Manuskript Zeitreisen Titel: Arbeit ist das ganze Leben Das Büro und wir Autor: Christian Schiffer Sendedatum: 29. Mai, 19:30 Redaktion: Kim Kindermann ___________________________________________________________________ O-Ton // ZSP1 Mad Men 4:55 Sprecher: Es ist eine riesige Maschine, mindestens so groß wie ein Kleinwagen. Ein Monster aus Eisen und Stahl, ein grauer Koloss, der bei seiner Arbeit geheimnisvoll surrt und brummt. Bei diesem imposanten Bürogesellen handelt es sich um einen vollautomatischen Kopierer, der Anfang der zweiten Staffel der populären US-amerikanischen Serie ?Mad Men? plötzlich im Flur der Werbeagentur ?Sterling Cooper? steht. Atmo: Musik der Serie kurz hoch Sprecher: Die Serie, die mittlerweile Kult-Charakter besitzt und vor allem von jungen kreativen Menschen verehrt wird, beginnt in den 60er-Jahren und zeigt, wie das Leben in einer Werbeagentur damals zuging. Ein elektrischer Kopierer jedenfalls ist zu diesem Zeitpunkt Hightech pur und verströmt einen Hauch von Science Fiction, so ähnlich, wie es heute sogenannte 3D-Drucker tun, die man in manchem Architekturbüro findet und die dreidimensionale Objekte aus Plastik ausspucken. Atmo: Musik der Serie noch mal kurz hoch Sprecher: Das Büroleben, es hat sich verändert in den letzten fünf Jahrzehnten. Maschinen sind verschwunden und neue sind hinzugekommen. Doch eines ist immer noch so, wie früher: Der Arbeitsalltag ist oftmals geprägt von Routine und gähnender Langweile. Abheften, Stempeln, Unterschreiben. Das Büro konfektioniert und standardisiert Abläufe, sorgt für Effizienz ? auf dem Amt, auf der Post, bei der Bank, auf der KFZ-Zulassungsstelle, bei Versicherungen und in Ministerien. Nicht immer ist das Spaß. Für den Kunden nicht, und auch nicht für den Angestellten. Atmo Büro hoch (Bitte noch von Regie besorgen), dann u. U. unterlegen Sprecher: Die Mischung von Langweile, Unterforderung und Frustration auf Seiten der Mitarbeiter, wird oft als ?Boreout? bezeichnet, dem Gegenstück des ?Burnouts?. Noch kommt der ?Burnout? allerdings öfters vor. Die Bürokratie umklammert Mitarbeiter, hält sie im Würgegriff. Nur die Art und Weise, wie sie das tut, hat sich verändert. Christoph Bartmann, Direktor des Goetheinstituts in New York, hat in seinem Leben schon an vielen Schreibtischen gesessen, unter anderem in München, Prag oder Kopenhagen. 2012 ist von ihm im Hanser Verlag das lesenswerte Buch ?Leben im Büro? erschienen. O- Ton/ ZSP 2 Bartmann: Im Büro gibt es natürlich Hierarchien, Autoritäten, Abhängigkeiten und Dienstwege und Befehlswege, also im Grunde ist ja die klassische Bürokratie ähnlich organisiert wie das Militär. Max Weber, der berühmte deutsche Soziologe, hat vor fast 100 Jahren damit die theoretische Grundlage für diese neue Bürokratie, die er als etwas sehr positives ansah, geliefert. Das hatte damals auch viel zu tun mit personaler Autorität, also mit Fachkompetenz, mit Erfahrung, mit Dienstalter, also der Ältere konnte dem Jüngeren was sagen und so weiter. Und wir haben vor allem durch den Siegeszug des Computers und der Office-Software und des Einzugs des ?new public managements?, mit diesen ganzen neue betriebswirtschaftlichen Methoden und Instrumenten, haben wir jetzt einen Form der unpersönlichen Herrschaft. Am Arbeitsplatz herrscht nicht mehr der Chef über die Untergebenen, sondern die Instrumente herrschen über alle. Sprecher: Auch der Text dieser Sendung wird von mir mit Microsoft Office geschrieben. Nebenbei beantworte ich Emails Und chatte bei Facebook. ZSP3 Facebook-Pling/ Sprecher: Skype ertönt. ZSP4 Skype-Plong Sprecher: Und ich bekomme eine Beitragsanfrage per SMS hinein. ZSP5 SMS-Vibration Sprecher: Als freier Journalist arbeite ich von zu Hause aus. Als mein persönlicher Assistent fungiert mein Smartphone. Es erinnert mich an wichtige Termine und brummt dezent, wenn das nächste Meeting ansteht. Eine spezielle Software von Google scannt meinen Kalender und berechnet automatisch die Fahrzeit bis zum nächsten Termin. Ja, die Technik beherrscht mich und soll mein Leben einfacher machen. Atmo Musik oder ein anderer akustischer Trenner (Bitte von Regie besorgen!) Sprecher: Trotzdem herrscht Termindruck. Das Manuskript muss fertig werden. Facebook pingt, Skype ertönt und ich bekomme per SMS eine Anfrage für einen neuen Beitrag. Kurzerhand schalte ich die Kommunikationsmedien aus, dichte alle Informationskanäle ab und fange an zu schreiben - bis ich daran erinnert werde, dass es ja auch noch Whatsapp gibt ? ein spezieller Meldedienst. ZSP6 Whatsapp-Pling Sprecher: Das Arbeiten von Zuhause aus erfordert eine Menge Disziplin, das weiß auch Christoph Bartmann: O- TON / ZSP7 Bartmann: Wenn ich in einer Organisation arbeite, will ich unter Menschen sein. Wenn ich ein Einmann-Unternehmen, ein Entrepreneur, ein Internetmensch bin, in der Finanzindustrie arbeite und sowieso nur am Computer sitze, dann brauch ich nicht ins Büro. Wenn ich sowieso immer nur am Computer sitze, ist es besser, ich bleibe zu Hause, aber der Co-Working -Space zeigt, dass den meisten zu Hause langweilig wird und das vor allem die Verbindung von Hausarbeit und häuslichen Aufgaben und disziplinierter Arbeit im heimischen Büro für viele schwierig ist, das überhaupt die Disziplinierung leichter ist, wenn man sich unter Menschen begibt. ZSP8 Ausschnitt Social Network Sprecher: Der Film ?Social Network? zeigt: Arbeits- und Privatleben gehen Hand in Hand. Es ist das Modell der New Economy, das da sagt: Dort, wo Du arbeitest, dort lebst Du auch. Denn es ist ja schließlich Dein Projekt, Dein Ding! Das Büro einer Internetklitsche kommt selten ohne Kickertisch aus, ohne Playstation und einem großen Vorrat an Alkohol. Die New Economy, sie lechzt nach langen Arbeitszeiten, wer an ?Nine to five? hängt, ist fehl am Platz. Die hippen Garagenfirmen im Silicon Valley sorgen dafür, dass es den Mitarbeitern am Arbeitsplatz an nichts fehlt, so dass es möglichst keinen Grund gibt, überhaupt nach Hause gehen zu wollen. Das gilt auch für die Unternehmen, die längst keine Garagenfirmen mehr sind, sondern weltumspannende IT-Konzerne, die sich aber doch irgendwie die Mentalität einer kleinen innovativen Garagenfirma konservieren möchten. Unternehmen wie Google etwa. Google ist berühmt für seine spektakulären Büros: Eröffnet der Suchmaschinengigant eine Dependance, so ist das gerne Thema in den weltweiten Tech-Blogs und in der regionalen Klatschpresse. Kay Oberbeck, Pressesprecher von Google Deutschland, führt durch das Münchner Büro. O-Ton / ZSP9 Reportage: Google 1 (Kletterwand, Google-Farben) Ja, eine Kletterwand! Ich weiß nicht mehr, wer die Idee dazu hatte, aber als wir das Büro hier neu gebaut haben, war es für einen Googler eigentlich selbstverständlich, dass es zum Wohlfühlen und zum körperlichen Ausgleich auch eine ordentliche Kletterwand gehört. Und wie man hier an den Spuren sieht, ist sie auch in Benutzung. Also es ist nicht so, dass die hier nur aus Spaß an der Freude angebracht worden ist. Aber das Gute ist: Wenn man sich da dann so ein bisschen ausgetobt hat, ist gleich nebenan der Massagestuhl! Und da kann sich von den Strapazen der Kletterwand auch ein bisschen erholen. CS: Die ganzen Polster die hier herumliegen, sind in sattem Rot und sattem Grün, also in den klassischen Google-Farben. Also ich habe hier schon viel rot, grün und blau gesehen. Ja, die klassischen Google Farben sieht man auch hier in München. Gegenfrage: Wissen Sie, woher diese Google-Farben stammen und welche Farben das überhaupt sind? CS: Nein, verraten Sie es mir? Das sind die typischen Google-Farben, gelb, blau und grün. Das hat einen historischen Grund. Als unsere Beiden Gründer die Idee hatten, das Internet mal kurz zwischen zu speichern auf Computern, um es besser durchsuchbar zu machen, das war damals an der Universität in Stanford 1998, da hatten die beiden Gründer noch nicht so richtig viel Geld. Sie hatten eine Festplatte, aber die Hülle die Drumherum ist, die hatten sie nicht. Aber sie hatten Legosteine. Und sie haben dann mit Legosteinen eine Schutzhülle für diese Festplatte gebaut und das war dann eigentlich unser erstes Rechen ? und Datenzentrum. Und deswegen finden sich diese Farben der Lego-Steine auch in unserem Logo wieder. Und deswegen findet man die in den Büros der ganzen Welt. Auch in Form der von Ihnen angesprochenen Sitzmöbeln und überall. Sprecher: Die Einrichtung erinnert an eine Mischung aus einem Wellness-Spa und einem IKEA-Bällebad. Überall gibt es Krimskrams zu bestaunen und gerade, wenn es fast ins Infantile abgleitet, steht man dann plötzlich staunend vor einem Designer-Möbelstück. Das ist eine andere Bürophilosophie als, auf einem Amt ? dem Inbegriff des klassischen Büros. Wobei auch dort das ?New Public Management? Einzug gehalten hat. Mit diesem Begriff werden privatwirtschaftliche Managementtechniken bezeichnet. Nur das es dort sicher weniger Spielzeug gibt und weniger Stile. Hier, bei Google in München ist die Einrichtung regionalen Sehenswürdigkeiten nachempfunden: Ein Teil erinnert an die Allianzarena, in einem Raum steht ein Maibaum, an der Decke hängen Brezeln. Auch die Namen der Räume haben regionale Bezüge, heißen zum Beispiel ?Theresienwiese?. O- Ton / ZSP 10 Reportage: Google 2 (Kantine, TGIF) Ja, gehen wir mal in die Kantine? CS: Hier die Kantine, wie heißt die? Hat die auch einen Namen? Natürlich! Wir sind hier im Viktualienmarkt! Wie sollte es anders sein. Man sieht hier, wenn man reinkommt gleich zur linken eine Eistruhe, mit sehr, sehr leckerem Magnum-Eis oder auch Kuchen? CS: Ist das alles kostenlos? Ist alles frei, sowohl für Besucher, als auch für Googler. CS: Hier wieder eine sehr bunte Sitzecke mit einer Playstation 3, zwei Guitarhero-Controllern und einer Wii natürlich? Einer Wii und natürlich eine Musikanlage. Hier wird auch mal ordentlich gerockt! Es gibt es viel zu Essen. Es ist jetzt etwas spät am Abend, aber es gehört zur Kultur von Google, dass es immer viel und gut zu Essen gibt, auch immer kostenlos. Es gibt auch die Grundregel, dass keine Essenstelle bei Google zum Arbeitsplatz weiter entfernt sein darf, als 30 Meter. Was aber leider Gottes dann auch dazu führt, dass die ?Noogler?, als die neuen Googler bei uns im Durschnitt im ersten Jahr ihrer Tätigkeit sieben Kilo zunehmen. CS: Ja, das ist also die Kantine. Hier ist es jetzt leer, aber wir haben es auch schon 18 oder 19 Uhr. Aber das ist nicht immer so, oder? Nein, das ist nicht immer so. Vor allem freitags ist es hier sehr voll. Denn freitags werden weltweit einheitlich in allen Büros, die sogenannten TGIFs begangen. Die Abkürzung heißt ?Thank God it´s Friday?. Da treffen sich alle Googler im größten Raum und verbinden und hier in München per Videokonferenz mit dem Hamburger Büro. Und das ist eine Veranstaltung von einer Stunde, wo wir ein bisschen die Woche Revue passieren lassen, wo alle sagen können, wem was tolle passiert ist, ob eine tolle Produktentwicklung geschafft worden ist, sei es in anderen Büro oder hier in München. Sprecher: Marissa Mayer war früher einmal Managerin bei Google. Heute ist sie die Chefin von Yahoo. Vor einigen Wochen sorgte die 38jährige für viele Aufmerksamkeit, als sie in einem Brief die Yahoo-Mitarbeiter zurück ins Büro orderte. Sprecherin/ZITATORIN : ?Es ist absolut notwendig, dass wir alle in unseren Büros anwesend sind. Einige der besten Entscheidungen und Erkenntnisse erwachsen aus Gesprächen auf dem Flur oder in der Cafeteria. Geschwindigkeit und Qualität leiden oftmals, wenn wir von zuhause aus arbeiten. Wir müssen ein Yahoo sein und das fängt damit an, dass wir physisch zusammen sind.? Sprecher: Ausgerechnet die Mitarbeiter von Yahoo, einer Pionierfirma im Internet, sollen in Zukunft also wieder am schnöden Bürotisch sitzen. Dabei war Telearbeit in den 1980er Jahren eine echte Utopie. Arbeitsforscher schwärmten von der Idee, dass Arbeitnehmer sich den täglichen Weg zur Firma sparen würden. Kein Stress im Stau! Dafür mehr Zeit für Kinder! All das wäre heute problemlos möglich, dank Internet, Email, WLAN, Smartphone und der Cloud. Und dennoch: Nach einer Studie des IT-Branchenverbandes ?Bitcom? arbeitet heute zwar jeder dritte Berufstätige regelmäßig von zuhause aus, aber nur ganz wenige tun das ausschließlich. Christoph Bartmann glaubt, dass sich diese Zwischenlösungen durchsetzen werden: O- Ton /ZSP 11 Bartmann: Also, es gibt ja heute stark die Opposition Homeoffice, also von zu Hause arbeiten. Das heißt am Computer oder ins Büro gehen, also da wo alle sind. In Wirklichkeit gibt es natürlich längst und im Amerika noch mehr, aber auch in Deutschland, die dritte Option, nämlich sogenannter Co-Working-Space, also das temporär angemietete Büro, wo junge Kreative sich hinsetzten, ihren Computer an stöpseln, auf Gleichgesinnte treffen, mit denen sie vielleicht einen Milchkaffee trinken und dann von sich hinarbeiten am Computer. Ich finde, wenn man von Homeoffice oder Büroraum spricht, muss man immer unterscheiden zwischen den doch sehr verschiedenen Aufgaben und Zielen von Büroarbeit. Ich denke, es ist ein Riesenunterscheid, ob ich ein Ein-Mann-Unternehmen bin, ein Internetstart-up, jemand der vor allem am Computers sitzt und vielleicht programmiert oder Musik macht oder schreibt oder was auch immer. Oder ob ich in einer oder für eine Organisation arbeite. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass das Leben der Organisation gewissermaßen in Heimarbeit stattfinden kann. Sprecher: Co-Working-Space, so heißt eine Form der Büroorganisation, die immer beliebter wird. Statt von zu Hause, im festen Büro oder vom Café aus zu arbeiten, kann man sich hier für ein paar Tage oder Wochen ein Büro anmieten. In vielen Städten sind in den letzten Jahren Co-Working-Spaces entstanden, das Beta-Hause in Berlin steht auch beispielhaft für die dort boomende Startup-Szene. Eine hervorragend Idee, denke ich, packen den Laptop unter den Arm, verlasse meine Wohnung und fahre in die Sonnenstraße in München, zum Co-Working-Space Munich. Ein Tagespass kostet 19 Euro, der Monatspass 290, ein Tag zum Ausprobieren ist umsonst. Der Betreiber Florian Bergmann zeigt mir die Räumlichkeiten: O-Ton/ ZSP 12 Reportage: Co-Working CS: Das hier ist ein Großraumbüro, ein recht großer Raum, Holztische, sehr hell beleuchtet, großer Fernseher hier, eine Couchecke. Ist das klassisch so, wie so ein Co-Working-Space aufgebaut ist? Das ist schwierig zu sagen. Wir sind schon eher strukturiert und clean, verglichen mit anderen. Also, wenn man in Berlin in ein Co-Working-Space geht, dann ist das da deutlich kaputter. Da findet man selten zweimal denselben Stuhl. Ich mag beides: Das hier ist eine Mischung, die wir ganz gemütlich finden. Man muss sich wohlfühlen. Wir hatten auch mal weiße Tische, die haben wir ausgetauscht, damit die ein bisschen mehr Atmosphäre machen, damit es gemütlicher wirkt. Genauso das Sofa: Es gehört einfach dazu, dass ich mich mal hinsetzen und etwas Lesen kann. Genau wie der Fernseher: Ab und an sind wichtige Ereignisse, Fußball, oder Ähnliches, das muss man auch mal gucken. CS: Wie viele Leute arbeiten hier im Schnitt? Gerade sind ja fast alle Plätze ausgebucht, es sind zwölf Plötze, acht davon sind besetzt. Ja, das ist unterschiedlich, dadurch, dass die Leute keine feste Bindung mit uns eingehen und kommen wann sie wollen, können wir ganz schlecht planen. Es kann schon mal sein, dass gut und gerne 25 bis 30 Leute da sind, wenn auch der Konferenzraum vermietet ist. ATMO Co-Working Space Sprecher: Ich sitze an einem Carrée mit sechs Plätzen. Wir sind zu zweit, tippen beide so vor uns hin. In der Ecke steht ein Bücherregal in dem Wälzer zu Programmiersprachen und juristische Texte stehen. Ich fühle mich wohl, der Co-Working-Space ist in hellen Farben gestaltet, die Holztische auslandend groß, die Stühle bequem. Ach, die gute alte Schule deutschen Bürodesigns! Einen Tag zuvor habe ich mit Kathrin Gall telefoniert. Sie arbeitet für das Forscherteam des Bürounternehmens ?Steelcase?. Für die Studie "Der Culture Code" haben sie und ihre Kollegen Bürokulturen in elf Ländern verglichen. O-Ton/ ZSP 13 Gall: MUSS von Sprecherin overvoiced werden!!! Die Unternehmen versuchen mittlerweile globale Standards durchzusetzen, der Einfluss von lokalen Gewohnheiten und Prinzipien geht dadurch zurück. Aber klar: Deutschland ist Teil der Region Nordeuropa/Skandinavien, wo es viele gewachsene Regeln und Regularien gibt, um die Mitarbeiter zu schützen. Es wird zum Beispiel sichergestellt, dass eine Person, die an einem Tisch sitzt, bequem sitzt und eine natürlich Körperhaltung hat. In Deutschland und auch in Skandinavien, ist es beispielsweise so, dass Höhenverstellung in Muss ist. Die Leute müssen ihre Tische von 80 Zentimeter auf bis zu 120 verstellen können. Das ist in Südeuropa überhaupt nicht der Fall. In Italien, Frankreich und Spanien gibt es keine Regeln, was die Höhenverstellung anbelangt. Es gibt noch weitere Regeln: In Deutschland und dem Rest von Nordeuropa muss der Mitarbeiter Zugang zu Tageslicht haben, er muss also aus dem Fenster schauen können und mal etwas anderes sehen können als nur künstliches Licht. Es gibt auch Farben und bestimmte Einrichtungsmaterialien, die man eher in Deutschland findet, als in anderen Ländern, etwa China. Die Farbpalette in Deutschland ist eher sanft, eher weiß, helles grau, also wenig störende Farben. Sprecher: In deutschen Büros geht es farblich also eher sanft zu, genau wie hier im Münchner Co-Working-Space, der etwas von einer lichtdurchfluteten Zahnarztpraxis hat, nur irgendwie hipper. Mit dem Schreiben komme ich gut voran, ich fange sogar damit an, Interviewpartner für meine Sendung hierher zu bestellen. Saskia Groneberg etwa. Die Künstlerin hat sich ausgiebig mit dem Thema ?Büropflanzen? beschäftigt und dafür den Preis für junge deutsche Fotografie erhalten. O-Ton / ZSP14 Interview: Saskia Groneberg Büropflanzen Generell habe ich gemerktt, dass ich an manchen Orten mehr Pflanzen gefunden als an anderen, in Poststellen etwa. CS: Ist es ein Klischee, dass in Großraumbüros immer diese Hydrokulturen stehen? Nein, das ist kein Klischee, die stehen da tatsächlich. Die werden dann meistens von einem Service betreut, zumindest ist das in vielen Firmen so. Manchmal ist es so, dass der Service nur die Firmenpflanzen gießt. Also, Absurditäten gibt es sehr viele. Die Leute lassen den Pflanzen ja viele Freiheiten, manchmal sind die Fensterbretter auch so mit Pflanzen zugestellt, dass man das Fenster nicht mehr öffnen kann. Oder das eine Pflanze in die Decke hineinwächst und es eigentlich ziemlich absurd aussieht. Oder das unter den Tischen sich dann alte Töpfe und Erde und wasweißich was alles versammelt. Da gibt es viele lustige Sachen, die ich so nicht erwartet habe. Ich habe schon das Gefühl, dass viele Leute, die sich einen eigenen Jungle gemacht haben, auch einen engen Bezug zu ihrer Arbeit haben. Und ich weiß auch nicht, ob es sinnvoll ist, wenn man Pflanzen verbietet, was ja auch vorkommt, dass es nur Firmenpflanzen geben darf. So geht dann auch ein Bezug zum Arbeitsplatz verloren. Sprecher: Büropflanzen sind wohl auch ein Symbol der Freiheit für all diejenigen, die unter Regiment der Bürokratie ächzen und leiden. Und das sind viele: Die Mehrheit arbeitet nicht in einem stylischen Co-Working-Space, wo Büropflanzen überflüssig sind, weil sowieso alles schön ist, sondern im schnöden Büro mit praktischen Möbeln. Der Münchner Co-Working ist so schön, dass er mittlerweile richtig voll wird. ATMO Co-Working Space 2 Sprecher: Jetzt ist jeder Platz besetzt. Es werden Kickoff-Mails geschrieben und ?Projekte aufs Gleis gesetzt?. Und vor allem wird viel geplaudert: Ob man jetzt nach Berlin ziehen soll? Wie denn die Re:Publica war? Hört sich die Stimme von Sascha Lobo, dem Star der Netzgemeinde, wirklich so an, wie die von Farin Urlaub, dem Sänger der Ärzte? Ich tippe Sätze, tippe sie nochmal, tippe sie nochmal und ?. nochmal. Der Satzbau entgleitet mir?. ATMO Co-Working Space 2 Sprecher: Ein Co-Working-Space ist nicht nur zum Arbeiten da, sondern vielmehr auch als Ort für den sozialen Austausch und der Gemeinschaft. All den Einzelkämpfern wird das Gefühl gegeben: Ihr seid Teil eines größeren Ganzen! Daran ist nichts Schlechtes. Gemeinsam zu arbeiten, bedeutet auch zu kollaborieren, sich gegenseitig zu helfen und Kontakte zu knüpfen. Das ist ein großer Vorteil von Büroorganisation und wiegt all die Lästigkeit der bizarren Rituale und Marotten auf, die die Bürowelt in all den Jahrzehnten hervorgebracht hat: Das gemeinsame Lästern über den Kantinenfraß, der Herrenwitz im Aufzug, das Tuscheln in Fluren, das Ärgern über den Papierstau im Kopierer, die unglückliche Rede des Chefs auf der Betriebsfeier, das Geschachere um Beförderungen, die Zielvereinbarungsgespräche, die Mitarbeiterfortbildungen und die Teambildungsmaßnahmen. ZSP16 Cutup: Stromberg & The Office Sprecher: Obwohl gerade die Lästigkeiten des Bürolebens auch ihren Reiz haben ? wie sich schnell zeigt ? und besonders Comedy geeignet sind. ZSP16 Cutup: Stromberg & The Office Sprecher: ?Stromberg? und sein englisches Vorbild ?The Office?: Beides erfolgreiche Serien, die das Absurde des Bürolebens sehr gelungen heraus destillieren. In fast jedem Land gibt es heute eine Büroserien, die allermeisten von ihnen sind lustig. In Deutschland heißt der Übervater der komödiantischen Büroserie ?Büro Büro?. ZSP17 Ausschnitt: Büro Büro Sprecher: Von 1981 bis 1992 lief die Serie im Vorabendprogramm der ARD. Es wird mit Klischees gespielt, es gibt die inkompetenten Chefs. Die Idee zur Serie hatte der Regisseur, Produzent und Drehbuchautor Reinhard Schwabenitzky: O-Ton/ ZSP18 Schwabenitzki: Es kommt darauf an, wie man es aufbereitet. Jeder hat mit Büro zu tun. Entweder er sitzt in einem drin oder er muss wo hin, wo es ein Büro gibt. Man hat immer mit Beamten zu tun. Überall ist Büro. Büros sind unsere Schaltzentralen, wenn man es genau nimmt. Das wird immer funktionieren. Allerdings wird es nicht als Tragödie funktionieren, sondern nur als Komödie. Und zwar nicht, in dem man es verulkt, sondern indem man aus den jeweiligen Situationen den Stoff herauszieht, der komisch ist. Und zwar für den Unbeteiligten. Der Beteilige, der das Problem schafft, der wird sich sicher ärgern. Aber über den Ärger der Anderen kann man auch ganz gut lachen. Hierarchie im Büro ist natürlich von großer Bedeutung. Lachen ist antiautoritär. Wenn man über die da oben lacht, dann ist das eine Art von Mini-Revolution. Sprecher: Lachen über die Bürokratie: Das war dem ?Sender Freies Berlin? damals zu subversiv. Kein Wunder eigentlich, denn machen wir uns nichts vor: Es geht im Büro um etwas sehr ernstes. Es geht um Effizienz, es geht darum, dass Leute Dinge geregelt bekommen, für ein Unternehmen, das Gewinne einstreichen muss, für einen Staat, der sparen muss, für sich selbst, damit man am Abend eine warme Mahlzeit auf dem Tisch hat oder für den Radiosender, der seinen Hörern eine einigermaßen gehaltvolle Sendung bieten möchte. Es geht darum, Menschen mit allen technischen und psychologischen Finessen zu mehr Produktivität anzutreiben. Dabei ist der Mensch der Teil des Büroinventars, der am unberechenbarsten ist, meint Reinhard Schwabenitzky: O-Ton/ ZSP19 Schwabenitzki: Wir haben angefangen, als es noch keine Computer gab, mit dieser Serie ?Büro Büro?. Und dann gab es großes Geschrei um die Kugelkopf Maschinen, die endlich in Haus kamen und die schneller waren als die anderen Schreibmaschinen. Und geendet hat das Ganze dann im Computerzeitalter, als es die ersten Computer gab mit Disketten ohne Festplatte. Das war so das zukunftsweisende, damit habe ich dann aufgehört. Was sich nicht geändert hat, sind die Menschen, die da sitzen und arbeiten, nur die Geräte haben sich verändert. Sprecher: Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis uns die erste Sitcom über das Leben im Co-Working Space zum Lachen bringt. Vielleicht gibt es irgendwann auch eine Serie über diese komische Zeit, als jeder von Zuhause arbeiten wollte und dachte, man könnte nebenbei die Haushaltsarbeit erledigen. Vielleicht schauen wir auf diese Zeit dann so nostalgisch zurück. So wie jetzt, wenn man eine Folge ?Mad Men? guckt und man sich über einen Kopierer amüsieren, der so groß wie ein Transformer. Atmo eventuell Mad Men vom Anfang oder Musik der Serie Sprecher: In ?Mad Men? spielt neue Technik wie der Kopierer allerdings nicht die wirklich Hauptrolle, sondern es sind die Angestellten und ihre Chefs und ihre Beziehung zueinander. Ihr Umgangston. Und so ist die Serie das Kaleidoskop zum Minikosmos Büro, einer Welt, die wir alle kennen, lieben und fürchten. Denn der mitunter graue, fade, überraschungsfreie und sterbenslangweilige Büroalltag hat auch seine guten Seiten. ZSP20 Ausschnitt ?Mad Men?: Gehen Sie jetzt heim, denn Arbeit ist nicht alles im Leben!? ENDE 1