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Ihre Hauptaufgabe besteht darin, das zu verhindern, was Zuschauer am liebsten sehen wollen: Tore. Der Begriff Torwart geht auf das althochdeutsche Wort ?Turiwart? zurück. Turiwarte waren Männer, die im Mittelalter an den Stadttoren Wache hielten. Im Sport war die Position des Torhüters lange Zeit unbeliebt. Zwischen den Pfosten landete, wer schlecht spielte, unbeweglich oder dick war oder wem die Puste ausgegangen war und einfach nicht mehr konnte. Das änderte sich 1954 als Deutschland zum ersten Mal Fußballweltmeister wurde. Ein Wendepunkt. Reporter Herbert Zimmermann rief Torwart Toni Turek zum Helden aus und begründete damit den Mythos der deutschen Torhüter. Seither werden Torhütergeschichten mit Hingabe erzählt. Etwa die von Sepp Maier und einer Ente. Der Vogel hatte sich während einer Bundesligapartie auf das Spielfeld verirrt. Maier stürzte sich auf das Federvieh, doch die ?Katze von Anzing?, wie der Münchner Torwart genannt wurde, flog ausnahmsweise vergeblich, die Ente entwischte. Legendär ist auch die Geschichte von Bert Trautmann, der für Manchester City im Tor stand. Im englischen Pokalfinale 1956 brach ?Bert the Kraut? sich das Genick, spielte aber trotzdem bis zum Schluss weiter. ?Die Flanke kam rein, da musste ich halt hin. Und ich hab den Oberschenkel von Murphy, genau hier im Nacken bekommen gehabt und war weg. So einfach, da war nix Spielerei oder vortäuschen usw., ich war total weg. Und hab im Unterbewusstsein weitergespielt. Und wusste von all dem nichts.? Für den Autor Ronald Reng, der sich seit Jahren intensiv mit Torhütern beschäftigt, ist Bert Trautmann nicht nur als Sportler interessant. Reng ist fasziniert von dessen menschlichem Schicksal. Geboren wurde Trautmann 1923 in Bremen. Als junger Mann war er von der Naziideologie überzeugt. In der Wehrmacht kämpfte Trautmann als Fallschirmjäger. 1946 kam er als Kriegsgefangener nach England und unterschrieb drei Jahre später seinen ersten Profivertrag. ?Wie dieser Mensch es schafft, einerseits durch sein Handeln, auch durch sein Torwartsein einfach Abbitte zu leisten, weil er für eine englische Fußballmannschaft ein guter Torwart war. Wie er andererseits aber immer darunter leidet und gebrochen bleibt. Da gibt?s Erlebnisse vom Bert Trautmann, er war schon Startorwart für Manchester City und er geht nach dem Training aus dem Stadion. Er will mit dem Bus nach Hause fahren und er sieht, dass da drei, vier Mitspieler an der Bushaltestelle stehen und mit diesen Mitspielern hat er gerade trainiert, war er gerade in der Umkleidekabine. Und er traut sich nicht, an der Bushaltestelle mit denen zu stehen. Es ist was, was unbewusst abläuft, was er nicht wirklich erklären kann, aber er hat Angst, außerhalb des Fußballplatzes mit diesen Leuten zusammenzustehen, weil er wieder fühlt, er ist doch der deutsche Kriegsverbrecher.? In zahlreichen Torhüter-Geschichten klingt an, welch tragische Rolle die Schlussleute manchmal spielen. Vom Held zum Deppen - dafür reichen wenige Minuten oder ein einziger Augenblick. Ein Epos, wie es das klassische Drama nicht eindrucksvoller erzählen könnte. ?Der Stürmer kann bis zur 90. Minute nie das Tor treffen, in der 91. haut er das Ding rein und er ist der Held des Spiels. Beim Torwart ist es genau umgekehrt, er hält alles und in der 91. fängt er irgendwie ne Gurke, und in dem Moment ist er natürlich der Idiot.? Wovon Dortmunds Keeper Roman Weidenfeller hier erzählt, damit muss Bremens ehemaliger Torhüter Oliver Reck bis heute leben. Obwohl er zahlreiche Titel gewann. Für die Fans ist er immer noch der ?Pannen-Olli?. Auch Oliver Kahn musste erfahren, dass Torleute vor allem an ihren Fehlern gemessen werden. Bei der Fußballweltmeisterschaft 2002 in Japan und Südkorea war er die überragende Figur und wurde zum Spieler des Turniers gewählt, als erster Torwart überhaupt. Doch in Erinnerung blieb die Szene in der 67. Minute im Finale gegen Brasilien. Oliver Kahn brachte der Fehler aber auch Sympathien ein. Der bis dahin unnahbare ?Titan?, der nach dem verlorenen Finale traurig am Pfosten kauerte, hatte wieder menschliche Züge bekommen. Torleute gelten als ?speziell?, ein wenig sonderbar oder gar verrückt. ?Da wo wir mit der Hand oder dem Kopf hin müssen, gehen manche Spieler noch nicht einmal mit dem Fuß hin.? Dortmunds Torwart Roman Weidenfeller ?Also, da tut es schon meistens weh. Dementsprechend ziehen viele schon zurück. Aus diesem Grund muss man schon ein Stück weit verrückter sein als der ein oder andere Feldspieler. ? Vor allem auf Torleute wie Toni Schumacher, Uli Stein oder Jens Lehmann traf zu, was bis heute immer noch gerne behauptet wird: ?Torhüter und Linksaußen haben alle eine Macke.? Für ihre Paraden wurden die drei Keeper im gleichen Maße verehrt wie sie für ihre Wutausbrüche gefürchtet waren. Das Foul von Toni Schumacher an Frankreichs Nationalspieler Patrick Battiston bei der WM 1982 gilt noch heute als eines der schlimmsten der Fußballgeschichte. Der deutsche Keeper hatte dem Franzosen im Sprung zwei Zähne ausgeschlagen, bewusstlos blieb Battiston auf dem Rasen liegen. Schumacher war sich keiner Schuld bewusst und zeigte keine Reue. ?Wer einsteckt, kann auch austeilen. Und so ist das auch gewesen, das war keine Absicht mit dem einen Franzosen da. Kommt ein Steilpass und ich komm raus, sehe das ich den Ball nicht kriege und, aber ich bin im Sprung drin und kann mich auch nicht in Luft auflösen. Und dann habe ich ihn, glaube ich, mit meinem Hintern erwischt.? Selbst wenn sich das Publikum von Sepp Maier, Uli Stein oder Oliver Kahn immer bestens unterhalten fühlte, von einem guten Torwart erwarten die Fans heute mehr. ?Ein Torhüter sollte mitspielender Torwart sein, ein Torhüter, der von hinten aus der Abwehr das Spiel lesen kann. Ja, früher konnte der Torwart auf der Linie stehen bleiben und Faxen machen, heute muss er eigentlich immer ein Stück vor dem Tort stehen und nach Möglichkeit ins Spiel eingreifen können. Ich kenn noch einen, der ist ein Handballtorhüter und der heißt Silvio Heinevetter. Wenn er einen richtig gut gehalten hat, dann macht er immer so Witze im Tor.? Silvio Heinevetter, der Torhüter der deutschen Handballnationalmannschaft scheint momentan der Einzige zu sein, der die Rolle des im positiven Sinne verrückten Torhüters hierzulande noch verkörpert. Erst im Januar, bei der Handball-WM in Spanien, zeigte der Vollbärtige mit Lockenmähne sein ganzes Repertoire. Er gab den Motivator, pöbelte mit Gegenspielern und brachte sein Team mit fantastischen Paraden bis in Viertelfinale. Vor allem aber ließ er seinen Emotionen freien Lauf: er schimpfte, trat gegen den Pfosten und jubelte über gehaltene Bälle. ?Man muss sich ja auch mal im Spiel selber loben, wenn man was gut gemacht hat. Man kann das ja nicht so einfach so hinnehmen und sagen schön, sondern ich finde, Emotionen sind wichtig. Nicht nur für mich, sondern auch für meine Mitspieler. Auch für die Gegenspieler, um denen zu zeigen, ok, heute wird?s vielleicht ein wenig schwieriger. Also ich kann mich nicht aufs Feld stellen und kann dann 60 Minuten ruhig sein und ein paar Bälle halten und dann duschen gehen, das werde ich nicht hinkriegen. Da werde ich keinen Ball halten, glaube ich.? Mit seinem Verhalten auf und neben dem Spielfeld hat Silvio Heinevetter eines geschafft: Er ist derzeit das Gesicht des deutschen Handballs. Über ihn berichten Sportzeitungen und Frauenmagazine. Seine Beziehung mit der Schauspielerin Simone Thomalla macht ihn doppelt interessant - für Sportfans und für Leser von Klatschspalten. Selbst wenn das seinem Verein, den Füchsen Berlin nicht immer gefallen mag. Der extrovertierte Heinevetter hat dem deutschen Handball wieder mehr Aufmerksamkeit beschert. Auch wenn die, gemessen am Fußball, noch bescheiden ausfällt. Da war es wohl kein Zufall, dass Silvio Heinevetter vor der Handball-WM einen sehr speziellen Gruß an den Torhüter von Bayern München schickte. ?Ich habe gesagt, Neuer ist der beste Torwart, ich bin der Allerbeste. Aber das ist auch gar nicht schlecht oder schlimm, jeder Torwart muss an sich glauben und muss auch, ohne dass das arrogant klingt oder despektierlich dem anderen gegenüber, muss auch sagen können: ich bin der Beste. Ja, wenn du erfolgshungrig bist und ehrgeizig, dann kannst du das auch sagen. Lohnt sich natürlich nicht das zu sagen, wenn du ne Gurke bist. Aber, ich glaub halt auch an mich und von daher kann man das ja sagen. Ist natürlich mit einem kleinen Augenzwinkern gemeint, logisch.? Verglichen mit Silvio Heinevetter sind die aktuellen Bundesligatorhüter brave Jungs. Dass sie ein straffes Medientraining hinter sich haben, merkt man ihnen an. Für den Sportjournalisten und Buchautor Ronald Reng ist das auch eine Generationenfrage. ?Wir haben in Deutschland sehr sehr unterschiedliche Torhüter. Wir hatten Oliver Kahn und Jens Lehmann, die hatten noch dieses einsame Cowboysyndrom, ein Mann muss tun was ein Mann tun muss und macht das alleine. Wir haben auf der anderen Seite Torhüter wie Rene Adler, die sehr feinfühlig, die sehr, die im besten Sinne sensibel sind. Zum Beispiel als er in der Nationalmannschaft gespielt hat, Robert Enke und Rene Adler damals, da war vom Rene Adler ausgehend gleich eine Nähe da. Da wurde dann, obwohl sie eigentlich Konkurrenten waren über Handschuhe geredet. Ich kann mir schwer vorstellen, dass sich zwei Ärzte treffen und stundenlang über ihre Skalpelle reden wie das Torhüter über ihre Handschuhe machen.? Ob im Handball, Hockey oder Fußball, die Position des Torhüters hat etwas Einzigartiges.Torleute in einer Mannschaftssportart sind Einzelkämpfer. Zwischen Torwart und Angreifer kommt es noch heute zur einer alten Form des Zweikampfs, die im zivilen Leben bereits im 19. Jahrhundert verboten wurde: dem Duell, Mann gegen Mann, etwa beim Elfmeter. Hier heißt es nicht Tod oder Leben, sondern Tor oder Nicht-Tor. Frau gegen Frau heißt es in jedem Spiel aufs Neue für die deutsche Hockeynationaltorhüterin Yvonne Frank. Genau für diese Momente, Eins gegen Eins, so die 33jährige, stehe sie im Tor. ?Das ist schon viel, viel persönliche Herausforderung, dass man diese Verantwortung auf den einzigen Schultern lasten hat, und man kann eben schon aufgrund seiner Erfahrung vorhersehen, ok, jetzt wird wahrscheinlich das und das passieren, was ist in der Mitte los, sind da noch Spielerinnen frei und so. Und das alles zusammenzubringen und zu entscheiden gehe ich jetzt auf die Eine mit dem Ball raus und halt den am Ende wohlmöglich noch, das gibt immer so kleine neue spannende Situationen, die einfach so das Kribbeln in mir hervorrufen. Wo ich sage, hey, das ist das coolste am Sport, danach fühlt man sich einfach gut, hinten der letzte, die letzte Frau zu sein.? In der Bundesliga spielt Yvonne Frank für den Uhlenhorster Hockeyclub in Hamburg, ihr Geld verdient sie aber als Polizistin. An zwei Olympischen Spielen hat sie bisher teilgenommen, zuletzt 2012 in London. Eigentlich war hier eine Medaille geplant, aber das Aus kam bereits in der Vorrunde. An Yvonne Frank lag es wohl weniger, gerade im Spiel gegen Südafrika zeigte sie tolle Paraden. Was für Hockeytorhüter viel schwerer ist als für ihre Kollegen beim Fußball oder Handball. Die Ausrüstung von Yvonne Frank wiegt fast 5 Kilo. Angefangen beim Helm, über den Brustpanzer bis hin zu den Beinschienen. Und auch der Ball ist viel schwerer zu berechnen. Er ist zwar etwas größer als beim Golfspiel, aber bei einem ordentlichen Schlag wird er mit Leichtigkeit über 100 km/h schnell. ?Man hat viel weniger Zeit als Torhüter, diese Aktion zu setzen. Und vielleicht ist das ein bisschen mehr beim Hockey mit Spekulation noch verbunden oder mit Erfahrung auch. Und ich glaube, so gerade Eins-eins-Situationen, wo die Spieler, die ja ohne Ausrüstung wesentlich schneller sein können als Torhüter in ihrem ganzen Stoff den sie da anhaben, dass das schon immer spektakulär für den Zuschauer aussieht. Wenn man da als Hockeytorhüter in die Situation reingeht und den Ball hält oder das Eins- gegen Eins-Duell dann gewinnt.? ??????? der Theodor, der Theodor, der steht bei uns im Fußballtor?.? Der Theodor in der Oberligamannschaft von Zwickau hieß über ein Jahrzehnt, bis 1981, Jürgen Croy. Neben Dino Zoff und Sepp Maier zählte Croy in den 70er Jahren zu den besten Torhütern der Welt. Für die DDR bestritt er 94 Länderspiele, ein Rekord. Kein ostdeutscher Torwart brachte es auf mehr. Wie die Hockeytorhüterin Yvonne Frank war Jürgen Croy zunächst Feldspieler, ging dann aber lieber ins Tor. Auch ihn reizte die Verantwortung auf dieser Position, der schmale Grat zwischen Held und Fliegenfänger. Doch ebenso faszinierte ihn die Ästhetik am Torwartspiel, das Fliegen im Strafraum. Selbst wenn einige Torhüter dabei übertreiben. ?Ich halte es ein bisschen für lächerlich, wenn ein Ball mittig kommt, oder einen halben Meter links, oder halben Meter rechts, den man mit einem kurzen Sidestep sehr gut kontrollieren kann. Und die Torhüter machen dann eine akrobatische Flugeinlage daraus und lenken den Ball über die Latte. Aber es ist nichts dagegen zu sagen, wenn ein Ball zwei Meter oder drei Meter von der Mitte weg kommt, auf die Ecke zufliegt, mit einer schönen Parade, mit einem schönen Absprung. Davon träumt man zum Beispiel als junger Mann von solchen Paraden in einem wichtigen Spiel und damit den Spielausgang positiv beeinflussen zu können. Das ist der Reiz des Torhüterspiels auch.? Seine ganze Karriere über spielte Jürgen Croy nur für einen Verein, für die BSG Motor Zwickau, die 1968 in Sachsenring Zwickau umbenannt wurde. Die Verantwortlichen im DDR-Fußballverband hätten ihn lieber bei stärkeren Mannschaften spielen sehen, bei Dynamo Dresden oder Lok Leipzig. Doch Croy blieb und wurde in einer mittelmäßigen Mannschaft zur Legende. Für seinen Club war er eine Art Lebensversicherung: er beherrschte den Strafraum, hielt Elfmeter und verwandelte, wenn nötig, selbst. Angst vor dem Elfmeter hatte Jürgen Croy nie. Er wusste, als Torwart konnte er nur gewinnen. ?Es erwartet das ganze Stadion, erwartet von dem Feldspieler wenn der antritt, dass er den Ball unterbringt. Das Tor ist so groß, die haben 7,32 Meter Breite zur Verfügung. Man unterschätzt dabei die nervliche Belastung die der Schütze hat. Ich kenne das ja ganz gut aus eigenem Erleben. Ich habe im Pokalfinale gegen Dynamo Dresden 1975 einen Elfmeter geschossen und habe das auch im Europapokal gemacht gegen AC Florenz, beide waren glücklicherweise drin.? Selbst wenn die meisten Torhüter beim Elfmeter keine besondere Belastung empfinden, in vielen anderen Spielsituationen ist der Druck extrem groß. Fehler führen meist zu Toren. Oft setzt dann eine folgenschwere Kettenreaktion ein. Die Zuschauer auf den Rängen spotten oder pöbeln und im Fernsehen ist der Fehlgriff in aller Ausführlichkeit zu sehen. Angst breitet sich aus, lähmt, blockiert. Was, wenn es wieder passiert? Darauf sind viele Keeper nicht vorbereitet. Diese Erfahrung hat Jeannine Ohlert in den letzten Jahren immer wieder gemacht. Sie arbeitet als Psychologin an der Sporthochschule in Köln und betreut vor allem junge Fußballspielerinnen, die auf dem Sprung in die Jugendnationalmannschaft sind. Am häufigsten kommen Torhüterinnen zu ihr, die meisten mit dem gleichen Problem. Sie haben Angst, im nächsten Spiel wieder einen Fehler zu machen. Jeannine Ohlert konnte vielen Mädchen mit einem so genannten ?Gedankenstopp? helfen. ?Das heißt, man setzt sich im Grunde ein Signal und sagt sich stopp, diesen Gedanken will ich nicht. Und versucht dann die Aufmerksamkeit, die gerade in die Vergangenheit gerutscht ist, die versucht man wieder in die Gegenwart zu holen. Und die Sportler setzen dann ein körperliches Signal. Also was zum Beispiel geht, ist ein Gummiband am Arm zu haben und daran zu ziehen. Also das es kurz weh tut und das man sich selber daran erinnert, stopp, den Gedanken will ich nicht. Und das man direkt nach dem ersten Fehler versucht das anzuhalten. Und das Wichtige ist eben auch, nicht nur anhalten, sondern ich brauch dann auch einen positiven Ersatzgedanken. Und das können Bilder sein, die ich dann in meinen Kopf hole, also positive Bilder von mir selber oder das können Selbstgespräche sein, die ich dann in meinem Kopf führe, dass ich mich dann selber wieder aufbaue. Und das ist dann eine Sache,die die Spielerinnen im Laufe der Zeit dann lernen, um dann eben genau diese Angst nicht mehr zu haben.? Dabei scheitern viele Torhüter nicht, weil sie zu wenig Talent haben, sondern weil sie nie gelernt haben, mit Druck umzugehen. ?Das Problem ist, dass die Torhüter, die wir derzeit in der Bundesliga haben, da kann man davon ausgehen, dass die gerade in ihrer Jugend keinerlei sportpsychologische Unterstützung hatten. Das gab es halt einfach noch nicht. Und auch heutzutage ist es noch in den wenigsten Vereinen so, dass ein Sportpsychologe zur Verfügung steht. Wenn dann eher sporadisch. Gerade in den Vereinen, die eine professionelle Jugendarbeit betreiben, finde ich, gehört genauso wie ein Athletiktrainer oder ein Physiotherapeut ein Sportpsychologe dazu. Weil der im Grunde den Kopf trainiert. Also gerade wenn man überlegt, in den Nachwuchsleistungszentren, ist es glaube ich so, dass im Schnitt ein Spieler es aus dem Jahrgang in den Profibereich schafft. Und es kann mir keiner erzählen, dass das alles wegen fußballerischer Leistung ist. ? Torhüter Robert Enke bekam psychologische Unterstützung. Nur deshalb konnte er nach einer schweren depressiven Phase im Jahr 2003 ein Jahr später bei Hannover 96 wieder Spitzenleistungen bringen. Bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika sollte er im Tor der Nationalmannschaft stehen. Die Sicherheit, wie er sie in Hannover verspürte, hatte er in der DFB-Elf aber nicht. Enkes Freund, der Autor Ronald Reng, wusste nichts von dessen Krankheit, merkte aber, wie bedrückt er war, seitdem er wieder für die Nationalmannschaft spielte. Nach Enkes Suizid 2009 schrieb er ein Buch über ihn. "Robert Enke, von allem was wir wissen, hatte schon von Jugend an Probleme mit Depressionen, die bei ihm sehr oft durch den Druck des Torwartseins ausgelöst wurden. Was wir aber jetzt fernab von der Depression festhalten können, ist es schon, dass es so eine Art Torwartkrankeit gibt. Und das ist die Krankheit, mit dem Druck immer am Fehler gemessen zu werden. Der Druck, kein Fehler machen zu dürfen. Ich habe bei Robert ganz klare Veränderung festgestellt. Von dem Zeitpunkt an, 2008, als er Nationaltorhüter war. Da war er ganz oft angespannt. Und das war eine Tragik von Robert Enke, dass er wieder zu gut wurde für das eigene Glück.? Druck und Anspannung verspürte auch der frühere Nationaltorhüter der DDR, Jürgen Croy, besonders vor Länderspielen im Leipziger Zentralstadion vor über 100.000 Zuschauern. Ein grober Patzer in einer Partie gegen Mexiko führte direkt zu einem Tor. Doch Croy hatte das Glück, anders als Robert Enke, dass er nach solchen Fehlern nicht an sich zweifelte. Er wusste, wie oft er für seine Mitspieler die Kastanien aus dem Feuer geholt hatte. ?Es gibt auch so viele Situationen, in denen man eigentlich so unhaltbare Bälle, für den Außenstehenden unhaltbare Bälle halten kann, mit guten Reflexen und ein bisschen Glück. Muss ich auch ganz ehrlich sein, ein Torhüter spekuliert auch viel. Und das macht ja auch vieles wett. Und wenn man so eine Vielzahl von Länderspielen gemacht hat wie ich, dann hat man natürlich auch das Vertrauen seiner Mannschaftkollegen und das Vertrauen der Fans. Sie wissen, alle sind nur Menschen und jedem kann so etwas passieren. Aber er hat uns schon so viele andere Spiele mit gerettet mit seinen Leistungen, dass das mehr als aufgewogen wird. ? Seit der aktiven Zeit von Jürgen Croy und Sepp Maier hat sich für die Torleute einiges geändert. Heute haben die Vereine extra Torwarttrainer, die Ausrüstung der Torhüter wird speziell für sie angefertigt. Jürgen Croy musste sich die Trikots noch allein besorgen, sie wurden von seiner Frau genäht. Sepp Maier bastelte sich die ersten Torwarthandschuhe selbst zusammen. Er zerschnitt den Belag von Tischtennisschlägern und klebte die Noppen auf einfache Handschuhe. Der Fußball, das sogenannte ?runde Leder" ist heute aus Kunststoff, viele Torhüter sprechen von Flatterbällen, die extrem schwer zu halten sind. Ob im Hockey, Handball oder Fußball, das Spiel ist viel schneller geworden. Um sich selbst weiterzuentwickeln, versucht Dortmunds Keeper Roman Weidenfeller Torhüterparaden aus anderen Sportarten zu kopieren. ?Wir haben ja hier bei Borussia Dortmund auch eine Handballdamen-Mannschaft und ich hatte mir auch schon mal den Spaß gemacht und habe mich ins Tor reingestellt bei den Damen. Da flogen mir schon ganz schön die Bälle um die Ohren. Dementsprechend kann ich mir auch vorstellen, was bei den Herren so an km/h auf das Tor zugeflogen kommt. Da muss man schon sagen, Wahnsinn was die Kollegen da für eine Leistung bieten." Tauschen möchte Roman Weidenfeller mit einem Handballtorhüter lieber nicht. Die tragen keine Torwarthandschuhe. Seine bezeichnet er als Lebensversicherung. Im Handball machen Handschuhe jedoch keinen Sinn. Die Bälle, die mit Wucht aus nächster Nähe geworfen werden, sind kaum zu halten, geschweige denn zu fangen. Für Silvio Heinevetter ist dagegen sein Suspensorium unverzichtbar. Einen Ball, ohne Schutz, mit über 100 km/h auf eine sehr spezielle Stelle im Unterleib zu bekommen, diesen Schmerz will er nicht erleben. Vor Treffern gegen seinen Kopf hat er dagegen keine Angst. Vor lauter Anspannung spürt er den Schmerz nicht. Erst am Abend auf dem Sofa. Wenn er sich dann im Fernsehen seine Paraden anschaut, ist er selbst fasziniert. ?Manche Bilder oder Bewegungen wenn ich das sehe, im Training schaffe ich das nicht. Im Spiel ist man anders gepusht. Man ist halt voll mit Adrenalin. Ich bin zum Beispiel einer der unbeweglichsten Torhüter, die es gibt. Ich komme gerade mit meinen Händen an meine Zehenspitzen ran mit gestreckten Beinen. Aber im Spiel schaffe ich auch einen Spagat. Aber im Duell kann man über sich hinauswachsen. ? Robert Enke war im Gegensatz zu Silvio Heinvetter auch im Training sehr beweglich. Daran arbeitet er akribisch. Mit einer besonderen Stellung der Arme und Beine konnte er die Stürmer zu Verzweiflung bringen. Den Ball bekamen sie in Eins gegen Eins- Situationen nur schwer an ihm vorbei. Sein Abwehrhaltung kontrollierte er zusätzlich durch Videoaufzeichnungen. Auch auf seine Handschuhe achtet Enke penibel. ?Die Handschuhe waren für Robert ein Heiligtum? Der Autor Ronald Reng ?Es gibt Torhüter, wie Timo Hildebrandt z.B., der wirft seine Handschuhe tatsächlich in die Waschmaschine. Das ist für die meisten Torhüter ein Frevel. Und Robert hats genau andersherum gemacht. Er hat seine Handschuhe gepflegt wie ein Heiligtum, er hat sie nach jedem Spiel mit nach Hause genommen und egal wie viel Uhr er nach Hause kam, ob das zwei Uhr nachts war, der erste Gang zu Hause war immer der Gang zum Waschbecken, wo er die Handschuhe noch mal angezogen hat, und dann mit Seife oder Shampoo gereingt hat und hat er sie zum Trocknen hingelegt. ? Was die Handschuhe für Robert Enke waren und das Suspensorium für Silvio Heinevetter ist, das ist für die Hockeynationaltorhüterin Yvonne Frank der Helm. ?Wenn ich einen vor den Helm bekomme, dann erschrecke ich mich. Dann wird der Helm gecheckt, ob er noch in Ordnung ist. Ich hatte das jetzt in der Vorbereitung, dass ich halt mein Helmgitter wechseln musste, weil ich da einfach so einen Ball vorgebraten bekommen habe, dass sich das Helmgitter verbogen hat und angerissen war. Und da muss man halt schon ein bisschen darauf achten. Also das ist für mich auch persönlich ziemlich wichtig, dass schon alles sicher ist. Und das ich nicht irgendwann mal so ein Helmgitterstab im Auge hab oder irgendwie so etwas. Das wär natürlich blöd.? Auch für diesen Nervenkitzel steht Yvonne Frank gern im Tor. Trotzdem spielt sie selten vor großer Kulisse. Zum Hockey kommen trotzt der großen Erfolge der Nationalmannschaften nicht viele Zuschauer. Spielt der BVB mit Roman Weidenfeller, kommen über 80.000 ins Dortmunder Stadion. Auch in der Handballbundesliga sind die Hallen gut gefüllt, erst recht wenn Silvio Heinevetter spielt. ?Mich pusht das eigentlich mehr, wenn Leute dich ausbuhen, bzw. wenn alle gegen dich sind. Als wenn alles Friede-Freude-Eierkuchen ist. Und wenn du dann noch gut spielst, dann ist die Halle tot. Das ist halt wie, um das jetzt mal ganz banal zu erklären, wie wenn ein Dirigent sein Orchester dirigiert, ja. Wenn ich ein gutes Spiel mache, mit wenigen Paraden, oder ein paar Paraden, kann ich dafür sorgen, dass alle ruhig sind, dass sie nicht mehr rumschreien.? Das Rumschreien übernimmt Heinevetter lieber selbst. Zuletzt in dieser Woche, als er mit seiner Mannschaft, den Füchsen Berlin, beim Deutschen Meister in Kiel 40 Tore kassierte. Was ihm trotz seiner großen Popularität bis heute fehlt: ein großer Titel und ein Spitzname. Hexer, Teufelskerl und Titan könnten passen, sind aber schon vergeben. 1