Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 07. Oktober 2013, 19 Uhr 30 Der Patient und die Fall-Pauschale. Oder: Die Logik des Entgelt-Systems. Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster Take 1 Patientin Auf einmal bekam ich am Wochenende ein furchtbar dickes Knie. Das hat unglaublich geschmerzt, ich konnte mir nicht mehr helfen, habe einen Notarzt gerufen und dann bin ich ins Krankenhaus gefahren worden. Sprecherin: Jahr für Jahr steigt in Deutschland die Zahl der Operationen. Beim Einsatz von künstlichen Knien und Hüftgelenken sind die Deutschen mittlerweile Europameister. Take 2 Patientin Dann kam sofort der Stationsarzt, hat sich mein Knie, meine Röntgenaufnahmen, die gemacht wurden, alles angeschaut und meinte: Das Knie muss operiert werden. Sofort. Und am besten gleich am Montag. Sprecherin: Viele Operationen sind unnötig. Urteilen Krankenkassen. Und Ärzteverbände. Doch jede Operation bringt den Krankenhäusern Geld, die eine mehr, die andere weniger: Sprecher vom Dienst: Der Patient und die Fall-Pauschale. Oder: Die Logik des Entgelt-Systems. Ein Feature von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster Geräusch-Take vorhanden Hmm. Telefon ... klingelt ... Lütticke, Medizin-Controlling. Sprecherin: Dr. Jürgen Lütticke telefoniert kurz, konzentriert sich dann wieder auf seinen Laptop. Der zeigt ihm, wie viel für die Behandlung in Deutschlands Krankenhäusern gezahlt wird. Take 3 (Lütticke) Also unter www.gdrg.de - das ist die Homepage des InEK, InEK steht für Institut für Entgelt-Kalkulation und dort sind alle Dokumente, die für dieses System wichtig sind, hinterlegt. Sprecherin: Es geht um DRGs - das ist die englische Abkürzung für "Diagnose-bezogene Fallgruppen". Take 4 (Lütticke) (Atmo-Vorlauf ) Tippt ... hier haben wir eine chronisch obstruktive Atemwegserkrankung, das ist COPD umgangssprachlich. Die hat einen Entgelt-Wert von 0,887. Sprecherin: Vor zehn Jahren wurde das Abrechnungssystem eingeführt. Lütticke verdankt ihm seinen Job. Der Arzt arbeitet als Medizin-Controller am Berliner Klinikum Neukölln Take 5 (Lütticke) Das heißt man multipliziert diese 0,887 mit 3.000 Euro aus und weiß dann genau, für diese Diagnose und für diesen Aufenthalt für einen Patienten mit chronisch- obstruktiver Atemwegserkrankung kriegt das Krankenhaus dann ungefähr 2.800 Euro. Egal, wie lang er hier stationär ist. Sprecherin: 2.800 Euro, das ist die Fallpauschale, die eine Berliner Klinik der Krankenkasse in Rechnung stellen kann. Egal, ob der Patient mit der Atemwegserkrankung nun zwei oder 17 Tage auf der Station liegt. Take 6 (Lütticke) Das Maßgebliche und auch Intendierte bei der Einführung der Fallpauschalen war natürlich die Verweildauer-Kürzung. Indem man einen Korridor vorgibt, für den es das gleiche Geld gibt, ist natürlich ein wirtschaftlicher Anreiz gesetzt, möglichst kurze Verweildauern zu haben, weil ich dann in dieses Bett einen neuen Patienten reinlegen kann, für den ich neues Geld bekomme. Sprecherin: Mehr Wirtschaftlichkeit, mehr Transparenz und mehr Qualität - so wurde die Einführung des neuen Entgelt-Systems beworben. Von der "größten Strukturreform im Gesundheitswesen seit 30 Jahren" sprachen 2003 die politisch Verantwortlichen. Gut 1.200 Fallpauschalen weist das System heute aus. Eine der günstigsten: Die natürliche Geburt eines gesunden Säuglings. Dafür gibt es in Berlin 430 Euro. Plus eine Pauschale für die Versorgung der Mutter Take 7 (Lütticke) Das sind eigentlich die interessanten Patienten oder elektive Patienten, die geplant kommen, das ist gut kalkulierbar, gut vorbereitbar, die laufen einen gewissen Prozess durch. Jeder Notfallpatient oder Komplikationspatient ist ein wirtschaftliches Risiko. Sprecherin: Zwar gibt es im DRG-System auch Zuschläge für Patienten mit längeren Liegezeiten oder komplexeren Krankheitsbildern, doch besteht die Gefahr, dass die Klinik bei Komplikationen draufzahlt. Lüttickes Job ist es, das zu vermeiden. Darum macht er wöchentlich "Kurven-Visite" auf den Stationen. Spricht Fall für Fall durch. Dabei geht es nicht um die richtige Therapie des Patienten, sondern um die optimale Verschlüsselung der Krankheit. Take 8 (Oberarzt) Ich hab immer 2.000 Patienten untersucht, das nächste Jahr 2.400, darauf das Jahr 2.700, darauf das Jahr 3.100. Sprecherin: Ein Oberarzt, der in einer großstädtischen Klinik arbeitet: Take 8 (Oberarzt) Steigende Anzahl von Untersuchungen, aber im Grunde in der gleichen Zeit. Das ist eine deutliche Leistungssteigerung. Take 9 (Notfallarzt) Da gibt es immer zu gewissen Zeiten gewisse Krankenhäuser. Sprecherin: Ein Notfallmediziner, der in ganz Deutschland im Einsatz ist: Take 9 (Notfallarzt) Und das geht komischerweise, ein Schelm der dabei Böses denkt, mit so Neugründungen von Katheter-Zentren oder Chefarztwechsel einher. Wenn sie jetzt wissen, aha, der Kardiologe xy ist jetzt neu an dem Haus A, dann wundern sie sich nicht, wenn dann plötzlich die Katheter-Anzahl wahnsinnig steigt, wenn sie wissen, dass so ein Katheter recht lukrativ ist für so ein Haus. Take 10 (Fölsch) Ich weiß von Kollegen, dass eben gesagt wird, wenn ihr einen Umsatz von x Euro erzielt, bekommt ihr einen Bonus von y Euro. Es war bis vor zwei Jahren so schlimm gewesen, wenn diese x Euro um zwei Prozent unterschritten wurden, dann fiel der gesamte Bonus weg. Sprecherin: Berichtet Professor Ulrich Fölsch, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Take 11 (Fölsch) Die Frage ist eben, wie eben die Umsätze oder die Fallzahlen gesteigert werden und ob das in einen unethischen Bereich reinkommt. Sprecherin: Auffällig ist: Zeitgleich mit Einführung des Fallpauschalen-Systems halten auch Bonus-Verträge und Zielvereinbarungen in die Krankenhäuser Einzug. Take 12 (Fölsch) Ein Beispiel: Im ersten Jahr wird von einem Chefarzt vorgelegt, er hat 150 Hüften operiert. Dann kommt am Ende des Jahres eine neue Zielvereinbarung für das kommende Jahr, wo dem Chefarzt gesagt wird, ja, im nächsten Jahr würden wir schon denken, dass sie ihre Hüftoperationen um 30 Prozent steigern sollten. Und damit bekommen sie auch einen Bonus von X Euro. Sprecherin: Für Fölsch und seine Kollegen eine alarmierende Entwicklung. Die Fachgesellschaft geht an die Öffentlichkeit, warnt: - Zitat - "Unter den Bedingungen des DRG-Systems haben sich die Krankenhäuser in den letzten Jahren gewandelt. ( ... ) Organisiert wie Industrie-Unternehmen werden Krankheiten zur Ware, Ärzte zu Anbietern und Patienten zu abgerechneten Fällen". - Im ökonomischen Verteilungskampf folgen die Krankenhäuser der Logik des Marktes, in diesem Fall dem DRG-System. Aber das deckt sich nicht automatisch mit den Bedürfnissen der Patienten: Take 13 (Fölsch) Ich kenne Kliniken in Deutschland, wo eben gut laufende Abteilungen in ihrer Bettenzahl deutlich reduziert wurden. Nicht, weil sie zu wenig Patienten hatten, sondern weil diese Patienten, die drin lagen, nicht genug Umsatz brachten. Und die Betten eben einer anderen, umsatzträchtigeren Abteilung zugeschlagen wurden. Und damit eben diese wichtige Abteilung in ihrem Wirkungsgrad eben deutlich reduziert wurde. Sprecherin: Fölsch schüttelt den Kopf. Er will nicht falsch verstanden werden. Er hat nichts gegen einen ökonomischen Mitteleinsatz, sondern etwas gegen falsche Anreize: Take 14 (Fölsch) Das eben die Krankenhausträger durch die Einführung des DRG-Systems einen Anreiz bekommen, zum Beispiel Abteilungen für Endoprothetik aufzubauen, weil eben in der Endoprothetik, sprich: Hüftprothesen, Kniegelenke, das die eben Umsatz bringen. Und das ist eben auch eine schlimme Entwicklung, dass die Krankenhaus- Entwicklung nicht mehr am Bedarf der Bevölkerung ausgerichtet wird, sondern dort, wo am besten Gewinn gemacht werden kann. Take 15 (Baum) Wir verwahren uns gegen Vorwürfe, die Krankenhausärzte würden schnell und ohne medizinischen Hintergrund und Bedarf operieren. Sprecherin: Es gibt nicht zu viele Operationen in Deutschland. Sondern eher zu wenig Verständnis für die Situation der Krankenhäuser. So sieht es Georg Baum, der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Take 15 weiter (Baum) Jeder Patient, der zum Beispiel eine neue Hüfte braucht, ein neues Kniegelenk, eine Bypass-Operation, hat eine lange Krankengeschichte.... und es ist eine bösartige Unterstellung, wenn gesagt wird, die Krankenhäuser erbringen medizinisch nicht notwendige Leistungen. Sprecherin: Fünfzehn Jahre arbeitete Georg Baum im Bundesgesundheitsministerium. Während der Einführung der Fallpauschalen wechselte er an die Spitze des Krankenhausverbandes. Baum vertritt nun die Interessen von 2.000 Kliniken. Vom Universitätsklinikum bis zum Kreiskrankenhaus. Von der Konfessions - bis zur Konzern-Klinik. Etwas mehr als 500.000 Betten warten in Deutschland auf Patienten. Take 17 (Baum) Insgesamt ist die wirtschaftliche Sicherung eines Krankenhauses durch die Einführung des Systems erheblich schwerer geworden. Früher hatten die Krankenhäuser ein Jahresbudget. Heute muss die Klinik ihr Überleben aus den Erlösen der einzelnen Leistungen sichern und das ist natürlich für die Krankenhäuser, gerade in ländlichen Bereichen, ein großes Problem. Sprecherin: Traditionell setzt sich die Klinikfinanzierung aus zwei Posten zusammen: Die Krankenversicherungen überweisen Geld für erbrachte medizinische Leistungen. Die öffentliche Hand zahlt für notwendige Investitionen, etwa bauliche Maßnahmen oder die Geräte-Ausstattung. So ist es im Krankenhausfinanzierungsgesetz festgeschrieben. Seit Jahren aber klagen Krankenhausgesellschaft und Krankenkassen über den Rückgang der öffentlichen Förderung. Mittlerweile sprechen sie von der "Erosion des dualen Systems" Take 18 (Baum) Wir erleben leider seit Jahren einen fortgesetzten Niedergang, Abminderung der Summe, die die Länder für Investitionen zur Verfügung stellen. Wir liegen jetzt etwa bei 2,7 Milliarden Euro pro Jahr Das ist die Hälfte dessen, was notwendig wäre Frühere Gutachten sind zum Ergebnis gekommen, man bräuchte mindestens fünf bis sechs Milliarden. Das heißt die Krankenhäuser werden in der Refinanzierung von Ausstattung, von Investitionen in bessere Infrastruktur ziemlich alleine gelassen. Sprecherin: In den 70er-Jahren finanzierten die Länder noch zwanzig Prozent der gesamten Krankenhaus-Ausgaben. Heute sind es weniger als vier Prozent. Tendenz weiter sinkend. Viele Kliniken stecken in der Kostenklemme, sie müssen notwendige Investitionen auf Kredit vorfinanzieren. Jedes dritte Krankenhaus schreibt heute rote Zahlen. Auf der Einnahmen-Seite lässt sich aber nur über eine Steigerung der Fallzahlen Geld dazuverdienen. Take 19 (Notfallmediziner) Auf der Ebene der Rettungswagen funktioniert das heute tatsächlich sodass die Krankenhäuser heute mit Schnittchen und Kaffee darum konkurrieren, dass die Rettungstransporteure, die Rettungsassistenten lieber in die Klink A fahren und nicht in die Klinik B, weil da der Kaffee nicht so gut ist. Tatsächlich beeinflussen solche Dinge die Verteilung von Patienten, ja... Take 20 (Oberarzt) Was sich deutlich geändert hat, ist natürlich, dass im DRG-System das belohnt wird, was einen relativ hohen Aufwand nach sich zieht. Und das führt dazu, dass man einen Herzinfarkt mit dem Katheter untersucht, weil man das besser abrechnen kann als ohne und das führt natürlich dazu, dass mehr Katheter gemacht werden. Und das kann man auf ganz viele Beispiele umlegen, es wird immer das mehr gemacht, was mit irgendeiner Prozedur verbunden ist, dazu neigt man. Das ist manchmal sinnvoll, manchmal aber auch nicht. Und die Zahlen, die steigen - was die Prozeduren angeht - eindeutig. Take 21 (Penter) Man muss einfach sehen, wenn ich als Krankenhaus heute unter Kostendruck stehe und das ist mit den DRGs ja gewollt, dass die Wirtschaftlichkeit sich erhöht, dann muss ich mir etwas einfallen lassen, wie ich Erlöse erhöhe. Sprecherin: Prof. Volker Penter leitet den Bereich "Gesundheitswesen" bei der Wirtschaftsberatung KPMG. Seit Jahren analysiert er die ökonomischen Daten der Krankenhäuser. Take 22 (Penter) Und eine Möglichkeit die Erlöse zu erhöhen ist einfach mehr Fälle zu produzieren. Und insofern ist natürlich - ich will nicht sagen, dass das einzelne Krankenhaus jetzt unsinnige Operationen durchführt, aber der Drang danach mehr Leistung zu erbringen, der ist ganz eindeutig da. Und auch ganz eindeutig durch das DRG- System bedingt Sprecherin: Seit Einführung des Abrechnungssystems operieren die Krankenhäuser im harten Wettbewerb. Vor allem kleinere Kliniken können viele der gut entlohnten DRG- Leistungen nicht erbringen. So verschlechtert sich ihre wirtschaftliche Lage ständig. Während große Klinken immer leistungsstärker werden, da sie Einsparpotentiale in größerem Maßstab umsetzen und eine Vielzahl von diagnostischen und operativen Leistungen anbieten können. Take 23 (Penter) Wenn man davon ausgeht, dass wir am Ende 1800 Krankenhäuser in Deutschland haben, derzeit haben wir über 2000, ein paar werden noch wegfallen und davon ist die Hälfte, der über die Hälfte privat, dann haben wir natürlich eine stärkere Konzentration von privaten Kliniken. Wenn dann noch eine Fusion zwischen zwei großen Ketten stattfindet, dann haben wir natürlich eine Marktmacht, die wir uns bisher nicht vorstellen können. Sprecherin: Zurzeit werden die Karten im Krankenhausmonopoly neu gemischt: der Gesundheitskonzern Fresenius kündigte die Übernahme der privaten Rhön-Kliniken an. Er will sie mit seiner Krankenhaus-Tochter Helios verschmelzen. Stimmt das Kartellamt der Übernahme zu, steigt Fresenius mit 117 Kliniken zum größten privaten Krankenhausbetreiber Europas auf. Das wird den Wettbewerb weiter verschärfen. Take 25 Patient Vor vier Jahren war ich im Krankenhaus wegen einer Kortison-Infusion. Und dort hab ich in der zweiten Nacht ganz große Schmerzen bekommen. Und dann stellte sich heraus, dass ich eine Kolik hatte, genauer gesagt: Eine Gallenkolik, dort hatte sich ein Stein aus der Gallenblase gelöst, der vorher in der Leitung gesessen hat und die Schmerzen verursacht hatte. Take 26 Patient Dann dauerte es nicht lange, dann kam ein Oberarzt aus einer anderen Abteilung, nämlich der Gastroenterologie, und sagt mir, dass es sinnvoll sei, die Gallenblase rauszunehmen. Ich fragte: wieso? Ja, weil solche Gallenkoliken öfter auftreten könnten. Take 27 (Leber) Aus Kassensicht kann man auch sagen, es war zum Teil eine teure Erfolgsgeschichte. Aber auf alle Fälle eine Erfolgsgeschichte, wir wissen heute zum ersten Mal was im Krankenhaus passiert. Sprecherin: Und darauf hat Wulf-Dieter Leber über zwei Jahrzehnte gewartet. Erst beim Bundesverband der AOK, heute bei dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, GKV. Dort leitet er die Abteilung Krankenhaus Take 28 (Leber) Auf alle Fälle ist der Behandlungsprozess sehr viel stärker professionalisiert worden. Die innerbetrieblichen Abläufe konnten optimiert werden. Und davon profitieren natürlich auch die Patienten Sprecherin: Der durchschnittliche Patient liegt heute statistisch 7,6 Tage im Krankenhaus. 2005 war es noch ein Tag mehr. Auch die sogenannte Mortalitätsrate ist zurückgegangen. So lag die Sterblichkeit während eines stationären Aufenthaltes und bis zu 30 Tage danach im Jahr 2010 um 7,8 Prozent unter der von 2004. Take 29(Leber) Man muss im Grunde sagen, dass das DRG-System gut funktioniert hat. Es hat Leistungsanreize gesetzt und es hat für eine leistungsgerechte Vergütung gesorgt. Aber drum herum ist nicht allzu viel passiert. Wir haben immer noch die alte Krankenhausplanung wir haben immer noch kein vernünftiges Innovationskonzept, Qualitätssicherung hat letztlich bis heute keine echten Konsequenzen auf den Behandlungsprozess. Sprecherin: Es fehlt an Qualitätssicherung. Während die Zahl der Operationen immer weiter ansteigt. Dieses Jahr überwiesen die gesetzlichen Krankenkassen erstmals mehr als 64 Milliarden Euro an die Kliniken. Eine Rekordsumme... Take 30 (Leber) Eigentlich haben wir jedes Jahr ein Allzeithoch. Weil der Trend zu mehr Menge nach wie vor ungebrochen ist. Dieses ist in der Tat eine bedenkliche Entwicklung. Wir haben das ja untersuchen lassen. Und das Ergebnis lautet: Immer nur ein Drittel der Mengensteigerung ist demographisch erklärbar. Für den Rest sucht man noch nach Erklärungen, das kann von Beseitigung von Unterversorgung bis zu besserer Versorgung bis hin zur Raffgier natürlich, bis hin zu ökonomischen Argumenten für bestimmte Behandlung gehen. Take 31 Patientin Jeder sagt einem: Ja, das müssen sie machen lassen, sonst können sie nicht mehr laufen. Da erschrickt man natürlich schon und denkt: Oh Gott, da muss man schon ganz schön viel Mut aufbringen, um zu sagen: Nee, nee, ich frage jetzt noch mal eine zweite Meinung, oder meinen behandelnden Arzt, ich möchte mir jetzt nichts machen lassen, ja, das war gar nicht so einfach. Take 32 Patientin Ich habe dann meinen Arzt aus dem Krankenhaus angerufen, weil ich völlig verunsichert war, und er hat mir gesagt, kommen sie erst mal nach Hause und dann gucken wir was gemacht werden muss. Er hat sich das auch noch mal angeschaut und hat gemeint, naja, so wild ist das nun auch wieder nicht. Sprecherin: Es gibt etliche Hinweise darauf, dass im Fallpauschalen-System die Patienten kränker und behandlungs-bedürftiger aussehen als sie sind. Als der Bundesrechnungshof 2010 erstmalig DRG-Abrechnungen überprüfte, kam er zu dem Ergebnis, dass jede dritte fehlerhaft war. Und die Krankenhäuser knapp eine Milliarde Euro zu viel kassiert hatten. Für Kliniken fehlen schlicht Anreize korrekt abzurechnen, kritisierten die Rechnungsprüfer. Abschließend heißt es - Zitat: "Das Bundesgesundheitsministerium bestätigt die hohe Fehlerquote bei den Krankenhausabrechnungen; wirksame Gegenmaßnamen hat es bislang aber nicht eingeleitet." Take 33 (Braun) Mit Einführung der DRGS wurde bei jedem Krankenhausfall ein sogenannter Systemzuschlag erhoben, in dem dann auch immer ein winziger Bestandteil von einigen Cent für die Begleitforschung diente. Das heißt: der Topf war gut gefüllt. Sprecherin: Eine Patientenumlage für die Wissenschaft - das war ein Novum in der deutschen Gesundheitspolitik, sagt Dr. Bernard Braun, Sozial- und Gesundheitswissenschaftler am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen. Mit dem Geld sollte die Einführung der Fallpauschalen wissenschaftlich begleitet werden. Immerhin handelte es sich um eine der größten Strukturreformen im Gesundheitswesen. Von einem "lernenden System" sprachen die Gesundheitspolitiker, die begleitende Forschung sollte frühzeitig Informationen über Entwicklungen und Fehlentwicklungen liefern. Mit der Begleitforschung wurden die sogenannten Selbstverwaltungspartner, also die Spitzenverbände von Krankenkassen und Krankenhäusern beauftragt. Die führten gemeinsam die Fallpauschalen ein. Und kümmerten sich erst mal nicht um die Begleitforschung. Take 34 (Braun) 2003 fing es wirklich an, auch dann richtig offiziell zu wirken in Krankenhäusern. 2008 gab es dann diese Begleitforschung. Und die konnte im Prinzip nur noch in den Rückspiegel gucken und im Rückspiegel, das ist einfach eine wissenschaftliche Grundtatsache, verzerren sich viele Sachen, die ein paar Jahre alt sind. Man erinnert sich entweder zu schlecht oder zu gut. Das heißt, damit kann man nichts anfangen. Sprecherin: Die Einführungsphase der DRG wurde so wissenschaftlich nicht begleitet. Etwaige Fehlentwicklungen nicht registriert. Dabei gab es durchaus Hinweise auf eine Verschlechterung der Situation. Braun und seine Kollegen etwa befragten 2003 und 2008 Ärzte und Pflegepersonal. Die klagten unisono über eine zunehmende Verdichtung der Arbeit. Und dass sie weniger Zeit für den einzelnen Kranken aufwenden konnten. Eine weitere Studie untersuchte Patienten nach dem Verlassen der Klinik. Take 35 (Braun ) Und die hat nachgewiesen zu verschiedenen Zeitpunkten, 2003 und 2010, das der Gesundheitszustand der Patienten, die in der Rehabilitation auftauchen, deutlich schlechter geworden ist, gegenüber den Zeiten vor oder zu Beginn der DRGS. Sprecherin: Zum Beispiel Hüftoperationen: Vor Einführung der Fallpauschalen lag der durchschnittliche stationäre Aufenthalt bei 17,3 Tagen. Im Jahr 2010 blieb der durchschnittliche Patient nur noch 12,5 Tage. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der Patienten, die in der ersten Reha-Woche wegen Schmerzen und geklammerten Wundnähten nicht an der Physiotherapie teilnehmen konnten von 5,6 Prozent auf 39,4 Prozent. Take 36 (Braun) Was eben darauf beruht, dass die Liegezeit kürzer wird. Und behandlungs- bedürftige Patienten entlassen werden. Und zunehmend müssen Reha- Einrichtungen Ressourcen aufbauen, personelle und sachliche Ressourcen aufbauen, um Akutbehandlungen durchzuführen, was gar nicht ihr Job ist. Sprecherin: Mittlerweile liegt auch der Abschlussbericht der offiziellen Begleitforschung vor. Auf mehr als 600 Seiten analysiert er die Kennzahlen, die das DRG-System in den vergangenen Jahren lieferte. Nur wenige Seiten widmet der Abschlussbericht der Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit. Für die Patientenzufriedenheit gäbe es leider keine aktuellen Daten, beklagen die Verfasser. Dafür fanden sie mehrere Belege, dass immer mehr Pflegekräfte mit ihrem Arbeitsumfeld unzufrieden sind. Eine Entwicklung die Bernard Braun seit Jahren verfolgt. Er hat aktuelle Studienergebnisse, erhoben 2012 an hessischen Krankenhäusern, parat: Take 38 (Braun) Wir haben nämlich die Pflegekräfte, immer die Pflegekräfte gefragt, welche Tätigkeiten, also Dinge, die gesundheitlich notwendig sind, also nicht Wohlfühlleistungen oder irgendwas anderes, sondern die gesundheitlich notwendig sind, welche sie in den letzten zwei oder vier Wochen nicht erbringen konnten aus Zeitmangel oder anderen Gründen. Sprecherin: 80 Prozent der Pflegekräfte gaben an, nicht mehr zu einem persönlichen Gespräch mit dem Patienten zu kommen. 60 Prozent, dass sie eine Aktivierung der Patienten nicht mehr leisten konnten Take 39 (Braun) ... immerhin noch 15 Prozent, 15 Prozent das ist dann die geringste Häufigkeit, 15 Prozent der Pflegekräfte sagen, dass sie nicht mehr zur Händehygiene kommen, zu ihrer eigenen Händehygiene. Aber diese Bedingungen und das sind am Ende eben auch die DRG Bedingungen, die führen dazu, dass am Ende 15 Prozent der Betroffenen offen sagen, wir wissen es ist gesundheitlich notwendig, aber wir kriegen es nicht hin. Take 40 (Oberarzt) Der Druck im Krankenhaus, der hat sich ganz zweifellos erhöht. ( ... ) Die Kollegen, die jetzt Berufsanfänger sind, die werden häufig ins kalte Wasser geschmissen und müssen relativ hohe Verantwortung tragen und relativ viele Patienten. Ich musste das so nicht machen. Ich hatte weniger Patienten, ich hatte viel längere Liegezeiten, ich hatte viel bessere Supervision und das liegt an der Beschleunigung im System. Also für bestimmte Supervisions-Aufgaben, für bestimmte Ausbildungs-Aufgaben, nicht mehr die Zeit ist, die es früher durchaus gab. Take 41 (Notfallmediziner) 0.27 Viele Kollegen sagen ja auch ganz klar, ich finde das auch furchtbar, ich würde gerne etwas machen, aber ich habe hier meinen Arbeitsvertrag und ich muss meine Weiterbildungszeit vernünftig über die Bühne bekommen. Ich riskiere viel, wenn ich hier den Mund aufmache, Denn sie haben das Problem fünf oder sechs Jahre, je nach Fachrichtung, sind sie von ihrem sogenannten Weiterbildungsermächtigten, Klammer auf, in den meisten Fällen der Chefarzt, Klammer zu, auf Gedeih und Verderb abhängig, dass sie ihre Weiterbildungszeit abschließen können, um Facharzt zu werden. Sprecherin: Immer mehr Operationen, immer weniger zufriedene Mitarbeiter. Steigende Fallzahlen. Und steigender Kostendruck. Für den Gesundheitswissenschaftler Bernard Braun eine gefährliche Kombination. Er fordert eine Qualitätskontrolle im DRG-System. Take 42 (Braun) So eine Qualitätsverpflichtung, also klar zu sagen: Es gibt DRGS nur dann bezahlt, wenn die Qualität x gewährleistet ist, das wäre quasi ein nächster Schub, den man haben müsste, dann zum einen gäbe es dann einen Teil dieser Operationen nicht mehr. und zum anderen müsste auch jedes Krankenhaus sich überlegen, ( ... ) ob es wirklich nicht mehr Beschäftigte motivieren muss, qualifizieren muss, um zum Beispiel die Aktivierung von Patienten zu betreiben, das müsste verpflichtend eingeführt werden, das wäre also quasi noch einmal eine Revolution 2.0 Sprecherin: Welche medizinischen Parameter Qualität abbilden könnten, darüber hat sich Ulrich Fölsch, der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin bereits Gedanken gemacht. Take 44 (Fölsch) Die Anzahl der Krankenhausinfektionen, die Komplikationen nach einem operativen Eingriff, die Komplikationen auf einer Intensivstation, das sind Dinge, die man durch eine hervorragende Qualität beeinflussen kann. Oder ein weiteres Beispiel: Jeder, der einmal in einer Ambulanz in einer Universitätsklinik war, der weiß, dass man da verheerende Wartezeiten hat. Wenn man das zum Beispiel als Benchmarking nimmt und sagt eben, Verkürzung der Wartezeiten um 30 Prozent, das sind alles Qualitätsmerkmale, die man nehmen könnte, einen Anreiz setzen könnte, um sie zu erreichen. Das wäre sicherlich etwas, was mit uns zu machen wäre. Sprecherin: Davon würden auch die Patienten profitieren. Allerdings ist eine Reform im DRG- System nur ein Schritt um die Situation im Krankenhaus zu verbessern, betont Wirtschaftsberater Volker Penter. Denn die fehlenden Investitionen der öffentlichen Hand machen sich immer stärker bemerkbar. Take 45 (Penter) Hier ist erstens mal Ehrlichkeit gefragt. Dass also die Politik sich dazu bekennt. Man kann das ja sehr unterschiedlich sehen, man kann das von der öffentlichen Hand weiter finanzieren lassen. Oder man kann auch sagen, wir ändern die DRGs, wir haben höhere Fallpauschalen, dann wird es auf diese Art finanziert, aber ich kann ein nicht machen: Ich kann nicht sagen, das wird 100 Prozent öffentlich finanziert und dann mache ich das einfach nicht und sehe zu, was die Krankenhäuser daraus machen. Das ist kein zukunftsträchtiges Konzept. Take 46 (Notfallmediziner) Aus meiner Sicht ist Krankenversorgung ein Teil der Daseinsfürsorge. Und da sage ich ganz persönlich, ich denke nicht, dass das nach Profitpunkten funktionieren muss, sondern nach medizinischen Qualitätsfragen. Aber wir erleben es heute regelhaft, das nicht mehr der ärztliche Direktor die Hosen an hat, sondern der Betriebswirt. Take 47 (Patientin) Da gucke ich erst mal bei meinem Arzt, meinem behandelnden Orthopäden vorbei. Er hat sich das auch noch mal angeschaut und hat gemeint, wir probieren es mal auf konventionelle, konservative Art und behandeln das mal mit Lymphdrainage, Krankengymnastik und schauen erst mal und genauso haben wir es gemacht und ich muss sagen, das ging mir die letzten vier Jahre ganz gut damit. Take 48 (Patient ) Ich hatte mir zwischenzeitlich überlegt, dass ich eigentlich keine Operation wollte, zu dieser Zeit. Ich fragte deswegen nach, ob das denn jetzt sofort und dringend nötig sei, worauf man mir sagt, nein, das könne noch etwas warten, und man behandelte mich dann erst einmal mit einem Medikament, das für einen besseren Abfluss aus der Gallenblase sorgte. Ich hab die Medikamente dann noch eine Weile genommen, das ist jetzt vier Jahre her und ich habe seitdem nie wieder ein Problem mit der Gallenblase gehabt und bin natürlich froh, dass ich sie noch habe. Sprecherin vom Dienst: Der Patient und die Fall-Pauschale. Oder: Die Logik des Entgelt-Systems. Ein Feature von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster Es sprach: Viola Sauer Ton: Ralf Perz Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 1