COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel am 16.02.2014 ?Ein schlagkräftiges Unternehmen ? der Magdeburger Boxstall SES? Autorin: Susanne Arlt Atmo Straßenbahn Autorin: Neu-Olvenstedt. Ein Plattenbauviertel am Rande von Magdeburg. In der DDR ein Vorzeigeprojekt. Die Großsiedlung entstand Ende der 80er Jahre, ein stadtplanerisches Wagnis. Mehr als 2.300 Wohnungen wurden inzwischen abgerissen, das entspricht einem Fünftel. Um das soziale Gefüge zu stärken, stehen auf den neu entstandenen Grünflächen inzwischen ein paar Einfamilienhäusern. Und noch etwas prägt das Plattenbauviertel seit einigen Jahren positiv. Eine alte Turnhalle. Atmo Gym ? Gut, ja sehr gut Robert ? Autorin: Von außen macht das Gebäude nicht viel her. Ein heller Flachbau, an manchen Stellen bröckelt der Putz. Doch seit dreieinhalb Jahren ist die ehemalige Schulsporthalle Trainingsstätte für Champions. Box-Champions wie Robert Stieglitz, der beim Magdeburger Boxstall SES unter Vertrag steht. In der Halle riecht es nach kaltem Schweiß und abgestandener Luft. Atmo Medizinball ? lässt ihn fallen ? Halle ? Fertig ab, schön Tempo Robert ? Kinder laufen im Hintergrund ? Autorin: Der Weltmeister im Supermittelgewicht schleudert mit aller Kraft immer wieder einen Medizinball gegen die Wand. Auf seinem hochroten Gesicht glänzen Schweißperlen. Ein guter Boxer hat nicht nur Kraft in den Armen. Er braucht Disziplin, Leistungswillen, Mut und Risikobereitschaft. O-Ton Robert Stieglitz: Angst hat man immer. Aber man muss wissen, wie man damit umgehen kann. Also ich kann mit meinen Ängsten relativ gut umgehen. Für mich ist das ja schon so als ob ich das ewig mache. Autorin: Stieglitz setzt sein spitzbübisches Lächeln auf und malträtiert den Ball dann weiter. In dreizehn Tagen steht schließlich der Fight gegen seinen Lieblingskontrahenten Arthur Abraham an. Zum dritten Mal liefern sich der 32-jährige Russlanddeutsche und der ein Jahr ältere Deutsch-Armenier dann ein Box-Duell. Atmo Balken quietscht (Stieglitz zieht sich hoch) ? Autorin: Der 32-jährige geht zum Barren, stemmt seinen muskulösen Oberkörper hoch. Zehn Mal, 20 Mal, 30 Mal. Stieglitz presst die Lippen zusammen. Trainer Dirk Dzemski gibt die nächste Anweisung: Liegestütze im Ring. Atmo Runter ? Stieglitz macht Liegestütze ? Autorin: Er hält seinen Champion auf Trab, schließlich soll er seinen Titel am ersten März erfolgreich verteidigen. Dass der Kampf auf großes Interesse stoßen wird, davon ist Trainer Dirk Dzemski überzeugt. O-Ton Dirk Dzemski: Na ich glaube, Sportart Boxen ist 2013 ausgezeichnet worden als komplizierteste und vielseitigste Sportart. Das ist ja nu wirklich ne Sportart, da ist alles dabei. Da muss man eine gute Kondition haben. Kraft sollte nicht so schlecht sein. Reaktion. Aber der Geist ist auch dabei, man muss ja auch schlau sein, darf sich nicht treffen lassen. Das ist sehr sehr vielseitig. Und das Problem kommt auch noch dazu, man wird ja getroffen. Ja und dann muss man auch noch Herz haben. Atmo Sandsack Autorin: Beim letzten Abraham-Kampf lautete seine Strategie: Angriff ist die beste Verteidigung. Wie seine jetzige aussieht, will der Trainer natürlich nicht verraten. Robert Stieglitz hat die Liegestütze derweil hinter sich gebracht und darf zwei Minuten Verschnaufen. Sein Blick schweift über den Boxring ans andere Ende der Halle. Dort trainieren gerade die Kinder und jungen Erwachsenen des Boxvereins SV Lindenweiler. Stieglitz schaut interessiert zu. Die jungen Amateure erinnern ihn manchmal an seine Vergangenheit. Vor vierzehn Jahren siedelte er aus dem südrussischen Jeisk zu einem Onkel nach Magdeburg über. Er war damals ein Niemand, schlug sich als Amateurboxer durch. Bis Boxpromoter Ulf Steinforth auf ihn aufmerksam wurde und den 19-jährigen unter seine Fittiche nahm. O-Ton Robert Stieglitz: Wir müssen vielseitig sein. Alle denken Boxer, die stehen nur im Ring und die schlagen sich auf den Kopf. Nee, ist aber nicht so. Wir müssen gut laufen können, wir müssen auch Kraft haben, wir müssen uns verteidigen, gewisse Nehmerqualitäten auch haben. Und vor allem, was ich für unsere Sportart sehr wichtig halt, Geduld. Autorin: Trotz seiner Verletzungen, Krankheiten, Niederlagen hat der 32-jährige nie aufgeben. Diesen inneren Kampf, sagte er, versuche er an die jungen Boxer weiterzugeben. Atmo Trillerpfeife ? so wir machen jetzt Schattenkampf und Liegestütz und Rudern immer zwischendurch, so wie ich pfeife? wir machen aber nicht 20, sondern nur 15 Übungen ? und das aber jede Minute ? Training Autorin: Am anderen Ende der Halle kommen die vierzehn Kinder und jungen Männer langsam ins Schwitzen. Streng nach Vorschrift werden Profis und Amateure von unterschiedlichen Trainern betreut. Ernst Patze treibt die zehn- bis 30-jährigen an. Der 63-jährige ist seit 50 Jahren im Boxgeschäft. Gewann 1970 bei den DDR-Meisterschaften Bronze. Danach bekam er Probleme mit seiner Gesundheit, seitdem widmet sich der Weltergewichtler dem Box-Nachwuchs, der fast immer brav macht, was Ernst Patze sagt. Der schlanke, durchtrainierte 63-jährige strahlt Autorität aus. O-Ton Ernst Patze: War eigentlich immer sehr streng, aber trotzdem irgendwie liebevoll. Und habe das immer gepackt, dass die Kinder hören. Das hat man heutzutage sehr selten, aber bei mir klappt das immer noch ganz gut. Atmo Trillerpfeife, los geht´s, schön bewegen, Beinarbeit, ein bisschen mitdenken ? nach vorne gehen, rückwärts gehen, kontern, zur Seite gehen ? und immer schön mitdenken, Kopf links und rechts wegnehmen ? schnaufen Autorin: Die jungen Amateure boxen gegen imaginäre Gegner. Sie weichen ihnen aus, hüpfen von einem Bein aufs andere, kontern, nehmen den Kopf nach links, nach rechts, dann langen sie zu. Immer unter dem strengen Trainer-Blick von Ernst Patze. Atmo Jason komm hierher, du kämpfst hier, ich will dich sehen ? beweg dich, lang boxen, raus die Arme? albere nicht rum hier ? Autorin: Mit elf Jahren ist Jason einer der jüngsten Nachwuchsboxer. Über seinem kurzgeschnittenen Haar trägt er einen roten Kopfschutz. Seit einem Jahr boxt er für den Verein SV Lindenweiler. Vier Kämpfe hat er bislang bestritten. Nicht jeden hat er gewonnen. Jason zuckt mit den Schultern. Gewinnen ist nicht alles, sagt er. Das Boxen an sich macht Spaß. O-Ton Jason Rak: Weil man lernt, man wird sportlicher, man kriegt Muskeln, man kriegt Koordination. Autorin: Dann langt er seinem angenommenen Gegner die Faust ins Gesicht. Ein Treffer! Löst er auf diese Art auch seine Konflikte in der Schule? Jason hält kurz inne, schüttelt dann nachdrücklich den Kopf. O-Ton Jason Rak: Nee, also Herr Patze hat mir gesagt, die Boxtechniken draußen anzuwenden, verboten. In diesen klaren Worten. Weil das gefährlich sein könnte. Autorin: Ernst Patze hält den Jungen für talentiert. Aber Talent allein reiche nicht aus, betont er und schaut dabei ein bisschen streng. O-Ton Ernst Patze: Wenn man so ein Kind zum Boxen erzieht: Mut, Risikobereitschaft, die Kinder werden sehr sportlich. Aber die Kinder müssen auch bereit sein, sich quälen zu können. Das ist meiner Meinung nach nicht mehr so, wie es früher war. Autorin: Eine Einstellung, die immer weniger Eltern teilen. Sie fragen sich, ob Boxen nicht viel zu gefährlich für ihre Kinder ist. Man muss aber einen Unterscheid machen zwischen Profis und Amateuren. Letztere sind viel besser geschützt. Sie tragen einen Kopfschutz und schwerere Handschuhe, was die Schlagkraft reduziert. Außerdem gehen diese Kämpfe maximal über vier Runden á zwei Minuten. Auch das verringert das Verletzungsrisiko. Atmo Trillerpfeife ? und immer mitdenken, nimm den Kopf zur Seite weg, schön konzentrieren, genauso so, schön so, ?runter 15, 15 ? Bewegung ? du hälst deinen Mund und machst was ich sage. ? und links und rechts den Kopf wegnehmen Jason, pah, pah ? immer schön konzentrieren ? Kreuzblende mit Büro SES ? Nee ach da habe ich ? gut dann schießen wir jetzt raus, danke, Tschüss. Autorin: Christof Hawerkamp steht in einem schmucklosen Büro. Die Box-Zentrale von SES befindet sich in einem tristen Gewerbegebiet im Westen der Stadt. An Wänden hängen zahlreiche Urkunden. Eine stammt vom Oberbürgermeister. Promoter Ulf Steinforth ist Ehrenbürger der Stadt Magdeburg. Sein Pressesprecher bespricht mit einer Kollegin die letzten Details für den Medientag in Dierhagen. Vor einem Jahr hat der Boxstall zum ersten Mal Journalisten in das hübsche Ostseebad geladen. Die Klitschkos machen so was ja auch. Schließlich ist Boxen Show. Atmo Büro mit Tür Autorin: Zwei Türen weiter sitzt Box-Promoter Ulf Steinforth in seinem Büro. In der linken Ecke steht eine schwarze Ledercouchgarnitur. Der Blick nach draußen fällt auf einen tristen Hinterhof, Unkraut wuchert. Ab und an donnert ein kilometerlanger Güterzug direkt vor seinem Bürofenster vorbei. Ulf Steinforth legt nicht allzu viel Wert auf Äußerlichkeiten. Der 46-jährige hat ein markantes Gesicht, grau-grüne Augen, trägt das leicht ergraute Haar kurz. In schicken Anzügen sieht man in nur auf Wettkämpfen. Jetzt steckt er in einer ausgewaschen Jeans und einem Sweatshirt, wirkt recht entspannt. Freunde beschreiben ihn als zuverlässig, gradlinig, ehrlich, menschlich. Im knallharten Boxgeschäft sind solche Eigenschaften selten. Seinen Profis geben sie Sicherheit. Den Amateuren aus der Stadt eine Perspektive. Und ihm bescheren sie Erfolg. O-Ton Ulf Steinforth: Ich war nie Erster im Sport. Ich wollte es immer sein vom Willen, aber ich habe es nie geschafft. Und wo dann die ersten Erfolge sich einstellen, habe ich gesagt, das ist ja Wahnsinn. Wenn du da jetzt Gas gibst im Hintergrund, schaffst du es mit deinen Sportlern Erster zu sein. Also, auch wenn ich es nicht mehr persönlich war, die Sportler haben stellvertretend für mich die ersten Plätze geholt und ich habe mich mit gefreut. Autorin: Obwohl es andere Angebote gab. Einen Wegzug aus Magdeburg kann sich Ulf Steinforth heute aber nicht mehr vorstellen. Seine Liebe zur Heimat ist nicht zu überhören, in der DDR war sie allerdings angenackst. Als Kind habe er sich noch wohlgefühlt. Doch als Jugendlicher sei ihm immer klarer geworden, er lebt in einer Diktatur, erinnert sich der 46-jährige. Es gab keine Reisefreiheit, keine Meinungsfreiheit, keine freie Berufswahl. Schon früh sah er in der DDR keine Perspektive mehr für sich. O-Ton Ulf Steinforth: Weil ich schon erkannt habe in mir, dass ich so ein Typ bin, der selber was machen will und ich wusste, dass ich niemals mir so einen Wunsch erfüllen kann so eine eigene Firma zu haben, weil das eben alles staatlich geregelt war und der Traum war dann immer, in den Westen abzuhauen. Autorin: Statt ins schulische Wehrlager zu gehen, besuchte er die Junge Gemeinde in Magdeburg. Ließ sich später taufen, kirchlich trauen und hat heute noch sporadisch Kontakt zur Familie des ehemaligen Ministerpräsidenten und Pfarrers Reinhard Höppner. Sein älterer Bruder stellte einen Ausreisantrag, schrieb Protestbriefe an den Rat des Bezirkes. Sein jüngerer Bruder versuchte es über die grüne Grenze von der Tschechoslowakei nach Österreich. Beide landeten als politische Häftlinge im Knast. O-Ton Ulf Steinforth: Ich habe immer Glück gehabt. Ich habe mich immer so ein bisschen nicht angepasst, ich habe gesagt, nicht so viel Krawall machen, du probierst das auf dem normalen Weg. Muss aber dazu sagen, ich habe nachher unter Verfolgungswahn gelitten. Wo das dann mit meiner Familie war, immer wenn ein Auto vor der Tür gestanden hat und gequietscht hat, nachts habe ich immer aus dem Fenster geguckt und holen die dich jetzt ab. Das kann man sich nicht vorstellen, wenn man es nicht erlebt hat. Autorin: Auch Ulf Steinforth stellte einen Ausreiseantrag. Doch bis der genehmigt wurde, verging viel Zeit. Kurz vor dem Mauerfall wurden ihm und seiner Familie die Papiere schließlich ausgehändigt. Bevor sie aber privat alles geregelt hatten, flimmerten schon die ersten Jubelbilder vom Brandenburger Tor über die Bildschirme. Steinforth brach sofort mit seiner damaligen Frau auf Richtung Helmstedt. O-Ton Ulf Steinforth: Und sind dann ins Auto gestiegen und waren um halb neun in Helmstedt an der Grenze Marienborn und waren das vierte Auto. Am neunten November das vierte Auto. Und die Bilder, die wir aus Berlin kennen, so mit auf dem Auto kloppen, die gab es bei uns gar nicht. Weil, da stand kein Mensch an der Grenze. Autorin: Es blieb ein kurzer Ausflug in den Westen. Dem pfiffigen Steinforth wurde schnell klar. Gestalten kann er jetzt nicht im Westen, sondern im Osten. Er gründete sein erstes Unternehmen und verdiente viel Geld mit dem Aufstellen von Spielautomaten. Seiner Heimatstadt wollte er etwas von seinem Erfolg zurückgeben und unterstützte zahlreiche Sportvereine, darunter auch den 1. BC Magdeburg. Der Amateurboxclub dümpelte vor sich hin, bis Ulf Steinforth die Zügel dort in die Hand nahm. Unter seiner Präsidentschaft räumte er in Deutschland nahezu alles ab. Das war der Impuls für ein reichlich wagemutiges Unterfangen. Er gründete seinen eigenen Boxstall. Im März 2000 ließ er SES, die Abkürzung für Sport Events Steinforth, als Unternehmen registrieren. Und warb mit dem Slogan: der erste Boxstall aus dem Osten. Respekt gab es von den großen Box-Promotoren aus Berlin und damals noch Hamburg aber nicht. O-Ton Ulf Steinforth: Die haben das belächelt, haben das als Eintagsfliege gesehen. Auch die Verbände und das hat mich ein bisschen gestört. Und das hatte mich dann noch ehrgeiziger gemacht, muss ich ganz ehrlich sagen. Weil, ich habe einen anderen Ansatz. Ich kenne ja auch viele Leute, die heute noch anfangen, ich habe da großen Respekt vor. Weil, den Mut musst du erst mal haben. Autorin: Mut hat der zwei-Meter-Mann. Und Geduld. Eigenschaften, die jeder gute Boxer braucht. Hätte der 46-jährigen nicht diesen Kämpfergeist, würde es den SES-Stall in Magdeburg wohl nicht mehr geben. Mittlerweile gehört sein Unternehmen zu den zehn führenden Boxställen der Welt. Ulf Steinforth aber setzt weiterhin auf die Region an der Elbe. O-Ton Ulf Steinforth: Auch wenn viele den Standort vielleicht als Nachteil sehen, ich sehe ihn als Vorteil - und kann hier meine Familie pflegen. Autorin: Mit Familie meint Ulf Steinforth aber nicht nur seine zweite Ehefrau und seine Kinder. Sondern auch seine Boxer. Deshalb hatte er auch die Idee für das ungewöhnlich offene Box-Haus in Neu Olvenstedt. Nicht nur seine Profis, auch Kinder und Jugendlichen aus der Nachbarschaft dürfen in dem Fitnessstudio trainieren. Eigentlich jeder, der Interesse an der Sportart hat. Atmo Freust du dich, kommst du mit? ? in den Bus einsteigen Atmo Bus innen Autorin: Um die Sportart Boxen wieder näher in den Fokus der Magdeburger zu rücken, lässt Ulf Steinforth nichts unversucht. Zum ersten Mal fahren Profis und Amateuren für ein gemeinsames Box-Wochenende nach Frankfurt Oder. Am Freitag findet die Fight Night in der Brandenburg-Halle statt. Dort kämpfen unter anderem die SES-Schwergewichte Michael Wallisch und Francesco Pianeta um die Deutsche Meisterschaft und die Internationale Deutsche Meisterschaft. Am Samstagmittag finden die Vergleichskämpfe der Amateure vom SV Lindenweiler statt. Ernst Patze begleitet die Amateurgruppe nach Frankfurt. Der Verein kann sich die Busfahrt leisten, weil er einen lukrativen Sponsor hat: Ulf Steinforth. O-Ton Ernst Patze: So Leute, eine ganz kurze Ansage mal, wie das heute vonstatten geht. Gut, dass ihr alle hier seid, hat mich keiner enttäuscht jetzt. Wir fahren etwa drei Stunden, kommen um 17 Uhr an etwa und werden heute gleich um 17:30 wiegen. Das ist der Olympiastützpunkt, sowie wir ankommen, werden wir dort abgeholt. Und machen uns dann fertig für die Veranstaltung heute Abend. Autorin: Aufmerksam hören die Jungs ihrem Trainer zu. Einen Abend lang den Profis beim Kämpfen zuschauen und am nächsten Tag dann selber im Ring stehen, das ist auch für sie eine neue Erfahrung. Eine, die ansport, findet der elfjährige Jason Rak. Er hat am Samstag seinen fünften offiziellen Kampf. O-Ton Jason Rack: Ich find´s cool. Wenn Stieglitz am Boxtag da ist, dann gucke ich gerne mal hin, wie er das macht. Dann kann ich das auch im Kampf ein bisschen machen, werde ich besser. Ja es macht schon Spaß, ihm zuzusehen. Autorin: Bevor die Busfahrt losgehen kann, stellt Ernst Patze noch ein paar Dinge klar. O-Ton Ernst Patze: Ich verlange von euch eine absolute Disziplin. Wer hier nicht zuhört, der kann sich frisch machen, das verspreche ich euch. Das sieht dann ganz böse aus. Ansonsten denke ich mal, dass wir ganz gut miteinander klarkommen. Alles klar? ? Jawoll ? Autorin: Die Jungen nicken ehrfurchtsvoll, die Jugendlichen grinsen. Zwei von ihnen vergeht schnell das Lachen, als Ernst Patze mitkriegt, dass beide an einem Schokoriegel knabbern. Sein Blick wird eisig, die Stirn faltig. O-Ton Ernst Patze: Ich habe gerade gesagt, dass wird dort gleich wiegen. Wer hier irgendwas rumnascht und irgendwas isst, den schmeiß ich aus dem fahrend Bus bei 100 Klamotten. Also lasst das sein ? Atmo Bus fährt los Autorin: Die angeknabberten Riegel verschwinden ruckzuck in den Sporttaschen. Nachdem das also klargestellt ist, kann die Busfahrt losgehen. Ernst Patze lässt sich ins Polster sinken. Seufzt kurz auf. Die Liebe zum Boxsport habe ihn nie losgelassen und diese Liebe habe ihn auch nie enttäuscht, sagt er. Anfang der 70er Jahre galt er in der DDR plötzlich als nicht mehr förderungswürdig. Das lag vermutlich nicht nur an seinen Verletzungen, sondern auch an seiner Westverwandtschaft. Verbittert hat ihn das nicht, er wechselte nur die Seiten im Ring. Widmete sich fortan dem Nachwuchs. Am Weitesten hat es sein damaliger Schützling René Monse gebracht. Bei Olympia in Atlanta schaffte es der Schwergewichtler bis ins Viertelfinale. Bis heute versucht Ernst Patze die Kinder für den Boxsport zu begeistern. Das werde leider immer schwieriger, bedauert er. Die Nähe seines Vereins SV Lindenweiler zu den Profis von SES findet er darum gut. O-Ton Ernst Patze: Wer sich mit dem Boxsport auseinandersetzt und sieht dann die Profis, die sehr gute Leistung bringen, zum Beispiel der Robert Stieglitz als Weltmeister, ja da möchten Kinder schon nah dran sein, die Leute kennenlernen und zusammen trainieren. Atmo Busfahrt, Kreuzblende mit Atmo Boxkampf Autorin: Fünf Stunden später. In der Brandenburg-Halle in Frankfurt Oder nimmt SES-Schwergewichtler Tom Schwarz seinen lettischen Gegner gerade in die Mangel. Der 19-jährige verteilt einen Haken, macht eine Gerade, boxt mit seiner Führungshand und langt dann mit der Schlaghand zu. Sein Rivale strauchelt, lässt sich kurz zu Boden sinken. Atmo Warum zählt der den nicht an? ? Der muss doch bis acht zählen? komm, schön nochmal, dahin ? Klingel, Klatschen ? Autorin: Ulf Steinforth verzieht den Mund. Er ärgert sich über den Ringrichter. Schließlich liefert sein Nachwuchs-Boxer einen guten Kampf. Tom ist unser großes junges Talent, schwärmt er. Er gehört dem Team Deutschland an. Eine Art Nationalmannschaft für junge Boxer, erklärt der Promoter. Eine Vorstufe für ihre Einzelkarriere. Die Sportler dürfen maximal 25 Jahre alt sein. Sechs Nachwuchs-Boxer sind derzeit in dem Team. Bislang beteiligt sich nur SES am Team Deutschland. Ein Berliner Promoter hat aber immerhin sein Interesse bekundet. O-Ton Ulf Steinforth: Die Idee ist eigentlich, den deutschen großen Erfolgen nachzulaufen. Und mein großer Wunsch wäre so ein Nachfolger von Max Schmeling, das hat sicher jeder Promoter. Ein deutscher Schwergewichtsweltmeister wäre natürlich ein Traum. Autorin: Der junge Hallenser hatte sein Profi-Debut erst vor wenigen Monaten. Bevor er für SES in den Ring steigt, fand Ulf Steinforth, sollte Tom erst einmal seine Lehre erfolgreich beenden. Der Promoter lässt sich in den Stuhl zurückfallen. O-Ton Ulf Steinforth: 24 Stunden vorher kann ich eigentlich nachts nicht schlafen. Ich bin immer wach bis fünf, sechs Uhr. Irgendwann schlafe ich dann schon ein. Ich freu mich zwar, wenn ich im Ring sitze, aber ich bin dann entspannt, wenn alles gut gegangen ist. Und ich fiebere mit jedem mit, egal ob es ein Anfänger ist oder der große Hauptkämpfer, egal wer es ist. Autorin: Der junge Schwergewichtler mit dem beindruckend breiten Kreuz hat bislang zwei Kämpfe absolviert. Bisher habe er sich immer als Kurzarbeiter präsentiert, sagt Steinforth und grinst. Beide Kämpfe beendete er innerhalb der ersten Minuten durch K.O. Diesmal läuft es nicht ganz so glatt. Sein Gegner aus Lettland hat mit 51 Kämpfen auch mehr Erfahrung. Trainer Dirk Dzemski steht am Ring, gibt dem jungen SES-Boxer immer wieder Tipps. Im Boxsport ist das erlaubt. In der vierten und letzten Runde hat sich der lettische Gegner wieder aufgerappelt. Atmo Schön draußen bleiben halt dich mehr recht, rechts halten, ?oben ansetzen, oben ansetzen ? rechts halten, du bist zu weit links ? rechts halten Tom. .. na siehste du, die meine ich ? Schlagen gegeneinander ? Klingel, Klatschen? Autorin: Am Ende siegt Tom Schwarz - und Ulf Steinforth ist zufrieden. Die drei Richter stimmen in Punkten 40 zu 36 für den jungen Boxer aus dem SES-Stall. Nach diesem Kampf steigt der ehemalige Schwergewichtler Axel Schulz in den Ring, kommentiert die Show, die ein Privatsender im Internet überträgt. Ulf Steinforth reckt den Daumen nach oben. Die beiden sind befreundet. Atmo Axel aus deinem Erfahrungsschatz, was kannst du ihm mit auf den Weg geben ? Ja das war sehr sehr gut ? Autorin: In seiner Heimatstadt Frankfurt Oder ehren ihn die Zuschauern wie eine Boxlegende. Auch wenn er nie einen großen Titel erringen konnte. Ulf Seintforth erinnert sich. Als Axel Schulz gemeinsam mit Henry Maske aus dem Amateurlager ins Profigeschäft wechselte und einen Vertrag bei dem bekannten Berliner Boxpromoter Wilfried Sauerland unterschrieb, feierte er seine ersten beruflichen Erfolge als Automaten-Aufsteller in Magdeburg. Dass er dann zehn Jahren später einen eigenen Boxstall gründete, sei schon eine etwas verwegene Idee gewesen. Aber eine erfolgreiche. Das mittelständische Unternehmen SES beschäftigt derzeit fünfzehn Faustkämpfer, drei Trainer und zehn Angestellte. Der Umsatz bewegt sich in einem knapp zweistelligen Millionenbereich. Axel Schulz setzt sich zwischen zwei Kämpfen neben seinen Freund. Er hat eine Erklärung für dessen Erfolg. O-Ton Axel Schulz: Also es ist wirklich ein sehr sehr eng der Kontakt zwischen Manager, Sportlern, zwischen den ganzen Leuten, die da drum herum arbeiten. Und das finde ich sehr sehr herzlich. Selbst nach Niederlagen. Er fängt jeden auf und egal wie die Niederlage war, und da gab es schon krasse Niederlagen, wo man sagt wow, jetzt ist vielleicht an eine Trennung zu denken. Aber ne, Ulf steht dazu und das macht das aus. Das ist eine Familie. Atmo Walk-In von Pianeta Autorin: In diesem Moment läuft Francesco Pianeta in die Brandenburghalle. Der Deutsch-Italiener ist ein Naturtalent. Die Zuschauer in der Halle toben. Der 29-jährige Schwergewichtler trabt lässig an ihnen vorbei, winkt siegessicher mit der Hand. Das war nicht immer so. Vor vier Jahren diagnostizierten die Ärzte bei ihm Krebs. Für den harten Jungen brach eine Welt zusammen. Er war damals in Berlin unter Vertrag. Nach seinem Befund habe man ihn dort einfach fallen gelassen, erzählt er später einer Zeitung. Er konnte nicht mehr kämpfen, verdiente kein Geld, machte dafür Schulden. Ihm sei klar geworden, dass er weder Mensch, noch Boxer, sondern nur eine Ware war. Atmo Walk-In von Pianeta kurz hoch ziehen Autorin: Natürlich kennt Axel Schulz die Geschichte. Wer aus der Boxszene kennt sie nicht. Zu der Geschichte gehört aber auch, dass sich Francesco Pianeta von seinem alten Arbeitgeber trennte und zu SES nach Magdeburg wechselte. Seiner mittlerweile zweiten Familie. O-Ton Axel Schulz: Natürlich ist das bei anderen Boxställen anders, weil das finanzielle im Vordergrund steht. Das ist ein knallhartes Geschäft ohne Frage. Und Ulf, wie er das geführt hat, wie er klein angefangen hat und sich nach und nach hochgearbeitet hat, das ist einfach beeindruckend, investiert auch sein privates Geld mit rein und das macht es auch aus. Also Ulf ist ein Boxverrückter. Atmo Boxkampf beginnt Autorin: Steinforth wink t ab. Am Ende müssen sich auch seine Investitionen rentieren. Wenn er rote Zahlen schreibe, helfe das keinem. Weder ihm, noch seinen Boxern. Axel Schulz nickt, wägt kurz ab, sagt dann: Wenn sich am Ende alles nur noch ums Geschäft dreht und nicht mehr um die Boxer, dann läuft etwas fasch. Und rückt dann das schwarze Baseball-Cap mit dem weißen Schriftzug seines Sponsors auf dem Kopf zurecht. Der Kampf um die 35. Internationale Deutsche Meisterschaft im Schwergewicht beginnt. Atmo Boxkampf kreuzblenden mit Atmo Eisenbahn-Gelände Autorin: Einen Tag später, es ist Samstag-Mittag. Francesco Pianeta hat den Kampf gewonnen. Durch technisches K.O. nach nur einer Minute und 43 Sekunden in der zweiten Runde. Mit seiner Ehefrau Concetta steht der Schwergewichtler jetzt an einem geschichtsträchtigen Ort in Frankfurt Oder: dem ehemaligen Manfred-Wolke-Camp. Eine unwirtliche Gegend. Es nieselt, die Luft ist kalt und riecht nach öliger Schmiere. Direkt gegenüber befindet sich der Bahnhof. Das Quietschen der Waggons auf den Abstellgleisen dringt immer wieder herüber. Doch an diesem Ort holte einst der Trainer von Henry Maske und Axel Schulz das deutsche Profiboxen aus seiner Schmuddel-Ecke und macht es salonfähig. Atmo Wir begrüßen die Boxer vom SV Lindenweiler Magdeburg ? Klatschen, Musik zu Rocky ? Amateure laufen ein ? SV Lindenweiler Magdeburg ? Hallo Jungs ? Autorin: Die fünfzehn Amateure des SV Lindenweiler laufen ein. Der jüngste von ihnen führt die Gruppe an. Jason Rack trägt Boxhandschuhe. Sein schmales, blasses Gesicht verschwindet unter dem roten Kopfschutz. Der Elfjährige wirkt angespannt. In wenigen Minuten beginnt sein Kampf. Gestern waren die Profis dran, jetzt steigen die Amateure in den Ring. Gestern haben die Amateure sie angefeuert, jetzt machen es die Profis. Verkehrte Welt möchte man meinen. Robert Stieglitz zuckt mit den Schultern. Der Supermittelgewichts-Star aus Magdeburg findet das völlig normal. O-Ton Robert Stieglitz: Ich als Boxweltmeister gehöre auch zu den normalen Leuten und solche Veranstaltungen besuche ich auch sehr gerne, weil ich auch hier meine Bekannten, meine Freunde habe. Wieso sollte ich das nicht unterstützen? Atmo Der Kämpfer in der roten Ecke, Jason Rack, Altersklasse 12, 37 Kilo, bestritt bisher vier Kämpfe ? Ring frei, Runde zwei ? jawoll ? Autorin: Jason hebt die Fäuste vors Gesicht. Sein Gegner überragt ihn um mindestens einen Kopf. Dem ersten Hieb kann er noch ausweichen, er tänzelt ein paar Schritte zurück. Der Gegner geht auf Konfrontation. Jason nimmt den Kopf nach links, der nächste Schlag landet gezielt in seinem Gesicht. Und auch der übernächste. Für einen Laien sieht das ziemlich brutal aus. Ein Kind prügelt auf ein anderes ein. Ulf Steinforth sitzt in der vierten Reihe, schaut dem Kampf gespannt zu, winkt dann ab. Das Boxen sehe brutaler aus als es sei. Damit den Amateuren nichts passiert, tragen sie immer einen Kopfschutz. Das ist weltweit Vorschrift. Beim nächsten Schlag zuckt dann auch der Box-Promoter zusammen. O-Ton Ulf Steinforth: Der Kleene tut mir leid. Man sieht, dass der Mann aus Frankfurt Oder wahrscheinlich Sportschule ist und bei uns die auch wirklich von der Straße die kleenen Jungs sind und da tut er mir richtig ein bisschen leid. Autorin: Vier Runden lang gibt Jason alles. Jede dauert eine Minute. Am Ende unterliegt der Elfjährige und sieht ganz schön geschafft aus. Dann gibt sich Jason innerlichen einen Ruck und kann schon wieder lächeln. O-Ton Jason Rak: Man kann froh drüber sein, wenn man gewinnt. Aber wenn man verliert, ist man auch ein bisschen froh, man lernt daraus. Autorin: So wie im richtigen Leben eben. 7