003 ?Was fasziniert, jedenfalls bei mir ist, dass man ein Stück Gestaltungsmöglichkeit mit einbringt, wo man Dinge wenigstens in gewissem Umfang mitprägen kann oder versucht zu prägen, das ist der Reiz der Veranstaltung dabei - also sie sehen jemanden, der eigentlich mit sich nicht unzufrieden ist und auch nicht unglücklich ist!? Sprecher ?Rainer Brüderle ? der falsche Pfälzer in Berlin? Eine Reportage von Christina Rubarth. T 1 Schnell raus aus der Limousine, rein ins Blitzlicht der Presse. 65 ist er, ein Alter, in dem andere in Rente gehen. Aber er hat ihn jetzt erst, den Job seines Lebens: Rainer Brüderle, Bundeswirtschaftsminister. A 2 Hintergrundmusik T 2 Hier ist er willkommen - auf der Verleihung des ostdeutschen Existenzgründerpreises der Zeitschrift Superillu. Das Nachwende-Magazin feiert in der KfW-Bank am Gendarmenmarkt - Rainer Brüderle ist der Stargast. A 3 + O Raiko Thal, Moderator ?Meine Damen und Herren, er trägt den Beinamen Mister Mittelstand, er ist im Unternehmen seines Vaters groß geworden, er hat erfahren, wie es ist, wenn man eben nicht einen geregelten Feierabend hat, keinen garantierten Urlaub und irgendwann wurde sein Traum Wirklichkeit, wurde Bundesminister für Wirtschaft und Technologie und gerade der Mittelstand verknüpft große Hoffnungen mit ihm und das zeigt natürlich auch den Stellenwert dieses Preises, dass er heute hier ist, herzlich willkommen, Rainer Brüderle!? T 3 Brüderle, der Mann im blauen Anzug mit gescheiteltem Resthaar und Brille, steht auf, tritt nach vorn ans Rednerpult. Vor ihm: 50, 60 Anzugträger, darunter drei ostdeutsche Existenzgründer mit Familienanhang. ?Mister Mittelstand? ? für ihn ein Ehrentitel. A 4 + O Brüderle ?Sehr geehrte Gründerinnen und Gründer, meine Damen und Herren: Der heutige Tag macht Mut. Die Gründerinnen und Gründer, die wir hier auszeichnen, sind Anpacker, die haben bewiesen, dass es geht. Man kann es, man kann sich selbständig machen, dazu gratuliere ich ihnen ? dass sie dabei sind, dass sie mitmachen, das ist Frischzellentherapie der sozialen Marktwirtschaft.? T 4 Markige Sprüche, wiederkehrende Schlagwörter. Etwas undeutlich, dafür aber frei, begrüßt er die Gäste in den Stuhlreihen vor ihm. Brüderle, das FDP-Urgestein - ist ein Mann der einfachen Sprache nicht der großen Reden und der Gestik. Sein Auftritt hier ist ein Heimspiel. Die gezielte Förderung des Mittelstands ist klassische Brüderle-Politik, seit Jahrzehnten. Auf elf Jahre als Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz blickt er zurück, seit Jahren ist er wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. Wo ihm das Charisma für die große Politik fehlt, baut er auf Fakten - und lächelt dabei schief. Der Minister, der auch mit Floskeln beim Publikum punktet, ein Minister auf Augenhöhe. O 2 + A Brüderle ?Die Stärke in Deutschland ist der Mittelstand, 80 % aller Ausbildungsplätze sind bei kleinen, mittleren Unternehmen, 70 % aller Arbeitsplätze, über 60 % der gesamten Wertschöpfung. Also den Gründergeist aus der Flasche lassen, das ist die Devise. Wir können sehr vieles alles, wenn wir wollen - sie zeigen, sie wollen, sie können, vielen Danke dafür!? A 5 Applaus T 5 Kurz genießt er den Applaus, dann nimmt er wieder Platz zwischen den Chefs der KfW-Bank und der Superillu, schlägt die Beine übereinander, legt die Hände in den Schoß. Der Minister, der sich seit seinem Amtsantritt strikt an seine Grundsätze hält: keine Steuererhöhung, so wenig Staatshilfen wie möglich, auch nicht für Opel. Dafür macht er sich stark ? gegen alle Widerstände. Er will zu mehr Eigeninitiative motivieren, seine Rede hier bei der KfW ist ein Selbstläufer. Wenige Frauen sitzen um ihm herum: Eine gewinnt den Preis für ihre Kinderschuhkollektion, die sie sechs Jahre nach Geschäftsgründung schon europaweit vermarktet. Eine andere gehört zum Gefolge des Weinbauern, der auf einer ehemaligen Braunkohlehalde in Sachsen-Anhalt Cabernet und Spätburgunder anbaut. Da ist es wieder, das Klischee, das Brüderle nicht loslässt: Der Minister und der Wein. O 3 + A Raiko Thal, Moderator + Preisträger + Brüderle / Szene Thal: ?Letztes Jahr im Oktober war der 55. Ordenstag der Pfälzer Weinbruderschaft. Da hat jemand gesagt: Jeden Tag nen halben Liter Wein für einen Mann ist gesundheitsfördernd. Ich glaube, Herr Brüderle wars... er hat aber eingeschränkt für Männer, Frauen ein bisschen weniger. Wär das was für sie ? jeder nen halben Liter am Tag? Dann kommen Sie gut hin, oder?? ? Preisträger: ?Ich sag mal aus marketingmässiger Sicht: 1 Liter wäre besser!? - Brüderle: ?Als früherer Weinbauminister muss ich das korrigieren, das ist eine Studie gewesen der Uni Freiburg. Bis zu einem halben Liter im Schnitt, bei Frauen 0,4, das ist keine Frauendiskriminierung, sondern, was den Reiz des weiblichen Körpers ausmacht, der höhere Fettgehalt speichert mehr Alkohol, deshalb ist der etwas geringer...? A 6 Weinprinzessin T 6 Eine junge Frau im grauen Hosenanzug, dafür aber mit einem Krönchen auf dem Kopf, kommt nach vorn, stellt sich neben den ehemaligen Weinbauminister Brüderle, gratuliert dem Preisträger aus Sachsen-Anhalt. Denn für ihn ist sie heute hier, ihre leuchtend gelbe Schärpe verrät ihre Aufgabe. O 4 Weinprinzessin 025 ?Ich bin quasi seine persönliche Weinprinzessin...? A 7 Fotoalarm T 7 Aufstellung zum Gruppenfoto. Brüderle steht etwas steif mittendrin, neben ihm: der Winzer, über ihm Werbung für die Superillu. Schnell nimmt er noch die Patenschaft für einen Weinberg entgegen, verspricht höflich aber bestimmt: ?Meinen Weinstock schaue ich mir auf jeden Fall mal an.? A 8 Musik T 8 Die Gästeschar löst sich auf, umringt das Büffet. Der Minister wird von einem Gespräch zum anderen gescheucht. Der dritte Preisträger steht selig vor einer Fernsehkamera, immer noch sichtlich beeindruckt. O 5 Straußentyp ?Also ich hab den Minister jetzt hier persönlich das erste Mal erlebt, ja? Das, was er sagt, hat Hand und Fuß, äh, er vermittelt irgendwie, ich sag mal, so Vertrauen und Zuversicht auch, ja? Als Minister hat er ja wirklich die Bundesrepublik zu führen, er kommt hier her und opfert seine Zeit, um sich mit uns zu treffen und hier die Urkunde zu überreichen und Glückwünsche auszusprechen ? das empfinde ich als eine unwahrscheinliche Wertschätzung uns gegenüber als Minister, also Hut ab! Hochachtung!? A 9 Musik T 9 Zehn Minuten später: Auch Brüderle hat jetzt Zeit fürs Büffet, steht mit einem halbvollen Weinglas vor Schnittchen und Kürbissuppe. ?Jetzt bitte nicht ansprechen!?, bittet seine Pressesprecherin. Auch ein betont volksnaher Minister braucht mal etwas Abstand, eine kurze Pause. A 10 Happen T 10 Schnell einen Happen und dann zurück in die Limousine. Der Terminkalender ist voll, keine Zeit für noch mehr Smalltalk. Rainer Brüderle auf dem Weg zum Ausgang. O 7 Brüderle 23 ?Nächster Termin ist jetzt ein Gespräch mit dem Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft, über deren Probleme und Angelegenheiten, anschließend hab ich Fraktionssitzung, anschließend hab ich heute Abend noch zwei weitere Termine und ich freu mich, wenn ich um zwölf zu Haus bin, morgen früh um sechs Uhr wieder aufstehe...? - Szenenwechsel - A 11 leeres Büro T 11 Brüderle ist ein Morgenmensch, legt auch im Ministerbüro gern schon um sieben los. In einem großen, aber vor allem kahlen Raum in der ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Akademie in der Invalidenstraße, Berlin-Mitte. Nichts, was auf den Minister Brüderle schließen lässt, keine persönliche Handschrift. Blauer Fußboden, ein Schreibtisch, eine Sitzgarnitur, graue, leere Wände. O 8 Brüderle ?Das geht ja gar nicht, das sind Wände, die mein Vorvorgänger gestaltet hat, dahinter sind auch irgendwo ? glaub ich ? Mikrofonanlagen versteckt, wo man Musik hören kann... Ich habe eine Aktentasche da ansonsten habe ich das alles übernommen wie es ist, ist auch meine Übung. In meiner Zeit als Mainzer Bürgermeister, als Landesminister, ich habe für meine persönliche Büroausstattung, -einrichtung nie Geld ausgegeben, alles von den Vorgängern, ich bin sparsam, insbesondere mit Steuergeldern! Nein das Persönliche hab ich zu Haus, hier ist Dienst.? A 12 ipad T 12 Und dennoch auf seinem Schreibtisch: Sein neues Lieblingsspielzeug, einen iPad, gebunden in schwarzes Leder. Stolz hält er den Rechner in der Hand, fährt mit den Fingern über den Touchscreen, Rainer Brüderle, der Technikfan. O 9 Brüderle ?Ich war über Ostern in den USA, meine Frau musste mich nach 2 ½ Stunden aus dem Apple Store rausholen, weil es mich wirklich fasziniert hat. Ist das nicht ein fantastisches Bild, glasklar.? A 13 iPad 2 T 13 Brüderle legt das Gerät vorsichtig auf seinen Schreibtisch zurück, zwischen die noch ungelesenen Tageszeitungen ?Neue Zürcher? und ?Rheinpfalz?. Er neigt nicht zu einer zementfesten Trennung zwischen Beruf und Privatleben, zwischen gebotener Professionalität und übertriebener Offenheit. Legendär ist das Foto aus der BILD-Zeitung, das den Asien-Fan Brüderle in einem schwarzen Tai-Chi-Anzug hüpfend am Strand zeigt. Der Spiegel nennt ihn gar einmal den ?Karl Moik der Wirtschaftspolitik?. Es gefällt ihm, dem Volk zu zeigen, wie sich der Wirtschaftsminister auch mit Mitte 60 noch fit hält für seinen Job. O 10 Brüderle ?Ich mache jeden Tag seit 40 Jahren, einen festen Ablauf von Gymnastik, ich habe ein so genanntes Deuserband, das ist ein weiterentwickelter Fahrradschlauch, Deuser war mal ein Betreuer der deutschen Nationalelf, der hat das entwickelt, können sie überall in der Welt mitnehmen, mache ich stur wie Zähneputzen jeden Tag und hab auch ein Fahrrädchen zu Haus, wenn ich die Tagesschau seh, nutze ich die Zeit um da mal Fahrrädchen zu bewegen, damit man ein bisschen Ausgleich hat.? - Szenenwechsel ? A 14 Maritim reingehen ?So, wollen wir reingehen...?? A Begrüßung ?Ich begrüße die Exzellenzen, Botschafter, Diplomaten...? T 14 Jahresempfang des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft im Berliner Botschaftsviertel. Schwere Leuchter im Festsaal des Hotel Maritim spenden gedimmtes Licht. Obwohl ein Neubau, wirkt der Saal wie aus einem Einrichtungskatalog der 80er, dunkel und schwer. 2.500 Gäste sitzen dicht an dicht in langen Stuhlreihen, wieder ein deutlicher Männerüberschuss, wieder viele Anzüge, goldene Manschettenknöpfe. Brüderle ? wie fast immer im dunkelblauen Einreiher mit blau-weiß gestreifter Krawatte - nimmt in der ersten Reihe Platz. A 15 + O Bundesgeschäftsführer BVMW ?Ich begrüße nun unser ehemaliges Mitglied des politischen Beirats, Herrn Wirtschaftsminister, den Minister für Wirtschaft und Technologie, Herrn Rainer Brüderle herzlich willkommen! (Applaus ? Bravo!) Der Gegenpart Herr Özdemir kömmt etwas später...? T 15 Ein Termin nach seinem Geschmack. 2.500 Unternehmer sitzen hinter ihm. Architekten, Apotheker und - dank der Schwarz-Gelben Steuererleichterung für Hoteliers - dankbare Hotelbesitzer, verlässliche FDP-Wähler. Er blättert durch sein Manuskript, Mario Ohoven, der Präsident des Verbands, verweist auf die sinkenden Umfragewerte für die FDP. A 16 + O Mario Ohoven ?Herr Minister Brüderle: Die Unternehmer und die leitenden Angestellten, die sind sehr flexibel. 14,9 / 15 Prozent: hervorragend, 10 rote Teppiche, aber wenn das nicht gehalten wird, was versprochen worden ist, dann kommt man ganz schnell von 15 auf 7 %. Da muss sich kein Mensch drüber wundern und aus diesem Grunde drücke ich der FDP wirklich alle Daumen, damit sie das durchbekommt, was sie sich vorgenommen hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren...? (Applaus) T 16 Ohoven steht dort oben wie der König der Mittelständer, in der Uniform derer, die sich kaum Sorgen machen müssen um ihr Vermögen: blaues Hemd mit weißem Kragen, gelbes Einstecktuch, dazu aber eine dramatisch gekräuselte Stirn. Er verlangt die Abschaffung der Erbschaftssteuer, weniger Bürokratie. A 17 Ausführungen ?...und wir erwarten jetzt Ihre Ausführungen.? A 18 T 17 Brüderle tritt nach vorn, nimmt die Stufen zur Bühne. Jetzt gibt es ihn doppelt: den echten Minister am Pult, den überlebensgroßen direkt dahinter auf der Leinwand. A 19 + O Brüderle ?Liebe Kämpferinnen und Kämpfer für den deutschen Mittelstand... Exportnation Nummer 1 das sind wir, auch wenn China jetzt in der Summe ein bisschen vor uns liegt. Dividieren Sie mal den chinesischen Export durch 1,4 Milliarden Menschen, da sind wir noch lange vorn! Da werden die noch lange brauchen...? T 18 Sein Plan heute Abend ist eindeutig: Trotz Dauerkritik an der Bundesregierung und weiter sinkenden Umfragewerten verbreitet Minister Brüderle mit seinem klassischen Programm trotzigen Optimismus. A 20 + O Brüderle ?Arbeitsplätze entstehen nicht durch rote Fahnen am 1. Mai, sondern dadurch, dass sie und ich Geld in die Hand nehmen, wenn wir nachfragen, dann werden andere Frauen und Männer beschäftigt, so funktioniert soziale Marktwirtschaft, alles andere ist Illusion...? T 19 Er wippt ein bisschen, wenn er spricht, stellt sich auf Zehenspitzen, ballt die Fäuste. Der Bundeswirtschaftsminister klingt eher wie ein Oppositionspolitiker als einer, der mitregiert. A 21 + O Brüderle ?...alles, was sie vererben, ist x-mal in ihrem Leben besteuert worden... (Applaus) Der Amerikaner hat eine schöne Bezeichnung für die Erbschaftssteuer, sie nennen sie Todessteuer ? nur weil einer stirbt, muss er noch mal Steuern zahlen, meine Damen und Herren, wir sollten zumindest eine vernünftige Regelung finden, dass wir die Betriebsübergabe in Deutschland nicht behindern...? T 20 Er legt seinen dünnen Scheitel wieder zurück auf die rechte Seite, nippt am Wasserglas. Bevor er das Pult frei macht für Cem Özdemir, den Bundesvorsitzenden der Bündnis 90/Die Grünen mit den langen dunklen Koteletten und dem starken schwäbischen Akzent, gibt der Minister noch einmal Gas. A 22 + O Brüderle ?Der Turbo ist der deutsche Mittelstand, er muss eine Chance haben ? kein Land der Welt hat diese Mittelstandsstruktur wie Deutschland, helfen sie mit, wir schaffen das! Vielen Dank! T 21 Brüderle tritt ab, Özdemir ? der einzige Mann im Saal im hellen Anzug ? übernimmt seinen Platz, liest streckenweise ab, statt wie der Minister frei zu sprechen. A 23 + O Özdemir ?Herr Minister Brüderle, in diesem Raum, wenn ich mich so umsehe, hier sind mehr als 14,6% FDP-Wähler ? würde ich mal so Pi x Daumen vermuten ? es ist aber auch gut so, denn man fragt sich ja, wo sind die anderen geblieben? Wenn man draußen jemanden auf der Straße fragt, will´s keiner mehr gewesen sein.? A 24 Ende Özdemir T 22 Özdemir wünscht sich zum Abschied eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik ?mit grünen Ideen? wie er sagt und nimmt wieder Platz im Publikum. Zeit für den echten Star des Abends. Für Paul Potts, den kleinen, korpulenten britischen Sänger hat der Mittelstand offenbar noch Geld. A 25 Ende von ?Nessun dorma? und Applaus T 23 Der Tenor gibt mit Puccinis ?Nessun dorma? den Rausschmeißer, das Publikum bedankt sich mit noch ein bisschen mehr Applaus als für den Minister. A 26 Gespräche ?Grüße Dich!? T 24 Dafür bleibt Brüderle auch nach dem offiziellen Programm der begehrteste Mann des Abends, umringt von Menschen, die ihm Geschenke in die Hand drücken, kleine Eigenwerbungen. Alle wollen von diesem Abend profitieren. Jetzt redet Brüderle nicht mehr als Bundesminister, jetzt redet er privat. Nimmt sich ein paar Minuten Zeit, schreibt Widmungen. Schnell ist auch dieser Moment der Nahbarkeit wieder vorbei, seine Mitarbeiter geleiten ihn aus dem Saal. Gereizt und müde wirkt der sonst immer Lächelnde jetzt, ein bisschen blass. Auf weitere Fragen hat er keine Lust. O 11 Brüderle Bier ich laber leider rein, trotzdem nehmen? ?Ja gut, ich wollte jetzt ein Bier trinken gehen, Danke!? A 27 Saal T 25 Und doch bleibt er kurz stehen, atmet durch. Eine sichere Bank sind auch Auftritte vor seinem treuesten Publikum nicht. O 12 Brüderle Strukturen ?Man muss die immer wieder neu überzeugen. Es gibt ja keine festen Strukturen, sondern es ist immer wieder neu zu erschließen, da muss man sich schon anstrengen.? - Szenenwechsel - A 28 + O Ansage 1 a + b ?Willkommen an Bord, verstauen Sie das Gepäck!? ? ?Schönen Tag, grüße Sie!? T 26 Zwei Tage später, kurz nach Mittag. Man kennt sich in der Business-Class, der Minister fliegt Linie. Rainer Brüderle hängt sein Sakko an den Haken, verstaut seine Ledertasche, setzt sich links ans Fenster. A 30 + O Ansage Sicherheitshinweis ?Meinen Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich...bitte sie, sich anzuschnallen!? T 28 Die Sicherheitseinweisungen interessieren ihn nicht, er bereitet sich für den nächsten Termin vor. Die knappen zwei Stunden von Berlin-Tegel zum Flughafen Frankfurt nutzen die meisten anderen Reisenden für einen kurzen Mittagsschlaf. Rainer Brüderle aber hat dafür keine Zeit. Das kleine Warnlicht über ihm erlischt, sofort klappt er den Tisch vor sich herunter, fängt an zu arbeiten. Er trinkt nichts, auch das Tablett mit Schinkenbrötchen und Schokolade verweigert er. Nur als ihm die Stewardess Zeitungen und Zeitschriften anbietet, horcht er kurz auf. A 31 + O Brüderle Verkäufer ?Kommen außer Ihnen noch andere Verkäufer?? T 29 (Extraflugrauschen: A_xxx) Er greift zur ?Bunten? - für seine Frau Angelika sagt er. Mit ihr lebt Brüderle noch immer in der Pfalz, im Mainzer Stadtteil Gonsenheim. Anfang der 70er Jahre lernen sie sich dort an der Uni kennen, wo sich Brüderle als erster in seiner Familie für ein Studium einschreibt, VWL, Jura und Publizistik studiert. Angelika und Rainer heiraten 1980. Sie ist Volkswirtin wie er, doch mit einem Schwerpunkt in der Wirtschaftstheorie, er in der Wirtschaftspolitik, eine brisante Kombination. O 13 Brüderle Spannungsfeld ?...also insofern ist das ein Spannungsfeld, was aber durchaus reizvoll ist und nach 35, 36 Jahren, was es in der Summe sind, ist das noch nicht harmonisiert, das ist ein Spannungsfeld, was kreativ sein kann.? A Flugrauschen T 30 Heute Abend wird der Minister bei seiner Frau zu Hause in der Pfalz sein, das schafft er sonst nur an den Wochenenden. Dabei ist Brüderle gar kein echter Pfälzer, auch wenn das sein oft belächelter Singsang vermuten lässt. In Landau ist er aufgewachsen, aber geboren in Berlin. Seine Eltern ziehen 1948 mit ihm in den Süden Deutschlands in die Stadt zwischen Saarbrücken und Karlsruhe. Er bleibt ein Einzelkind. O 14 Brüderle Dialekt ?Hatte am Anfang mit der Hochsprache ein bisschen Probleme, wenn man sich assimilieren will nimmt man den Dialekt oft besonders stark an, hat sich aber später gelegt!? T 31 Seine Eltern eröffnen ein Textilgeschäft, verkaufen Hüte und Unterwäsche für Herren. Der Sohn hilft mit, lernt schon früh, mit welchen Problemen Selbständige zu kämpfen haben. Aber er will mehr. Rainer Brüderle engagiert sich in der Hochschulpolitik, wird Mainzer Bürgermeister, dann Wirtschaftsminister in Reinland-Pfalz. Von Mainz geht er nach Berlin. Seine Ausdauer zahlt sich schließlich aus: Im zweiten Anlauf wird er stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender, 10 Jahre später endlich ins Bundeskabinett berufen. A 34 + O Pilot Wetter (laut, nur kurz hochziehen) ?...an Erfurt vorbei, Ankunftszeit mehr als pünktlich... Wetter auch so schön wie in Berlin, wünsche Ihnen einen angenehmen Tag...? T 32 Mit seinem Erfahrungsschatz will er auch gleich punkten, als Gastredner beim Unternehmertag der jungen Unternehmer. Den kleinen Konzernen fühlt er sich näher als den großen. Langsam blättert er sich durch sein Manuskript. In großer, runder Handschrift formuliert er ganze Absätze neu. O 16 Brüderle zugeschnitten ?Je nach Zuhörerkreis, hier sind es ja Familienunternehmer, da können sie nicht dasselbe wiederholen, wenn sie rasten, dann rosten sie...? A 35 aussteigen ?Wiedersehen!? T 33 Er rastet nicht, und strahlt doch die Ruhe und Zufriedenheit eines Mannes aus, der angekommen ist ? und auch mit 65 noch lange weitermachen will. ?Mein Vater stand noch mit 86 im Laden,? sagt er. Brüderles sind zäh. Der Bundeswirtschaftsminister schiebt seinen Kuli in die Innentasche seines Sakkos, steigt aus der Maschine aus, direkt in die Limousine, die ihn zum nächsten Termin bringt, in die Frankfurter Innenstadt. - Szenenwechsel - A 36 Obi ?..wie, wo, was, weiß Obi...? (Gelächter, Klatschen ? darauf Text 34 ? dann: ?Jetzt weiß ich nicht, Herr Brüderle, ob Sie Handwerker sind...? T 34 Sein Vorredner steht noch auf der Bühne, Brüderle drückt sich schnell durch die Tür, lauscht dem Chef der Tengelmann-Gruppe, der sein Unternehmen präsentiert. A 38 KiK-Werbung T 35 Der Tengelmann-Chef gibt den 300, 400 jungen Leuten vor ihm Nachhilfe in erfolgreicher Kundenakquise. Der Minister setzt sich auf den freien Stuhl vor der Bühne, schlägt die Beine übereinander. Die Zuhörer hinter ihm könnten fast seine Enkel sein, seine wohl liebste Klientel: der Nachwuchs des deutschen Mittelstands. A 39 + O Ostermann (bis ?Höhepunkt?, dann Text) ?Liebe Mitunternehmer, wir kommen nun zu einem weiteren Höhepunkt, wir freuen uns auf Rainer Brüderle, Bundesminister...auf dem Stuhl Ludwig Ehrhardts...? T 36 Sehr blond ist die Anfang 30-Jährige am Pult, eng sitzt ihr kurzes, schwarzes Kostüm. Marie-Christine Ostermann, Bundesvorsitzende der jungen Unternehmer. So geordnet ihre Erscheinung, so deutlich ihre Forderung: A 40 + O mehr Brüderle ?Wir wollen weniger Staat und mehr Brüderle!? (Applaus) T 37 Die Männer und Frauen um die 30 - gegelte Haare, Siegelringe, Perlenohrringe -fühlen sich verbunden mit dem Mann, der selbst aus einem Familienbetrieb stammt. Der Minister sagt ihnen das, was sie hören wollen, auch wenn es nur ein Puzzle ist seiner immergleichen Phrasen, vorgetragen mit dem in vielen Jahren antrainierten Brüderle-Humor. A 41 + O FRA-Todessteuer ?Die Amerikaner haben einen schönen Begriff für die Erbschaftssteuer, sie nennen sie Todessteuer...? T 38 Brüderle verspricht Steuerentlastungen, verweist auf zarte, erste Erfolge der neuen schwarz-gelben Koalition, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Er macht das, was er am liebsten macht: reden und vergisst dabei ein bisschen die Zeit. A 42 + O mitmachen ?...machen Sie mit, wir brauchen Sie...? T 39 Eine kurze Diskussionsrunde, ein paar altväterliche Tipps... A 042 verdienen ?...verdienen Sie anständig, wir nehmen schon genug ab...? T 40 ...dann verschwindet der Minister mit seinem Gefolge im Nebenzimmer zum Hintergrundgespräch. Ein kurzer Auftritt, aber mit Wirkung beim Nachwuchs. O 17 Typ ?Ich glaub, er hat schon ganz gut verstanden, was wir wollen, es ist nur fraglich, ob er es auch umsetzen kann. Wir hatten auch mal Steinbrück da, Brüderle bekommt es besser hin, auch harte Thema ein bisschen weicher rüberzubringen.? A 41 Foyer T 41 Aber das hört er nicht mehr. Rainer Brüderle ist schon auf dem Weg nach Gonsenheim, zu seiner Frau. In die Pfalz, nicht nach Berlin... Sprecher Sie hörten: ?Rainer Brüderle ? der falsche Pfälzer in Berlin? Eine Reportage von Christina Rubarth.